KAPITEL 9
Als wir schließlich wieder im Porsche saßen
und zurück zur Hauptstraße fuhren, stellte Ryu die Heizung an und
achtete darauf, dass das Gebläse direkt auf mich gerichtet war. Mir
war eigentlich nicht kalt, ich stand eher unter Schock, aber die
warme Luft beruhigte mich, und nachdem ich einen Kaugummi aus
meiner Tasche gewühlt hatte, schloss ich die Augen und lehnte mich
zurück, um mir seinen Geschmack auf der Zunge zergehen zu
lassen.
Wir hatten noch etwa zwanzig Minuten in der kleinen
Neige verbracht, in der das ausgebrannte Auto stand. Ryu und Anyan
hatten die Überreste der Kreatur aus dem Kofferraum überprüft und
dann noch einmal aufmerksam den Wagen und das umliegende Gelände
abgesucht. Danach führten sie ein zwar kurzes, aber umso
eindringlicheres Gespräch, nach dem der Vampir noch einen Anruf mit
seinem Handy tätigte. Trill half Nell auf die Beine, die beiden
verabschiedeten sich und gingen durch den Wald davon. In dieser
Nacht gab es keine ausgefallene Beam-Einlage. Mir fiel auf, dass
Nell, nachdem sie das Siegel am Kofferraum gebrochen
hatte, noch immer ziemlich erschöpft war. Anyan folgte ihnen
gemessenen Schrittes, sah sich aber noch einmal kurz zu mir um, als
ich ihm zum Abschied zuwinkte. Sein großes Hundegesicht wirkte
traurig, und ich fragte mich, ob er das Ding in Peters Wagen wohl
gekannt hatte.
Als ich spürte, dass Ryu auf der Hauptstraße
angekommen war und den Wagen anhielt, öffnete ich die Augen, und
unsere Blicke trafen sich. Er drehte die Heizung herunter und
lächelte mich an. Mit den Fingerspitzen strich er mir sanft über
die Wange. »Alles klar?«, erkundigte er sich.
»Ja, alles gut.« Ich lächelte zurück. »Was war das
für ein Ding?«
»Ein Kobold«, sagte er abwesend. Er nahm meine Hand
und küsste die Innenfläche, wie in der Nacht zuvor. Ich spürte ein
Zucken in meinem Unterleib, und der Refrain von Sades »Smooth
Operator« kam mir in den Sinn.
»Nell meinte, es war ein Anwalt.« Ich musste mich
bemühen, meine Stimme ruhig zu halten. »Oder macht sie nur gern
schlechte Witze über Anwälte?«
»Nein«, sagte Ryu und streichelte nachdenklich
meine Finger. Sm-oooth op-er-ate-oooor … hallte es in meinem
Kopf.
»Sein Name war Martin Manx, und er war Anwalt. Das
sind Kobolde oft. Er war sogar ein ziemlich bekannter Anwalt. Seine
Kanzlei arbeitet exklusiv für die Alfar.«
»Alfar?«, fragte ich und versuchte mich weiter auf
seine Worte zu konzentrieren, da Ryu mittlerweile an meinen
Fingerspitzen knabberte. Die Aufregung der vergangenen Stunde hatte
offenbar eine völlig andere Wirkung auf ihn als auf mich.
»Man könnte sie auch Elfen nennen, aber lass ihnen
das bloß nie, niemals zu Ohren kommen. Sie sind die
mächtigsten Wesen der übersinnlichen Welt«, erklärte er, während er
weiter meine Finger küsste.
»Ach so«, sagte ich, obwohl ich kein Wort von dem,
was er sagte, wirklich wahrnahm, denn nun drehte er meine Hand um
und leckte mit der Zunge sanft über die Narben an meinem
Handgelenk.
In diesem Moment fing mein Magen an zu knurren wie
ein Bärenkind, das gerade erwürgt wurde. Ryu zuckte zusammen und
lachte dann lauthals los. Die prickelnde Stimmung war verflogen.
Ich wusste nicht, ob ich meinen Appetit verfluchen oder ihm dankbar
sein sollte.
»Hunger?«, fragte er und ließ meine Hand los, so
dass ich sie auf meinem Schoß in Sicherheit bringen konnte.
»Sollte ich eigentlich nicht haben«, erwiderte ich.
»Wenn man bedenkt, dass mir gerade noch schlecht war. Aber, ja, ich
habe Hunger.« Ich ließ das Fenster herunterfahren und spuckte ohne
nachzudenken meinen Kaugummi hinaus. Erst dann fiel mir auf, was
ich gerade getan hatte, und gratulierte mir insgeheim zynisch für
diese Demonstration meiner vollendeten Eleganz.
»Wie wäre es mit einem Picknick am Strand?«, fragte
Ryu.
