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Innerhalb von Sekunden nachdem Néomi zaghaft an den Spiegel im Studio geklopft hatte, erschien Mari, eifrig bemüht, den Anblick ihres eigenen Spiegelbildes auf der anderen Seite zu vermeiden.

„Augenblick mal, ich muss dich erst noch auf den Bildschirm holen. Okay, ich seh dich!“

Néomi hatte gewusst, dass sie das Spiegelportal ohne Mari nicht würde durchqueren können, aber sie war davon ausgegangen, dass sie zumindest mal an die Tür klopfen könnte.

„Das wurde aber auch Zeit, dass du dich bei mir meldest!“ Mari streckte die Hand durch die Spiegeloberfläche hindurch aus. „Willst du kurz rüberkommen?“

„Conrad ist sicher gleich wieder zurück, und dann könnte ich ihn nicht hören. Kannst du vielleicht herkommen?“

„Geht nicht.“ Mari schnipste jemandem mit den Fingern zu, den Néomi nicht sehen konnte, und ein junges Mädchen brachte Mari einen riesigen Becher, auf dem groß „Slurpee“ stand. „Wir haben heute neue Hexen im Koven, die wir ein bisschen rumschikanieren können. Die unschuldigen Lämmer wetteifern um mein altes Zimmer.“ Sie ließ sich auf einen bequemen Stuhl fallen. „Also müssen wir mit einer Telefonkonferenz via Spiegel vorliebnehmen.“

Néomi zerrte ihr Feldbett näher an den Spiegel heran und machte es sich darauf gemütlich. Sie freute sich darüber, mit Mari sprechen zu können, und das nicht nur zum Vergnügen. Es würde sie außerdem von ihrer Angst um Conrad ablenken, die sie jedes Mal, wenn er sie verließ, um auf die Jagd zu gehen, unweigerlich überkam.

„So eine bist du also – erst nutzt du meine Zauberkräfte aus, und dann lässt du geschlagene fünf Tage lang nichts von dir hören …“

„Ich war schrecklich beschäftigt!“ Conrad war ständig in ihrer Nähe, außer wenn sie schlief. An diesem Nachmittag war sie zufällig früh aufgewacht. „Wie geht’s dir nach der Versammlung? Ich hab gesehen, dass du getroffen wurdest.“

„Ach, mir geht’s gut, einfach prima. Aber du solltest mal den anderen Kerl sehen. Der wird bestimmt nie wieder einer Hexe aus Versehen den Ellbogen in die Seite rammen. Selbst nachdem sein Ellbogen nachgewachsen ist.“

„Gut zu wissen, glaube ich. War Nïx schrecklich enttäuscht, dass ihre Versammlung im Chaos geendet ist?“

„Ich hab sie genau dasselbe gefragt, aber sie hat nur gelacht. Irgendwann hat sie dann endlich zugegeben, dass sie das Ganze selbst in Gang gesetzt hat. Offensichtlich waren der Vampir und du nicht das einzige Paar, das sich in diesem Durcheinander gefunden hat.“ Sie zog die Beine an den Körper. „Also, ich geh mal davon aus, dass du den Vampir erweckt hast?“ Als Néomi glücklich nickte, legte Mari den Kopf zur Seite. „Wahnsinn, sieh dich nur an – du siehst fantastisch aus! Neue Frisur? Und neue Klamotten.“

Néomi errötete über das Lob. „Conrad ist mit mir einkaufen gewesen. Ziemlich oft.“ In den ersten Nächten hatte sie voller Aufregung Paris unsicher gemacht, vollkommen aus dem Häuschen wegen der neuen Mode. Und in einem der dortigen Läden hatte sie sich die Haare schneiden lassen, aber nur ein paar Zentimeter, da jeder einzelne Schnitt Conrad körperliche Schmerzen zu verursachen schien. „Ich hab ihm angeboten, selbst zu bezahlen, aber davon war er gar nicht begeistert. Und als ich ihm zu erklären versuchte, dass ich jede Menge Geld habe, hat er mir gar nicht zugehört.“

„Du hast … jede Menge Geld?“, fragte Mari mit Unschuldsmiene.

