28

Am Tag nach ihrer Rückkehr und nur vier Wochen nach der ersten Begegnung sah Thomas sich erneut in der unangenehmen Situation, Louisa Auge in Auge gegenüberzustehen, die die Unverfrorenheit besessen hatte, unangemeldet bei ihm aufzukreuzen. Und Lady Armstrong war zu höflich gewesen, den Lakaien, der sie anmeldete, abzuweisen.

Sie gingen in die Bibliothek. Er zog es vor, stehen zu bleiben, und behandelte sie gerade mit so viel Höflichkeit, wie es die guten Sitten erforderten. Louisa hingegen ignorierte es, dass sie nicht willkommen war und machte es sich vor dem Kamin bequem.

»Ich bin bereit, dir genau zehn Minuten zu gewähren.« Das musste reichen, denn er wollte es um jeden Preis vermeiden, dass sie sich falsche Hoffnungen machte. Schließlich war er verliebt und wollte bald heiraten. Zum Glück hielt Amelia sich mit seinen Schwestern im Frühstückszimmer auf, wo Emily gerade Klavier übte.

»Guter Gott, du bist aber kalt und förmlich geworden. Bitte erzähl mir nicht, dass ich für deine flegelhaften Manieren verantwortlich bin.« Auf ihren Lippen spiegelte sich das Lächeln einer Frau, die eine hohe Meinung von sich hatte. Eine zu hohe, wie Thomas jetzt fand. Vor sieben Jahren war er ihr hoffnungslos verfallen, doch jetzt funktionierte ihre berüchtigte Anziehungskraft nicht mehr bei ihm.

»Lass das. Freu dich einfach, dass ich dich überhaupt empfange, und sag mir, was du willst.« Er ging zu den Getränken, entkorkte mit einer ungeduldigen Bewegung eine Karaffe und schenkte sich einen Drink ein – er würde ihn brauchen, um die kommenden zehn Minuten zu überstehen.

Louisa erhob sich elegant und ging mit katzenhaften Schritten um den Tisch in der Mitte des Raumes herum. »Soll dein ungehobeltes Benehmen etwa bedeuten, dass mir nicht einmal ein Drink angeboten wird?«

Thomas drehte sich zu ihr und schaute sie an, als sie näher kam, die roten Lippen zu einem Schmollmund verzogen. »Ich rechne nicht damit, dass du lange genug bleibst, um den Drink austrinken zu können.«

»Wie grausam du bist«, spottete sie sanft. »Der Himmel allein mag wissen, warum ich diese Reise auf mich genommen habe. Welch glückliche Fügung, dass ich ein Haus in Somerset besitze. Denn wie ich sehe, mangelt es dir an Gastfreundschaft.« Sie blieb so dicht vor ihm stehen, dass die Röcke gegen seine Hosenbeine schlugen. Ihr Duft stieg ihm in die Nase, unerträglich blumig und süß, genau wie die ganze Frau.

»Ja, aber du solltest mich nicht länger auf die Folter spannen«, entgegnete er trocken. Hastig ging er auf Abstand und setzte sich in den Sessel, der am weitesten von ihr entfernt war.

Louisa folgte ihm völlig unbeeindruckt und ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen, nahm auf dem Sofa neben seinem Sessel Platz. »Wie du weißt, habe ich dich in all den Jahren nicht vergessen und oft darüber nachgedacht, wie es wohl gewesen wäre, mit dir verheiratet zu sein. Und mir eingebildet, dass Jonathan dein Kind sein könnte.«

Sie hatte einen Sohn? Das hörte Thomas zum ersten Mal. Ein Leben mit Louisa wäre schon schlimm genug gewesen, aber mit einem Kind, das ihn lebenslang an sie fesselte? Eine schlimmere Katastrophe ließ sich kaum denken. Zum ersten Mal war er dankbar, dass sein Vater die Ländereien der Familie seinerzeit heruntergewirtschaftet hatte, denn als mittelloser, unbedeutender Viscount war er für die ehrgeizige Louisa nicht mehr als ein Spielzeug gewesen. Unter einem Herzog tat sie es nicht.