»Das klingt wunderbar«, sagte ich wahrheitsgemäß.
Das klang es wirklich - und sehr, sehr gefährlich. Ich wusste
verdammt gut, dass eine Decke nachts am Strand zusammen mit einem
gut aussehenden Fremden nur eines bedeuten konnte:
Nacktbaden.
Selbst wenn das Wasser zu kalt war, um tatsächlich
schwimmen zu gehen, jede Entschuldigung war gut genug, damit die
Begleitung ihre Kleider auszog. Wenn ihr nun mal schon so
kalt war, dann blieb einem ja schließlich gar nichts anderes
übrig, als sie mit dem eigenen Körper ein bisschen
aufzuwärmen. Das tat ein echter Kavalier nun mal, oder etwa
nicht?
Für den Bruchteil einer Sekunde wünschte ich, ich
hätte Ryu nicht gesagt, dass mir die Kälte nichts ausmachte.
Ich wusste, was ich im Begriff war zu tun, war sehr
unartig. Aber zumindest hatte mich meine Mutter niemals ermahnt,
nicht mit vollem Bauch schwimmen zu gehen. Gut, anscheinend war sie
ein Seehund gewesen, aber egal.
»Ich sollte ihn unbedingt noch davor warnen, wer
ich wirklich bin«, fuhr es mir durch den Kopf. »Er behauptet zwar,
er kenne deine Geschichte, aber ich kann nicht wissen, was das
genau bedeutet. Also sage ich es ihm am besten gleich, damit ich es
hinter mir habe. Das ist auf jeden Fall besser, als wenn er sich
von mir abwendet, nachdem wirklich etwas zwischen uns passiert ist
…«
Diese Gedanken dämpften meine Erregung ein wenig,
und wir fuhren schweigend zum öffentlichen Strand in der Nähe des
Häuschens, das Ryu gemietet hatte. Dort angekommen, holte Ryu eine
Decke und einen vollen Picknickkorb aus dem Kofferraum, worauf ich
ihm einen erstaunten Blick zuwarf. »Ich hatte gehofft, du sagst
Ja«, entschuldigte er sich, doch sein Blick wirkte alles andere als
schuldbewusst.
Seite an Seite gingen wir an den Strand hinunter,
und ich half ihm dabei, die Decke auszubreiten. Ich sah staunend
zu, wie er so tat, als würde er einen Apfel vom Himmel
pflücken und plötzlich eine dieser leuchtenden kleinen Kugeln in
der Hand hatte. Das Licht changierte zwischen sanftem Weiß und
weichem Rosa.
»Wir nennen sie Magielichter«, erklärte er mir und
positionierte es genau auf der Höhe, auf der sich unsere Köpfe im
Sitzen befinden würden.
Das Picknick, das er vorbereitet hatte - oder das
er vielmehr in einem ziemlich schicken Feinkostladen in Eastport
erstanden hatte, wie ich feststellte -, war absolut köstlich. Mein
Vater und ich sind ziemliche Feinschmecker, hauptsächlich, weil wir
nichts Besseres zu tun haben, aber auch weil wir einfach gerne
essen. Und als Ryu seine Leckereien auspackte, kam ich mir so vor,
als sei ich im Paradies gelandet.
Die Hauptspeise bestand aus Hummersandwich. Beim
Anblick der großen Stücke Hummerfleisch mit gerade richtig viel
Mayonnaise zwischen zwei köstlichen Scheiben Brioche musste ich
kleinlaut an den Hummer aus meinem Traum denken. Darüber hinaus gab
es noch leckere Panzanella - ein bunter italienischer Salat mit
getoasteten Brotstückchen - und einen Thai-Nudelsalat mit Garnelen,
buntem Gemüse und knackigen Erdnüssen. Außerdem tischte er
Fruchtsalat mit einem Klacks Ziegenkäse auf und zum Nachtisch
Erdbeeren, sowohl pur als auch mit Schokolade überzogen, und zwei
kleine Tartes aux Citrons. Zu trinken gab es eine Flasche
Champagner und einen vollmundigen Shiraz. »Den genehmigen wir uns
nach dem Essen«, meinte Ryu und grinste.
Sein Gesichtsausdruck und seine sichtbaren
Reißzähne sprachen Bände, was er sich für heute Nacht so alles
vorgenommen
hatte, und ich wusste nicht, ob ich mich besser sofort aus dem
Staub machen oder ihn mit Fruchtsalat übergießen und über ihn
herfallen sollte.
Aber vorher war da noch etwas, was ich tun
musste.