Néomi unterdrückte ein Lächeln und setzte eine ernste Miene auf. „Oh ja. Ich hab mich mal um meine Zertifikate gekümmert. Offensichtlich stehen die IBM- und GE-Aktien, die in den Zwanzigern dreißigtausend Dollar wert waren, heute bei fast hundertfünfzig Millionen. Obwohl eine Hexe fünfundzwanzig davon hat mitgehen lassen.“

Mit weit aufgerissenen Augen rief Mari: „Wer? Was! Diese verdammten Hexen!“

Néomi kicherte. Sie hätte Mari auch alle gegeben.

„Wo wir gerade von Hexen reden – du hast den Weiberabend verpasst.“ Mari stellte ihren Slurpee hin und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich weiß ja nicht, ob Nïx dir das erklärt hat, aber die Teilnahme am WA ist nicht etwa freiwillig. Wenn du einen verpasst, gibt’s Strafpunkte. Und mit Strafpunkten meine ich, du musst ein paar verdammt durstigen Wiccae Drinks ausgeben.“

„Ich bin doch noch in der Flitterwochenphase. Gibt’s da keine Ausnahmen? Außerdem soll ich nicht in die Stadt, jedenfalls so lange Rydstrom und Cade in New Orleans sind.“

Mari wurde ebenfalls ernst. „Sie würden dir nie etwas antun, Néomi. Sie haben mir sogar das Leben gerettet, als ich noch nicht unsterblich war.“

„Würden sie Conrad etwas antun?“

„Ohne mit der Wimper zu zucken“, gab sie zu. „Die meisten Mythenweltgeschöpfe hassen rotäugige Vampire.“

Néomi seufzte. „Du auch?“

„Ach, war ja klar, setz Mari ruhig auf den heißen Stuhl! Na ja, früher war ich mir schon sehr sicher, dass ich sie hasse. Aber auf der Versammlung haben alle davon geredet, wie Conrad Wroth sich beherrscht und Cade nicht ausgesaugt hat. Sogar Bowen meint, man sollte erst mal abwarten und sehen, wie’s weitergeht.“

„Oh, das ist aber eine Erleichterung!“

„Trotzdem hatte ich schon überlegt, ob ich nicht mal bei dir vorbeikomme, gucke, wie’s dir so geht, dir eine A-positiv-Torte mitbringe oder so.“

„Ich bin froh, dass du das nicht gemacht hast. Ich will nicht, dass Conrad erfährt, dass wir uns kennen. Er würde dich sowieso nur wegen meinem Geheimnis nerven.“ Auch in diesem Moment lauschte sie mit gespitzten Ohren auf seine Rückkehr.

Sein erster Weg führte ihn immer in die Küche, um sich einen Becher Blut zu holen, also würde sie hören, wie er den Kühlschrank öffnete und mit dem Fuß wieder zuschlug. Dann würde er sich für ein Weilchen auf die Veranda setzen, trinken und sich nach der Jagd dieser Nacht entspannen. Das Einzige, was noch fehlte, war das Ich bin zu Hause, Schatz. „Wo wir gerade davon reden, ich schätze, Nïx irrt sich nicht zufällig ab und zu mal, oder?“

„Niemals, jamais, never ever.“

Bien. Wir werden das Geheimnis einfach für immer für uns behalten, und dann werde ich auch nicht ausgemerzt.“

„Néomi …“ Offensichtlich sah Mari das nicht ganz so zuversichtlich.

„Nein, ich weiß.“ Sie wollte nicht, dass Mari sich ihretwegen Sorgen machte. Sie war ihr schrecklich dankbar. „Jeder Tag, den ich lebe, ist ein Geschenk für mich. Und außerdem wurde ich ja als Sterbliche geboren, das heißt, meine Tage auf Erden waren eigentlich immer schon gezählt.“

Mari wirkte nicht überzeugt.

„Wir haben einfach getan, was wir konnten. Und ich bedaure absolut nichts.“

„Was hast du ihm denn erzählt, als er dich gefragt hat, wie du zurückgekommen bist?“, fragte Mari.

„Ich hab ihm gesagt, es ist ein Geheimnis und ich rede nicht darüber, weil wir uns sonst nur streiten würden.“

„Und er hat das einfach so hingenommen? Seltsam. Vampire sind normalerweise ziemlich hartnäckig.“

Néomi knabberte an ihrer Unterlippe. „Na ja, ich lenke ihn halt ein bisschen ab …“

„Du lenkst ihn …? Ah, verstehe.“ Sie schnipste erneut mit den Fingern, und ein weiteres Mädchen erschien mit einer Schachtel voll Kuchen. „Möchtest du einen Krapfen?“ Mari hielt ihr die Schachtel durch den Spiegel hin.

