DAS IDEALE PUBLIKUM
Als Glokta eintraf, stand Erzlektor Sult vor seinem großen Fenster, wie immer imposant in seinem fleckenlosen weißen Mantel, und sah über die spitzen Türmchen der Universität zum Haus des Schöpfers hinüber. Ein angenehmer Luftzug wehte durch den großen runden Raum, zerzauste die weiße Mähne des alten Mannes und ließ die vielen Schriftstücke auf seinem riesigen Schreibtisch rascheln und flattern.
Sult drehte sich um, als Glokta durch die Tür schlurfte. »Herr Inquisitor«, sagte er schlicht und streckte ihm seine Hand entgegen, sodass der große Edelstein auf seinem Siegelring das helle Sonnenlicht auffing, das durch das offene Fenster schien, und vor purpurnem Feuer glühte.
»Ich diene und gehorche, Eure Eminenz.« Glokta nahm die dargebotene Hand in die seine und verzog das Gesicht, als er sich verneigte, um den Ring zu küssen, während sein Stock zitterte infolge der Anstrengung, aufrecht stehen zu bleiben. Ich will verdammt sein, wenn der alte Drecksack seine Hand nicht jedes Mal ein bisschen tiefer hält, nur um zu sehen, wie sehr ich mich abmühen muss.
Sult glitt mit einer einzigen eleganten Bewegung in seinen hochlehnigen Stuhl, die Ellenbogen auf die Tischplatte und die Finger vor sich aneinander gelegt. Glokta blieb nichts anderes übrig, als stehen zu bleiben. Sein Bein schmerzte von dem vertrauten Aufstieg im Haus der Befragungen,
Schweiß rann über seine Kopfhaut, und er wartete nur auf die Erlaubnis, sich zu setzen.
»Bitte nehmen Sie Platz«, erklärte der Erzlektor und beobachtete, wie sich Glokta mit verzerrtem Gesicht auf einen der weniger aufwändig gestalteten Stühle fallen ließ, die um den runden Tisch herumstanden. »Sagen Sie mir, haben Ihre Untersuchungen inzwischen erste Erfolge gezeitigt?«
»Einige. Es gab kürzlich nachts einen Zwischenfall in der Unterkunft unserer Besucher. Sie behaupten, dass …«
»Ganz klar ein Versuch, ihrer unerhörten Geschichte etwas Glaubwürdigkeit zu verleihen. Magie!« Sult schnaubte verächtlich. »Haben Sie herausgefunden, wie die Bresche tatsächlich in die Mauer gesprengt wurde?«
Durch Magie vielleicht? »Ich bedauere, nein, Herr Erzlektor.«
»Wie unglücklich. Ein Beweis dafür, wie dieser spezielle Trick ausgeführt wurde, wäre für uns durchaus von Nutzen gewesen. Dennoch«, Sult seufzte, als habe er nichts Besseres erwartet, »man kann nicht alles haben. Haben Sie mit diesen … Leuten gesprochen?«
»Das habe ich. Bayaz, wenn ich diesen Namen weiterhin verwenden darf, ist ein höchst geschickter, aalglatter Redner. Ohne die Hilfe von überzeugenderen Mitteln als den Fragen allein konnte ich nichts aus ihm herausholen. Sein Freund, der Nordmann, verdient ebenfalls einen genaueren Blick.«
Eine steile Falte zeigte sich auf Sults glatter Stirn. »Sie vermuten eine Verbindung zu diesem Barbaren Bethod?«
»Möglicherweise.«
»Möglicherweise?«, wiederholte der Erzlektor missgelaunt, als sei das Wort an sich bereits reines Gift. »Was noch?«
»Unser fröhliches Grüppchen hat einen Neuzugang zu verzeichnen.«
»Ich weiß. Der Wegkundige.«
Wieso mache ich mir überhaupt diese Mühe? »Ja, Euer Eminenz, der Wegkundige.«
»Denen wünsche ich viel Glück mit diesem Kerl. Diese pfennigfuchsenden Wahrsager bringen stets mehr Ärger als Nutzen. Schwafeln dauernd von Gott und was weiß ich. Gierige Barbaren.«
»Ganz genau. Mehr Ärger als Nutzen, Herr Erzlektor, wobei es interessant wäre herauszufinden, wozu sie ihn in ihre Dienste genommen haben.«
»Und wieso haben sie?«
Glokta schwieg einen Augenblick. »Ich weiß es nicht.«
»Hmph«, schnaubte Sult. »Was noch?«
»Nach ihrem nächtlichen Besuch wurden unsere Freunde in einer Zimmerflucht in der Nähe des Parks untergebracht. Vor einigen Tagen gab es dort des Nächtens einen äußerst blutrünstigen Todesfall, keine zwanzig Schritte von ihren Fenstern entfernt.«
»Superior Goyle erwähnte das bereits. Er sagte, es gäbe für mich keinen Grund, mich mit der Sache zu beschäftigen, und es bestünde keinerlei Verbindung zu unseren Besuchern. Ich ließ die Angelegenheit in seinen Händen.« Er sah mit gerunzelter Stirn zu Glokta. »Habe ich eine falsche Entscheidung getroffen?«
Ach du liebe Zeit, darüber muss ich nun wirklich nicht lange nachdenken. »Ganz gewiss nicht, Herr Erzlektor.« Glokta neigte respektvoll den Kopf. »Wenn der Herr Superior keine Fragen mehr hat, dann habe ich auch keine.«
»Hm. Also wollen Sie mir gewissermaßen sagen, dass wir alles in allem gar keine neuen Erkenntnisse haben.«
Nicht ganz. »Da ist noch das hier.« Glokta fischte die alte Schriftrolle aus seiner Manteltasche und hielt sie Sult entgegen.
Über Sults Gesicht zog ein Ausdruck milder Neugier, als er sie entgegennahm, auf dem Tisch ausbreitete und dann auf die unverständlichen Symbole sah. »Was ist das?«
Ha. Also wissen Sie doch nicht alles. »Man könnte wohl sagen, ein Stück Geschichte. Ein Bericht darüber, wie Bayaz den Meisterschöpfer überwand.«
»Ein Stück Geschichte.« Sult trommelte mit den Fingern nachdenklich auf die Tischplatte. »Und in welcher Hinsicht hilft uns das weiter?« In welcher Hinsicht hilft es Ihnen, meinen Sie wohl?
»Diesem Bericht zufolge war es unser Freund Bayaz, der das Haus des Schöpfers verschloss.« Glokta deutete mit dem Kopf auf das hoch aufragende Gebäude hinter dem Fenster. »Verschloss … und dann den Schlüssel mitnahm.«
»Einen Schlüssel? Dieser Turm war stets verschlossen. Schon immer. Soweit ich weiß, gibt es dort nicht einmal ein Schlüsselloch.«
»Ganz genau das waren meine Gedanken, Eminenz.«
»Hmmm.« Langsam breitete sich ein Lächeln über Sults Gesicht. »Geschichten hängen davon ab, wie sie erzählt werden, wie? Unser Freund Bayaz weiß das sehr wohl, würde ich vermuten. Er hat versucht, unsere Geschichten gegen uns zu verwenden, aber jetzt tauschen wir die Plätze mit ihm. Die Ironie daran gefällt mir.« Er nahm die Schriftrolle wieder zur Hand. »Ist sie echt?«
»Ist das von Bedeutung?«
»Natürlich nicht.« Sult erhob sich elegant von seinem Stuhl und schritt langsam zum Fenster hinüber, wobei er mit dem wieder aufgerollten Pergament gegen seine Finger trommelte. Eine Weile blieb er dort stehen und sah nach draußen. Als er sich wieder umwandte, lag etwas höchst Selbstzufriedenes in seinem Blick.