»Äh, apropos nach dem Essen… na ja, ich will nur
wissen, ob du auch wirklich die Wahrheit über mich weißt. Du hast
zwar gesagt, du kennst meine Geschichte, aber ich möchte
sichergehen, dass du auch wirklich alles weißt. Ich meine, alles
über mich. Ich bin natürlich nicht meine Vergangenheit, aber du
musst die ganze Wahrheit über mich wissen.«
Ryus Blick wurde weicher, und ich sah, dass sich
seine Fänge wieder zurückgezogen hatten. Doch ich missdeutete diese
Zeichen, und so traf mich völlig unvorbereitet, was er dann
sagte.
»Jane, Süße, stopp. Ich weiß alles, was ich wissen
muss. Ich kenne deine Geschichte teilweise, ja. Und ich weiß auch,
dass dein Leben in vielerlei Hinsicht bisher nicht gerade
berauschend war. Aber ich weiß auch, dass du mutig bist und lustig
und dass du ein paar ziemlich beeindruckende Leute damit
beeindruckt hast, wie du das alles überlebt hast.«
Ich senkte den Kopf. Ich war verlegen und verwirrt.
Ryu berührte die Finger meiner linken Hand, die nervös mit meinen
Schuhbändern zu spielen begonnen hatten. Ich starrte seine
wunderschönen, starke Hände an und wusste nicht, wie ich reagieren
sollte.
»Ich mag dich, Jane. Nicht trotz deiner Geschichte,
sondern genau deswegen. Und da ist noch etwas, etwas, das du,
glaube ich, wissen solltest …« Ryu legte eine dramatische Pause
ein, und ich hob erwartungsvoll den Kopf und
sah ihm in die Augen. »Ich steh auf Brüste. Und du, meine Süße,
bist unglaublich hübsch bestückt«, sagte er, und ich lief knallrot
an und musste kichern. Meine Stimmung hob sich schlagartig. Ryu
stimmte in mein Lachen ein und zauberte zwei Sektgläser aus dem
Deckelkorb, zusammen mit Tellern und Besteck. Dann drehte er den
Korb herum, der so einen perfekten kleinen Tisch abgab, und stellte
ihn zwischen uns.
»Kauft dieser Typ etwa bei Pimps R Us ein?«,
fuhr es mir durch den Kopf, während ich ihm bewundernd dabei zusah,
wie er gekonnt den Champagner entkorkte und uns einschenkte.
Er reichte mir eines der Gläser, und wir stießen
miteinander an.
»Auf dich, Jane, und auf deinen Einstand in unserer
Gemeinschaft. Ich bin mir sicher, dass du auf alle anderen genauso
großen Eindruck gemacht hast wie auf mich.«
Ich lief dunkelrot an und konnte kaum von dem
Champagner trinken, ohne mich zu verschlucken. Falls Ryu mein
Unbehagen überhaupt bemerkte, so machte er kein großes Aufhebens
darum. Er reichte mir einfach einen Teller, auf dem bereits ein
Hummersandwich lag. Dann zeigte er auf die anderen Köstlichkeiten,
als wolle er sagen: »Bedien dich.«
Alles war perfekt. Was knusprig sein sollte - wie
das Brot und die Panzanella und die getoasteten Brioche -, war noch
immer knusprig, und nichts war zu kalt geworden, obwohl das Essen
lange im Kofferraum gestanden hatte. Ich vermutete, dass dieselben
Zaubertricks, die ausgebrannte Autos vor neugierigen Blicken
verbergen konnten, auch ganz
praktisch waren, wenn es darum ging, ein Picknick zu
perfektionieren.
Der Champagner trank sich wie Limonade, und es war
ein unglaublich sinnliches Erlebnis, all diese Köstlichkeiten zu
verspeisen, während ich einem Mann gegenübersaß, der meine Hände
erzittern ließ, wenn er mich nur ansah.
»Erzähl mir von dir«, sagte ich und lächelte ihn
aufmunternd an.
»Was willst du denn wissen?«, fragte er und
lächelte zurück.
»Weiß nicht … was du mir erzählen willst.« Ich
zuckte mit den Schultern. »Ich fühle mich so … wohl bei dir«,
versuchte ich es zu erklären, »aber eigentlich weiß ich rein gar
nichts über dich. Wo du normalerweise lebst zum Beispiel. Und was
du so machst.«
»Nun«, sagte er und leckte sich die Finger ab. »Da
gibt es nicht viel zu erzählen. Die meiste Zeit des Jahres lebe ich
in Boston, dort ist sozusagen mein Basislager. Abgesehen von der
Zeit, die ich auf unserem Herrschaftssitz, dem Verbund, verbringe.