Néomi war in der Tat hungrig. Das würde ihr Frühstück sein. Obwohl Conrad sie zu den meisten Mahlzeiten in ein Restaurant begleitete – er schob das Essen auf dem Teller hin und her und nippte an „minderwertigem“ Whisky pur –, musste sie gelegentlich auch im Kühlschrank nach etwas Essbarem suchen. Die Regale waren säuberlich getrennt: sein Blut auf der einen und ihre Säfte, Reste und Obst auf der anderen Seite. „Café du Monde?“

„Woher sonst?“

Néomi akzeptierte nur zu gerne und nahm sich einen aus der Schachtel. Noch heiß! Sie biss ab und seufzte zufrieden, als der Bissen auf der Zunge zerging.

„Na gut, dann erzähl mir doch mal, wie ist es, mit einem Vampir zu leben? Ist es so, wie du dir erhofft hattest?“

„Noch besser. Außer zum Einkaufen nimmt er mich zu allen möglichen Orten auf der ganzen Welt mit.“

Sich translozieren zu können war überaus praktisch, wenn die eigene Zeit begrenzt war und man keinen Pass besaß. Auch wenn sich Vampire nur an Plätze translozieren konnten, an denen sie schon einmal gewesen waren – Conrad hatte in den letzten drei Jahrhunderten die ganze Welt bereist. „Bei unserem ersten Ausflug musste ich die Augen schließen. Und als ich sie wieder aufmachte, befanden wir uns an einem mondbeschienenen Strand am Indischen Ozean.“ Die Wellenkämme waren von irgendwelchen Meeresbewohnern hell erleuchtet, und die sanfte Brise hatte ihre Haut wie ein zarter Kuss gestreichelt.

In diesem Moment war Néomi aufgegangen, dass es ihr gelingen könnte, genug neue Erfahrungen für ein ganzes Leben zu machen, wenn sie nur ein Jahr durchhalten könnte.

„Da war ich noch nie. Bowen und ich sollten öfter verreisen“, sagte Mari. „Und wie läuft’s mit den Wutanfällen, von denen du uns erzählt hast?“

„Jedes Mal, wenn irgendein männliches Wesen auch nur einen vorsichtigen Blick in meine Richtung riskiert, hab ich Angst, dass Conrad gleich über ihn herfällt.“ Es fiel ihm immer noch schwer, sein hitziges Temperament zu zügeln, und er folgte nach wie vor dem Pfad des Wahnsinns, wenn er Ruhe bewahren sollte.

Die Männer, die sie ansahen, hatten keine Ahnung, dass sie den Zorn eines Kriegsherren aus dem siebzehnten Jahrhundert herausforderten, der bereit war, bei der geringsten Provokation zuzuschlagen …

„Ach, daran gewöhnst du dich schon“, versicherte Mari ihr. „Mythenweltmänner können bei ihren Frauen ganz schön besitzergreifend werden. Aber he – sind wir nicht ganz genauso?“

Obwohl Néomi nicht zum Mythos gehörte, war sie extrem besitzergreifend, wenn es um ihren Vampir ging. Mit seiner riesigen, muskulösen Gestalt und dem pechschwarzen Haar war Conrads Erscheinung mehr als bloß attraktiv. Wenn er dann noch eine Sonnenbrille trug, hielt jeder ihn für einen Star. Frauen – egal ob alt oder jung – blieben stehen und gafften ihn an. „Als eine von diesen Tussis nicht aufhören konnte, seinen Hintern anzuglotzen, hätte ich ihr am liebsten die Haare ausgerissen. Obwohl sie vermutlich schon locker die achtzig überschritten hatte.“

Mari gab nur ein Schnauben von sich.

„Sind die anderen Mythenweltmänner auch so lächerlich überfürsorglich?“, fragte Néomi.

„Da könnte ich dir Geschichten erzählen …“

So brutal Conrad bei anderen sein konnte, so beschützend war er bei ihr. „Am Anfang vergaß ich immer wieder, dass ich nicht mehr durch Türen hindurchgleiten kann, und hab mir dauernd den Kopf gestoßen …“

Mari fand diese Vorstellung ziemlich lustig und verschluckte sich fast an ihrem Slurpee.

