WETTE NIE GEGEN EINEN MAGUS
Logen saß in der heißen Sonne zusammengesunken auf seiner Bank und schwitzte.
Die alberne Kleidung machte weder die Hitze noch irgendetwas anderes leichter zu ertragen. Das Obergewand war nicht dazu gedacht, um sich darin hinzusetzen, und das steife Leder grub sich jedes Mal schmerzhaft in seine Nüsschen, wenn er sich bewegte.
»Scheißteil«, brummte er und zog zum zwanzigsten Mal daran. Quai schien mit seiner Zaubererkleidung auch nicht glücklicher zu sein – das Schimmern der goldenen und silbernen Symbole ließ sein Gesicht nur noch kränker und blasser erscheinen, und seine Augen wirkten noch geröteter und vorquellender. Er hatte den ganzen Morgen über kaum etwas gesagt. Von ihnen dreien schien nur Bayaz wirklich guter Dinge, wie er die wogende Menge auf den Bänken anstrahlte und sich die Sonne auf seiner Glatze spiegelte.
In diesem Publikum fielen sie auf wie vergammelte Früchte an einem Obststand und waren offensichtlich auch ähnlich gern gesehen. Obwohl die Bänke überall dicht an dicht besetzt waren, war ein kleiner nervöser Ring um die drei Männer frei geblieben, in den sich niemand setzen mochte.
Der Lärm ging einem noch stärker an die Nieren als die Hitze und die vielen Menschen. Logens Ohren dröhnten. Er konnte sich gerade noch beherrschen, sie sich nicht mit den Händen zuzuhalten und schutzsuchend unter die Bank zu rutschen. Bayaz lehnte sich zu ihm hinüber. »Waren Eure Zweikämpfe auch so ähnlich?« Er musste laut schreien, obwohl sein Mund kaum sechs Zoll von Logens Ohr entfernt war.
»Hm.« Selbst als Logen gegen Rudd Dreibaum gekämpft und ein großer Teil von Bethods Armee sich in einem weiten Halbkreis aufgestellt hatte, um zuzusehen, als die Krieger gebrüllt und mit den Waffen gegen ihre Schilde geschlagen hatten, als überall auf den Mauern von Uffrith dicht gedrängt Zuschauer gestanden hatten, um den Kampf mitzuerleben, hatte sein Publikum höchstens aus halb so vielen Menschen bestanden, und es war nicht annähernd so laut gewesen. Keine dreißig Männer hatten seinen Sieg gegen Schama Ohnherz miterlebt, den er getötet und dann wie ein Schwein geschlachtet hatte. Logen verzog gequält das Gesicht und zog die Schultern hoch, als ihn die Erinnerung überwältigte. Er hatte ihn zerteilt, sich das Blut von den Fingern geleckt, während der Hundsmann ihm entsetzt zugesehen und Bethod gelacht und ihn angefeuert hatte. Noch immer konnte er das Blut schmecken, selbst jetzt, und er schauderte und wischte sich über den Mund.
Es waren wesentlich weniger Menschen da gewesen, aber wie viel mehr hatte auf dem Spiel gestanden. Das Leben der Kämpfer zum einen, aber auch die Herrschaft über Land, Dörfer, Städte, die Zukunft ganzer Clans. Beim Kampf gegen Tul Duru hatten nicht mehr als Hundert zugesehen, aber in jener blutigen halben Stunde hatte sich möglicherweise das ganze Schicksal des Nordens gewandelt. Hätte er damals verloren, hätte der Donnerkopf ihn getötet, wäre dann alles genauso gekommen? Wenn der Schwarze Dow oder Harding Grimm oder irgendeiner der anderen ihn wieder in den Schlamm geschickt hätten, würde Bethod dann mit seiner goldenen Kette um den Hals da sitzen und sich König nennen? Wäre die Union dann im Krieg mit dem Norden? Bei dem Gedanken begann sein Kopf zu schmerzen. Noch mehr als vorher.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Bayaz.
»Hmm«, brummte Logen, aber er zitterte, obwohl es so heiß war. Weswegen waren all diese Menschen hier? Um sich zu amüsieren. Bei Logens Kämpfen hätten sich wohl nur wenige amüsiert. Außer Bethod vielleicht. Und ein paar andere. »Das hier ist überhaupt nicht wie einer meiner Kämpfe«, murmelte er vor sich hin.
»Was sagtet Ihr?«
»Nichts.«
»Ah.« Der alte Mann strahlte die Zuschauer an und kratzte sich den kurzen grauen Bart. »Was meint Ihr, wer wird gewinnen?«
Logen war das eigentlich ziemlich egal, aber er war gern bereit, darüber nachzudenken, weil ihn das von seinen Erinnerungen ablenkte. Mit langem Blick sah er zu den Kabinen, wo sich die beiden Fechter vorbereiteten, nicht weit von dem Platz entfernt, auf dem er saß. Einer von ihnen war der gut aussehende, stolze junge Mann, den sie am Tor getroffen hatten. Der andere war von gedrungener Statur und machte einen kraftstrotzenden Eindruck, mit dickem Hals und einem beinahe gelangweilten Gesichtsausdruck.
Er zuckte die Achseln. »Ich verstehe nichts von diesem Geschäft.«
»Was, Ihr? Der Blutige Neuner? Ein Kämpe, der zehnmal herausgefordert wurde und jedes Mal gewann? Der gefürchtetste Mann im ganzen Norden? Ihr habt keine Meinung? Ein Zweikampf ist doch sicher auf der ganzen Welt dasselbe?«
Logen verzog das Gesicht und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Der Blutige Neuner. Das lag weit in der Vergangenheit, aber nicht weit genug für seinen Geschmack. Noch immer hatte er den metallischen Geschmack im Mund, wie Salz, oder wie Blut. Einen Mann mit einem dieser dünnen Schwerter zu berühren oder aber ihn aufzuschlitzen, das war kaum miteinander vergleichbar, aber er sah noch einmal zu den beiden Gegnern hinüber. Der stolze Jüngling rollte sich die Ärmel auf, beugte sich federnd zu den Zehen hinunter, dehnte seinen Körper in diese und in jene Richtung, wirbelte die Arme wie Windmühlenflügel herum, während ihm ein strenger alter Soldat in makelloser roter Uniform dabei zusah. Ein großer, besorgt wirkender Mann überreichte dem Fechter zwei dünne Schwerter, eins länger als das andere, und der Jüngling ließ beide mit beeindruckender Geschwindigkeit durch die Luft pfeifen, sodass die Klingen blitzten.
Sein Gegner stand da, an die hölzerne Wand seiner Kabine gelehnt, reckte seinen ochsenbreiten Hals ohne allzu große Eile von einer Seite zur anderen und sah sich mit trägem Blick um.
