TEE UND RACHE
Es ist ein wunderschönes Land, nicht wahr?«, fragte Bayaz und sah zu den kargen, zerklüfteten Berghängen hinauf, die sich zu beiden Seiten der Straße erhoben.
Die Hufe ihrer Pferde schlugen langsam auf den Pfad, und das gleichmäßige Klappern passte so gar nicht zu dem Unbehagen, das Logen empfand. »Meint Ihr?«
»Nun, es ist natürlich ein hartes Land für all jene, die es nicht gut genug kennen. Ein karges, zähes Land, das nicht vergibt. Aber es hat auch etwas Erhabenes.« Der Erste der Magi machte eine weit ausholende Armbewegung zu der Landschaft hin und atmete die Luft mit Genuss ein. »Es ist ehrlich und aufrichtig. Es ist nicht immer der beste Stahl, der am schönsten schimmert.« Er sah zu Logen herüber und schwankte leicht in seinem Sattel. »Das solltet Ihr doch wissen.«
»Mir erschließt sich die Schönheit irgendwie nicht.«
»Nein? Was seht Ihr dann?«
Logen ließ den Blick über die steilen, grasbewachsenen Hänge gleiten, die von Flecken von Riedgras und braunem Ginster durchzogen waren, gelegentlich durchbrochen von grauem Fels und kleinen Baumgrüppchen. »Ich sehe einen guten Ort für eine Schlacht. Vorausgesetzt, man ist als Erster hier.«
»Tatsächlich? Wieso das?«
Logen deutete auf eine rund geschliffene Bergspitze. »Bogenschützen auf dieser Kuppe würden von der Straße nicht gesehen, und man könnte den Großteil der Fußtruppen zwischen den Felsen verstecken. Ein paar der am leichtesten Bewaffneten drüben links am Berg, um den Feind auf den steilsten Abhang zu locken.«
Er zeigte nun auf die dornbewehrten Büsche, die unten auf dem Berghang wuchsen. »Man müsste sie dort ein Stück vorankommen lassen, und wenn sie sich durch den Ginster kämpfen müssen, greift man mit Pfeilen an. Pfeile, die so von oben kommen – die sind überhaupt nicht lustig. Sie fliegen schneller und weiter, und sie stechen tiefer. Damit würde man die Truppe zerstreuen. Wenn die Leute die Felsen erreicht hätten, wären sie schon hundemüde und hätten kaum noch Disziplin. Das wäre dann der rechte Zeitpunkt für den Angriff. Ein paar Carls, die hinter den Steinen hervorspringen und sie von oben attackieren, frisch und kampfeslustig und wie die Teufel brüllend – damit wären sie da oben erledigt.«
Logen kniff die Augen zusammen, um zu den Bergen hinüberzusehen. Er hatte eine solche Überraschung schon miterlebt, auf beiden Seiten, und in keinem Fall war es eine angenehme Erfahrung gewesen. »Aber wenn sie trotzdem noch ein bisschen durchhalten sollten, könnte man sie mit ein paar Reitern, die aus den Bäumen da oben hervorstürmen, endgültig fertig machen. Ein paar Namhafte Männer, ein paar harte Kämpfer, die von einer völlig unerwarteten Seite über einen hereinbrechen, das ist eine wirklich erschreckende Erfahrung. Sie würden rennen wie die Hasen – da sie schon so müde wären, allerdings nicht mehr so schnell. Das bedeutet Gefangene, und Gefangene bedeuten Lösegeld oder zumindest leicht aus dem Weg geräumte Feinde. Ich sehe hier ein großes Abschlachten, oder einen Sieg, der ein paar Lieder wert ist, je nachdem, auf welcher Seite man steht. Das sehe ich hier.«
Bayaz lächelte, und sein Kopf nickte im Einklang mit der langsamen Bewegung seines Pferdes. »War es Stolicus, der gesagt hat, dass das Gelände der beste Freund eines Generals sein muss, oder es wird sein schlimmster Feind?«
»Ich habe noch nie von ihm gehört, aber er hat völlig recht. Dieses Gelände hier ist bestens geeignet für eine Armee, jedenfalls, wie gesagt, wenn man als Erster hier ist. Darauf kommt es an.«
»Das ist wohl wahr. Wir haben allerdings keine Armee.«
»Zwischen diesen Bäumen könnten sich wenige Reiter allerdings noch besser verstecken als sehr viele.« Logen sah den Zauberer von der Seite her an. Bayaz war zufrieden im Sattel zusammengesunken und sah aus, als genösse er einen gemütlichen Ausritt aufs Land. »Ich glaube nicht, dass Bethod Euer Ratschlag gefallen hat, und ich hatte ohnehin noch genug Rechnungen bei ihm offen. Er ist an einer Stelle verletzt worden, an der es ihm am meisten wehtut, an seinem Stolz. Er wird Rache wollen. Und zwar unbedingt.«
»Ah ja, Rache, diese im Norden so weit verbreitete Beschäftigung. Sie scheint wirklich nie an Beliebtheit einzubüßen.«
Logen sah finster zu den Bäumen, den Felsen, den schmalen Felsrinnen in den Seiten der Täler, zu den zahllosen Verstecken. »Es werden Männer in diesen Bergen sein, die auf uns warten. Kleine Gruppen geschickter und kampferfahrener Männer, mit guten Pferden und guten Waffen, die sich in diesem Gelände auskennen, jetzt, da Bethod all seine Feinde erledigt hat, liegt im Norden nichts mehr außerhalb seiner Reichweite. Sie könnten hier lauern«, er deutete nach vorn auf einige Felsblöcke, die neben der Straße lagen, »oder in den Bäumen hier oder dort.« Malacus Quai, der mit dem Packpferd vor ihnen herritt, sah sich verunsichert um. »Sie könnten überall sein.«
»Macht Euch das Angst?«, fragte Bayaz.
»Mir macht alles Angst, und das ist auch gut so. Angst ist ein verlässlicher Freund des Gejagten und hat mich die ganze Zeit über am Leben erhalten. Die Toten sind ohne Angst, und mir liegt nichts daran, ihnen Gesellschaft zu leisten. Er wird auch Männer zur Bibliothek schicken.«
»Ach ja, um meine Bücher zu verbrennen und so weiter.«
»Macht Euch das Angst?«
»Nicht besonders. Auf den Steinen am Tor liegt Juvens’ Wort, und das ist nicht zu überwinden, selbst heute nicht. Niemand, der gewalttätigen Sinnes ist, kann sich nähern. Ich vermute, dass Bethods Männer im Regen rund um den See laufen werden, bis ihnen irgendwann die Vorräte ausgehen, während sie sich fragen, wieso sie ein derart großes Gebäude wie eine Bibliothek nicht finden können. Nein«, sagte der Zauberer zufrieden und kratzte sich den Bart. »Ich beschäftige mich lieber mit unserer eigenen vertrackten Lage. Was würde wohl passieren, wenn man uns finge, was meint Ihr?«
»Bethod wird uns töten lassen, und zwar auf die unangenehmste Weise, die ihm einfällt. Es sei denn, dass er sich gnädig zeigen will und uns mit einer Warnung davonkommen lässt.«
»Das ist wenig wahrscheinlich.«
»Das habe ich mir auch gedacht. Wir können nur versuchen, die Weißflut zu erreichen, über den Fluss nach Angland zu gelangen und auf unser Glück vertrauen, dass wir dabei nicht entdeckt werden.« Logen vertraute nicht gern auf das Glück, schon allein das Wort hatte einen schlechten Beigeschmack. Er blinzelte in den wolkenverhangenen Himmel. »Wir könnten ein wenig schlechtes Wetter gebrauchen. Ein ordentlicher Regenguss würde uns guten Sichtschutz geben.« Da hatte es nun wochenlang gepisst, und jetzt, da er dringend Regen brauchte, wollte der Himmel keinen hergeben.