»Mir fällt gerade ein, dass morgen Abend ein großes Fest gegeben wird, eine Feier für unseren siegreichen Degenfechter, Hauptmann Luthar.« Diesen kriecherischen kleinen Betrüger. »Alles, was Rang und Namen hat, wird anwesend sein: die Königin, beide Prinzen, der größte Teil des Geschlossenen Rats, verschiedene führende Edelleute.« Nicht zu vergessen der König selbst. Es sagt ja wirklich schon eine Menge, wenn seine Anwesenheit bei einem Abendessen nicht einmal mehr der Erwähnung wert ist. »Das wäre das ideale Publikum für unsere kleine Enthüllung, meinen Sie nicht?«
Glokta neigte vorsichtig den Kopf. »Natürlich, Herr Erzlektor.« Das ideale Publikum. Vorausgesetzt, es klappt. Sonst hätte man vor den Augen peinlich vieler Zeugen versagt.
Aber Sult träumte bereits von seinem Triumph. »Die perfekte Versammlung, und wir haben noch genug Zeit, um die nötigen Vorkehrungen zu treffen. Senden Sie eine Nachricht an unseren Freund, den Ersten der Magi, und lassen Sie ihn wissen, dass er und seine Begleiter morgen Abend herzlich zu einem Essen eingeladen sind. Ich gehe davon aus, dass Sie selbst auch dabei sein werden?«
Ich? Glokta verneigte sich wieder. »Um nichts in der Welt würde ich das verpassen wollen, Euer Eminenz.«
»Gut. Bringen Sie Ihre Praktikalen mit. Unsere Freunde werden vielleicht zu Gewalt greifen, wenn sie merken, dass ihr Spiel aus ist. Bei Barbaren dieser Art, wer weiß da schon, wozu die in der Lage sind?« Eine kaum wahrnehmbare Bewegung der behandschuhten Rechten des Erzlektors deutete an, dass die Unterredung beendet war. Die ganzen Stufen, bloß für das hier?
Sult sah abfällig auf die Schriftrolle, als Glokta endlich die Tür erreicht hatte. »Das ideale Publikum«, murmelte er, als die schweren Türen sich wieder schlossen.
Im Norden aßen die Carls eines Häuptlings mit ihrem Oberhaupt jeden Abend gemeinsam in seiner Halle. Die Frauen brachten das Essen in hölzernen Schüsseln herein. Man spießte die Fleischbrocken mit einem Messer auf, und mit diesem Messer schnitt man sie auch klein; dann stopfte man sich die Stückchen in den Mund. Wenn man einen Knochen oder Knorpel fand, warf man ihn aufs Stroh für die Hunde. Der Tisch, wenn es denn einen gab, bestand aus einigen schlecht zueinander passenden Holzplatten, voller Flecken und Mulden und Kerben von den vielen Messern, die dort schon hineingebohrt worden waren. Die Carls saßen auf langen Bänken, und für die Namhaften Männer gab es vielleicht noch ein paar Stühle. Es war dunkel, vor allem in den langen Wintern, und rauchgeschwängert von den Feuerstellen und Tschagga-Pfeifen. Oft wurden Lieder gesungen, freundschaftlich gemeinte Beleidigungen herausgebrüllt, manchmal auch weniger freundschaftlich gemeinte, und vor allem gab es stets jede Menge zu trinken. Die einzige Regel war dabei die, dass man wartete, bis der Häuptling mit dem Essen begann.
Logen hatte keine Ahnung, welche Regeln es hier geben mochte, aber er vermutete, es waren jede Menge.
Die Gäste saßen an drei langen Tischen, die in Hufeisenform aufgestellt worden waren: insgesamt sechzig Personen oder mehr. Jeder hatte seinen eigenen Stuhl, und das dunkle Holz der Tischplatten war poliert worden, bis es strahlend glänzte – so hell, dass Logen den verschwommenen Umriss seines Gesichts darin erkennen konnte, das von den Hunderten von Kerzen an den Wänden und auf den Tischen beleuchtet wurde. Jeder Gast hatte mindestens drei stumpfe Messer zu seiner Verfügung, und verschiedene andere Dinge lagen vor ihnen, von denen Logen keinerlei Vorstellung hatte, wozu sie dienen könnten, darunter eine große, kreisrunde Platte aus glänzendem Metall.
Es wurde nicht gebrüllt und ganz sicher auch nicht gesungen, stattdessen herrschte ein leises Summen wie in einem Bienenstock, da die Gäste einander Dinge zumurmelten und sich dabei zueinander beugten, als ob sie Geheimnisse austauschten. Ihre Kleidung war noch seltsamer denn je. Alte Männer trugen schwere Roben in Schwarz, Rot und Gold, die mit schimmerndem Pelz verbrämt waren, trotz der Hitze. Junge Männer trugen eng anliegende Jacken in hellem Karmesinrot, Grün oder Blau, mit Bändern und Knoten aus goldenen und silbernen Fäden geschmückt. Die Frauen waren mit Ketten und Ringen aus glänzendem Gold und leuchtenden Juwelen behängt und trugen seltsame Kleider aus grellem Tuch, die an einigen Stellen unsinnig weit, an anderen schmerzhaft eng waren und andere Körperteile wiederum ganz und höchst ablenkend frei ließen.
Selbst die Diener hier waren wie die Fürsten gekleidet, lungerten hinter den Tischen herum, beugten sich schweigend vor, um Kelche mit süßem, dünnem Wein zu füllen. Logen hatte bereits einen guten Teil davon getrunken, und der gleißende Raum hatte ein angenehmes Glühen angenommen.
Das Problem war, das es nichts zu essen gab. Seit dem Morgen hatte er nichts mehr zu sich genommen, und ihm knurrte der Magen. Dementsprechend beäugte er die Krüge mit den Pflanzen, die zwischen den Gästen auf den Tischen standen. Es steckten leuchtende Blumen in ihnen, die ihm nicht gerade wie Nahrung erschienen, aber in diesem Land aß man ja einige sehr seltsame Dinge.
Es gab keine andere Möglichkeit, das herauszufinden, als es einfach zu versuchen. Er griff sich eines dieser Dinger aus dem Krug, ein langes Stück einer grünen Pflanze, dessen eine Seite eine gelbe Blüte trug. Er knabberte ein wenig am Ende des Stängels. Ohne wirklichen Geschmack und wässrig, aber wenigstens ziemlich knackig. Daher nahm er einen größeren Biss und kaute ohne Begeisterung darauf herum.
»Ich glaube nicht, dass sie zum Essen gedacht sind.« Logen sah sich um, überrascht, die Sprache des Nordens hier zu hören, und auch überrascht, dass ihn überhaupt jemand ansprach. Sein Tischnachbar, ein großer, ausgemergelter Mann mit einem scharf geschnittenen, zerfurchten Gesicht, beugte sich mit peinlich berührtem Lächeln zu ihm hinüber. Logen erkannte ihn nach einigem Nachdenken. Er war bei dem Fechtkampf gewesen – hatte die Klingen für das Bürschchen vom Tor gehalten.