Der Verbund ist das Machtzentrum für dieses Territorium. Er
befindet sich etwa eine Stunde außerhalb von Quebec. Ich bin
Ermittler, das bedeutet, ich sorge dafür, dass in unserem Gebiet
alles ohne Zwischenfälle abläuft. Wenn es irgendwelche heiklen
Vorkommnisse gibt, kümmere ich mich darum und berichte direkt an
den Verbund. Wenn meine Dienste also irgendwo gebraucht werden,
dann schickt man mich hin, um das fragliche Problem zu lösen. So
bin ich auch hier gelandet.« Er lächelte mich an, und mein Herz
setzte bestimmt acht Schläge lang aus. Entweder war ich dabei, mich
heftig in diesen Kerl zu verlieben,
oder ich hatte seit neuestem Herzrhythmusstörungen.
Er stellte seinen Teller ab und rutschte um das
provisorische Tischchen herum, bis er neben mir saß. Meine
Herzrhythmusstörungen gipfelten fast in einem Herzinfarkt. Ich
zwang mich ruhig zu atmen.
»Und zur Frage, was ich so mache …«, sagte er und
nahm sich eine Erdbeere. Ich wusste, dass er mich nun damit füttern
würde.
»Ganz ruhig«, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf,
und ich wappnete mich für seinen bevorstehenden Annäherungsversuch.
Aber mein Körper bettelte: »Füttere mich!«, wie die
fleischfressende Pflanze aus Der kleine Horrorladen.
»Ich mag Musik und gehe oft ins Theater, besonders
gern auch in die Oper. Allerdings bin ich kein Fan von Musicals.
Ich umgebe mich gern mit Menschen, und ich mag ihre Popkultur. Was
immer bei den Menschen gerade angesagt ist, ich versuche, so viel
wie möglich darüber zu erfahren.«
Er hielt mir die Erdbeere an den Mund, und ich nahm
mir Zeit, um genüsslich meine Lippen darum zu legen und ganz
langsam abzubeißen. Er lächelte erfreut, und ich sah, dass seine
Fänge ein wenig hervorgetreten waren. Dann führte er die Erdbeere
an den eigenen Mund und verschlang den Rest. Nur den grünen Stumpf
ließ er übrig und schnippte ihn mit den Fingern weg.
»Im Moment haben es mir besonders japanische Manga
und Britpop angetan«, sagte er. »Ich weiß schon, dass ich bei
Mangas ziemlich hinterher bin, und dass es außerdem ein ziemlich
schräges Hobby ist, aber es macht mir trotzdem
Spaß. Besonders Appleseed hat mir gut gefallen. Da habe ich
mir gerade erst die Fortsetzung bestellt.«
Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach, lächelte
ihn aber trotzdem gebannt an. Entweder das, oder ich musste ihn auf
der Stelle vernaschen. Eine andere Alternative gab es in dem Moment
nicht.
»Warum reagiere ich nur so auf diesen Typen?«,
fragte ich mich. Ich benahm mich wie ein hormongesteuerter
Dreizehnjähriger, der das erste Mal einen Playboy in die Hand
bekommen hatte. »Total lächerlich. Reiß dich zusammen, Mädchen«,
ermahnte ich mich selbst. Ich hatte wirklich keine Ahnung, warum
ich mich so zu Ryu hingezogen fühlte. Sicher, er war absolut
umwerfend, aber das allein erklärte noch nicht, warum ich in seiner
Gegenwart völlig die Selbstkontrolle und jede Hemmung verlor.
»Das ist doch ganz einfach«, nölte meine Libido,
genervt von meinen Zweifeln und Schuldgefühlen. »Ryu musst du nicht
anlügen. Er kennt dein größtes Geheimnis schon - das Geheimnis,
dass du nicht einmal Jason anvertrauen konntest. Und für Ryu ist es
völlig normal. Für ihn bist du völlig normal.«
Nicht zum ersten Mal, seit ich Ryu kannte, flammte
ein Fünkchen Hoffnung in mir auf. Vielleicht konnten die Dinge sich
ändern, vielleicht konnte ich mich ändern …
Um meine Verwirrung zu verbergen, nahm ich mir noch
etwas Fruchtsalat und aß die Portion schweigend auf. Ryu hatte sich
neben mir auf den Ellenbogen aufgestützt und beobachtete
mich.
Den Nachtisch wollten wir uns für später aufheben.
Nachdem wir die pikanten Köstlichkeiten verputzt hatten, stapelten
wir die leeren Behälter und benutzten Teller. Ich hatte versucht,
nicht allzu viel zu essen, aber es war einfach zu lecker gewesen,
und nun war ich ziemlich voll. Ich legte mich auf den Rücken und
betrachtete die Sterne. Ich wünschte, ich könnte meine Klamotten
loswerden, oder besser noch, dass mir jemand dabei half, sie
loszuwerden. Mir war klar, worauf diese Nacht zusteuerte. Ich hatte
es schon gewusst, seit Ryu das Wort »Picknick« ausgesprochen hatte.