Malacus Quai sah sich über seine Schulter hinweg zu ihnen um, die Augen groß und rund vor Sorge. »Sollten wir nicht versuchen, ein wenig schneller voranzukommen?«
»Vielleicht«, sagte Logen und klopfte seinem Pferd auf den Hals, »aber das würde die Pferde ermüden, und es mag sein, dass wir die ganze Schnelligkeit, die in ihnen steckt, später noch brauchen werden. Wir könnten uns tagsüber verstecken und nachts weiterreiten, aber da riskieren wir, uns zu verirren. So, wie wir es jetzt halten, ist es schon am besten – langsam weiterreiten und hoffen, dass wir nicht gesehen werden.« Er warf der Bergspitze einen finsteren Blick zu. »Hoffen, dass wir nicht schon gesehen wurden.«
»Hmm«, sagte Bayaz, »dann ist es jetzt vielleicht die beste Zeit, es Euch zu sagen. Diese Hexe Caurib ist nicht halb so närrisch, wie ich sie dargestellt habe.«
Logen hatte das Gefühl, als werde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen. »Nein?«
»Nein. Trotz der ganzen Kriegsbemalung, dem Gold und dem Gequassel über den äußersten Norden weiß sie genau, was sie tut. Sie nennen es das Lange Auge. Ein alter Trick, aber sehr wirksam. Sie hat uns beobachtet.«
»Sie weiß, wo wir sind?«
»Sie weiß höchstwahrscheinlich, wann wir aufbrachen, und auch, in welche Richtung wir dann geritten sind.«
»Das verbessert unsere Aussichten nicht besonders.«
»Das würde ich auch sagen.«
»Scheiße.« Logen bemerkte eine Bewegung in den Bäumen zu ihrer Linken, und seine Hand fuhr zum Griff seines Schwerts. Einige Vögel erhoben sich in den Himmel. Er wartete, während ihm das Herz bis zum Hals schlug. Nichts. Er ließ die Hand wieder sinken. »Wir hätten sie umbringen sollen, als dazu Gelegenheit war. Alle drei.«
»Aber wir haben es nicht getan, das ist nun mal so.« Bayaz sah zu Logen hinüber. »Wenn sie uns auflauern, was ist dann Euer Plan?«
»Fliehen. Und darauf hoffen, dass unsere Pferde schneller sind.«
»Und diese hier?«, fragte Bayaz.
Der Wind fuhr frisch durch die kleine Senke, trotz der Bäume, die sie umstanden, und ließ die Flammen des Lagerfeuers flackern und tanzen. Malacus Quai ließ die Schultern hängen und zog seine Decke enger um sich. Er sah den kurzen Stängel an, den Bayaz hochhielt, und zog vor Konzentration die Stirn in Falten.
»Ähm …« Es war schon die fünfte Pflanze, und der unglückliche Zauberlehrling hatte noch nicht eine von ihnen richtig benennen können. »Ist das … äh … Ilyith?«
»Ilyith?«, wiederholte der Zauberer, wobei sein Gesicht mit keiner Regung verriet, ob die Antwort richtig war oder nicht. Gegenüber seinem Lehrling war er so gnadenlos wie Bethod.
»Vielleicht?«
»Wohl kaum.« Der Lehrling schloss die Augen und seufzte zum fünften Mal an diesem Abend. Er tat Logen leid, wirklich, aber da konnte man nun mal nichts ändern. »Ursilum, in der alten Sprache, die rundblättrige Sorte.«
»Ja, ja, natürlich, Ursilum, das lag mir schon die ganze Zeit auf der Zunge.«
»Wenn Euch der Name schon auf der Zunge lag, dann stecken da doch sicher auch irgendwo die Verwendungsmöglichkeiten dieser Pflanze?«
Der Lehrling kniff die Augen zusammen und sah hoffnungsvoll zum Nachthimmel hinauf, als ob die Antwort irgendwo in den Sternen geschrieben sein könnte. »Ist es … gegen Gelenkschmerzen?«
»Nein, das ist es ganz sicher nicht. Ich fürchte, Eure schmerzenden Gelenke würden Euch immer noch quälen.« Bayaz drehte den Stängel langsam in den Fingern. »Ursilum hat keine Heilkräfte, jedenfalls nicht, soweit ich weiß. Es ist einfach eine Pflanze.« Damit warf er sie in die Büsche.
»Nur eine Pflanze«, wiederholte Quai und schüttelte den Kopf. Logen seufzte und rieb sich die müden Augen.
»Entschuldigt, Meister Neunfinger, langweilen wir Euch?«
»Was macht das schon?«, fragte Logen und hob die Hände. »Wozu sollte man den Namen einer Pflanze wissen wollen, die zu nichts taugt?«
Bayaz lächelte. »Ein guter Einwand. Sagt uns, Malacus, wozu ist das gut?«
»Wenn ein Mensch die Welt verändern will, sollte er sie als Erstes verstehen.« Der Zauberlehrling sprach die Worte wie auswendig gelernt und war offenkundig froh, dass er einmal etwas gefragt worden war, worauf er eine Antwort wusste. »Der Schmied muss die Natur der Metalle kennen, der Zimmermann die Natur des Holzes, sonst ist ihre Arbeit ohne großen Wert. Magie an sich ist wild und gefährlich, denn sie kommt von der Anderen Seite, und sich der Dinge aus der unterirdischen Welt zu bedienen, ist ein großes Wagnis. Der Magus härtet die Magie mit Wissen und erschafft so die Hohe Kunst, aber wie der Schmied oder der Zimmermann, so kann auch er nur das zu ändern erstreben, was er versteht. Mit allem, was er lernt, wächst seine Macht. Daher muss der Magus danach streben, alles zu erlernen und die Welt in ihrer Gänze zu begreifen. Der Baum ist nur so stark wie seine Wurzel, und Wissen ist die Wurzel der Macht.«
»Lasst mich raten – Juvens’ Grundzüge der Hohen Künste ?«
»Die allerersten Zeilen«, nickte Bayaz.
»Entschuldigt, aber ich bin seit über dreißig Jahren auf dieser Welt, und ich habe noch immer nicht eine einzige Sache verstanden, die passiert ist. Die Welt in ihrer Gänze begreifen? Alles verstehen? Das ist eine ziemlich große Aufgabe.«
Der Magus gluckste. »Eine unmögliche, das ist tatsächlich wahr. Um nur einen Grashalm wirklich zu kennen und zu begreifen, bedarf es eines lebenslangen Studiums, und die Welt verändert sich noch dazu ständig. Daher neigen wir dazu, uns auf bestimmte Gebiete zu spezialisieren.«
»Und was habt Ihr dabei gewählt?«
»Feuer«, sagte Bayaz und sah mit glücklichem Gesicht in die Flammen, deren Licht auf seinem kahlen Kopf tanzte. »Feuer und Kraft und Wille. Aber selbst auf den von mir gewählten Gebieten bleibe ich auch nach zahllosen Jahren des Studiums ein bloßer Novize. Je mehr man lernt, desto mehr begreift man, wie wenig man doch weiß. Dennoch lohnt sich die Mühe an sich. Wissen ist schließlich die Wurzel der Macht.«
»Mit genug Wissen könnt ihr Magi also alles tun?«
Bayaz runzelte die Stirn. »Es gibt Grenzen. Und es gibt Regeln.«
»Wie das Erste Gebot?« Meister und Lehrling sahen gleichzeitig mit einem Ruck zu Logen hinüber. »Es ist verboten, mit Teufeln zu sprechen, habe ich Recht?« Es war offensichtlich, dass Quai sich nicht mehr an seinen fiebervernebelten Ausbruch erinnerte; sein Mund stand vor Überraschung weit offen. Bayaz’ Augen verengten sich nur ein wenig, mit einem leisen Hauch von Misstrauen.
