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„Scheiße!“, brüllte Conrad in den Himmel. Er hatte kein Auto und keine Ahnung, wie er zu ihr gelangen sollte.
Conrad konnte sich nicht zu ihr translozieren. Er war nie auf einem der Friedhöfe von New Orleans gewesen.
Das Grundstück der Walküren lag in der Nähe von Elancourt. Er könnte dorthin laufen und einen Wagen klauen. Keine Ahnung, wohin ich fahren muss.
Conrad hatte sich bislang nie gestattet, es auch nur in Erwägung zu ziehen, um Hilfe zu bitten. Da er jetzt aber keinen anderen Ausweg sah, fiel ihm nur eine einzige Person ein.
Nikolai. Tief im Inneren war Conrad immer noch ein Wroth, und er brauchte die Hilfe seines Bruders. Des Bruders, der in Kristoffs Gefängnis eingekerkert saß …
Conrad translozierte sich nach Mount Oblak. Obwohl es draußen helllichter Tag war, war das Licht in der Burg selbst gedämpft.
„Nikolai!“, brüllte er, als er sich auf den Weg durch die düsteren Gänge machte. Seine Schreie hallten von allen Seiten wider und alarmierten die Wachen.
Bald bewegten sich mehrere Gruppen von Soldaten auf ihn zu, die Schwerter gezückt, zweifellos mehr als überrascht, dass ein durchgeknallter rotäugiger Vampir frei und unbehelligt durch den Regierungssitz der Devianten spazierte.
Conrad nahm ihre Hiebe auf sich und packte die Waffen mit seinen blutigen Händen, um sie wegzuwerfen. Während er immer tiefer in die Eingeweide der Festung vordrang, drehte er einen Hals nach dem anderen um; er brach sie, ohne damit jedoch die unsterblichen Soldaten zu töten.
„Nikolai!“, brüllte er erneut.
„Conrad?“
Conrad folgte der Stimme bis zu einer Zelle von beträchtlicher Größe, in der sich hinter dicken Gitterstäben seine drei Brüder befanden.
Sie starrten ihn fassungslos an. Conrad wusste wohl, wie er auf sie wirken musste. Sein Gesicht und sein Körper waren blutverschmiert, am ganzen Leib trug er klaffende Wunden, und die Dämonen hatten sein Gesicht zerschlagen.
„Was zum Teufel machst du denn hier?“, fragte Nikolai. „Und wessen Blut ist das?“
Conrad musterte die Gitterstäbe. Hindernisse.
„Ich hab jetzt keine Zeit für Fragen.“
„Du musst sofort weg von hier“, sagte Murdoch. „Sie werden dich exekutieren, wenn sie dich kriegen.“
Er stieß ein raues Lachen aus. „Das müssen sie erst mal schaffen.“ Er umklammerte die Stäbe. Muss zu ihr gelangen … Dann biss er die Zähne zusammen und begann mit aller Kraft zu ziehen.
„Die sind genauso gesichert, wie es deine Ketten waren“, sagte Sebastian. „Das Holz, das Metall und sogar die Steine um uns herum, alles verstärkt. Du kannst unmöglich …“
Conrad bog sie auseinander, das Metall brach.
„Mein Gott“, murmelte Nikolai.
„Ich brauche eure Hilfe, um meine Braut zu finden!“ Er riss die Trümmer heraus und warf sie beiseite. „Ich bin nicht verrückt … aber ihr müsst mich sofort zu jedem einzelnen Friedhof in New Orleans translozieren. Wisst ihr, wo die sind?“
Nikolai starrte ihn mit offenem Mund an. „Deine … Braut?“
„Sein Herz schlägt“, sagte Murdoch.
„Wisst ihr jetzt, wo sie sind oder nicht?“, brüllte Conrad.
Nikolai nickte langsam. „Ich kenne alle Friedhöfe. Myst und ich jagen dort Ghule.“
„Wirst du es tun?“
„Conrad, jetzt beruhige di…“
„Ich scheiß drauf, Nikolai!“ Auf einmal spürte Conrad eine große Macht hinter sich.
„Das ist also Conrad Wroth“, sagte Kristoff.
„Der verdammte Russe“, sagte Conrad höhnisch, ohne sich umzudrehen. „Was willst du?“
„Ich wusste ja schon, dass die Wroths von Natur aus unfähig sind, einem König zu schmeicheln, aber ein Mindestmaß an Respekt …“
Conrad drehte sich um und sah dem gebürtigen Vampir in die Augen, der von der königlichen Leibgarde umgeben war.
„Du hast sämtliche Wachen der Burg ausgeschaltet. Etwas, wozu ein ganzes Bataillon der Horde nicht imstande war. Man hat mir nicht gesagt, dass du so stark bist“, sagte Kristoff in beiläufigem Ton. Seine blassen Augen waren vollkommen ausdruckslos, doch er hatte einen Plan. Das konnte Conrad spüren – und er glaubte zu wissen, was Kristoff wollte.
„Aber du bist erweckt worden.“
„Ich hab hierfür keine Zeit!“, fuhr Conrad ihn an. „Ich werde dich töten, nur damit du endlich das Maul hältst.“
Die Hände der Garde fuhren augenblicklich an die Schwertgriffe.