»Wer ist wer?«, fragte Logen.
»Der dümmliche Angeber vom Tor ist Luthar. Der andere, der halb zu schlafen scheint, ist Gorst.«
Es war offensichtlich, auf wessen Seite das Publikum war. Luthars Name war oft aus dem Lärm herauszuhören, und Ausrufe und Klatschen begleiteten jede Bewegung seiner Schwerter. Er sah schnell, gerissen und schlau aus, aber in der abwartenden Haltung des schwereren Mannes lag etwas Tödliches, und etwas Dunkles ruhte in den Augen mit den schweren Lidern. Logen hätte lieber gegen Luthar gekämpft, trotz dessen Schnelligkeit. »Ich würde sagen, Gorst.«
»Gorst, tatsächlich?« Bayaz’ Augen funkelten. »Wie wäre es mit einer kleinen Wette?«
Logen hörte, wie Quai scharf die Luft einzog. »Wette nie gegen einen Magus«, flüsterte der Zauberlehrling.
Für Logen schien das nicht von großer Bedeutung. »Was, zur Hölle, habe ich schon als Einsatz zu bieten?«
Bayaz zuckte die Achseln. »Nun, sagen wir dann, um die Ehre?«
»Wenn Ihr wollt.« Logen hatte auch davon nicht allzu viel, und wenn er dieses bisschen noch verlor, sollte es ihm gleich sein.
»Bremer dan Gorst!« Das vereinzelte Klatschen wurde von einer Welle aus Gezischel und Buhrufen erstickt, als der große Ochse auf seine Positionsmarkierung zustapfte, die halb geschlossenen Augen auf den Boden gerichtet, die großen, schweren Fechteisen locker in den großen, schweren Händen. Zwischen seinem kurz geschorenen Haar und dem Kragen seines Hemdes, dort, wo eigentlich der Hals hätte sein sollen, war nichts außer einer dicken Rolle Muskeln.
»Hässlicher Drecksack«, murmelte Jezal vor sich hin, als er ihm mit den Augen folgte. »Verdammter hässlicher, idiotischer Drecksack.« Aber seinen Flüchen fehlte die Überzeugung, selbst vor seinen eigenen Ohren. Er hatte den Mann drei Runden fechten sehen, bei denen er drei gut trainierte Gegner auseinander genommen hatte. Einer von ihnen war auch nach einer Woche immer noch nicht vom Krankenlager aufgestanden. Jezal hatte sich in den letzten Tagen besonderen Übungen gewidmet, um Gorsts brutalem, stumpfen Stil etwas entgegensetzen zu können: Varuz und West hatten ihn mit dicken Besenstielen attackiert, während er mal hierhin, mal dorthin geschlagen hatte. Mehr als einmal hatten sie ihn dabei getroffen, und die blauen Flecke spürte er immer noch.
»Gorst?«, kündigte der Kampfrichter langsam an und tat sein Bestes, um etwas Applaus aus dem Publikum herauszuholen, aber die Zuschauer verweigerten sich. Dafür wurden die Buhrufe lauter, und als Gorst seine Position einnahm, gesellten sich Beschimpfungen dazu.
»Du ungeschickter Ochse!«
»Hau wieder ab auf deinen Bauernhof und schirr dich vor den Pflug!«
»Bremer die Brechstange!« Und so ging es weiter.
Die Menschen erstreckten sich weit, weit nach hinten, bis sie nur noch verschwommen zu sehen waren. Alle waren dort. Jeder Mensch auf der ganzen Welt, so wollte es scheinen. Jeder gemeine Mann, jede gemeine Frau aus der Stadt hinten auf den obersten Rängen. Jeder bürgerliche Künstler oder Kaufmann drückte sich auf die mittleren Bänke. Alle Edlen aus dem Agriont saßen vorn, von den fünften Söhnen hochwohlgeborener Nichtswürdigkeiten bis zu den großen Herren aus dem Offenen und Geschlossenen Rat. Die königliche Loge war voll besetzt: die Königin, die beiden Prinzen, Lord Hoff, Prinzessin Terez. Sogar der König schien ausnahmsweise einmal wach zu sein, und das war in der Tat eine Ehre; seine Glubschaugen blickten überrascht in die Runde. Irgendwo dort draußen waren Jezals Vater und seine Brüder, seine Freunde und seine Offizierskameraden, all seine Bekannten, jedenfalls mehr oder weniger. Und auch Ardee, wie er hoffte, sah ihm zu …
Insgesamt war es wirklich ein beachtliches Publikum.
»Jezal dan Luthar!«, bellte der Kampfrichter. Das bedeutungslose Geplapper der Menge wallte zu einem Sturm von Applaus auf, eine donnernde Woge der Unterstützung. Die Rufe und Schreie drangen von überall aus dem Zuschauerrund und ließen Jezals Kopf dröhnen.
»Komm schon, Luthar!«
»Luthar!«
»Mach den Drecksack fertig!« Und dergleichen.
»Los geht’s, Jezal«, flüsterte ihm Marschall Varuz ins Ohr, klopfte ihm auf den Rücken und schubste ihn sanft auf den Fechtring zu, »und viel Glück!«
Jezal ging wie im Nebel, der Lärm der Menge brandete an seine Ohren, bis er das Gefühl hatte, dass ihm der Kopf zerspringen würde. Blitzartig tauchten Erinnerungen an die Vorbereitungen der letzten Monate in seinen Gedanken auf. Das Laufen, das Schwimmen, die Arbeit mit der schweren Stange. Die Duelle, der Balken, die endlosen Figuren. Die Strafen, das Lernen, das Schwitzen, der Schmerz. Nur, damit er heute hier stehen konnte. Sieben Treffer. Wer als Erster vier verbuchen konnte. All das lief in diesem Augenblick zusammen.
Er nahm Gorst gegenüber seine Position ein und sah in die verhangenen Augen. Sie erwiderten seinen Blick, kühl und gelassen, schienen fast durch ihn hindurchzusehen, als sei er gar nicht da. Das reizte ihn, aber er verbannte solche Gedanken aus seinem Kopf und hob sein edles Kinn. Er würde nicht zulassen – er durfte nicht zulassen, dass dieser Bauernlümmel ihn besiegte. Er würde all diesen Menschen zeigen, welches Blut, welche Fähigkeiten und welchen Eifer er besaß. Er war Jezal dan Luthar. Er würde gewinnen. Es war eine unbestreitbare Tatsache. Er wusste es.