»Tatsächlich, Ihr habt recht«, sagte der Erste der Magi. »Es ist verboten, die andere Seite direkt zu berühren. Das Erste Gebot muss auf alles angewandt werden, ohne Ausnahme. Ebenso wie das Zweite.«
»Wie lautet das?«
»Es ist verboten, das Fleisch von Menschen zu verzehren.«
Logen hob eine Augenbraue. »Ihr Zauberer lasst Euch wirklich seltsame Dinge einfallen.«
Bayaz lächelte. »Oh, Ihr wisst noch nicht einmal die Hälfte.« Er wandte sich an seinen Lehrling und hielt ihm eine knotige braune Wurzel hin. »Und nun, Meister Quai, wärt Ihr wohl so gut, mir den Namen zu nennen?«
Logen konnte sich das Grinsen nicht verbeißen. Er kannte diese Wurzel.
»Kommt schon, Meister Quai, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.«
Die unglückliche Lage des Lehrlings war für Logen nicht länger zu ertragen. Er lehnte sich zu ihm hinüber, tat so, als wollte er das Feuer mit einem Stock neu schüren, hustete, um seine Worte zu verschleiern, und flüsterte: »Krähenfuß.« Bayaz saß ein gutes Stück entfernt, und der Wind rauschte noch immer in den Bäumen. Der Magus hatte ihn unmöglich hören können.
Quai spielte seine Rolle gut. Er starrte weiterhin die Wurzel an und runzelte nachdenklich die Stirn. »Ist das Krähenfuß?«, schlug er schließlich vor.
Bayaz sah überrascht aus. »In der Tat, das ist es. Gut gemacht, Malacus. Und könnt Ihr mir auch sagen, wozu es verwendet wird?«
Logen hustete wieder. »Wunden«, flüsterte er, während er scheinbar unbeteiligt zu den Büschen hinübersah und sich eine Hand über den Mund hielt. Zwar wusste er nicht allzu viel über Pflanzen, aber wenn es um Wunden ging, hatte er reichlich Erfahrung.
»Ich glaube, es ist gut für Wunden«, sagte Quai langsam.
»Hervorragend, Meister Quai. Krähenfuß stimmt. Und es ist gut für Wunden. Ich freue mich, dass wir nun endlich ein bisschen voranzukommen scheinen.« Er räusperte sich. »Es erscheint mir jedoch seltsam, dass Ihr diesen Namen verwendet. Krähenfuß nennt man diese Pflanze nur nördlich der Berge. Diesen Namen habe ich Euch mit Sicherheit nicht gelehrt. Ich frage mich, wen kennt Ihr wohl aus diesem Teil der Welt?« Er warf Logen einen Blick zu. »Habt Ihr je erwogen, Euch den Zauberkünsten zu widmen, Meister Neunfinger?« Er sah Quai mit zusammengekniffenen Augen an. »Vielleicht habe ich einen Platz für einen Lehrling frei.«
Malacus ließ den Kopf hängen. »Es tut mir leid, Meister Bayaz.«
»Das sollte es auch. Vielleicht könnt Ihr die Töpfe für uns säubern. Diese Aufgabe erscheint Euren Talenten eher angemessen.«
Quai pellte sich zögernd aus seiner Decke, sammelte die dreckigen Schüsseln ein und drängte sich schleppend durch die Büsche zum Bach. Bayaz beugte sich über den Topf, der noch über dem Feuer hing, und warf einige getrocknete Blätter in das kochende Wasser. Das flackernde Licht beleuchtete die Unterseite seines Gesichts, der Dampf ringelte sich um seinen kahlen Kopf. In diesem Augenblick sah er so aus, wie man sich einen Zauberer vorstellt.
»Was ist das?«, fragte Logen und griff nach seiner Pfeife. »Eine Beschwörung? Ein Zaubertrank? Ein großes Werk der Hohen Künste?«
»Tee.«
»Hä?«
»Blätter einer bestimmten Pflanze, mit Wasser aufgebrüht. In Gurkhul gilt es als großer Luxus.« Er goss sich ein wenig von dem Gebräu in einen Becher. »Möchtet Ihr es versuchen?«
Logen schnupperte misstrauisch. »Riecht wie Käsefüße.«
»Wie Ihr meint.« Bayaz schüttelte den Kopf und setzte sich wieder ans Feuer, beide Hände um den dampfenden Becher geschlossen. »Aber Euch entgeht eines der größten Geschenke der Natur an die Menschen.« Er nahm einen Schluck und machte ein zufriedenes, schmatzendes Geräusch. »Beruhigt den Geist und belebt den Körper. Es gibt nur wenig Übel, bei denen eine gute Tasse Tee nicht zu helfen vermag.«
Logen drückte einen Klumpen Tschagga in den Kopf seiner Pfeife. »Beispielsweise eine Axt im Kopf?«
»Das gehört tatsächlich dazu«, räumte Bayaz grinsend ein. »Sagt mir, Meister Neunfinger, wieso ist so viel Blut zwischen Euch und Bethod? Habt Ihr nicht etliche Male für ihn gekämpft? Wieso hasst Ihr einander so?«
Logen ließ von seiner Pfeife ab und atmete aus. »Es gibt Gründe«, sagte er steif. Die Wunden jener Zeit waren noch nicht verheilt. Er wollte nicht, dass sich jemand an ihnen zu schaffen machte.
»Ah, Gründe.« Bayaz sah auf seinen Teebecher. »Und was habt Ihr für Gründe? Diese Fehde ist doch beidseitig, oder nicht?«
»Vielleicht.«
»Aber Ihr seid bereit zu warten?«
»Muss ich wohl.«
»Hmm. Ihr seid sehr geduldig für einen Nordmann.«
Logen dachte an Bethod, seine verabscheuungswürdigen Söhne und die vielen guten Männer, die sie zur Befriedigung ihres Ehrgeizes umgebracht hatten. An die Männer, die er deswegen umgebracht hatte. Er dachte an die Schanka und an seine Familie, an die Ruinen des Dorfs am Meer. Er dachte an all seine toten Freunde. Er saugte an seinen Zähnen und starrte ins Feuer.
»Ich habe zu meiner Zeit einige Rechnungen beglichen, aber es hat immer nur zu weiteren Fehden geführt. Rache ist manchmal ein gutes Gefühl, aber reiner Luxus. Sie füllt dir nicht den Bauch oder hält den Regen ab. Um meine Feinde zu bekämpfen, brauche ich Freunde in meinem Rücken, und mir sind sämtliche Freunde ausgegangen. Man muss realistisch sein. Es ist eine Weile her, dass ich einen größeren Ehrgeiz hegte als den, am Abend eines Tages noch zu leben.«
Bayaz lachte, und seine Augen funkelten im Feuerschein. »Was?«, fragte Logen und reichte ihm seine Pfeife.
