26
Die Stimmung beim Abendessen ließ sich mit einem Wort zusammenfassen: angespannt. Jedenfalls was Thomas und Amelia betraf, denn man meinte, es zwischen ihnen knistern zu hören.
Seinen Freund Alex bedachte Thomas mit griesgrämiger Höflichkeit, sprach nur mit ihm, wenn es sich nicht vermeiden ließ, und dann auch nur einsilbig. An Amelia richtete er nur zweimal das Wort. Um sich erst nach ihrem Tag zu erkundigen und anschließend danach, ob alles zu ihrer Zufriedenheit eingerichtet sei. Amelia beantwortete die Fragen scheinbar gelassen mit »ausgezeichnet« und »ja«, obwohl es ihr bei seinem Anblick buchstäblich die Sprache verschlagen hatte. Die elegante Kleidung und dann dieser ganz eigene Duft nach Rosmarin und Bergamotte.
Ihr letzter unerfreulicher Wortwechsel wirkte noch nach. Obwohl er sie nicht aus den Augen ließ, war nichts in seinem Blick ungezwungen, angenehm oder gar freundlich. Er beobachtete sie, als würde er sie am liebsten statt des gebratenen Geflügels auf seinem Teller verschlingen. Und ihr erging es kaum anders.
Zum Glück sorgten die anderen am Tisch, die Zwillingsschwestern, Missy und ihr Mann und natürlich Cartwright, dafür, dass die Unterhaltung nicht versiegte, doch sobald die Dame des Hauses die Tafel aufgehoben hatte, folgte Amelia ihr rasch, bevor sie irgendeine Dummheit beging, mit der sie sich verriet. Niemand brauchte zu wissen, wie verrückt sie nach Thomas war, am allerwenigsten er selbst. Zwar ließ sich nicht übersehen, dass er sie körperlich begehrte, doch sie liebte ihn – und das machte den Unterschied aus.
»Gestatten Sie, dass ich Sie in den Salon begleite, Lady Amelia?«Alex Cartwright trat einen Schritt auf sie zu, während Charlottes Blick zwischen ihnen hin und her flog. Kummer stand in ihrem hübschen Gesicht. Amelia empfand Mitleid mit ihr. Hatte Alex wirklich keine Ahnung, dass er dabei war, dem Mädchen das Herz zu brechen?
»Amelia, ich möchte gerne unter vier Augen mit Ihnen sprechen. Wenn es Ihnen möglich ist.« Thomas schenkte seinem Freund keinerlei Beachtung und erwartete eindeutig, dass sie Cartwrights Angebot ausschlug.
Amelia erstarrte. Ihr Puls schlug so heftig, als wolle er ihren Körper sprengen.
»Vielleicht im Herrenzimmer«, schlug er vor und ging an Alex vorbei. Sie nickte und verließ das Zimmer an seiner Seite, während die anderen schweigend zuschauten.
»Armstrong«, rief Cartwright, als sie die Türschwelle erreichten.
Genau wie sie blieb Thomas stehen und schaute über die Schulter zurück. Die Unterbrechung schien ihm zwar zu missfallen, aber seine Manieren verboten es, den Freund zu ignorieren.
»Später nehme ich gerne Bekundungen deiner immerwährenden Dankbarkeit entgegen.« Alex grinste zufrieden übers ganze Gesicht.
Rutherford hustete, um nicht vor Lachen herauszuplatzen. Missy senkte das Kinn auf die Brust, um ihr Lächeln zu verbergen. Die Zwillinge schauten verständnislos drein, und Thomas gab ein knurrendes Geräusch von sich, riss den Kopf herum, packte sie beim Ellbogen und zog sie aus dem Zimmer.
In angespanntem Schweigen betraten sie das Herrenzimmer. Amelia steuerte die nächste Sitzgelegenheit an, sank mit weichen Knien auf ein Sofa von undefinierbarer Farbe – irgendetwas zwischen Beige und Grün – und mied seinen Blick, indem sie sich mit dem Glätten ihrer Röcke beschäftigte. Nur das Ticken einer Stutzuhr auf dem Kamin war zu hören.
Sieh ihn nicht an. Oder du bist verloren. Amelia richtete den Blick fest auf den Schoß. Ihre Finger nestelten am bestickten Saum eines Volants.