„Mich töten? Du würdest deine Braut nicht einmal kennen, wenn ich nicht wäre, wenn deine Brüder nicht wären. Du wärst bereits seit dreihundert Jahren tot.“
„Das hab ich auch schon kapiert.“
„Er hat die Wachtposten aus dem Weg geräumt, ohne einen einzigen von ihnen umzubringen“, sagte Kristoff an Nikolai gewandt. „Beinahe als wollte er etwas beweisen. Du hattest recht, Conrad ist nicht verloren. Er ist … nun ja, eine ganze Reihe von Dingen, aber gewiss nicht rettungslos verloren. Und ich schäme mich nicht es zuzugeben, wenn ich mich geirrt habe. Auch wenn ihr zu mir hättet kommen sollen, anstatt absichtlich unsere Gesetze zu brechen.“
Nikolai zuckte mit den Schultern. „Ich konnte es nicht riskieren, dass du Nein sagen würdest. Er ist mein Bruder“, sagte er, als ob das alles erklärte.
Kristoff wandte sich wieder Conrad zu. „Schwöre mir Treue, und ihr alle verlasst Mount Oblak heute als Verbündete. Wenn nicht, kämpfen wir.“
Es blieb keine Zeit zu kämpfen. „Ich schwöre … dass ich weder dich noch deine Armee jemals behelligen werde.“
Kristoff musterte ihn. „Das genügt für den Augenblick.“ An die Brüder gewandt sagte er: „Nehmt euch eine Woche frei. Und bringt eure Bräute bitte dazu, ihre Pläne, mich zu stürzen, aufzugeben.“
Als der König und seine Männer verschwanden, sagte Nikolai: „Conrad, du musst mir erzählen, was passiert ist, damit ich dir helfen kann. Wer ist deine Braut?“
„Néomi“, sagte Conrad hastig, „diese wunderschöne kleine Tänzerin. Ich liebe sie. So sehr, dass es wehtut. Ich muss sie finden.“
„Warum denkst du, du müsstest auf einem Friedhof nach ihr suchen?“
„Sie war ein Geist. Ich habe euch von ihr erzählt. Aber jetzt nicht mehr. Heute Nacht ist sie noch einmal gestorben und eigentlich hätte sie wiederauferstehen sollen oder verkörperlicht werden – Scheiße, ich hab keine Ahnung, was der Unterschied ist –, aber die Hexe, der Werwolf und ich haben ihren Körper verloren. Einen der Körper. Oder jedenfalls kann ich ihn einfach nicht finden. Ich werde auf jeden einzelnen gottverdammten Friedhof in der ganzen Stadt gehen und nach ihrem Herzschlag lauschen.“
Sebastian hob die Augenbrauen. „Wieder die Sache mit dem Geist“, sagte er, während Murdoch murmelte: „Con ist echt voll durch den Wind.“
Conrad schnappte mit den Zähnen nach ihnen. „Das ist passiert!“
„Ich weiß wirklich nicht, was ich hoffen soll“, sagte Sebastian. „Entweder ist Conrad endgültig übergeschnappt, oder seine Braut ist ein Geist aus dem Jenseits, dessen Körper verloren gegangen ist. Wie man’s auch betrachtet, man kann nur verlieren.“
„Er hat schon immer alles anders gemacht“, sagte Murdoch. Er wagte es, Conrad auf die Schulter zu klopfen. „Ich würde ja gerne noch bleiben, aber ich habe einen Notfall, der schon ein paar Wochen überfällig ist. Viel Glück, Con.“ Er verschwand.
„Nikolai, hast du alles unter Kontrolle?“, fragte Sebastian. „Ich muss dafür sorgen, dass die Walküren sich wieder beruhigen.“
Conrad wandte sich an Nikolai, offensichtlich bemüht, sich zu beruhigen. Am liebsten hätte er vor Frust die Faust in die nächste Wand gerammt, vor Angst die Decke angeheult. Seine kleine Braut, gefangen in der Finsternis … Ob sie wohl Angst hatte? Er unterdrückte ein Schaudern.
Um Néomi zu retten, musste er sie davon überzeugen, dass er nicht den Verstand verloren hatte.
„Ich weiß, es klingt verrückt, aber ich … ich bitte dich, mir zu glauben. Bring mich einfach nur zu den Friedhöfen.“
„Ich glaube nicht, dass er jemals um irgendetwas gebeten hat“, sagte Sebastian.
Conrad fasste sich an die Stirn. „Nikolai, bitte, sie wird …“, seine heisere Stimme brach, als er von seinen Gefühlen überwältigt wurde, „sie wird … sich fürchten.“
„Geh, Sebastian“, sagte Nikolai schließlich. „Sag Myst, ich komme nach, sobald das hier erledigt ist.“
„Du glaubst mir?“, fragte Conrad, nachdem Sebastian sich forttransloziert hatte.
„Das … tue ich nicht.“ Nikolai fuhr sich mit der Hand über den Nacken. „Ich weiß nicht, ob ich alles hinnehmen kann, was du gesagt hast.“
„Warum dann?“
„Aus irgendeinem Grund ist es schrecklich wichtig für dich, und du bist zu mir gekommen.“ Nikolai warf ihm einen ernsten Blick zu. „Weil ich immer noch dein gottverdammter Bruder bin.“