»Ohne Euch beleidigen zu wollen, aber Ihr seid ein endloser Quell der Überraschungen. Überhaupt nicht, was ich mir vorgestellt hatte. Ihr seid ein echtes Rätsel.«
»Ich?«
»Aber ja! Der Blutige Neuner«, flüsterte Bayaz und riss die Augen auf. »Euch eilt ein ausgesprochen wüster Ruf voraus, mein Freund. Die Geschichten, die man sich erzählt! Ein Schrecken, dieser Name! Mütter jagen ihren Kindern damit Angst ein!« Logen sagte nichts. Es war nicht zu leugnen. Bayaz zog langsam an der Pfeife und blies dann einen langen Rauchschwall aus. »Ich habe an den Tag gedacht, an dem uns Prinz Calder einen Besuch abgestattet hat.«
Logen schnaubte. »Ich versuche, nicht zu viele Gedanken an ihn zu verschwenden.«
»Ich auch, aber es war nicht sein Verhalten, das mich beschäftigte, sondern das Eure.«
»Tatsächlich? Ich erinnere mich gar nicht, überhaupt etwas getan zu haben.«
Bayaz deutete mit dem Mundstück der Pfeife über das Feuer hinweg auf Logen. »Ah, aber genau das meine ich ja. Ich habe viele Krieger gekannt, Soldaten und Generäle und Kämpen und wen nicht alles. Ein großer Kämpfer muss schnell und entschlossen zuschlagen, ob mit seinem eigenen Arm oder mit einer Armee, denn wer als Erster zuschlägt, tut es auch oft als Letzter. Daher verlassen sich viele Kämpfer meist auf ihre niederen Instinkte, antworten stets mit Gewalt und werden stolz und brutal.« Bayaz gab Logen die Pfeife zurück. »Aber was man sich auch erzählen mag, so seid Ihr nicht.«
»Ich kenne viele, die das bestreiten würden.«
»Vielleicht, aber die Tatsache bleibt bestehen, dass Calder Euch beleidigte und Ihr nichts getan habt. Ihr wisst also, wann Ihr handeln müsst, und zwar schnell, aber Ihr wisst auch, wann Ihr besser nichts tut. Das zeugt von Beherrschung und einem berechnenden Verstand.«
»Vielleicht hatte ich lediglich Angst.«
»Vor ihm? Unsinn. Ihr machtet nicht den Eindruck, als ob Scale Euch Angst machte, und der ist um einiges Furcht einflößender. Außerdem habt Ihr meinen Lehrling vierzig Meilen lang getragen, und das zeugt von Mut und von Mitgefühl. Eine seltene Mischung. Gewalt und Zurückhaltung, Berechnung und Mitgefühl – und dann sprecht Ihr auch noch mit den Geistern.«
Logen hob eine Augenbraue. »Nicht oft, und auch nur dann, wenn sonst niemand da ist. Ihre Reden sind eher langweilig und auch nicht so schmeichelhaft wie die Euren.«
»Ha. Das stimmt. Die Geister haben den Menschen wenig zu sagen, nach dem, was ich gehört habe; ich selbst habe nie mit ihnen gesprochen, denn ich besitze diese Gabe nicht. Heutzutage haben sie nur noch wenige.« Er nahm wieder einen Schluck aus seinem Becher und sah Logen über den Rand hinweg an. »Mir fällt kaum jemand anders ein, der noch am Leben wäre.«
Malacus kam nun frierend durch die Büsche zurück und setzte die nassen Schüsseln ab. Er langte nach seiner Decke, wickelte sie sich eng um den Körper und sah dann hoffnungsvoll auf den dampfenden Topf über dem Feuer. »Ist das Tee?«
Bayaz ignorierte ihn. »Sagt mir, Meister Neunfinger, in der ganzen Zeit, seit Ihr in meiner Bibliothek angekommen seid, habt Ihr mich nicht einmal gefragt, wieso ich nach Euch geschickt habe oder weshalb wir jetzt durch den Norden wandern und unser Leben aufs Spiel setzen. Das erscheint mir seltsam.«
»Eigentlich nicht. Ich will es nicht wissen.«
»Nicht?«
»Mein ganzes Leben lang habe ich versucht, Dinge herauszufinden. Was liegt auf der anderen Seite der Berge? Was denken meine Feinde? Welche Waffen werden sie gegen mich einsetzen? Welchen Freunden kann ich vertrauen?« Logen zuckte die Schultern. »Wissen mag die Wurzel der Macht sein, aber alles Neue, das ich erfahren habe, hat meine Lage nur verschlechtert.« Er zog wieder an seiner Pfeife, aber sie war aufgeraucht. Er klopfte die Asche auf den Boden. »Was auch immer Ihr von mir wollt, werde ich zu tun versuchen, aber ich will nichts davon wissen, bevor es nicht so weit ist. Meine eigenen Entscheidungen hängen mir zum Hals raus. Sie waren nie die richtigen. Unwissenheit ist die süßeste Medizin, hat mein Vater immer gesagt. Ich will es nicht wissen.«
Bayaz starrte ihn an. Zum ersten Mal sah Logen den Ersten der Magi überrascht dreinblicken. Malacus Quai räusperte sich. »Ich wüsste es gern«, sagte er mit schüchterner Stimme und sah hoffnungsvoll zu seinem Meister auf.
»Ja«, brummte Bayaz, »aber es ist nicht an Euch, diese Frage zu stellen.«
Gegen Mittag ging dann doch alles schief. Logen hatte gerade zu hoffen begonnen, dass sie es bis an die Weißflut schaffen und vielleicht sogar bis zum Ende der Woche überleben würden. Es schien, als hätte er nur für einen kurzen Augenblick nicht aufgepasst. Leider war es gerade dieser eine Augenblick, auf den es ankam.
Immerhin war es schlau eingefädelt, das musste man ihnen lassen. Sie hatten sich den Ort sorgfältig ausgesucht und ihren Pferden Lumpen um die Hufe gebunden, um den Aufschlag zu mildern. Dreibaum hätte sie vielleicht dennoch entdeckt, wenn er bei ihnen gewesen wäre, aber er hatte auch ein Auge für den Boden wie sonst keiner. Der Hundsmann hätte sie vielleicht gerochen, wenn er bei ihnen gewesen wäre, aber er hatte auch eine Nase für so etwas. Tatsache war jedoch, keiner von ihnen war da. Die Toten sind überhaupt keine Hilfe.
Es waren drei Reiter, die auf sie warteten, als sie um eine nicht einsehbare Biegung kamen, gut bewaffnet und gerüstet, mit dreckigen Gesichtern, aber sauberen Waffen, jeder von ihnen ein erfahrener Krieger. Der rechts war untersetzt und kraftstrotzend, fast ohne Hals. Der links war groß und ausgemergelt, mit kleinen, harten Augen. Beide trugen sie runde Helme, etwas abgenutzte Kettenhemden und lange Speere, die Spitzen gesenkt und angriffsbereit. Ihr Anführer saß auf dem Pferd wie ein großer Sack Rüben und hing mit der Lässigkeit des erfahrenen Reiters in seinem Sattel. Er nickte Logen zu. »Neunfinger! Der Brynn! Der Blutige Neuner! Es ist doch wirklich schön, dich wiederzusehen.«
»Schwarzzeh«, brummte Logen und zwang ein freundliches Lächeln auf sein Gesicht. »Es würde auch mir das Herz wärmen, wenn die Dinge anders lägen.«
»Aber sie sind nun einmal, wie sie sind.« Die Augen des alten Kriegers glitten langsam über Bayaz, Quai und Logen; während er sprach, besah er sich genau, welche Waffen sie hatten oder auch nicht hatten, und legte sich seine Vorgehensweise zurecht. Ein dümmerer Gegenspieler hätte ihre Aussichten vielleicht ein wenig erhöht, aber Schwarzzeh war ein Namhafter Mann, und er war kein Narr. Sein Blick blieb schließlich an Logens Hand hängen, wie sie sich langsam am Körper vorbei zu seinem Schwert schob, und er schüttelte bedächtig den Kopf. »Keinen deiner Tricks, Blutiger Neuner. Du siehst doch, wir haben dich.« Und er nickte zu den Bäumen hinter ihnen hinüber.