Und ich wusste, dass wir beide das Gleiche wollten, wenn auch aus
unterschiedlichen Gründen. Für jemanden wie ihn war es
wahrscheinlich nichts anderes als eine weitere kleine Affäre. Aber
für mich war es die erste große Chance, überhaupt einmal so etwas
zu haben.
Und wie ich diese Affäre wollte.
Ryu wischte einen der Teller mit seiner Serviette
ab und platzierte ihn dann neben mir, um zwei frisch gefüllte
Champagnergläser darauf abzustellen. Dann legte er sich an meine
Seite und schob sanft seine Hand auf meinen Bauch.
»Das Baby strampelt«, sagte ich nervös.
»Hm?«, fragte er. Er hatte den Kopf auf die Hand
gestützt, das Gewicht ruhte auf seinem Ellenbogen, so dass er
irritierenderweise leicht über mich gebeugt war.
»Du hättest dich nicht hinlegen sollen«, schalt
mich mein Kopf. »Oh doch, und wie«, funkte mein Unterleib
dazwischen.
»Das Essensbaby. Du weißt schon, wenn man zu viel
gegessen hat …«
Ich verstummte, als ich seinen Blick sah. Ryu
wollte jetzt nichts von Essensbabys hören. Er wollte mich küssen.
Und das tat er nun auch.
Seine Lippen fühlten sich warm an auf meinen, aber
nicht so warm wie die Hand, die unter meinen dünnen Strickpulli
geschlüpft war und mich an der Seite zu streicheln begann. Die Hand
umfasste meine Hüfte, zog mich näher an ihn heran, und sein Kuss
wurde intensiver. Seine Zunge huschte über meine Lippen, suchte
nach Einlass. Ich erschauderte, als ich seine scharfen Fänge
spürte.
Ich erstarrte, bekam plötzlich Angst. Ich war
bisher nur mit einem Mann zusammengewesen, und das war Jahre her.
Der Gedanke an Jason ließ mich den eisigen Splitter in mir spüren.
Ich hatte so lange auf eine Gelegenheit gehofft, mein Leben
weiterzuleben. Und jetzt, konfrontiert mit einem lebenden, atmenden
- und nicht zu vergessen unglaublich sexy - Mann, der über mich
Bescheid wusste, ohne davonzulaufen, zeigte ich trotz aller Lust
Nerven. Nicht zuletzt, weil Ryu kein richtiger Mensch war. Er war
ein Vampir. Hatten Vampire Sex wie wir Menschen? Würde er mich
beißen? Mussten wir ein Kondom benutzen? Oder vielleicht sogar
drei, wenn wir die Fänge mit einschlossen?
Ryu öffnete seine goldbraunen Augen und sah mich
an. Er zog seine Hand unter meinem Pulli hervor, strich ihn wieder
glatt und gab mir einen zärtlichen Kuss, bevor er sagte: »Jane,
mein Herz, was machst du, um dich zu entspannen?«
Ich starrte ihn einen Moment verständnislos an.
»Ich gehe schwimmen«, sagte ich schließlich.
Er seufzte. »Ich dachte mir, dass du das sagen
würdest.« Ich wusste, was jetzt kam. Der älteste Trick:
Nacktbaden.
Ryu stand auf und zog sich aus. Ich erhaschte einen
Blick auf muskulöse Oberschenkel und einen knackigen Hintern,
bevor er über den Strand aufs Wasser zulief und mir aus
Leibeskräften zurief: »Komm schon, Jane!«
Ich wusste, dass Nacktsein an kalten Stränden
zwangsläufig zu jeder Menge Aufwärmbemühungen führte, aber es war
einfach zu verlockend, um zu widerstehen. Abgesehen davon, war das
Meer schließlich mein Hoheitsgebiet.
Ich schlüpfte aus meinen grünen Chucks und dem dazu
passenden Pulli und entledigte mich dann auch noch meiner
restlichen Klamotten. Ryu planschte bereits im flachen Wasser, als
ich hinterherkam. Ich zog blitzschnell an ihm vorbei und ließ mich
von den Armen meines vertrauten Meeres umfangen.
Ich hatte das Gefühl, wir schwammen stundenlang,
obwohl es eigentlich nur etwa vierzig Minuten gewesen sein konnten.
Seit meine Mutter verschwunden war, war ich nicht mehr so mit
jemand anderem geschwommen. Das Meer war beißend kalt und der
Wellengang ziemlich rau, aber Ryu konnte dennoch mit mir mithalten.
Wir planschten und tollten herum wie Seeotter. Ich ließ mich von
ihm fangen und küssen, bevor ich ihm wieder entglitt. Wenn ich
merkte, dass er erschöpft war, durfte er mich ein bisschen länger
halten, wobei ich ihn heimlich ein wenig stützte, bis er wieder
Atem geschöpft hatte.
