Kapitel 17
Carter erwies sich als unnachgiebig gegenüber Jess’ leidenschaftlich vorgetragener Bitte, wenigstens anwesend sein zu dürfen bei der Vernehmung von Andrew Ferris. Es war nicht weiter schwierig gewesen, ihn dingfest zu machen. Sie waren zu seinem Haus gefahren und hatten ihn dort vorgefunden, wo er immer noch damit beschäftigt gewesen war, methodisch die Sachen seiner Frau auszusortieren. Er hatte keinen Widerstand geleistet.
»Sie dürften eigentlich nicht einmal im Gebäude sein«, sagte Carter entschieden. »Sie sind krankgeschrieben und haben eine Gehirnerschütterung.«
»Ich hatte eine Gehirnerschütterung. Jetzt geht es mir wieder gut. Ich habe nicht einmal mehr Kopfschmerzen! Ich habe eine Beule am Hinterkopf, das ist alles. Und außerdem ist es mein Fall!« Sie tänzelte frustriert auf der Stelle. »Ich will das Verhör leiten!«
»Sie sind Opfer eines tätlichen Angriffs gegen eine Polizeibeamtin durch den Beschuldigten. Wir werden ihn deswegen belangen, Inspector, zusammen mit allem anderen, was wir gegen ihn finden. Sie können ihn nicht verhören, und es wäre unklug und unangemessen, auch nur dabeizusitzen, wenn das Verhör stattfindet.«
»Nicht dabeisitzen? Aber …«
»Inspector!«, unterbrach Carter sie scharf. »Ich mache Gott weiß Zugeständnisse, aber ich erwarte, dass sich meine Beamten gleich welchen Dienstgrads professionell verhalten, ganz egal wie die Umstände sein mögen.«
»Jawohl … Sir«, stieß Jess zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Sie stürmte in ihr Büro davon, wo sie sich zu einem ausgedehnten, kindischen und durch und durch befriedigenden Schmollen hinreißen ließ.
Carter hatte selbstverständlich Recht. Er wusste, dass er Recht hatte, und sie wusste, dass er Recht hatte. Und er wusste, dass sie es wusste, et cetera perge, perge.
Es half nicht.
Glücklicherweise traf in diesem Moment eine Ablenkung in Form eines Anrufs ein. Der Empfang unten informierte sie, dass Penny Gower gekommen war und mit ihr reden wollte.
»Hallo«, sagte Jess, als sie die kleine, ein wenig verwahrloste Gestalt erblickte, die vor Joe Hegartys Empfangsschalter stand. Penny hatte eine dicke blaue Beule auf der Stirn. »Wie geht es Ihnen?«, fragte Jess und deutete auf die Beule.
»Den Umständen entsprechend«, antwortete Penny. »Glaube ich. Die hier …«, vorsichtig betastete sie die Beule, »… ist ein Andenken. Jedes Mal, wenn ich in den Spiegel blicke und sie sehe, muss ich daran denken, wie Andy mir gesagt hat, dass er mich liebt. Ich werde nie wieder einem Mann glauben. Ich bin eigentlich nur vorbeigekommen, um zu sehen, wie die Dinge laufen und wie es Ihnen geht.«
»Auch den Umständen entsprechend«, antwortete Jess. Eine verlegene Pause entstand. »Möchten Sie einen Kaffee?«, fragte Jess, einem Impuls folgend. »Keine Sorge, nicht von uns, so ungastfreundlich bin ich nicht. Es gibt ein kleines Café ein Stück die Straße hinunter, wo der Kaffee besser schmeckt.«
»Ich schätze, Sie dürfen nicht mit mir über den Fall reden«, begann Penny, nachdem die beiden Frauen einen Platz an einem Ecktisch gefunden und ihren Kaffee bekommen hatten.
»Ganz richtig. Abgesehen davon ist mir der Fall quasi aus der Hand genommen worden, weil ich ebenfalls von Ferris angegriffen wurde. Ich vermute, wir könnten einen kleinen exklusiven Club gründen. Die Opfer von Andrew Ferris.« Jess schnitt eine Grimasse.
»Eines seiner Opfer ist tot«, sagte Penny tonlos.
»Das ist richtig. Allerdings muss ich sagen, dass er mich nicht töten wollte. Er wollte mich ruhigstellen und aus dem Weg haben, während er Sie umbrachte. Ich weiß nicht, warum er mich in dieses Haus geschafft hat …« Jess zuckte die Schultern. »Vielleicht ist er davor zurückgeschreckt, eine Polizeibeamtin zu töten. Aber Sie, Penny, sind nur knapp davongekommen, das muss ich Ihnen sagen. Den Reitstall hat es schlimm erwischt. Gott sei Dank sind Sie wohlauf und munter, abgesehen von einer Beule, und die Pferde sind auch alle unversehrt geblieben und in Sicherheit. Es ist nicht das Ende der Welt, Penny. Hören Sie, was ich zu sagen versuche – lassen Sie sich nicht von einer schlechten Erfahrung den Rest Ihres Lebens verderben. Nehmen Sie sich Zeit, um darüber hinwegzukommen. So viel Zeit, wie Sie brauchen. Aber das Leben geht weiter, und eines Tages werden Sie jemand Neuen kennen lernen.«
»Einen Mann kennen zu lernen ist das Letzte, was mir im Sinn schwebt«, antwortete Penny offen und schnitt eine Grimasse. »Wie ich bereits sagte, ich glaube nicht, dass ich nach dieser Geschichte je wieder einem Mann vertrauen werde, und ich könnte nicht mit jemandem zusammenleben, dem ich nicht vertraue, so wie Lindsey.«
»Mark Harper meinen Sie?«
»Ja. Sie hatten einen riesigen Krach. Lindsey fand heraus, dass er eine Geliebte in London hat. Sie war fest entschlossen, sich von ihm scheiden zu lassen, doch Harper geriet in Panik und hat sie überredet, bei ihm zu bleiben. Er hat ihr versprochen, von jetzt an ein braver Junge zu sein. Ha! Eine Scheidung würde ihn ein Vermögen kosten, aber es ist mehr als das. Er braucht Lindsey, gesellschaftlich, verstehen Sie? Lindsey kommt aus einer einheimischen Familie von alteingesessenen Landbesitzern. Jeder – ich meine die einheimischen Grundbesitzer und all die wichtigen Leute hier in der Gegend – kennt sie und ihre Eltern. Das ist der Kreis, in den Harper aufgenommen werden möchte, und dazu braucht er Lindsey. Er kann sich nicht einfach hineinkaufen, so geht das nicht.«
»Ich verstehe«, sagte Jess.
