KAPITEL 9
010
Als wir schließlich wieder im Porsche saßen und zurück zur Hauptstraße fuhren, stellte Ryu die Heizung an und achtete darauf, dass das Gebläse direkt auf mich gerichtet war. Mir war eigentlich nicht kalt, ich stand eher unter Schock, aber die warme Luft beruhigte mich, und nachdem ich einen Kaugummi aus meiner Tasche gewühlt hatte, schloss ich die Augen und lehnte mich zurück, um mir seinen Geschmack auf der Zunge zergehen zu lassen.
Wir hatten noch etwa zwanzig Minuten in der kleinen Neige verbracht, in der das ausgebrannte Auto stand. Ryu und Anyan hatten die Überreste der Kreatur aus dem Kofferraum überprüft und dann noch einmal aufmerksam den Wagen und das umliegende Gelände abgesucht. Danach führten sie ein zwar kurzes, aber umso eindringlicheres Gespräch, nach dem der Vampir noch einen Anruf mit seinem Handy tätigte. Trill half Nell auf die Beine, die beiden verabschiedeten sich und gingen durch den Wald davon. In dieser Nacht gab es keine ausgefallene Beam-Einlage. Mir fiel auf, dass Nell, nachdem sie das Siegel am Kofferraum gebrochen hatte, noch immer ziemlich erschöpft war. Anyan folgte ihnen gemessenen Schrittes, sah sich aber noch einmal kurz zu mir um, als ich ihm zum Abschied zuwinkte. Sein großes Hundegesicht wirkte traurig, und ich fragte mich, ob er das Ding in Peters Wagen wohl gekannt hatte.
Als ich spürte, dass Ryu auf der Hauptstraße angekommen war und den Wagen anhielt, öffnete ich die Augen, und unsere Blicke trafen sich. Er drehte die Heizung herunter und lächelte mich an. Mit den Fingerspitzen strich er mir sanft über die Wange. »Alles klar?«, erkundigte er sich.
»Ja, alles gut.« Ich lächelte zurück. »Was war das für ein Ding?«
»Ein Kobold«, sagte er abwesend. Er nahm meine Hand und küsste die Innenfläche, wie in der Nacht zuvor. Ich spürte ein Zucken in meinem Unterleib, und der Refrain von Sades »Smooth Operator« kam mir in den Sinn.
»Nell meinte, es war ein Anwalt.« Ich musste mich bemühen, meine Stimme ruhig zu halten. »Oder macht sie nur gern schlechte Witze über Anwälte?«
»Nein«, sagte Ryu und streichelte nachdenklich meine Finger. Sm-oooth op-er-ate-oooor … hallte es in meinem Kopf.
»Sein Name war Martin Manx, und er war Anwalt. Das sind Kobolde oft. Er war sogar ein ziemlich bekannter Anwalt. Seine Kanzlei arbeitet exklusiv für die Alfar.«
»Alfar?«, fragte ich und versuchte mich weiter auf seine Worte zu konzentrieren, da Ryu mittlerweile an meinen Fingerspitzen knabberte. Die Aufregung der vergangenen Stunde hatte offenbar eine völlig andere Wirkung auf ihn als auf mich.
»Man könnte sie auch Elfen nennen, aber lass ihnen das bloß nie, niemals zu Ohren kommen. Sie sind die mächtigsten Wesen der übersinnlichen Welt«, erklärte er, während er weiter meine Finger küsste.
»Ach so«, sagte ich, obwohl ich kein Wort von dem, was er sagte, wirklich wahrnahm, denn nun drehte er meine Hand um und leckte mit der Zunge sanft über die Narben an meinem Handgelenk.
In diesem Moment fing mein Magen an zu knurren wie ein Bärenkind, das gerade erwürgt wurde. Ryu zuckte zusammen und lachte dann lauthals los. Die prickelnde Stimmung war verflogen. Ich wusste nicht, ob ich meinen Appetit verfluchen oder ihm dankbar sein sollte.
»Hunger?«, fragte er und ließ meine Hand los, so dass ich sie auf meinem Schoß in Sicherheit bringen konnte.
»Sollte ich eigentlich nicht haben«, erwiderte ich. »Wenn man bedenkt, dass mir gerade noch schlecht war. Aber, ja, ich habe Hunger.« Ich ließ das Fenster herunterfahren und spuckte ohne nachzudenken meinen Kaugummi hinaus. Erst dann fiel mir auf, was ich gerade getan hatte, und gratulierte mir insgeheim zynisch für diese Demonstration meiner vollendeten Eleganz.
»Wie wäre es mit einem Picknick am Strand?«, fragte Ryu.
