DAS MORGENDLICHE RITUAL

Es war ein schöner Sommertag, und der Park wimmelte nur so vor bunt gekleideten Spaziergängern. Oberst Glokta war männlichen Schritts unterwegs zu einem Treffen von größter Wichtigkeit; die Menschen, an denen er vorüberkam, verbeugten sich und machten respektvoll Platz. Er übersah die meisten huldvoll, während er den etwas wichtigeren Leuten ein strahlendes Lächeln schenkte. Diese wenigen Glücklichen strahlten zurück, voller Freude darüber, dass er sie mit seiner Aufmerksamkeit bedacht hatte.

»Vermutlich dienen wir alle dem König auf unsere eigene Weise«, quäkte Hauptmann Luthar und griff nach seiner Klinge, aber Glokta war zu schnell für ihn. Sein Degen fuhr wie der Blitz aus der Scheide und bohrte sich dem ignoranten Blödmann in den Hals.

Blut spritzte über Ardee Wests Gesicht. Sie klatschte entzückt in die Hände und sah Glokta mit leuchtenden Augen an.

Luthar wirkte beinahe überrascht, dass er tödlich getroffen worden war. »Ha. So kann es kommen«, sagte Glokta lächelnd. Der Hauptmann fiel vornüber aufs Gesicht, während Blut aus seiner durchbohrten Kehle floss. Die Menge brüllte vor Begeisterung, und Glokta gönnte den Zuschauern eine tiefe, elegante Verbeugung. Die Begeisterungsrufe wurden noch lauter.

»Oh, Herr Oberst, das müssen Sie doch nicht«, hauchte Ardee, als Glokta ihr das Blut von der Wange leckte.

»Was muss ich nicht?«, fragte er mit kehliger Stimme, beugte sie in seinen Armen nach hinten und küsste sie leidenschaftlich. Die Menge tobte. Sie rang nach Luft, als er sie wieder losließ, und sah ihn bewundernd mit ihren großen dunklen Augen und leicht geöffneten Lippen an.

»De Erf Ektor will Ffie wehm«, sagte sie mit strahlendem Lächeln.

»Was?« Die Menge wurde still, verdammt, und seine linke Seite strahlte plötzlich ein taubes Gefühl aus.

Ardee berührte ihn sanft an der Wange. »De Erf Ektor!«, brüllte sie.

Die Tür wurde durch schweres Klopfen erschüttert. Gloktas Augen öffneten sich zuckend.

Wo bin ich? Wer bin ich?

O nein.

O ja. Sofort begriff er, dass er wieder einmal schlecht geschlafen hatte, sein Körper war ganz verdreht unter den Decken, das Gesicht ins Kissen gedrückt. Seine ganze linke Seite war taub.

Das Trommeln an der Tür wurde noch lauter. »De Erf Ektor!«, tönte es in Frosts zungenlahmer Sprache von der anderen Seite.

Durch Gloktas Hals schoss ein heftiger Schmerz, als er versuchte, den Kopf vom Kissen zu heben. Ah, es geht doch nichts über den ersten Krampf am Morgen, um den Verstand auf Trab zu bringen. »Ist schon gut!«, krächzte er, »einen Augenblick, verdammt!«

Die schweren Schritte des Albinos entfernten sich. Glokta lag für einen Augenblick still da, dann bewegte er vorsichtig den rechten Arm, ganz langsam, und während sein Atem der Anstrengung wegen stoßweise pfiff, versuchte er sich auf den Rücken zu drehen. Er ballte die Faust, als die Nadelstiche in seinem linken Bein einsetzten. Wenn das verdammte Teil doch wenigstens taub bliebe. Aber der Schmerz kam nun schnell. Zudem wurde ihm ein unangenehmer Geruch bewusst. Verdammt. Ich habe schon wieder ins Bett geschissen.

»Barnam!«, brüllte Glokta und wartete keuchend, während die linke Seite nun heftig pochte. Wo steckt dieser alte Idiot? »Barnam!«, schrie er aus vollem Hals.

»Ist alles bei Ihnen in Ordnung, Herr?«, ertönte die Stimme des Dieners hinter der Tür.

In Ordnung? In Ordnung, du alter Narr? Wann war denn das letzte Mal bei mir alles in Ordnung? »Nein, verdammt! Ich habe das Bett versaut!«

»Ich habe schon Wasser für ein Bad heiß gemacht. Können Sie aufstehen?«

Einmal war es tatsächlich so gewesen, dass Frost die Tür hatte aufbrechen müssen. Vielleicht sollte ich sie die ganze Nacht offen lassen, aber wie könnte ich dann Ruhe finden? »Ich glaube, ich komme zurecht«, zischte Glokta, die Zunge an sein leeres Zahnfleisch gepresst. Seine Arme zitterten, als er sich selbst aus dem Bett hinaus und auf den danebenstehenden Stuhl wuchtete.

