Gaius Marius gehörte zu den ersten, die auf die Hilferufe von Gaius Memmius’ Freunden herbeieilten. Nur wenige Minuten nachdem Glaucia und seine Genossen in Richtung Quirinal davongerannt waren, erreichte er den Ort des Geschehens und sah an die hundert Wähler der Zenturien in ihren Togen. Sie standen dicht gedrängt um das herum, was von Gaius Memmius übriggeblieben war. Die Schar teilte sich, um den ersten Konsul vortreten zu lassen, Schulter an Schulter mit Sulla starrte Gaius Marius auf den zu Brei zerschlagenen Kopf. Dann blickte er auf den blutgetränkten Knüppel, der daneben lag. Reste von Haaren, Muskeln, Haut und Knochen klebten noch daran.

»Wer hat das getan?« fragte Sulla.

Ein Dutzend Männer antworteten wie im Chor: »Gaius Servilius Glaucia.«

Sulla sog die Luft tief ein. »Er selbst?«

Alle nickten.

»Wißt ihr, wohin er gegangen ist?«

Diesmal gab es verschiedene Antworten. Sulla fand schließlich heraus, daß Glaucia und seine Bande durch das Sanqualis-Tor auf den Quirinal entkommen waren. Da Gaius Claudius dabeigewesen war, schien es sehr wahrscheinlich, daß sie zu seinem Haus in der Alta Semita gerannt waren.

Marius stand wie versteinert, den Kopf immer noch gesenkt, und blickte stumm auf Gaius Memmius hinab. Sulla berührte ihn leicht am Arm. Da zuckte er zusammen und wischte sich mit einer Falte seiner Toga die Tränen aus dem Gesicht. Wenn er mit der linken Hand nach einem Taschentuch gesucht hätte, wäre seine Unbeholfenheit zu offensichtlich geworden.

»Auf dem Schlachtfeld ist so etwas normal. Auf dem Marsfeld vor den Stadtmauern Roms ist es abscheulich!« rief er den Umstehenden zu.

Andere ältere Senatoren kamen dazu, unter ihnen der Senatsvorsitzende Marcus Aemilius Scaurus. Er streifte Marius’ tränenüberströmtes Gesicht mit einem Blick, sah zu Boden, und da stockte ihm der Atem.

»Memmius? Gaius Memmius?« fragte er ungläubig.

»Ja, Gaius Memmius«, sagte Sulla. »Von Glaucia höchstpersönlich umgebracht. Alle Zeugen bestätigen das.«

Marius weinte wieder. Er versuchte gar nicht, die Tränen zu verbergen, als er Scaurus ansah. »Vorsitzender des Senats«, sagte er, »ich rufe den Senat sofort im Tempel der Bellona zusammen. Bist du einverstanden?«

»Ich bin einverstanden«, sagte Scaurus.

Nach und nach kamen Marius’ Liktoren. Der erste Konsul, für den sie verantwortlich waren, hatte sie trotz seiner Behinderung um mehrere hundert Schritte hinter sich gelassen.

»Lucius Cornelius«, wandte sich Marius an Sulla, »nimm meine Liktoren, suche die Herolde, sag die Kandidatenvorstellung ab und schicke den Oberpriester des Mars zum Tempel der Venus Libitina. Er soll uns die heiligen Äxte, die zwischen die Rutenbündel gesteckt werden, in den Tempel der Bellona bringen. Dann ruf den Senat zusammen. Ich werde mit Marcus Aemilius vorausgehen.«

»Das war doch ein fürchterliches Jahr«, sagte Scaurus. »Ja wirklich, trotz aller Veränderungen in der letzten Zeit erinnere ich mich an kein so fürchterliches Jahr seit dem letzten Lebensjahr von Gaius Gracchus.«

Marius Tränen waren getrocknet. »Dann war es wohl wieder an der Zeit, nehme ich an«, sagte er.

»Hoffen wir, daß es nicht noch zu schlimmeren Gewalttaten kommt.«

Doch Scaurus hoffte vergebens, auch wenn zunächst alles ruhig schien. Der Senat kam im Tempel der Bellona zusammen. Die Senatoren besprachen den Mord an Memmius, viele hatten Glaucias Tat mit eigenen Augen beobachtet.

»Und trotzdem«, sagte Marius fest entschlossen, »Gaius Servilius muß für dieses Verbrechen vor Gericht gestellt werden. Kein römischer Bürger darf ohne Gerichtsverfahren verurteilt werden, es sei denn, er erklärt Rom den Krieg, und das ist heute nicht der Fall.«

»Ich fürchte doch, Gaius Marius«, keuchte Sulla, als er hereinstürzte.

Alle starrten ihn an. Niemand sagte ein Wort.