»Ah«, brummte Logen mit dem Mund voll Pflanze. Der Geschmack dieses Zeugs wurde mit jedem Augenblick schlimmer. »Entschuldigung«, sagte er, nachdem es ihm gelungen war, es herunterzuwürgen, »ich kenne mich mit diesen Dingen nicht besonders gut aus.«
»Ehrlich gesagt, ich auch nicht. Wie hat es denn geschmeckt?«
»Beschissen.« Logen hielt die halb aufgegessene Blume unsicher zwischen den Fingern. Der Fliesenboden war fleckenlos sauber. Es erschien ihm irgendwie nicht angeraten, das Ding einfach unter den Tisch zu werfen. Hunde gab es hier sowieso nicht, und selbst wenn das anders gewesen wäre, so hätten die das Grünzeug vermutlich nicht angerührt. Ein Hund hätte mehr Verstand gehabt als er. Also ließ er die Pflanze auf die Metallplatte fallen und wischte sich die Finger an der Brust ab in der Hoffnung, dass niemand etwas aufgefallen war.
»Ich heiße West«, sagte der Mann und streckte ihm die Hand hin, »ich komme aus Angland.«
Logen drückte ihm die Hand. »Neunfinger. Ein Brynn, von nördlich der Hohen Höhen.«
»Neunfinger?« Logen wackelte mit dem Fingerstumpf, und der Mann nickte. »Ah, ich verstehe.« Dann lächelte er, als ob er sich an etwas Lustiges erinnerte. »Ich habe einmal ein Lied gehört, in Angland, über einen neunfingrigen Mann. Wie nannte man ihn noch? Den Blutigen Neuner! Richtig, so war’s!« Logen fühlte, wie sein Lächeln gefror. »Eines dieser Lieder aus dem Norden, Ihr wisst schon, voller Gewalt. Er hat wohl ganzen Wagenladungen von Leuten die Köpfe abgeschlagen, Städte niedergebrannt und sich Blut in sein Bier gemischt und was nicht alles. Das wart Ihr aber nicht, oder?«
Der Mann hatte das witzig gemeint. Logen lachte unsicher. »Nein, nein, ich habe nie von ihm gehört.« Aber West hatte glücklicherweise schon wieder das Thema gewechselt.
»Doch sagt, Ihr seht aus, als hättet Ihr einige Schlachten mitgemacht.«
»Ich war in einigen Scharmützeln dabei, ja.« Es hatte keinen Zweck, das zu leugnen.
»Kennt Ihr den Mann, den sie den König der Nordmänner nennen? Diesen Bethod?«
Logen blickte zur Seite. »Ich weiß einiges über ihn.«
»Habt Ihr in den Kriegen gegen ihn gekämpft?«
Logen verzog das Gesicht. Der bittere Geschmack der Pflanze schien noch immer in seinem Mund zu sein. Er setzte seinen Kelch an die Lippen und trank einen Schluck. »Schlimmer«, sagte er langsam, als er das Gefäß wieder absetzte. »Ich habe für ihn gekämpft.«
Das schien den Mann nur noch neugieriger zu machen. »Dann kennt Ihr seine Taktik und wisst Bescheid über seine Truppen, über seine Art der Kriegsführung?« Logen nickte. »Was könnt Ihr mir über ihn sagen?«
»Dass er ein höchst gewiefter und unbarmherziger Gegner ist, der kein Mitleid und keine Skrupel kennt. Um das klarzustellen, ich hasse diesen Mann, aber seit den Zeiten von Skarling Ohnekapp hat es keinen anderen Kriegsfürsten von seinem Format mehr gegeben. Er hat das gewisse Etwas, das die Männer respektieren oder fürchten, oder dem sie zumindest gehorchen. Er fordert seine Männer aufs Äußerste, damit er das Schlachtfeld als Erster erreicht und sich seine Stellung aussuchen kann, aber sie marschieren auch deshalb schnell für ihn, weil er ihnen Siege bringt. Er ist vorsichtig, wenn es sein muss, und furchtlos, wenn es nötig ist, aber er übersieht keine Einzelheit. Gern nutzt er jede Kriegslist, die ihm einfällt – legt Fallen und Hinterhalte, erdenkt Finten und Täuschungsmanöver oder überfällt seinen Gegner ganz plötzlich, wenn der nicht bereit ist. Haltet dort nach ihm Ausschau, wo er am wenigsten erwartet wird, und schätzt ihn gerade dort als stark ein, wo er am schwächsten erscheint. Seid vor allem dann vor ihm auf der Hut, wenn er zu flüchten scheint. Die meisten Männer fürchten ihn, und jene, die das nicht tun, sind Narren.«
Logen nahm die Blume von dem Teller und riss sie in Stücke. »Seine Truppen gruppieren sich um die Häuptlinge der Clans, von denen einige selbst große Kriegsfürsten sind. Die meisten seiner Kämpfer sind Leibeigene, Bauern, die zum Kriegsdienst gezwungen werden, leicht mit Speeren oder Bogen bewaffnet, und die sich schnell in losen Verbänden bewegen. Früher einmal waren sie schlecht ausgebildet und wurden nur für kurze Zeit von ihren Höfen weggeholt, aber die Kriege gehen nun schon so lange, dass aus vielen von ihnen harte Kämpfer geworden sind, die kaum Gnade kennen.«
Er sortierte die Pflanzenstücke in ein bestimmtes Muster, als seien sie Kämpfergrüppchen und der Teller ein Berghang. »Jeder Häuptling hat nebenbei noch ein paar Carls, Kämpfer, die zu seinem eigenen Hof gehören, gut bewaffnet und gerüstet, mit Axt und Schwert und Speer erfahren und sehr diszipliniert. Einige wenige haben Pferde, aber die würde Bethod außerhalb der Sichtweite postieren und auf den besten Zeitpunkt für einen Angriff oder eine Verfolgungsjagd warten.« Er zupfte die gelben Blütenblätter von der Blume, und sie wurden die Reiter, die versteckt an den Flanken warteten. »Und zu guter Letzt kommen die Bekannten Männer, die Namhaften Männer, jene Krieger, die sich im Kampf großen Respekt erworben haben. Sie führen vielleicht einen Trupp Carls ins Feld oder sind als Kundschafter oder Plünderer unterwegs, manchmal sogar weit im Rücken des Feindes.«
Er merkte, dass der Teller mit einem Durcheinander von Pflanzenstückchen bedeckt war, und fegte sie eilig auf den Tisch. »Das ist die alte Art des Kampfes im Norden, aber Bethod hatte stets auch sehr viel übrig für neue Ideen. Er hat Bücher gelesen und andere Kampftechniken studiert; er hat oft davon gesprochen, Flachbogen zu kaufen und schwere Rüstungen, und starke Schlachtrösser von den Händlern im Süden, um so eine Armee aufzubauen, die in der ganzen Welt gefürchtet wird.«
Logen wurde sich bewusst, dass er schon seit einer Ewigkeit sprach. So viele Worte hatte er seit Jahren nicht mehr aneinander gereiht, aber West sah ihn mit gebannter Aufmerksamkeit an. »Ihr sprecht wie ein Mann, der sein Geschäft versteht.«
»Nun, Ihr habt das eine Feld angesprochen, auf dem man mich wohl tatsächlich einen Fachmann nennen darf.«
»Welchen Rat würdet Ihr einem Mann geben, der gegen Bethod in den Krieg ziehen muss?«
Logen runzelte die Stirn. »Seid vorsichtig. Und achtet auf Rückendeckung.«
Jezal fühlte sich überhaupt nicht wohl. Zuerst war es ihm natürlich wie eine entzückende Idee vorgekommen, genau das, wovon er immer geträumt hatte – ein Fest zu seinen Ehren, an dem so viele Große aus der Union teilnahmen. Sicherlich war es nur der Anfang seines wunderbaren neuen Lebens als Sieger des Turniers. Die großen Dinge, die ihm jeder vorhergesagt, nein, versprochen hatte, waren beinahe schon eingetroffen, hingen wie überreife Früchte vom Baum und wollten ihm gleich in den Schoß fallen. Beförderungen und Ruhm würden sicherlich direkt folgen. Vielleicht würde man ihn heute Abend zum Major erklären, und er würde als Kommandant eines ganzen Bataillons nach Angland in den Krieg ziehen …
Aber seltsamerweise schienen sich die meisten der Gäste mehr für ihre eigenen Belange zu interessieren. Sie schwatzten miteinander über Regierungsangelegenheiten, die Geschäfte der Handelshäuser, über Landbesitz, Titel und Politik. Um das Fechten und um sein bemerkenswertes Geschick bei diesem Sport ging es kaum einmal. Auch hatte man ihm noch keine unmittelbar bevorstehende Beförderung angekündigt. Er musste einfach nur dasitzen, lächeln und von Fremden in prächtigen Kleidern, die ihm kaum in die Augen sahen, die seltsam lauwarmen Glückwünsche entgegennehmen. Wachspuppen wären nicht weniger überzeugend gewesen. Er musste zugeben, dass die Bewunderung des gemeinen Volks wesentlich befriedigender gewesen war. Da hatten sich die Leute wenigstens so angehört, als ob sie es wirklich ernst meinten.