Sein groteskes, zehenloses Bein zuckte noch immer unkontrolliert. Er starrte es mit brennendem Hass an. Verdammtes Scheißding. Ekelhafter, nutzloser Fleischklumpen. Wieso haben sie ihn mir nicht gleich abgehackt? Wieso tue ich das nicht endlich? Aber er wusste, wieso. So, mit beiden Beinen, konnte er zumindest so tun, als sei er noch ein halber Mann. Er versetzte dem verdorrten Oberschenkel einen Stoß und bereute es sofort. Wie blöd, wie blöd. Der Schmerz kroch seinen Rücken hoch, ein wenig intensiver noch als zuvor, und wurde mit jedem Herzschlag stärker. Komm schon, komm schon, lass uns nicht gegeneinander kämpfen. Sanft rieb er das nutzlose Fleisch. Wir hängen ja doch aneinander, also wieso solltest du mich quälen?

»Können Sie an die Tür kommen, Herr?« Glokta rümpfte die Nase wegen des Geruchs, dann nahm er den Stock und richtete sich quälend langsam auf, bis er auf den Füßen stand. Er humpelte durchs Zimmer und rutschte dabei einmal fast aus, aber es gelang ihm trotz des durchdringenden Schmerzes, der ihn dabei durchschoss, das Gleichgewicht zu halten. Er drehte den Schlüssel im Schloss, lehnte sich stützend gegen die Wand und zog die Tür auf.

Barnam stand mit ausgestreckten Armen auf der anderen Seite, bereit, ihn aufzufangen. Welch eine Schande. Dass ich, Sand dan Glokta, der größte Degenfechter, den die Union je gesehen hat, von einem alten Mann zu meinem Bad getragen werden muss, damit ich mir die eigene Scheiße abwaschen kann. Sie lachen jetzt wahrscheinlich alle, die Narren, die ich einst besiegte, wenn sie sich überhaupt noch an meinen Namen erinnern, ich würde ja auch lachen, wenn es nicht so wehtäte. Aber er verlagerte das Gewicht von seinem linken Bein und legte klaglos den Arm um Barnams Schulter. Was hätte das Jammern auch für einen Sinn? Ich kann es mir doch genauso gut leicht machen. So leicht es geht.

Glokta holte tief Luft. »Gehen Sie vorsichtig, das Bein ist noch nicht ganz wach.« Sie humpelten und stolperten gemeinsam über den Flur, der für sie beide nebeneinander eigentlich ein wenig zu schmal war. Das Bad schien eine Meile weit entfernt zu sein. Oder mehr. Lieber würde ich so, wie ich früher einmal war, hundert Meilen laufen, als in meinem jetzigen Zustand bis ins Bad. Aber das ist wohl mein Pech, nehme ich an. Man kann das Rad der Zeit nicht zurückdrehen. Niemals.

Der Dampf umfing Gloktas klamme Haut mit wohliger Wärme. Barnam hielt ihn unter den Achseln fest, während er vorsichtig das rechte Bein hob und es sachte ins Wasser senkte. Verdammt, ist das heiß. Der alte Diener half ihm, das andere Bein hineinzusetzen, und dann ließ er ihn, immer noch unter den Achseln gestützt, wie ein Kind in die Wanne sinken, bis er bis zum Hals im Wasser lag.

»Ahhh.« Glokta lächelte zahnlos. »Heiß wie die Schmiede des Schöpfers, Barnam, genau, wie ich es mag.« Die Hitze drang nun in sein Bein, und der Schmerz ließ nach. Ganz weg ist er nicht. Das ist er nie. Aber schon besser. Viel besser. Glokta fühlte allmählich fast die Bereitschaft, einem neuen Tag entgegenzusehen. Man muss die kleinen Dinge des Lebens lieben lernen, wie zum Beispiel ein heißes Bad. Man muss die kleinen Dinge schätzen, wenn man sonst nichts hat.

 

Unten in dem winzigen Esszimmer wartete Praktikal Frost auf ihn, den massigen Körper in einen niedrigen Stuhl gezwängt, der an der Wand stand. Glokta sank in den anderen Stuhl, während der süßliche Geruch von Haferschleim seine Nase kitzelte, der aus der dampfenden Schüssel aufstieg, in der kerzengerade, ohne den Rand zu berühren, ein Holzlöffel steckte, was einiges über die Konsistenz des Frühstücks verriet. Sein Magen knurrte, und ihm lief der Speichel im Mund zusammen. Alles in allem, wenn man es recht bedenkt, Symptome äußerster Übelkeit.

»Hurra!«, rief Glokta. »Endlich wieder einmal Haferschleim!« Er sah zu dem regungslosen Praktikal herüber. »Honig und Haferschleim, sag, was kann denn besser sein, da ist der Tag voll Sonnenschein, mit Honig und mit Haferschleim!«

Die rosa Augen zuckten mit keiner Wimper.

»Das ist ein Kinderreim. Meine Mutter hat ihn mir früher immer vorgesungen. Allerdings hat mich das nie dazu gebracht, diesen Papp zu essen. Heute hingegen«, er attackierte den Brei mit dem Löffel, »kann ich gar nicht genug davon bekommen.«

Frost starrte ihn an.

