15

Die Fahrt nach London verlief ereignislos. Um Punkt zwei Uhr nachmittags trafen sie beim Stadthaus der Armstrongs in Mayfair ein. Und wie von Amelia vorausgesehen begann ihr Streit mit Thomas genau eine Stunde später, fünf Minuten nachdem die Viscountess mit ihren Töchtern das Haus verlassen hatte.

Sie standen sich im Salon von Lady Armstrong gegenüber und hätten am liebsten in stummem Einverständnis einen großen Bogen umeinander gemacht, aber die Umstände verlangten, dass sie sich nicht aus den Augen ließen.

»Ihre Mutter hat mich eingeladen, sie und Ihre Schwestern zu begleiten. Ich hätte es tun sollen.«

»Ihr Vater hat Sie nicht zu mir geschickt, damit Sie durch die Stadt spazieren und deren Annehmlichkeiten genießen.«

»Mir wird also der Einkaufsbummel durch die Bond Street verwehrt? Ich brauche ein paar persönliche Dinge. Was erwarten Sie von mir?«

»Schreiben Sie alles auf eine Liste. Ich finde jemanden, der Ihre Besorgungen erledigt.«

Schweigend zählte Amelia bis fünf, widerstand der Versuchung, ihm den Kandelaber vom Kaminsims über den Schädel zu schlagen. »Mit anderen Worten, ich werde in diesem Haus wie eine Gefangene gehalten?«

»Nun, wollen wir mal sehen. Bis zu unserer Abreise am Sonntag sind Sie verpflichtet, sich nicht nach draußen zu begeben. Also ja, ich würde sagen, Sie haben die Lage genau erfasst.«

Thomas lächelte nicht. Das angespannte Gesicht und der kühle Blick verrieten ihr, dass er ihr nicht den geringsten Spielraum zugestehen würde. Mehr und mehr entwickelte es sich zu einer Aufgabe von geradezu unübersehbaren Ausmaßen, Lord Clayborough eine Nachricht über ihre Ankunft in der Stadt zukommen zu lassen.

»Wenn Sie die Liste fertig haben …«

Wütend und mit zusammengepressten Lippen starrte Amelia ihn an. Nicht nur wegen seiner Sturheit, sondern wegen seines Verhaltens insgesamt. Wenn er überhaupt noch mit ihr sprach, dann nur das Nötigste und das außerdem knapp und nicht gerade freundlich. Im Grunde belehrte er sie nur über ihre Pflichten. Obwohl sie sich mehr als einmal ins Gedächtnis rief, dass sie seine Aufmerksamkeit gar nicht wollte, glaubte sie langsam selbst nicht mehr daran. Sie machte sich etwas vor, wünschte sich einerseits inständig, sich nicht beirren zu lassen, und andererseits war es eine unumstößliche Tatsache, dass es sie sehr wohl beirrte.

»Machen Sie sich keine Umstände. Ich kümmere mich selbst darum«, giftete sie ihn an, machte kehrt und verließ den Salon.

Ihre Absätze hallten laut auf dem polierten Holzboden wider. Als sie sich anschickte, die Treppe zum ersten Stock hinaufzusteigen, drehte sie sich unwillkürlich um und bemerkte, dass Thomas in der Tür zum Salon stand und sie beobachtete. Er deutete eine leichte Verbeugung an und schaute sie unverwandt an, ohne dass zu erkennen war, was ihm durch den Kopf ging.

Amelia nahm zwei Stufen auf einmal, als sie hinaufrannte, und das Herz pochte im Rhythmus ihrer Schritte.

Anders als viele junge Damen der Gesellschaft, die einschlägigen Unterricht erhalten hatten, besaß Amelia kein Gehör für Musik, konnte beim Singen den Ton nicht halten und spielte auch kein Instrument. Aber sie las gerne, insbesondere Romane. Daher liebte sie es, sich in der Bibliothek aufzuhalten, in der sich Bücher der berühmtesten Schriftsteller fanden. Der Raum wäre der Traum eines jeden Bibliothekars.

Der Widerspenstigen Zähmung. Sie ließ den Finger über den Buchrücken fahren und überlegte, ob sie sich für eine Posse von Shakespeare oder etwas Romantisches wie zum Beispiel Jane Eyre entscheiden sollte.

Jemand räusperte sich und riss Amelia aus ihrer Träumerei. Abrupt drehte sie den Kopf in Richtung Tür. Auf der Schwelle stand ein großer, nein sehr großer Lakai. Johns, wenn sie sich recht erinnerte.

»Ich bitte um Verzeihung, Ma’am, aber Seine Lordschaft verlangt nach Ihrer Anwesenheit im Morgenzimmer.«

Sie stutzte. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und ein ahnungsvoller Schauder durchlief sie. Amelia nickte kurz. »Bitte richten Sie Seiner Lordschaft aus, dass ich in Kürze bei ihm bin.«

»Ja, Ma’am.« Johns verbeugte sich steif und verschwand.