Dennoch, er war noch nie innerhalb des Palastgebäudes gewesen, eine Festung innerhalb der Festung des Agrionts, in die in der Tat nur wenige je Einlass fanden. Und so saß er nun am obersten Tisch im Speisesaal des Königs, wobei Jezal davon ausging, dass Seine Majestät seine Mahlzeiten zumeist auf mehrere Kissen gestützt im Bett einnahm und dabei vermutlich gefüttert wurde.
Am anderen Ende des Raumes befand sich eine Bühne. Jezal hatte einmal gehört, dass Ostus, der Kindkönig, sich bei jedem Essen von Gauklern hatte unterhalten lassen. Morlick der Verrückte wiederum hatte dort Enthauptungen durchführen lassen, während er gegessen hatte. König Kasamir, so hieß es, hatte Schauspieler, die seinen schlimmsten Feinden glichen, dafür bezahlt, dass sie ihm jeden Morgen beim Frühstück Beleidigungen zuriefen, um in seinem Hass auf seine Gegner nicht nachzulassen. Die Vorhänge waren jetzt allerdings geschlossen. Jezal musste sich anderswo umsehen, wenn es ihn nach Unterhaltung gelüstete, und die Auswahl war nicht besonders prickelnd, wie er fand.
Marschall Varuz brabbelte ihm unablässig ins Ohr. Zumindest er war noch immer am Fechten interessiert. Leider redete er über nichts anderes. »So was habe ich noch nie gesehen. Die ganze Stadt ist in Aufruhr wegen Ihnen! Das war der großartigste Ausfall, den es je gegeben hat! Ich schwöre, Sie sind sogar besser als Sand dan Glokta früher war, und ich hätte nie gedacht, noch einmal einen Fechter wie ihn zu erleben! Nein wirklich, ich hätte mir nicht träumen lassen, dass es in Ihnen steckt, derart zu kämpfen, Jezal, ich hatte ja nicht die geringste Ahnung!«
»Hm«, nickte Jezal.
Kronprinz Ladisla und seine angehende Braut, Terez von Talins, gaben am Haupt des Tisches, direkt neben dem eingenickten König, ein schillerndes Paar ab. Sie würdigten ihre Umgebung keines Blickes, aber auf andere Art, als man es sich von zwei jungen Liebenden gewöhnlich vorstellte. Die beiden stritten heftig mit kaum gedämpften Stimmen, während ihre Nachbarn sich alle Mühe gaben, so zu tun, als ob sie nicht gierig jedes ihrer Worte aufsaugten.
»… egal, ich ziehe sowieso bald in den Krieg, nach Angland, dann müssen Sie mich nicht länger ertragen!«, greinte Ladisla. »Vielleicht werde ich getötet! Aber möglicherweise würde ja das Eure Hoheit glücklich machen?«
»Bitte machen Sie sich nicht die Mühe, für mich zu sterben«, gab Terez zurück, und ihr styrischer Akzent klang giftgetränkt, »aber tun Sie, was Sie nicht lassen können. Es wird mir wohl gelingen, meine Trauer zu ertragen …«
Jemand, der etwas näher saß, lenkte Jezal ab, indem er mit der Faust auf den Tisch schlug. »Dieses verdammte Volk! Die verdammten Bauern haben in Starikland zu den Waffen gegriffen! Diese faulen Hunde, sie weigern sich, auch nur einen Handschlag zu tun!«
»Das liegt an den Steuern«, polterte der Tischnachbar des Mannes, »diese Steuern haben sie so aufgestachelt. Haben Sie schon von diesem verdammten Kerl gehört, den sie den Gerber nennen? Irgend so ein verfluchter Bauer, der zur Revolution aufruft, ganz offen, das müssen Sie sich mal vorstellen! Ich habe gehört, dass einer der Steuereintreiber des Königs vom Pöbel umzingelt wurde, keine Meile vor den Toren von Keln. Ein Steuereintreiber des Königs, ich bitte Sie! Vom Pöbel bedroht, keine Meile vor dem Stadttor …«
»Das haben wir uns verdammt noch mal selbst zuzuschreiben!« Das Gesicht dessen, der jetzt sprach, war für Jezal nicht zu sehen, aber der Hauptmann erkannte ihn am goldbestickten Aufschlag seines Talars. Marovia, der Kronrichter. »Wenn man einen Menschen wie einen Hund behandelt, wird er früher oder später beißen, das ist ganz einfach eine Tatsache. Haben wir als Regierende und als Edelleute nicht die Verpflichtung, den gemeinen Mann zu respektieren und zu schützen, anstatt ihn zu unterdrücken und zu verachten?«
»Ich habe ja nichts von Verachtung gesagt, Lord Marovia, oder von Unterdrückung, es geht ja nur darum, dass sie zahlen, was uns als Landbesitzern zusteht, zumal wir ja von Natur aus über ihnen stehen …«
Marschall Varuz hatte währenddessen keinen Augenblick aufgehört zu reden. »Das war tatsächlich ein großes Ding, was? Wie Sie ihn erledigt haben, mit einem Eisen gegen seine zwei!« Der alte Soldat fuchtelte mit den Händen in der Luft herum. »Die ganze Stadt redet davon. Vor Ihnen liegen jetzt große Dinge, mein Junge, verlassen Sie sich darauf. Ich möchte verdammt sein, wenn Sie nicht eines Tages meinen Sitz im Geschlossenen Rat innehaben werden!«
Es war einfach zu viel. Jezal hatte den Mann die ganzen letzten Monate ertragen. Irgendwie war er davon ausgegangen, dass es vorbei sein würde, wenn er erst einmal gewonnen hätte, aber es sah so aus, als warte in dieser Hinsicht eine Enttäuschung auf ihn, so wie in so vielen anderen Dingen. Es war seltsam, aber Jezal war vorher nie wirklich klar geworden, welch ein schwachsinniger Alter der Lord Marschall war. Jetzt allerdings merkte er es, und wie.