Néomi hob eine Augenbraue und fuhr fort. „… aber Conrad kriegt schon beim kleinsten blauen Fleck einen Anfall. Und als ich einen Splitter im Finger hatte, war das in seinen Augen eine mittlere Katastrophe.“

Mari bot ihr ein weiteres Gebäck an.

Merci.“ Néomi beugte sich vor und nahm es dankbar entgegen. „Leider wird er allmählich immer misstrauischer, wenn ich irgendetwas sage oder mache, woraus deutlich wird, dass ich mir keinerlei Gedanken um die Zukunft mache.“

„Was denn zum Beispiel?“, fragte Mari und wischte sich den Puderzucker von den Händen.

„Er wollte ein paar Reparaturen am Haus vornehmen, im Studio, damit ich wieder anfangen kann zu trainieren, wie früher. Ich sagte ihm, es gäbe noch so viel zu sehen, jetzt wo ich das Grundstück endlich verlassen kann.“ Sie hatte natürlich Lust zu tanzen, aber sie musste sich entscheiden, was sie mit der ihr verbleibenden Zeit anstellen wollte. „Und dann hat er mich erst gestern gefragt, warum ich mir eigentlich keine Gedanken über Verhütung mache. Das hat mich schon nachdenklich gemacht – sollte ich?“

Mari runzelte die Stirn. „Das weiß ich wirklich nicht, aber ich hör mich mal um und stell die Frage ins Forum.“

Was, wenn Néomi schwanger werden könnte? Was, wenn sie ihr Baby bekommen könnte, bevor sie starb? Könnte sie ihr einziges Kind einem wahnsinnigen Vampir und Auftragsmörder anvertrauen? Sie dachte an das wilde und zugleich fürsorgliche Leuchten in seinen Augen, wann immer er sie ansah.

Absolut.

Mari schlürfte laut. „Erzähl mir mehr … Glaub mir, meine kleinen Lakaien hier beten gerade zu Hekate, dass du mich den ganzen Nachmittag lang beschäftigst.“

„Also, er ist echt heftig drauf. Vor ein paar Nächten hat er mir angeboten, das Grab des Mannes zu entweihen, der mich ermordet hat.“ Er hatte Néomi in die Augen gesehen und mit seiner tiefen Stimme gebrummt: „Sag nur ein Wort, koeri, und es ist erledigt.

„Oh, das ist irgendwie süß“, sagte Mari.

„Fand ich auch.“ Nach einer gewissen Zeit. Zunächst hatte sie nur hilflos den Mund geöffnet und gemurmelt: „Oh, wie … aufmerksam, Conrad.“ Sie hatte durchaus verstanden, dass dieses Angebot bei einem Mann wie ihm einer zärtlichen Geste gleichkam. „Aber lassen wir das, äh, Grab doch erst mal in Ruhe. Ich möchte einfach nur die Zeit mit dir genießen …“

„Und, ist dein Vampir gut im Bett?“ Mari wackelte heftig mit den Augenbrauen.

Néomi seufzte. „Schon.“ Es war nicht nur so, dass Conrad unersättlich war, dieser Mann hatte Stehvermögen. Er war gerade dabei, die Wunder der körperlichen Liebe zu entdecken, und sie entdeckte sie neu, und zwar zusammen mit einem überaus virilen Mann, der für alle Ewigkeit im besten Alter sein würde. „Ich war noch nie mit einem Unsterblichen zusammen. Das ist schon ein Unterschied.“

Er konnte abwechselnd zärtlich und wild beim Sex sein, aber er tat ihr nie weh, und sie liebte es, dass sie nie im Voraus wusste, welche seiner Seiten sie zu Gesicht bekommen würde. Und je selbstsicherer er im Bett wurde, umso dominanter wurde er auch. Sie empfand sein wachsendes Selbstvertrauen als erregend, es ließ sie vor Wonne erbeben, weil sie wusste, dass es immer noch besser und besser werden würde.