»Das ist so gesund«, fuhr Glokta fort, während er einen Mund voll süßen Breis hinunterwürgte und weiterlöffelte, »und so lecker.« Er zwang sich, wieder zu schlucken. »Und der größte Vorteil dabei ist«, er würgte leicht, als er den nächsten Mund voll nahm, »man muss ihn nicht einmal kauen.« Mit einem Ruck schob er die noch fast volle Schüssel von sich weg und warf den Löffel hinterher. »Hmmm!«, summte er. »Mit einem guten Frühstück fängt doch der Tag erst richtig an, finden Sie nicht auch?«

Es war, als starre man gegen eine weißgetünchte Mauer, die vergleichsweise jedoch mehr Gefühl ausgestrahlt hätte.

»Der Erzlektor will mich also wieder einmal sprechen, wie?«

Der Albino nickte.

»Und was wünscht unser erhabener Vorgesetzter wohl von Leuten wie uns, was meinen Sie?«

Achselzucken.

»Hmmm.« Glokta saugte sich kleine Haferstückchen aus den klaffenden Lücken im Zahnfleisch. »War er denn wohl in einer guten Stimmung?«

Wieder Achselzucken.

»Kommen Sie schon, Frost, erzählen Sie mir nicht alles auf einmal, ich kann ja gar nicht folgen.«

Schweigen. Barnam trat ins Zimmer und räumte die Schüssel ab. »Wünschen Sie sonst noch etwas?«

»O ja. Ein großes, halbrohes Stück Fleisch und einen leckeren, knackigen Apfel.« Er sah wieder zu Praktikal Frost hinüber. »Als Kind habe ich immer so gern Äpfel gegessen.«

Wie oft habe ich diesen Witz schon gemacht? Frost schaute ihn ohne jegliche Gefühlsregung an; keinerlei Lachen war ihm anzumerken. Glokta sah zu Barnam, und der alte Mann erwiderte den Blick mit einem müden Lächeln.

»Na schön«, seufzte Glokta, »man braucht aber doch ein bisschen Hoffnung, oder nicht?«

»Selbstverständlich, Herr«, murmelte der Diener und ging zur Tür.

Oder nicht?

 

Das Dienstzimmer des Erzlektors befand sich im obersten Stockwerk im Haus der Befragungen, und es war ein langer Weg bis dort hinauf. Noch schlimmer war, dass so viele Menschen über die Flure wuselten. Praktikale, Schreiber, Inquisitoren liefen hin und her wie Ameisen durch einen Misthaufen. Wenn er ihre Augen auf sich ruhen fühlte, dann humpelte Glokta mit hoch erhobenem Kopf und einem Lächeln weiter. Wenn er das Gefühl hatte, allein zu sein, hielt er inne und rang nach Luft, schwitzte und fluchte und versuchte, sein taubes Bein zu reiben und zu schlagen, bis widerstrebend das bisschen Leben zurückkehrte, das noch darin verblieben war.

Wieso muss es so weit oben sein?, fragte er sich selbst und schleppte sich durch die düsteren Hallen und die gewundenen Treppen des labyrinthartigen Gebäudes. Als er das Vorzimmer erreicht hatte, war er erschöpft und atmete schwer, und die linke Hand am Knauf seines Stocks fühlte sich wund an.

Der Sekretär des Erzlektors musterte ihn misstrauisch. Er hockte hinter einem großen, dunklen Schreibtisch, der das halbe Zimmer einnahm. Auf der entgegengesetzten Seite des Raums standen einige Sessel, in denen die Wartenden nervös werden durften, und zwei riesige Praktikale flankierten die große Flügeltür zum Dienstzimmer, so reglos und grimmig, als wollten sie als Teil der Einrichtung durchgehen.

»Haben Sie einen Termin?«, verlangte der Sekretär mit schriller Stimme zu wissen. Du weißt doch, wer ich bin, du alberner, blöder Wichtigtuer.

»Natürlich«, fauchte Glokta, »glauben Sie vielleicht, ich wäre den ganzen Weg hier hoch gehumpelt, um Ihren Schreibtisch zu bewundern?«

Der Sekretär, ein bleicher, gut aussehender junger Mann mit dichtem gelbem Haar, sah verächtlich zu ihm herüber. Der aufgeblasene Fünftgeborene eines unbedeutenden Edelmanns mit übereifrigen Lenden, und so einer glaubt, er könne mir dumm kommen? »Und wie heißen Sie?«, fragte der Angestellte jetzt herablassend.

Gloktas Geduld war durch den langen Aufstieg erschöpft. Er knallte seinen Stock auf die Schreibtischplatte, sodass der Sekretär beinahe aus seinem Stuhl hüpfte. »Was sind denn Sie? Ein verdammter Idiot? Wie viele verkrüppelte Inquisitoren haben Sie hier?«

»Äh …«, begann der Sekretär nervös mit zuckenden Mundwinkeln.

