Kapitel 19
»Ich bin wirklich froh, dass Sie ihn geschnappt haben«, sagte Milada.
Im kostbaren wie seltenen Licht von Miladas Billigung hatte Phil Morton Mut gefasst und sie gefragt, ob sie mit ihm ausgehen wolle. Er nahm an, dass ein Pub nicht infrage komme, weil es zu sehr an ihre Arbeit erinnere, und dass sie vielleicht gerne aus der unmittelbaren Umgebung herauswolle, also nahm er sie mit nach Bath zu einem Pferderennen. Milada hatte einen unerwarteten Kennerblick bewiesen und auf das Siegerpferd gewettet.
»Da, sehen Sie!« Sie breitete die Zwanzig-Pfund-Scheine in einer ordentlichen Reihe vor ihm aus. »Jetzt können wir in ein anständiges Restaurant essen gehen.«
Morton beschloss, nicht auf die Implikation einzugehen, dass sie ohne Miladas Gewinn wahrscheinlich in die nächste Pizzeria gegangen wären. »Wir gehen sowieso etwas Anständiges essen. Und stecken Sie Ihren Gewinn ein. Ich habe Sie eingeladen.«
»Sie haben Ihr ganzes Geld verloren!«, entgegnete Milada. »Nein, nein, wir nehmen meines.«
Sie hatten den Streit vertagt. Die Rechnung war noch nicht gekommen, und sie saßen noch immer an dem Tisch des Restaurants, das Milada ausgesucht hatte. Es war, wie Morton mit sinkendem Herzen beim Betreten bemerkt hatte, ein teures Restaurant. Doch er hatte sie eingeladen, und, mochte es noch so altmodisch erscheinen, er würde die Rechnung begleichen.
»Ich denke«, sagte Milada jetzt, indem sie eines der Pfefferminztäfelchen nahm, die zum Kaffee serviert worden waren, »ich denke, ich suche mir eine neue Arbeit.«
»Hier in England, hoffe ich doch«, entgegnete Morton. »Oder gehen Sie etwa schon wieder zurück?«
»Nein, nein. Ich bin für ein Jahr hergekommen, vielleicht auch zwei. Ich bleibe. Aber ich mag nicht mehr im Foot to the Ground arbeiten. Mr. Westcott meckert ständig herum; er sagt, Evas Tod war schlechte Publicity. Photographen kommen und machen Bilder. Das Geschäft leidet darunter, sagt er.«
»Keine Sorge, das Geschäft wird sich auch wieder beleben«, sagte Morton. »Nur keine Publicity ist schlechte Publicity, sagt ein Sprichwort.«
»Ich bleibe trotzdem nicht. Mr. Westcott wird eine neue Kellnerin als Ersatz für Eva einstellen, und sie wird bei mir oben unter dem Dach wohnen, im selben Raum, den ich mit Eva geteilt habe. Mit Eva zu teilen war in Ordnung, aber vielleicht komme ich mit der neuen Kellnerin nicht zurecht? Er hat noch keine gefunden bis jetzt, wegen der schlechten Publicity«, fügte sie hinzu. »Keine will bei ihm arbeiten.«
»Wenn Sie auch noch gehen, hat er ein Problem«, erinnerte Morton sie.
»Oh, ich warte, bis er eine neue Kellnerin gefunden hat. Dann gehe ich. David ist auch schon weg.«
»Was denn, David Jones?«, fragte Morton verblüfft.
»David ist nach Kanada gegangen«, sagte Milada, während sie sich eine weitere Schokolade nahm.
»Ich werd verrückt!«
»Er kommt zur Gerichtsverhandlung zurück. Er ist ein Zeuge, nicht wahr? Er hat einen Onkel in Kanada. Ich glaube, er will in Kanada studieren. Nicht Medizin, nein. Er interessiert sich jetzt für Archäologie.« Sie schüttelte den Kopf. »Er ist ein merkwürdiger Kerl. Eva konnte ihn nicht besonders leiden.«
»Sie haben Evas Eltern kennen gelernt, als sie hier waren?«, fragte Morton.
