20
Amelias Fieber hielt nur vierundzwanzig Stunden an. Aber trotz der kurzen Krankheitsdauer bestand Thomas darauf, dass sie das Bett hütete, bis sie sich voll und ganz erholt hatte. Und wann das sein würde, diese Entscheidung behielt er sich vor. Sie konnte jammern, so viel sie wollte – an seiner Auffassung änderte sich nichts.
Immerhin sorgte er dafür, dass es ihr an nichts fehlte. Zusätzlich zu ihrer Zofe, die sie sowieso hingebungsvoll pflegte, stellte Thomas zwei Diener ab, die nichts anderes zu tun hatten, als ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen und für ihre Bequemlichkeit zu sorgen. Er selbst machte es sich zur Pflicht, zweimal täglich nach ihr zu sehen, beschränkte seine Besuche jedoch auf die Zeiten, in denen sie schlief.
Am dritten Tag erteilte er ihr endlich die Erlaubnis, das Bett zu verlassen und am Dinner teilzunehmen. Ansonsten sollte sie weitgehend in ihrem Zimmer bleiben. Sie sah zauberhaft aus, als sie am Abend in ihrem lavendelfarbenen Kleid erschien, das die darunter verborgenen Reize sehr wohl erahnen ließ. Es kostete Thomas gewaltige Überwindung, nicht zu ihr zu gehen und sie zu berühren, doch zumindest in Gedanken zog er sie aus bis auf die Haut.
Auch Cartwright war anwesend, obwohl er eigentlich am Vortag hatte abreisen wollen. Doch jetzt blieb er, um sich selbst zu überzeugen, dass es Amelia wieder besser ging. Er strahlte, als sie bei Tisch erschien, sehr zum Ärger seines sichtlich eifersüchtigen Freundes und Gastgebers.
»Guten Abend, Miss Foxworth. Mylords. Ich hoffe, Sie verzeihen mir die Verspätung.« Amelia lächelte herzlich.
Cartwright erhob sich hastig, Thomas tat es ihm nach, allerdings etwas verspätet. Zu sehr schlug ihn ihr innerliches Strahlen an diesem Abend in den Bann.
Sie lachte hell. »O bitte, meine Herren, meinetwegen müssen Sie sich nicht so förmlich benehmen.« Ein Lakai folgte ihr pflichtbewusst an den Tisch, um für sie den freien Stuhl neben Cartwright zurechtzurücken.
»Schön, dass Sie herunterkommen konnten«, sagte Thomas und fragte sich, ob er vielleicht darauf bestehen sollte, dass Amelia und Cartwright die Plätze tauschten, damit sie neben ihm saß.
»Es geht mir wunderbar, wie ich Ihnen heute Morgen erklärt habe. Wenn Sie nicht so übervorsichtig gewesen wären, hätte ich schon gestern wieder auf den Beinen sein können.« Sie warf ihm einen spöttischen Blick zu.
»Ich bin sehr erleichtert, dass Sie so frisch aussehen«, warf Camille lächelnd ein.
Amelia erwiderte das Lächeln, und es lag nichts anderes darin als Freundlichkeit ohne jede Spur von Spott oder Überheblichkeit. In Thomas’ Lenden begann es schmerzhaft und lustvoll zu pulsieren.
»Ich würde sagen, Lady Amelia, dass Sie umwerfend aussehen. Wie der Inbegriff von Blüte, Schönheit und Gesundheit.«
Thomas warf seinem Freund einen vernichtenden Blick zu. Umwerfend? Blüte, Schönheit und Gesundheit? Lieber Himmel, mit ein bisschen mehr Honig hätte er sämtliche Mäuler in ganz London einschmieren können. Wie nah waren sich die beiden eigentlich schon gekommen? Jedenfalls spielte Cartwright sich eindeutig als ihr Beschützer auf, und, wer weiß, vielleicht beabsichtigte er auch mehr. Allein der Gedanke daran regte Thomas über die Maßen auf.