Thomas war nicht fort? Amelia meinte gehört zu haben, wie er vor einer Stunde das Haus verließ. Zudem wusste sie von der Viscountess, dass er für die Dauer des Londoner Aufenthalts in seiner Junggesellenwohnung bleiben werde. Aber noch war es wohl nicht so weit, denn er wünschte sie zu sehen.

Am liebsten wäre sie unverzüglich zu ihm geeilt, um zu hören, was er von ihr wollte, doch schien ihr das ein wenig zu eifrig. Es konnte nicht immer alles nach seinem Kopf gehen: Zehn Minuten Wartezeit schienen durchaus angemessen.

Neun Minuten später trat sie über die Schwelle des Morgenzimmers und blieb abrupt stehen, als sie Camille Foxworth im Gespräch mit Thomas erblickte.

Lass ihn in Ruhe, er gehört mir. Was wollte diese Jungfer hier? Das war das Letzte, womit sie gerechnet hatte. Amelia atmete tief durch und näherte sich den beiden.

»Aha, da sind Sie ja«, sagte Thomas und lenkte die Aufmerksamkeit auf Amelia.

Trotz seiner ungezwungenen Reaktion hatte Amelia das Gefühl, ein vertrauliches Gespräch unterbrochen zu haben, was sie in eine so feindselige Stimmung versetzte wie ein kleines Kind, dem man das Spielzeug wegnahm, lange bevor sein Spiel beendet war.

Mit beträchtlichem Groll stellte sie fest, dass er zum ersten Mal seit Tagen lächelte. Offenbar vermochte Miss Foxworth die liebenswürdige Seite in ihm zu wecken.

»Lady Amelia Bertram, ich möchte Ihnen gerne Miss Camille Foxworth vorstellen.«

Amelia kämpfte ihren Zorn nieder und bemühte sich um einen gleichmütigen Gesichtsausdruck. Doch unverändert hallte die Frage in ihrem Kopf wider, was diese Frau hier bei ihm zu suchen hatte. Ein geradezu entsetzlicher Gedanke kam ihr: Thomas konnte doch nicht die Absicht haben, für sie … Nein, der Gedanke war lächerlich.

Miss Foxworth lächelte und knickste elegant. »Guten Tag, Lady Amelia. Ich glaube, wir sind uns bei anderer Gelegenheit schon vorgestellt worden. Auf dem Randall-Ball, als die Saison anfing.«

Damit es nicht so aussah, als würde es ihr an den elementaren gesellschaftlichen Umgangsformen mangeln, nickte Amelia kurz. Zu kurz und zu unfreundlich offenbar, wie Thomas’ tadelndem Blick zu entnehmen war.

»Doch, ja, ich erinnere mich«, erwiderte sie mit einer Stimme, die wie eingefroren klang.

Amelia ignorierte die Missbilligung des Hausherrn ganz offensichtlich.

»Miss Foxworth hat sich einverstanden erklärt, Sie als Anstandsdame zu begleiten, solange meine Mutter verreist ist.« Thomas’ Miene wurde weicher, kaum dass er sich an Miss Foxworth wandte – die ihn anstarrte, als wäre er eine Gottheit und sie seine Priesterin, die ihn anzubeten hatte.

Amelia wiederum musterte ungläubig die Frau, die man ihr da präsentierte. Ihre schlimmsten Befürchtungen wurden bestätigt. Sie betrachtete das Kleid der dünnen Gestalt, das eher zu einer ältlichen Witwe gepasst hätte, die blässlich blauen Augen, den fahlen Teint, der sie an ein Gespenst erinnerte. Sie ließ ihrem Ärger freien Lauf.

»Ach, ist das so? Ich könnte mir vorstellen, dass Miss Foxworth unendlich viel angenehmere Dinge zu tun hat, als eine solche Aufgabe zu übernehmen.« Amelia hielt inne, um sich zu zügeln. Vergeblich. Ihr boshaftes Verlangen, der armen Camille vor Augen zu führen, was für ein bedeutungsloses und erbärmliches Leben sie doch führte, ließ sich nicht unterdrücken. »Andererseits kann ich mir vorstellen, dass Sie als alleinstehende Frau ohne Heiratsaussichten nicht so recht wissen, was Sie den lieben langen Tag mit Ihrer Zeit anstellen sollen.«

Kaum war ihr diese ungeheuerliche Bemerkung rausgerutscht, bereute Amelia es bereits zutiefst und hätte ein Vermögen dafür gegeben, alles rückgängig machen zu können. Was war nur in sie gefahren? Sie verfluchte sich selbst und den Teufel in ihrem Kopf, der ihr die giftigen Worte eingeflüstert hatte. Aber jetzt war es zu spät für Reue.

Thomas atmete zischend aus. Miss Foxworths einzige Reaktion bestand darin, kurz nach unten zu blicken, als wolle sie ihre Kränkung verbergen, während Amelia sich nur wünschte, der Erdboden möge sie verschlucken.

Miss Foxworth hatte ihr schließlich nie etwas Böses getan. Ihr einziges Verbrechen bestand darin, dass sie Thomas Armstrong freundschaftlich verbunden war.