»Und los!«
Der erste Streich wirbelte ihn um die eigene Achse, zerstörte sein Selbstbewusstsein, seine Sicherheit und beinahe auch sein Handgelenk. Er hatte Gorst natürlich bereits fechten sehen, wenn man es denn so nennen konnte, und daher hatte er gewusst, dass dieser Kerl mit derart weit ausholenden Schlägen aufwartete, aber auf die Wucht dieses ersten Kontakts hatte ihn nichts vorbereiten können. Die Menge hielt mit ihm den Atem an, als er zurückwankte. All seine sorgfältig ausgearbeiteten Pläne, Varuz’ gesamte, schön formulierte Ratschläge lösten sich in Luft auf. Sein Körper krampfte sich vor Schmerz und Schreck zusammen, und sein Arm bebte noch von der Wucht des mächtigen Schlages, in seinen Ohren hallte das Krachen des Aufpralls wider, sein Mund stand offen, seine Knie zitterten.
Es war wohl kaum ein besonders viel versprechender Anfang, aber der nächste Schlag folgte hart auf den ersten und besaß vielleicht sogar noch größere Kraft. Jezal sprang zur Seite und wich aus, er versuchte, sich ein wenig Abstand zu verschaffen und Zeit zu gewinnen. Zeit, um sich eine Taktik zu überlegen, irgendeinen Trick, mit dem er dem gnadenlosen Ansturm der geschwungenen Klingen Einhalt gebieten konnte. Aber Gorst dachte nicht daran, ihm diese Zeit zu lassen. Er stieß ein neuerliches, kehliges Knurren aus, das lange Eisen zum nächsten unüberwindlichen, schwungvollen Hieb erhoben.
Jezal wich aus, wo er konnte, parierte, wo er das nicht konnte, und schon bald schmerzten seine Handgelenke, die sich dieser harten Prüfung stellen mussten. Zu Anfang hatte er darauf gehofft, dass Gorst schnell müde werden würde. Niemand konnte es lange aushalten, diese dicken Metallstangen so zu schwingen, wie er es tat. Schon bald würde der heftige Druck, mit dem er vorging, seinen Tribut von dem Dicken fordern, und er würde langsamer werden, die Arme hängen lassen, und die schweren Eisen würden ihren Biss verlieren. Dann würde Jezal ihn hartnäckig angreifen, seinen Gegner müde jagen und gewinnen. Die Menge würde den Agriont mit ihren Begeisterungsrufen erzittern lassen. Eine klassische Geschichte vom Sieg entgegen aller Widerstände.
Aber Gorst wurde nicht müde. Der Mann war eine Maschine. Nach einigen Minuten war noch nicht das leiseste Zeichen von Erschöpfung in den schmalen Augen zu lesen. Ohnehin war dort für Jezal kaum irgendeine Gefühlsregung zu erkennen, in den seltenen Momenten, in denen er es wagte, die Augen von den blitzenden Degen zu nehmen. Das große, lange Eisen schwang und zischte in brutalen Kreisen, und das kurze war stets zur Stelle, um die schwache Gegenwehr zu parieren, die Jezal zwischendurch unternahm, ohne dabei auch nur einen Zoll zu wanken. Die Wucht der Hiebe ließ nicht nach, und das Knurren, das aus Gorsts Kehle drang, klang so energiegeladen wie am Anfang. Es gab nichts, worüber die Zuschauer hätten jubeln können, und so war nur zorniges Gemurmel zu hören. Tatsächlich war es zuerst Jezal, der fühlte, dass seine Beine langsamer wurden, dass ihm der Schweiß auf die Stirn trat und dass ihm die Eisen zu entgleiten drohten.
Er sah es schon aus meilenweiter Entfernung kommen, aber er konnte nichts dagegen tun. Er war so lange ausgewichen, bis er im Fechtring im Kreis gelaufen war. Er hatte abgefangen und pariert, bis er kein Gefühl mehr in den Fingern hatte. Als er nun den schmerzenden Arm hob und Metall krachend auf Metall schlug, rutschte ihm einer seiner müden Füße zur Seite, und er taumelte mit einem Aufschrei aus dem Ring und stürzte auf die Seite, wobei die kurze Klinge aus seinen Fingern glitt. Sein Gesicht prallte auf den Boden, und er bekam eine Ladung Sand in den Mund. Es war ein schmerzhafter und peinlicher Sturz, aber er fühlte sich zu müde und zu zerschlagen, um darüber allzu enttäuscht zu sein. Er war beinahe erleichtert, dass diese Prüfung vorüber war, wenn auch nur für einen Moment.
»Eins zu null für Gorst!«, rief der Kampfrichter. Der Ansatz leisen Applauses wurde von verächtlichen Ausrufen übertönt, aber den massigen Fechter schien das kaum zu stören, als er mit gesenktem Kopf wieder auf seine Position zurückkehrte und sich auf den nächsten Angriff vorbereitete.
Jezal drehte sich auf Hände und Knie, streckte die schmerzenden Finger und ließ sich beim Aufstehen Zeit. Er brauchte einen Augenblick, um Luft zu holen und sich vorzubereiten, um sich irgendeine Strategie zurechtzulegen. Gorst wartete auf ihn: schwer, ruhig, unbeweglich. Jezal bürstete sich den Sand von seinem Hemd, und seine Gedanken rasten. Wie konnte er ihn schlagen? Wie? Vorsichtig kehrte auch er zu seiner Position zurück und hob die Eisen.
»Und los!«
Dieses Mal griff Gorst sogar noch heftiger an, schlug zu, als dresche er Weizen, und ließ Jezal durch den ganzen Fechtring tänzeln. Ein Hieb verfehlte den Hauptmann so knapp, dass er den Lufthauch an seiner linken Wange spürte. Der nächste ging in kaum größeren Abstand auf seiner rechten Seite vorbei. Dann probierte es Gorst mit einem seitlichen Schlag, der auf seinen Kopf zielte, und Jezal sah eine Lücke. Er duckte sich unter dem Eisen hindurch und war sich sicher, dass die Klinge dabei seine Haare am Scheitel gestreift hatte. Als die lange Klinge zur Seite fuhr, bei der Rückwärtsbewegung fast den Kampfrichter im Gesicht traf und Gorsts rechte Seite für einen Augenblick ungedeckt war, verringerte er den Abstand.
Jezal machte einen Ausfall gegen den massigen Bastard. Er war sicher, diesmal durchgekommen und selbst einen Treffer gelandet zu haben. Aber Gorst fing den Stoß mit dem kurzen Eisen auf und zwang Jezals Arm nach außen, während die Parierstangen beider Klingen aneinander schrammten und sich dann verkeilten. Jezal griff ihn nun heftig mit dem kurzen Eisen an, aber irgendwie wehrte Gorst auch diese Hiebe ab, indem er seinen anderen Degen gerade noch rechtzeitig hochriss, Jezals Klinge abfing und sie kurz vor seiner Brust aufhielt.