»Das klingt wunderbar«, sagte ich wahrheitsgemäß. Das klang es wirklich - und sehr, sehr gefährlich. Ich wusste verdammt gut, dass eine Decke nachts am Strand zusammen mit einem gut aussehenden Fremden nur eines bedeuten konnte: Nacktbaden.
Selbst wenn das Wasser zu kalt war, um tatsächlich schwimmen zu gehen, jede Entschuldigung war gut genug, damit die Begleitung ihre Kleider auszog. Wenn ihr nun mal schon so kalt war, dann blieb einem ja schließlich gar nichts anderes übrig, als sie mit dem eigenen Körper ein bisschen aufzuwärmen. Das tat ein echter Kavalier nun mal, oder etwa nicht?
Für den Bruchteil einer Sekunde wünschte ich, ich hätte Ryu nicht gesagt, dass mir die Kälte nichts ausmachte.
Ich wusste, was ich im Begriff war zu tun, war sehr unartig. Aber zumindest hatte mich meine Mutter niemals ermahnt, nicht mit vollem Bauch schwimmen zu gehen. Gut, anscheinend war sie ein Seehund gewesen, aber egal.
»Ich sollte ihn unbedingt noch davor warnen, wer ich wirklich bin«, fuhr es mir durch den Kopf. »Er behauptet zwar, er kenne deine Geschichte, aber ich kann nicht wissen, was das genau bedeutet. Also sage ich es ihm am besten gleich, damit ich es hinter mir habe. Das ist auf jeden Fall besser, als wenn er sich von mir abwendet, nachdem wirklich etwas zwischen uns passiert ist …«
Diese Gedanken dämpften meine Erregung ein wenig, und wir fuhren schweigend zum öffentlichen Strand in der Nähe des Häuschens, das Ryu gemietet hatte. Dort angekommen, holte Ryu eine Decke und einen vollen Picknickkorb aus dem Kofferraum, worauf ich ihm einen erstaunten Blick zuwarf. »Ich hatte gehofft, du sagst Ja«, entschuldigte er sich, doch sein Blick wirkte alles andere als schuldbewusst.
Seite an Seite gingen wir an den Strand hinunter, und ich half ihm dabei, die Decke auszubreiten. Ich sah staunend zu, wie er so tat, als würde er einen Apfel vom Himmel pflücken und plötzlich eine dieser leuchtenden kleinen Kugeln in der Hand hatte. Das Licht changierte zwischen sanftem Weiß und weichem Rosa.
»Wir nennen sie Magielichter«, erklärte er mir und positionierte es genau auf der Höhe, auf der sich unsere Köpfe im Sitzen befinden würden.
Das Picknick, das er vorbereitet hatte - oder das er vielmehr in einem ziemlich schicken Feinkostladen in Eastport erstanden hatte, wie ich feststellte -, war absolut köstlich. Mein Vater und ich sind ziemliche Feinschmecker, hauptsächlich, weil wir nichts Besseres zu tun haben, aber auch weil wir einfach gerne essen. Und als Ryu seine Leckereien auspackte, kam ich mir so vor, als sei ich im Paradies gelandet.
Die Hauptspeise bestand aus Hummersandwich. Beim Anblick der großen Stücke Hummerfleisch mit gerade richtig viel Mayonnaise zwischen zwei köstlichen Scheiben Brioche musste ich kleinlaut an den Hummer aus meinem Traum denken. Darüber hinaus gab es noch leckere Panzanella - ein bunter italienischer Salat mit getoasteten Brotstückchen - und einen Thai-Nudelsalat mit Garnelen, buntem Gemüse und knackigen Erdnüssen. Außerdem tischte er Fruchtsalat mit einem Klacks Ziegenkäse auf und zum Nachtisch Erdbeeren, sowohl pur als auch mit Schokolade überzogen, und zwei kleine Tartes aux Citrons. Zu trinken gab es eine Flasche Champagner und einen vollmundigen Shiraz. »Den genehmigen wir uns nach dem Essen«, meinte Ryu und grinste.
Sein Gesichtsausdruck und seine sichtbaren Reißzähne sprachen Bände, was er sich für heute Nacht so alles vorgenommen hatte, und ich wusste nicht, ob ich mich besser sofort aus dem Staub machen oder ihn mit Fruchtsalat übergießen und über ihn herfallen sollte.
Aber vorher war da noch etwas, was ich tun musste.
