SCHWARZE TATEN
Wenn etwas brennt, entstehen die verschiedensten Gerüche. Ein noch grüner Baum, frisch und voll im Saft, riecht anders, wenn er brennt, als ein toter, der schon trocken und verwittert ist. Ein Schwein über dem Feuer und ein brennender Mensch riechen ziemlich ähnlich, aber das ist nun wieder eine andere Geschichte. Der Brandgeruch, der dem Hundsmann jetzt in die Nase stieg, das war ein Haus. Das wusste er ganz sicher. Es war ein Geruch, den er besser kannte, als ihm lieb war. Häuser fangen nur selten von selbst an zu brennen. Meistens ist Gewalt im Spiel. Das bedeutete, dass wahrscheinlich Männer in der Nähe waren, zum Kampf bereit, und daher kroch er sehr vorsichtig zwischen die Bäume, robbte auf dem Bauch bis an den Rand der Klippe und spähte durchs Gestrüpp hinunter.
Jetzt sah er es auch. Schwarzer Rauch stieg in einer hohen Säule von einer Stelle nahe dem Fluss auf. Ein kleines Haus, das noch rauchte, aber schon bis auf die niedrigen Steinmauern heruntergebrannt war. Daneben hatte eine Scheune gestanden, aber jetzt war da nur noch ein Haufen schwarzer Bretter und verkohlten Unrats. Ein paar Bäume und ein Flecken bestellten Bodens. Selbst zu besten Zeiten hatte man hier oben ein hartes Leben, wenn man so weit nördlich eine Hofstelle betrieb. Es war zu kalt, als dass hier viel wuchs – vielleicht ein paar Wurzeln. Man konnte sich ein paar Schafe halten. Ein oder zwei Schweine, wenn man Glück hatte.
Hundsmann schüttelte den Kopf. Wer würde einen derart armen Hof niederbrennen wollen? Wer würde dieses widerspenstige Stück Land stehlen wollen? Manche Männer legten einfach gern Feuer, vermutete er. Vorsichtig schob er sich ein wenig weiter vor und sah links und rechts das Tal hinunter, ob ein Zeichen von jenen zu entdecken war, die das getan hatten, aber das Einzige, was sich dort unten bewegte, waren ein paar dürre Schafe. Er robbte wieder ins Gebüsch zurück.
Sein Mut sank, als er zum Lager zurückschlich. Laute Stimmen und Streit, wie immer. Einen Augenblick lang dachte er daran, an ihnen vorbei und einfach immer weiter zu gehen, so sehr hing ihm das endlose Gezänk zum Hals heraus. Schließlich entschied er sich aber doch dagegen. Ein Kundschafter, der seine Leute im Stich lässt, der taugt nichts.
»Wieso hältst du nicht endlich mal dein Maul, Dow?« Tul Durus grollende Stimme. »Du wolltest nach Süden, und als wir dann nach Süden gewandert sind, hast du die ganze Zeit über die Berge gemeckert! Jetzt sind wir aus den Bergen raus, und jetzt meckerst du Tag und Nacht, weil es zu wenig zu fressen gibt! Das habe ich langsam gründlich satt, du alter Jammerlappen!«
Sofort erklang das gehässige Knurren des Schwarzen Dow. »Warum solltest du aber auch doppelt so viel zu fressen kriegen, bloß weil du so ein fettes Schwein bist?«
»Du kleines Arschloch! Ich könnte dich zertreten wie einen Wurm, und genau das bist du auch!«
»Ich werde dir die Kehle durchschneiden, wenn du schläfst, du Fleischkloß! Dann hätten wir alle reichlich zu fressen! Und es wäre Schluss mit deinem verdammten Geschnarche! Jetzt weiß ich so langsam, wieso sie dich Donnerkopf nennen, du sägende Sau!«
»Haltet jetzt beide euer Maul!«, hörte der Hundsmann Dreibaum brüllen, laut genug, um die Toten zu wecken. »Mir reicht’s allmählich!«
Nun konnte er sie auch sehen, alle fünf. Tul Duru und der Schwarze Dow, die einander kampfeslustig anstarrten, Dreibaum, der mit erhobenen Händen beschwichtigend zwischen ihnen stand, Forley, der dasaß und traurig aussah, und Grimm, der nicht einmal hinguckte, seine Pfeile prüfte.