„Ich kannte eine Hexe, die mal mit einem Vampir geschlafen hat“, sagte Mari in vertraulichem Ton. „Als ich sie fragte, wie es denn gewesen sei, sagte sie: ‚Du vergisst nicht eine Sekunde lang, dass du es mit einem Vampir zu tun hast.‘“

C’est vrai. Das ist hundertprozentig richtig. Conrad hat mir mal erzählt, dass er neue Vampirinstinkte dazugewonnen hätte, die seine menschlichen Instinkte außer Kraft gesetzt haben, und das merkt man definitiv.“

Wann immer sein Mund sie berührte, hielt er sie fest, bis sie sich wie der Köder vorkam, nach dem er sie benannt hatte. Wenn er ihren Mund küsste, hielt er ihr Gesicht und ihren Nacken fest, als ob er fürchtete, sie könnte ihm entkommen. Wenn er an ihren Brüsten saugte, umfasste er sie mit festem Griff. Während er zudrückte, konnte sie ihn förmlich denken hören: Meine.

Mari lehnte sich auf ihrem Stuhl vor und fragte: „Wollte er schon mal von dir trinken? Ich habe mir sagen lassen, manchen Frauen gefällt es.“

„Ich glaube, er möchte schon, aber er hat es noch nie getan.“ Manchmal, wenn sie Sex hatten, spürte sie, dass er an die Grenzen seiner Selbstbeherrschung gelangte, vor allem jetzt, wo er durch die Jagd auf diesen Dämon am Rande seiner Kräfte war. Aber sie schaffte es jedes Mal, ihn abzulenken, und er drängte sie nicht. „Er hat Angst, mich zu verletzen.“

„Er darf auf keinen Fall dein Blut trinken. Wenn er deine Erinnerungen in sich aufnimmt, findet er todsicher dein Geheimnis heraus. Denk daran. Du wirst es niemals jemandem erzählen, ich auch nicht und Nïx ebenfalls nicht. Wie sollte es also irgendjemand rausbekommen, es sei denn, Conrad trinkt von dir?“

„Ich weiß. Glaub mir, das weiß ich.“

„Also, was machst du, wenn er dich bittet, ihn zu heiraten oder so? Stammt er nicht aus dem siebzehnten Jahrhundert? Diese Kerle aus der Vergangenheit können manchmal echt komisch sein, wenn es um Sachen wie die Ehe geht. Ich weiß Bescheid, ich bin mit einem verheiratet.“

„Darüber habe ich schon öfter nachgedacht, und ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich keine Versprechen in Bezug auf meine Zukunft abgeben kann, solange die vollkommen im Dunkeln liegt.“ Sie wollte nicht, dass Mari dachte, sie würde sich beschweren, aber es war manchmal schon schwierig, den Schein bei Conrad zu wahren. Néomi wusste nicht, wie sie eine ganze Hochzeitszeremonie durchstehen sollte, auch wenn es nur eine kurze war. Bis dass der Tod uns scheidet … nächste Woche vielleicht.

„Hat er dir schon gesagt, dass er dich liebt?“

„Nein, und darüber bin ich echt froh.“ Néomi wusste, dass seine Gefühle für sie ebenso tief gingen wie ihre für ihn, aber sie fürchtete sich vor dem Moment, in dem er ihr sagen würde, dass er sie liebte. „Jedes Mal, wenn ich merke, es wird gleich ernst, sehe ich zu, dass die Stimmung wieder ein bisschen lockerer wird.“

„Was wäre denn so schlimm daran, wenn er das zu dir sagen würde?“

„Ich könnte mich nicht beherrschen und würde es auch zu ihm sagen! Und sobald er mit Gewissheit weiß, wie ich für ihn fühle, würde er niemals akzeptieren, dass ich ihn nicht heiraten will.“

„Ja, das wäre schon eine seltsame Unterhaltung: ‚Ich liebe dich von ganzem Herzen!‘ – ‚Dann heirate mich!‘ – ‚Nee.‘“

Exactement …“ Sie erstarrte. „Er ist gerade nach Hause gekommen. Ich muss gehen!“

„Lass von dir hören, Néomi!“ Mari bemühte sich, ihre Stimme Unheil verkündend klingen zu lassen. „Nein, ehrlich. Melde dich. Oder meine Gang und ich werden dir eine Getränkerechnung präsentieren, die du niemals im Leben vergisst.“

Néomis Sorge um Conrad löste sich in Luft auf, und sie lachte. Als sie aus dem Studio stürzte, um möglichst schnell die Treppen hinauf in ihr Zimmer zu gelangen, fragte sie sich, welche seiner Seiten sie heute Abend wohl zu sehen bekommen würde.