DIE BEMERKENSWERTEN FÄHIGKEITEN DES BRUDER LANGFUSS
Die Beifallsrufe hatten Logen schon die ganze Woche lang jeden Morgen geweckt. Sie begannen früh und rissen ihn aus dem Schlaf, denn sie waren so laut wie eine Schlacht, die in unmittelbarer Nähe tobte. Zunächst hatte er gedacht, es sei wirklich eine Schlacht, aber inzwischen wusste er, dass nur ihr blöder Wettkampf der Grund dafür war. Wenn man das Fenster schloss, war der Lärm etwas gedämpft, aber dann wurde die Hitze bald unerträglich. Entweder also konnte man ein bisschen oder aber gar nicht schlafen. Daher ließ er das Fenster offen.
Logen rieb sich die Augen, fluchte und wuchtete sich aus dem Bett. Wieder ein heißer, öder Tag in der Stadt der Weißen Türme. Unterwegs, in der Wildnis, war er sofort hellwach, sobald er die Augen öffnete, aber hier war es anders. Die Langeweile und die Hitze machten ihn langsam und faul. Er schlurfte über die Schwelle in den Salon, gähnte mit weit aufgerissenem Mund und rieb sich mit einer Hand am Kinn. Dann blieb er wie angewurzelt stehen.
Es war jemand im Zimmer, ein Fremder. Er stand am Fenster, vom Sonnenlicht umfangen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Ein kleiner, wendiger Mann, der sich das Haar bis fast auf den knubbligen Schädel hinunter rasiert hatte und seltsame, von langer Reise strapazierte Kleidung trug – ausgeblichenes, ausgebeultes Tuch, das mehrfach rund um seinen Körper gewickelt war.
Bevor Logen etwas sagen konnte, drehte sich der Mann um und war mit flinken Schritten zu ihm geeilt. »Und wer seid Ihr?«, wollte er wissen. Sein lächelndes Gesicht war tief gebräunt und wettergegerbt, wie das von Falten durchzogene Leder eines besonders gern getragenen Schuhs. Sein Alter war dadurch unmöglich zu schätzen. Von fünfundzwanzig bis fünfzig kam alles infrage.
»Neunfinger«, brummte Logen und trat einen vorsichtigen Schritt zurück an die Wand.
»Neunfinger, ja.« Der kleine Mann trat auf ihn zu, ergriff Logens Rechte mit beiden Händen und hielt sie fest. »Es ist mir eine große Ehre und eine höchste Gunst«, erklärte er, »Eure Bekanntschaft zu machen!« Dabei schloss er die Augen und senkte den Kopf.
»Ihr habt von mir gehört?«
»Leider nein, aber alle Geschöpfe Gottes verdienen den tiefsten Respekt.« Wieder neigte er den Kopf. »Ich bin Bruder Langfuß, ein Reisender aus dem erlauchten Orden der Wegkundigen. Es gibt nur wenig Länder unter der Sonne, deren Boden meine Füße noch nicht berührt haben.« Er zeigte auf seine ausgetretenen Stiefel und öffnete dann weit die Arme. »Von den Bergen von Thond bis zu den Wüsten von Schamir, von den Ebenen des Alten Kaiserreichs bis zu den silbernen Wassern der Tausendinseln, die ganze Welt ist mein Zuhause! Ja, tatsächlich!«
Er beherrschte die Sprache des Nordens sehr gut, vielleicht besser als Logen selbst. »Und auch die Länder im Norden?«
»Ein kurzer Abstecher in meiner Jugend. Mir erschien die dortige Witterung recht rau.«
»Die Sprache sprecht Ihr aber gut.«
»Es gibt nur wenig Sprachen, die ich, Bruder Langfuß, nicht beherrsche. Die große Leichtigkeit beim Erlernen fremder Sprachen ist jedoch nur eine meiner vielen bemerkenswerten Fähigkeiten.« Der Mann strahlte. »Gott hat mich wirklich gesegnet!«, setzte er hinzu.