»He!«, zischte Hundsmann, und sie alle fuhren herum und sahen ihn an.
»Es ist der Hundsmann«, sagte Grimm, der kaum den Blick von seinem Köcher hob. Den Kerl konnte man einfach nicht begreifen. Manchmal sagte er tagelang gar nichts, und wenn er dann den Mund aufmachte, gab er irgendetwas von sich, das sowieso offensichtlich war.
Forley war bemüht, die Jungs ein wenig abzulenken, wie immer. Es war schwer zu sagen, wie lange man Tul und Dow davon würde abhalten können, sich gegenseitig umzubringen, wenn er nicht da wäre. »Was hast du entdeckt, Hundsmann?«
»Ihr werdet es nicht glauben, fünf blöde Arschlöcher mitten im Wald!«, fauchte der Kundschafter und trat unter den Bäumen hervor. »Ich konnte sie meilenweit hören! Dabei waren das doch tatsächlich Namhafte Männer, sollte man kaum glauben, Männer, die es besser wissen sollten! Die aber trotzdem untereinander Streit angefangen haben! Fünf blöde Arschlöcher …«
Dreibaum hob die Hand. »Schon gut, Hundsmann. Wir sollten es wirklich besser wissen.« Er warf Tul und Dow einen vernichtenden Blick zu. Sie sahen einander ebenso finster an, aber sie sagten nichts mehr. »Was hast du entdeckt?«
»Hier in der Gegend wird gekämpft, jedenfalls ist das zu vermuten. Ich habe einen brennenden Hof gesehen.«
»Einen brennenden Hof?«, fragte Tul.
»Joh.«
Dreibaum runzelte die Stirn. »Dann führ uns hin.«
Vom Wald aus hatte der Hundsmann es nicht gesehen. Konnte er auch gar nicht. Zu viel Rauch und auch zu weit weg, um das zu erkennen. Aber jetzt sah er es, ganz aus der Nähe, und ihm wurde übel. Sie alle sahen es.
»Das ist eine richtig schwarze Tat, so was«, sagte Forley und blickte in den Baum hinauf. »Eine richtig schwarze Tat.«
»Joh«, murmelte Hundsmann. Ihm fiel nichts anderes ein, was er hätte sagen können. Der Ast knarrte, als der alte Mann sich langsam drehte. Seine Füße baumelten knapp über dem Erdboden. Vielleicht hatte er versucht sich zu wehren, jedenfalls steckten zwei Pfeile in ihm. Das Mädchen war zu jung, um seine Frau zu sein. Vielleicht seine Tochter. Die beiden Kleinen, so vermutete der Hundsmann, waren wahrscheinlich ihre Kinder. »Wer würde denn ein Kind aufhängen?«, fragte er leise.
»Mir fallen schon ein paar Leute ein, deren Seelen schwarz genug dazu wären«, sagte Tul.
Dow spuckte ins Gras. »Meinst du mich?«, grollte er, und schon wieder gingen beide aufeinander los wie Hammer und Amboss. »Ich habe ein paar Höfe abgebrannt, und auch ein oder zwei Dörfer, aber dazu gab es Gründe, und es war Krieg. Die Kinder habe ich am Leben gelassen.«
»Da habe ich was anderes gehört«, sagte Tul. Hundsmann schloss die Augen und seufzte.
»Glaubst du, dass mich das einen Scheißdreck kümmert, was du gehört hast?«, bellte Dow. »Vielleicht ist ja mein Name schwärzer, als ich es verdiene, du Riesenarsch!«
»Ich weiß genau, was du verdienst, du Drecksau!«
»Jetzt reicht’s!«, donnerte Dreibaum und sah düster zum Baum hinüber. »Habt ihr überhaupt keinen Respekt? Hundsmann hat recht. Wir sind jetzt raus aus den Bergen, und es kündigt sich Ärger an. Mit diesen Kabbeleien ist jetzt Schluss. Endgültig. Ab sofort bleiben wir alle ruhig und kalt wie ein Wintertag. Wir sind Namhafte Männer und haben Männerarbeit zu tun.«
Hundsmann nickte und war froh, endlich einmal vernünftige Worte zu hören. »In der Nähe wird gekämpft«, sagte er, »mit Sicherheit.«
»Hm«, sagte Grimm, wobei nicht recht zu sagen war, wem er nun eigentlich zustimmte.