Selina Foscott, Lindsey Harper, Eli Smith – sie waren Einheimische, und das war es, was zählte. Nicht der soziale Status oder das Geld oder ob der Ruf der Familie makellos war oder ob man einen Doppelmörder zum Bruder hatte, sondern hierher zu gehören, seit Generationen hier verwurzelt zu sein, die Vorfahren in dieser Erde begraben zu haben, auf den stillen Kirchhöfen überall im Land. Alle anderen wurden toleriert – zumindest so lange, bis sie einen Fehler machten. Jess tat gut daran, sich das zu merken.
Auf gewisse Weise, dachte sie, waren sich Lucas Burton und Mark Harper sehr ähnlich gewesen. Beide hatten ein Bild erschaffen wollen. Doch Burton war im Grunde seines Herzens ein Einzelgänger gewesen und hatte gefürchtet, dass eine zu nahe Bekanntschaft mit anderen Menschen seine Herkunft aufdecken könnte. Harper hatte in die verschworene Gemeinschaft der Landbewohner einheiraten wollen. Er hatte auf hohes Risiko gespielt und stellte nun überrascht fest, dass er seine Frau mehr brauchte als sie ihn. Burton war vielleicht schlauer gewesen.
Penny redete unablässig weiter. »Ich leide nicht an gebrochenem Herzen. Ich war nicht verliebt in Andrew, wie ich Ihnen schon sagte. Ich dachte, er wäre ein Freund. Ein richtig guter Freund. Zu dem Zeitpunkt, an dem ich zum ersten Mal mit Ihnen darüber gesprochen habe, wusste ich nicht, dass er sich einbildete, mich zu lieben. Oh, sicher, er hat immer wieder gesagt, dass er mich liebe, aber es war scherzhaft, und ich habe ihn stets zur Vernunft gerufen. Es war eine Art Spiel, jedenfalls dachte ich das. Wie dumm ich doch war.«
Sie trank von ihrem Kaffee. »Ich kann nicht glauben, wie dumm ich war. Wissen Sie, er tat mir richtig leid, weil seine Ehe zerbrochen war und seine Frau ausziehen wollte. Ich habe versucht, ihn in dieser mutmaßlich schweren Zeit zu stützen. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr mich das jetzt ärgert! Er … er tat mir so verdammt leid! Ich dachte, dass er über den Tisch gezogen werden sollte. Es schien ihm egal zu sein, was seine Frau aus dem Haus mitnahm. Ich habe ihm keine Ruhe gelassen damit. Deswegen war er dabei, ihre Sachen in Kisten und Kartons zu packen, als Sie ihn besucht haben.«
»Er hatte eine ganze Menge zu packen, dem Aussehen nach zu urteilen«, sagte Jess. »Ich denke, er war ziemlich überrascht, als ihm klar wurde, wie viele Dinge sie besaß.«
»Allerdings, das war er. Und er hatte ernsthaft vor, alles in ein Lager zu schaffen, falls sie nicht bald käme, um es zu holen. Ich auf der anderen Seite hatte nur eine Sorge, als er mir von seiner Scheidung erzählt hat, nämlich, dass seine Frau Karen ihn ausnehmen könnte. Ich habe nicht einen Moment gedacht, dass er und ich endlich zusammen sein könnten, sobald die Scheidung durch wäre. Heiraten sogar, Herrgott noch mal! Und dann hat er mich in das Büro eingesperrt und versucht, mich bei lebendigem Leib zu verbrennen! Mich und die Pferde! Die armen, dummen Tiere, was hatten sie ihm denn getan? Er mochte Pferde! Er war gut zu ihnen! Ich fühle mich, als hätte ich den wirklichen Andrew Ferris nie gekannt.«
Als ihr bewusst wurde, dass ihre Stimme interessierte Blicke von benachbarten Tischen anlockte, beugte sie sich vor und fuhr im Flüsterton fort: »Wissen Sie was, Jess? Ich denke, von einem Freund betrogen zu werden ist schlimmer, als wenn man von einem abgewiesenen Verehrer betrogen wird. Wenn man einen Verehrer abgewiesen hat, rechnet man damit, dass er unter Umständen vor Frust durchdreht und einem ein Ding verpasst. Aber von einem Freund? Freundschaft ist etwas, worauf man sich verlassen können sollte!«
Darauf gab es wirklich keine Antwort. »Was ist mit den Ställen?«, fragte Jess. Das Thema erschien ihr sicherer. »Konnten Sie schon mit den Reparaturarbeiten anfangen?«
Penny blickte noch düsterer drein, wenn das überhaupt möglich war. »Ich glaube nicht, dass ich weitermachen kann. Die Versicherung stellt sich quer. Sie hat herausgefunden, dass ich eine Gasflasche im Büro stehen hatte. Ja, zugegeben, ich weiß, dass ich das nicht hätte tun dürfen. Schon komisch, ausgerechnet Andy hat mich immer gewarnt, wie gefährlich das Gas ist. Dann ist da die Sache mit Solo. Er ist ein starker Fresser und kostet mich Geld, aber ich kann ihn nicht mehr als Reitpferd vermieten. Ich hoffe, dass ich vor Einbruch des Winters eine vorläufige Unterstellmöglichkeit fertig habe, aber ich muss die Einstellgebühren senken, und was den Wiederaufbau des Stalls angeht …«
Sie fixierte Jess mit einem wütenden Blick. »Das Leben ist manchmal ziemlich bescheiden!«, rief sie heftig.
Jess hob ihre Tasse und prostete Penny zu. »Darauf trinke ich«, sagte sie.
Andrew Ferris saß zusammen mit seinem Anwalt Reginald Foscott im Verhörraum. Phil Morton stand bei der Tür und verfolgte misstrauisch, wie Carter am Tisch Platz nahm. Das Aufzeichnungsgerät wurde eingeschaltet, und die üblichen Floskeln von Zeit, Datum, Ort und Namen wurden aufgezählt. Ferris lauschte ungerührt. Er sah aus wie ein unbeteiligter Zuschauer. Foscott schnippte eine unsichtbare Fluse vom Ärmel seines Jacketts und neigte den Kopf zur Seite wie ein aufmerksamer Bluthund.