Logens Herz sank noch tiefer. Zwei weitere Reiter waren hinter ihnen aufgetaucht und trotteten nun vorwärts, um die Falle endgültig zuschnappen zu lassen. Ihre umwickelten Hufe verursachten auf dem weichen Boden neben der Straße fast kein Geräusch. Logen kaute an seiner Unterlippe. Schwarzzeh hatte Recht, verdammt. Die vier Reiter kreisten sie ein, senkten die schwankenden Speere, die Gesichter kalt – entschlossen, ihre Aufgabe zu erfüllen. Malacus Quai starrte sie mit angsterfüllten Augen an, sein Pferd scheute. Bayaz lächelte fröhlich, als seien sie seine ältesten Freunde. Logen hätte nichts dagegen gehabt, ein kleines Stück von der Ruhe des Zauberers zu besitzen. Sein eigenes Herz hämmerte wild, und in seinem Mund machte sich ein unangenehmer Geschmack breit.
Schwarzzeh ließ sein Pferd ein wenig nach vorn gehen, eine Hand am Schaft seiner Axt, die andere auf dem Knie, er brauchte nicht einmal die Zügel. Er war ein meisterlicher Reiter, dafür war er bekannt. So kommt es nun mal, wenn ein Mann all seine Zehen durch den Frost verliert. Reiten ist schneller als Gehen, das muss man zugeben, obwohl Logen, wenn es zum Kampf kam, lieber fest mit beiden Füßen auf dem Boden stand. »Ihr kommt jetzt am besten mit uns mit«, sagte der alte Krieger, »ist besser so.«
Logen sah das zwar gänzlich anders, aber seine Aussichten waren schlecht. Ein Schwert hat sicherlich eine Stimme, wie Bayaz gesagt hatte, aber ein Speer ist verdammt gut dazu geeignet, um einen Mann von einem Pferd herunterzupflücken, und es waren vier Speerträger, die ihn nun einkreisten. Man hatte ihn erwischt – unvorbereitet, allein zahlenmäßig unterlegen und mit den falschen Waffen. Schon wieder. Am besten spielte er jetzt auf Zeit, in der Hoffnung, dass sich vielleicht doch noch eine Möglichkeit ergeben würde, das Blatt zu wenden. Logen räusperte sich und tat sein Bestes, die Angst aus seiner Stimme zu verbannen. »Hätte nie gedacht, dass du mit Bethod deinen Frieden machen würdest, gerade du nicht, Schwarzzeh.«
Der alte Kämpe kratzte sich den langen, verfilzten Bart. »Ich war einer der Letzten, um der Wahrheit die Ehre zu geben, aber ich habe am Ende doch vor ihm gekniet, so wie alle anderen. Kann nicht sagen, dass es mir besonders gefallen hätte, aber so ist es nun mal. Gib mir am besten deine Klinge, Neunfinger.«
»Was ist mit Yawl dem Alten? Willst du mir erzählen, dass er vor Bethod niederkniet? Oder hast du dir jetzt bloß einen Herrn gesucht, der dir besser gefällt?«
Schwarzzeh ließ sich von diesem Seitenhieb nicht herausfordern. Er sah nur traurig aus und müde. »Yawl ist tot, das weißt du doch wohl. So wie die meisten. Bethod gefällt mir ganz und gar nicht als mein Herr, und seine Söhne auch nicht. Keinem Mann gefällt es, den fetten Arsch von Scale zu lecken oder den dürren von Calder, das solltest du wissen. Jetzt gib mir das Schwert, der Tag vergeht allmählich, und wir haben noch eine ganz schöne Strecke vor uns. Wir können genauso gut reden, wenn du keine Waffe mehr trägst.«
»Yawl ist tot?«
»Joh«, sagte Schwarzzeh misstrauisch. »Er hat Bethod ein Duell vorgeschlagen. Hast du nichts davon gehört? Der Gefürchtete hat es für ihn erledigt.«
»Der Gefürchtete?«
»Wo hast du gesteckt, unter irgendeinem Berg?«
»Mehr oder weniger. Was ist das für ein Gefürchteter?«
»Ich habe keine Ahnung, was er ist.« Schwarzzeh beugte sich ein wenig aus dem Sattel und spuckte auf den Boden. »Nach dem, was ich gehört habe, ist er nicht einmal ein Mensch. Angeblich hat ihn diese Schlampe Caurib irgendwo unter einem Stein ausgebuddelt. Wer weiß? Jedenfalls ist er Bethods neuer Kämpe, und ein wesentlich üblerer als der Letzte, ohne dir zu nahe treten zu wollen.«
»Schon in Ordnung«, sagte Logen. Der Mann ohne Hals war näher gekommen. Ein bisschen zu nahe vielleicht; die Spitze seines Speers war nur noch eine Elle oder zwei entfernt. Vielleicht so nahe, dass Logen sie würde packen können. Vielleicht. »Yawl der Alte war eine starke Hand.«
»Joh. Deswegen sind wir ihm gefolgt. Aber es hat ihm kein Glück gebracht. Dieser Gefürchtete hat ihn fertig gemacht. So richtig übel, als ob er nichts weiter wäre als ein Hund. Hat ihn am Leben gelassen, wenn man es denn so nennen kann, damit wir alle von seinem Fehler lernen können, aber er hat es nicht mehr lange gemacht. Die meisten von uns sind dann vor Bethod auf die Knie, zuerst die mit Frauen und Söhnen, um die sie sich sorgten. Hatte keinen Zweck, das aufzuschieben. Ein paar, die sich Bethod nicht beugen wollen, harren noch aus, oben in den Bergen. Dieser mondanbetende Verrückte Crummock-i-Phail und seine Bergmenschen und noch ein paar andere. Aber nicht mehr viele. Und für die hat Bethod seine Pläne.« Schwarzzeh streckte eine große, schwielige Hand aus. »Gib mir nun das Schwert, Blutiger Neuner. Nur mit der Linken bitte, ganz, ganz langsam und ohne deine Tricks. Ist besser so.«
Das war es dann also. Die Zeit war abgelaufen. Logen bog die drei Finger seiner linken Hand um das Heft seines Schwertes; das kalte Metall schmiegte sich gegen seine Handfläche. Der Speer des dicken Mannes kam noch etwas näher. Der Dürre hatte sich ein wenig entspannt in dem sicheren Bewusstsein, dass sie ihn hatten. Sein Speer ragte hoch in die Luft, nicht kampfbereit. Es war nicht zu sagen, was die zwei hinter ihm taten. Der Wunsch, einen Blick über die Schulter zu werfen, war fast unwiderstehlich, aber Logen zwang sich, nach vorn zu sehen.