»Wie kann ich mit Ihnen sprechen, wenn Sie mich nicht anschauen?«
Sein sanfter Tonfall beruhigte sie irgendwie. Sie atmete zittrig ein und hob den Kopf, um ihn anzublicken. Er lächelte zögerlich, und auf seinen Wangen tauchten die jungenhaften Grübchen auf. Du liebe Güte, der Mann war berauschender als jeder Wein.
»Ich nehme an, es geht um Lord Alex.« Amelia hatte wirklich keine Ahnung, warum er sie zu sprechen wünschte.
Thomas setzte sich auf die Kante des Armsessels neben ihr und beugte sich mit aufgestützten Ellbogen vor. »Ich hoffe sehr, dass Sie sein Interesse nicht ernst nehmen. Manchmal hat Cartwright einen merkwürdigen Hang zu dummen Späßen.«
Sein Ton war so ernst, dass Amelia am liebsten gelacht hätte, und sein Gesicht sah wie gemeißelt aus. Er schien tatsächlich zu glauben, dass da etwas lief zwischen ihr und Alex. Vielleicht bildete er sich sogar ein, dass sie sein Interesse erwiderte. Wenn er wüsste, dass sie kaum atmen und keinen klaren Gedanken fassen konnte, wenn er selbst so dicht bei ihr saß und sein warmer Duft sie einhüllte … Bestimmt ahnte er auch nicht, dass sie sich am liebsten blindwütig auf ihn stürzen würde wie ein Mückenschwarm auf ein wehrloses Opfer.
»Ich kann Ihnen versichern, dass ich kein Interesse an Ihrem Freund habe. Und ich glaube auch, dass es sich andersherum genauso verhält.« Sie hielt einen Moment inne, schaute auf die fest geschlossenen Hände in ihrem Schoß und fragte mit weicher Stimme: »Würde es Sie sehr stören, wenn es anders wäre?«
Thomas atmete hörbar ein. Der bloße Gedanke daran war schon dazu angetan, ihm Qualen zu bereiten. Er räusperte sich, musterte ihr wunderschönes Gesicht, ihre makellose Haut und ihre sinnlichen Lippen. Allein bei der Vorstellung, dass sie einen anderen Mann küsste, rebellierte alles in ihm. Sie gehörte ihm, und je schneller sie das begriff, desto besser für sie beide.
»Ja, es würde mich stören. Sehr sogar«, gestand er leise ein, während sein begehrlicher Blick ihren Körper umfasste.
Ihre Saphiraugen weiteten sich, und ihre Hände nestelten weiter nervös an ihrem Rock.
»Und ich glaube, du weißt auch, warum«, fuhr er fort und zwang sie, sich nicht abzuwenden und sich wieder hinter ihrer Maske zu verstecken. Er wusste um die Leidenschaft, die in diesem schönen Körper glühte, hatte sie heiß und feucht gespürt, als er sie auf den Gipfel der Lust führte. Bei der bloßen Erinnerung daran wurde er steif, und sein Verlangen nach ihr wuchs.
»Ich glaube, ich verstehe nicht ganz, was du von mir willst. Anfangs dachte ich, dass du mich verführen wolltest, um dich zu rächen. Aber jetzt ist alles ganz anders zwischen uns.«
Ihre Stimme klang so verletzlich, dass es ihn zutiefst berührte. Obwohl sich sein schlechtes Gewissen meldete, mochte er nicht zugeben, dass es sich bei ihm zunächst nur um Berechnung und gekränkte Eitelkeit handelte. Noch nicht. Damit wollte er warten, bis ihre Beziehung auf festerem Boden stand und sie gemeinsam über die seltsamen Anfänge lachen konnten.
»Glaubst du im Ernst, dass ich aus Rache mit einer Frau ins Bett gehen würde?« Was nicht einmal gelogen war, denn mit ihr zu schlafen, das gehörte ja schließlich nicht zu seinem Plan.