Dreibaums Augen ruhten noch immer auf den hin und her pendelnden Toten. »Du hast recht. Wir müssen uns darauf vorbereiten. Darauf und auf nichts anderes. Wir werden die Truppe stellen, die das hier getan hat, und herausfinden, wofür sie kämpfen. Wir können nichts ausrichten, bevor wir nicht wissen, um welche Fehde es hier geht.«
»Wer auch immer hierfür verantwortlich ist, ist auf der Seite von Bethod«, sagte Dow. »Das zeigt schon allein dieser Anblick.«
»Wir werden sehen. Tul und Dow, ihr schneidet diese Leute ab und begrabt sie. Vielleicht bringt euch diese Aufgabe wieder ein bisschen zu Verstand.« Die beiden warfen einander finstere Blicke zu, aber Dreibaum achtete nicht weiter darauf. »Hundsmann, du ziehst los und spürst diejenigen auf, die das getan haben. Wir werden ihnen heute Nacht einen Besuch abstatten und uns dann ebenso aufführen wie sie.«
»O ja«, sagte Hundsmann, den es danach drängte, etwas zu tun. »Wir werden ihnen einen Besuch abstatten.«
Der Hundsmann verstand das nicht. Falls diese Kerle wirklich eine Fehde führten und daher fürchten mussten, auf Feinde zu treffen, dann machten sie sich nicht allzu viel Mühe, ihre Spuren zu verwischen. Ihnen zu folgen war ausgesprochen einfach. Er nahm an, dass sie zu fünft waren. Offenbar waren sie ganz gemütlich von dem brennenden Gehöft aufgebrochen, das Tal am Fluss entlang gewandert und schließlich im Wald verschwunden. Die Spuren waren so deutlich, dass er sich zwischenzeitlich schon Sorgen machte – was, wenn das nur ein Trick dieser Leute war und sie irgendwo zwischen den Bäumen lauerten, um auch ihn an einem Ast aufzuknüpfen? Aber offenbar war es nicht so, denn er holte sie kurz vor Einbruch der Dunkelheit ein.
Zuerst roch er ihr Fleisch – gebratener Hammel. Dann hörte er ihre Stimmen – sie redeten, brüllten, lachten und unternahmen nicht den geringsten Versuch, leise zu sein; sie übertönten sogar das Rauschen des nahe gelegenen Flusses. Und nun sah er sie auch. Sie saßen um ein großes Feuer auf einer Lichtung. Auf einem Spieß über den Flammen drehte sich ein totes Schaf, das sie sicherlich von dem abgebrannten Gehöft mitgenommen hatten. Der Hundsmann duckte sich in die Büsche und blieb so still und ruhig, wie sie es hätten sein sollen. Tatsächlich zählte er fünf Männer, oder vielmehr vier und einen Jungen von etwa vierzehn Jahren. Sie alle saßen da, niemand stand Wache, niemand passte auch nur im Geringsten auf. Er verstand das nicht.
»Die sitzen alle nur da«, flüsterte er, als er zu den anderen zurückkehrte. »Einfach so. Keine Wache, kein Garnichts.«
»Sitzen nur so da rum?«, fragte Forley.
»Ja. Fünf Mann. Sitzen da und lachen. Mir gefällt das nicht.«
»Mir auch nicht«, sagte Dreibaum, »aber mir hat das, was ich dort hinten bei diesem Hof gesehen habe, noch viel weniger gefallen.«
»Waffen«, zischte Dow. »Zu den Waffen. Muss sein.«
Ausnahmsweise stimmte Tul ihm zu. »Waffen, Häuptling. Denen muss man eine Lehre erteilen.«
Nicht einmal Forley sprach sich dieses Mal dafür aus, auf einen Kampf zu verzichten, aber Dreibaum dachte dennoch eine Weile still für sich darüber nach, er nahm sich Zeit, ließ sich nicht drängen. Dann nickte er. »Zu den Waffen.«
Man sieht den Schwarzen Dow im Dunkeln nicht, jedenfalls nicht, wenn er nicht gesehen werden will. Man hört ihn auch nicht, aber der Hundsmann wusste, dass er da war, während er geduckt durch den Wald schlich. Wenn man lange genug mit einem Mann gekämpft hat, dann versteht man sich ohne Worte. Man weiß, wie er denkt, und irgendwann denkt man schließlich genauso. Dow war da.