Logen fragte sich, ob das vielleicht ein besonders ausgeklügelter Witz sein sollte. »Was führt Euch hierher?«
»Man hat nach mir geschickt!« Seine dunklen Augen funkelten.
»Geschickt?«
»So ist es! Bayaz, der Erste der Magi! Er hat nach mir geschickt, und ich bin gekommen! So bin ich nun mal! Das Säckel meines Ordens wurde als Gegenleistung für meine bemerkenswerten Fähigkeiten äußerst großzügig gefüllt, aber ich wäre auch sonst gekommen. Ja, tatsächlich. Auch so!«
»Wirklich?«
»Natürlich!« Der kleine Mann wandte sich ab und lief mit großer Geschwindigkeit im Raum umher, wobei er sich die Hände rieb. »Die Herausforderung dieses Auftrags kitzelte den Stolz meines Ordens ebenso wie seine wohlbekannte Gier! Und die Wahl fiel auf mich! Von all den Wegkundigen des Weltenrunds wurde ich ausersehen, um diese Aufgabe zu übernehmen! Ich, Bruder Langfuß! Ich und kein anderer! Wer in meiner Lage und von meinem Ruf hätte eine solche Herausforderung abgelehnt?«
Er kam vor Logen zum Stehen und sah ihn erwartungsvoll an, als ob er auf eine Antwort seiner Frage wartete. »Äh …«
»Ich jedenfalls nicht!«, rief Langfuß und begann eine neuerliche Runde durch den Raum. »Ich konnte nicht widerstehen! Wieso auch? Das wäre gar nicht meine Art gewesen! Ans Ende der Welt zu fahren? Welch eine Geschichte wird das geben! Welche Begeisterung wird sie in anderen wecken! Welch ein …«
»Das Ende der Welt?«, fragte Logen misstrauisch.
»Ich weiß!« Der Fremde tätschelte ihm den Arm. »Wir sind beide sicher gleichermaßen aufgeregt!«
»Das ist doch gewiss unser Wegkundiger.« Bayaz trat aus seinem Zimmer.
»Das bin ich in der Tat. Bruder Langfuß, zu Euren Diensten. Und Ihr seid, wie ich vermute, niemand Geringerer als mein erlauchter Dienstherr, Bayaz, der Erste der Magi.«
»Der bin ich.«
»Es ist eine große Ehre und eine höchste Gunst«, rief Langfuß, »Eure Bekanntschaft zu machen!« Damit sprang er vor und ergriff die Hand des Magus.
»Ebenso. Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Reise.«
»Reisen sind für mich stets angenehm. Immer. Es ist die Zeit dazwischen, die ich als schwer erträglich empfinde! Ja, tatsächlich!« Bayaz warf Logen einen fragenden Blick zu, aber der konnte nur die Achseln zucken. »Darf ich mich erkundigen, wie lange es dauern wird, bis wir unsere Reise antreten? Ich brenne darauf aufzubrechen!«
»Schon bald, so hoffe ich, wird das letzte Mitglied unserer Expedition hier eintreffen. Wir werden ein Schiff benötigen.«
»Natürlich! Darum werde ich mich nur allzu gern kümmern! Welchen Kurs soll ich dem Kapitän mitteilen?«
»Westlich über das Meeresrund, nach Stariksa, dann weiter nach Calcis im Alten Kaiserreich.« Der kleine Mann lächelte und verneigte sich tief. »Ihr billigt diese Richtung?«
»Das tue ich, aber heutzutage segeln nur noch wenige Schiffe hinüber nach Calcis. Die endlosen Kriege des Alten Kaiserreichs haben die Gewässer dort gefährlich werden lassen. Überall wimmelt es vor Piraten. Es mag schwer werden, einen Kapitän zu finden, der willens ist, uns dorthin zu bringen.«
»Das hier sollte helfen.« Bayaz warf seine wie stets gut gefüllte Börse auf den Tisch.