»Äh? Äh? Ist das eine Zahl? Sprechen Sie gefälligst lauter!«

»Nun, ich …«

»Ich bin Glokta, Sie Trottel! Inquisitor Glokta!«

»Jawohl, mein Herr, ich …«

»Hieven Sie Ihren fetten Arsch aus dem Stuhl, Sie Narr! Lassen Sie mich nicht warten!« Der Sekretär sprang auf, eilte zur Tür, stieß einen der Flügel auf und blieb respektvoll daneben stehen. »So ist es besser«, knurrte Glokta, der hinter ihm herschlurfte. Er sah zu den Praktikalen auf, als er vorbeihumpelte, und er hätte schwören mögen, dass einer der beiden leicht lächelte.

Das Zimmer hatte sich kaum verändert, seit er zum letzten Mal hier gewesen war, damals, vor sechs Jahren. Es war ein riesiger, runder, höhlenartiger Raum, dessen Kuppeldecke mit aus Stein gehauenen Fratzengesichtern geschmückt war. Die großen Fenster boten einen überwältigenden Blick auf die Turmspitzen der Universität, auf einen großen Teil der äußeren Befestigungsmauer des Agrionts und auf das turmhohe Haus des Schöpfers, das dahinter lauerte.

Die Wände waren größtenteils mit Regalen und kleinen Schränkchen zugestellt, in denen bis obenhin säuberlich aufgereihte Akten und Papiere lagerten. Einige dunkle Porträts lugten von den nackten weißen Wänden herunter; ein besonders großes Bild zeigte den derzeitigen König der Union als jungen Mann mit weisem und ernstem Blick. Das wurde ganz offensichtlich gemalt, bevor er zu einer senilen Witzblattfigur wurde. Heutzutage versprüht er weniger Autorität als vielmehr sabbernden Speichel. In der Mitte des Raumes stand ein schwerer runder Tisch, auf dessen Platte eine äußerst detaillierte Karte der Unionsländer gezeichnet worden war. Jede Stadt, in der es eine Abordnung der Inquisition gab, war mit einem Edelstein markiert, und im Zentrum des Tisches erhob sich eine silberne Nachbildung von Adua.

Der Erzlektor saß auf einem altertümlichen Stuhl mit hoher Lehne an seinem Tisch und war tief in ein Gespräch mit einem anderen Mann versunken, einem hageren, allmählich kahl werdenden Essiggesicht in einer dunklen Robe. Sult sah mit einem Lächeln auf, als Glokta auf sie zuhinkte, während sich die Miene des anderen kaum veränderte.

»Ah, Inquisitor Glokta, schön, dass Sie zu uns stoßen konnten. Kennen Sie Generalinspektor Halleck?«

»Ich hatte noch nicht das Vergnügen«, sagte Glokta. Nicht, dass es besonders nach einem Vergnügen aussieht. Der alte Papierkrieger stand auf und schüttelte ohne Begeisterung Gloktas Hand.

»Und dies ist einer meiner Inquisitoren, Sand dan Glokta.«

»Ja, natürlich«, brummte Halleck. »Sie waren in der Armee, wenn ich mich nicht irre. Ich habe Sie einmal fechten sehen.«

Glokta tippte mit dem Stock auf sein Bein. »Das ist vermutlich ein wenig her.«

»Ja.« Es entstand Schweigen.

»Der Generalinspektor wird demnächst auf ein höchst bedeutungsvolles Amt berufen«, erklärte Sult. »Er wird einen Sitz im Geschlossenen Rat einnehmen.« So, im Geschlossenen Rat? Ein höchst bedeutungsvolles Amt, in der Tat.

Halleck schien jedoch überhaupt nicht begeistert. »Das werde ich als Tatsache betrachten, wenn Seine Majestät geruht hat, mir diese Ehre tatsächlich zu erweisen«, erwiderte er knapp. »Vorher nicht.«

Sult umschiffte diese Klippe elegant. »Ich bin sicher, dass der Rat zu dem Schluss kommen wird, dass Sie der einzige passende Kandidat sind, nun, da Sepp dan Teufel nicht mehr infrage kommt.« Unser alter Freund Teufel? Der wofür nicht mehr infrage kommt?

Hallecks Gesicht verdüsterte sich, und er schüttelte den Kopf. »Teufel. Ich habe zehn Jahre lang mit dem Mann gearbeitet. Zwar habe ich ihn nie gemocht«, ebenso wenig wie sonst irgendjemanden, deinem Gesicht nach, »aber ich hätte mir nie träumen lassen, dass er ein Verräter ist.«

Sult stimmte ihm betrübt zu. »Das geht uns allen so, aber uns liegt sein Geständnis schwarz auf weiß vor.« Er hielt das gefaltete Schriftstück mit bedauerndem Gesicht hoch. »Ich fürchte, die Wurzeln der Korruption können bisweilen sehr tief gehen. Wer wüsste das besser als ich, dessen traurige Aufgabe es ist, solches Unkraut mit Stumpf und Stiel auszureißen?«

»In der Tat, in der Tat«, brummte Halleck und nickte grimmig, »Sie verdienen unseren ganzen Dank dafür. Sie ebenfalls, Inquisitor.«

»Oh, ich doch nicht«, wehrte Glokta bescheiden ab. Die drei Männer sahen sich in gespieltem gegenseitigen Respekt scheinbar offen an.