»Wie du siehst, hat Lady Amelia immer noch nicht gelernt, sich in Gesellschaft höflich zu benehmen«, stieß Thomas mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Zaghaft lächelte er Camille an. »Wenn du uns bitte entschuldigen würdest, ich möchte gerne allein ein Wörtchen mit Lady Amelia reden. Sobald ich fertig bin, rufe ich dich wieder herein.«

Miss Foxworth nickte schüchtern, den Blick unverwandt auf den Boden gerichtet, während sie still das Zimmer verließ und leise die Tür hinter sich schloss.

Thomas’ attraktives Gesicht sah wie versteinert aus. Amelia brachte nicht den Mut auf, ihm in die Augen zu schauen, als sie das Wort an ihn richtete.

»Ich weiß ganz genau, was Sie mir sagen wollen. Also ersparen Sie sich die Predigt. Ich bin mir sehr wohl darüber bewusst, dass das, was ich geäußert habe …«

Seine Hand schoss nach vorn und packte mit unnachgiebigem Griff ihren Unterarm. Er zerrte sie zu sich heran. So wie er dastand, wirkte er ausgesprochen bedrohlich. »Wehe Ihnen, wenn Sie es auch nur noch ein einziges Mal wagen, meine Gäste zu beleidigen, zumal dann, wenn ich dabei bin.« Seine Stimme war nicht mehr als ein gefährliches Flüstern. Innerlich kochte er vor Wut. Sein Gesicht war rot angelaufen. Er sah aus, als würde er ihr am liebsten den Hals umdrehen.

Sie zuckte zusammen, und Angst begann sich in ihren Gliedmaßen einzunisten und sie zu lähmen. So sehr, dass sie sich nicht einmal zu befreien versuchte, als er seinen Griff lockerte.

»Warum um alles in der Welt ist die Wahl ausgerechnet auf diese Frau gefallen? Ist Ihre Selbstsucht so groß, dass Sie jemanden brauchen, der Ihnen Tag und Nacht um den Bart geht?« Genauso sah sie die Sache, doch es wäre sicherlich klüger gewesen, den Mund zu halten.

Thomas antwortete nicht sofort, starrte sie zunächst einmal fassungslos an. Allerdings schien seine Wut einer merkwürdigen Stimmung gewichen zu sein, die sie sich nicht wirklich erklären konnte. »Was genau glauben Sie eigentlich, dass ich mit ihr anstellen will?«

»Es kümmert mich nicht, was Sie mit ihr anstellen wollen. Ich verspüre schlicht nicht den Wunsch nach einer Anstandsdame, wer auch immer dafür vorgesehen ist.«

Er ließ ihren Arm los und trat einen Schritt zurück. Amelia atmete erst einmal tief durch, befreit von seiner verwirrenden Nähe, nach der es sie einerseits verlangte und die sie andererseits lieber mied, zumindest wenn sie Wert darauf legte, klar denken zu können.

Er hörte nicht auf, sie eindringlich zu mustern. »Ach, du liebe Güte, ich glaube, Sie sind eifersüchtig.« In die sanften Worte mischte sich eine gewisse Verwunderung. Thomas hätte nicht zufriedener dreinblicken können als der Petruchio, der es schafft, die Widerspenstige zu zähmen.

Amelia stieß ein Lachen aus, bevor sie ihre Sprache wiederfand. »Nichts könnte mir ferner liegen. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Gedanke wie Balsam auf Ihr aufgeblasenes Ego wirkt.«

»Ach, wirklich nicht? Nun, dann will ich Ihnen meine Schlussfolgerung in aller Deutlichkeit erklären.« Er zog die Brauen hoch. »Was haben Sie gegen Miss Foxworth einzuwenden? Warum stört es Sie, dass sie mir unablässig um den Bart geht, wie Sie es so treffend ausgedrückt haben?«

»Es ist keineswegs das, was mich stört. Es ist das ganze Arrangement. Ich habe keine Lust, mich benutzen zu lassen.«

»Ich flehe Sie an, verraten Sie mir, inwiefern Sie benutzt werden.«

»Nun, dadurch dass …« Lieber Himmel, sie stotterte schon wieder.

Thomas sah aus, als könne er ihre Gedanken lesen. Und als sei er hocherfreut über das, was er dabei entdeckte. »Falls Sie sich den Kopf darüber zerbrechen, ob sich zwischen Miss Foxworth und mir etwas abspielt, dann kann ich Ihnen versichern, dass Ihre Sorgen in dieser Hinsicht unbegründet sind.«

»Es kümmert mich nicht …«

Er brauchte nur zwei Schritte, um wieder gefährlich dicht vor ihr zu stehen. Sein männlicher Duft hüllte sie ein, nahm ihre Sinne gefangen. Er presste ihr den Zeigefinger sanft auf die Lippen und brachte sie zum Schweigen. »Mag sein, dass Sie die unmöglichste Frau sind, der ich jemals über den Weg gelaufen bin. Es gibt aber eines an Ihnen, was ich mehr und mehr bewundere, und das ist Ihre Aufrichtigkeit. Das sollten Sie jetzt nicht verderben«, murmelte er.