Für einen Augenblick waren ihre vier Klingen ineinander verbissen, die Griffe mahlten gegeneinander, ihre Gesichter waren nur wenige Zoll entfernt. Jezal fletschte die Zähne wie ein Hund, und seine Gesichtsmuskeln hatten sich zu einer starren Maske verkrampft. Gorsts grobe Züge ließen kaum eine sichtbare Anstrengung erkennen. Er sah aus wie ein Mann, der gerade pinkelt: Als erledige er gerade etwas ganz Alltägliches und leicht Ekliges, das man so schnell wie möglich hinter sich bringen muss.
Die Klingen hielten aneinander fest, und Jezal warf sich mit seiner ganzen Stärke in diese Begegnung, jeden seiner hart trainierten Muskeln im Einsatz: Er stemmte die Beine in den Boden, spannte den Bauch an, um die Arme zu beugen, spannte die Arme an, um die Hände nach vorn zu schieben, die Degengriffe fest und mit tödlicher Entschlossenheit gepackt. Jeder Muskel, jede Sehne, jede Faser. Er wusste, dass er den besseren Stand hatte, der große Mann war aus dem Gleichgewicht, und wenn er ihn nur einen Schritt zurückdrängen konnte, nur einen Zoll …
Noch waren die Eisen ineinander verkeilt, aber dann ließ Gorst die Schulter sinken, knurrte und schüttelte Jezal so lässig ab, wie ein Kind ein Spielzeug wegwirft, das ihm langweilig geworden ist.
Jezal taumelte zurück, Mund und Augen überrascht weit geöffnet, mit den Füßen Halt im Staub suchend, und mit ganzer Aufmerksamkeit darum bemüht, aufrecht stehen zu bleiben. Er hörte Gorst erneut knurren und sah mit Entsetzen, dass die schwere lange Klinge schon wieder in weitem Bogen auf ihn zukam. Ausweichen war fast unmöglich, und ihm blieb auch keine Zeit. Instinktiv hob er den linken Arm, aber die dicke, stumpfe Klinge riss ihm das kurze Eisen aus der Hand wie Wind, der Stroh vor sich hertreibt, und dann schlug sie gegen seine Rippen, hämmerte den Atem aus seinen Lungen, und ihm entfuhr ein Schmerzensschrei, der im ganzen Zuschauerrund zu hören war. Seine Beine gaben nach, und er klappte im Ring zusammen, Arme und Beine von sich gestreckt, pfeifend wie ein entzweigeschlagener Blasebalg.
Diesmal gab es nicht einmal den Ansatz von Applaus. Die Menge brüllte ihren Hass hinaus, zischte und buhte Gorst nach Kräften aus, während der zu seiner Kabine zurückstapfte.
»Hau ab, Gorst, du Schläger!«
»Hoch mit dir, Luthar! Mach ihn fertig!«
»Geh nach Hause, du Brechstange!«
»Du verdammter Wilder!«
Das Gezischel wich halbherzigem Beifall, als Jezal sich wieder aufrichtete. Seine ganze linke Seite pochte wild. Am liebsten hätte er vor Schmerz geschrien, aber dazu fehlte ihm die Luft. Nach all den Mühen, all dem Training war er an jemanden geraten, der ihn um Längen übertraf, und er wusste das. Bei dem Gedanken, nächstes Jahr all das noch einmal durchmachen zu müssen, hätte er am liebsten gekotzt. Er gab sein Bestes, um möglichst unberührt zu wirken, während er zu seiner Kabine hinüberwankte, aber er konnte nicht anders – dort angekommen, sank er schwer in seinen Stuhl, ließ seine schartigen Eisen auf die Steine fallen und rang nach Luft.
West beugte sich über ihn und zog ihm das Hemd hoch, um den Schaden zu begutachten. Jezal sah zögernd an sich herab, als ob er davon ausginge, ein riesiges Loch in seine Rippen gerissen zu sehen, aber dort war nur eine hässliche rote Strieme, die sich an den Rändern bereits verfärbte und anschwoll.
»Was gebrochen?«, fragte Marschall Varuz, der über Wests Schulter schielte.
Jezal kämpfte gegen die Tränen, als der Major ihm in die Seite piekte. »Glaube ich nicht, aber verdammt noch mal!« West schleuderte verärgert sein Handtuch zu Boden. »Das nennen Sie den schönen Sport? Gibt es gegen diese schweren Fechteisen denn kein Verbot?«
Varuz schüttelte grimmig den Kopf. »Sie müssen alle dieselbe Länge haben, aber das Gewicht ist nicht vorgeschrieben. Ich meine, wer würde sich denn auch freiwillig so schwere aussuchen?«
»Das wissen wir jetzt, oder nicht?«, fauchte West. »Sind Sie sicher, dass wir nicht abbrechen sollten, bevor ihm dieser Drecksack den Kopf abschlägt?«
Varuz überhörte das. »Denken Sie daran«, sagte der alte Marschall und beugte sich hinunter, um Jezal direkt ins Gesicht zu sehen. »Es geht darum, wer die meisten von sieben Treffern bekommt! Wer zuerst vier Treffer verbucht! Sie haben immer noch Zeit!«
Zeit wofür? Damit er in der Mitte auseinander gehauen werden konnte, auch mit stumpfen Klingen? »Er ist zu stark!«, ächzte Jezal.
»Zu stark? Niemand ist zu stark für Sie!« Aber selbst Varuz blickte zweifelnd drein. »Sie haben noch Zeit! Sie können ihn schlagen!« Der alte Marschall zupfte an seinem Schnurrbart. »Sie können ihn schlagen!«
Aber Jezal fiel sehr wohl auf, dass er ihm nicht sagte, wie.
Glokta befürchtete allmählich zu ersticken, so sehr schüttelte er sich vor Lachen. Er überlegte, ob es etwas gab, das er jetzt lieber sehen würde als Jezal dan Luthar, der im Fechtring herumgejagt wurde, aber ihm fiel nichts ein. Der Jüngling zuckte zurück, nachdem er gerade einen wild geschmetterten Hieb mit aller Mühe abgeblockt hatte. Seine linke Seite hielt er nicht sehr gut, seit er diesen Schlag gegen die Rippen bekommen hatte, und Glokta konnte seinen Schmerz beinahe mitfühlen. Und ist es nicht schön, zur Abwechslung mal die Schmerzen anderer zu spüren? Die Zuschauer sahen unwillig zu, still und abwartend, während Gorst den Publikumsliebling mit brutalen Hieben vor sich her trieb und Glokta durch die zusammengepressten Kiefer ein glucksendes Kichern nach dem anderen entwich.