Halleck schob seinen Stuhl zurück. »Nun, die Steuern treiben sich nicht von selbst ein. Ich muss wieder an die Arbeit.«

»Genießen Sie die letzten Tage Ihrer jetzigen Arbeit«, sagte Sult. »Ich gebe Ihnen mein Wort, dass der König bald nach Ihnen schicken wird.«

Halleck erlaubte sich ein äußerst dünnes Lächeln, nickte ihnen dann steif zu und stolzierte davon. Der Sekretär begleitete ihn nach draußen, und die schwere Tür fiel zu. Schweigen trat ein. Und ich will verdammt sein, wenn ich es als Erster breche.

»Sie fragen sich vermutlich, worum es gerade eben ging, nicht wahr, Glokta?«

»Der Gedanke ist mir tatsächlich durch den Kopf gegangen, Euer Eminenz.«

»Das dachte ich mir doch.« Sult erhob sich elegant aus seinem Stuhl und wanderte hinüber zum Fenster, die weiß behandschuhten Hände hinter dem Rücken. »Die Welt verändert sich, Glokta, die Welt verändert sich. Die alte Ordnung zerfällt. Loyalität, Pflicht, Stolz, Ehre – Begriffe, die allmählich ganz aus der Mode gekommen sind. Was ist stattdessen an ihre Stelle getreten?« Er sah kurz über seine Schulter, und sein Mund kräuselte sich. »Gier. Die Kaufleute sind die neue Kraft im Land geworden. Bankleute, Ladenbesitzer, Verkäufer. Kleine Männer mit kleinem Verstand und kleinen Zielen. Männer, deren Loyalität nur ihnen selbst gilt, die sich nur der eigenen Börse verpflichtet fühlen, deren Stolz darin liegt, die über ihnen Stehenden zu betrügen, deren einzige Ehre mit Silbermünzen abgewogen werden kann.« Oh, da müssen wir wohl nicht mehr fragen, was Sie von den Kaufleuten halten.

Sult streifte die Dächer der Stadt mit einem grimmigen Blick und wandte sich dann wieder Glokta zu. »Heute scheint es, als ob der Sohn eines Jedermann Zugang zu höherer Bildung bekommen, ein Geschäft gründen und reich werden kann. Die Kaufmannsgilden, die Tuchhändler, die Gewürzhändler und wen es da sonst noch gibt, gewinnen stetig an Reichtum und Einfluss. Geckenhafte, eingebildete Emporkömmlinge befehlen nun denjenigen, die von Natur aus über ihnen stehen. Mit ihren dicken, gierigen Fingern sind sie die Drahtzieher hinter den Entscheidungen der Macht. Es ist kaum noch auszuhalten.« Ein Schauder überlief ihn, während er den Raum durchquerte.

»Ich will ehrlich mit Ihnen sein, Inquisitor.« Der Erzlektor machte eine elegante Handbewegung, als sei seine Ehrlichkeit ein unschätzbares Geschenk. »Die Union hat scheinbar noch nie so viel Macht gehabt wie jetzt und niemals über mehr Land geherrscht, aber hinter dieser Fassade sind wir schwach. Es ist ja kein Geheimnis, dass der König überhaupt nicht mehr in der Lage ist, eigene Entscheidungen zu fällen. Kronprinz Ladisla ist ein Stutzer, umgeben von Schmeichlern und Narren, der sich lediglich für Glücksspiel und Kleider interessiert. Prinz Raynault wäre ein wesentlich besserer Regent, aber er ist eben nur der jüngere Sohn. Der Geschlossene Rat, dessen Aufgabe es sein sollte, dieses leckgeschlagene Schiff zu steuern, sitzt voller Betrüger und Intriganten. Einige mögen loyal sein, andere sind es offensichtlich nicht, und jeder versucht, den König in die ihm liebste Richtung zu lenken.« Wie betrüblich, wo sie ihn doch wahrscheinlich alle in die Richtung lenken sollten, die Ihnen am liebsten wäre?

»Währenddessen wird die Union bedrängt von Feinden, von Gefahren außerhalb unserer Grenzen, aber auch innerhalb. Gurkhul hat einen neuen, höchst entschlossenen Imperator, der sein Land für einen weiteren Krieg rüstet. Die Nordmänner stehen ebenfalls unter Waffen und rücken gegen die Grenze von Angland vor. Im Offenen Rat verlangen die Edelleute lauthals nach ihren angestammten Rechten, während die Bauern in ihren Dörfern nach neuen schreien.« Er seufzte tief. »Ja, die alte Ordnung zerfällt, und niemand hat den Mut, sie zu verteidigen.«

Sult hielt inne und starrte zu einem der Porträts hoch, das einen stark gebauten, kahlen Mann in weißer Kleidung zeigte. Glokta wusste, wer das war. Zoller, der größte aller Erzlektoren. Unermüdlicher Kämpfer für die Inquisition, Held aller Folterknechte, Geißel aller Treulosen. Er starrte bösartig von der Wand herunter, als ob er selbst nach seinem Tod alle Verräter nur kraft seines Blickes verbrennen könnte.