Der Hundsmann hatte seine Aufgabe. Seinen Mann. Er saß ganz rechts, und Hundsmann konnte seinen Umriss klar ausmachen, da er sich wie ein dunkler Schatten gegen den hellen Feuerschein abhob. An die anderen verschwendete er einstweilen noch nicht zu viele Gedanken. Er dachte nur an eines, an seinen Mann. Wenn man einmal beschlossen hat, sich an die Arbeit zu machen – oder wenn der Häuptling das beschlossen hat – dann zieht man los und blickt nicht zurück, bevor der Auftrag nicht erledigt ist. Die Zeit, in der man nachdenkt, könnte die Zeit sein, in der man getötet wird. Das hatte Logen ihm beigebracht, und er hatte sich das zu Herzen genommen. So musste es eben sein.
Hundsmann kroch näher, bis er die Wärme des Feuers auf seinem Gesicht spürte. Das kalte Metall des Messers lag in seiner Hand. Bei den Toten, er musste schon wieder pissen, wie immer. Sein Mann war nur noch einen Schritt entfernt. Der Junge saß ihm gegenüber – hätte er von seinem Stück Fleisch einmal aufgesehen, hätte er den Hundsmann bemerkt, aber er war zu sehr mit dem Essen beschäftigt.
»Urgh!«, rief einer der anderen. Das bedeutete, dass Dow ihn erwischt hatte, und das bedeutete, dass er erledigt war. Hundsmann sprang nach vorn und stach seinen Mann seitlich in den Hals. Der Getroffene bäumte sich kurz auf, griff mit den Händen an seine durchgeschnittene Kehle, stolperte nach vorn und fiel um. Einer der anderen sprang auf, warf sein halb abgenagtes Hammelbein ins Gras, aber dann traf ihn schon ein Pfeil in der Brust. Grimm, der auf der anderen Seite des Flusses stand. Einen Augenblick wirkte er überrascht, dann sank er auf die Knie, das Gesicht vor Schmerz verzerrt.
Damit waren nur noch zwei übrig, und der Junge saß noch immer da und starrte den Hundsmann an, mit halb offenem Mund, aus dem ein Stückchen Fleisch hing. Der letzte der Männer sprang nun hastig atmend auf, ein langes Messer in der Hand, das er wohl schon gezogen gehabt hatte, um damit zu essen.
»Lass das Messer fallen!«, bellte Dreibaum. Der Hundsmann sah den alten Kämpen jetzt, wie er auf sie zuging. Der Feuerschein spiegelte sich auf dem Metallbuckel seines großen runden Schilds. Der Mann nagte an seiner Lippe, und seine Augen glitten vom Hundsmann zu Dow, die ihn nun langsam zwischen sich nahmen. Jetzt sah er auch den Donnerkopf, der in der Dunkelheit unter den Bäumen lauerte und beinahe zu groß für einen Menschen zu sein schien, wie er dastand, das riesige Schwert blitzend über die Schulter gelegt. Das reichte ihm. Er warf sein Messer auf den Boden.
Dow sprang vor, packte seine Handgelenke und band sie ihm hinter dem Rücken zusammen, dann schubste er ihn neben dem Feuer auf die Knie. Der Hundsmann tat dasselbe mit dem Jungen, die Zähne fest zusammengebissen, ohne ein Wort zu sagen. Die ganze Sache war binnen weniger Herzschläge vorüber gewesen, ruhig und kalt, wie Dreibaum gesagt hatte. Blut war an Hundsmanns Händen, aber das lag in der Natur der Sache und war nicht zu ändern. Die anderen kamen nun auch heran. Grimm watete durch den Fluss, den Bogen über die Schulter geschwungen. Er gab dem Mann, den er erschossen hatte, einen prüfenden Tritt, aber der Tote bewegte sich nicht.
»Tot«, sagte Grimm. Forley hielt sich im Hintergrund und beäugte die beiden Gefangenen. Dow sah den Kerl an, den er gebunden hatte, er sah ihm genau ins Gesicht.