»Wir haben einen Zeugen, der beobachtet hat, wie das Opfer Eva Zelená am Ende der Gasse, die zum Foot to the Ground Pub und Restaurant führt, wo sie gearbeitet hat, in einen silbernen Kleinwagen eingestiegen ist, vermutlich einen Citroën Saxo. Wir haben einen Wagen, auf den diese Beschreibung passt, in Ihrer Garage gefunden, und wir haben ihn auf Spuren untersucht. Wir haben ihn auseinandergenommen, Mr. Ferris. Wir fanden eindeutige Spuren von Körperflüssigkeiten im Kofferraum, und die DNA-Analyse beweist, dass sie von Eva Zelená stammen. Wir haben außerdem menschliches Haar auf dem Beifahrersitz gefunden, das ebenfalls von Eva Zelená stammt, und einen Blutfleck, der von Ihnen stammt. Jemand hat versucht, den Wagen innen gründlich zu reinigen, Sitze und Kofferraum, doch es ist nicht ganz einfach, glauben Sie mir, Sir, diese winzigen Spuren zu beseitigen.« Carter gestattete sich ein schwaches Lächeln. »Dazu bedarf es mehr als eines Staubsaugers und einer Flasche Polsterschaum. Wir haben außerdem unter dem Wagenboden Spuren von Erde entdeckt, die mit dem Boden auf dem Hof der Cricket Farm übereinstimmen.«
»Wenn Sie meinen«, sagte Ferris gleichmütig.
Foscott nahm die Hand an den Mund und hüstelte.
»Diese Beweise zeigen sowohl, dass Eva Zelená als lebende Person in diesem Wagen war, als auch, dass sie als Leiche im Kofferraum transportiert wurde«, fuhr Carter fort. »Wir glauben, dass Sie die Leiche zur Cricket Farm geschafft haben, wo sie von Lucas Burton zum ersten Mal gefunden wurde.«
Ferris lauschte alledem auf die gleiche unbeteiligte Weise. Er musste es erwartet haben. Foscott auf der anderen Seite rutschte auf seinem Stuhl hin und her, dass die Beine über den Boden scharrten.
»Mein Mandant ist bereit zu einer Aussage betreffend die junge Frau, Eva Zelená.«
»Ein Geständnis?« Carter hob die Augenbrauen und sah zu Ferris, der zum ersten Mal überhaupt eine Reaktion zeigte, und sei es in Form eines sarkastischen Grinsens.
»Eine Aussage«, wiederholte Foscott. »Es war nicht seine Absicht, der jungen Frau Schaden zuzufügen. Er hat in reiner Notwehr gehandelt.«
»Tatsächlich? Nun denn, Mr. Ferris. Vielleicht würden Sie uns erzählen, was genau Ihre Absicht war und wie es zu Eva Zelenás Tod gekommen ist?«, fragte Carter. »Haben Sie den Leichnam auf der Cricket Farm abgelegt, und falls ja, aus welchem Grund?«
»Ihr Tod war ein Unfall«, sagte Ferris so gedehnt, als erwarte er, dass Carter die Worte mitschrieb. Dann hielt er inne, als warte er auf einen Kommentar, doch als der Superintendent schwieg, fuhr er fort. »Sie wissen, dass meine Frau und ich gerade dabei sind, uns scheiden zu lassen?«
»Das entspricht unseren Informationen«, stimmte Carter zu. »Ihre Frau, Karen Ferris, hat dies ebenfalls erklärt und Ihre Aussage untermauert.«
»Wie nett von ihr«, sagte Ferris abfällig. »Wir sind schon seit geraumer Zeit getrennt, nicht offiziell, aber sonst in jeder Hinsicht. Ich war seit einer Weile mit Penny Gower befreundet. Offen gestanden hatte ich gehofft, dass sich unsere Freundschaft zu mehr entwickeln würde. Doch das schien nicht der Fall, und, na ja, ich schätze, ich war frustriert. Eines Abends fuhr ich allein in ein Pub namens Foot to the Ground. Ich hatte es ausgewählt, weil Penny und ich nie dorthin gingen – und dort begegnete ich Eva.«
»Eva Zelená?«, fragte Carter zur Klarstellung für die mitlaufende Aufzeichnung.
»Das ist richtig. Sie schien ein nettes, freundliches Mädchen zu sein. Ich kam mit ihr ins Gespräch. Es war die klassische Situation, ein leicht angetrunkener, deprimierter Mann schüttet einer Barfrau sein Herz aus. Ich sage nicht, dass ich ihr alles erzählt habe – ich bin nicht dumm, und so betrunken war ich auch wieder nicht. Aber es half mir weiter, mit ihr zu reden. Ich fragte sie, ob wir uns wiedersehen könnten, und sie sagte Ja. Ich ging mit ihr ins Kino, und damit fing alles an. Es war nur eine Affäre, nichts Ernstes. Ein einsamer Mann flirtet mit einem hübschen Mädchen. Tausend andere Männer landauf, landab tun es wahrscheinlich im gleichen Moment auch. Aber bei mir lief es schief, wie in jeder Beziehung, die ich je mit einer Frau hatte.« Ferris’ Stimme wurde lebhaft. Bis zu diesem Moment hatte er flach und tonlos gesprochen und seine zurechtgelegte Geschichte vorgetragen.
Foscott bemerkte die Veränderung ebenfalls und sah seinen Mandanten mit geschürzten Lippen an.
»Hören Sie.« Ferris streckte die Hand aus und beugte sich zu Carter vor. Phil Morton neben der Tür spannte sich alarmiert. »Sie können mir keinen Vorwurf machen, dass ich in so eine Situation geraten bin! Meine Frau wollte mich verlassen, und bei Penny kam ich auch nicht weiter. Was glauben Sie, wie ich mich gefühlt habe? Wie würden Sie sich fühlen? Ich wollte mit einer Frau zusammen sein, die mir zuhörte, die nicht nach Pferd stank wie Penny und die nicht wie Karen nur über einen Anwalt mit mir kommunizierte. Eine Frau, die Spaß am Sex hatte. Das können Sie doch wohl verstehen?«
»Erzählen Sie uns einfach weiter, was Sie empfunden und was Sie getan haben«, erwiderte Carter, ungerührt von diesem Appell von Mann zu Mann.