»Äh, apropos nach dem Essen… na ja, ich will nur wissen, ob du auch wirklich die Wahrheit über mich weißt. Du hast zwar gesagt, du kennst meine Geschichte, aber ich möchte sichergehen, dass du auch wirklich alles weißt. Ich meine, alles über mich. Ich bin natürlich nicht meine Vergangenheit, aber du musst die ganze Wahrheit über mich wissen.«
Ryus Blick wurde weicher, und ich sah, dass sich seine Fänge wieder zurückgezogen hatten. Doch ich missdeutete diese Zeichen, und so traf mich völlig unvorbereitet, was er dann sagte.
»Jane, Süße, stopp. Ich weiß alles, was ich wissen muss. Ich kenne deine Geschichte teilweise, ja. Und ich weiß auch, dass dein Leben in vielerlei Hinsicht bisher nicht gerade berauschend war. Aber ich weiß auch, dass du mutig bist und lustig und dass du ein paar ziemlich beeindruckende Leute damit beeindruckt hast, wie du das alles überlebt hast.«
Ich senkte den Kopf. Ich war verlegen und verwirrt. Ryu berührte die Finger meiner linken Hand, die nervös mit meinen Schuhbändern zu spielen begonnen hatten. Ich starrte seine wunderschönen, starke Hände an und wusste nicht, wie ich reagieren sollte.
»Ich mag dich, Jane. Nicht trotz deiner Geschichte, sondern genau deswegen. Und da ist noch etwas, etwas, das du, glaube ich, wissen solltest …« Ryu legte eine dramatische Pause ein, und ich hob erwartungsvoll den Kopf und sah ihm in die Augen. »Ich steh auf Brüste. Und du, meine Süße, bist unglaublich hübsch bestückt«, sagte er, und ich lief knallrot an und musste kichern. Meine Stimmung hob sich schlagartig. Ryu stimmte in mein Lachen ein und zauberte zwei Sektgläser aus dem Deckelkorb, zusammen mit Tellern und Besteck. Dann drehte er den Korb herum, der so einen perfekten kleinen Tisch abgab, und stellte ihn zwischen uns.
»Kauft dieser Typ etwa bei Pimps R Us ein?«, fuhr es mir durch den Kopf, während ich ihm bewundernd dabei zusah, wie er gekonnt den Champagner entkorkte und uns einschenkte.
Er reichte mir eines der Gläser, und wir stießen miteinander an.
»Auf dich, Jane, und auf deinen Einstand in unserer Gemeinschaft. Ich bin mir sicher, dass du auf alle anderen genauso großen Eindruck gemacht hast wie auf mich.«
Ich lief dunkelrot an und konnte kaum von dem Champagner trinken, ohne mich zu verschlucken. Falls Ryu mein Unbehagen überhaupt bemerkte, so machte er kein großes Aufhebens darum. Er reichte mir einfach einen Teller, auf dem bereits ein Hummersandwich lag. Dann zeigte er auf die anderen Köstlichkeiten, als wolle er sagen: »Bedien dich.«
Alles war perfekt. Was knusprig sein sollte - wie das Brot und die Panzanella und die getoasteten Brioche -, war noch immer knusprig, und nichts war zu kalt geworden, obwohl das Essen lange im Kofferraum gestanden hatte. Ich vermutete, dass dieselben Zaubertricks, die ausgebrannte Autos vor neugierigen Blicken verbergen konnten, auch ganz praktisch waren, wenn es darum ging, ein Picknick zu perfektionieren.
Der Champagner trank sich wie Limonade, und es war ein unglaublich sinnliches Erlebnis, all diese Köstlichkeiten zu verspeisen, während ich einem Mann gegenübersaß, der meine Hände erzittern ließ, wenn er mich nur ansah.
»Erzähl mir von dir«, sagte ich und lächelte ihn aufmunternd an.
»Was willst du denn wissen?«, fragte er und lächelte zurück.
»Weiß nicht … was du mir erzählen willst.« Ich zuckte mit den Schultern. »Ich fühle mich so … wohl bei dir«, versuchte ich es zu erklären, »aber eigentlich weiß ich rein gar nichts über dich. Wo du normalerweise lebst zum Beispiel. Und was du so machst.«
»Nun«, sagte er und leckte sich die Finger ab. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Die meiste Zeit des Jahres lebe ich in Boston, dort ist sozusagen mein Basislager. Abgesehen von der Zeit, die ich auf unserem Herrschaftssitz, dem Verbund, verbringe. Der Verbund ist das Machtzentrum für dieses Territorium. Er befindet sich etwa eine Stunde außerhalb von Quebec. Ich bin Ermittler, das bedeutet, ich sorge dafür, dass in unserem Gebiet alles ohne Zwischenfälle abläuft. Wenn es irgendwelche heiklen Vorkommnisse gibt, kümmere ich mich darum und berichte direkt an den Verbund. Wenn meine Dienste also irgendwo gebraucht werden, dann schickt man mich hin, um das fragliche Problem zu lösen. So bin ich auch hier gelandet.« Er lächelte mich an, und mein Herz setzte bestimmt acht Schläge lang aus. Entweder war ich dabei, mich heftig in diesen Kerl zu verlieben, oder ich hatte seit neuestem Herzrhythmusstörungen.