»Das wird es sicherlich.«
»Sorgt dafür, dass es ein schnelles Schiff ist. Wenn wir bereit sind, möchte ich keinen Tag vergeuden.«
»Darauf könnt Ihr Euch verlassen«, sagte der Wegkundige und nahm den schweren Beutel mit den Münzen auf. »Es ist nicht meine Art, in langsamen Schiffen zu segeln! Nein! Ich besorge Euch das schnellste Schiff in ganz Adua! Ja! Es soll über die Meere fliegen wie der Atem Gottes! Es soll über die Wellen reiten wie …«
»Schnell genügt völlig.«
Der kleine Mann neigte den Kopf. »Und der Tag der Abreise?«
»Noch in diesem Monat.« Bayaz sah zu Logen hinüber. »Warum geht Ihr nicht mit ihm?«
»Was?«
»Ja!«, rief der Wegkundige. »Wir gehen zusammen!« Er packte Logen am Ellenbogen und zog ihn zur Tür.
»Ich erwarte, dass Ihr etwas Wechselgeld zurückbringt!«, rief Bayaz ihnen nach.
Der Wegkundige wandte sich in der Tür zu ihm um. »Dafür werde ich sorgen, seid versichert. Ein Auge für den Wert, ein Gespür für Geschäfte und die grimmige Entschlossenheit zu handeln – das sind nur drei«, er lächelte breit, »meiner bemerkenswerten Fähigkeiten!«
»Es ist eine fabelhafte Stadt, dieses Adua. Ja, tatsächlich. Nur wenige Städte gleichen ihr. Schaffa ist vielleicht etwas größer, aber so staubig. Man kann natürlich auch nicht leugnen, dass Westport und Dagoska ihre schönen Ecken haben. Manche meinen, Ospria sei wegen seiner Lage an den Berghängen die schönste Stadt der Welt, aber das Herz des Bruders Langfuß, es lässt sich nicht leugnen, gehört dem großen Talins. Wart Ihr schon einmal dort, Meister Neunfinger, habt Ihr diese edle Stätte schon einmal gesehen?«
»Äh …« Logen hatte Mühe, mit dem kleinen Mann Schritt zu halten, und drängte sich eilig durch den steten Strom von Fußgängern.
Langfuß blieb so plötzlich stehen, dass Logen ihn fast umrannte. Der Wegkundige drehte sich um, die Hände erhoben, und schien in endlose Weiten zu blicken. »Talins bei Sonnenuntergang, vom Meer aus betrachtet! Ich habe viele erstaunliche Dinge gesehen, glaubt mir, aber ich bleibe dabei, dass dies der schönste Anblick auf der ganzen Welt ist. Wie die Sonne auf den Abertausenden von Kanälen glitzert, auf den schimmernden Kuppeln der Zitadelle des Großherzogs, auf den eleganten Palästen der Handelsfürsten! Wo endet nun die leuchtende See, und wo beginnt die leuchtende Stadt? Ah! Talins!« Er wandte sich ab und lief wieder los; Logen eilte hinter ihm her.
»Aber dieses Adua ist auch ein schöner Ort, ganz bestimmt, und von Jahr zu Jahr wird er größer. Hier hat sich seit meinem letzten Besuch sehr viel verändert, wirklich. Früher einmal gab es hier nur Edelleute und gemeines Volk. Den Edelleuten gehörte das Land, sie hatten das Geld und somit auch die Macht. Ha. Ganz einfach, seht Ihr?«
»Nun …« Logen hatte Mühe, viel weiter als bis zu Langfuß’ Rücken zu sehen.