Einen Moment lang erforschte sie sein Gesicht, und dann lächelte sie. »Aber der Gedanke ist dir bestimmt durch den Kopf gegangen. Immerhin habe ich dir ein paar gute Gründe geliefert, mich nicht zu mögen.«
Er lachte. »Eine glatte Untertreibung, aber ich glaube, am Ende hast du es geschafft, dass ich dich sogar sehr mag.«
Mit der rechten Hand beruhigte er ihre nervösen Finger und schaute ihr tief in die Augen. »Ich habe dich geliebt, weil es mich verzweifelt nach dir verlangt hat. Aus keinem anderen Grund. Ist deine Frage damit beantwortet?«
Besänftigend strich er mit dem Daumen über die Handfläche, doch er erreichte das Gegenteil: Als Amelia seine warme Haut spürte, spielten ihre Sinne prompt verrückt. Und während das Feuer in ihrem Unterleib brannte, nickte sie stumm.
»Gut«, sagte er mit leiser, hypnotisierender Stimme. »Ich möchte nicht, dass es in diesem Punkt irgendwelche Missverständnisse zwischen uns gibt. Darf ich dich auf dein Zimmer begleiten?«
Seine Frage klang zweideutig und verboten. Und wunderbar sündhaft. Amelia sagte nichts, signalisierte schweigend ihr Einverständnis. Er erhob sich, hielt ihre Hand immer noch mit festem Griff umklammert und zog sie auf die Füße, um sie in Richtung Treppe zu führen.
»Was ist mit deiner Schwester und den anderen? Sie erwarten mich unten im Salon.« Ihr Protest kam reichlich spät.
Thomas lachte heiser und senkte den Mund an ihr Ohr. »Mein Schwager ist noch nicht lange genug verheiratet, um die Abende beim Port mit Cartwright zu vertrinken. Außerdem hat er schon den ganzen Tag mit ihm verbracht. Glaub mir, sie haben sich alle bereits für die Nacht zurückgezogen.«
Amelia sagte kein Wort mehr. Vorfreude keimte in ihr auf, und bei ihrem Zimmer angekommen drehte sie sich zu ihm um. Er trat vor, drängte sich an sie und presste sie mit dem Rücken an die dicke Holztür, senkte den Kopf.
Das Gaslicht an der Wand flackerte. Sie blinzelte, und plötzlich schoss es ihr durch den Kopf, dass sie im Flur standen, wo jeder im Haus auftauchen könnte. Ihre Arme versteiften sich, und sie zog den Kopf zurück. »Warte«, krächzte sie, »was, wenn jemand …«
Er drückte ihr einen leidenschaftlichen Kuss auf den Mund, und sie verstummte. Seine Finger glitten in ihre Frisur und zogen mehrere Nadeln heraus. Sein Atem hauchte sanft über ihr Gesicht, seine Lippen glitten federleicht über ihre. »In diesem Flügel des Anwesens sind keine Familienmitglieder untergebracht, und Missy betrachtet Cartwright als Verwandten. Hier schläft niemand außer dir. Trotzdem hast du recht. Für das, was ich im Sinn habe, brauchen wir einen abgeschiedeneren Ort.«
Schon das Gefühl seiner Finger in ihrem Haar, in ihrem Gesicht ließ ihre Knie vollends weich werden. Er spürte es und hielt sie. Als seine Lippen schließlich auf ihre trafen, gab es keine Verstellung mehr. Sie wollte ihn, verzehrte sich nach ihm auf geradezu absurde, wahnsinnige Weise. Es konnte ihr gar nicht schnell genug gehen. Sie wartete nicht, dass seine Zunge ihre fand, ergriff selbst die Initiative in ruheloser Suche. Er zog ihren Kopf ein Stück zurück und verteilte zarte kleine Küsse auf ihre Mundwinkel, auf ihr Kinn und ihren Nacken.
Dann lag sie auch schon in seinen Armen und war in ihrem Zimmer. Mit dem Stiefelabsatz kickte er die Tür zu. Amelia legte die Arme um seinen Nacken, zog seinen Mund zu sich hinunter und versiegelte ihn mit einem Kuss. Als sie seine festen, sinnlichen Lippen auf ihren spürte, als ihre Zungen sich trafen, stöhnte sie leise, und heftiges Verlangen erfüllte ihren ganzen Körper, ihre Brustspitzen wurden hart, und die Lust sammelte sich zwischen ihren Schenkeln.