»Zoller«, knurrte Sult. »Zu seiner Zeit war alles anders, kann ich Ihnen sagen. Da gab es keine jammernden Bauern, keine betrügerischen Kaufleute, keine verstimmten Edelleute. Wenn jemand vergaß, wo sein Platz war, wurde er mit einem heißen Eisen daran erinnert, und jeder überkritische Richter, der deswegen Geschrei anstimmte, verschwand auf Nimmerwiedersehen. Die Inquisition war eine edle Institution, besetzt mit den besten und hellsten Köpfen. Ihrem König zu dienen und alle Treulosigkeit mit Stumpf und Stiel auszurotten, das war ihr einziges Ziel und ihr einziger Lohn.« Ach, was war das schön in der guten alten Zeit.

Der Erzlektor glitt wieder auf seinen Stuhl und lehnte sich über den Tisch. »Heute sind wir ein Land, in dem drittgeborene Söhne verarmter Edelleute sich die Taschen mit Bestechungsgeldern füllen oder wo beinahe verbrecherischer Abschaum seiner Lust an der Folter nachgehen kann. Unser Einfluss auf den König wurde ständig ausgehöhlt und unsere Bezüge immer weiter beschnitten. Einst waren wir gefürchtet und respektiert, Glokta, aber nun …« Sind wir elende Schwindler. Sult verzog das Gesicht. »Nun, heute hat das nachgelassen. Um uns herum wuchern Intrigen und Verrat, und ich fürchte, die Inquisition ist ihrer Aufgabe nicht länger gewachsen. Zu vielen der Superioren ist schon nicht mehr zu trauen. Sie setzen nicht länger die Interessen des Königs, des Staates oder anderer Menschen über ihre eigenen.« Die Superioren? Ihnen kann nicht mehr vertraut werden? Wie schockierend. Ich falle gleich in Ohnmacht. Sults Miene verfinsterte sich weiter. »Und jetzt ist Feekt tot.«

Glokta hob den Kopf. Das ist nun wirklich eine Neuigkeit. »Der Lordkanzler?«

»Es wird morgen offiziell bekannt gegeben. Er starb plötzlich vor ein paar Tagen, an dem Abend, als Sie mit Ihrem Freund Rews beschäftigt waren. Sein Tod wirft noch einige Fragen auf, aber der Mann war andererseits schon fast neunzig. Es ist vielmehr überraschend, dass er so lange durchgehalten hat. Den goldenen Kanzler nannten sie ihn, den größten Politiker seiner Zeit. Im Augenblick wird sein Antlitz in Stein gemeißelt, für eine Statue am Weg der Könige.« Sult schnaubte. »Das größte Geschenk, auf das unsereiner hoffen kann.«

Die Augen des Erzlektors verengten sich zu blauen Schlitzen. »Falls Sie sich der kindischen Überzeugung hingaben, die Union werde von ihrem König beherrscht oder von diesen geschwätzigen blaublütigen Narren im Offenen Rat, verabschieden Sie sich von dieser Idee. Die wahre Macht liegt beim Geschlossenen Rat. Mehr denn je, seit der König erkrankt ist. Zwölf Männer auf zwölf großen, unbequemen Stühlen. Zwölf Männer, zu denen auch ich gehöre. Zwölf Männer mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen, und zwanzig Jahre lang, in Krieg und Frieden, hat Feekt für das richtige Gleichgewicht im Rat gesorgt. Er hat die Inquisition gegen die Richter ausgespielt und die Bankiers gegen das Militär. Er war die Achse, um die sich das Königreich drehte, das Fundament, auf dem es ruhte, und sein Tod hinterlässt eine Lücke. Eine ganze Reihe klaffender Lücken sogar, und jedermann wird sich beeilen, sie stopfen zu wollen. Ich habe die Befürchtung, dass dabei der sentimentale Esel Marovia, dieser Jammerlappen von einem Kronrichter und selbsternannter Kämpfer für die Rechte des einfachen Mannes, gleich in der ersten Reihe stehen wird. Es ist eine wacklige und eine gefährliche Lage.« Der Erzlektor stützte sich mit den Fäusten fest auf den Tisch. »Wir müssen dafür sorgen, dass nicht die falschen Leute ihren Vorteil aus dieser Lage ziehen.«

Glokta nickte. Ich glaube, ich verstehe, was Sie meinen, Herr Erzlektor. Wir müssen dafür sorgen, dass wir unseren Vorteil daraus ziehen und niemand anders.

»Es muss wohl nicht erst betont werden, dass der Posten des Lordkanzlers zu den mächtigsten im ganzen Reich gehört. Das Eintreiben der Steuern, die Staatskassen, die königlichen Münzstätten, über all dem hält er seine schützende Hand. Geld, Glokta, Geld. Und im Geld liegt die Macht, das versteht sich von selbst. Morgen wird ein neuer Kanzler gewählt. Der erste Kandidat wäre unser ehemaliger Meister der Münzstätten gewesen, Sepp dan Teufel.« Ich verstehe. Irgendwie könnte ich mir denken, dass man ihn jetzt nicht mehr in Betracht zieht.