Er stellte seinen Teller ab und rutschte um das provisorische Tischchen herum, bis er neben mir saß. Meine Herzrhythmusstörungen gipfelten fast in einem Herzinfarkt. Ich zwang mich ruhig zu atmen.
»Und zur Frage, was ich so mache …«, sagte er und nahm sich eine Erdbeere. Ich wusste, dass er mich nun damit füttern würde.
»Ganz ruhig«, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf, und ich wappnete mich für seinen bevorstehenden Annäherungsversuch. Aber mein Körper bettelte: »Füttere mich!«, wie die fleischfressende Pflanze aus Der kleine Horrorladen.
»Ich mag Musik und gehe oft ins Theater, besonders gern auch in die Oper. Allerdings bin ich kein Fan von Musicals. Ich umgebe mich gern mit Menschen, und ich mag ihre Popkultur. Was immer bei den Menschen gerade angesagt ist, ich versuche, so viel wie möglich darüber zu erfahren.«
Er hielt mir die Erdbeere an den Mund, und ich nahm mir Zeit, um genüsslich meine Lippen darum zu legen und ganz langsam abzubeißen. Er lächelte erfreut, und ich sah, dass seine Fänge ein wenig hervorgetreten waren. Dann führte er die Erdbeere an den eigenen Mund und verschlang den Rest. Nur den grünen Stumpf ließ er übrig und schnippte ihn mit den Fingern weg.
»Im Moment haben es mir besonders japanische Manga und Britpop angetan«, sagte er. »Ich weiß schon, dass ich bei Mangas ziemlich hinterher bin, und dass es außerdem ein ziemlich schräges Hobby ist, aber es macht mir trotzdem Spaß. Besonders Appleseed hat mir gut gefallen. Da habe ich mir gerade erst die Fortsetzung bestellt.«
Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach, lächelte ihn aber trotzdem gebannt an. Entweder das, oder ich musste ihn auf der Stelle vernaschen. Eine andere Alternative gab es in dem Moment nicht.
»Warum reagiere ich nur so auf diesen Typen?«, fragte ich mich. Ich benahm mich wie ein hormongesteuerter Dreizehnjähriger, der das erste Mal einen Playboy in die Hand bekommen hatte. »Total lächerlich. Reiß dich zusammen, Mädchen«, ermahnte ich mich selbst. Ich hatte wirklich keine Ahnung, warum ich mich so zu Ryu hingezogen fühlte. Sicher, er war absolut umwerfend, aber das allein erklärte noch nicht, warum ich in seiner Gegenwart völlig die Selbstkontrolle und jede Hemmung verlor.
»Das ist doch ganz einfach«, nölte meine Libido, genervt von meinen Zweifeln und Schuldgefühlen. »Ryu musst du nicht anlügen. Er kennt dein größtes Geheimnis schon - das Geheimnis, dass du nicht einmal Jason anvertrauen konntest. Und für Ryu ist es völlig normal. Für ihn bist du völlig normal.«
Nicht zum ersten Mal, seit ich Ryu kannte, flammte ein Fünkchen Hoffnung in mir auf. Vielleicht konnten die Dinge sich ändern, vielleicht konnte ich mich ändern …
Um meine Verwirrung zu verbergen, nahm ich mir noch etwas Fruchtsalat und aß die Portion schweigend auf. Ryu hatte sich neben mir auf den Ellenbogen aufgestützt und beobachtete mich.
Den Nachtisch wollten wir uns für später aufheben. Nachdem wir die pikanten Köstlichkeiten verputzt hatten, stapelten wir die leeren Behälter und benutzten Teller. Ich hatte versucht, nicht allzu viel zu essen, aber es war einfach zu lecker gewesen, und nun war ich ziemlich voll. Ich legte mich auf den Rücken und betrachtete die Sterne. Ich wünschte, ich könnte meine Klamotten loswerden, oder besser noch, dass mir jemand dabei half, sie loszuwerden. Mir war klar, worauf diese Nacht zusteuerte. Ich hatte es schon gewusst, seit Ryu das Wort »Picknick« ausgesprochen hatte. Und ich wusste, dass wir beide das Gleiche wollten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Für jemanden wie ihn war es wahrscheinlich nichts anderes als eine weitere kleine Affäre. Aber für mich war es die erste große Chance, überhaupt einmal so etwas zu haben.