»Was ich getan habe? Ich fing an, mich regelmäßig mit Eva zu treffen. Doch es war nichts Ernstes. Für mich blieb es bei einem Flirt, gegenseitiger Entspannung. Ich betrachtete es als eine Art Therapie, wenn Sie so wollen. Eva ging es gut dabei. Sie hatte Spaß, ging gerne mit mir zum Tanzen und dergleichen. Ich war großzügig. Ich führte sie in teure Restaurants. Ich ging mit ihr ins Theater in Cheltenham und in Clubs. Nicht, dass Clubbing mein Ding wäre – ich werde ein wenig zu alt für die Szene dort und das Ambiente, all die blitzenden Lichter und der ohrenbetäubende Lärm, aber Eva gefiel es. Wir gingen ins Kino. All die üblichen Dinge halt.«
»Sie hatten keine Sorge, dass Miss Gower etwas über Ihre Affäre herausfinden könnte?«, fragte Carter.
»Nein! Sie kam kaum jemals vor spätabends aus dem Stall, und dann wollte sie immer früh schlafen gehen, weil sie am nächsten Morgen gleich bei Anbruch der Dämmerung wieder raus und in den Reitstall musste, um die Tiere zu versorgen. Wir tranken ein schnelles Pint im Hart und nahmen einen Imbiss zu uns, und das war alles, was ich von ihr hatte. Penny hingegen hatte, was sie wollte, glauben Sie mir! Ich habe sie nicht betrogen – was zum Teufel gab es schon zum Betrügen?« Seine Stimme klang aufrichtig gequält.
»Was Eva betrifft«, Ferris zuckte die Schultern, »ich dachte, ich hätte ihr gegeben, was sie wollte. Sie schien zufrieden zu sein. Ich dachte, dass sie unsere Beziehung genauso sah wie ich. Ich habe sie nie vor dem Pub abgeholt, weil ich nicht wollte, dass irgendjemand dort auf einen falschen Gedanken kam, was Eva und mich anging. Eva bat nie darum, dass ich sie vor dem Laden abholte oder sie nachts vor die Tür brachte. Meiner Ansicht nach war das die Bestätigung, dass sie genauso wenig wollte wie ich, dass andere uns als Paar sahen. Es war nicht das, was Sie eine Beziehung nennen, Herrgott noch mal! Ich dachte … ich dachte, wir hätten eine stillschweigende Abmachung.«
Hinter ihm, auf seinem Stuhl neben der Tür, verzog Morton das Gesicht zu einer Grimasse. Ach ja? Du dachtest das vielleicht, Freundchen, sie bestimmt nicht. Laut sagte er nichts.
Ferris zögerte. »Ich war sehr gestresst zu dieser Zeit, und vielleicht habe ich nicht ganz klar gedacht. Die Scheidung war nicht das Einzige, was mir durch den Kopf ging.« Er zögerte.
»Ja?«, hakte Carter nach. »Und was war das?«
»Ein Mandant von mir, Lucas Burton. Er machte mir Sorgen.«
An diesem Punkt unterbrach Reggie Foscott die Vernehmung. »Mein Mandant streitet jede Verantwortung für den Tod von Lucas Burton ab.«
»Warum hat Lucas Burton Ihnen Sorgen gemacht?«, erkundigte sich Carter, indem er Foscott und seinen Einwurf ignorierte.
Ferris zögerte. »Es spielt keine Rolle. Es hat nichts mit dieser Sache zu tun.«
»Wir denken schon, dass es das hat«, sagte Carter. »Wir haben die Aufzeichnungen Ihrer Mobilfunkgespräche vom Tag vor dem Auffinden der Leiche. Sie haben Lucas Burton am Nachmittag von Evas Tod angerufen, das heißt, am Donnerstagnachmittag jenes Tages, von dem wir glauben, dass Eva an ihm starb. Am nächsten Tag wurde ihr Leichnam auf der Cricket Farm gefunden. Wir würden gerne erfahren, um was es bei diesem Anruf ging.«
»Eine geschäftliche Sache«, erwiderte Ferris. »Ich hatte eine Frage wegen seiner Konten.«
»Wir hatten eine lange und äußerst aufschlussreiche Unterhaltung mit Mrs. Karen Ferris«, fuhr Carter fort. »Sie hat uns erzählt, dass Ihre Bekanntschaft mit Mr. Lucas Burton viele Jahre zurückreicht, auch wenn Sie erst seit relativ kurzer Zeit sein Steuerberater hier in der Gegend sind. Sie sagt, Sie kennen Burton aus Ihrer Zeit in London, als Sie selbst noch dort gearbeitet haben. Damals nannte er sich noch anders. Nach den Worten Ihrer Frau scheint es Streit zwischen Ihnen und Burton gegeben zu haben, jedenfalls schloss sie das aus Ihrem Verhalten. Sie dachte, Burton hätte Sie damals aufs Kreuz gelegt, daher war sie sehr überrascht, als sie erfuhr, dass Sie Burton als Mandanten angenommen hatten, Jahre später und hier. Sie hat Sie danach gefragt, und Sie wurden erneut wütend und sagten ihr mehr oder weniger, dass sie den Mund halten solle. Damals glaubte Ihre Frau noch, dass die auseinanderbrechende Beziehung zwischen Ihnen beiden der Grund gewesen war. Jetzt ist sie nicht mehr so sicher.«
»Mrs. Karen Ferris muss als feindselig gegenüber meinem Mandanten betrachtet werden«, sagte Foscott protestierend. »Alles, was sie sagt, muss im Licht der bevorstehenden Scheidungsverhandlungen sorgfältig abgewogen werden.«
»Danke sehr, Mr. Foscott. Was sagen Sie dazu, Mr. Ferris?«
»Schon gut«, räumte Ferris ein. »Ich gebe zu, wir kennen uns seit einer Reihe von Jahren. Meine erste Arbeitsstelle war in einer kleinen Buchprüfungsfirma im Süden von London. Die Mandanten waren alle möglichen kleinen Händler, Marktschreier und dergleichen. Aber es gab auch den einen oder anderen dicken Fisch – sonnenbankgebräunte Typen in langen Mänteln. Sie besaßen Clubs, in denen man seine eigene Schwester nicht sehen möchte. Wir nahmen ausschließlich legale Aufträge an, nicht dass Sie etwas anderes denken. Aber die Mandanten, nun ja, das war ein ziemliches Gesindel. Die Firma existiert übrigens nicht mehr.
Ich verdiente nicht viel, und London war schon immer teuer. Ich hatte mich gerade mit Karen verlobt, meiner künftigen Exfrau. Sie … sie hatte schon immer einen kostspieligen Geschmack.« Er verzog das Gesicht in der Rückbesinnung. »Ich musste jeden Cent sparen. Mittags trottete ich in ein Pub in der Nähe des Büros. Es gab keine warmen Mahlzeiten auf der Karte, nur Sandwichs, Kartoffelchips und dergleichen. Es war der billigste Laden in der Gegend, wenn man Hunger hatte.