»Den hier kenn ich«, sagte er und hörte sich dabei ausgesprochen zufrieden an. »Groa der Sumpf, oder nicht? Was für ein Zufall! Du bist mir schon eine ganze Weile im Kopf herumgespukt.«
Der Sumpf sah finster zu Boden. Er hat einen grausamen Blick, dachte der Hundsmann, der sieht tatsächlich so aus wie einer, der Bauern aufhängt. »Ja, ich bin der Sumpf. Nach euren Namen muss ich gar nicht erst fragen! Wenn herauskommt, dass Ihr ein paar der Eintreiber des Königs umgebracht habt, dann seid ihr schon so gut wie tot!«
»Mich nennt man den Schwarzen Dow.«
Der Sumpf hob den Kopf, der Mund stand ihm offen. »Ach du Scheiße«, flüsterte er.
Der Junge, der neben ihm kniete, machte große runde Augen. »Der schwarze Dow? Echt jetzt? Doch nicht der Schwarze Dow, der … ach du Scheiße.«
Dow nickte langsam, während sich dieses hässliche Grinsen über sein Gesicht zog, das Mördergrinsen. »Groa der Sumpf. Du musst ja noch für alle möglichen Sachen gerade stehen. Du warst in meinem Kopf, jetzt bist du vor meinen Augen.« Er tätschelte ihm die Wange. »Und in meiner Hand. Was für ein glücklicher Zufall.«
Der Sumpf zog sein Gesicht weg, so weit er es in seinem gefesselten Zustand konnte. »Ich dachte, du würdest schon in der Hölle schmoren, Schwarzer Dow, du Drecksack!«
»So kam’s mir auch vor, aber ich war nur nördlich der Berge. Wir haben noch ein paar Fragen an dich, Sumpf, bevor du kriegst, was du verdienst. Was ist das für ein König? Was treibt ihr für ihn ein?«
»Scheiß auf deine Fragen!«
Dreibaum verpasste ihm einen Schlag an den Kopf, von der Seite, sodass er nicht darauf vorbereitet war. Als er sich in die Richtung drehte, aus der der Schlag gekommen war, versetzte ihm Dow auf der anderen Seite einen neuerlichen Hieb. Sein Kopf flog nach links und wieder nach rechts, bis er so mürbe war, dass er reden wollte.
»Was ist das hier für eine Fehde?«
»Das ist keine Fehde!«, gurgelte der Sumpf hinter seinen ausgeschlagenen Zähnen hervor. »Ihr seid so gut wie tot, ihr Arschlöcher! Ihr habt gar keine Ahnung, was passiert ist, oder?« Hundsmann runzelte die Stirn. Das gefiel ihm nicht. Es hörte sich so an, als ob sich einiges getan hatte, während sie weggewesen waren, und er hatte bisher noch nie erlebt, dass sich etwas zum Guten wandelte.
»Ich stelle hier die Fragen«, sagte Dreibaum. »Du solltest dein Erbsenhirn dazu benutzen, sie zu beantworten. Wer kämpft jetzt noch? Wer kniet noch nicht vor Bethod?«
Der Sumpf lachte, trotz seiner gebundenen Glieder. »Da ist niemand mehr übrig! Die Fehden sind vorbei! Bethod ist jetzt König, König des ganzen Nordens! Jeder kniet vor ihm …«
»Wir nicht«, grollte Tul Duru, der sich zum Sumpf hinunterbeugte. »Was ist mit Yawl dem Alten?«
»Ist tot!«
»Und Sything oder Rasselkopf?«
»Tot und tot, ihr blöden Säue! Gekämpft wird jetzt nur noch unten im Süden! Bethod hat der Union den Krieg erklärt! Jawohl! Und wir werden ihnen eine richtige Tracht Prügel verpassen!«
Der Hundsmann wusste nicht recht, ob er das glauben sollte. König? Im Norden hatte es noch nie einen König gegeben. Das war nie nötig gewesen, und Bethod wäre darüber hinaus der Letzte gewesen, den er gewählt hätte. Und Krieg gegen die Union zu führen? Das war ein närrisches Unterfangen, soviel war klar. Für jeden toten Südländer rückten stets endlos viele nach.
»Wenn es hier keine Fehde mehr gibt«, fragte der Hundsmann, »wieso bringt ihr hier die Leute um?«
»Fick dich ins Knie!«
Tul schlug ihn ins Gesicht, hart, und er fiel nach hinten. Dow trat selbst noch einmal zu, dann richtete er den Sumpf wieder auf.