»Ich hatte immer Achtung vor dir, Neunfinger, obwohl wir auf verschiedenen Seiten standen. Ich habe keine Fehde mit dir. Aber Bethod will seine Rache, er ist ganz besoffen davon, und ich habe geschworen, ihm zu dienen.« Schwarzzeh sah ihm bedauernd in die Augen. »Tut mir leid, dass ich es bin. Auch wenn es nichts nützt.«
»Geht mir genauso«, brummte Logen, »mir tut es auch leid, dass du es bist.« Er zog das Schwert langsam aus der Scheide. »Auch wenn es nichts nützt.« Damit riss er die Hand ruckartig nach oben und rammte den Schwertknauf gegen Schwarzzehs Mund. Der alte Krieger brüllte auf, als das schwere Metall gegen seine Zähne krachte, und stürzte rückwärts aus dem Sattel; seine Axt flog ihm aus der Hand und fiel klappernd auf die Straße. Logen schnappte sich den Schaft des Speeres, den der Dicke trug, kurz unterhalb der Klinge.
»Hau ab!«, brüllte er Quai zu, aber der Zauberlehrling starrte ihn nur an und blinzelte. Der halslose Mann riss entschlossen an dem Speer und holte Logen dabei fast aus dem Sattel, aber ganz gelang es ihm nicht. Logen richtete sich in den Steigbügeln auf und hob das Schwert über den Kopf. Der Halslose ließ den Speer mit einer Hand los, seine Augen weiteten sich, und Logen ließ das Schwert mit aller Kraft niedersausen.
Es traf ihn wie ein Schock, wie scharf es war. Es schnitt dem Dicken den Arm kurz oberhalb des Ellenbogens ab und grub sich dann in seine Schulter, durchtrennte den Pelz und das Kettenhemd und zerteilte ihn bis hinunter zum Bauch beinahe in der Hälfte. Blut spritzte über die Straße und gegen den Kopf von Logens Pferd. Es war zum Reiten abgerichtet worden, nicht für den Krieg, und so scheute es und schwang herum, bevor es in Panik ausschlug und buckelte. Logen konnte nur noch versuchen, irgendwie oben auf dem Rücken des verdammten Viehs zu bleiben. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Bayaz Quais Pferd einen Schlag versetzte und das Tier, gefolgt von dem Packpferd, davonschoss, mit dem auf und nieder wippenden Lehrling auf dem Rücken.
Nun brach ein wildes Durcheinander aus. Bockende, schnaubende Tiere, aufeinander prallendes, klirrendes Metall, Fluchen und Schreien. Eine Schlacht. Eine vertraute Lage, aber nichtsdestoweniger Angst einflößend. Logen umklammerte die Zügel mit der rechten Hand, während sein Pferd weiter ausschlug, und schwang das Schwert wild um seinen Kopf – mehr um seine Feinde zu erschrecken, denn um sie zu verletzen. In jedem Augenblick fürchtete er den Stich und den Schmerz zu spüren, mit dem ein Speer ihn traf, oder aber zu sehen, wie ihm der Boden entgegenkam und sein Gesicht aufschlug.
Er sah Quai und Bayaz die Straße hinuntergaloppieren, verfolgt von dem dürren Mann, der sich den Speer unter den Arm geklemmt hatte. Er sah Schwarzzeh wieder auf die Füße kommen, Blut ausspucken und nach seiner Axt greifen. Er sah die beiden Männer, die sie von hinten eingekreist hatten, verzweifelt darum bemüht, ihre eigenen buckelnden Pferde in den Griff zu bekommen, während die Speere in ihren Händen hin und her schwangen. Er sah den Leichnam dessen, den er gerade getötet hatte, gespalten im Sattel hängen und schließlich langsam heruntergleiten, wobei Blut über den schlammigen Boden strömte.
Logen stieß einen Schrei aus, als er spürte, wie sich eine Speerspitze hinten in seine Schulter bohrte und er nach vorn geschoben wurde, fast bis über den Kopf seines Pferdes. Dann begriff er, dass er die freie Straße vor sich hatte und immer noch lebte. Er stieß dem Pferd die Hacken in die Seiten und es stürmte davon, den Straßenschmutz mit den Hufen aufwirbelnd, der den Männern hinter ihm ins Gesicht schleuderte. Ungeschickt versuchte er das Schwert von der linken in die rechte Hand zu geben, verlor dabei fast die Zügel und wäre auf die Straße gestürzt. Prüfend bewegte er seine Schulter, aber die Wunde fühlte sich nicht allzu tief an – er konnte den Arm immer noch bewegen.
»Ich bin noch am Leben. Am Leben.« Die Straße flog unter ihm davon, der Wind brannte in seinen Augen. Allmählich kam er näher an den großen Mann heran – die Lumpen um die Hufe seines Pferdes behinderten seinen Gegner jetzt und ließen das Pferd auf dem schlammigen Boden immer wieder ausgleiten. Logen umklammerte den Griff seines Schwertes so fest wie möglich und riss es hoch. Der Kopf des Mannes fuhr herum, aber zu spät. Mit hohlem Klang traf Metall auf Metall, als sich die Waffe in den Helm grub, dort eine tiefe Delle hinterließ und den großen Reiter aus dem Sattel warf. Sein Kopf schlug heftig auf der Straße auf. Mit einem Fuß hing sein Körper immer noch im Steigbügel, aber dann löste er sich und rollte mit umherwirbelnden Armen und Beinen über das Gras. Das reiterlose Pferd lief weiter und sah Logen mit rollenden Augen an, als er es in vollem Lauf überholte.
»Noch am Leben.« Logen sah über seine Schulter. Schwarzzeh saß wieder im Sattel und galoppierte hinter ihm her, die Axt hoch über dem Kopf erhoben, das verfilzte Haar hinter ihm herfliegend. Die anderen beiden Speerträger waren bei ihm und trieben ihre Pferde an, aber es war noch immer einige Entfernung zwischen ihnen. Logen lachte. Vielleicht konnte er es doch noch schaffen. Er schwenkte das Schwert Schwarzzeh entgegen, als die Straße am Ende des Tals in einen Wald mündete.
»Ich bin noch am Leben!«, brüllte er, so laut er konnte, und dann blieb sein Pferd so plötzlich stehen, dass Logen beinahe über dessen Kopf zu Boden geschleudert wurde. Nur indem er geistesgegenwärtig einen Arm um den Pferdehals schlang, konnte er sich überhaupt im Sattel halten. Kaum, dass er sich wieder aufgerichtet hatte, sah er, worin das Problem bestand, und es war ein wirklich großes.
Mehrere Baumstämme waren auf die Straße gezerrt worden. Man hatte die Äste abgeschlagen und ihre Stümpfe gefährlich angespitzt, sodass sie in alle Richtungen ragten. Zwei in Kettenpanzer gekleidete Carls standen davor, die Speere kampfbereit erhoben. Selbst der beste Reiter hätte dieses Hindernis nicht überspringen können, und Logen war davon abgesehen keiner der besten. Bayaz und sein Lehrling waren zu demselben Schluss gekommen. Beide saßen still auf ihren Pferden. Der alte Mann wirkte ein wenig überrascht, der junge verängstigt.
Logen packte den Griff seines Schwerts und prüfte verzweifelt, ob sich unter den Bäumen nicht doch noch eine Fluchtmöglichkeit bot. Hier entdeckte er nun noch mehr Männer. Bogenschützen. Einer, dann zwei, dann drei von ihnen krochen langsam von beiden Seiten auf die Straße zu, die Pfeile aufgelegt und die Sehnen gespannt.