Amelia blickte in sein Gesicht und war sich nicht ganz sicher, was sie den Mund halten ließ – seine Dreistigkeit oder der Finger auf ihren Lippen.

»Und jetzt«, fuhr er mit der größten Liebenswürdigkeit fort, »wenn Sie schon unter einer Eifersuchtsattacke leiden, will ich Ihnen wenigstens einen Grund geben. In diesem Fall meine Verabredung für heute Abend.«

»Zweifellos ein Schäferstündchen mit Ihrer verdammten Geliebten.« Abrupt trat sie zurück und schlug nach seiner Hand.

Thomas ließ die Hand sinken. »Was kümmert es Sie, mit wem ich schlafe, ob es nun meine Geliebte ist oder sonst jemand?«

Erst nachdem er seine Frage gestellt hatte, merkte Amelia, dass sie laut gedacht haben musste. Von Kopf bis Fuß überlief es sie heiß, und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als ihre verräterischen Worte ungesagt zu machen.

»Natürlich ist es mir egal, mit wem Sie ins Bett gehen«, sagte sie kalt.

Thomas warf den Kopf zurück und lachte trocken.

Amelia unterdrückte den Wunsch, ihm eine Ohrfeige zu verpassen, und zwar eine so heftige, dass er in Ohnmacht sinken würde.

»Das sagten Sie bereits. Ich gewinne allerdings verstärkt den Eindruck, dass es Sie mehr kümmert, als Ihnen selbst lieb ist. Und vor allem mehr, als Sie jemals eingestehen würden.«

»Glauben Sie doch, was Sie wollen.« Amelia mied seinen Blick, das wissende Glitzern in den grünen Augen, machte auf dem Absatz kehrt und stapfte aus dem Zimmer, während sein spöttisches Gelächter sie unnachgiebig verfolgte.

Thomas ließ den Blick durch Graces Wohnzimmer schweifen und fragte sich einmal mehr, was er hier eigentlich wollte.

Als er das Stadtpalais der Armstrongs verlassen und sich auf den Weg gemacht hatte, schwebte ihm vor allem ein unkomplizierter und sexuell entspannender Abend vor. Mehr als vier Wochen waren verstrichen, in denen er überaus enthaltsam lebte, es sei denn, er legte selbst Hand an, um seine Nöte zu lindern. Aus lauter Vorfreude auf die Begegnung mit Grace hätte er eigentlich Luftsprünge machen sollen. Tat er aber nicht. Und über die Gründe wagte er nicht zu spekulieren.

»Darling.«

Thomas erschrak und drehte sich in die Richtung, aus der das sanfte Trällern kam. Mit ausgestreckten Händen schwebte Grace ins Zimmer. Seidenwäsche in blassem Pink betonte ihre weiblichen Rundungen, und darüber trug sie locker den dazu passenden Morgenrock. Noch bevor er antworten konnte, schlang sie ihm die Arme um den Hals und legte in Erwartung seines Kusses den Kopf in den Nacken.

Thomas drückte seinen Mund kurz auf die angemalten roten Lippen, löste sich dann hastig aus der Umarmung, auch um dem Geruch ihres süßlichen Parfums zu entgehen. Ihre vergnügte Miene verflüchtigte sich, und ihr breites Lächeln wirkte aufgesetzt. »Du hast mir gar nicht verraten, dass du in die Stadt kommst«, tadelte sie ihn leise und zeichnete mit den Fingern eine Spur an seinem Arm hinauf.

Anders als sonst löste ihre Berührung diesmal keine Flut des Verlangens aus. In diesem Augenblick wusste Thomas, was er zu tun hatte, auch wenn es keine erfreuliche Aussicht war.

Er fasste sie bei der Hand und zog sie auf das geblümte Sofa. »Wir müssen reden.«

Grace gehorchte, ohne Einwände zu erheben. Zwar versuchte sie ihren Körper in eine verführerische Position zu bringen, doch in ihren haselnussbraunen Augen malte sich ein Hauch Unbehaglichkeit ab. »Du willst reden? Bevor wir uns ins Schlafzimmer zurückziehen?« Wieder wirkte ihr Lächeln gekünstelt.

»Ich bin nicht deshalb zu dir gekommen. Ich bin hier, um dir zu sagen, dass ich unser Arrangement beenden möchte«, erklärte er nüchtern, hielt ihre Hand aber immer noch in seiner.

Die heftige Ohrfeige erwischte ihn unversehens und hinterließ einen stechenden Schmerz auf seiner linken Wange. Das war der Moment, in dem er sich wünschte, er hätte beide ihrer Hände genommen und nicht bloß eine.

»Du verfluchter Dreckskerl.« Unbändige Wut verzerrte ihre Gesichtszüge, die er bislang immer recht anmutig fand, und verwandelte sie zu einer bizarren Maske. Ihre Augen wirkten wie die eines gereizten Raubtiers, und aus ihrem Mund klang ein Zischen wie von einer Schlange. Und dann sprang sie auf und traktierte ihn mit Schlägen.