Und wie ich diese Affäre wollte.
Ryu wischte einen der Teller mit seiner Serviette ab und platzierte ihn dann neben mir, um zwei frisch gefüllte Champagnergläser darauf abzustellen. Dann legte er sich an meine Seite und schob sanft seine Hand auf meinen Bauch.
»Das Baby strampelt«, sagte ich nervös.
»Hm?«, fragte er. Er hatte den Kopf auf die Hand gestützt, das Gewicht ruhte auf seinem Ellenbogen, so dass er irritierenderweise leicht über mich gebeugt war.
»Du hättest dich nicht hinlegen sollen«, schalt mich mein Kopf. »Oh doch, und wie«, funkte mein Unterleib dazwischen.
»Das Essensbaby. Du weißt schon, wenn man zu viel gegessen hat …«
Ich verstummte, als ich seinen Blick sah. Ryu wollte jetzt nichts von Essensbabys hören. Er wollte mich küssen. Und das tat er nun auch.
Seine Lippen fühlten sich warm an auf meinen, aber nicht so warm wie die Hand, die unter meinen dünnen Strickpulli geschlüpft war und mich an der Seite zu streicheln begann. Die Hand umfasste meine Hüfte, zog mich näher an ihn heran, und sein Kuss wurde intensiver. Seine Zunge huschte über meine Lippen, suchte nach Einlass. Ich erschauderte, als ich seine scharfen Fänge spürte.
Ich erstarrte, bekam plötzlich Angst. Ich war bisher nur mit einem Mann zusammengewesen, und das war Jahre her. Der Gedanke an Jason ließ mich den eisigen Splitter in mir spüren. Ich hatte so lange auf eine Gelegenheit gehofft, mein Leben weiterzuleben. Und jetzt, konfrontiert mit einem lebenden, atmenden - und nicht zu vergessen unglaublich sexy - Mann, der über mich Bescheid wusste, ohne davonzulaufen, zeigte ich trotz aller Lust Nerven. Nicht zuletzt, weil Ryu kein richtiger Mensch war. Er war ein Vampir. Hatten Vampire Sex wie wir Menschen? Würde er mich beißen? Mussten wir ein Kondom benutzen? Oder vielleicht sogar drei, wenn wir die Fänge mit einschlossen?
Ryu öffnete seine goldbraunen Augen und sah mich an. Er zog seine Hand unter meinem Pulli hervor, strich ihn wieder glatt und gab mir einen zärtlichen Kuss, bevor er sagte: »Jane, mein Herz, was machst du, um dich zu entspannen?«
Ich starrte ihn einen Moment verständnislos an. »Ich gehe schwimmen«, sagte ich schließlich.
Er seufzte. »Ich dachte mir, dass du das sagen würdest.« Ich wusste, was jetzt kam. Der älteste Trick: Nacktbaden.
Ryu stand auf und zog sich aus. Ich erhaschte einen Blick auf muskulöse Oberschenkel und einen knackigen Hintern, bevor er über den Strand aufs Wasser zulief und mir aus Leibeskräften zurief: »Komm schon, Jane!«
Ich wusste, dass Nacktsein an kalten Stränden zwangsläufig zu jeder Menge Aufwärmbemühungen führte, aber es war einfach zu verlockend, um zu widerstehen. Abgesehen davon, war das Meer schließlich mein Hoheitsgebiet.
Ich schlüpfte aus meinen grünen Chucks und dem dazu passenden Pulli und entledigte mich dann auch noch meiner restlichen Klamotten. Ryu planschte bereits im flachen Wasser, als ich hinterherkam. Ich zog blitzschnell an ihm vorbei und ließ mich von den Armen meines vertrauten Meeres umfangen.
Ich hatte das Gefühl, wir schwammen stundenlang, obwohl es eigentlich nur etwa vierzig Minuten gewesen sein konnten. Seit meine Mutter verschwunden war, war ich nicht mehr so mit jemand anderem geschwommen. Das Meer war beißend kalt und der Wellengang ziemlich rau, aber Ryu konnte dennoch mit mir mithalten. Wir planschten und tollten herum wie Seeotter. Ich ließ mich von ihm fangen und küssen, bevor ich ihm wieder entglitt. Wenn ich merkte, dass er erschöpft war, durfte er mich ein bisschen länger halten, wobei ich ihn heimlich ein wenig stützte, bis er wieder Atem geschöpft hatte.