Logen drehte sich im Sattel um, aber Schwarzzeh und seine beiden Begleiter trotteten bereits heran; auch auf diesem Weg gab es kein Entkommen. Sie zügelten ihre Pferde ein paar Schritte entfernt, außerhalb der Reichweite von Logens Schwert. Er ließ die Schultern hängen. Die Jagd war vorbei. Schwarzzeh beugte sich vor und spuckte etwas Blut auf den Boden. »Schön, Blutiger Neuner, weiter kommst du nicht.«
»Schon komisch«, brummte Logen, der an der langen, grauen Klinge des Schwerts mit ihren vielen roten Flecken und Spritzern entlang sah. »Früher habe ich auf Bethods Seite gegen dich gekämpft, und heute kämpfst du für ihn gegen mich. Sieht so aus, als seien wir nie auf derselben Seite, und er ist der Einzige, der gewinnt. Schon komisch.«
»Joh«, murmelte Schwarzzeh durch seine blutigen Lippen hindurch, »komisch.« Aber niemand lachte. Schwarzzeh und seine Carls hatten Gesichter so hart wie der Tod, und Quai sah aus, als werde er gleich in Tränen ausbrechen. Nur Bayaz war aus Gründen, die jenseits allen Verständnisses lagen, noch immer in seiner üblichen guten Stimmung. »Schön, Neunfinger, runter von dem Pferd. Bethod will dich lebend, aber er nimmt dich auch tot, wenn es nicht anders geht. Runter! Sofort!«
Logens Gedanken kreisten sogleich um die Frage, wie sie noch fliehen konnten, wenn er einmal aufgegeben hatte. Schwarzzeh würde keinen Fehler mehr machen, wenn er ihn erst einmal in der Hand hatte. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde Logen aus Rache für den Kampf, den er ihnen bereits geliefert hatte, halb totgeschlagen werden, wenn sie ihm nicht sogar die Kniescheiben zertrümmerten. Dann würde man sie wie Hühner für die Schlachtbank zusammenbinden. Er stellte sich vor, wie man ihn mit einer ewig langen Kette gefesselt auf den Steinboden stieß, Bethod von seinem Thron herunterlächelte, Calder und Scale lachten und ihn mit irgendetwas Spitzem stachen.
Logen sah sich um. Er sah die kalten Pfeilspitzen und die kalten Speere und die kalten Augen der Männer, die auf ihn zielten. Aus dieser Klemme gab es keinen Ausweg.
»Gut, du hast gewonnen.« Logen warf sein Schwert, die Spitze voran, zu Boden. Er hatte sich vorgestellt, dass es in die Erde eindringen und zitternd darin stecken bleiben würde, aber es kippte und fiel klappernd der Länge nach in den Dreck. Das passte zu diesem Tag. Langsam schwang er ein Bein aus dem Sattel und ließ sich auf die Straße gleiten.
»So ist es besser. Nun ihr anderen.« Quai rutschte sofort von seinem Pferd und blieb daneben stehen, nervös zu Bayaz hinaufblickend, aber der alte Magus rührte sich nicht. Schwarzzeh runzelte die Stirn und hob seine Axt. »Du auch, alter Mann.«
»Ich ziehe es vor, zu reiten.« Logen zuckte zusammen. Das war nicht die richtige Antwort. Jeden Augenblick würde Schwarzzeh nun den Befehl geben. Die Bogensehnen würden singen, und der Erste der Magi würde auf die Straße stürzen, gespickt mit Pfeilen, aber vermutlich noch immer mit diesem herausfordernden Lächeln auf dem toten Gesicht.
Aber der Befehl kam nie. Es gab keinen lauten Ausruf, keine fremdartige Beschwörung, keine geheimnisvollen Gesten. Die Luft um Bayaz’ Schultern schien zu flimmern, wie die Luft über dem Land an einem heißen Tag, und Logen fühlte ein seltsames Ziehen in seinem Bauch.
Dann, mit einem Knall, verwandelten sich die Bäume in eine Mauer aus lodernden, blendenden und glühend heißen Flammen. Stämme barsten und Äste knickten mit ohrenbetäubendem Krachen ab, ließen Bälle hell leuchtenden Feuers und sengenden Dampf aufsteigen. Ein brennender Pfeil schoss hoch über Logens Kopf in die Luft, und dann waren die Bogenschützen verschwunden, von dem Glutofen verzehrt.
Logen hustete und keuchte, wich in Angst und Schrecken zurück, den Arm vor das Gesicht gezogen, um sich vor der sengenden Hitze zu schützen. Die Barrikade aus gefällten Bäumen schickte große Flammenfetzen und blendend helle Funken in die Luft, und die zwei Männer, die davor gestanden hatten, waren in hungrige Flammen eingehüllt, doch ihre Schreie gingen in dem wilden Brüllen des Feuers unter.
Die Pferde schlugen aus, warfen sich herum und schnaubten vor Angst. Schwarzzeh wurde zum zweiten Mal abgeworfen, die flammende Axt fiel ihm aus den Händen, und als sein Pferd stolperte und stürzte, begrub es ihn unter sich. Einer seiner Begleiter hatte noch weniger Glück – er wurde direkt in die Flammenwand neben der Straße abgeworfen, und seine verzweifelten Schreie verstummten schnell. Nur noch einer stand aufrecht da, und er hatte Glück, dass er Handschuhe trug. Wie durch ein Wunder hielt er immer noch den Schaft seines brennenden Speers umklammert.
Wie es ihm gelang, angesichts der Feuerwelt um ihn herum genug Geistesgegenwart für einen Angriff zu behalten, fand Logen nie heraus. In einem Kampf können die verrücktesten Dinge geschehen. Jedenfalls suchte er sich Quai als Ziel und stürzte sich mit einem hässlichen Schrei auf ihn, den flammenden Speer auf die Brust seines Opfers gerichtet. Der Zauberlehrling stand wie vom Donner gerührt hilflos da, als sei er am Boden festgenagelt. Logen stürmte auf ihn zu, riss sein Schwert an sich, schubste Quai, die Hände über den Kopf erhoben, über die Straße und schlug dann ziellos auf die Beine des Pferdes ein, als es an ihm vorüberraste.
Die Klinge wurde ihm aus den Fingern gerissen und flog zur Seite, dann traf ein Huf Logens verletzte Schulter und stieß ihn in den Schmutz. Aller Atem wich aus seiner Brust, und die brennende Welt drehte sich wie aufgezogen um ihn. Sein Angriff hatte aber dennoch seinen Zweck erfüllt. Die Vorderbeine des Pferdes gaben wenige Schritte später nach, und es stolperte, trieb sich hilflos weiter nach vorn, taumelte und stürzte in die Flammen, wo Pferd und Reiter gemeinsam verschwanden.
Logen suchte den Boden nach seinem Schwert ab. Siedend heiße Blätter trieben über die Straße und brannten an seinem Gesicht und Händen. Die Hitze war wie ein schweres Gewicht, das sich auf ihn niedersenkte und ihm den Schweiß aus der Haut zog. Er fand den blutigen Knauf seines Schwertes und ergriff es mit den verletzten Fingern. Dann richtete er sich taumelnd auf, stolperte ein paar Schritte weit und stieß wilde, unverständliche Wutschreie aus, aber es war niemand mehr da, gegen den er hätte kämpfen können. Die Flammen waren verschwunden, so plötzlich, wie sie gekommen waren, und nun stand Logen hustend und blinzend zwischen den Rauchspiralen.
