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Ich werde die Reise also antreten.

Mein Vater steht kurz vor seiner Entlassung aus dem Krankenhaus. Ein Arzt und eine Krankenschwester werden ihn zu Hause betreuen, außerdem kommt regelmäßig ein Kinesiologe. Dass so viele fremde Menschen bei ihnen ein- und ausgehen, um sie zu versorgen, gehört zu den wenigen Dingen, die meine Mutter beklagt. Als hätten Alter und Krankheit ihre Privatsphäre zu einer öffentlichen Angelegenheit gemacht. Meine Mutter fühlt sich unwohl, weil eine höhere Macht ihr klammheimlich die Entscheidungsgewalt darüber entzogen hat, wer ihr Haus betreten darf und wer nicht.

Es gibt viele Probleme, aber wenn ich jetzt nicht reise, werde ich es nie tun. Das würde ich mir nicht verzeihen, und die anderen würden meinen Unmut zu spüren bekommen.

Im Flugzeug schaue ich die Dokumente durch und stelle fest, dass ich versehentlich die Pässe meiner Kinder eingesteckt habe. Das ist nicht weiter |32|tragisch, sie sind in der Schule und haben nicht vor wegzufahren. Dafür habe ich die zweite Kamera vergessen und bin mir plötzlich nicht mehr sicher, ob ich die geeignete Kleidung trage. So schlecht vorbereitet habe ich mich noch nie auf Reisen begeben … Aber was soll’s. Als ich die Anweisung höre, alle Passagiere mögen nun die Sicherheitsgurte anlegen, entspanne ich mich. Ich bin nicht mehr verfügbar. Man kann mich nicht mehr alle zwei Stunden anrufen, um mich irgendetwas zu fragen. Der Kapitän verkündet, dass wir startbereit seien; ich atme tief ein und schließe die Augen. Ich habe das Gefühl, den anderen zu entkommen. Darin liegt das Geheimnis von Urlaub: In Wahrheit erholt man sich von bestimmten Menschen.

Am Flughafen von Quito werde ich von Edison erwartet. Doktor Edison de la Guerra habe ich eine Woche zuvor in der Academia Nacional de Medicina kennengelernt. Ein Freund von mir hatte dort einen Kongress zum Thema Wissenschaft und Kultur organisiert. Da er von meinen Reiseplänen wusste, hatte er mich eingeladen, um mir Edison vorzustellen, der aus Ecuador angereist war. Wir waren uns gleich sympathisch, und Edison beteuerte, dass es ihm ein Herzenswunsch sei, mich in Quito zu empfangen.

Am nächsten Tag fliege ich weiter nach Loja. Erst |33|in der Check-in-Halle fällt mir das Logo der Fluggesellschaft auf: Ein Mann mit Flügeln – sie trägt den Namen Ícaro. Ikarus! Ob dieser Name für eine Airline die treffende Wahl ist, darüber lässt sich streiten. Ikarus ist in den Himmel aufgestiegen und seinem Gefängnis auf Kreta entkommen, unbenommen; aber später sind ihm die Flügel geschmolzen, und er stürzte ins Meer. Musste das Flugzeug, mit dem ich fliegen wollte, ausgerechnet so heißen?

Ich komme heil an meinem Zielort an. Die Ankunftshalle des Flughafens von Loja ist winzig. Die Wartenden stehen hinter einer Scheibe und schauen zu, wie die Passagiere ihr Gepäck abholen. Ich entdecke nur einen einzigen Mann, der gekleidet ist wie für ein Meeting in der Führungsetage. Grauer Anzug, weißes Hemd, passende Krawatte, rasierter Kopf, auf dem Rücken verschränkte Arme. Ich trete vor die Glaswand und bleibe direkt vor ihm stehen. Er schaut an mir vorbei, als suche er jemand anderen. Ich nehme meinen Rucksack, schiebe den Schirm meiner Kappe in den Nacken und halte mich Richtung Ausgang. Das war die letzte Ankunft, der Flughafen würde binnen kurzem schließen. Die nächstgelegene Stadt ist eineinhalb Stunden Fahrt entfernt, ich stehe mitten im Niemandsland.

|34|Ich überlege: Der Manager-Typ könnte sehr wohl zu dem panamerikanischen Medizinernetz gehören, das sich um mein Wohlbefinden kümmert. Wenn nicht, hätte ich ein Problem. Wie käme ich wieder fort von hier? Der Mann steht noch immer wartend vor der Scheibe. Ich gehe auf ihn zu und frage ihn, ob er jemanden erwarte.

»Doktor Coler? Verzeihung, ich habe Sie nicht erkannt.«

 

Irgendwo auf dem Weg von Loja nach Vilcabamba soll ein Teil des Schatzes der Inka vergraben sein. Eine unvorstellbare Menge an Gold.

Der Legende nach – es existieren mehrere Varianten – entführten die Spanier, als sie in das Gebiet kamen, den Inka-Führer Atahualpa. Für seine Freilassung verlangten sie ein Zimmer gefüllt mit Gold, so hoch, wie der gestreckte Arm des Gefangenen reichte. Um der Forderung nachzukommen, trugen Atahualpas Leute Gold aus allen Winkeln des weitläufigen Reiches zusammen. Die Boten überbrachten die Nachricht an den Bestimmungsort, das Gold wurde verladen, die Karawanen setzten sich in Bewegung.

Doch dann fand die Entführung ein unerwartetes Ende: Atahualpa wurde enthauptet, und die Spanier flohen, bevor die Beute vollständig eingetroffen |35|war. Als die Karawanenführer von der Ermordung ihres Herrschers erfuhren, beschlossen sie, das Gold auf dem Weg zu verstecken. Sie wollten es vor der Gier der Konquistadoren retten.

»Und es ist hier vergraben?«

»Ja, irgendwo.«

 

Wir erreichen Vilcabamba. Am Eingang des Dorfes wird der Besucher darüber aufgeklärt, dass der Ort 1565 Meter über dem Meeresspiegel liegt, viertausendzweihundert Einwohner zählt und eine Durchschnittstemperatur von zwanzig Grad aufweist. Kurz darauf entdecke ich ein weiteres Schild, das farbenfroh verkündet: »Welcome – Vilcabamba«. Darunter ist das Gesicht eines Hundertjährigen gemalt, der nicht so aussieht, als habe er vor, sich demnächst zur Ruhe zu setzen, und der in heiterer Gelassenheit auf sein Tal blickt.