»Oh, ja. Sie haben Evas Sachen abgeholt. Sie wollten mit mir über Eva reden. Sie wollten wissen, ob Eva in England glücklich gewesen ist und wie sie diesen Mann, diesen Ferris kennen gelernt hat und wieso sie mit ihm ausgegangen ist. Ich konnte ihnen nichts darüber erzählen, nicht viel jedenfalls. Sie hat nie mit mir darüber geredet, und ich habe sie nicht gefragt. Wir haben nur zusammen gearbeitet, mehr nicht.«
Es klang wie ein trauriges kleines Epitaph auf ein junges Leben.
»Ich bin vorbeigekommen, um zu sehen, wie du zurechtkommst«, sagte Eli. »Jetzt, nachdem du einen Teil vom Stall verloren hast.«
Er stand breitbeinig vor der Ruine ihres ehemaligen Büros, das zugleich Sattelkammer gewesen war, und schüttelte trübselig den Kopf.
»Ich hab Probleme mit der Versicherungsgesellschaft«, gestand Penny. »Ich hoffe, sie bezahlen am Ende doch noch. Im Augenblick hab ich die Pferde auf dem Feld, das du mir freundlicherweise überlassen hast. Was allerdings bedeutet, dass ich keinen ordentlichen Unterstand anzubieten habe. Irgendwie muss ich das Geld zusammenkriegen, um den abgebrannten Stall neu aufzubauen.«
Eli rieb sich am Kinn und ließ den Blick in die Runde schweifen. Noch immer hing der beißende Gestank von verkohltem Holz in der Luft. Wenigstens war nur eines der beiden Stallgebäude niedergebrannt; das zweite, auf der gegenüberliegenden Seite des Hofs, war unbeschädigt geblieben. Trotzdem war es ein desolater Anblick; Ruinen und Wasserlachen, und über allem ein feiner weißer Aschepuder.
»Es schreckt die Leute ab«, sagte Penny niedergeschlagen. »Sie denken, ihre Tiere sind nicht sicher hier bei mir. Einige der Mieter reden schon davon, ihre Pferde abzuholen und woanders einzustellen.«
»Was du brauchst, ist ein ordentliches, gemauertes Stallgebäude«, sagte Eli auf seine langsame, eindringliche Art, während er sie mit einem vorsichtigen Seitenblick bedachte. »Außerdem so einen allwettertauglichen Belag auf dem Reitplatz, Schotter oder was in der Art. Vielleicht sogar ein Dach über dem Reitplatz, mit offenen Seiten, damit die Kundschaft an verregneten Tagen im Trocknen reiten kann.«
Penny sah ihn überrascht an. »Meine Güte, du hast dir richtig Gedanken gemacht, Eli.«
Er errötete. »Die Stadtmenschen werden nicht gerne nass. Ein hübscher Hof würde neue Kundschaft bringen. Und sie würde mehr zahlen.«
»Kann ich mir nicht leisten, nicht mal dann, wenn die Versicherung zahlt«, antwortete Penny nach einem kurzen Tagtraum von einem gemauerten Stallgebäude voll zufriedener Pferde, die die Köpfe aus den Boxen streckten, und einem überdachten Reitplatz und zufriedenen Kunden, die sie anflehten, ihre Pferde aufzunehmen, sowie ehrgeizigen Eltern, die ihre Nachkommenschaft zu Reitstunden vorbeibrachten. »Die Versicherung zahlt nur das, was nötig ist, um den alten Zustand wiederherzustellen. Für einen gemauerten Stall muss ich selbst sehen, wie ich an das nötige Geld komme. Von einem Allwetterbelag für den Reitplatz ganz zu schweigen.«
Eli räusperte sich und rieb sich noch nervöser am Kinn. Seine Finger scharrten laut über den weißen Stoppelbart.