»Warum kannst du so gut schwimmen?«, fragte ich,
während wir uns aneinander festhielten und die Wellen mir in den
Ohren tosten.
»Wir sind nun mal stark«, sagte er und strich mir
dabei mit der Hand über den Po.
»Das ist aber jetzt keine Verschnaufpause mehr«,
dachte ich und tauchte weg.
Das Schwimmen war in dieser Nacht noch aufregender,
weil mir zum ersten Mal bewusst wurde, was passierte, wenn ich im
Wasser war. Dieses leichte Kribbeln, wie statische Energie, das ich
gespürt hatte, wenn die anderen ihre Kräfte anwandten, ging nun von
mir aus. Und die Energie, die ich aufbringen musste, um Ryu zu
stützen oder mich seinen Armen zu entwinden, gab mir das Meer
sogleich wieder zurück. Ich zog meine Lebenskraft aus dem Meer wie
ein Fötus aus dem Körper seiner Mutter. Aber umgekehrt hatte ich
mich noch nie so stark und so bei mir gefühlt.
Als ich bemerkte, dass Ryu genug hatte, schwamm ich
ans Ufer zurück. Ich ging gerade auf die Decke zu, die noch immer
von der kleinen rosa Lichtkugel erleuchtet wurde, da holte er mich
ein und schlang von hinten die Arme um mich. Ryu hob mich hoch und
trug mich das letzte Stück.
»Wie Rhett Scarlett«, dachte ich. »Außer, dass
Rhett und Scarlett nicht klatschnass und nackt waren.«
Ich sah hoch in sein schönes Gesicht, und er
blickte mich voll Verlangen an. Seine Fänge glänzten im Mondlicht.
Wahrscheinlich hätte ich bei ihrem Anblick vor Angst ausflippen
müssen, aber in seinen Armen fühlte ich mich völlig geborgen. Seine
Fänge waren ein Zeichen dafür, dass auch er anders war, und das
brachte ihn mir noch näher. Wir waren beide alles andere als
normal, und keiner von uns beiden störte sich daran. Das geborgene
Gefühl zusammen mit der Erregung des Abends und der Stärke und
Kontrolle, die mir das Schwimmen gegeben hatte, wischten alle meine
vorherigen Zweifel weg.
»Ist dir kalt?«, murmelte er, als er mich auf die
Decke legte.
»Nein«, flüsterte ich. Jede Spur von Angst war
völlig verflogen.
»Aber mir«, sagte er, zog mich auf ihn und schlang
die Decke um uns.
Diesmal war ich diejenige, die ihn zuerst
küsste.
Ich saß auf seinen Oberschenkeln und beugte mich zu
seinen Lippen hinunter, und er schloss mich in die Arme. Ich ging
den Kuss langsam an, denn ich war unsicher, wie ich mit seinen
spitzen Eckzähnen umgehen musste. Aber er war ein guter Lehrer, und
nach kurzer Zeit tauschte ich mit einem Vampir Zungenküsse aus, als
hätte ich mein Leben lang nichts anderes getan. Im Grunde war es
gar nicht so anders als sonst. Als ich sanft an seiner Zungenspitze
saugte, die er mir in den Mund geschoben hatte, hörte ich ihn leise
aufstöhnen, und bei diesem Klang machte mein Herz einen Sprung.
Dann wanderten meine Lippen über seine Wange zu seinem Ohr, wo sie
ein wenig auf Entdeckungsreise gingen, bevor sie über sein Kinn zu
seinem Hals vorstießen. Er schmeckte nach meinem Meer, und ich
leckte leidenschaftlich an seiner Haut. Ich mochte den Geschmack
und das Gefühl seiner salzigen Schlüsselbeine auf meiner
Zunge.
Ich nutzte die Gelegenheit, einen Blick auf seinen
restlichen Körper zu werfen. Der erste Eindruck hatte mich nicht
getäuscht. Seine Schultern waren sehr breit und muskulös, und seine
glatte, haarlose Brust wurde von hübschen kleinen Nippeln geziert.
»Mmmh, Nippel«, schnurrte mein Körper.
Er stöhnte und zog mich noch fester an sich, als
ich mich bis zu einer dieser köstlichen rosafarbenen Erhebungen
vorarbeitete. Ich saugte erst ganz sanft daran, wurde dann aber
ungestümer, als er anfing, meinen Namen zu flüstern. Als ich mich
dann zu seinem zweiten Nippel vorarbeitete, hielt er es nicht mehr
aus, ich konnte ihn nur den Bruchteil einer Sekunde berühren, da
vergrub er seine Hände in meinen Haaren und zog mein Gesicht zu
seinem hoch.