Dazu kam noch, dass an den Tischen im Saal einige Leute saßen, die er selbst ganz sicher nicht eingeladen hätte. Sult, den Erzlektor der Inquisition, konnte er davon vielleicht ausnehmen, denn der saß schließlich im Geschlossenen Rat und war zweifellos ein sehr mächtiger Mann, aber Jezal konnte nicht begreifen, wieso er den widerlichen Glokta mitgebracht hatte. Der Krüppel sah noch kränker aus als gewöhnlich, mit zuckenden Augen, die tief von runden, dunklen Schatten überlagert waren. Aus irgendeinem Grund warf er Jezal gelegentlich finstere und misstrauische Blicke zu, als ob er ihn eines Verbrechens oder dergleichen verdächtigte. Das war schon verdammt dreist, wenn man bedachte, dass es hier schließlich eine Feier zu Jezals Ehren war.
Schlimmer war noch, dass auf der anderen Seite des Raums der alte Kahlkopf saß, der sich Bayaz genannt hatte. Jezal hatte seine seltsamen Glückwünsche nach dem Turnier noch immer nicht entschlüsselt – ebenso wenig wie die Reaktion seines Vaters auf diesen Mann. Und daneben hockte auch noch der hässliche Freund des sogenannten Magus, der neunfingrige Barbar.
Major West hatte das Pech, den Platz neben diesem Wilden bekommen zu haben, schien aber das Beste daraus zu machen – die beiden waren in eine lebhafte Unterhaltung verstrickt. Der Nordmann brach gelegentlich in Gelächter aus und schlug mit seiner großen Faust auf den Tisch, dass die Gläser klirrten. Wenigstens sie amüsierten sich auf diesem Fest, dachte Jezal bitter und wünschte sich beinahe, dort unten bei ihnen zu sitzen.
Aber er wusste, dass er eines Tages ein Mann von Macht und Einfluss sein wollte. Kleidung mit reichlich Pelz tragen, und eine dicke Kette, die von seinen Würden zeugte. Leute vor sich knien, buckeln und kriechen zu lassen. Das hatte er bereits vor langer Zeit beschlossen, und ihm gefiel die Idee immer noch, jedenfalls nahm er das an. Allerdings war es doch so, dass diese ganze Sache aus der Nähe betrachtet schrecklich heuchlerisch und langweilig wirkte. Er wäre jetzt viel, viel lieber allein mit Ardee gewesen, obwohl er sie erst am letzten Abend noch gesehen hatte. An ihr war überhaupt nichts Langweiliges …
»… die Barbaren ziehen sich um Ostenhorm zusammen, nachdem, was ich gehört habe!«, rief jemand zu Jezals Linken. »Der Lord Statthalter, Meed, stellt eine Armee auf und hat geschworen, sie aus Angland hinauszujagen.«
»Ha. Meed? Dieser aufgeblasene alte Narr könnte keine Maus aus der Speisekammer jagen!«
»Aber es wird doch wohl reichen, um diese Bestien aus dem Norden zu schlagen, was? Ein guter Unionsmann ist doch zehn von denen wert …«
Dann hörte Jezal plötzlich, wie sich Terez’ Stimme schrill über das Durcheinander erhob, beinahe laut genug, um im ganzen Raum gehört zu werden: »… natürlich werde ich heiraten, wen mein Vater mir befiehlt, aber ich muss darüber ja nicht glücklich sein!« Sie erschien in diesem Augenblick so bösartig, dass es ihn nicht gewundert hätte, wenn sie den Kronprinzen mit ihrer Gabel ins Gesicht gestochen hätte. Jezal fand es gewissermaßen befriedigend, dass er nicht der Einzige war, der es bei den Frauen nicht leicht hatte.
»… ja, wirklich, ein ganz bemerkenswerter Auftritt! Jeder spricht davon«, salbaderte Varuz weiter.
Jezal wand sich auf seinem Stuhl. Wie lange sollte diese verdammte Angelegenheit noch dauern? Er fühlte sich, als ob er erstickte. Wieder betrachtete er die Gesichter um sich herum, und seine Augen kreuzten sich mit Gloktas, dessen verwüstetes Gesicht noch immer finster und misstrauisch dreinblickte. Jezal konnte seinem Blick nicht lange standhalten, ob es nun seine Feier war oder nicht. Was, zur Hölle, hatte der Krüppel überhaupt gegen ihn?
Dieser kleine Drecksack. Er hat gemogelt. Irgendwie. Ich weiß es. Gloktas Augen glitten langsam am gegenüberliegenden Tisch entlang, bis sie auf Bayaz ruhen blieben. Der alte Betrüger saß da, als ob er sich richtiggehend zu Hause fühlte. Und er hat irgendetwas damit zu tun. Sie haben gemeinsam gemogelt. Irgendwie.
»Meine Damen und Herren!« Das Gemurmel verstummte, als der Lord Schatzmeister aufstand und sich an die Anwesenden wandte. »Ich möchte Sie alle im Namen Seiner Majestät zu dieser bescheidenen Zusammenkunft willkommen heißen.« Der König bewegte sich ein wenig, sah sich mit leerem Gesichtsausdruck um, blinzelte und schloss die Augen dann wieder. »Wir haben uns hier versammelt, um Hauptmann Jezal dan Luthar zu ehren, der gerade seinen Namen in die Liste der ausgewähltesten und ehrenvollsten Männer eingetragen hat – jener Degenfechter, die beim Sommerturnier den Sieg errungen haben.« Einige Gläser wurden erhoben, und es gab halbherziges zustimmendes Gemurmel.
»Ich sehe, dass einige Sieger früherer Jahre heute hier unter uns sind, von denen viele heute hohe Ämter bekleiden: Lord Marschall Varuz, Kommandant Valdis von den Heroldsrittern, Major West dort drüben, der inzwischen natürlich zu Marschall Burrs Stab gehört. Selbst ich habe zu meiner Zeit das Turnier gewonnen.« Er lächelte und sah auf seinen breiten Speckbauch. »Obwohl das natürlich eine ganze Weile her ist.« Höfliches Gelächter plätscherte durch den Saal. Wie mir auffällt, werde ich nicht genannt. Nicht alle Sieger sind zu beneiden, wie?
»Die Sieger des Turniers«, fuhr der Lord Schatzmeister fort, »waren später oft zu Großem ausersehen. Ich hoffe, und ich denke, das tun wir alle, dass es bei unserem jungen Freund, Hauptmann Luthar, nicht anders sein wird.« Ich hoffe, dass er in Angland eines langsamen Todes stirbt, der betrügerische kleine Drecksack. Aber Glokta hob sein Glas mit allen anderen, um auf den arroganten Esel anzustoßen, während Luthar dasaß und jeden Augenblick genoss.
Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Auch ich saß einmal auf genau diesem Stuhl, wurde bejubelt und beneidet und auf die Schulter geklopft, nachdem ich das Turnier gewonnen hatte. Es waren andere Männer in prächtiger Kleidung, andere Gesichter, die in der Hitze schwitzten, aber es hat sich nicht viel verändert. Ob ich wohl weniger selbstgefällig gegrinst habe? Natürlich nicht. Ich war wahrscheinlich sogar noch schlimmer. Aber wenigstens hatte ich mir den Sieg selbst verdient.
Lord Hoff war derartig engagiert, dass er erst aufhörte, auf Jezals Wohl zu trinken, als sein Kelch völlig leer war, dann stellte er das Gefäß auf den Tisch zurück und leckte sich die Lippen. »Und bevor nun das Essen kommt, hat mein Kollege, Herr Erzlektor Sult, eine kleine Überraschung vorbereitet, zu Ehren einiger anderer Gäste, die heute bei uns sind. Ich hoffe, Sie alle werden sich gut unterhalten fühlen.« Damit lehnte sich der Lord Schatzmeister schwer zurück und hielt seinen leeren Becher hoch, um sich nachschenken zu lassen.
Glokta sah zu Sult hinüber. Eine Überraschung vom Erzlektor? Das wird für irgendjemanden hier nichts Gutes bedeuten.
Die schweren roten Vorhänge glitten langsam zur Seite. Sie gaben den Blick frei auf einen alten Mann, der auf der Bühne lag, in einer weißen Robe, die kunstsinnig mit leuchtend rotem Blut befleckt worden war. Eine breite Kulisse aus Leinwand zeigte einen Wald, über den sich ein Sternenhimmel wölbte. Die Szenerie erinnerte Glokta recht unangenehm an das Wandgemälde in dem runden Raum. Den Raum unter Severards verfallendem Schutthaufen am Hafen.
Ein zweiter Alter trat aus dem Hintergrund: ein großer, schlanker Mann mit bemerkenswert fein geschnittenen Zügen. Sein Kopf war kahlrasiert, und er hatte sich einen kurz gestutzten weißen Bart stehen lassen, aber Glokta erkannte ihn dennoch sofort. Iosiv Lestek, einer der gefeiertesten Schauspieler der Stadt. Er zuckte wohl einstudiert zusammen, als er den blutigen Leichnam entdeckte.
»Oooooh!«, schrie er und streckte seine Arme in jener Geste aus, mit der Schauspieler Entsetzen und Verzweiflung anzeigen wollen. Er hatte eine wirklich enorme Stimme, die laut genug war, um die Dachbalken erzittern zu lassen. In dem Bewusstsein, nun die ungeteilte Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich gezogen zu haben, proklamierte Lestek seine Zeilen, während seine Hände durch die Luft fuchtelten und überbordende Leidenschaft sein Gesicht überzog.
Mein Meister Juvens liegt vom Tod gefällt
Mit ihm zieht aller Frieden aus der Welt
Besieget von Kanedias’ Verrat
Kündet sein Tod, die grauenvolle Tat
Vom Ende einer Zeit.
Der alte Schauspieler warf den Kopf zurück, und Glokta sah Tränen in seinen Augen glitzern. Ein hübscher Trick, so auf Befehl weinen zu können. Ein einsamer Tropfen rann langsam über seine Wange, und das Publikum sah gebannt auf die Bühne. Er wandte sich wieder dem Leichnam zu.
Der Mord durch Hand des Bruders, der so weit
Ging, dass die blut’ge Tat zum Himmel schreit.
Beinah erwart ich, es erlischt das Sternenlicht
Oh, warum öffnet sich der Boden nicht
Mit sengendem Flammenstrahl?
Er warf sich auf die Knie und schlug sich gegen die alternde Brust.
Welch bittres Los trifft uns nun hart! Wie
gern
erlitt auch ich das Schicksal meines Herrn.
Eng, leer erscheint die Welt uns ohne ihn
Doch müssen wir einsam weiterziehn
Und kämpfen.
Lestek sah langsam hoch und blickte ins Publikum, stand auf, und sein Gesichtsausdruck wandelte sich von tiefer Trauer zu grimmigster Entschlossenheit.
Verschlossen und versiegelt ist des Schöpfers
Haus
fürwahr
Erbaut aus Fels und wunderhartem Stahl steht es nun da
Und wenn ich harre, bis der Stahl wird Rostes Raub
Und meine nackten Hände schmettern Fels zu Staub
Mein ist die Rache!
Die Augen des Schauspielers sprühten Feuer, als er mit wehendem Gewand zu donnerndem Applaus von der Bühne schritt. Es war eine gekürzte Version eines bekannten Stücks, das oft gezeigt wurde. Allerdings selten so gut. Glokta stellte überrascht fest, dass er klatschte. Wirklich ein überragender Auftritt. Edelmut, Leidenschaft, Befehlsgewalt. Wesentlich überzeugender als ein anderer nachgemachter Bayaz, an den ich gerade denken muss. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, streckte sein linkes Bein unter dem Tisch aus und freute sich auf eine unterhaltsame Aufführung.
Logen verfolgte das Stück mit von Verwirrung gezeichnetem Gesicht. Er vermutete, dass es sich hier um eines der Spektakel handelte, von denen Bayaz gesprochen hatte, aber er beherrschte die Sprache nicht sicher genug, um Einzelheiten mitzubekommen.
Vorn auf der Bühne lief man unter großem Geseufze und mit ausufernden Handbewegungen von links nach rechts, trug leuchtende Kostüme und sprach in einem seltsamen Singsang. Zwei der Männer sollten wohl dunkelhäutig aussehen, dachte er, dabei war es völlig offensichtlich, dass sich zwei Blassgesichtige lediglich dunkle Farbe ins Gesicht geschmiert hatten. In einer Szene flüsterte jener, der den Bayaz spielte, einer Frau durch eine Tür hindurch etwas zu und schien sie darum zu bitten, ihm zu öffnen, aber die Tür war nur ein bemaltes Stück Holz, das für sich allein mitten auf der Bühne stand, und die Frau war in Wirklichkeit ein Jüngling in einem Kleid. Es wäre doch einfacher gewesen, dachte Logen, um das Stück Holz herumzugehen und ihn oder sie direkt anzusprechen.
Bei einem war sich Logen jedoch sicher – der echte Bayaz war ernsthaft verärgert. Der Nordmann spürte, wie sein Zorn sich mit jeder Szene steigerte. Ein Höhepunkt des Zähnezusammenbeißens und Kiefermahlens kam, als der Schurke des Stücks, ein massiger Mann mit einem Handschuh und einer Augenklappe, den Jungen in dem Kleid über ein paar aus Holz nachgebaute Zinnen warf. Es war klar, dass es so aussehen sollte, als ob er oder sie sehr tief hinunterstürzte, obwohl Logen hören konnte, wie der Schauspieler hinter der Bühne auf etwas Weiches fiel.
»Wie können sie es wagen, verdammt noch mal?«, zischte der echte Bayaz unterdrückt. Logen wäre am liebsten ganz aus dem Saal verschwunden, wenn ihm das möglich gewesen wäre, aber er musste sich damit zufrieden geben, lediglich mit dem Stuhl weiter auf West zuzurücken und möglichst viel Abstand zu dem vor Wut siedenden Magus zu halten.