Noch während er ihren Mund in hungrigem Verlangen plünderte, legte Thomas sie auf die luxuriösen Decken und Kissen. Amelia drängte sich ihm entgegen, löste die Hand von seinem Nacken und fuhr damit zwischen ihren und seinen Oberkörper, um die Knöpfe seines Hemdes zu öffnen. Sie wollte ihn ganz spüren, ohne störende Stoffschichten. Nur kurz richtete er sich auf, um ihr zu helfen, ihn aus seiner Kleidung zu befreien.
Er wollte sie. Falls seine ungeduldigen Küsse nicht ausreichten, ihr diese Botschaft zu vermitteln, dann ganz bestimmt seine Männlichkeit, die steif und dick aus dem dichten dunkelblonden Haar aufragte. Amelia kniff die Oberschenkel zusammen, doch er drückte sie auseinander, um sich dazwischenzuschieben, während er mit den Knöpfen ihres Kleides kurzen Prozess machte und ihr geschickt alles auszog. Lust durchflutete sie, brachte sie mit jedem keuchenden Atemzug zum Stöhnen.
Es versetzte sie in einen inneren Aufruhr, als sie spürte, wie er sich hart und sengend heiß gegen sie drängte, genau an der Stelle pochend und pulsierend, an der sie sich am stärksten nach seiner Berührung sehnte.
»Du lieber Himmel, wie bist du schön«, stöhnte er und atmete mühsam. Sein Blick tauchte in das Tal zwischen ihren weichen Brüsten, die er mit beiden Händen umschloss und an deren Knospen er spielte, bis sie glaubte, es nicht länger ertragen zu können. Sie bog den Rücken durch, drückte sich fest gegen seine Hand und ermutigte ihn, sich noch größere Freiheiten zu erlauben. Genau an dieser Stelle wollte sie seinen Mund, verzehrte sich förmlich nach dem Gefühl seiner leckenden, saugenden Lippen an ihrer Brust.
Thomas beobachtete sie. Seine Lider waren schwer vor Lust und Leidenschaft. Mit der Hand umschloss sie seinen Nacken und zog seinen Kopf zu sich hinunter. Thomas brauchte keine weitere Einladung; seine Lippen fanden ihre Knospe mit größter Genauigkeit.
»Thomas«, stöhnte sie. Die Lust vertiefte sich, und ihr ganzer Körper spannte sich an, als sie die Schenkel für ihn spreizte.
Er hob den Kopf. Als er die Lippen von ihr löste, bewegte sie sich unter ihm, suchte und verlangte nach ihm und forderte ihn heraus. »Sag mir, was du willst.« Seine Stimme klang wie ein tiefes Brummen, und seine Gesichtszüge verrieten, wie viel Beherrschung er sich auferlegte.
Amelia reagierte, indem sie ihre Hüften anhob und dafür sorgte, dass die Spitze seiner Erregung ihre intimste Stelle fand. Er stöhnte laut, während seine Lippen immer noch ihre Knospen umspielten, daran knabberten und saugten. Gleichzeitig fuhr seine Hand an ihrem weichen, flachen Bauch hinunter zu ihren Schenkeln. Drängend und doch zärtlich teilte er mit den Fingern ihr Geschlecht. Amelia atmete nur noch in kurzen, keuchenden Stößen und hob ihm verlangend ihre Hüften entgegen.
Ein letztes Mal leckte Thomas zärtlich über ihre Knospe, bevor er sich den Weg über die gerötete Haut ihres Bauches bahnte bis zu der Stelle, die zu noch größerer Lust verlockte.
Thomas schob die Finger in ihre Öffnung und wurde mit Feuchtigkeit belohnt. Er schob seine Männlichkeit höher herauf. »Du lieber Himmel, du bist wirklich eng. Ich hoffe, dass ich es schaffe«, stöhnte er, und dann war er mit den Lippen an ihr.