Luthar war schnell und gewandt, und er bewegte sich gut, wenn er sah, wie die Eisen auf ihn zukamen. Ein fähiger Fechter. Zweifelsohne gut genug, um ein Turnier zu gewinnen, jedenfalls in einem mittelprächtigen Jahr. Schnellfüßig, schnellhändig, aber sein Verstand ist nicht so flink, wie er sein sollte. Wie er sein müsste. Er ist zu vorhersehbar.
Gorst schien nach völlig anderem Muster vorzugehen. Er teilte einen Schlag nach dem anderen aus, ohne offenbar groß dabei nachzudenken. Aber Glokta wusste es besser. Er ficht auf eine ganz neue Art. Zu meiner Zeit war es nur immer zustechen, zustechen, zustechen. Schon im nächsten Jahr werden sie alle mit diesen dicken, schweren Eisen zuhauen. Glokta fragte sich, auch wenn es natürlich müßig war, ob er Gorst zu seinen besten Zeiten hätte besiegen können. Auf alle Fälle wäre es ein interessanter Anblick gewesen – weitaus interessanter als diese unausgewogene Partie.
Mit Leichtigkeit wehrte Gorst nun ein paar lahme Ausfälle ab, und dann zuckte Glokta kurz zusammen und die Menge zischte, als Luthar nur knapp einen groben Angriff parierte, dessen Wucht ihn beinahe von den Füßen riss. Er hatte keine Möglichkeit, dem nächsten Hieb zu entgehen, da er schon an die Grenze des Fechtrings gedrängt worden war, und war daher gezwungen, auf den Sand außerhalb der Markierung auszuweichen.
»Drei zu null!«, rief der Kampfrichter.
Glokta bebte vor Lachen, als er sah, wie Luthar entnervt auf den Boden einhieb und einen Schauer Sandkörner aufwirbelte, während reines Selbstmitleid auf seinem Gesicht geschrieben stand. Mein lieber Hauptmann Luthar, ich befürchte sehr, es wird gleich vier zu null heißen. Ein überwältigender Sieg für Ihren Gegner. Eine peinliche Vorstellung. Vielleicht wird dieser Tag diesem kleinen arroganten Jammerlappen ein bisschen Bescheidenheit einbläuen. Manchen Männern tut es gut, wenn sie einmal kräftig durchgeprügelt werden. Sehen Sie mich an!
»Und los!«
Die vierte Runde begann genau, wie die dritte geendet hatte. Indem Luthar nämlich das Fell gegerbt wurde. Glokta sah es ganz deutlich, dem Mann fiel nichts mehr ein. Sein linker Arm fuchtelte langsam und offensichtlich unter Schmerzen hin und her, seine Füße wirkten lahm. Wieder ein betäubender Schlag gegen sein langes Eisen, der ihn gegen den Rand des Rings stolpern ließ, wobei er scharf die Luft einzog und beinahe das Gleichgewicht verlor. Gorst musste seinen Angriff jetzt nur noch etwas weiter vorantreiben. Und irgendetwas sagt mir, dass er nicht der Mann ist, der nachlässt, wenn er einmal vom liegt. Glokta griff seinen Stock und zog sich auf die Füße. Jeder konnte sehen, dass der Kampf vorbei war, und er hatte nicht die Absicht, in das Gedränge zu geraten, das entstehen würde, wenn die enttäuschten Zuschauer alle gleichzeitig aufbrechen wollten.
Gorsts schwere lange Klinge zischte durch die Luft. Der letzte Hieb, ganz klar. Luthar konnte nur versuchen, ihn abzuwehren und sich wieder aus dem Fechtring werfen lassen. Oder aber Gorst spaltet ihm seinen aufgeblasenen Kopf. Darauf könnten wir natürlich auch hoffen. Glokta lächelte und wandte sich zum Gehen.
Aber aus dem Augenwinkel sah er, dass der Hieb daneben ging. Gorst blinzelte, als sein schweres langes Eisen in den Boden drang, und dann grunzte er, als Luthar ihn mit einem links geführten Schlag am Bein traf. Mehr Gefühle hatte er den ganzen Tag noch nicht gezeigt.
»Treffer für Luthar!«, rief der Kampfrichter nach einer kurzen Pause, unfähig, die Überraschung ganz aus seiner Stimme zu verbannen.
»Aber nein«, murmelte Glokta, als das Publikum um ihn herum in donnernden Beifall ausbrach. Nein. Er hatte in seiner Jugend Hunderte von Treffern erzielt und bei vielen Tausend weiteren zugesehen, aber so etwas hatte er noch nie erlebt; noch nie hatte sich jemand so schnell bewegt. Luthar war ein guter Fechter, das wusste er. Aber so gut ist niemand. Er runzelte die Stirn, als er den beiden Finalisten zusah, wie sie nach der zweiten Pause wieder ihre Positionen einnahmen.
»Und los!«
Luthar war wie ausgewechselt. Er bedrängte Gorst mit wilden, blitzesschnellen Stößen und ließ ihm keine Zeit, sich selbst in Stellung zu bringen. Nun sah es so aus, als ob der massige Mann an seine Grenzen kam: Er parierte, wich aus, versuchte außer Reichweite zu bleiben. Es war, als ob man den alten Luthar in der Pause hinausgeschmuggelt und ihn mit einem ganz anderen vertauscht hatte: einem stärkeren, schnelleren, selbstbewussteren Zwillingsbruder.
Nachdem ihnen so lange ein Grund zum Jubeln verweigert worden war, brüllten und schrien die Zuschauer jetzt, als ob sie sich die Kehlen herausreißen wollten. Glokta teilte ihre Begeisterung nicht. Hier ist etwas faul. Hier ist etwas richtig faul. Er sah auf die Gesichter der Umstehenden, aber niemand sonst schien etwas zu bemerken. Sie sahen nur, was sie sehen wollten: Luthar, der diesem hässlichen Grobian Aufsehen erregend und verdient eine Abreibung verpasste. Gloktas Augen glitten über die Bänke, ohne zu wissen, wonach er eigentlich suchte.
Bayaz, der Sogenannte. Da vorn saß er, beugte sich nach vorn und sah den beiden Kämpfenden mit größter Aufmerksamkeit zu, mit seinem ›Lehrling‹ und dem vernarbten Nordmann an seiner Seite. Niemand sonst fiel es auf, dazu waren alle anderen zu sehr auf die Fechter konzentriert, aber Glokta sah es. Er rieb sich die Augen und sah noch einmal hin. Da war etwas faul.