Sults Lippen kräuselten sich. »Teufel war eng verbunden mit den Kaufmannsgilden, vor allem mit den Tuchhändlern.« Sein Mund zeigte nun offene Verachtung. »Darüber hinaus war er eng vertraut mit Kronrichter Marovia. Sie sehen schon, er hätte auf keinen Fall einen geeigneten Lordkanzler abgegeben.« Nein, gewiss nicht. Er hätte wohl kaum gepasst. »Generalinspektor Halleck ist eine wesentlich bessere Wahl, meiner Meinung nach.«

Glokta blickte zur Tür. »Er? Lordkanzler?«

Sult stand lächelnd auf und ging zu einem der Schränkchen an der Wand hinüber. »Es gibt einfach niemand anderen. Jeder hasst ihn, und er hasst jeden, außer mir. Außerdem ist er ein überzeugter Konservativer, der die Kaufleute und alles, wofür sie stehen, verabscheut.« Er öffnete das Kabinett und nahm zwei Gläser und einen reich verzierten Dekanter heraus. »Mit ihm sitzt dann zwar vielleicht kein freundliches Gesicht im Rat, aber eins, das uns gewogen ist und alle anderen ablehnt. Einen geeigneteren Kandidaten kann ich mir nicht vorstellen.«

Glokta nickte. »Er scheint ehrlich zu sein.« Aber nicht so ehrlich, dass ich mich ihm anvertrauen würde, damit er mich in meine Badewanne trägt. Täten Sie das, Eminenz?

»Ja«, bekräftigte Sult, »er wird für uns sehr wertvoll sein.« Mit diesen Worten schenkte er zwei Gläser tiefroten Weins ein. »Und davon abgesehen konnte ich es noch arrangieren, dass die Wahl des neuen Meisters der Münzstätten ebenfalls auf einen Mann fällt, der uns gewogen ist. Offenbar schäumen die Tuchhändler vor Wut. Dieser Bastard Marovia ist auch ganz und gar nicht erfreut.« Sult lachte leise in sich hinein. »Lauter gute Nachrichten, und das verdanken wir Ihnen.« Er hob eines der Gläser.

Gift? Ein langsamer Tod, zuckend und kotzend auf dem hübschen Mosaikboden des Erzlektors? Vielleicht sinkt aber auch nur mein Kopf auf seinen Tisch, und alles wird schwarz? Doch es gab keine andere Möglichkeit, als das Glas zu nehmen und einen guten Schluck zu trinken. Der Wein schmeckte fremdartig, aber ausgesprochen gut. Vielleicht aus einem sehr schönen und sehr fernen Land. Und wenn ich hier sterbe, bleiben mir wenigstens die ganzen Stufen treppabwärts erspart. Aber der Erzlektor trank ebenfalls, mit breitem Lächeln und wohlwollender Miene. Dann scheint es, als würde ich diesen Nachmittag vielleicht doch überleben.

»Ja, wir haben einen guten ersten Schritt getan. Es sind wirklich gefährliche Zeiten, und dennoch, wo Gefahr ist, ist oft auch Gelegenheit.« Glokta spürte, wie ein seltsames Gefühl seinen Rücken hinaufkroch, ist das Angst, oder ist es Ehrgeiz? Oder beides? »Ich brauche jemanden, der mir dabei hilft, die Dinge in Ordnung zu bringen. Jemand, der keine Angst hat, weder vor den Superioren noch vor den Kaufleuten, noch nicht einmal vor dem Geschlossenen Rat. Jemand, bei dem man sich darauf verlassen kann, dass er mit Geschick, Diskretion und Kaltblütigkeit vorgeht. Jemand, an dessen Ergebenheit gegenüber der Union nicht zu zweifeln ist, aber der dennoch keine Freunde innerhalb der Regierung hat.« Jemand, der von allen gehasst wird? Jemand, der den Schlag abfangen wird, wenn die Sache schief geht? Jemand, um den bei seiner Beerdigung nur wenige trauern werden?

»Ich benötige einen freigestellten Inquisitor, Glokta. Jemanden, der außerhalb des Zugriffs der Superioren operiert, aber von mir mit allen Vollmachten ausgestattet wird. Jemanden, der nur mir gegenüber verantwortlich ist.« Der Erzlektor hob eine Augenbraue, als sei ihm gerade erst ein Gedanke gekommen. »Es erscheint mir, als seien Sie für diese Aufgabe überdurchschnittlich gut geeignet. Was denken Sie?«

Ich denke, der Mann auf einem solchen Posten hätte sehr viele Feinde und nur einen einzigen Freund. Glokta musterte das Gesicht des Erzlektors. Und dieser Freund könnte sich als wenig verlässlich erweisen. Ich denke, ein Mann auf einem solchen Posten würde möglicherweise nicht sehr alt. »Könnte ich etwas Zeit bekommen, um darüber nachzudenken?«