Thomas schoss ebenfalls hoch, um sie abzuwehren, hielt ihre Hände fest. »Um Himmels willen, Grace, reiß dich doch zusammen«, sagte er und umklammerte ihre Handgelenke, während sie vergeblich versuchte, sich zu befreien.

»Ein Jahr lang habe ich mich für dich aufgespart! Zwölf Monate, in denen ich jeden Gentleman in ganz London hätte haben können. Du solltest wissen, dass sie alle nur mich wollten. Hast du überhaupt eine Ahnung, wie viele Männer es waren, die mir ihren Schutz anboten? Männer, die ich deinetwegen abwies. In den letzten drei Monaten konntest du es doch kaum erwarten, zu mir zu kommen.«

Plötzlich und unerwartet hörte sie mit ihren Attacken auf. Ihr Körper wurde schlaff, und sie sank auf das Sofa zurück. Thomas ließ sie los und brachte sich schnell auf der anderen Seite des Tisches in Sicherheit, außerhalb der Reichweite ihrer Arme.

Ein heftiges Zittern lief durch ihren Körper, bevor sie das Gesicht mit den Händen bedeckte und laut zu schluchzen begann.

Thomas konnte wirklich alles ertragen, nur keine weinende Frau, die sich am Rande der Verzweiflung befand. Es lag mindestens drei Jahre zurück, dass er eine solche Szene zuletzt erdulden musste. Dass Grace normalerweise nicht zu jenen weiblichen Wesen gehörte, die zu Tränenausbrüchen neigten, hatte bei seiner Entscheidung, sie als Geliebte zu wählen, den Ausschlag gegeben. Wenn es um sie selbst ging, legte sie in der Regel eine Gelassenheit an den Tag, die er nur bewundern konnte. Aber genau das verlangte er auch von einer Geliebten. Da wollte er vor hysterischen Ausbrüchen sicher sein, nur zuverlässig seine sexuellen Bedürfnisse erfüllt bekommen. Darüber hinaus spielte Grace ihre Rolle, falls er gelegentlich eine Begleitung wünschte, geradezu vorbildlich. So weit war mit ihr alles in Ordnung gewesen, doch nun das. Allerdings beschwerte sie sich seit geraumer Zeit darüber, dass er sie nicht mehr so häufig aufsuchte wie am Anfang. Das war, als Thomas zu spüren begann, dass dieses Arrangement nicht von Dauer sein konnte und sollte. Dass das Ende indes so schnell kam, überraschte selbst ihn.

»Du hast doch von Anfang an gewusst, dass solche Vereinbarungen wie unsere nur vorübergehend sind«, sagte er und bewegte unruhig die Füße. Er sah, wie ihr Brustkorb sich unter tiefen, zittrigen Atemzügen hob und senkte.

Plötzlich riss sie den Kopf hoch, nahm die Hände vom Gesicht, gab den Blick auf die verweinten Augen und die tränenverschmierten, fleckigen Wangen frei. »Es ist diese Frau, nicht wahr? Sie hat verlangt, dass du mich aufgibst, stimmt’s?«

Amelia, soThomas’ erster Gedanke. Wie hatte Grace nur von ihr erfahren können? »Welche Frau?«, fragte er scharf zurück.

»Diese verdammte Herzogin, die Duchess of Bedford. Die vor drei Wochen hier war. Oh, erst wollte sie gleich wieder gehen, als sei sie versehentlich im falschen Haus gelandet. Sagte, dass sie geglaubt hätte, eine gewisse Mrs. Franklin würde hier wohnen. Aber selbst als ich ihr erklärte, dass hier keine Mrs. Franklin wohnt, ist sie nicht gegangen. Sie fing an, mich über dich auszufragen. Ob wir miteinander bekannt seien? Und dann erzählte sie mir, wie nahe ihr euch früher standet.« Grace hielt inne, um sich die Tränen von den Wangen zu wischen. »Ich bin nicht dumm. Ich weiß doch genau, warum sie hergekommen ist.«

Thomas war wie vom Donner gerührt, ließ sich seine Bestürzung jedoch nicht anmerken: »Ich stehe in keiner Beziehung zu Lady Bedford. Und ich verspüre auch keinerlei Wunsch danach.« Niemals wieder.

»Du lügst«, warf sie ihm verbittert vor.

»Warum um Himmels willen sollte ich dich anlügen? Wir sind nicht verheiratet. Ich habe keinen Grund, etwas vor dir zu verbergen.« Die Briefe selbst waren schon eine Frechheit, im Vergleich zu dieser Geschichte jedoch bloß ein kleines Ärgernis. Wie konnte die Dame nur eine solche Unverfrorenheit an den Tag legen und bei seiner Geliebten aufkreuzen. Eine Sache, der er unverzüglich einen Riegel vorschieben musste.

»Du hast dich mit ihr nicht meinetwegen gestritten?«, fragte sie immer noch ungläubig.