Jedenfalls, in diesem Pub lernte ich einen Burschen kennen, einen Stammgast.« Ferris lächelte freudlos. »Er war ein Schlitzohr und Sprücheklopfer und hatte immer den einen oder anderen Plan, wie er schnell das große Geld machen konnte. Es gab eine Menge Typen wie ihn damals, insbesondere in jenem Teil der Stadt. Ich hörte mir seine Geschichten gerne an, weil sie amüsant waren. Er unternahm alles Mögliche, um meine Bekanntschaft zu pflegen, aber ich war nicht so dumm, nicht zu merken, dass er einen bestimmten Zweck damit verfolgte. Ich dachte, er würde mich anhauen, schwarz seine Buchführung zu machen oder dergleichen. Sein Name war Marvin Crapper.«
Er wartete, um zu sehen, ob Carter auf die Nennung des Namens reagierte. Carter nickte nur. »Bitte fahren Sie fort.«
»Wie sich herausstellte, hatte er etwas ganz Anderes im Sinn. Er plante ein großes Ding. Er wollte Informationen, persönliche, private Informationen über einen Mandanten der Firma. Es war einer der wichtigeren Mandanten, von denen ich Ihnen erzählt habe, einer von diesen Sonnenbanktypen, der in einer Nobelkarosse vorgefahren kam und einen Leibwächter dabeihatte. Ich sagte zu Marvin, er solle es vergessen! Ich wäre wie ein Priester, sagte ich zu ihm, ich erzählte nichts weiter. Um die Wahrheit zu sagen, es waren nicht nur moralische Skrupel. Ich wollte nicht die Beine gebrochen bekommen. Aber Marvin ließ nicht locker. Er bot mir eine Menge Geld. Niemand würde etwas erfahren, versprach er mir. Er würde es niemals jemandem verraten, wie könnte er auch? Er hätte genauso viel zu verlieren wie ich, wahrscheinlich mehr.«
Ferris zuckte die Schultern. »Was soll ich sagen? Karen wollte ein Haus kaufen, oder wenigstens eine Eigentumswohnung. Ich brauchte meinen Anteil an Eigenkapital. Ich hörte mir Marvins Vorschlag an. Ich hätte das Pub und ihn meiden und ihm klarmachen sollen, dass er bleiben könne, wo der Pfeffer wächst. Doch das tat ich nicht. Stattdessen gab ich ihm die Information, die er wollte. Er bezahlte mich. Ich dachte, dumm wie ich war, damit wäre die Sache gelaufen. Ich wechselte die Stelle, zog in einen anderen Stadtteil von London, Karen und ich heirateten. Wir kamen hierher, wo ich mich selbstständig machte. Alles war prima. Na ja, war es nicht, weil Karen und ich uns immer weiter voneinander entfernten, aber davon abgesehen, vom finanziellen Standpunkt aus betrachtet, entwickelten sich die Dinge bestens.«
Ferris sah Carter an. »Sie wissen, was man über falsche Fünfziger sagt? Sie kommen immer wieder zu einem zurück. Marvin Crapper war so ein falscher Fünfziger. Ich hätte es wissen müssen, mir hätte klar sein müssen, dass er mich früher oder später wiederfindet, ganz egal, wohin ich gehe oder was ich mache oder wie viel Zeit vergeht. Es dauerte eine ganze Weile, aber vor zwei Jahren war es so weit.«
Ferris lächelte traurig. »Er läutete an meiner Haustür. Ich öffnete, und da stand er, einfach so. Ich war überrascht, wie Sie sich denken können, allerdings nicht von der Tatsache, dass er dort stand, das war mir immer unausweichlich erschienen, wie ich bereits sagte. Nein, was mich wirklich überraschte war die Tatsache, dass ich ihn im ersten Moment nicht erkannte. Verschwunden waren die schwarze Lederjacke und der goldene Klunker, und nichts mehr zu hören vom Süd-Londoner Akzent. Vor mir stand ein Typ in einem Sportsakko mit maßgefertigten Schuhen und teurer Armbanduhr, ohne jeglichen sonstigen Schmuck, und er redete wie ein Gentleman. Leb wohl Marvin, und hallo Lucas. Er hatte sogar den verdammten Namen gewechselt. Er hatte einfach alles gewechselt!«
An dieser Stelle lachte Ferris unerwartet auf. Das Geräusch hallte durch den kleinen Raum und erschreckte die übrigen Anwesenden. Carter lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Phil Morton stand auf und setzte sich sodann wieder. Foscott sah entschieden alarmiert aus und beugte sich zu seinem Mandanten vor, als wolle er ihm dringenden juristischen Rat erteilen.
Ferris winkte ihn beiseite. »All seine Pläne schienen aufgegangen zu sein, weil er richtig viel Geld gemacht hatte. Nur in einer Hinsicht war er der alte Marvin Crapper geblieben, der unter all dem neuen Glanz hervorschimmerte. Er kam rein und setzte sich, als wäre er zu Hause. Er verbrachte einige Zeit damit, mir zu erzählen, wie viel Geld er gemacht hatte, zeigte mir seine Armbanduhr, eine Cartier, redete von seinem großen Haus in Cheltenham und seiner Wohnung in den Docklands in London. Er suchte gerade nach einem Ferienhaus in Florida mit einem Swimmingpool – sein Haus in Marbella, Spanien, war ihm nicht groß genug, und er hatte es mit phantastischem Gewinn weiterverkauft. Ich saß da und lauschte ihm wie ein von einem Hermelin hypnotisiertes Kaninchen. Er habe gehört, dass ich in der Gegend lebe und arbeite, sagte er. Er habe schon die ganze Zeit vorgehabt, nach mir zu suchen. Ja, sicher, dachte ich bei mir, jede Wette. Er wolle etwas wegen seiner Steuern unternehmen, erzählte er weiter. Wer wäre besser geeignet, seine Bücher zu prüfen, als sein alter Freund Andy Ferris?«
Ferris schüttelte den Kopf. »Ich hätte ihm sagen sollen, dass er mir aus den Augen gehen soll. Ich habe es nicht gesagt. Ich konnte nicht. Ich war an ihn gefesselt. Nicht nur, weil er wusste, dass ich einmal etwas Ungesetzliches getan hatte, das machte mich noch lange nicht zu einem Schurken! Ich wollte nicht mit ihm in Verbindung gebracht werden! Aber er – er war wie der verdammte Svengali! Am Ende erklärte ich mich einverstanden, seine Steuererklärungen zu machen. ›Keine ungesetzlichen Sachen!‹, sagte ich zu ihm.