»Aber jetzt gibt es hier den Handel, und der blüht. Kaufleute und Bankiers und so weiter. Überall. Ganze Armeen. Jetzt können auch die gemeinen Leute reich sein, versteht Ihr? Und ein reicher Bürger hat Macht. Ist er nun ein Gemeiner, oder ist er ein Edelmann? Oder ist er etwas ganz anderes? Ha. Plötzlich wird alles recht verwickelt, was?«
»Hm …«
»So viel Reichtum. So viel Geld. Aber trotzdem noch so viel Armut, nicht wahr? So viele Bettler, so viele Arme. Das ist kaum gesund, so reich und so arm, so nah beieinander, aber es ist trotzdem eine schöne Stadt, und sie wächst immer weiter.«
»Ich finde, hier ist es viel zu voll«, brummte Logen, als sich eine Schulter an ihm vorbeieckte, »und zu heiß.«
»Pah! Voll? Das hier nennt Ihr voll? Da solltet Ihr mal den Tempel von Schaffa beim Morgengebet sehen! Oder den großen Platz vorm Palast des Imperators, wenn neue Sklaven zur Versteigerung kommen! Und heiß? Das hier nennt Ihr heiß? In Ul-Saffayn, im äußersten Süden von Gurkhul, wird es während der Sommermonate so heiß, dass Ihr ein Ei auf der Türschwelle braten könntet. Ja, tatsächlich! Hier lang.« Er schob sich an den Menschenmassen vorbei in eine enge Seitenstraße. »Dieser Weg ist der schnellste.«
Logen hielt ihn am Arm fest. »Da runter?« Er spähte in die Schatten hinein. »Seid Ihr sicher?«
»Wollt Ihr daran zweifeln?«, fragte Langfuß, und plötzlich nahm sein Gesicht einen entsetzten Ausdruck an. »Kann es sein, dass Ihr wirklich zweifelt? Zu meinen bemerkenswerten Fähigkeiten gehört an vorderster Front diejenige, die rechten Wege zu kennen! Aufgrund dieses Talents war der Erste der Magi bereit, eine so große Summe in den Säckel meines Ordens zu stecken! Kann es denn da sein … aber wartet.« Er streckte die Hand aus und fing wieder an zu lächeln, dann tippte er Logen mit dem Zeigefinger auf die Brust. »Ihr kennt ja Bruder Langfuß nicht. Noch nicht. Ihr seid aufmerksam und vorsichtig, das merke ich, und das sind am rechten Ort gute Eigenschaften. Ich kann nicht erwarten, dass Ihr mein unerschütterliches Vertrauen in meine Fähigkeiten habt. Nein! Das wäre nicht gerecht. Ungerechtigkeit ist keine bewundernswerte Eigenschaft. Nein! Ungerechtigkeit, das ist meine Sache nicht.«
»Ich meinte nur …«
»Ich werde Euch überzeugen!«, rief Langfuß. »Das werde ich! Eines Tages werdet Ihr meinem Wort eher vertrauen als Eurem eigenen! Ja! Dieser Weg ist der schnellste!« Damit eilte er mit bemerkenswerter Geschwindigkeit die dreckige Gasse hinunter, und Logen hatte Mühe, ihm nachzukommen, obwohl seine Beine gut einen halben Fuß länger waren.
»Ach, die Seitengässchen!«, rief der Wegkundige ihm über die Schulter hinweg zu, als sie dunkle und verdreckte Straßen hinuntereilten und sich die Gebäude immer enger um sie zusammendrängten. »Die Seitengässchen, wie?« Die Sträßchen wurden enger, dunkler und noch dreckiger. Der kleine Mann bog mal links, mal rechts ein, hielt aber keinen Augenblick inne, um den eingeschlagenen Kurs zu überdenken. »Riecht ihr das? Riecht ihr das, Meister Neunfinger? Es riecht nach …« Er rieb Daumen und Fingerspitzen aneinander, während er nach dem richtigen Wort suchte: »Nach Geheimnis! Nach Abenteuer!«
Für Logen roch es zunächst einmal nach Scheiße. Ein Mann lag bäuchlings im Rinnstein, möglicherweise sinnlos betrunken, vielleicht aber auch einfach nur tot. Andere gingen vorüber, humpelnd und ausgezehrt, oder standen in bedrohlichen Grüppchen in den Hauseingänsen und ließen Flaschen kreisen. Auch Frauen waren dabei.