»Seit über sieben Jahren schon unterhalte ich keinerlei Verbindung mehr zu der Frau. Und überhaupt, ich war fast noch ein grüner Junge, als wir uns kennenlernten.«

Ein schwaches Hoffnungsfünkchen flammte in ihren immer noch feuchten Augen auf. »Aber warum dann …«

»Das ändert allerdings nichts zwischen uns.« Er stieß einen langen, erschöpften Seufzer aus. »Grace, ich habe dir niemals irgendwelche Versprechungen gemacht. Du benimmst dich, als hätte ich dir mehr in Aussicht gestellt, als ich dir geboten habe. Das stimmt nicht.«

»Ja, du gehörst zu den Leuten, die sich nur mal kurz jucken wollen, wenn sie der Hafer sticht«, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme.

»Dazu ist eine Geliebte schließlich da.« Eigentlich wollte Thomas nicht kaltherzig sein, aber sie ließ ihm keine andere Wahl.

»Ich habe mich in dich verliebt.« Langsam erhob sie sich, wischte sich die Tränen weg, die ihr immer noch über die Wangen rollten.

Thomas schloss kurz die Augen. Genau das hatte er befürchtet. Sie bildete sich ein, in ihn verliebt zu sein. Nun gut, das würde vergehen, und in ein paar Monaten war sie bestimmt in den Nächsten verliebt. Oder behauptete es zumindest.

Diese Neigung, sich gefühlsmäßig zu verstricken, war bei allen anderen Vorzügen Graces großer Nachteil, wie er zu spät erkannte. Seit ein paar Monaten erst war ihm diese Idee gekommen. Grace wollte keinen reichen Beschützer, sondern einen Ehemann, und deshalb könnte sie nie eine ideale Geliebte sein. Wenn er es doch vorausgesehen hätte, dachte er jetzt mit tiefem Bedauern. Schließlich lag es nicht in seiner Absicht, ihr das Herz zu brechen.

»Es tut mir leid, das zu hören.« Mehr fiel ihm dazu nicht ein.

Anstatt erneut in Tränen auszubrechen, riss sie sich zusammen und warf ihm einen verbitterten Blick zu.

»Du bist sogar noch herzloser, als man dir nachsagt. Gibt es denn rein gar nichts, was dich irgendwie berührt? Existiert außer deiner kostbaren Mutter und deinen Schwestern keine einzige Frau in deinem Leben, die dir so wichtig ist, dass du irgendetwas für sie empfindest?«

Amelias Bild drängte sich mit Macht in seine Gedanken. Wie es in letzter Zeit viel zu oft geschah. Entschlossen schob er es beiseite. »Ich werde dafür sorgen, dass genügend Geld auf deinem Konto ist, bis du ein anderes Arrangement triffst. Drei Monate sollten reichen.« Ja, drei Monate waren mehr als genug, denn in zwei Wochen spätestens würde der Earl of Chesterfield sie mit Beschlag belegen. Der Mann wartete schon ungeduldig darauf, dass Thomas ihrer überdrüssig wurde. Hatte Grace ihm jedenfalls bei mehr als einer Gelegenheit erklärt.

»Behalt dein verdammtes Geld.«

Er konnte förmlich sehen, wie sie seinen Scheck in Stücke reißen und mit den rosettenverzierten Slippern zertreten würde. Um später, sobald er das Haus verlassen hatte, auf den Knien herumzurutschen und verzweifelt jeden Schnipsel einzusammeln. Stolz und Wut mochten ja ganz schön und wirksam sein, doch am Ende obsiegte die praktische Ader, da war er sich sicher.

»Ich überweise es auf dein Konto. Mach damit, was du willst.« Bis das Geld eingegangen war, würde ihr Temperament sich abgekühlt haben.

Zum letzten Mal verließ Thomas ihre Wohnung. Warum nur machten Frauen immer mehr Ärger, als sie einbrachten, fragte er sich grimmig.

Anstatt an diesem Abend in seidigen Laken zu wühlen, saß Thomas in der kleinen Bibliothek in der Residenz der Cartwrights in der John’s Street. Die Männer hielten jeder ein Glas Portwein in der Hand und hatten es sich in den burgunderfarbenen Brokatsesseln vor dem Marmorkamin bequem gemacht.

»Sie hat mich angesprungen wie eine Katze.« Thomas warf seinem Freund einen vielsagenden Blick zu. Die ganze Sache hatte ihn doch ziemlich mitgenommen. »Noch morgen wird man die Striemen auf der Wange sehen.«

»Wer zum Teufel hat dir denn geraten, das persönlich zu erledigen?«, schimpfte Cartwright und stützte sich mit den bestrumpften Füßen gegen die Polster der Ottomane. »Ein paar Blumen und eine Nachricht hätten ausgereicht. Oder vielleicht irgendein billiges Schmuckstück.«

»Ja, verdammt noch mal, als ich mein Haus verließ, hatte ich noch gar nicht die Absicht, der Sache ein Ende zu bereiten.«

Verwundert zog Cartwright eine Augenbraue hoch und trank noch einen Schluck Port. »Wie darf ich das verstehen?« Er stellte das Glas auf dem Rotholztisch neben seinem Sessel ab.