Nach dem brüllenden Lärm zuvor schien nun völlige Stille zu herrschen, und die sanfte Brise fühlte sich eisig kalt an. In einem großen Kreis um sie herum waren die Bäume zu verkohlten und geborstenen Stümpfen geworden, als hätten sie stundenlang gebrannt. Die Barrikade hatte sich in einen zusammengesunkenen Haufen grauer Asche und schwarzer Holzstückchen verwandelt. Zwei Leichen lagen ausgestreckt in der Nähe, waren aber kaum noch als Menschen zu erkennen, da sie bis auf die Knochen verbrannt waren. Die geschwärzten Klingen ihrer Speere lagen auf der Straße, die Schäfte waren verschwunden. Von den Bogenschützen war überhaupt nichts mehr zu sehen. Sie waren zu Ruß geworden, den der Wind davongetragen hatte. Quai lag bewegungslos auf dem Bauch, die Hände über dem Kopf, und hinter ihm lag Schwarzzehs Pferd auf der Seite; eines seiner Beine zuckte noch, die anderen drei rührten sich nicht.
»Nun«, sagte Bayaz, und das gedämpfte Geräusch schreckte Logen auf. Irgendwie hatte er erwartet, er werde nie wieder etwas hören. »Das wäre erledigt.« Der Erste der Magi schwang ein Bein über den Sattel und ließ sich zu Boden gleiten. Sein Pferd stand ruhig und gehorsam da. Es hatte sich die ganze Zeit über nicht bewegt. »Nun, Meister Quai, seht Ihr, was man mit dem richtigen Verständnis der Pflanzen bewirken kann?«
Bayaz klang ruhig, aber seine Hände zitterten. Sehr sogar. Er sah ausgezehrt aus, krank, alt, wie ein Mann, der über zehn Meilen von einem Karren mitgeschleift worden ist. Logen starrte ihn an und schwankte dabei schweigend vor und zurück, während das Schwert von seiner Hand herabhing.
»Das ist also die Hohe Kunst, ja?« Seine Stimme klang sehr leise und weit weg.
Bayaz wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Eine Art davon zumindest. Nicht besonders einfallsreich. Aber«, er stieß einen der verkohlten Körper mit dem Fuß an, »Einfallsreichtum wäre an die Nordmänner auch verschwendet.« Er verzog das Gesicht, rieb sich die tief in den Höhlen liegenden Augen und spähte die Straße entlang. »Wo zur Hölle sind diese Pferde hingerannt?«
Logen hörte ein abgehacktes Stöhnen aus der Richtung, wo Schwarzzehs Pferd lag. Er stolperte darauf zu, knickte ein und fiel auf die Knie, stolperte dann wieder weiter. Seine Schulter war wie eine Kugel aus Schmerz, sein linker Arm war taub, die Finger aufgerissen und blutend, aber Schwarzzeh war in einer wesentlich schlimmeren Verfassung. Viel schlimmer. Er hatte sich auf den Ellenbogen aufgestützt, die Beine bis hinauf zu den Hüften unter dem Pferd zermalmt, die Hände zu verschwollenen Fetzen verbrannt. Auf seinem blutigen Gesicht stand ein völlig überraschter Ausdruck, als er erfolglos versuchte, sich unter dem Pferd hervorzuziehen.
»Du hast mich verdammt noch mal umgebracht«, flüsterte er und starrte mit offenem Mund auf seine zerstörten Hände. »Ich bin fertig. Den Weg zurück werde ich niemals schaffen, und selbst wenn ich es täte, wofür?« Er stieß ein verzweifeltes Lachen aus. »Bethod ist nicht mehr halb so gnädig, wie er es früher einmal war. Töte mich besser jetzt, bevor es anfängt, weh zu tun. Wäre besser so.« Und er ließ sich wieder auf die Straße sinken.
Logen sah zu Bayaz hoch, aber von dort kam keine Hilfe. »Ich verstehe nicht viel vom Heilen«, erklärte der Zauberer kurz angebunden und sah sich in dem Kreis verkohlter Bäume um. »Ich habe doch gesagt, dass wir uns in der Regel spezialisieren.« Er schloss die Augen und beugte sich schwer atmend nach vorn, die Hände auf den Knien.
Logen dachte an den Steinboden in Bethods Halle, an die beiden Prinzen, wie sie lachten und ihn quälten. »In Ordnung«, murmelte er, stand auf und hob das Schwert. »In Ordnung.«
Schwarzzeh lächelte. »Du hattest recht, Neunfinger. Ich hätte nie vor Bethod knien sollen. Niemals. Scheiß, auf ihn und seinen Gefürchteten. Es wäre besser gewesen, oben in den Bergen zu sterben, nachdem man ihn bis zum Letzten bekämpft hätte. Darin hätte zumindest noch eine gewisse Großartigkeit gelegen. Ich hatte einfach genug. Das verstehst du, oder?«
»Das verstehe ich«, nickte Logen. »Ich hatte selbst auch genug.«
»Blöde Sache«, sagte Schwarzzeh und sah nach oben in den weiten grauen Himmel, »ich hatte einfach genug. Also denke ich mal, ich habe das hier verdient. Gerecht ist gerecht.« Er hob das Kinn. »Nun gut. Mach schon, Junge.«
Logen hob das Schwert.
»Ich bin froh, dass du es bist, Neunfinger«, zischte Schwarzzeh durch die zusammengebissenen Zähne, »auch wenn es nichts nützt.«
»Ich nicht.« Logen ließ die Klinge niedersausen.
Die versengten Stümpfe qualmten noch, Rauch ringelte sich in die Luft, aber jetzt war alles kalt. Logen hatte einen salzigen Geschmack im Mund, wie Blut. Vielleicht hatte er sich irgendwann auf die Zunge gebissen. Vielleicht war es auch das Blut eines anderen. Er warf das Schwert weg und es federte klappernd hoch, während es rote Tropfen auf den Straßenschmutz spritzte. Quai glotzte stumm vor sich hin, dann krümmte er sich zusammen und erbrach sich auf die Straße. Logen sah auf Schwarzzehs kopflosen Leichnam hinunter. »Er war ein guter Mann. Besser als ich.«
»Die Geschichte ist voller guter Männer.« Bayaz kniete sich steifbeinig hin und hob das Schwert wieder auf; er wischte die Klinge an Schwarzzehs Mantel ab, blickte dann mit zusammengekniffenen Augen die Straße entlang und spähte durch den rauchigen Dunst. »Wir sollten uns auf den Weg machen. Es könnten noch andere unterwegs sein.«
Logen sah auf seine blutigen Hände, drehte sie langsam immer wieder von einer Seite auf die andere. Es waren seine Hände, daran bestand kein Zweifel. Da fehlte der eine Finger. »Nichts hat sich geändert«, murmelte er vor sich hin.
Bayaz richtete sich auf und bürstete den Dreck von seinen Knien. »Wann hat es das schon einmal?« Er hielt Logen das Schwert hin, den Knauf voran. »Ich denke, das werdet Ihr noch brauchen.«
Logen betrachtete die Klinge. Sie war sauber, mattgrau, wie sie es immer gewesen war. Im Gegensatz zu ihm hatte sie von dem harten Einsatz dieses Tages nicht einmal einen Kratzer zurückbehalten. Er wollte sie nicht zurück. Überhaupt nicht.
Er nahm sie trotzdem wieder an.