»Vier Mark, und du bekommst von mir einen ganz besonderen Segen, Nordmann!«, rief eine Logen nach, als er an ihr vorbeiging. »Einen Segen, den du nicht so schnell vergessen wirst! Na schön, drei!«
»Huren«, flüsterte Langfuß kopfschüttelnd, »und zwar ziemlich billige. Mögt Ihr Frauen?«
»Na ja …«
»Ihr solltet nach Ul-Nahb gehen, mein Freund! Ul-Nahb an den Ufern des südlichen Meeres. Dort könntet Ihr Euch eine Bettgespielin kaufen. Ja, das könntet Ihr! Sie kosten ein Vermögen, aber diese Mädchen werden auch jahrelang ausgebildet!«
»Man kann sich ein Mädchen kaufen?«, fragte Logen verblüfft.
»Oder auch einen Jungen, falls das eher Eurem Geschmack entspräche.«
»Hä?«
»Sie werden wirklich jahrelang ausgebildet. Das ist dort unten ein richtig großer Handelszweig. Mögt Ihr es, wenn Frauen geschickt und einfallsreich sind? Ja? Diese Mädchen haben ein solches Talent, Ihr würdet es nicht glauben! Oder Ihr solltet einmal nach Sipani reisen. In dieser Stadt gibt es Orte – meine Güte! Die Frauen sind wunderschön, jede Einzelne von ihnen. Ja, tatsächlich! Wie Prinzessinnen! Und sie sind sehr sauber«, sagte er und warf einen Blick auf die schmuddeligen Frauen am Straßenrand.
Ein bisschen Dreck störte Logen überhaupt nicht. Geschickt und wunderschön klang zudem ein bisschen zu kompliziert. Ein Mädchen fiel ihm im Vorübergehen auf, das mit einem hochgereckten Arm an einem Türrahmen lehnte und ihnen mit halbherzigem Lächeln nachsah. Logen fand die junge Frau auf eine seltsame, verzweifelte Weise hübsch. Sie sah jedenfalls besser aus als er, und das letzte Mal lag wirklich schon ziemlich lange zurück. Bei solchen Sachen musste man realistisch sein.
Logen blieb unvermittelt stehen. »Bayaz bestand auf Wechselgeld?«, fragte er leise.
»Ja, das hat er gesagt. In dieser Hinsicht hat er sich sehr deutlich ausgedrückt.«
»Das heißt, es ist Geld übrig?«
Langfuß hob eine Augenbraue. »Ja, vielleicht, lasst mich einmal sehen …« Mit schwungvoller Bewegung zog er die Börse hervor, öffnete sie und kramte darin herum. Die Münzen klimperten vernehmlich.
»Haltet Ihr das für eine gute Idee?« Logen sah nervös die Straße entlang. Einige Gesichter hatten sich bereits zu ihnen umgewandt.
»Was sind denn das für welche?«, fragte der Wegkundige, der noch immer in der Börse wühlte. Er zog einige Münzen heraus, hielt sie gegen das Licht und sah sie genau an, dann drückte er sie Logen in die Hand.
»Unauffälligkeit gehört nicht gerade zu Euren Talenten, oder?« Einige der abgerissen wirkenden Männer in der Gasse bewegten sich langsam und neugierig auf sie zu, zwei von vorn, einer von hinten.