»Warum kannst du so gut schwimmen?«, fragte ich, während wir uns aneinander festhielten und die Wellen mir in den Ohren tosten.
»Wir sind nun mal stark«, sagte er und strich mir dabei mit der Hand über den Po.
»Das ist aber jetzt keine Verschnaufpause mehr«, dachte ich und tauchte weg.
Das Schwimmen war in dieser Nacht noch aufregender, weil mir zum ersten Mal bewusst wurde, was passierte, wenn ich im Wasser war. Dieses leichte Kribbeln, wie statische Energie, das ich gespürt hatte, wenn die anderen ihre Kräfte anwandten, ging nun von mir aus. Und die Energie, die ich aufbringen musste, um Ryu zu stützen oder mich seinen Armen zu entwinden, gab mir das Meer sogleich wieder zurück. Ich zog meine Lebenskraft aus dem Meer wie ein Fötus aus dem Körper seiner Mutter. Aber umgekehrt hatte ich mich noch nie so stark und so bei mir gefühlt.
Als ich bemerkte, dass Ryu genug hatte, schwamm ich ans Ufer zurück. Ich ging gerade auf die Decke zu, die noch immer von der kleinen rosa Lichtkugel erleuchtet wurde, da holte er mich ein und schlang von hinten die Arme um mich. Ryu hob mich hoch und trug mich das letzte Stück.
»Wie Rhett Scarlett«, dachte ich. »Außer, dass Rhett und Scarlett nicht klatschnass und nackt waren.«
Ich sah hoch in sein schönes Gesicht, und er blickte mich voll Verlangen an. Seine Fänge glänzten im Mondlicht. Wahrscheinlich hätte ich bei ihrem Anblick vor Angst ausflippen müssen, aber in seinen Armen fühlte ich mich völlig geborgen. Seine Fänge waren ein Zeichen dafür, dass auch er anders war, und das brachte ihn mir noch näher. Wir waren beide alles andere als normal, und keiner von uns beiden störte sich daran. Das geborgene Gefühl zusammen mit der Erregung des Abends und der Stärke und Kontrolle, die mir das Schwimmen gegeben hatte, wischten alle meine vorherigen Zweifel weg.
»Ist dir kalt?«, murmelte er, als er mich auf die Decke legte.
»Nein«, flüsterte ich. Jede Spur von Angst war völlig verflogen.
»Aber mir«, sagte er, zog mich auf ihn und schlang die Decke um uns.
Diesmal war ich diejenige, die ihn zuerst küsste.
Ich saß auf seinen Oberschenkeln und beugte mich zu seinen Lippen hinunter, und er schloss mich in die Arme. Ich ging den Kuss langsam an, denn ich war unsicher, wie ich mit seinen spitzen Eckzähnen umgehen musste. Aber er war ein guter Lehrer, und nach kurzer Zeit tauschte ich mit einem Vampir Zungenküsse aus, als hätte ich mein Leben lang nichts anderes getan. Im Grunde war es gar nicht so anders als sonst. Als ich sanft an seiner Zungenspitze saugte, die er mir in den Mund geschoben hatte, hörte ich ihn leise aufstöhnen, und bei diesem Klang machte mein Herz einen Sprung. Dann wanderten meine Lippen über seine Wange zu seinem Ohr, wo sie ein wenig auf Entdeckungsreise gingen, bevor sie über sein Kinn zu seinem Hals vorstießen. Er schmeckte nach meinem Meer, und ich leckte leidenschaftlich an seiner Haut. Ich mochte den Geschmack und das Gefühl seiner salzigen Schlüsselbeine auf meiner Zunge.
Ich nutzte die Gelegenheit, einen Blick auf seinen restlichen Körper zu werfen. Der erste Eindruck hatte mich nicht getäuscht. Seine Schultern waren sehr breit und muskulös, und seine glatte, haarlose Brust wurde von hübschen kleinen Nippeln geziert. »Mmmh, Nippel«, schnurrte mein Körper.
Er stöhnte und zog mich noch fester an sich, als ich mich bis zu einer dieser köstlichen rosafarbenen Erhebungen vorarbeitete. Ich saugte erst ganz sanft daran, wurde dann aber ungestümer, als er anfing, meinen Namen zu flüstern. Als ich mich dann zu seinem zweiten Nippel vorarbeitete, hielt er es nicht mehr aus, ich konnte ihn nur den Bruchteil einer Sekunde berühren, da vergrub er seine Hände in meinen Haaren und zog mein Gesicht zu seinem hoch.