Er tat genau das, womit er sie auch schon das letzte Mal zu größter Lust getrieben hatte. Seine Zunge umspielte ihre empfindsamste Stelle fest und zärtlich und wahnsinnig erregend zugleich. Am liebsten hätte Amelia geweint, so unverfälscht und rein war ihre Leidenschaft. Sie spreizte die Schenkel noch weiter und hob sich ihm entgegen, damit er ihre feuchten Falten besser erreichen konnte. Das Verlangen, das sich in ihrem Innern breitmachte, war so stark, dass es keine Empfindungen von Scham oder Scheu aufkommen ließ. Es war, als müsse sie jahrelange sexuelle Unterdrückung wettmachen. Amelia gab sich uneingeschränkt hin, öffnete sich ihm ganz. Dann kam sie, schnellte hoch, zitterte und krampfte sich lustvoll zusammen. Sie glaubte, in den Himmel zu fliegen, bevor sie langsam wieder zur Erde schwebte. In diesem Moment drang Thomas mit einem einzigen schnellen Stoß in sie ein, weitete sie und erweckte ihr Geschlecht zu neuem Leben. Er stieß vor und zurück, schneller, tiefer und härter, um dann zu qualvoll langsamen Stößen zurückzukehren, die sie hilflos vor Lust zittern ließen.
Auch Thomas erlebte eine Lust, wie er sie vorher nicht gekannt hatte. Sie durchrann ihn wie Tausende kleiner Steinchen, die einen steilen Abhang hinunterrollen und zunehmend an Fahrt gewinnen. Er sah, wie sie den Kopf auf dem Kissen hin und her warf. Ihr saphirblauen Augen glänzten. Schneller stieß er jetzt in sie hinein, noch härter und mächtiger in seinem Verlangen. Das Geräusch ihrer sich aneinanderreibenden Körper erfüllte wie ein mächtiger Rhythmus die kühle Abendluft ihres Schlafzimmers.
Amelia stieß einen hohen Schrei aus und versteifte sich unter ihm. Sie drückte die Hüften hoch, um ihn noch tiefer in sich aufzunehmen, und umklammerte seinen Rücken. Als sie die Nägel in seine Schultern krallte und krampfhaft zuckte, steigerte das seine Erregung ein letztes Mal, bevor auch er in einen Strudel geriet, der ihn mit sich zog, bevor er schließlich Erlösung fand. Es dauerte herrlich lange und verzehrte ihn mit Haut und Haar.
Heftig atmend ließ Thomas den Kopf auf ihre Schulter sinken, während er sie weiterhin fest in den Armen hielt. Er suchte ihre Lippen und küsste sie langsam und bedächtig. Amelia reagierte und bewies ihm, dass sie ebenso sehr nach ihm verlangte wie er nach ihr. Seine Männlichkeit in ihr rührte sich wieder, und die Art, wie sie sich ihm entgegenhob und den Rücken durchbog, zeigte ihm, dass sie ein weiteres Mal mehr als bereit für ihn war.
Selbst wenn die Sonne sich hinter einem dunklen Schleier versteckt und es Bindfäden geregnet hätte, würde Amelia es einen schönen Tag genannt haben, als sie am Morgen erwachte. Glücklich und befriedigt seufzte sie tief und räkelte sich in den Kissen.
Thomas. Nur widerwillig hatte er sich aus ihrem Bett erhoben und sich angezogen, doch bevor er ihr Zimmer verließ, verabschiedete er sich von ihr mit einem langen, leidenschaftlichen Abschiedskuss, der eigentlich bis zum Wiedersehen reichen sollte. Tat er aber nicht. Sie begannen einander zärtlich zu streicheln, und er knabberte und saugte an ihr, doch bevor es dort endete wie dreimal zuvor in dieser Nacht, nämlich sündhaft nackt und zwischen ihren Schenkeln, löste er sich mit einem unterdrückten Fluch aus ihrer Umarmung.
»Wenn ich jetzt nicht gehe, dann wird es nie etwas. Und wir können es uns nicht erlauben, dass deine Zofe oder einer der Diener mich hier erwischt.« Noch ein kurzer Kuss auf den Mund, und hastig ging er aus dem Zimmer.
Das war vor vier Stunden gewesen. Bald würde sie ihn im Frühstückszimmer wiedersehen.
Thomas stand vor dem Buffet und lud sich gerade das Essen auf den Teller. Kaum hatte er sie entdeckt, hielt er inne und musterte sie mit einem Blick, der alle anderen im Zimmer veranlasste, sie ebenfalls anzuschauen.