»Nein, wirklich nicht!«, lachte Langfuß. »Wirklich nicht! Ich bin ein Mann, der geradeheraus sagt, was er denkt, so bin ich nun mal! Ja, tatsächlich! Ich bin ein … ah.« Jetzt waren ihm die Gestalten aufgefallen, die ihnen entgegenschlichen. »Ah. Das ist etwas unglücklich. Ach du liebe Zeit.«
Logen wandte sich an das Mädchen. »Habt Ihr etwas dagegen, wenn wir …« Sie knallte ihm die Tür vor der Nase zu. Auch andere Türen in der Straße schlossen sich. »Scheiße«, sagte er. »Seid Ihr ein guter Kämpfer?«
»Gott hat geruht, mich mit vielen außergewöhnlichen Fähigkeiten zu segnen«, raunte der Wegkundige, »aber der Waffengang gehört nicht dazu.«
Einer der Männer sah schielend zu ihnen hinüber. »Das ist eine ziemlich große Börse für so einen kleinen Kerl«, sagte er beim Näherkommen.
»Nun, äh …«, machte Langfuß, der sich hinter Logens Schulter versteckte.
»Eine viel zu schwere Last für einen kleinen Kerl«, sagte ein anderer.
»Warum lasst Ihr sie uns Euch nicht abnehmen?«
Keiner von ihnen trug offen Waffen, aber Logen erkannte an der Art, wie sie ihre Hände bewegten, dass sie welche besaßen. Hinter ihnen war noch ein dritter Mann, und er spürte, wie jener vorrückte. Er war nahe. Näher als die anderen beiden. Wenn er den als Ersten aus dem Weg räumen konnte, hatte er vielleicht eine Möglichkeit zu entkommen. Er konnte es nicht riskieren, sich umzusehen, ohne den Vorteil des Überraschungsmoments zu verlieren. Er musste einfach auf das Beste hoffen. Wie immer.
Logen biss die Zähne zusammen und stieß den Ellenbogen nach hinten. Mit heftigem Aufschlag traf er den Mann hinter ihm am Kinn, und dann gelang es Logen, mit der anderen Hand sein Handgelenk zu packen, und das war Glück, denn der andere hatte bereits einen Dolch erhoben. Wieder schlug Logen ihm den Ellenbogen auf den Mund, dann riss er ihm die Klinge aus den schlaffen Fingern, als sein Gegner zusammensank und mit dem Kopf auf das verdreckte Pflaster knallte. Hastig schoss er wieder herum und erwartete beinahe, ein Messer im Rücken zu spüren, aber die anderen beiden Kerle hatten sich nicht schnell genug bewegt. Sie hatten jetzt ebenfalls Messer gezogen, und der eine war einen halben Schritt auf ihn zugegangen, aber er blieb stehen, als er sah, dass Logen den Dolch schnell aufgehoben hatte und ihm kampfbereit entgegensah.
Es war nur eine lächerliche Waffe, sechs Zoll rostiges Eisen, das noch nicht einmal eine Parierstange hatte, aber es war besser als nichts. Viel besser. Logen fuchtelte damit herum, damit die anderen es auch ganz bestimmt sahen. Ein gutes Gefühl. Seine Möglichkeiten hatten sich gerade sehr verbessert.
»Schön«, sagte Logen, »wer ist der Nächste?«
Die anderen beiden machten einen Schritt von einander weg und versuchten, ihn von zwei Seiten in die Zange zu nehmen. Sie wogen die Messer in den Händen, schienen es aber nicht besonders eilig zu haben.
»Den schaffen wir!«, flüsterte der mit den Schielaugen, aber sein Freund sah nicht gerade sicher aus.
»Oder aber ihr kriegt das hier.« Logen öffnete die geballte Faust und zeigte die Münzen, die Langfuß ihm gegeben hatte. »Und dafür lasst ihr uns in Ruhe. So viel kann ich erübrigen.« Er ließ das Messer ein bisschen mehr durch die Luft pfeifen, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen. »So viel seid ihr mir wert – so viel, mehr nicht. Wie sieht es aus?«
Der Schielende spuckte auf den Boden. »Den schaffen wir!«, flüsterte er wieder. »Geh du zuerst!«
»Geh doch selbst!«, brüllte der andere.