»Eins kann man wohl wirklich über den ersten der Magi sagen«, knurrte Logen, »er ist ein betrügerischer Bastard.«
Bayaz’ Mundwinkel deuteten ein Lächeln an, und er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wer hat je behauptet, dass er keiner sei?«
Luthar war schon wieder in Schwierigkeiten. In richtig handfesten Schwierigkeiten. Jedes Mal, wenn er einen der schweren Hiebe abwehrte, wurde sein Degen weiter zurückgestoßen und seine Gegenwehr schwächer. Jedes Mal, wenn er auswich, wurde er weiter gegen die Begrenzung des Fechtrings gedrängt.
Und dann, als das Ende direkt bevorzustehen schien, sah Logen aus den Augenwinkeln, wie die Luft über Bayaz’ Schultern zu flimmern begann, so wie damals auf der Straße nach Süden, als die Bäume in Brand geraten waren, und er fühlte das seltsame Ziehen in seinem Bauch.
Luthar schien plötzlich neue Kraft zu finden. Er fing den nächsten Angriff mit einer Bewegung seines kurzen Degens auf. Einen Augenblick zuvor hätte man erwarten können, dass ihm die Waffe aus der Hand geschleudert worden wäre. Jetzt hielt er sie einen Augenblick gegen Gorsts Klinge gedrückt, dann stieß er sie mit einem Aufschrei von sich, brachte seinen Gegner damit aus dem Gleichgewicht und sprang vor, plötzlich zum Angriff übergehend.
»Wenn man bei einem Zweikampf im Norden beim Betrügen erwischt wird«, brummte Logen kopfschüttelnd, »dann bekommt man das blutige Kreuz auf den Bauch geritzt und die Eingeweide rausgerissen.«
»Da habe ich ja Glück«, gab Bayaz mit zusammengebissenen Zähnen zurück, ohne den Blick von den Fechtern zu lösen, »dass wir nicht mehr im Norden sind.« Wieder sammelte sich der Schweiß auf seinem kahlen Schädel und lief in dicken Tropfen über sein Gesicht. Seine Fäuste waren geballt und zitterten vor Anstrengung.
Luthar schlug entschlossen wieder und wieder zu, seine Degen peitschten so schnell durch die Luft, dass sie nur verschwommen zu sehen waren. Gorst schnaufte und stöhnte, als er die Schläge abwehrte, aber Luthar war jetzt zu flink für ihn, und zu stark. Er trieb Gorst so gnadenlos vor sich her, wie ein wild gewordener Hund vielleicht eine Kuh jagen mochte.
»Verdammte Betrügerei«, brummte Logen wieder, als Luthars Klinge aufblitzte und eine hellrote Linie auf Gorsts Wange hinterließ. Ein paar Blutstropfen regneten auf die Menge zu Logens Linken nieder, und die Zuschauer brachen in wilden Beifall aus. Für einen kurzen Augenblick erkannte er darin tatsächlich einen Schatten seiner eigenen Zweikämpfe. Der Ruf des Kampfrichters, dass es nun drei zu drei stand, war kaum zu hören. Gorst verzog leicht das Gesicht und tastete mit einer Hand nach dem Schnitt.
Über das Gebrüll der Menge hörte Logen leise Quais Flüstern: »Wette nie gegen einen Magus …«
Jezal wusste, dass er gut war, aber er hätte sich nie träumen lassen, dass er so gut würde sein können. Er war aufmerksam wie eine Katze, flink wie eine Fliege, stark wie ein Bär. Seine Rippen schmerzten nicht länger, auch seine Handgelenke taten nicht mehr weh, jegliche Müdigkeit war von ihm gewichen, wie auch jede Spur des Zweifels. Er war furchtlos, ohnegleichen, nicht aufzuhalten. Der Beifall umtoste ihn, und dennoch konnte er jedes einzelne Wort darin verstehen und jede Einzelheit in jedem Gesicht in der Menge erkennen. Sein Herz pumpte flüssiges Feuer anstelle von Blut durch seine Adern, und seine Lungen saugten die Wolken ein.
In der kurzen Pause setzte er sich nicht einmal hin, weil es ihn so sehr danach dürstete, wieder in den Ring zu treten. Der Stuhl erschien ihm wie eine Beleidigung. Er hörte nicht auf das, was Varuz und West ihm sagten. Sie waren ohne Bedeutung. Kleingeistige Menschen, die weit unter ihm standen. Sie starrten ihn an: erregt, fasziniert – ganz, wie es ihm gebührte.
Er war der größte Degenfechter aller Zeiten.
Der Krüppel Glokta hatte gar nicht gewusst, wie recht er gehabt hatte – Jezal musste es nur versuchen, so schien es, und ihm gelang, was auch immer er sich vorstellte. Er kicherte, als er leichtfüßig wieder auf seine Positionsmarkierung trat. Er lachte, als er den Beifall der Menge hörte. Er lächelte, als Gorst ebenfalls wieder in den Ring trat. Alles war genau so, wie es sein sollte. Diese Augen blickten zwar noch immer verhangen und faul über dem kleinen roten Schnitt, den Jezal ihm verpasst hatte, aber inzwischen lag noch etwas anderes in ihnen: eine Spur Schockiertheit, Vorsicht, Respekt. Ganz, wie es ihm gebührte.
Es gab nichts, das Jezal nicht gelingen würde. Er war unbesiegbar. Er war nicht aufzuhalten. Er war …
»Und los!«
… völlig durcheinander. Der Schmerz schoss durch seine Seite und ließ ihn aufstöhnen. Plötzlich war er wieder ängstlich, müde und schwach. Gorst knurrte und entfesselte erneut eine seiner wilden Attacken, ließ die Eisen in Jezals Händen erzittern und seinen Gegner springen wie ein verängstigtes Kaninchen. Vorbei war es mit der meisterlichen Beherrschung der Waffen, den Vorahnungen, dem Mut, und Gorsts Angriff war nun heftiger denn je. Verzweiflung durchzuckte Jezal, als das lange Eisen aus seinen vibrierenden Fingern gerissen wurde, durch die Luft flog und scheppernd gegen die Absperrung prallte. Jezal wurde in die Knie gezwungen. Die Menge hielt den Atem an. Es war alles vorbei …
Es war noch nicht alles vorbei. Der Schlag kam bereits in einem hohen Bogen auf ihn zu. Der entscheidende, letzte Schlag. Er schien zu schwanken. Langsam, langsam, als glitte er durch Honig. Jezal lächelte. Es war eine einfache Sache, ihn nun mit der kurzen Klinge abzuwehren. Wieder durchpulste ihn die Kraft. Er sprang hoch, schob Gorst mit seiner unbewaffneten Hand weg, parierte einen weiteren Schlag und dann noch einen, und sein verbliebener Degen kämpfte für zwei und hatte zwischendurch noch Zeit zum Ausruhen. Im Zuschauerrund herrschte atemlose Stille, nur das Aufeinanderprallen der Eisen war zu hören. Rechts, links, rechts, links zuckte die kurze Klinge, so schnell, dass man ihr mit den Augen gar nicht mehr folgen konnte, so schnell, dass sein Verstand mit dem Denken nicht mehr nachkam, dass sie ihn beinahe hinter sich herzuziehen schien.