Ja, warum hatte er es getan? Seit er Graces Wohnung verlassen hatte, zerbrach Thomas sich darüber den Kopf. Hilflos zuckte er die Schultern. »Ich weiß nicht. Vermutlich weil sie anfing mich zu langweilen. Und weil sie zu besitzergreifend wurde. Zu viel von meiner Zeit beanspruchte.«

»Ja, das kommt vor. Aber in deinem Fall passierte es früher als gewöhnlich. Wie lange warst du mit ihr zusammen? Ein halbes Jahr? Ein ganzes?«

»Welche Rolle spielt das? Mit ihr ist es aus und vorbei. Mein dringlichstes Problem heißt momentan Louisa.«

»Was hat unsere blonde Duchess denn jetzt schon wieder angerichtet?«, fragte Cartwright trocken. Seine grauen Augen leuchteten interessiert.

Thomas berichtete kurz von ihrem Besuch bei Grace.

»Es ist wirklich unsäglich dreist, dass sie bei deiner Geliebten vorbeischaut, noch dazu in deren eigenen vier Wänden. Dabei ist ihr Ehemann nicht einmal drei Monate fort. Ts, ts«, machte Cartwright, »die letzten Monate haben sie verändert. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie sich damals, als wir sie kennenlernten, so unverschämt verhalten hat. Andererseits, da war dieser Vorfall mit Rutherford …«

Ja, diesen Vorfall gab es.

Thomas war damals noch ein dummer und naiver Junge, und als Louisa ihm erklärte, dass sie ihn liebe und heiraten wolle, auch wenn er keinen Schilling besäße, da glaubte er ihr. In jener Zeit befand sich das armstrongsche Vermögen in einem desolaten Zustand.

Er fühlte sich wie berauscht von ihrer blonden Schönheit und koketten Unschuld, bis der blendende Schein löchrig wurde. Auf einem Ball, zu dem er eigentlich nicht hatte gehen wollen, ertappte er sie in engster Umarmung mit seinem Freund Rutherford. Zutiefst schockiert versteckte er sich hinter einer Hecke im Garten, um zu beobachten, wie weit sie es wohl treiben wollte.

Trotz der Tatsache, dass Rutherford sanft, aber bestimmt ihre Hände von seinem Nacken gelöst und den Schauplatz kurz darauf verlassen hatte, hinterließ der Vorfall Spuren. Am Tag darauf konfrontierte er Rutherford mit der Sache, doch bevor er auch sie zur Rede stellen konnte, war sie bereits mit dem Duke of Bedford verlobt.

Für Thomas ein Signal, der Wahrheit ins Auge zu blicken. Er, der junge, mittellose Viscount – der nichts besaß außer seinem Namen und sich überdies um Mutter und Schwestern kümmern musste –, war nichts als ein kleiner Zeitvertreib für die schöne Louisa gewesen, die ihr Augenmerk bereits auf eine weit lohnendere Beute gerichtet hatte. Thomas’ Gefühle interessierten sie nicht.

»Und was willst du jetzt tun?«, fuhr Cartwright fort.

»Nun, ich muss mit dem verdammten Weib reden, findest du nicht? Sie lässt mir keine andere Wahl, und ich bin überzeugt, dass sie auch nichts anderes im Schilde führt.« Thomas senkte den Kopf und fuhr sich mit der Hand erschöpft über das Gesicht.

»Dann solltest du mich zu Lady Forshams Ball begleiten. Aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen habe ich erfahren, dass Ihre Hoheit so gnädig ist, sich dort blicken zu lassen.«

Thomas schaute seinen Freund zweifelnd an. »Du erwartest doch nicht, dass ich sie auf dem Ball zur Rede stelle? Ich habe keine Lust, wieder als Futter für diese verdammten Klatschmagazine zu dienen.«

»Möchtest du lieber zu ihr nach Hause gehen? Oder noch schlimmer, sie bei dir empfangen? Ich würde dir raten, nicht mit ihr ohne die Gegenwart Dritter zu sprechen, aus welchem Grund auch immer.«

Cartwright sprach einen wichtigen Punkt an: dass er um jeden Preis ein Alleinsein mit ihr vermeiden musste. Es konnte nichts Gutes aus der Sache erwachsen. Und je länger er über den Vorschlag mit dem Ball nachdachte, desto besser klang er in seinen Ohren. Louisa achtete viel zu sehr auf ihre Stellung in der Gesellschaft, um ihm vor der versammelten Öffentlichkeit eine Szene zu machen.

»Ja, sehr gut. Ich gehe hin. Aber du kannst nicht erwarten, dass ich den ganzen Abend über dortbleibe. So amüsant ich Bälle gelegentlich finde, ich habe noch andere Pflichten, denen ich mich widmen muss. Da ich bislang keine Anstandsdame für Amelia finden konnte, war ich gezwungen, sie mit in die Stadt zu nehmen, und ich traue mich kaum, sie länger aus den Augen zu lassen. Ich bin mir einigermaßen sicher, dass Amelia versuchen wird, mit Clayborough in Verbindung zu treten. Camille wird sicherlich ihr Möglichstes tun, doch ich möchte nichts dem Zufall überlassen.«

Cartwright war sichtlich belustigt. »Noch nie habe ich einen so nahtlosen Übergang von einer schwierigen Frau zur nächsten erlebt. Sag mal ehrlich, Miss Foxworth als Anstandsdame für Lady Amelia? Bist du irgendwie weich im Hirn geworden? Wenn es wirklich so schlecht um die Dinge steht, könnte ich dir vielleicht helfen. Ich hätte nichts dagegen, sie an deiner Stelle zu bewachen.« Die grauen Augen des Freundes funkelten verständnisvoll, und um seine Mundwinkel zuckte es.