Amelia stieß ein kleines, amüsiertes Lachen aus. »Wirklich, Lord Alex, Sie dichten mir bewundernswerte Eigenschaften an, die ich nicht verdient habe.«
Thomas’ Blick ruhte auf ihr. Du liebe Güte, war es jetzt etwa so weit, dass sie auf dieses süße Getue hereinfiel? »Ja, mein Freund, findest du nicht selbst, dass du ein wenig zu dick aufgetragen hast?«, schlug Thomas sarkastisch in die gleiche Kerbe.
Cartwright lachte nur. »Ich bin ein zweitgeborener Sohn. Da muss man sehen, wo man bleibt.«
Amelia senkte den Kopf, um ihr Grinsen zu verbergen. Alex Cartwright war wirklich unsäglich witzig und charmant, was man von Thomas hingegen momentan nicht behaupten konnte. Sein Gesicht wirkte irgendwie maskenhaft, und er schien entschlossen, jede Freundlichkeit vonseiten des anderen abzuwürgen oder sie erfrieren zu lassen wie Pflanzen beim ersten Frost. War das vielleicht ein Zeichen von Eifersucht, oder bildete sie sich das nur ein? Es konnte auch andere Gründe für seine mürrische Laune geben, nämlich dass er sie für seinen besten Freund nicht gut genug fand.
Trotzdem. Sie konnte sich nicht alles einbilden. Nicht die nächtliche Wache an ihrem Bett, denn noch am nächsten Morgen hing der Duft nach Bergamotte in ihrem Zimmer, und auch nicht seine rührende Fürsorge. Irgendetwas in ihrem Innern war geschmolzen, als ihr das bewusst wurde, und führte dazu, ihre Meinung über ihn zu revidieren. Vor allem wollte sie ihn nicht mehr mit ihrem Vater vergleichen, der sie damals krank und einsam zurückgelassen hatte.
Ja, vielleicht war er tatsächlich eifersüchtig. Und das bedeutete, dass sie ihm ein kleines bisschen wichtiger war, als es ein reines Objekt seiner Begierden sein würde.
Während Thomas und sie schwiegen, erkundigte Cartwright sich höflich nach Camille Foxworths Plänen für Weihnachten, denn schließlich waren es nur noch vier Wochen bis zum Fest.
»Heute habe ich einen Brief von meinem Bruder bekommen. Er hofft, dieses Jahr an Weihnachten nach Hause zu kommen«, erklärte Camille.
»Foxworth kommt endlich nach Hause? Das ist doch bestimmt ein Grund, dieses Jahr zu feiern, nicht wahr, Armstrong?«, sagte Alex, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder der Anstandsdame zuwandte. »Ich kann mir bestens vorstellen, wie sehr Sie sich freuen.«
Camilles Wangen erröteten, als sie zustimmend den Kopf senkte. Sehnsucht flammte in ihren Augen auf. »Zwei Jahre sind vergangen, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Bestimmt hat er sich sehr verändert, aber Hauptsache, er kommt gesund und unverletzt nach Hause. Das ist mein innigstes Gebet.« Dann richtete sie den Blick auf das ausdruckslose Gesicht von Thomas. »Ich darf doch hoffen, dass ich an Weihnachten ein paar freie Tage bekomme?«
Thomas zuckte zusammen, als hätte ihre Frage ihn aus einer tiefen Grübelei gerissen. »Verzeihung, ich fürchte, in Gedanken war ich mit Geschäftsangelegenheiten beschäftigt. Wann wird Foxworth daheim erwartet?«
»Er rechnet damit, drei Tage vor Weihnachten wieder englischen Boden betreten zu können. Es würde genügen, wenn ich drei oder vier Tage …«
»Drei oder vier Tage? Kommt nicht infrage. Camille, Marcus wird erwarten, dass du die ganze Zeit bei ihm bleibst. Wie lange wird er sich in London aufhalten?«
»Für zwei Monate, hat er geschrieben. Das hofft er jedenfalls.« Camille drehte sich zu Amelia um. »Außer Marcus habe ich keine Familie mehr.«
»Oh, Sie müssen sich mir gegenüber nicht erklären. Ich glaube, es ist wunderbar, dass er eine so hingebungsvolle Schwester hat.« Sie erinnerte sich nur zu gut, wie sehr sie sich als Kind einen Bruder oder eine Schwester gewünscht hatte.