Mit einem Knirschen traf Metall auf Metall, als Jezals Eisen Gorst die lange, gekerbte Klinge aus der Hand riss, und dann knirschte es noch einmal, als es zur anderen Seite schoss und dasselbe mit der kurzen tat. Einen Augenblick lang war alles still. Der massige Mann stand entwaffnet da, die Fersen schon ganz am Rand des Fechtrings, und sah zu Jezal auf. Die Menge war still.
Dann hob Jezal langsam seine kurze Klinge, die plötzlich eine Tonne zu wiegen schien, und stupste Gorst damit zart in die Rippen.
»Hah«, sagte der massige Mann ruhig und hob die Augenbrauen.
Und nun brachen die Zuschauer in überwältigenden, ohrenbetäubenden Beifall aus. Der Lärm hörte und hörte nicht auf, er wurde lauter und lauter, brandete in Wellen über Jezal hin. Jetzt, da alles vorbei war, fühlte er sich unbeschreiblich leer und ausgelaugt. Er schloss die Augen, schwankte hin und her, sein Degen glitt aus den gefühllosen Fingern, und er sank auf die Knie. Er war mehr als erschöpft. Es war, als ob er die Energie einer ganzen Woche in diesen wenigen Augenblicken verbraucht hätte. Selbst das Niederknien erforderte eine Anstrengung, von der er sich nicht sicher war, ob er sie lange aushalten konnte, und wenn er nun stürzte, wusste er nicht, ob er je wieder würde aufstehen können.
Aber dann spürte er, wie ihn starke Hände unter den Armen packten und ihn vom Boden hochzogen. Der Lärm des Publikums schwoll noch weiter an, als man ihn in die Luft hob. Er öffnete die Augen – verschwommene, undeutliche Farben glitten an ihm vorbei, als man ihn von einer Seite zur anderen drehte. Sein Kopf dröhnte von dem Lärm. Er saß auf den Schultern eines Mannes. Ein rasierter Kopf. Gorst. Der große Mann hatte ihn aufgehoben, wie ein Vater ein Kind auf die Arme nehmen mochte, präsentierte ihn der Menge, lächelte ihn mit einem breiten, hässlichen Grinsen an. Jezal lächelte trotz allem zurück. Alles in allem war es ein seltsamer Augenblick.
»Luthar ist der Sieger!«, rief der Kampfrichter überflüssigerweise und kaum hörbar. »Luthar ist der Sieger!«
Der Beifall war schon längst in ausdauernde »Luthar! Luthar! Luthar«-Rufe übergegangen. Sie ließen das Zuschauerrund erbeben. Sie ließen Jezals Kopf schwirren. Es war, als sei man betrunken. Siegestrunken. Von sich selbst betrunken.
Gorst setzte ihn wieder im Fechtring ab, als der Applaus der Menge nachzulassen begann. »Sie haben mich geschlagen«, sagte er breit lächelnd. Seine Stimme klang überraschend hell und sanft, beinahe wie die einer Frau. »Anständig und gerecht. Ich möchte gern der Erste sein, der Ihnen gratuliert.« Damit senkte er den großen Kopf, lächelte wieder und rieb den Schnitt unter seinem Auge ohne einen Hauch von Bitterkeit. »Sie haben es verdient«, fügte er hinzu und streckte die Hand aus.
»Danke.« Jezal lächelte ihn etwas verkniffen an und drückte die große Pranke seines Gegners so kurz wie möglich, dann wandte er sich seiner Kabine zu. Aber sicher hatte er das verdient, und er wollte verdammt sein, wenn er zuließ, dass dieser Bastard sich auch nur eine Sekunde länger im Abglanz seines Ruhmes sonnte.
»Gut gemacht, mein Junge, gut gemacht!«, sprudelte Marschall Varuz hervor und klopfte ihm auf die Schulter, als er auf wackligen Beinen zu seinem Stuhl zurückstolperte. »Ich wusste, dass Sie es schaffen könnten!«
West grinste ihn an, als er ihm das Handtuch reichte. »Davon wird man noch jahrelang erzählen!«
Nun drängten weitere Gratulanten heran, boten ihre Glückwünsche, lehnten sich über die Absperrung. Ein Strudel lachender Gesichter, darunter auch das von Jezals Vater, der vor Stolz glühte. »Ich wusste, dass du es schaffst, Jezal! Ich habe nie daran gezweifelt! Kein bisschen! Du hast unserer Familie so viel Ehre gemacht!« Jezal fiel auf, dass sein älterer Bruder gar nicht so glücklich zu sein schien. Er trug wie gewöhnlich diesen missmutigen, neidischen Gesichtsausdruck, selbst im Augenblick von Jezals Sieg. Der missmutige, neidische Drecksack. Konnte er sich nicht einmal für seinen Bruder freuen, wenn auch nur für einen Tag?
»Darf auch ich dem Sieger gratulieren?«, ertönte eine Stimme hinter seinem Rücken. Es war dieser alte Spinner, der vom Tor, den dieser Sulfur seinen Meister genannt hatte. Der den Namen Bayaz gebraucht hatte. Auf seinem kahlen Schädel stand der Schweiß, und zwar in dicken Tropfen. Sein Gesicht war bleich, die Augen lagen tief in den Höhlen. Als ob er auch gerade sieben Runden gegen Gorst gefochten hätte. »Wirklich gut gemacht, mein junger Freund, eine beinahe … magische Darbietung.«
»Danke«, murmelte Jezal. Er war sich überhaupt nicht sicher, wer der Alte wirklich war oder welches Ziel er verfolgte, aber er traute ihm nicht im Geringsten. »Doch ich muss mich entschuldigen, ich muss …«
»Aber selbstverständlich. Wir unterhalten uns später.« Das sagte er mit beunruhigender Bestimmtheit, als ob diese Sache bereits fest vereinbart worden war. Dann wandte er sich ab und verschwand mühelos in der Menge. Jezals Vater sah ihm nach, kalkweiß im Gesicht, als hätte er gerade einen Geist gesehen.