Er lachte schmierig und tätschelte mir die Schulter. ›Das ist doch alles Vergangenheit, Andy! Wir sind heute andere Menschen, du und ich. Wir haben es beide geschafft, du genauso wie ich.‹ Nur, dass er eine ganze Menge mehr Geld gemacht hatte als ich, das kann ich Ihnen sagen.«
Ferris stockte für eine Sekunde, bevor er fortfuhr. »Die ganze Zeit, während er redete, starrte ich auf seinen Mund. Er hatte sich sogar die Zähne neu machen lassen. Sie blitzten wie in einer Zahnpastawerbung!
Er hörte sich meine schwachen Proteste an. ›Mach dir deswegen keine Gedanken, Andy‹, meinte er, als ich fertig war. Von wegen! Er muss mich für einen Volltrottel gehalten haben. All dieses Getätschel war so falsch wie sein Jacketkronengrinsen. Er wurde im Verlauf der Jahre zu einem ehrbaren Geschäftsmann, schön und gut, aber nur nach außen. Die Katze lässt das Mausen nicht, wenn Sie verstehen. Früher oder später würde er mit einem linken Ding zu mir kommen und versuchen, mich da mit reinzuziehen. Ich wusste nicht, ob ich ihm widerstehen könnte, wenn es so weit war. Als er mich angrinste wie ein Verschwörer, war mir nur eins klar: Er erwartete gar nicht, dass ich ihm glaubte. Nach seinem Verständnis liefen wir ein Ritual durch, weiter nichts. Er dachte, ich wäre ein Seelenverwandter. Er dachte, ich wäre genau wie er!«
An dieser Stelle brach Ferris ab und erkundigte sich höflich, ob er vielleicht eine Tasse Tee haben könnte.
Nach einer kurzen Pause brachte Bennison den Tee, und sie setzten die Vernehmung fort.
»Der Tag, an dem Eva starb«, begann Ferris zaghaft.
Foscott setzte sich kerzengerade auf. Sie sind wieder bei ihrem abgesprochenen Skript, dachte Carter ärgerlich. Was Ferris über Burton erzählt hat, ist ihm gegen den Strich gegangen, weil sie es nicht vorher durchgesprochen hatten. Was er über Eva erzählen wird, haben sie hingegen ganz genau durchgesprochen. Aber ihr habt die Rechnung ohne den Wirt gemacht.
»Ich war niedergeschlagen und fertig«, wiederholte Ferris. »Ich wollte, dass Burton aus meinem Leben verschwand, und ich war zu dem Entschluss gekommen, dass ich auch Eva nicht mehr treffen wollte. Ich hatte Angst, dass Penny etwas herausfinden könnte, selbst wenn ich noch so vorsichtig war. Also lud ich Eva zum Mittagessen ein und sagte ihr, dass ich unsere Affäre beenden wollte. Ich habe es ihr natürlich nicht beim Essen gesagt, für den Fall, dass es zum Streit kam – ich wollte nicht, dass andere Leute aufmerksam wurden. Wenn man ein Geschäft hat wie das meine, dann kann man sich keinen Skandal leisten, glauben Sie mir. Ich war schließlich immer noch verheiratet, selbst wenn meine Frau ständig auf Kreuzfahrt mit Millionären war. Außerdem, wenn man viele Mandanten hat, dann ist man auch bekannt. Man weiß nie, wo man gesehen wird. Eva und ich waren nie hier in der Gegend, aber ich wollte trotzdem nicht unnötig Aufmerksamkeit auf mich lenken. Also sagte ich es ihr im Wagen, als wir fertig waren mit dem Mittagessen, und ich dachte, dass ihre Stimmung gut war und sie vernünftig reagieren würde. Sie war außerdem schläfrig; wir hatten ein Glas Wein getrunken.«
Ferris klang ratlos, als er fortfuhr. »Ich begreife ihre Reaktion immer noch nicht. Ich war vollkommen überrascht. Sie war mit einem Mal hellwach, und ihre gute Laune war wie verflogen. Sie ist durchgedreht! Ich musste an den Straßenrand lenken, und wir hatten einen wütenden Streit. Ihr Englisch war nicht perfekt, doch sie fluchte wie ein Vollmatrose. Sie drohte mir, sich mit meiner Frau in Verbindung zu setzen und ihr alles zu erzählen. Ich sagte ihr, nur zu, meine Frau gibt einen Dreck darauf, ob ich Affären habe oder nicht. Sie hat selbst einen Liebhaber, der sie mit Geld überhäuft. Dann drohte sie, Penny von uns zu erzählen. ›Ich weiß von deiner anderen Freundin!‹, keifte sie. ›Der, die so nach Pferden stinkt!‹ Ich hatte ihr nie von Penny oder vom Reitstall erzählt. Vielleicht war ich einmal nachts unvorsichtig, ich weiß es nicht …« Ferris zuckte die Schultern.
»Ich versuchte sie zu beruhigen. Die dumme Kuh wollte einfach nicht aufhören zu schreien! Dann griff sie mich an. Sie griff mich tatsächlich an! Sie ballte die Fäuste und schlug auf mich ein, und sie war überraschend kräftig. Die Blutspuren von mir, die Sie im Wagen gefunden haben, stammen von einem Schlag auf die Nase, den sie mir verpasst hat! Ich musste mit ihr ringen, um mich zu schützen. Ich packte ihre Handgelenke, und dann hielt ich sie an den Schultern und versuchte, sie zur Besinnung zu schütteln, und dann …« Ferris zuckte resignierend die Achseln. »Irgendwie hatte ich plötzlich die Hände um ihren Hals, und dann, ich weiß gar nicht wie, wurde sie ganz schlaff. Ich dachte, sie wäre nur besinnungslos. Ohnmächtig geworden. Aber ich konnte sie nicht wieder aufwecken. Dann wurde mir klar, dass sie tot war. Es … es war furchtbar.« Er starrte Carter verzweifelt an. »Ich wollte sie nicht umbringen! Ich wollte ihr nichts antun! Gütiger Gott, ich bin ein aufrechter Geschäftsmann, und ich habe einen Ruf zu verlieren! Warum sollte ich sie ermorden wollen?«
Erneut wartete er auf eine Reaktion Carters. Dieser nickte nur. »Fahren Sie bitte fort, Mr. Ferris.«
»Zuerst bin ich natürlich in Panik geraten, wie man sich leicht vorstellen kann. Dann dachte ich, wenn ich die Leiche vielleicht irgendwo ablegen könnte, wo man sie für eine Weile nicht findet, würde niemand sie mit mir in Verbindung bringen. Vielleicht könnte ich sie begraben. Ich dachte an all das brachliegende Land der Cricket Farm. Es gab ein paar Weiden mit Schafen darauf, das war alles. Eli wanderte manchmal über das Land, und Penny benutzte es zum Ausreiten, aber niemand inspizierte jede Ecke. Dann hatte ich eine noch bessere Idee, einen richtigen Gedankenblitz, jedenfalls dachte ich das im ersten Moment. Ich konnte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, Evas Leiche loswerden, und zugleich Lucas Burton.