Er presste mich an sich und küsste mich leidenschaftlich. Seine Fänge waren nun ganz hervorgetreten und nur noch schwer zu umgehen. Wahrscheinlich würden meine Lippen ein wenig in Mitleidenschaft gezogen werden, aber das bereitete mir keinerlei Unbehagen. Ich spürte nichts als seinen Mund auf meinem und die Lust, die er damit in mir entfachte.
Inzwischen hatte er lange genug unten gelegen. Mit einem kraftvollen Ruck wälzte er uns beide geschickt herum, so dass er schließlich oben lag. Ich spürte etwas Warmes, Hartes an meinen Schenkeln. Plötzlich waren seine Hände an meinen Brüsten und gleich darauf seine Lippen. Seine Finger spielten an der einen Brust, während er an der anderen saugte. Mein Rücken bog sich ihm entgegen, und ich stöhnte auf, als seine Hand von meiner Brust über meinen Bauch zwischen meine Beine glitt.
Ich öffnete meine Schenkel, und er rutschte mit seinem Körper dazwischen. Meine Hände vergruben sich in seinem Haar, als er anfing, mich entlang der Linie, die seine Hand soeben vorgegeben hatte, immer weiter nach unten zu küssen. Ich war zwar nicht gut im Kartenlesen, aber mein körpereigener Kompass registrierte sehr wohl, als er an der richtigen Stelle angelangt war. Ich drückte seinen Mund noch etwas fester an meinen Körper, als er hungrig am Zentrum meiner Lust leckte. Mit energischem Griff umfasste er meine Hüften.
Ich schrie fast auf vor Frust, als er innehielt, um mich zu küssen und mich meinen eigenen Geschmack auf seinen Lippen schmecken ließ. Dann kniete er sich zwischen meine Beine. Er nahm meine rechte Hand in seine und legte den Daumen der anderen Hand wieder an meinen süßen Punkt. Er sah mir tief in die Augen, während er anfing, sanft an meinem Handgelenk zu lecken. Er küsste und knabberte an der Stelle, an der unter der Haut mein Puls zu spüren war. Gleich über meinen Narben.
»Ich will dich beißen, Jane. Hier an deinem Handgelenk«, flüsterte er. Seine Stimme klang rau vor Leidenschaft. »Ich verspreche dir, dass es nicht wehtut, dass du es genießen wirst. Vertraust du mir, Jane?«
Mein Magen zog sich zusammen, während seine geschickten Finger mich nah an den Orgasmus brachten, dann aber innehielten, damit ich mich ein wenig beruhigen konnte, bevor er wieder anfing, mich in Richtung Höhepunkt voranzutreiben. Das war ziemlich unfair, denn in dieser Situation hätte ich in so gut wie alles eingewilligt, um das er mich gebeten hätte. Doch inzwischen wollte ich ihn auch als Vampir. Unser gemeinsamer Schwimmausflug im eiskalten Atlantik hatte mich überzeugt, dass ich alles von ihm wollte, die Fänge mit eingeschlossen. Ich nickte nur, stöhnte, unfähig zu sprechen, meine Zustimmung. Er lächelte, küsste meine Handfläche und fing dann wieder an, die vernarbte Haut an meinem Handgelenk zu lecken.
Ich fühlte, wie mein Verlangen immer größer wurde und legte meine eigenen Finger über seine, um den Rhythmus seines Daumens zu bestimmen. »Ryu«, flüsterte ich schließlich, »ich komme.« Und dann schrie ich und bäumte mich vor Lust auf, doch die ganze Zeit über blieben unsere Augen fest aufeinander gerichtet.
Im selben Moment biss er fest zu.
Ich spürte einen Anflug von Schmerz, der sofort von meinem mächtigen Orgasmus und einem weiteren starken Gefühl, das von meinem Handgelenk ausging, weggefegt wurde. Es fühlte sich an wie ein Höhepunkt, aber sanfter und intensiver zugleich, und es pulsierte mit jedem kräftigen Zug seines Mundes. Seine Zähne vergruben sich nur eine kurze Minute in meinem Fleisch, bevor er sich wieder löste. Dann leckte er zärtlich über die Wunde, während der Schmerz völlig abklang.
»Wow«, sagte ich und entzog ihm meine Hand, um das Gelenk zu betrachten, während er sanft meine Brüste berührte. Ich inspizierte sein Werk. Während mein Handgelenk noch immer mit alten Narben übersät war, konnte ich keine frische Bisswunde entdecken. Ryu hatte sie völlig geheilt.
»Ich habe dir ja prophezeit, dass du das noch oft sagen wirst«, erinnerte mich Ryu und küsste mich von der Brust hinauf bis zu meinem Mund. Er blickte mir in die Augen und hob dann meine Hüfte leicht an, um besser in mich eindringen zu können.