»Wenn ihr nehmt, was ich euch anbiete, muss keiner von uns gehen.«
Der Mann, dem er den Ellenbogen ins Gesicht gerammt hatte, stöhnte und wälzte sich auf dem Boden herum, und die Erinnerung an das, was ihm widerfahren war, schien den beiden die Entscheidung zu erleichtern. »In Ordnung, du nordischer Bastard, in Ordnung, wir nehmen das Geld!«
Logen grinste. Er dachte darüber nach, dem Schielenden die Münzen ins Gesicht zu schleudern und ihn dann zu erstechen, während er abgelenkt war. So hätte er es in seiner Jugend gemacht. Aber nun entschied er sich dagegen. Wieso sich so viel Mühe machen? Stattdessen öffnete er die Finger und ließ das Geld auf die Straße hinter sich rollen, während er sich mit dem Rücken gegen die nächste Mauer drängte. Er und die zwei Diebe umkreisten einander misstrauisch, und jeder Schritt brachte sie näher an die Münzen und ihn näher zur Flucht. Es dauerte nicht lange, und sie hatten ihre Plätze getauscht, und Logen zog sich zurück, die Straße entlang, immer noch den Dolch in der Hand. Als sie zehn Schritte voneinander entfernt waren, knieten sich die beiden nieder und begannen, die verstreuten Münzen vom Boden aufzusammeln.
»Ich bin noch am Leben«, flüsterte Logen vor sich hin, während er seine Schritte beschleunigte.
Das war Glück gewesen, das wusste er. Ein Narr war der, der denkt, es gebe Kämpfe, die so belanglos sind, dass er darin nicht getötet werden könnte, egal, welch ein großer Krieger er ist. Er hatte Glück gehabt, dass er den Mann hinter sich genau richtig erwischt hatte. Und Glück, dass die anderen beiden so langsam gewesen waren. Aber er hatte in Kämpfen immer Glück gehabt. Glück in der Hinsicht, dass er sie lebend überstanden hatte. Nicht in der, dass er überhaupt in sie hineingeraten war. Aber dennoch war er mit seinem Tagewerk zufrieden. Er war froh, dass er niemanden umgebracht hatte.
Logen fühlte, wie ihm jemand auf die Schulter klopfte, und er wirbelte herum, den Dolch im Anschlag.
»Ich bin es nur!« Bruder Langfuß hob die Hände. Logen hatte fast schon vergessen gehabt, dass der Wegkundige bei ihm war. Offenbar hatte er sich die ganze Zeit neben ihm gehalten, völlig still. »Gut gehalten, Meister Neunfinger, gut gehalten! Ich sehe, dass auch Ihr einige bemerkenswerte Fähigkeiten besitzt! Ich freue mich darauf, mit Euch zu reisen, ja, tatsächlich! Zum Hafen geht es hier entlang«, rief er und setzte sich schon wieder in Marsch.
Logen sah ein letztes Mal zu den beiden Männern hinüber, aber jene suchten noch den Boden ab, daher warf er das Messer weg und beeilte sich, Langfuß einzuholen. »Kämpft Ihr Wegkundigen denn nie?«
»Einige von uns tun das schon, o ja, mit leeren Händen oder auch mit allen möglichen Waffen. Einige von ihnen bringen sicher den Tod, aber ich nicht. Nein. Das ist nicht meine Art.«
»Niemals?«
»Niemals. Meine Talente liegen anderswo.«
»Ich hätte vermutet, dass Eure Reisen Euch oft in Gefahr bringen würden.«
»Das tun sie auch«, sagte Langfuß gut gelaunt, »das tun sie tatsächlich. In solchen Augenblicken kommt dann eine andere meiner bemerkenswerten Fähigkeiten zum Tragen – die Fähigkeit, mich zu verbergen.«