Er presste mich an sich und küsste mich
leidenschaftlich. Seine Fänge waren nun ganz hervorgetreten und nur
noch schwer zu umgehen. Wahrscheinlich würden meine Lippen ein
wenig in Mitleidenschaft gezogen werden, aber das bereitete mir
keinerlei Unbehagen. Ich spürte nichts als seinen Mund auf meinem
und die Lust, die er damit in mir entfachte.
Inzwischen hatte er lange genug unten gelegen. Mit
einem kraftvollen Ruck wälzte er uns beide geschickt herum, so dass
er schließlich oben lag. Ich spürte etwas Warmes, Hartes an meinen
Schenkeln. Plötzlich waren seine Hände an meinen Brüsten und gleich
darauf seine Lippen. Seine Finger spielten an der einen Brust,
während er an der anderen saugte. Mein Rücken bog sich ihm
entgegen, und ich stöhnte auf, als seine Hand von meiner Brust über
meinen Bauch zwischen meine Beine glitt.
Ich öffnete meine Schenkel, und er rutschte mit
seinem Körper dazwischen. Meine Hände vergruben sich in seinem
Haar, als er anfing, mich entlang der Linie, die seine Hand soeben
vorgegeben hatte, immer weiter nach unten zu küssen. Ich war zwar
nicht gut im Kartenlesen, aber mein körpereigener Kompass
registrierte sehr wohl, als er an der richtigen Stelle angelangt
war. Ich drückte seinen Mund noch etwas fester an meinen Körper,
als er hungrig
am Zentrum meiner Lust leckte. Mit energischem Griff umfasste er
meine Hüften.
Ich schrie fast auf vor Frust, als er innehielt, um
mich zu küssen und mich meinen eigenen Geschmack auf seinen Lippen
schmecken ließ. Dann kniete er sich zwischen meine Beine. Er nahm
meine rechte Hand in seine und legte den Daumen der anderen Hand
wieder an meinen süßen Punkt. Er sah mir tief in die Augen, während
er anfing, sanft an meinem Handgelenk zu lecken. Er küsste und
knabberte an der Stelle, an der unter der Haut mein Puls zu spüren
war. Gleich über meinen Narben.
»Ich will dich beißen, Jane. Hier an deinem
Handgelenk«, flüsterte er. Seine Stimme klang rau vor Leidenschaft.
»Ich verspreche dir, dass es nicht wehtut, dass du es genießen
wirst. Vertraust du mir, Jane?«
Mein Magen zog sich zusammen, während seine
geschickten Finger mich nah an den Orgasmus brachten, dann aber
innehielten, damit ich mich ein wenig beruhigen konnte, bevor er
wieder anfing, mich in Richtung Höhepunkt voranzutreiben. Das war
ziemlich unfair, denn in dieser Situation hätte ich in so gut wie
alles eingewilligt, um das er mich gebeten hätte. Doch inzwischen
wollte ich ihn auch als Vampir. Unser gemeinsamer Schwimmausflug im
eiskalten Atlantik hatte mich überzeugt, dass ich alles von ihm
wollte, die Fänge mit eingeschlossen. Ich nickte nur, stöhnte,
unfähig zu sprechen, meine Zustimmung. Er lächelte, küsste meine
Handfläche und fing dann wieder an, die vernarbte Haut an meinem
Handgelenk zu lecken.
Ich fühlte, wie mein Verlangen immer größer wurde
und legte meine eigenen Finger über seine, um den Rhythmus
seines Daumens zu bestimmen. »Ryu«, flüsterte ich schließlich,
»ich komme.« Und dann schrie ich und bäumte mich vor Lust auf, doch
die ganze Zeit über blieben unsere Augen fest aufeinander
gerichtet.
Im selben Moment biss er fest zu.
Ich spürte einen Anflug von Schmerz, der sofort von
meinem mächtigen Orgasmus und einem weiteren starken Gefühl, das
von meinem Handgelenk ausging, weggefegt wurde. Es fühlte sich an
wie ein Höhepunkt, aber sanfter und intensiver zugleich, und es
pulsierte mit jedem kräftigen Zug seines Mundes. Seine Zähne
vergruben sich nur eine kurze Minute in meinem Fleisch, bevor er
sich wieder löste. Dann leckte er zärtlich über die Wunde, während
der Schmerz völlig abklang.
»Wow«, sagte ich und entzog ihm meine Hand, um das
Gelenk zu betrachten, während er sanft meine Brüste berührte. Ich
inspizierte sein Werk. Während mein Handgelenk noch immer mit alten
Narben übersät war, konnte ich keine frische Bisswunde entdecken.
Ryu hatte sie völlig geheilt.
»Ich habe dir ja prophezeit, dass du das noch oft
sagen wirst«, erinnerte mich Ryu und küsste mich von der Brust
hinauf bis zu meinem Mund. Er blickte mir in die Augen und hob dann
meine Hüfte leicht an, um besser in mich eindringen zu
können.