»Um aufrichtig zu sein, es hätte mir nichts Besseres passieren können als deine Hinwendung zum Duke of Bedford.«

Louisa kniff die Augenbrauen zusammen, ihr Mund verzog sich missvergnügt zu einem dünnen Strich. Plötzlich gab sie sich als die Frau zu erkennen, die sie wirklich war. »Ich sehe schon, dass ich nicht in der Lage sein werde, ein vernünftiges Wort mit dir zu wechseln«, sagte sie säuerlich und überhaupt nicht mehr charmant. »Wirklich eine Schande angesichts dessen, was mir zugetragen wurde. Ich bin überzeugt, die Nachricht dürfte dich sehr interessieren.«

»Ich bezweifle ernsthaft, dass du mir irgendetwas zu sagen hast, was ich hören möchte. Außer natürlich Auf Wiedersehen, Adieu oder Adios. Jede andere Sprache wäre mir ebenfalls recht, solange du genau das meinst, was du sagst«, entgegnete er trocken.

In ihren braunen Augen blitzte Ärger auf. Ihr Gesicht wirkte hart und finster. »Oh, ich glaube schon, dass es dich interessiert. Es hat nämlich mit dem Hausgast deiner Mutter zu tun, mit der Tochter des Marquess of Bradford.«

Obwohl bei Thomas die Alarmglocken schrillten, als die Duchess Amelia erwähnte, ließ er sich nichts anmerken. »Dann sag endlich, was du zu sagen hast«, forderte er sie lässig auf, bevor er einen ordentlichen Schluck trank.

Louisas Lächeln kehrte zurück. »Irgendwie hatte ich es im Gefühl, dass du neugierig bist. Obwohl ich dich warnen muss, denn es wird dir unter Umständen nicht gefallen, was ich dir zu sagen habe.«

»Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass du den ganzen Weg von Devon auf dich genommen hast, um mir gute Nachrichten zu überbringen.«

»Nun, ich empfinde es als meine Pflicht, dir mitzuteilen, dass der jungen Lady unter deinem Dach ein gewisser Ruf vorauseilt. Nicht jeder weiß es, aber sie unterhielt Beziehungen mit mehreren Gentlemen. Der erste – es ist kaum zu fassen – war der Sohn irgendeines Kaufmanns. Man stelle sich das vor!« Sie wartete auf seine Antwort. Als diese ausblieb, fuhr sie fort. »Und mit Lord Clayborough war sie ebenfalls verbunden. Und damit meine ich eine Verbindung, wie wir sie unterhielten.«

»Ach, wirklich, das hast du gehört?«, spottete Thomas.

Louisa schaute ihn verblüfft an. Einen Moment lang saß sie wie erstarrt auf dem Sofa, kniff die Brauen zusammen und schürzte die Lippen. »Ja, in der Tat. Mir wurde berichtet, dass es Lord Bradford zumindest gelungen ist, sie an einer Heirat mit einem der Herren zu hindern. Trotzdem liegt es auf der Hand, dass ihre Unschuld kaum mehr ist als eine Illusion. Wenngleich der Marquess sicher ein hübsches Sümmchen hingeblättert hat, um all diese Vorfälle unter den Teppich zu kehren.«

Thomas lächelte trocken. Das Sümmchen hätte garantiert gereicht, um Clayboroughs Schulden zu begleichen, so viel war sicher. Und was Cromwell betraf, so wusste er, dass Harry ihm gedroht hatte, ein Gesetz zu unterstützen, das darauf abzielte, in Übersee engagierte Unternehmen mit einer höheren Steuer zu belegen. Die Gewinne der Firma wären dadurch drastisch beschnitten worden.

»Und was hat all das für mich zu bedeuten?«

Du berechnendes Miststück, wie tief kann ein Mensch nur sinken, fragte er sich insgeheim.