»Missy hat uns eingeladen, Weihnachten mit ihr und ihrer Familie zu verbringen. Aber ich verstehe natürlich, dass du lieber das Fest bei deinem Bruder verbringst.«
Amelia schaute Thomas mit großen Augen an. Sie würden Weihnachten bei seiner Schwester verbringen? Warum erfuhr sie das erst jetzt?
»Oh, das ist ja wundervoll. Natürlich kann ich mich um eine Stellvertreterin während meiner Abwesenheit kümmern. Wenn Sie sich allerdings alle bei Lady und Lord Windmere in Berkshire aufhalten …« Camille Foxworth brach ab.
»Meine Mutter und meine Schwestern wollen an Neujahr aus New York zurückkehren. Du musst dich also nicht beeilen. Verbring so viel Zeit bei Marcus, wie du möchtest.«
»Danke, Thomas. Ja, dann fügt sich ja alles großartig.« Miss Foxworth schlug die Augen nieder, allerdings erst nachdem Amelia ein schwaches, sehnsüchtiges Glimmen darin bemerkt hatte. Ihre brave Anstandsdame wollte gar nicht so lange wegbleiben. Hatte sie sich vielleicht in Thomas verguckt? Wirklich lächerlich, denn der hatte sie bestenfalls brüderlich behandelt. Trotzdem empfand sie eine Anwandlung von Eifersucht und konnte es kaum erwarten, dass Camille endlich abreiste.
Um die dummen Gedanken abzuschütteln, wandte sie sich an Alex Cartwright. »Verraten Sie mir doch, wie Sie Weihnachten feiern werden?«
Er zuckte lässig mit den Schultern. »Ich bin mir noch nicht ganz sicher. Vielleicht nehme ich ebenfalls die Einladung von Missy an.«
»Meine Schwester hat dich eingeladen?« Sofort bedauerte Thomas die Schärfe in seinen Worten.
»Um aufrichtig zu sein, Rutherford war es, als er sich wegen irgendwelcher Parlamentsangelegenheiten in der Stadt aufhielt.«
Normalerweise hätte Thomas die Gesellschaft seines Freundes während des Aufenthalts auf Rutherford Manor sehr begrüßt. Alex Cartwright gehörte praktisch zur Familie, denn schließlich waren sie sich schon als Schuljungen in Eton begegnet und hatten viele Fest- und Feiertage gemeinsam verbracht.
Aber diesmal war es anders. In diesem Jahr würde Amelia dabei sein, und der Gedanke, dass Cartwright und sie die Möglichkeit hatten … Es war albern, und doch wurmte es ihn mehr, als es eigentlich sollte. Thomas nickte nur kurz.
Cartwright lachte trocken. »Du siehst nicht gerade erfreut aus. Bin ich nicht länger willkommen?« Er legte den Löffel ab und schob den Suppenteller ein Stück vor, um anzudeuten, dass er den Gang beendet hatte.
»Doch, natürlich.« Thomas war wütend, weil sein Missfallen so deutlich zu erkennen war. Amelia machte ihn noch ganz verrückt, raubte ihm schier den Verstand. Und jetzt drängte sie sich auch noch zwischen ihn und Cartwright, das war wirklich die Krönung ihrer zwanzig Jahre andauernden Freundschaft. »Ich bin nur überrascht, weil du gesagt hast, dass dein Vater dich dieses Jahr über die Feiertage zu Hause sehen will.« Wenn der Duke of Hastings seinen Sohn zu sich rief, gehorchte Alex gewöhnlich, wenngleich nur zögernd, was an dem gespannten Verhältnis zum Vater lag.
Die grauen Augen seines Freundes wurden kühl, als Thomas seinen Vater erwähnte. »Ja, nun, wie du weißt, verspüre ich nicht unbedingt den Wunsch, ihn zu sehen. Weder jetzt noch während der Feiertage«, äußerte er knapp.
Thomas wechselte rasch das Thema. Der Duke war der einzige Mensch, der den ausgeglichenen Cartwright in schlechte Stimmung versetzen konnte. So ging das schon seit mindestens zehn Jahren, doch Thomas hatte gelernt, nicht nach den Gründen zu fragen.
»Spielen Sie Karten?«, fragte Amelia.