»Weswegen bringt ihr sie um?«, hakte Tul nach.
»Steuern!«, brüllte der Sumpf, dem Blut aus der Nase lief.
»Steuern?«, wiederholte der Hundsmann. Ein komisches Wort, alles, was recht war; er wusste kaum, was es bedeutete.
»Sie wollten nicht bezahlen!«
»Steuern für wen?«, fragte Dow.
»Für Bethod, für wen dachtet ihr denn? Er hat das ganze Land erobert, die Clans zerschlagen und es für sich selbst beansprucht! Die Leute hier schulden ihm was! Und wir treiben die Steuer für ihn ein!«
»Steuern, so! Das ist eine beschissene Südländer-Mode, das steht mal fest! Und wenn sie nicht bezahlen können?«, fragte der Hundsmann, dem richtig übel wurde. »Dann hängt ihr sie auf, oder was?«
»Wenn sie nicht bezahlen, dann können wir mit ihnen tun, was uns gefällt!«
»Was euch gefällt?« Tul legte ihm die Hände um den Hals und drückte mit seinen großen Pranken zu, bis dem Sumpf die Augen aus den Höhlen quollen. »Was euch gefällt? Und euch gefällt es, sie zu hängen, ja?«
»Schon gut, Donnerkopf«, sagte Dow und löste Tuls breite Finger, bevor er den Krieger sanft zurückschob. »Schon gut, Großer, das ist nicht deine Art, einen gebundenen Mann zu töten.« Er klopfte ihm auf die Brust und zog seine Axt. »Für solche Arbeit habt ihr einen Mann wie mich dabei.«
Der Sumpf hatte sich so einigermaßen von Tuls Würgegriff erholt. »Donnerkopf?«, keuchte er und blickte in die Runde. »Dann ist wohl die ganze Rotte da, was? Du bist Dreibaum, und Grimm, und das da ist der Schwächste! ihr kniet also nicht vor Bethod, was? Wie schön für euch Arschlöcher! Wo ist Neunfinger? Hä?«, spottete der Sumpf. »Wo ist der Blutige Neuner?«
Dow wandte sich um und prüfte mit dem Daumen die Schneide seiner Axt. »Wieder zu Schlamm geworden, und du gehst gleich hinterher. Wir haben genug gehört.«
»Binde mich los, du Sau!«, brüllte der Sumpf und zerrte an seinen Fesseln. »Du bist nicht besser als ich, Schwarzer Dow! Du hast mehr Leute umgebracht als die Pest! Bind mich los und gib mir eine Waffe! Na los! Hast du Angst vor mir, du Feigling? Angst, mir einen Kampf zu gewähren, was?«
»Du nennst mich einen Feigling, ja?«, knurrte Dow. »Du, der Kinder umgebracht hat, einfach so, weil es ihm gefiel? Du hattest eine Waffe, und die hast du fallen lassen. Das war deine Gelegenheit, die hättest du ergreifen sollen. Solche wie du verdienen keine zweite. Wenn du irgendwas zu sagen hast, was des Hörens wert ist, dann sag es jetzt.«
»Scheiß auf dich!«, kreischte der Sumpf, »Scheiß auf euch alle, wie ihr …«
Dows Axt traf ihn hart zwischen den Augen und schleuderte ihn auf den Rücken. Er zuckte noch ein paar Mal mit den Füßen, dann war es vorbei. Nicht einer von ihnen weinte diesem Drecksack allzu viele Tränen nach – nicht einmal Forley war zusammengezuckt, als die Klinge ihm den Kopf gespaltet hatte. Dow lehnte sich nach vorn und spuckte auf die Leiche, und der Hundsmann konnte es ihm nicht verübeln. Der Junge wiederum war ein größeres Problem. Er sah mit großen, angsterfüllten Augen auf den Toten, dann hob er den Kopf.
»Ihr seid das, oder«, sagte er, »die, die Neunfinger besiegt hat.«
»Ja, Junge«, sagte Dreibaum, »das sind wir.«
»Ich hab Geschichten von euch gehört, viele Geschichten. Was werdet ihr mit mir machen?«
»Tja, das ist die Frage, nicht wahr«, murmelte Hundsmann vor sich hin. Das Problem war, er kannte die Antwort bereits.