Louisa rutschte unruhig auf dem Sofa hin und her, als sei sie sich hinsichtlich ihrer Antwort nicht ganz sicher. Seine Reaktion war so ganz anders als erwartet und erhofft. Sekunden verstrichen, während sie ihn eindringlich anstarrte. Er hingegen erwiderte ihren Blick mit gleichgültiger Langeweile. Plötzlich senkte sie das Kinn.

»Nun, wenn ich mir vorstelle, dass diese Geschichten an die Öffentlichkeit gelangen …«

Nie zuvor hatte Thomas eine Stimme gehört, die so sanft und dabei so hinterhältig und selbstsüchtig klang. Er wurde jetzt ganz förmlich. »Sind Sie hergekommen, um Drohungen auszustoßen, Hoheit? Ist das alles, was Sie mit Ihrem Besuch bezweckten?«

»Mein lieber Thomas, ich kann mir gar nicht vorstellen, wie du mir so etwas unterstellen kannst«, erwiderte sie scheinbar tief bestürzt. »Nein, andere werden das tun. Du weißt doch, wie sehr die Salons auf Skandale versessen sind.«

Thomas leerte sein Glas und stand auf. »Mylady, wenn das der Grund für Ihren Besuch war, dann haben Sie die Reise vergeblich angetreten. Vergeuden Sie nicht länger meine Zeit. Auf Wiedersehen, diesmal für immer, denn ich möchte Sie nie wieder auf meinem Besitz sehen.«

Selbst ihre Röcke schienen empört zu rascheln, als Louisa aufsprang und ihn verkniffen anstarrte. »Du begreifst hoffentlich, dass sie längst verdorben ist?«

»Die Gesellschaft wird genug zu reden haben, sobald unsere Verlobung verkündet wird.«

Louisa erbleichte und presste die Hand an die Kehle. »Liebe Güte, hast du wirklich die Absicht, das Mädchen zu heiraten?«

»Ich habe nicht nur die Absicht, sie zu heiraten, sondern werde auch jeden herausfordern, der es wagt, ihre Unschuld anzuzweifeln. Denn ich kann Ihnen und sämtlichen Salons mit hundertprozentiger Sicherheit mitteilen, dass kein Mann sie je berührt hat.«

In ihren Augen flackerte Verstehen auf. »Wenn du dir einbildest, dass ich glaube …«

»Es interessiert mich wirklich und wahrhaftig nicht im Geringsten, was Sie glauben. Ich hingegen glaube, dass Sie die Ihnen gewährten zehn Minuten bereits überschritten haben.« Er drehte sich um, öffnete die Tür und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, die Bibliothek zu verlassen.

»Thomas, ich …« Amelia hielt inne, als sie ihn mit einer Frau an seiner Seite sah. »Bitte entschuldige, mir war nicht klar, dass du in Begleitung bist.« Und ganz bestimmt nicht in so schöner weiblicher Begleitung, dachte sie mit einem Anflug von Eifersucht und drehte sich wieder weg.

»Nein, Amelia, bitte bleib. Ihre Hoheit wollte sich soeben verabschieden.« Seine Worte hörten sich mehr nach einem Befehl als nach einer bloßen Behauptung an.

Ihre Hoheit? Amelia betrachtete die Frau genauer. Sie konnte sich dunkel daran erinnern, dass die Duchess of Bedford aus Frankreich zurückgekehrt war. In sämtlichen Berichten hieß es, dass sie blond, jung und hübsch sei – und genauso sah die Frau aus, die vor ihr stand.

»Wirklich, Thomas, du hast Manieren wie ein Hafenarbeiter. Willst du uns nicht vorstellen?«, tadelte die Duchess lächelnd, musterte Amelia indessen mit einer Kälte, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte.

Amelia versteifte sich. Es war zwar nicht das erste Mal, dass Frauen sie mit einem solchen Blick bedachten, aber diesmal war es irgendwie anders. Thomas gehörte ihr. Herzogin hin oder her, die Frau hatte kein Recht, sie wie eine unerwünschte Rivalin zu taxieren.