Cartwrights Miene entspannte sich sofort. »Nicht um Geld, aber ich habe eine Schwäche für Blackjack. Und bin dafür bekannt, dass ich es auch mal mit Whist probiere.«
Thomas gefiel weder die Richtung des Gesprächs noch Alex’ plötzlich gelöste Miene. »Meinen Sie nicht, es wäre besser, wenn Sie sich ein wenig ausruhen würden? Sie sind schließlich gerade erst einigermaßen wieder auf dem Posten«, gab Thomas zu bedenken.
»Lord Armstrong, ich kann mir nicht vorstellen, dass ein harmloses Kartenspiel meine Gesundheit gefährdet«, erwiderte Amelia lachend.
»Trotzdem ist es besser, auf Nummer sicher zu gehen. Und ich bin überzeugt, dass Cartwright in keiner Weise der Grund dafür sein will, dass Ihr Zustand sich verschlechtert.«
Cartwright schaute ihn an, als wolle er ihn zum Duell fordern oder ihn zumindest auf die Lächerlichkeit seiner Worte hinweisen. Doch er lenkte ein und wandte sich wieder Amelia zu. »Ja, mir ist auch zu Ohren gekommen, dass Gesellschaftsspiele gefährliche Krankheiten hervorrufen können. Ich möchte keinesfalls, dass Sie einer solchen zum Opfer fallen.«
Cartwrights Spott war unverhohlen und unüberhörbar. Jeder am Tisch merkte, was hier vor sich ging. Glücklicherweise gab es jedoch keine taktlosen Kommentare.
»Nun, wenn die Herren meinen, ich sei zu zerbrechlich für ein Kartenspiel, dann sollte ich wohl besser ins Bett gehen. Ich fühle mich wirklich plötzlich ziemlich erschöpft.« Cartwright wollte aufstehen, aber Amelia hinderte ihn daran. »Oh, bitte bleiben Sie sitzen.«
Ein Lakai tauchte auf, um ihren Stuhl zurückzuziehen, während Thomas das Ganze missmutig beobachtete. Eigentlich hatte er keineswegs die Absicht gehabt, sie so früh zu Bett zu schicken und sich ihrer Gesellschaft zu berauben. Stumm saß er am Tisch, als sie ihre Samtröcke ordnete, und gab sich alle Mühe, den Gedanken daran zu verscheuchen, wie diese schmalen Hände sich zärtlich um ihn schlossen und über die nackte Haut seiner harten Muskeln glitten.
»Wir sehen uns morgen früh.« Ihr Blick suchte den seinen. »Das heißt natürlich, falls sich mein Zustand nicht verschlechtert hat.« In ihren saphirblauen Augen blitzte es spöttisch, in den Mundwinkeln zuckte ein Lächeln, das Thomas erst ins Herz und dann auf direktem Weg in den Unterleib fuhr.
Nachdem Amelia den Speisesaal verlassen hatte, flog sie förmlich die Treppe hinauf. Natürlich hatte sie nicht mit Cartwright Karten spielen wollen. Nein, es ging nur darum, Thomas zu provozieren, ihn zu einer Reaktion zu zwingen. Wer hätte jemals geahnt, dass sie zu den Frauen gehören könnte, die solche Eifersuchtsspielchen betrieben. Am allerwenigsten sie selbst. Und noch weniger hätte sie geglaubt, dass sie sich, als die Inszenierung wie gewünscht verlief, benommener und wackliger auf den Beinen fühlte als bei dem Fieber vor ein paar Tagen.
Es war fast schon eine Frage des Überlebens gewesen, den Speisesaal zu verlassen, um sich nur ja nichts anmerken zu lassen. Er mochte sie, und deshalb war er auf seinen Freund eifersüchtig. Mochte sie sogar so sehr, dass er nachts an ihrem Bett saß. Punktum, das war alles, was in diesem Moment zählte. Gleich morgen, beschloss sie, würden sie mit ihrer Beziehung noch einmal ganz von vorne anfangen.
Amelia schwebte wie auf einer Wolke, als sie auf dem Weg zu ihrem Zimmer unverkennbar die Laute einer Katze hörte. Sie drehte sich in die Richtung, aus der das klagende Miau kam, und sah ein Fellknäuel in den gegenüberliegenden Flügel des Hauses flitzen.