Zwar fand Thomas seine Anspielung überhaupt nicht lustig, zwang sich aber zu einem halbherzigen Lächeln. »Danke, aber ich glaube, ich komme zurecht.«

Cartwright neigte den Kopf und musterte ihn eindringlich. »Und damit meinst du was?«

Thomas gab seine lässige Haltung auf und setzte sich gerade in den Sessel. »Was zum Teufel soll ich damit schon meinen?«

Zum Zeichen der Ergebung hob Cartwright spöttisch die Hand. »Mein Lieber, es ist nicht nötig, dass du dich wegen einer einfachen Frage so aufregst«, wehrte er lachend ab. »Zuletzt habe ich gehört, dass du die … äh … wohlverdiente Strafe für die unverschämte Lady Amelia selbst in die Hand nehmen willst. Immerhin hat sie deine Liebeskünste öffentlich angezweifelt. Ich bin nur neugierig, wie sich diese Sache entwickelt.«

Angesichts seiner übertriebenen Reaktion auf Cartwrights Gespött konnte Thomas sich blendend vorstellen, was seinem Freund durch den Kopf ging. Er zwang sich zu einem leisen Lachen, lehnte sich entspannt in seinem Sessel zurück und lächelte Cartwright an, bevor er einen großen Schluck Port nahm.

Thomas stellte das Glas ab. »Ich habe feststellen müssen, dass sie den ganzen Ärger nicht lohnt.«

Cartwright stieß ein spöttisches Gelächter aus. Seine Augen funkelten vor Vergnügen. »Steht es wirklich so schlimm um dich? Nun, ich bin mir sicher, dass es eine Anzahl Ladys in den besten Jahren für das gibt, was du mit Lady Amelia im Sinn hattest. Was auch immer es gewesen sein mag. Und wenn du nach einer Geliebten suchst, die nicht zu anhänglich wird, würde jemand wie Lady Amelia bewundernswert gut zu dir passen.«

Eine verräterische Wärme stieg Thomas ins Gesicht. Vorsichtshalber zog er eine grimmige Miene und hoffte, dass Cartwright die Röte für einen Ausdruck von Ärger und nicht von Verlegenheit halten würde. »Von Frauen, mit denen ich ins Bett gehe, verlange ich nur eines: dass sie mich nicht verabscheuen. Und es wäre überdies ganz nett, wenn sie mir ein wenig gefallen würden.«

Cartwright stand auf, um sich noch einen Port einzuschenken. Schweigend schwenkte er die Kristallkaraffe zu seinem Freund hinüber, doch Thomas lehnte kopfschüttelnd ab.

»Wann kehrst du nach Devon zurück?«, fragte Cartwright ihn.

»Sonntag.«

»Perfekt. Ich muss irgendwo hingehen können, solange der Duke sich in der Stadt aufhält. Falls ich bleibe, erwartet er, dass ich mich mit ihm treffe. Aber ich verbringe meine Zeit lieber im Gefängnis von Newgate, als meinen Vater zu sehen.«

Normalerweise störte es Thomas nicht im Geringsten, wenn sein Freund zu ihm nach Stoneridge Hall kam. Schließlich war er seit seiner Jugend häufig dort zu Gast gewesen. Aber diesmal? Es fühlte sich einfach nicht richtig an. Warum konnte er dem Duke nicht aus dem Weg gehen, ohne die Stadt zu verlassen? Gütiger Himmel, sein Freund tat so, als sei London nicht groß genug für zwei Männer aus dem Hause Cartwright.

»Es ist doch in Ordnung, oder?«, fragte Cartwright nach, als Thomas schwieg.

Thomas nickte. »Ja, selbstverständlich, alles in Ordnung.« Und doch: Irgendetwas in seinem Innern widersprach dieser Behauptung, und zwar laut und deutlich.

»Wunderbar. Das wird mir zugleich die Gelegenheit verschaffen, Lady Amelia besser kennenzulernen. Wir sind uns nur ein paarmal begegnet und haben kaum mehr als eine höfliche Begrüßung gewechselt.« Cartwright wartete sichtlich gespannt, wie sein Freund reagieren würde.

Tausend Worte des Protests schossen Thomas durch den Kopf, aber er brachte kein einziges davon über die Lippen. »Ich bin mir sicher, dass sie über deine Begleitung höchst entzückt sein wird«, sagte er stattdessen.

Wenn er es genau bedachte, war es jetzt höchste Zeit für einen zweiten Drink.