»Er kann nicht bei uns bleiben«, sagte Dreibaum. »Er ist zu viel Ballast, und er ist auch ein zu großes Risiko.«
»Er ist doch fast noch ein Kind«, sagte Forley. »Wir könnten ihn laufen lassen.« Ein schöner Gedanke, aber nicht allzu wasserdicht, und das wussten sie alle. Der Junge sah hoffnungsvoll auf, aber Tul machte dem schnell ein Ende.
»Wir können ihm nicht vertrauen. Nicht hier. Er könnte irgendjemandem verraten, dass wir wieder zurück sind, und dann würden wir gejagt. Das geht nicht. Davon abgesehen hatte er Anteil an den Morden auf dem Hof.«
»Aber was hatte ich denn für eine Wahl?«, fragte der Junge. »Was für eine Wahl? Ich wollte nach Süden! Nach Süden und gegen die Union kämpfen, mir selbst einen Namen machen, aber sie haben mich hierher geschickt, um Steuern einzutreiben. Wenn mein Häuptling mir sagt, dass ich etwas tun soll, dann muss ich doch gehorchen, oder nicht?«
»Das musst du«, sagte Dreibaum. »Niemand sagt, dass du hättest anders handeln können.«
»Ich wollte nichts damit zu tun haben! Ich habe ihm gesagt, er soll die Kleinen laufen lassen! Das müsst ihr mir glauben!«
Forley sah auf seine Stiefel. »Wir glauben dir.«
»Aber ihr werdet mich trotzdem umbringen?«
Hundsmann nagte an seiner Lippe. »Wir können dich nicht mitnehmen, wir können dich nicht hier lassen.«
»Ich wollte nichts damit zu tun haben.« Der Junge ließ den Kopf hängen. »Das ist doch nicht gerecht.«
»Das ist es nicht«, sagte Dreibaum. »Es ist überhaupt nicht gerecht. Aber es ist nun mal so.«
Dows Axt spaltete den Kopf des Jungen von hinten, und er fiel vornüber. Der Hundsmann zuckte zusammen und sah weg. Er wusste, dass Dow es gerade deswegen so gemacht hatte, damit sie das Gesicht des Jungen nicht sehen mussten. Es war schon irgendwie eine gute Idee, und er hoffte, dass es den anderen half, aber für ihn war es gleich, ob der Junge nun rücklings oder bäuchlings im Gras lag. Ihm war beinahe so schlecht wie zuvor auf dem abgebrannten Hof.
Es war nicht der schlimmste Tag, den er je erlebt hatte, mit einigem Abstand nicht. Aber es war ein schlimmer Tag.
Der Hundsmann sah ihnen zu, wie sie die Straße hinuntermarschierten, gut versteckt oben in den Bäumen, wo ihn niemand sehen konnte. Er hatte zudem darauf geachtet, dass ihm der Wind entgegenwehte, denn um der Wahrheit die Ehre zu geben, er roch inzwischen reichlich streng. Es war eine seltsame Prozession. Von weitem sahen sie wie Krieger aus, die zu einer Heerschau ritten und dann in die Schlacht. Aber wenn man genauer hinsah, erkannte man, dass vieles nicht stimmte. Fast nur alte Waffen und ein zusammengestückeltes Sammelsurium von Rüstungen. Sie marschierten, aber ohne feste Ordnung und in Lumpen. Die meisten von ihnen waren ohnehin zu alt, um herausragende Krieger zu sein, hatten graue Haare oder kahle Köpfe, und die Übrigen waren zu jung für Bärte, fast noch Kinder.
Dem Hundsmann kam es so vor, als ob im Norden allmählich nichts mehr einen Sinn ergab. Er dachte darüber nach, was der Sumpf gesagt hatte, bevor Dow ihn umgebracht hatte. Krieg mit der Union. Zogen die hier in den Krieg? Falls ja, dann mobilisierte Bethod offenbar wirklich die allerletzten Kräfte.
»Wie sieht’s aus, Hundsmann?«, fragte Forley, als er ins Lager zurückkehrte. »Was geschieht da unten?«
»Männer. Bewaffnet, aber nicht besonders gut. Um die Hundert oder mehr. Junge und Alte, sie ziehen nach Süden und Westen.« Hundsmann deutete die Straße hinunter.