»Nein.«

Wo Gefahr ist, ist oft auch Gelegenheit … »Dann nehme ich das Angebot an.«

»Ausgezeichnet. Ich bin überzeugt, dies ist der Beginn einer langen und fruchtbaren Zusammenarbeit.« Sult lächelte ihn über den Rand seines Weinglases hinweg an. »Wissen Sie, Glokta, von all den Kaufleuten, die da draußen ihren gierigen Geschäften nachgehen, finde ich die Tuchhändler am unerträglichsten. Es war größtenteils ihrem Einfluss zuzuschreiben, dass Westport der Union beitrat, und mit dem Geld von dort haben wir den gurkhisischen Krieg gewonnen. Der König hat sie daraufhin mit unschätzbar wertvollen Handelsrechten belohnt, aber seitdem ist ihre Arroganz wirklich ins Maßlose gewachsen. Man könnte geradezu meinen, sie hätten die Schlachten selbst geschlagen, so überheblich geben sie sich, und so viele Freiheiten nehmen sie sich heraus. Die ehrbare Tuchhändlergilde«, sagte er voller Verachtung. »Jetzt, wo uns Ihr Freund Rews die Möglichkeiten in die Hand gegeben hat, sie richtig bluten zu lassen, wäre es doch eine Schande, scheint mir, wenn wir sie wieder vom Haken ließen.«

Glokta war sehr überrascht, versteckte das aber gut, wie er glaubte. Weitermachen? Warum? Wenn die Tuchhändler wieder vom Haken gelassen werden, werden sie weiter zahlen, und alle Beteiligten sind glücklich. Im Augenblick sind sie verängstigt und angreifbar – sie fragen sich, wen Rews bezichtigt haben mag und wer als Nächstes auf den Folterstuhl kommt. Wenn wir sie weiter in die Zange nehmen, könnte es sein, dass sie ernsthaften Schaden nehmen oder ganz zerschlagen werden. Dann werden sie nicht mehr zahlen, und vielen Leuten wird das gar nicht gefallen. Darunter einige, die hier in diesem Gebäude sitzen. »Ich kann meine Nachforschungen gern weiterführen, Eure Eminenz, wenn Sie das wünschen.« Glokta nahm einen weiteren Schluck. Der Wein war wirklich hervorragend.

»Wir müssen vorsichtig sein. Vorsichtig und äußerst gründlich. Das Geld der Tuchhändler fließt wie Milch. Sie haben viele Freunde, selbst in den höchsten Adelskreisen. Brock, Heugen, Isher und andere. Einige der größten Männer des Landes. Von ihnen allen weiß man, dass sie einmal an dieser Zitze gesaugt haben, und Säuglinge schreien, wenn man ihnen ihre Milch wegnimmt.« Ein grausames Lächeln zog über Sults Gesicht. »Aber damit Kinder Disziplin erlernen können, muss man sie manchmal zum Weinen bringen … Wen hat dieser unglückselige Rews überhaupt genannt?«

Glokta lehnte sich, den Schmerz missachtend, nach vorn und zog Rews’ Geständnis zu sich heran, faltete das Papier auseinander und überflog die Liste der Namen von oben nach unten.

»Sepp dan Teufel, wie wir wissen.«

»Oh, und wir kennen und lieben ihn, Inquisitor«, sagte Sult und lächelte auf Glokta hinab, »aber ich habe das Gefühl, ihn können wir guten Gewissens von der Liste streichen. Wer noch?«

»Nun, sehen wir uns das einmal an.« Glokta ließ einen nachlässigen Blick über die Seite streifen. »Da ist noch Harod Polst, Tuchhändler.« Eine unbedeutende Figur.

Sult machte eine ungeduldige Handbewegung. »Er ist ein Niemand.«

»Solimo Scandi, Tuchhändler aus Westport.« Auch unbedeutend.

»Nein, nein, Glokta, wir haben doch sicher etwas Besseres als diesen Solimo Dingsbums, oder nicht? Diese kleinen Tuchhändler interessieren uns nicht. Man muss die Wurzeln ausreißen, dann geht das Blattwerk von selbst ein.«

»Das ist wahr, Herr Erzlektor. Wir haben da noch Villem dan Robb, niederer Adel, hat einen Juniorposten bei der Zollmeisterei.« Sult sah nachdenklich aus, dann schüttelte er den Kopf. »Dann gibt es noch …«

»Warten Sie! Villem dan Robb …« Der Erzlektor schnippte mit den Fingern. »Sein Bruder Kiral ist einer der Edelmänner der Königin. Er hat mich bei einem gesellschaftlichen Anlass brüskiert.« Sult lächelte. »Ja, Villem dan Robb, holen Sie ihn sich.«

Und so geht es immer tiefer. »Ich diene und gehorche, Euer Eminenz. Gibt es einen bestimmten Namen, der unbedingt berücksichtigt werden sollte?« Glokta stellte sein leeres Glas auf den Tisch.

»Nein.« Der Erzlektor wandte sich ab und machte wieder eine wegwerfende Handbewegung. »Irgendeiner, von mir aus sie alle. Mir ist es egal.«