Innerhalb der Mauern von Stoneridge Hall lebten keine Tiere, da war sie sich ganz sicher. Bestimmt ein Streuner, der vor der Kälte Schutz suchte. Die arme Katze musste sehr hungrig sein. Amelia machte sich auf, sie zu suchen, und drang immer weiter in bisher unbekannte Winkel vor.
Sie lockte und flüsterte »Komm, Kittykitty, komm«, und fand das Tier zusammengekauert unter einem Tisch mit einem schweren Sockel. Erst jetzt entdeckte sie, dass es sich nicht um eine ausgewachsene Katze, sondern um ein kleines, verängstigtes Kätzchen handelte, dessen Fell so hellbraun war wie das eines Kamels. Nicht lange und Amelia lag auf den Knien und streckte den rechten Arm aus, um das scheue Tier mit leiser und schmeichlerischer Stimme anzulocken. Als sie das flauschige Fell mit den Fingerspitzen berührte, schoss das Kätzchen unter dem Tisch hervor und rannte zur nächsten offenen Tür.
Seufzend richtete Amelia sich auf und eilte dem Flüchtling nach. Auf der Türschwelle zögerte sie, hörte dann aber das Miauen. Ich brauche ja nicht lange, überlegte sie; außerdem waren Miss Foxworth und die Männer unten beschäftigt und keiner der Bediensteten in der Nähe.
Amelia schob ihre Bedenken beiseite, atmete tief durch und betrat das Zimmer. Abgesehen von dem lodernden Feuer im Kamin war es in graue Schatten gehüllt. Ihre Augen brauchten mehrere Sekunden, um sich an die Dämmerung zu gewöhnen. Es war ein großes Zimmer, und sie erschrak, als sie merkte, wo sie sich befand: in Thomas’ Schlafzimmer. Sie konnte nicht umhin festzustellen, dass diese Situation nicht ohne Komik, wenn nicht gar makaber war. Trotzdem machte sie nicht kehrt, sondern drang weiter in den Raum vor.
Amelia betrachtete das mächtige, dunkle Mobiliar, besonders das riesige Bett mit den vier Pfosten. Die Einrichtung war schlicht und schmucklos gehalten; es gab keine weichen Konturen, Verzierungen oder Schnörkel. Nichts als poliertes Mahagoni und eine dunkelgrüne Decke auf dem Bett.
Aus den Augenwinkeln sah sie das Fellknäuel, das unter dem Bett hervorschoss und sich in die dunkelste Ecke des Zimmers verkroch. Aber bevor Amelia ihm folgen konnte, hörte sie ein leises Quietschen und erspähte auf dem Teppich einen schmalen Lichtstrahl, der langsam länger und breiter wurde.
Ihr blieb keine Zeit zum Nachdenken und nur eine winzige Sekunde zum Handeln. Mit einem Sprung gelangte sie in den Bereich des Zimmers, der völlig im Dunkeln lag, neben einen aufragenden Schrank, aus dem ihr der Duft von Wäschestärke und irgendetwas anderem in die Nase stieg: Bergamotte.
Das Kätzchen miaute mitleiderregend. Amelia wagte kaum zu atmen.
»Wie um alles in der Welt bist du denn hier reingekommen?«
Thomas. Amelia stockte der Atem.
»Du lieber Himmel, was bist du für ein zartes Ding. Du hast doch bestimmt Hunger, oder?«
Sie brauchte einen Moment, bis sie begriff, dass er mit dem Kätzchen sprach, und drückte sich so eng an die Wand wie eben möglich.
»Weißt du was? Wir besorgen dir was zu fressen. Vielleicht hat Cook ein bisschen Fisch übrig. Was meinst du?« Das Kätzchen schnurrte, als sei es einverstanden.
Er verschwand wieder. Amelia wartete ab, hörte gedämpfte Schritte, das Geräusch einer Tür, die geöffnet wurde, dann Schweigen. Gott sei Dank. Rasch lugte sie um den Schrank herum, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung war. Dann eilte sie Richtung Tür, so schnell ihre Füße sie trugen. Fast glaubte sie zu fliegen. Doch es reichte nicht.
Im Türrahmen stand Thomas Armstrong.