Offenbar blickte ich ziemlich beunruhigt drein, denn er musste lächeln. »Keine Sorge«, murmelte er. »Wir müssen uns nicht schützen. Wir Vampire bekommen keine Krankheiten, und wir können uns auch nicht fortpflanzen, wenn wir es nicht wollen. Und ich mag heute Nacht zwar vieles im Sinn haben, aber Fortpflanzung gehört nicht dazu.«
»Ähm, Ryu?«, erwiderte ich, während Ryus Lippen schon wieder auf dem Weg zu meinen Brüsten waren. Aber ich hatte genug schlechte Filme gesehen, um zu wissen, dass man einem Mann besser kein Wort glaubt, wenn er sagt: »Vertrau mir, Kleines, mein Penis ist harmlos!«
»Hmm?«, antwortete er, während er an meinen Brüsten herumspielte wie ein zufriedener kleiner Welpe. Aber als er bemerkte, dass ich immer noch besorgt war, lächelte er schicksalsergeben. »Ich hätte was dabei, wenn es dir lieber ist«, sagte er. Ich nickte, und er griff seufzend nach seinen Hosen.
Ich wusste, dass er wahrscheinlich die Wahrheit sagte und wir kein Kondom brauchten. Außerdem hatte ich soeben alle Regeln der Vermeidung von durch Blut übertragbare Krankheiten missachtet, indem ich ihm erlaubt hatte, mich zu beißen.
Aber ich wollte nicht auch noch geschwängert oder mit Vampirgeschlechtskrankheiten in der Klinik landen, also lächelte ich Ryu ermutigend an.
Nachdem er ein Kondom aus seiner Hosentasche gefischt hatte, versuchte ich seine offensichtliche Enttäuschung etwas zu mildern, indem ich ihm zeigte, wie viel Spaß das Anlegen von etwas Latex beiden bereiten konnte, wenn man es nur mit Begeisterung anging - und es mit etwas Oralsex garnierte. Schließlich löste ich mich von ihm mit einer letzten Streicheleinheit für sein Fahrwerk, die ihm fast den Atem raubte, und öffnete mich ihm. Er folgte meiner Einladung und drang mit einem langsamen, aber nachdrücklichen Stoß in mich ein. Ich stöhnte auf. »Ist das lange her, viel zu lange …«, dachte ich und genoss selbstsüchtig meine eigene Lust. Er bewegte sich sanft in mir, damit ich mich an ihn gewöhnen konnte, während seine Lippen mit meinen spielten. Dann wurden seine Küsse nachdrücklicher und seine Vorstöße auch, und schon bald gingen wir ab wie zwei Teenager, die soeben erst entdeckt hatten, dass ihre so unterschiedlichen Körperteile in Wahrheit wunderbar harmonierten. Ich schob meine Hand zwischen uns und legte den Finger auf meine Klitoris, um meine Lust noch zu steigern, und er stützte sich mit den Händen auf, um mir dabei zuzusehen, wie ich mich selbst berührte.
»Oh, Jane«, stöhnte er, und seine Hüften fingen an, sich immer unberechenbarer zu bewegen. Meine Lust schwoll schnell an, und das Verlangen auf seinem Gesicht trieb mich immer weiter. Dann rief er erneut meinen Namen und vergrub sein Gesicht an meinem Hals, und ich spürte, wie er genau in dem Moment kam, als der Orgasmus auch über mich fegte und jeden bewussten Gedanken mit sich fort riss.
Danach lagen wir noch eine Weile eng umschlungen da, küssten uns und kuschelten, bis wir wieder zu Atem gekommen waren. Ich hatte mich schon sehr lange nicht mehr so gut gefühlt. Ich wusste, dass mir meine Schuldgefühle am nächsten Tag noch jede Menge Ärger bereiten würden, aber in diesem Moment schob ich alle Bedenken beiseite und genoss das Gefühl, Ryus Körper an den meinen gepresst zu spüren.
Als wir uns ein wenig erholt hatten, deutete er verschmitzt mit den Augenbrauen zum Meer, was mich zum Lachen brachte. Hand in Hand gingen wir hinunter und planschten im seichten Wasser herum. Dann rannten wir zu unserer Decke zurück.
»Nachtisch?«, schlug er genau in dem Moment vor, als ich mir eine komplette Tarte aux Citrons in den Mund stopfte. »Okay, das beantwortet wohl die Frage«, meinte er lachend.
Er wollte sein Törtchen von meinen Schenkeln essen, was wir, glaube ich, beide sehr genossen.