»Ja, Thomas, ich glaube auch, dass eine Vorstellung angebracht wäre«, erwiderte Amelia. Sie kam näher, bis sie neben Thomas stand, und legte ihre Hand vertraulich auf seinen Unterarm. Mein. Die Geste konnte nur auf eine Art gedeutet werden: besitzergreifend.

»Amelia, die Duchess of Bedford. Hoheit, Lady Amelia Bertram.« Thomas hatte Mühe, ein Gelächter zu unterdrücken, und sie freute sich, dass sein Verhalten für sie keine Fragen offenließ.

Die Duchess neigte andeutungsweise den Kopf. Amelia knickste kurz, ohne die Hand von seinem Unterarm zu nehmen, und wirkte ganz und gar nicht respektvoll.

»Wenn du mich bitte entschuldigen würdest, meine Liebe, ich bin gerade dabei, Mylady zur Tür zu begleiten.« Er ergriff Amelias Hand und drückte einen zarten Kuss auf die Innenseite ihres Handgelenks. »Ich bin gleich wieder bei dir.«

Louisa sog die Luft wütend in die Lungen, doch das Spiel war vorbei. Thomas führte sie entschlossen aus dem Zimmer. Amelia beobachtete die Szene, und die Frau kam ihr mit einem Mal vor wie eine Königin, die man soeben von ihrem Thron gestoßen hatte. Und die bereits auf Rache sann. Diesen Eindruck konnte selbst ihr einigermaßen würdevoller Abgang nicht verwischen.

»Was hat das alles eigentlich zu bedeuten?«, fragte Amelia, als Thomas ein paar Minuten später wieder in der Bibliothek erschien.

Nachdem er die Tür fest geschlossen hatte, kam er mit einem amüsierten Grinsen zu ihr. »Das könnte ich dich auch fragen. Gerade eben hatte ich den Eindruck, dass du mich als dein Privateigentum betrachtest.«

Amelia widersprach nicht, denn genau das war ihre Absicht gewesen. »Ich möchte gerne wissen, warum die Duchess of Bedford ausgesehen hat, als würde sie mich am liebsten auf die andere Seite des Erdballs schießen. In die eisige Tundra oder in einen tropischen Regenwald.«

Thomas schlang die Arme um sie. »Ich möchte keine einzige Sekunde mehr mit Gedanken an die Duchess of Bedford verschwenden. Sie hat weder für mich noch für dich irgendeine Bedeutung. Hoffentlich ist sie uns das letzte Mal lästig geworden«, murmelte er und liebkoste die Stelle hinter ihrem Ohr.

Amelia unternahm den schwachen Versuch, ihn durch eine Drehung ihres Kopfes abzuwehren. »Thomas, bitte versuch nicht, mich abzulenken«, stöhnte sie, als er an ihrem Nacken knabberte.

Schließlich hob er den Kopf und schaute sie mit finsterem Blick an. »Ich schwöre dir, dass sie mir nichts bedeutet. Eine Jugendsünde, mehr nicht. Sieben Jahre lang habe ich sie nicht gesehen, bis sie vor Kurzem nach England zurückgekehrt ist. Amelia, du sollst wissen, dass ich dich liebe, nur dich ganz allein.«

Amelias Atem beruhigte sich, und sämtliche Gedanken an diese Frau verschwanden aus ihrem Kopf. Er liebte sie. Benommen fragte sie sich, ob sie richtig gehört hatte, doch als er sie küsste und sie in einen Strudel aus Lust und Leidenschaft zog, wusste sie es.

Oh, Thomas, ich liebe dich auch.

Sie wünschte sich, die Worte laut auszusprechen, brachte es aber im Moment nicht fertig. Vorerst unterwarf sie sich bloß seinen Küssen, seinen Berührungen und dem Versprechen, dass noch mehr kommen werde. Später, ja, später würde sie ihm ihre Liebe gestehen. Vielleicht schon nach dem nächsten Kuss.