Lucas würde nicht wollen, dass die Polizei bei ihm vor der Haustür erscheint und Fragen stellt und seine Vergangenheit ausgräbt. Er hatte sich ein neues Leben aufgebaut, alles makellos glänzend, keine Vergangenheit, nichts, was seine neuen Freunde nicht wissen durften.
Leute wie Lucas sind schlauer, als es die Polizei erlaubt. Der alte Marvin, der immer noch in Lucas lauerte, war anders. Er konnte einer günstigen Gelegenheit einfach nicht widerstehen, wenn er eine zu sehen glaubte.
Ich rief ihn an und sagte, ich hätte einen geschäftlichen Vorschlag, über den ich mit ihm sprechen wolle, allerdings nicht in der Öffentlichkeit und auch nicht bei mir zu Hause. Ich sagte ihm, ich würde eine ideale Stelle kennen, und beschrieb ihm den Weg zur Cricket Farm. Wir verabredeten uns für halb vier am nächsten Tag. Ich wusste, dass er kommen würde. Spät an jenem Abend fuhr ich Evas Leichnam in dem Citroën zur Farm hinauf. Niemand war dort außer mir und den Fledermäusen, die in diesem Draculaschloss wohnen. Ich legte Eva in den Kuhstall, gleich neben den Eingang. Ich wusste, dass Lucas sich umsehen würde, sobald er dort eintraf. Die Lage in Augenschein nehmen. Er würde sichergehen wollen, dass niemand sonst in der Nähe war. Und er würde seine Nase in den Stall stecken und dabei Eva finden.
Natürlich bestand die Möglichkeit, dass Eli an jenem Morgen zur Farm fahren und Eva vor Lucas finden würde. Falls ja, dumm gelaufen. Mein Plan, Lucas loszuwerden, wäre nicht aufgegangen, aber ich hätte immer noch Eva vom Hals. Es wäre nicht der erste Mord auf der Farm, deswegen dachte ich, dass Eli vielleicht nicht gleich zur Polizei gehen würde. Dass er vielleicht hingehen und Eva irgendwo draußen auf seinem Land verscharren würde. Eli ist wie Lucas, auch er wollte die Polizei nicht um sich haben. Der alte Knabe kümmert sich nur um seine eigenen Angelegenheiten und hat eine Abneigung gegen Fremde. Ich wollte allerdings, dass Lucas Eva zuerst fände, weil ich wusste, dass er in Panik geraten würde. Dass er, so schnell er konnte, von dort verschwinden und sich hinterher sofort von mir trennen würde, weil ich die Farm als Treffpunkt vorgeschlagen hatte. Ich konnte ihn mit dem Fundort der Leiche in Verbindung bringen. Die Polizei würde ihn bestimmt als Verdächtigen einstufen.«
Ferris kicherte. »Und wer hätte das gedacht? Es funktionierte wie im Traum. Er rief mich an, gleich, nachdem er die Leiche entdeckt hatte, um mir zu sagen, dass das Treffen abgesagt wäre. Er war halb besinnungslos vor Angst. Am Abend rief er wieder an, um mir zu sagen, dass unsere Verbindung zu Ende sei. Ich protestierte zum Schein dagegen; ich weiß nicht, ob er es geschluckt hat, aber das spielte keine Rolle. Er hatte Angst, und er würde nicht zur Polizei gehen, so viel stand fest. Sie überprüfen Personen, die solch ein Verbrechen melden, oder nicht? Für den Fall, dass sie selbst etwas damit zu tun haben?« Ferris starrte Carter fragend an.
Carter nickte, um dann, mit einem Blick auf den Rekorder, laut »Ja« zu sagen.
»Dachte ich mir. Sie hätten Lucas überprüft, und Sie hätten wahrscheinlich herausgefunden, dass er den Namen geändert hatte. Vielleicht hatte er als Marvin Crapper sogar ein Vorstrafenregister, wer weiß? Wie dem auch sei, Sie hätten sich wahrscheinlich für ihn interessiert. Mörder verhalten sich eigenartig, habe ich gelesen. Sie kehren an den Ort ihres Verbrechens zurück, und Sie hätten vielleicht gedacht, dass der gute alte Lucas genau das getan hatte. Nein, er wollte unter allen Umständen verhindern, dass Sie ihn überprüften.« Ferris nickte zufrieden. »Perfekt … bis auf die Tatsache, dass Penny durch einen dummen Zufall Lucas in seinem Wagen gesehen hatte, in der Nähe der Farm, und misstrauisch wurde. Also übernahm ich es, Eli anzurufen, und er sprang in seinen Laster und ratterte los, um der Sache nachzugehen. Und was soll man sagen – er hat Sie alarmiert! Zu meiner großen Überraschung, wirklich. Andererseits – na und? Zu diesem Zeitpunkt spielte es keine Rolle mehr. Ich war raus, und Lucas war verdächtig.«
»Was brachte Sie dazu, ihn am nächsten Morgen noch einmal zu besuchen?«, fragte Carter. »Warum waren Sie in seiner Garage?«
»Hab ich nicht. War ich nicht«, antwortete Ferris ernst. »Warum hätte ich das tun sollen? Ich sagte Ihnen doch schon, ich hatte genau das, was ich wollte, Lucas mit vollen Hosen und eingekniffenem Schwanz. Ich habe nichts zu tun mit seinem Tod. Ich wollte nicht, dass er tot ist, nur, dass er raus ist aus meinem Leben. Es gibt sicher jede Menge andere Leute, die ihn gehasst haben. Wer weiß, in welche krummen Geschäfte er verwickelt war? Er muss mehr Feinde gehabt haben, als er zählen konnte.«
Ferris beugte sich vor, und der Blick in seinen Augen war unverhohlen spöttisch. »Sie mögen DNA-Spuren von Eva im Wagen meiner Frau gefunden haben. Sie werden keine derartigen Spuren von mir in dieser Garage finden. Es gibt nämlich keine.«
Er lehnte sich zurück. »Ich habe ihn nicht umgebracht. Glauben Sie’s, oder lassen Sie’s, und wenn Sie’s nicht glauben, beweisen Sie, dass ich es war.«
Foscott räusperte sich warnend.