Offenbar blickte ich ziemlich beunruhigt drein,
denn er musste lächeln. »Keine Sorge«, murmelte er. »Wir müssen uns
nicht schützen. Wir Vampire bekommen keine Krankheiten, und wir
können uns auch nicht fortpflanzen, wenn wir es nicht wollen. Und
ich mag heute Nacht zwar vieles im Sinn haben, aber Fortpflanzung
gehört nicht dazu.«
»Ähm, Ryu?«, erwiderte ich, während Ryus Lippen
schon wieder auf dem Weg zu meinen Brüsten waren. Aber ich hatte
genug schlechte Filme gesehen, um zu wissen, dass man einem Mann
besser kein Wort glaubt, wenn er sagt: »Vertrau mir, Kleines, mein
Penis ist harmlos!«
»Hmm?«, antwortete er, während er an meinen Brüsten
herumspielte wie ein zufriedener kleiner Welpe. Aber als er
bemerkte, dass ich immer noch besorgt war, lächelte er
schicksalsergeben. »Ich hätte was dabei, wenn es dir lieber ist«,
sagte er. Ich nickte, und er griff seufzend nach seinen
Hosen.
Ich wusste, dass er wahrscheinlich die Wahrheit
sagte und wir kein Kondom brauchten. Außerdem hatte ich soeben alle
Regeln der Vermeidung von durch Blut übertragbare Krankheiten
missachtet, indem ich ihm erlaubt hatte, mich zu beißen.
Aber ich wollte nicht auch noch geschwängert oder
mit Vampirgeschlechtskrankheiten in der Klinik landen, also
lächelte ich Ryu ermutigend an.
Nachdem er ein Kondom aus seiner Hosentasche
gefischt hatte, versuchte ich seine offensichtliche Enttäuschung
etwas zu mildern, indem ich ihm zeigte, wie viel Spaß das Anlegen
von etwas Latex beiden bereiten konnte, wenn man es nur mit
Begeisterung anging - und es mit etwas Oralsex garnierte.
Schließlich löste ich mich von ihm mit einer letzten
Streicheleinheit für sein Fahrwerk, die ihm fast den Atem raubte,
und öffnete mich ihm. Er folgte meiner Einladung und drang mit
einem langsamen, aber nachdrücklichen Stoß in mich ein. Ich stöhnte
auf. »Ist das lange her, viel zu lange …«, dachte ich und genoss
selbstsüchtig
meine eigene Lust. Er bewegte sich sanft in mir, damit ich mich an
ihn gewöhnen konnte, während seine Lippen mit meinen spielten. Dann
wurden seine Küsse nachdrücklicher und seine Vorstöße auch, und
schon bald gingen wir ab wie zwei Teenager, die soeben erst
entdeckt hatten, dass ihre so unterschiedlichen Körperteile in
Wahrheit wunderbar harmonierten. Ich schob meine Hand zwischen uns
und legte den Finger auf meine Klitoris, um meine Lust noch zu
steigern, und er stützte sich mit den Händen auf, um mir dabei
zuzusehen, wie ich mich selbst berührte.
»Oh, Jane«, stöhnte er, und seine Hüften fingen an,
sich immer unberechenbarer zu bewegen. Meine Lust schwoll schnell
an, und das Verlangen auf seinem Gesicht trieb mich immer weiter.
Dann rief er erneut meinen Namen und vergrub sein Gesicht an meinem
Hals, und ich spürte, wie er genau in dem Moment kam, als der
Orgasmus auch über mich fegte und jeden bewussten Gedanken mit sich
fort riss.
Danach lagen wir noch eine Weile eng umschlungen
da, küssten uns und kuschelten, bis wir wieder zu Atem gekommen
waren. Ich hatte mich schon sehr lange nicht mehr so gut gefühlt.
Ich wusste, dass mir meine Schuldgefühle am nächsten Tag noch jede
Menge Ärger bereiten würden, aber in diesem Moment schob ich alle
Bedenken beiseite und genoss das Gefühl, Ryus Körper an den meinen
gepresst zu spüren.
Als wir uns ein wenig erholt hatten, deutete er
verschmitzt mit den Augenbrauen zum Meer, was mich zum Lachen
brachte. Hand in Hand gingen wir hinunter und planschten im
seichten Wasser herum. Dann rannten wir zu unserer Decke
zurück.
»Nachtisch?«, schlug er genau in dem Moment vor,
als ich mir eine komplette Tarte aux Citrons in den Mund stopfte.
»Okay, das beantwortet wohl die Frage«, meinte er lachend.
Er wollte sein Törtchen von meinen Schenkeln essen,
was wir, glaube ich, beide sehr genossen.