Hitze stieg ihr in die Wangen und in andere Bereiche ihres Körpers, an die sie nicht zu denken wagte. Sie zwang sich zur Beherrschung, nickte ihm stumm zu, bevor sie Missy und ihren Mann begrüßte, und hoffte inständig, niemand würde merken, dass ihre Gefühle sich in einem heillosen Aufruhr befanden.
»Und wie hat Ihnen der gestrige Abend …« Der Earl of Windmere unterbrach die Frage und stöhnte schmerzhaft auf, weil seine Frau ihn offensichtlich nicht nur mit einem bösen Blick, sondern auch mit ihrem Ellbogen traktiert hatte.
»Guten Morgen, Amelia«, sagte sie mit weicher Stimme, denn sie hegte offenbar keinerlei Zweifel, wie und mit wem ihr Gast den Abend verbracht hatte.
»Guten Morgen, Lord Windmere, Lady … Äh, Missy, wollte ich sagen«, korrigierte Amelia sich angesichts des vorwurfsvollen Blickes aus schiefergrauen Augen.
Ihr Ehemann fasste sich schnell. »Bitte nennen Sie mich doch James oder Rutherford. Wie es Ihnen lieber ist. Es liegt ja wohl auf der Hand, dass wir bald besser miteinander bekannt sein werden.« Er trank einen Schluck Kaffee und grinste über den Rand der Tasse zu Thomas hinüber, der unablässig Amelia anschaute.
»Ich habe Ihnen ja schon gesagt, dass wir ein lockerer Verein sind«, mischte Missy sich ein.
Auf dem Weg zur Anrichte hatte Amelia das Gefühl, dass drei Augenpaare sie durchbohrten, und als sie zum Tisch ging, nahm Thomas ihr den Teller ab und rückte ihr persönlich den Stuhl zurecht.
Die Mischung aus Fürsorglichkeit und Nähe ließ ihr Herz höher schlagen. Sie sog seinen Duft ein und fragte sich, wie sie sich je hatte einreden können, er sei ihr zuwider. Ebenso wie Thomas. Es würde an ein Wunder grenzen, wenn sie den Tag überlebte, ohne sich auf ihn zu stürzen wie eine sexuell ausgehungerte Witwe.
Um ihre Beschämung zu verbergen, konzentrierte Amelia sich eingehend auf ihr Frühstück und wagte es nicht, Thomas’ Seitenblicken zu begegnen. Es war so schon schwierig genug, sich auf etwas anderes als auf ihn zu konzentrieren.
»Amelia, haben Sie heute bereits etwas vor?«, erkundigte Missy sich in einem herzlich vertraulichen Tonfall. Amelia mochte Thomas’ Schwester aufrichtig.
»Ich …«
»Ja, ich habe vor, mit Amelia in die Stadt zu fahren. Ich dachte, ein kleiner Einkaufsbummel bei Windsor’s würde ihr gefallen, besonders in der Weihnachtszeit«, unterbrach Thomas sie.
Jetzt schaute sie ihn doch an. Er beabsichtigte, den Tag gemeinsam mit ihr zu verbringen. Vor Freude hätte sie am liebsten einen Luftsprung gemacht.
Thomas schenkte ihr ein zaghaftes Lächeln. Sein begehrlicher Blick wanderte zu ihren Lippen, und sie spürte, wie ihre Knospen hart wurden und ein Schauer über ihre Haut lief.
»Ja, das würde mir wirklich sehr gefallen«, erwiderte sie und hoffte, nicht ganz so einfältig zu klingen wie ein verliebter Backfisch.
James räusperte sich, während Missy vergeblich versuchte, das Lächeln hinter der Serviette zu verbergen.
»Ich glaube, Catherine und Charlotte würden einen Ausflug in die Stadt ebenfalls sehr genießen. Ganz besonders Catherine«, sagte Missy zu ihrem Bruder und zog die dunklen Brauen hoch. Amelia begriff sofort, was der Blick zu bedeuten hatte. Die Countess of Windmere traute ihrer Beziehung noch nicht und wollte, dass sie in der Öffentlichkeit vorsichtig waren. Hier zu Hause, das stand auf einem anderen Blatt.