»Wir tun unser Bestes«, sagte Carter. »Wir haben einen Teilabdruck von einer Handfläche auf dem Spiegel des Mercedes gefunden. Der Wagen wurde vor kurzer Zeit gesäubert und poliert, was nahelegt, dass der Abdruck unmittelbar danach entstanden ist. Er stammt nicht von Burton, daher stammt er von jemand anderem, der dort in der Garage war. Einem Besucher. Wir haben ihn mit Ihren Abdrücken verglichen, Mr. Ferris, und wir denken, dass Sie dieser Besucher waren.«
Ferris setzte sich auf und schien für ein oder zwei Sekunden die Sprache verloren zu haben. Dann öffnete er den Mund zu einer Erwiderung, doch bevor er etwas sagen konnte, beugte sich Foscott vor und legte Ferris die Hand auf den Arm.
Zu Carter sagte er: »Wir wurden vorher nicht über diesen Sachverhalt informiert, und zu diesem Zeitpunkt hat mein Mandant nichts dazu zu sagen.«
Carter nahm die Zurechtweisung gelassen hin und fuhr fort: »Abgesehen davon gibt es eine Reihe weiterer Anklagepunkte gegen Sie: tätlicher Angriff gegen Inspector Jessica Campbell, einhergehend mit Körperverletzung, Entführung und Freiheitsberaubung. Außerdem Körperverletzung und Freiheitsberaubung gegen Penelope Gower zusammen mit vorsätzlicher Brandstiftung in der Absicht, Miss Gower zu töten.«
Ferris funkelte ihn finster an. »Dieses Miststück«, sagte er. »Sie sind alle gleich. Man kann ihnen nicht vertrauen, nicht einer von ihnen. Frauen haben mich in diesen Schlamassel geritten. Karen musste unbedingt eine Immobilie jenseits unserer finanziellen Mittel haben, weshalb ich mich damals überhaupt erst auf diesen Crapper eingelassen habe und auf seine verwinkelten Schachzüge. Dann hat Karen mich fallen lassen. Schön langsam, Stück für Stück, doch ich wusste, was sie vorhatte. Penny hat mich auch fallen lassen. All die Stunden, die ich in diesem verdammten Stall für sie geschwitzt habe! Ausgemistet, Zäune gebaut, alles repariert, was mit Hammer und Nagel zu reparieren war! Ich habe es aus Liebe getan, und sie wusste es! Aber nein, sie wollte mich nicht als Mann. Ich war nur der Trottel, der ohne Bezahlung für sie arbeitete. Sie benutzte mich genau so, wie sie den alten Eli benutzte. Sie sagte zu mir, dass sie den Rest ihres Lebens mit diesen Gäulen verbringen wolle, und ich dachte, na gut, wenn du es so willst, das lässt sich einrichten … genau wie die kaputten Zäune, die dieses Mädchen …«
Er brach ab und fixierte den verblüfften Foscott mit einem finsteren Blick. »Jawohl, Ihre Tochter! Sie hat die Zäune wieder und wieder über den Haufen geritten! Wie dem auch sei, wenn Penny unbedingt bei ihren Pferden sterben wollte, dann sollte sie. Ihre Beamtin, Inspector Campbell, schnüffelte bereits auf dem Hof herum. Ich hatte ihre Fragen ausnahmslos beantwortet. Warum zum Teufel musste sie zu mir nach Hause kommen und in meiner Garage herumschnüffeln? Genau wie Crapper – oder Burton, wie der dämliche Trottel sich inzwischen nannte! Warum musste er zu mir kommen? Warum konnte er mich nicht in Ruhe lassen? Wissen Sie eine Antwort?« Er stieß den Zeigefinger in Carters Richtung. Die wachsame Miene des Superintendents blieb ungerührt, während Ferris wenige Zentimeter vor seinem Gesicht mit lauter Stimme seine Tirade ablieferte.
Phil Morton hingegen hatte sich von seinem Stuhl neben der Tür erhoben und trat vor. Er stellte sich an die Wand unmittelbar hinter Ferris. Diesem blieb die Bewegung nicht verborgen, und er bedachte Morton mit einem geringschätzigen Blick, bevor er sich wieder Carter zuwandte.
»Zwei Frauen, die ich beide geliebt habe, Karen und später Penny, wollten nichts mehr mit mir zu tun haben. Zwei andere Menschen, die ich loswerden wollte, klebten an mir wie die Kletten, nämlich Eva, die durchdrehte, als ich unsere alberne kleine Affäre beenden wollte, und Burton, den ich ein für alle Mal hinter mir gelassen zu haben glaubte. Es gibt keine natürliche Gerechtigkeit, wissen Sie? Das Leben spielt einem immer wieder die gemeinsten Streiche. Das ganze Leben ist nichts weiter als ein einziger großer, gemeiner Streich.«
Unvermittelt verstummte er, und nur noch das Echo seines Gebrülls hing in der Luft des plötzlich still gewordenen Raums. Allmählich verblasste der Ärger in seinem Gesicht. Der Stuhl knarrte protestierend, als er sich zurücklehnte. Er schwitzte stark; auf seiner Stirn standen Schweißperlen, doch ansonsten zeigte er wieder die gleiche teilnahmslose Haltung wie zu Beginn seiner Vernehmung. Es war, als hätte jemand ein Fenster in seinen Verstand aufgestoßen, das nun unvermittelt wieder geschlossen worden war. Ferris sah Superintendent Carter an, als wäre dieser ein interessantes Objekt in der Landschaft.
»Nichts von alledem war meine Schuld«, sagte er mit der zufriedenen Aura von jemandem, der soeben ein Problem gelöst hatte. »Wenn alle vernünftig gewesen wären, wäre das alles nicht passiert.« Er streckte die Hände in Richtung von Carter aus, die Handflächen nach oben. »Verstehen Sie?«