Auf der Bühne kämpfte der andere Bayaz gerade gegen den Alten mit dem Handschuh und der Augenklappe, obwohl sie sich dabei gemächlich im Kreis bewegten und recht viel redeten. Schließlich ging der Schurke denselben Weg wie zuvor der Junge und verschwand hinter der Bühne, aber nicht, bevor ihm sein Gegner einen enorm großen goldenen Schlüssel abgenommen hatte.
»Der ist wesentlich verschnörkelter als das Original«, knurrte der echte Bayaz, während sein Ebenbild den Schlüssel emporhielt und weitere Verse deklamierte. Logen verlor ein wenig den Faden, als sich das Stück dem Ende neigte, aber die letzten zwei Zeilen bekam er wieder mit, bevor sich der alte Schauspieler tief verbeugte:
Das Ende der Geschichte ist nun da,
Ich hoff, wir traten niemandem zu nah.
»Ich würde meinen verdammten alten Arsch darauf verwetten, dass ihr nichts anderes im Sinn hattet«, zischte Bayaz durch zusammengebissene Zähne, dann setzte er ein Grinsen auf und applaudierte laut.
Glokta sah zu, wie Lestek einige letzte Verbeugungen machte, bevor sich der Vorhang vor ihm schloss; der goldene Schlüssel leuchtete noch in seiner Hand. Erzlektor Sult erhob sich von seinem Stuhl, als der Beifall verebbte.
»Ich freue mich, dass Ihnen unsere kleine Ablenkung gefallen hat!«, sagte er und lächelte glatt in die gebannt lauschende Runde. »Ich bin mir sicher, dass viele von Ihnen das Stück bereits gesehen haben, aber an diesem Abend haben wir es aus einem besonderen Grund gezeigt. Hauptmann Luthar ist nicht der Einzige, den wir heute in unserer Mitte feiern, es gibt noch einen zweiten Ehrengast. Niemand Geringeren als die Hauptperson unseres Stückes – Bayaz selbst, den Ersten der Magi!« Sult lächelte und deutete hinüber zur anderen Seite des Saales, wo der alte Betrüger saß. Rascheln war zu hören, als sämtliche Gäste sich vom Erzlektor abwandten und in die angegebene Richtung blickten.
Bayaz lächelte zurück. »Guten Abend«, sagte er. Einige Würdenträger lachten, da sie offenbar eine Fortsetzung der Theaterdarbietung erwarteten, aber Sult stimmte nicht mit ein, und so erstarb ihre Heiterkeit schnell wieder. Unbehagliche Stille breitete sich im Saal aus. Möglicherweise eine tödliche Stille.
»Der Erste der Magi. Seit einigen Wochen ist er hier bei uns im Agriont. Er und einige … Begleiter.« Sult sah von oben herab auf den vernarbten Nordmann und dann wieder auf den selbsternannten Magus. »Bayaz.« Er ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen, bis er die Ohren aller Anwesenden erreicht hatte. »Der erste Buchstabe des Alphabets in der Alten Sprache. Der erste Lehrling des Juvens, der erste Buchstabe des Alphabets, ist es nicht so, Meister Bayaz?«
»Ich kann es kaum glauben, Herr Erzlektor«, gab der Alte noch immer selbstsicher lächelnd zurück, »Sie haben sich über mich kundig gemacht?« Beeindruckend. Selbst jetzt, da er doch merken muss, dass das Spiel bald vorüber sein wird, hält er an seiner Rolle fest.
Sult ließ sich davon nicht beirren. »Es ist meine Aufgabe, jeden genau zu überprüfen, der möglicherweise eine Bedrohung für meinen König oder mein Land darstellt«, sagte er steif.
»Wie unglaublich patriotisch von Ihnen. Ihre Untersuchungen haben zweifelsohne ergeben, dass ich noch immer ein Mitglied des Geschlossenen Rates bin, obwohl mein Stuhl gegenwärtig leer ist. Meiner Meinung nach wäre Lord Bayaz zudem die passende Anrede.«
Sults kaltes Lächeln schwand keinen Augenblick. »Und wann genau haben Sie uns den letzten Besuch abgestattet, Lord Bayaz? Es ist doch anzunehmen, dass jemand, der so entscheidend an unserer Geschichte beteiligt war, sich über die Jahre stärker für das Geschick unseres Landes interessiert hätte. Wie kommt es, wenn ich fragen darf, dass Sie in all den Jahren seit der Gründung der Union, seit den Zeiten Harods des Großen, nicht einmal zu uns zurückgekehrt sind?« Eine gute Frage. Ich wünschte, sie wäre mir eingefallen.
»Oh, ich war aber doch hier. Während der Regierungszeit von König Morlick dem Verrückten und während des darauffolgenden Bürgerkriegs war ich der Tutor eines jungen Mannes namens Arnault. Später, nachdem Morlick ermordet und Arnault vom Offenen Rat der Thron zugesprochen worden war, diente ich ihm als sein Lord Schatzmeister. Ich nannte mich damals Bialoveld. Zu Zeiten König Kasamirs war ich wieder hier. Er nannte mich Zoller, und ich hatte Ihre Position inne, Herr Erzlektor.«
Glokta konnte kaum einen empörten Ausruf unterdrücken und hörte, wie andere in seiner Nähe scharf ausatmeten. Er schreckt wirklich vor gar nichts zurück, das muss man ihm lassen. Bialoveld und Zoller, zwei der respektiertesten Würdenträger der Union. Wie kann er es wagen? Und dennoch … Er dachte an das Porträt des Zoller im Arbeitszimmer des Erzlektors, und an die Statue des Bialoveld auf dem Weg der Könige. Beide kahl, beide strengen Gesichts, beide mit Bart … aber was denke ich da? Major West bekommt auch allmählich eine Platte, und macht ihn das vielleicht zu einem legendären Zauberer? Vermutlich hat dieser Scharlatan sich die beiden kahlköpfigsten Gestalten ausgesucht, die er in der Geschichte finden konnte.
Sult schlug währenddessen eine andere Richtung ein. »Dann erklären Sie mir dies, Bayaz. Es ist eine wohlbekannte Geschichte, dass Harod selbst an Ihnen zweifelte, als Sie vor all den Jahren zum ersten Mal in diese Halle traten. Als Beweis Ihrer Macht zerbrachen Sie diesen langen Tisch in zwei Teile. Heute sind möglicherweise ebenfalls einige unter uns, die Ihnen nicht glauben. Wären Sie bereit, uns mit einer ähnlichen Demonstration zu überzeugen?«
Je kälter Sult sich anhörte, desto unbesorgter schien der alte Betrüger zu werden. Er wischte diesen letzten Vorschlag mit einer achtlosen Handbewegung weg. »Das, wovon Sie da sprechen, Herr Erzlektor, ist nicht wie Jonglieren oder Schauspielerei. Es birgt stets Gefahren und hat seinen Preis. Davon abgesehen wäre es eine Schande, Hauptmann Luthars großes Fest zu verderben, nur damit ich vor Ihnen angeben könnte, oder nicht? Abgesehen davon, dass dann ein sehr schönes altes Möbelstück ruiniert wäre. Im Gegensatz zu vielen anderen heutzutage habe ich einen gesunden Respekt vor der Vergangenheit.«
Einige lächelten unsicher, als sie den beiden Männern dabei zusahen, wie sie gegeneinander antraten, und vermuteten vielleicht immer noch einen besonders ausgefeilten Spaß. Andere wussten es besser, sie runzelten bereits die Stirn und versuchten zu begreifen, was da vor sich ging und wer die Oberhand behalten würde. Wie Glokta feststellte, machte Kronrichter Marovia den Eindruck, als ob er sich köstlich amüsierte. Als ob er etwas weiß, das wir nicht wissen. Glokta rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum, die Augen auf den kahlen Schauspieler gerichtet. Die Sache läuft nicht so, wie sie sollte. Wann fängt er endlich an zu schwitzen? Wann?