Dreibaum nickte. »Nach Angland. Dann meint er es offenbar ernst, dieser Bethod. Er führt Krieg gegen die Union, und zwar richtig. Wie viel Blut auch immer fließen mag, ihm reicht es nie. Er nimmt jetzt jeden Mann, der einen Speer halten kann.« In gewisser Hinsicht überraschte sie das nicht. Bethod hatte sich nie mit halben Sachen zufrieden gegeben. Sein Motto lautete ›Ganz oder gar nicht‹ und es war ihm egal, wer dabei draufging. »Jeden Mann«, murmelte Dreibaum vor sich hin. »Wenn jetzt die Schanka über die Berge kommen …«
Der Hundsmann sah in die Runde. Düstere, besorgte, dreckige Gesichter. Er wusste, was Dreibaum meinte, sie alle wussten es. Wenn jetzt die Schanka kamen, und im Norden war niemand mehr, der gegen sie kämpfen konnte, dann würde es bald überall aussehen wie auf dem abgebrannten Hof, nur schlimmer.
»Wir müssen sie warnen«, rief Forley, »wir müssen jemandem Bescheid sagen!«
Dreibaum schüttelte den Kopf. »Du hast den Sumpf gehört. Yawl ist nicht mehr, Rasselkopf und Sything auch nicht. Alle tot und kalt, wieder zu Schlamm geworden. Bethod ist jetzt König, König der Nordmänner.« Der Schwarze Dow verzog das Gesicht und spuckte in den Dreck. »Da kannst du so viel spucken wie du willst, Dow, aber es bleibt eine Tatsache. Es ist niemand mehr da, den man warnen könnte.«
»Niemand außer Bethod selbst«, brummte der Hundsmann und fühlte sich elend, weil er derjenige war, der so etwas aussprechen musste.
»Dann müssen wir ihm Bescheid sagen!« Forley sah sie verzweifelt nacheinander an. »Er mag ja ein herzloser Drecksack sein, aber er ist doch ein Mensch! Er ist besser als die Plattköpfe, oder nicht? Wir müssen es jemandem sagen!«
»Ha«, bellte Dow. »Ha! Und du meinst, er hört uns an, Schwächster? Haste vergessen, was er uns gesagt hat? Uns und auch Neunfinger? Kehrt nie wieder zurück! Haste vergessen, dass er uns um Haaresbreite umgebracht hätte? Haste vergessen, wie sehr er jeden von uns hasst?«
»Wie sehr er uns fürchtet«, verbesserte Grimm.
»Hasst und fürchtet«, sagte Dreibaum, »und das ist auch klug von ihm. Denn wir sind stark. Namhafte Männer. Bekannte Männer. Die Sorte Männer, denen andere folgen.«
Tul nickte mit seinem mächtigen Kopf. »Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass man uns in Carleon willkommen hieße. Und wenn, dann nur mit einem Speer.«
»Ich bin nicht stark«, rief Forley. »Ich bin der Schwächste, das weiß jeder! Bethod hat keinen Grund, mich zu fürchten oder mich zu hassen. Ich werde gehen!«
Hundsmann sah ihn überrascht an. Sie alle. »Du?«, fragte Dow.
»Ja, ich! Ich bin vielleicht kein Krieger, aber ich bin auch kein Feigling! Ich werde gehen und mit ihm reden. Vielleicht hört er mich an.« Hundsmann war völlig verblüfft. Es war so lange her, dass einer von ihnen versucht hatte, durch Reden aus einer Klemme herauszukommen, dass er diese Möglichkeit inzwischen ganz vergessen hatte.
»Kann sein, vielleicht tut er das«, murmelte Dreibaum.
»Vielleicht hört er dich an«, sagte Tul. »Aber vielleicht bringt er dich danach auch um, Schwächster!«
Der Hundsmann schüttelte warnend den Kopf. »Du setzt sehr viel aufs Spiel.«
»Vielleicht, aber es könnte die Sache wert sein, oder?«
Sie sahen einander besorgt an. Forley zeigte sehr viel Rückgrat, zweifelsohne, aber der ganze Plan wollte dem Hundsmann nicht besonders gefallen. Ausgerechnet Bethod – das war ein ziemlich dünner Faden, um Hoffnungen daran zu knüpfen. Ein verdammt dünner Faden.
Aber wie Dreibaum gesagt hatte – sonst war niemand mehr da.