Thomas’ Gesichtszüge verhärteten sich. Offenbar ärgerte er sich ein wenig, fügte sich aber mit einem kurzen Nicken. Amelia indes reagierte enttäuscht, denn ihr Körper wartete bereits ungeduldig auf die nächsten Zärtlichkeiten, den nächsten leidenschaftlichen Kuss. Der Tag heute würde sich endlos hinziehen, und in Gedanken weilte sie schon bei der Heimkehr, bei der kommenden Nacht. Der einzige Trost bestand darin, dass sie die Zeit in Thomas’ Gesellschaft verbringen würde.
Anderthalb Stunden später stiegen Amelia, Thomas und Catherine in die schwarz lackierte Kutsche. Sie hätten sich kein besseres Wetter für ihren Ausflug wünschen können. Flaumiger, leichter Schnee schwebte träge durch die Luft, bevor er sich wie eine weiße Decke auf den Kieswegen und dem schlafenden Laub niederließ. Catherines Augen funkelten vor Aufregung. »Der Schnee ist wundervoll«, rief sie, während sie verzückt aus dem Fenster starrte.
Thomas nahm ihr gegenüber Platz. Sein Blick wanderte von Catherine zu Amelia. Sie musste sich wegdrehen. Es war alles zu viel für sie: das Verlangen, die Sehnsucht und die Tatsache, dass sie just in diesem Moment nicht in der Lage war, ihn zu bekommen.
Sie brauchte Ablenkung. »Wollte deine Schwester nicht auch mitkommen?« Offenbar glaubte sie, dass alle Mädchen in diesem Alter für nichts außer Einkaufsbummel und dergleichen lebten.
Catherine schob die Hände tiefer in den Muff und riss den Blick von den kahlen Bäumen mit den schneebeladenen Ästen los. Sie schürzte die Lippen. »Sie meinte, dass sie lieber ihr Buch zu Ende lesen will. Aber ich weiß genau, dass sie nur wegen Alex daheimbleibt. Alle wissen es. Das macht sie immer so.«
Thomas lächelte trocken. »Und das ärgert dich?«
»Ich finde es einfach schrecklich dumm. Alex wird sie niemals beachten. Außerdem ist er sowieso viel zu alt für sie.« Mit den zusammengezogenen Brauen und den zu einer dünnen Linie zusammengepressten Lippen ähnelte sie eher einer missvergnügten Porzellanpuppe als einem fröhlichen Mädchen.
Amelia verstand es nur zu gut, dass ein junges Ding wie Charlotte sich in den Lord mit dem rabenschwarzen Haar verliebte. Auch in London gab es viele Frauen, die ihn umschwärmten. Nicht auszudenken, wenn er auch noch der Titelerbe wäre.
»Nicht dass ich sie ermutigen möchte, aber so habe ich über Missy und Rutherford auch mal gedacht. Und jetzt sieh sie dir an. Sie warf das erste Mal ein Auge auf ihn, als sie gerade zehn Jahre alt war.« In Thomas’ Blick blitzte es belustigt auf, als er sich in den Samtpolstern zurücklehnte.
War das die Erklärung für die unverkrampfte Vertrautheit zwischen dem Ehepaar, die jeder Fremde beobachten konnte, wenn er sie nur ein paar Sekunden lang anschaute? Ob es ihnen jemals so ähnlich gehen würde? Amelia schaute nachdenklich zu Thomas hinüber.
»Ich finde es einfach nur dumm«, murmelte Catherine und drehte sich wieder zum Fenster. »Oh«, rief sie nach einer Minute Schweigen, »seht doch nur, wie hübsch die Straße aussieht!«
Zögernd lenkte Amelia ihren Blick zum Fenster. Die Kutsche ratterte über eine gepflasterte Straße, die bereits von Läden gesäumt war. Laternenpfähle waren festlich mit kleinen Kränzen und glänzend roten Bögen geschmückt, die für Weihnachtsstimmung sorgten.
Die nächsten Stunden verbrachten sie damit, nahezu jeden Laden in der Peascod Street aufzusuchen. Thomas wartete geduldig und aufmerksam und benahm sich wie der perfekte Kavalier. Wenn man mal davon absah, dass er sich zwischendurch einen glühenden Blick und hier und da eine verstohlene Berührung gönnte, was Amelias ohnehin gereizte Sinne in einen beständigen Alarmzustand versetzte. Catherine schien von alldem nichts zu bemerken, plapperte munter weiter und kreischte vor Vergnügen bei jedem hübschen Schmuckstück oder Zierband, das sie sah.