»Kennst du ihn, Vater?«
»Ich …«
»Jezal!« Varuz ergriff ihn voller Begeisterung am Arm. »Kommen Sie! Der König möchte Ihnen gratulieren!« Er zog Jezal von seiner Familie weg und auf den Fechtring zu. Wieder brandete ein wenig Applaus auf, als sie gemeinsam über das trockene Gras schritten, über die Stätte von Jezals Sieg. Der Lord Marschall hatte ihm den Arm väterlich um die Schulter gelegt und lächelte die Zuschauer an, als gelte der Beifall ihm. Jeder wollte ein Stück von seinem Ruhm, wie es schien, aber Jezal gelang es, den alten Mann abzuschütteln, als er die Stufen zur königlichen Loge hinaufging.
Prinz Raynault, der jüngste Sohn des Königs, war der Erste in der Reihe. Bescheiden gekleidet, ehrlich und scheinbar nachdenklich, sah er gar nicht königlich aus. »Gut gemacht!«, rief er über den Lärm der Menge hinweg und klang, als freue er sich wirklich über Jezals Sieg. »Wirklich gut gemacht!« Sein älterer Bruder war wesentlich überschwänglicher.
»Unglaublich!«, brüllte Prinz Ladisla, und das Sonnenlicht spiegelte sich auf den goldenen Knöpfen seiner weißen Jacke. »Großartig! Faszinierend! Überwältigend! So etwas habe ich noch nie gesehen!« Jezal grinste und verneigte sich demütig, ließ dann die Schultern etwas hängen, als ihn der Kronprinz mit leicht übertriebener Härte auf den Rücken schlug. »Ich wusste immer, dass Sie es schaffen! Sie waren stets mein Mann!«
Prinzessin Terez, die einzige Tochter des Großherzogs Orso von Talins, sah Jezal mit einem winzigen, verächtlichen Lächeln an sich vorübergehen und klopfte in einer viertelherzigen Nachahmung von Beifall mit zwei blassen Fingern auf ihre Handfläche. Ihr Kinn war schmerzhaft hoch erhoben, als sei die Tatsache, dass sie ihn überhaupt angesehen hatte, eine so große Ehre, die er gar nicht recht begreifen könnte, zumal er sie natürlich ohnehin nicht im Geringsten verdiente.
Und so erreichte er schließlich den erhöhten Thron von Guslav dem Fünften, Hochkönig der Union. Der Kopf des Königs war zur Seite gerutscht und wurde von der funkelnden Krone fast erdrückt. Seine teigig bleichen Finger zuckten auf dem karmesinroten Seidenmantel umher wie weiße Schnecken. Seine Augen waren geschlossen, die Brust hob und senkte sich sanft, begleitet von zartem Blubbern, mit dem Spucke über seine schlaffen Lippen trat und sein Kinn hinunterlief, wo sie sich mit dem Schweiß auf seinen hervorquellenden Doppelkinnrollen verband und dazu beitrug, seinen hohen Kragen vor Nässe dunkel zu färben.
Fürwahr, Jezal stand wahrer Größe gegenüber.
»Euer Majestät«, sagte Lord Hoff leise. Das Staatsoberhaupt rührte sich nicht. Die Königin sah ihm zu, schmerzhaft starr aufgerichtet, während ein eingefrorenes, gefühlloses Lächeln auf ihr sorgfältig gepudertes Gesicht gemeißelt schien. Jezal wusste kaum, wohin er blicken sollte, und richtete seine Augen schließlich auf seine staubigen Schuhe. Der Lord Schatzmeister hustete laut. Ein Muskel zuckte unter den schweißnassen Speckpolstern an der Seite des königlichen Gesichts, aber er erwachte nicht. Hoff verzog peinlich berührt das Gesicht, sah sich kurz um, als wolle er sicherstellen, dass niemand zu genau hinsah, und stach seinen Finger in die königlichen Rippen.
Der König zuckte zusammen, die Augenlider öffneten sich mit einem Ruck, das Doppelkinn schwabbelte, und er starrte Jezal mit wilden, blutunterlaufenen und rot geränderten Augen an.
»Eure Majestät, dies ist Hauptmann …«
»Raynault!«, rief der König aus, »mein Sohn!«
Jezal schluckte nervös und tat sein Bestes, weiterhin verkrampft zu lächeln. Der senile alte Narr hatte ihn mit seinem jüngeren Sohn verwechselt. Noch schlimmer war dabei, dass der Prinz selbst keine vier Schritte entfernt stand. Das hölzerne Grinsen der Königin verzerrte sich leicht. Prinzessin Terez’ Lippen waren verächtlich gekräuselt. Der Lord Schatzmeister hüstelte verlegen. »Ähm, nein, Eure Majestät, dies ist …«
Aber es war zu spät. Ohne Vorwarnung erhob sich der Monarch mühsam und schloss Jezal begeistert in die Arme, wobei die schwere Krone noch weiter zur Seite rutschte und mit einem der juwelenbesetzten Zacken fast in Jezals Auge stach. Lord Hoff öffnete den Mund, doch war kein Laut zu hören. Die beiden Prinzen starrten ihn an. Jezal brachte lediglich ein hilfloses Gurgeln heraus.
»Mein Sohn!«, stieß der König übermannt von Gefühlen mit erstickter Stimme hervor. »Raynault, ich bin so froh, dass du zurück bist! Wenn ich nicht mehr bin, wird Ladisla deine Hilfe brauchen. Er ist so schwach, und die Krone wiegt so schwer! Du warst stets besser geeignet, sie zu tragen! Sie wiegt so schwer!« Schluchzend verbarg er sein Gesicht an Jezals Schulter.
Es war wie ein fürchterlicher Albtraum. Ladisla und der wahre Raynault starrten einander entsetzt an, blickten dann wieder zu ihrem Vater und sahen aus, als werde ihnen übel. Terez blickte von oben herab und mit unverhohlener Verachtung auf ihren angehenden Schwiegervater. War es zuvor schon peinlich gewesen, so war dieser Moment noch bedrückender. Was tat man in einer solchen Situation? Gab es irgendeine Vorschrift der Etikette für einen solchen Augenblick? Jezal klopfte dem König verlegen auf den Rücken. Was hätte er sonst tun können? Dem senilen alten Idioten einen Schubs geben, damit er vor den Augen der Hälfte seiner Untertanen auf dem Arsch landete? Fast fühlte er sich versucht, genau das zu tun.
Es war ein kleiner Trost, dass die Menge die königliche Umarmung als Anerkennung für Jezals Fechtkünste wertete und seine Worte mit neuerlich aufbrandendem Applaus erstickte. Außerhalb der königlichen Loge hatte niemand gehört, was er gesagt hatte. Die Zuschauer hatten die volle Tragweite dessen, was zweifelsohne der peinlichste Augenblick in Jezals Leben war, nicht mitbekommen.