»Ich hab nachgedacht«, sagte er. »Ich hab eine ganze Menge Land. Immer wieder kommen Leute von der Verwaltung vorbei und schnüffeln. Ich werde alt. Ich schätze, ich muss einen Teil davon abstoßen. Nein, keine Sorge, nicht alles – ich habe keine Lust zuzusehen, wie es unter diesen winzigen Ziegelhütten verschwindet, die sie heutzutage Häuser nennen. Aber es macht mir Kopfzerbrechen und Sorgen. Also hab ich mich entschlossen, einen Teil davon zu verkaufen. Auf der anderen Seite muss ich das Geld, das ich dafür kriege, in etwas Neues investieren.«
Mehr Räuspern, mehr Kinnreiben. »Ich hab Pferde schon immer gemocht. Du hast hier einen netten kleinen Reitstall, aber was du brauchst, ist Kapital. Ich hab Kapital, oder zumindest werde ich es haben, sobald das Land verkauft ist. Ich hab auch jetzt schon ein wenig Geld auf die Seite gelegt. Ich rede nicht davon, dir dein Geschäft wegzunehmen, das sollst du schon selbst führen. Mach, was immer du willst. Ich möchte nur in deinen Stall investieren, das ist alles.« Er stockte und sah Penny schüchtern an. »Was hältst du davon?«
Penny war sprachlos. »Was … was ich davon halte?«, ächzte sie. »Eli, das wäre wunderbar!«
»Ah!« Elis Miene hellte sich auf, und seine Schüchternheit schwand jetzt, nachdem sein Vorschlag nicht zurückgewiesen worden war. »Wir könnten zu einem Notar gehen und alles festschreiben, damit es seine Ordnung hat. Und wenn ich den Löffel abgebe, kriegst du meinen Anteil an unserem Geschäft. Ich bin schließlich ein ganzes Stück älter als du«, fügte er zur Erklärung hinzu.
»Hast du denn keine anderen Erben, Eli?«
»Nein. Es sei denn, man zählt meinen dummen Cousin Walter, der drüben in Richtung Newnham wohnt. Aber er lebt bestimmt nicht länger als ich, er ist jetzt schon fünfundachtzig. Wir hätten mehr als genug Weideflächen für den neuen Reitstall übrig. Du könntest dein altes einäugiges Pferd behalten und ihm das Gnadenbrot geben, so lange du willst. Wir – ich meine, du und ich, wenn wir Geschäftspartner wären –, wir könnten ein paar hübsche Reitponys kaufen und dieses Geschäft ausbauen. Ich kenn einen Burschen, der mit Pferden handelt.«
»Oh, Eli!« Penny schlang die Arme um ihn – oder zumindest so weit, wie es sein beträchtlicher Umfang gestattete. »Du bist wunderbar!«
Eli lief puterrot an und murmelte etwas vor sich hin. »Ich habe sowieso die Nase voll von meinem Schrottgeschäft«, sagte er. »Erst recht, seit so ein Beamter vor ein paar Tagen vorbeigekommen ist und seine Nase in alles gesteckt hat! Er wollte meine Quittungen sehen! Ich hab sie alle in einem alten Schuhkarton. Ich hab ihm den Karton gegeben, nachdem ich die Katze verscheucht hatte. Sie schläft nämlich immer in diesem Karton. Er hat den ganzen Tag an meinem Tisch gesessen und vor sich hin gemurmelt. ›Sie müssen ordentlich Buch führen, Mr. Smith‹, hat er gemeint. ›Wozu denn das?‹, wollte ich von ihm wissen. ›Ich war nie in der Schule, ich kann nicht lesen, und ich kann nicht schreiben. Wie soll ich das also Ihrer Meinung nach anstellen? Sagen Sie mir das.‹ Das hat ihn zum Schweigen gebracht. Er ist in seinen kleinen Wagen gestiegen und weggefahren. Ich schätze, er hat sich den einen oder anderen Floh eingefangen, aus diesem Schuhkarton. Die Katze hat nämlich welche. Ich hab’s vor ein paar Tagen bemerkt.
Ich bin ein einfacher Bauer«, schloss Eli. »Das war ich immer, und das werde ich immer sein. Pferde würden mir gefallen.«
»Dein Vorschlag würde mir auch gefallen, Eli«, sagte Penny.