Amelia kaufte nur selten Weihnachtsgeschenke, musste nur selten welche kaufen. Ihr Vater sorgte dafür, dass die Dienerschaft in ihren Weihnachtspäckchen reichlich zusätzliches Geld entdeckte, um sich selbst etwas zu kaufen. Nur einmal, als sie gerade vierzehn geworden war, hatte sie von ihrem Taschengeld ein Geschenk für die Haushälterin Mrs. Smith und den Butler Reese gekauft, denn die beiden waren immer freundlich zu dem mutterlosen Mädchen gewesen. Was sie selbst betraf, so beauftragte der Marquess ihre Gouvernante damit, die Geschenke zu kaufen, sofern er überhaupt anwesend war.
Seit dem Tod ihrer Mutter würde es das erste Weihnachtsfest sein, das sie mit einer Familie verbrachte. Einer richtigen Familie. Der Gedanke wärmte ihr Herz, erfüllte sie mit Freude. Heute würde sie für alle Geschenke kaufen.
Ein leises Wort zu Thomas, und rasch lotste er Catherine in die nächstgelegene Konditorei, damit Amelia ungestört für sie ein Geschenk kaufen konnte. Und für Thomas ebenfalls. Nur was? Sie hatte keine Ahnung, was ihm gefallen könnte, bis sie zu ihrer Erleichterung eine Schiffsminiatur entdeckte, die in bestechenden Details aus Mahagoniholz geschnitzt und in mattem Glanz poliert war. Angesichts seiner Beteiligung an einer Schiffswerft müsste es eigentlich seinem Geschmack entsprechen.
Nachdem sie gezahlt hatte, brachte der sie begleitende Lakai die Geschenke zur Kutsche, während sie sich wieder Thomas und Catherine anschloss. Die nächste Stunde schlenderten sie durch immer neue Läden, kauften für alle Geschenke und ließen sie gleich zur Kutsche bringen. Schließlich taten Amelia die Beine weh, und sie fühlte sich hungrig und müde.
Thomas nahm ihren Arm, als ob er ihre wachsende Erschöpfung gespürt hätte. »Sollen wir nach Hause fahren?«, fragte er.
Selbst der dicke Wollstoff seines Mantels vermochte nicht zu verhindern, dass ein Feuerwerk des Verlangens in ihr hochschoss. Es war, als hätte sie ihr ganzes Leben in paradiesischer Unwissenheit verbracht, um sich dann plötzlich kopfüber in die sündigen Regionen der Lust zu stürzen.
Amelia wandte sich an Catherine: »Sollen wir?«
Das junge Mädchen nickte. »Ich kann es kaum erwarten, Charlotte die Haarbänder zu zeigen, die ich gekauft habe.«
»Dann lasst uns aufbrechen.« Sie riskierte einen Blick auf Thomas. Wie er sie anschaute, sagte alles: Er wollte sie und sonst nichts.
Die Fahrt nach Hause verlief schweigend, wenn man davon absah, dass Catherine all die wundervollen Dinge, die sie in den Läden gesehen hatte, einzeln aufzählte – Dinge, die sie leider nicht hatte kaufen können, weil ihr das Geld fehlte. Es war eine ziemlich lange Liste.
Amelia hörte ihr nur mit einem Ohr zu und sprach bloß, wenn eine Antwort verlangt wurde. Ansonsten konzentrierte sie sich voll auf Thomas, erwiderte seinen begehrlichen Blick mit derselben Eindringlichkeit und demselben Verlangen. Wenn er sie mit seinen smaragdgrünen Augen auszog, so versengte sie ihn mit heißen Blicken.
Catherine war gebührend beschäftigt und besaß offenkundig auch keine Antenne für die knisternde Spannung zwischen ihr und Thomas, die Funken sprühen ließ. Kein Grund also, sich nicht zumindest auf diese Weise miteinander zu beschäftigen. Was auch immer sich zwischen ihnen abspielte, sie wollte, dass es niemals aufhörte. Sie hatte sich auf eine Reise begeben, die sie Etappe für Etappe mit allen Kräften auskosten wollte, wohin auch immer sie sie am Ende führte.