Jemand stellte eine Schale mit dampfender Suppe vor Logen hin. Das war nun zweifelsohne wirklich etwas zum Essen, aber nun war ihm der Appetit vergangen. Logen war vielleicht kein Höfling, aber er erkannte durchaus, wann Menschen auf eine gewalttätige Auseinandersetzung hinarbeiteten. Während der Dialog zwischen den beiden alten Männern weiterlief, waren ihre Stimmen härter geworden, und der Saal schien plötzlich kleiner und bedrohlicher. Jeder der Anwesenden sah beunruhigt aus – Luthar, der stolze Bursche, der dank Bayaz’ Betrügerei den Schwertkampf gewonnen hatte, der fiebrige Krüppel, der die ganzen Fragen gestellt hatte …
Logen fühlte, wie sich die Härchen in seinem Nacken aufrichteten. In der Tür, die ihm am nächsten war, lauerten zwei Gestalten. Schwarz gekleidet und mit schwarzen Masken. Seine Augen glitten zu den anderen Ausgängen. Überall standen zwei dieser Maskierten, mindestens zwei, und er vermutete, dass sie nicht darauf warteten, das Geschirr abzuräumen.
Sie waren wegen ihm hier. Wegen ihm und Bayaz, das spürte er. Ein Mann zieht sich keine Maske über, wenn er nicht eine dunkle Aufgabe zu erledigen hat. Es war unmöglich, sich gegen so viele zu behaupten, aber er ließ eines der Messer vom Tisch in seine Hand gleiten und schob es in seinen Ärmel. Wenn sie versuchen sollten, ihn zu ergreifen, würde er kämpfen. Das verstand sich von selbst.
Bayaz klang allmählich wütend. »Ich habe Ihnen alle Beweise vorgelegt, die Sie benötigen, Herr Erzlektor!«
»Beweise!« Der große Mann, der Sult genannt wurde, schnaubte kalt und verächtlich. »Sie handeln mit Worten und staubigen Papieren! Eher die Herangehensweise eines kriecherischen Schreibers denn die Haltung einer Legende! Manche würden sagen, ein Magus ohne Magie ist lediglich ein alter Mann, der sich in alles einmischen will! Wir sind im Krieg und dürfen keine Risiken eingehen! Sie haben Erzlektor Zoller erwähnt. Es ist gut dokumentiert, mit wie viel Ehrgeiz er die Wahrheit ans Licht zu bringen suchte. Sie werden daher sicherlich verstehen, dass ich mich derselben Vorgehensweise befleißige.« Er beugte sich nach vorn, stützte sich mit den Fäusten auf dem Tisch vor sich auf. »Zeigen Sie uns Ihre Magie, Bayaz, oder zeigen Sie uns den Schlüssel!«
Logen schluckte. Es gefiel ihm gar nicht, wie sich die Dinge entwickelten, aber er verstand nicht, nach welchen Regeln hier gespielt wurde. Er hatte Bayaz sein Vertrauen geschenkt, aus irgendeinem Grund, und er würde dabei bleiben müssen. Jetzt war es ein wenig zu spät, um die Seiten zu wechseln.
»Haben Sie nichts mehr zu sagen?«, drängte Sult. Er ließ sich langsam wieder in seinen Stuhl sinken und lächelte erneut. Seine Augen glitten zu den Türen, und Logen fühlte, wie die Maskierten vorrückten und danach gierten, endlich von der Kette gelassen zu werden. »Haben Sie keine Worte mehr? Keine weiteren Tricks?«
»Nur einen.« Bayaz fasste in den Ausschnitt seines Hemdes. Dort ergriff er etwas und zog es hervor – eine lange, dünne Kette. Eine der schwarz maskierten Gestalten trat einen Schritt vor und erwartete offenbar eine Waffe, und Logens Hand schloss sich fester um das Messer, aber als die Kette ganz ans Licht gekommen war, hing an ihr lediglich ein kleiner Stab aus dunklem Metall.
»Der Schlüssel«, sagte Bayaz und hielt ihn hoch ins Kerzenlicht. Er glänzte kaum. »Weniger hell funkelnd als in Ihrem Stück vielleicht, aber der echte, das kann ich Ihnen versichern. Kanedias hat nie mit Gold gearbeitet. Er mochte keine hübschen Dinge. Ihm gefielen solche, die einen Zweck erfüllten.«
Die Lippen des Erzlektors kräuselten sich. »Erwarten Sie, dass wir Ihnen das so einfach glauben?«
»Natürlich nicht. Es ist Ihre Aufgabe, allen mit Misstrauen zu begegnen, und ich muss sagen, Sie machen das ausgesprochen gut. Allerdings wird es nun doch sehr spät, daher werde ich bis morgen früh warten, um das Haus des Schöpfers aufzuschließen.« Irgendwo fiel ein Löffel auf den Boden und sprang klappernd über die Fliesen. »Es werden natürlich einige Zeugen erforderlich sein, um sicherzustellen, dass ich keine Mogeleien versuche. Wie wäre es mit …« Bayaz kühle grüne Augen sahen am Tisch entlang. »Herrn Inquisitor Glokta, und … vielleicht Ihrem neuen Turniersieger, Hauptmann Luthar?«
Der Krüppel verzog das Gesicht, als sein Name genannt wurde. Luthar sah völlig verwirrt aus. Der Erzlektor saß mit einer Miene da, in der die Verachtung versteinerter Ausdruckslosigkeit gewichen war. Starr sah er von Bayaz’ lächelndem Gesicht zu dem sanft hin und her schwingenden dunklen Metallstab und wieder zurück. Seine Augen glitten schließlich zu einem der Ausgänge, und er machte eine winzige Kopfbewegung. Die dunklen Gestalten verschwanden wieder in den Schatten. Logen hörte auf, seine schmerzenden Zähne zusammenzubeißen, und ließ das Messer leise wieder auf den Tisch gleiten.
Bayaz grinste. »Du meine Güte, Meister Sult, Sie sind wirklich schwer zufrieden zu stellen.«
»Meiner Meinung nach wäre Euer Eminenz wohl die passende Anrede«, zischte der Erzlektor.
»So ist es wohl, so ist es wohl. Ich merke schon, Sie werden keine Ruhe geben, bis ich nicht doch ein Möbelstück zerbrochen habe. Nun möchte ich nicht allen Anwesenden ihre Suppe verderben, also …« Mit einem plötzlichen Knall zerbarst der Stuhl des Erzlektors. Seine Hand schoss nach vorn und krallte sich in das Tischtuch, als er inmitten eines knirschenden Durcheinanders von Scheiten, die allenfalls noch als Feuerholz taugten, zu Boden ging und stöhnend zwischen den Trümmern liegen blieb. Der König erwachte mit einem Ruck, seine Gäste blinzelten und hielten den Atem an und starrten auf die Szenerie. Bayaz ignorierte sie.
»Das ist wirklich eine äußerst hervorragende Suppe«, sagte er und schlürfte geräuschvoll von seinem Löffel.