»Also abgemacht«, erklärte Eli. »Dann sag ich ihnen Bescheid.«
»Wem denn – dem Finanzamt?«
»Finanzamt?«, fragte Eli verblüfft. »Oh, ich verstehe, was du meinst. Ja, ich schätze, denen auch. Ich dachte nur … na ja, ich dachte halt.«
An jenem Abend berichtete Eli seiner Familie von seinem neuen Geschäftsprojekt. Es war das erste Mal seit dem kürzlichen Jahrestag, dass sich alle versammelt hatten. Irgendwie hatten sie Wind bekommen von den bevorstehenden Veränderungen in seinem Leben und saßen nun abwartend da, um sich von ihm alles erzählen zu lassen. Er konnte ihnen nichts verheimlichen.
»Ich steige ins Reitstallgeschäft ein«, verkündete er. »Mietstall und Mietpferde für Stadtmenschen, zum Ausreiten.«
Sein Vater blickte noch missbilligender drein als gewöhnlich. Doch der alte Mistkerl hatte noch nie eine Idee gutgeheißen, die von einem seiner beiden Söhne gekommen war.
»Ich weiß, es ist keine Landwirtschaft«, sagte Eli trotzig. »Aber ich werde älter, wisst ihr, und die Landwirtschaft hat sich verändert.«
Er wurde tatsächlich älter, und eines Tages würde er sich ihnen anschließen. Was für ein Gedanke: an sie gefesselt zu sein, bis in alle Ewigkeit. Na ja, er war eh an sie gefesselt. Doch an diesem Abend war noch jemand bei ihrer Tischgesellschaft. Wie Eli es vermutet hatte, war das Mädchen aufgetaucht, das er tot in seinem Kuhstall gefunden hatte. Sie hatte sich auf eine unverschämte Weise zwischen ihn und seinen Bruder geschoben, die auf schlechte Manieren und einen Mangel an Takt schließen ließ.
Die Katze schmollte draußen im Holzschuppen, wo sie sich immer versteckte, wenn Elis Familie kam. Tibs würde sicher merken, dass eine fremde Person da gewesen war. Er hatte sich selbst gegen das Auftauchen des Mädchens gewappnet. Jetzt, nachdem sie erschienen war, konnte er nicht umhin, festzustellen, dass sie ein Problem darstellte. Ihm missfiel insbesondere die Tatsache, dass sie ihm so dicht auf der Pelle saß.
Sein Vater wusste ebenfalls nicht, was er von ihr halten sollte. Er saß mit finsterer Miene am Kopfende des Tisches. Seiner Mutter, du meine Güte, passte die neue Entwicklung überhaupt nicht. Sie funkelte die Neue ununterbrochen an und hatte Elis Zukunftsplänen kaum Gehör geschenkt, nicht einmal genug, um sie zu missbilligen. Sogar Nathan war unbehaglich zumute angesichts der Tatsache, dass sie neben ihm saß. Die Augen drohten ihm aus den Höhlen zu springen. Er hatte aufgehört, an dem albernen Strick um seinen Hals zu spielen, und strich sich stattdessen unablässig das Haar glatt.
Was das Mädchen anging, es schien von niemandem Notiz zu nehmen. Es ignorierte Nathan, es interessierte sich nicht für Elis Bericht. Es saß einfach nur da und starrte vor sich hin, als wäre die Küche nicht gut genug, nicht schick genug, nicht modern genug wahrscheinlich.
Ihre Geringschätzung ärgerte Eli noch mehr. Der Grund war wahrscheinlich die Tapete mit den albernen Chiantiflaschen als Motiv. Die patzige kleine Madame fand keinen Gefallen daran. Nun, sie würde lernen müssen, damit zu leben. Nein, Moment, falsches Wort. Sie würde lernen müssen, damit tot zu sein. Wenn sie sich für etwas Besseres hielt, dumm gelaufen. Er hatte sie nicht eingeladen. Es war ihre Entscheidung gewesen zu erscheinen. Uneingeladen, das war sie. Wenn auch nicht völlig unerwartet.
»Du musst ein wenig Platz machen, Nat«, sagte er zu seinem Bruder und nickte mit dem Kopf bedeutsam in Richtung der Neuen. »Es wird ziemlich eng hier drin.«