»Lucius Appuleius und eine Gruppe von Männern, darunter der Quästor Gaius Saufeius, haben das Forum Romanum besetzt«, berichtete Sulla. »Sie haben Lucius Equitius dem Pöbel vorgeführt, und Lucius Appuleius hat verkündet, daß er den Senat sowie die Erste und Zweite Vermögensklasse abschaffen will. Statt dessen soll das Volk unter seiner Führung regieren. Noch haben sie ihn nicht zum König von Rom ausgerufen, aber auf allen Straßen und Plätzen zwischen hier und dem Forum - das heißt überall! - ist davon die Rede.«

»Darf ich das Wort ergreifen, Gaius Marius?« fragte der Senatsvorsitzende.

»Sprich, princeps senatus

»Wir haben einen Staatsnotstand«, sagte Scaurus mit leiser, aber deutlicher Stimme, »genau wie in den letzten Tagen von Gaius Gracchus. Damals wollten Marcus Fulvius und Gaius Gracchus ihre gefährlichen Ziele mit Gewalt durchsetzen, und auch damals fand eine Debatte in diesem Hause statt, mit derselben Frage: Braucht Rom einen dictator, um mit einer so akuten Krise fertig zu werden? Wie es weiterging, ist in den Geschichtsbüchern festgehalten. Der Senat lehnte es ab, einen Diktator zu ernennen, statt dessen verabschiedete er so etwas wie eine letzte Anordnung - das Senatus consultum de re publica defendenda. Durch diesen Beschluß ermächtigte der Senat die Konsuln und Magistrate, den Staat mit allen ihnen nötig erscheinenden Mitteln zu verteidigen. Man sprach ihnen im voraus Immunität gegen Strafverfolgung zu und verbot den Volkstribunen, ihr Veto einzulegen.«

Er hielt inne und blickte ernst in die Runde. »Ich schlage vor, Senatoren, daß wir in der gegenwärtigen Krise denselben Weg einschlagen - und einen Senatsbeschluß zur Verteidigung der Republik fassen.«

»Wir werden abstimmen«, sagte Marius. »Alle, die dafür sind, stellen sich auf der linken Seite auf, alle, die dagegen sind, gehen nach rechts.« Er selbst stellte sich als erster auf die linke Seite.

Niemand stand auf der rechten Seite. Der Senat beschloß sein zweites Senatus consultum de re publica defendenda ohne Gegenstimmen, anders als beim ersten Mal.

»Gaius Marius«, sagte Scaurus, »die Mitglieder dieses Hauses haben mich ermächtigt, dich zu beauftragen, daß du als erster Konsul von Rom unseren Staat mit allen dir notwendig erscheinenden Mitteln verteidigst. Außerdem erkläre ich hiermit im Namen dieses Hauses, daß jedes Veto der Volkstribunen gegen eine Maßnahme von dir ungültig ist und daß nichts, was du tust oder befiehlst, dir später vor einem Gericht vorgeworfen werden kann. Das gilt auch für den zweiten Konsul, Lucius Valerius Flaccus, und alle Prätoren, soweit sie unter deinem Befehl stehen. Außerdem bist du, Gaius Marius, ermächtigt, dir Helfer aus dem Kreis der Mitglieder dieses Hauses zu wählen. Solange diese unter deinem Befehl stehen, gelten auch für sie die bereits genannten Ausnahmeregelungen.« Scaurus mußte daran denken, wie wohl Metellus Numidicus reagiert hätte, wenn er miterlebt hätte, wie der Senatsvorsitzende Scaurus Gaius Marius praktisch zum Diktator ernannte. Scaurus warf Marius einen bösen Blick zu, ein Grinsen konnte er sich gerade noch verkneifen. Er holte tief Luft und schrie so laut er konnte: »Lang lebe Rom!«

»Ach, na so was!« sagte Publius Rutilius Rufus.

Marius hatte weder Zeit noch Geduld, über geistreiche Bemerkungen nachzudenken. Mit knapper und ruhiger Stimme bestimmte er Lucius Cornelius Sulla zu seinem Stellvertreter und befahl, das Waffenlager im Keller des Tempels der Bellona zu öffnen und alle Unbewaffneten mit Schwertern und Schilden auszurüsten. Wer Waffen und Rüstung besaß, sollte sofort nach Hause gehen und sie holen, solange man sich noch frei in den Straßen bewegen konnte.

Sulla kümmerte sich vor allem um seine jungen Freunde. Er schickte sie in alle Himmelsrichtungen, vor allem den jungen Caepio und Metellus das Ferkel, deren Eifer gar nicht zu bremsen war. Die erste Ungläubigkeit machte einer Empörung Platz, die mehr war als bloße Wut: Ein Senator von Rom versuchte, mit Hilfe der Macht des Pöbels, König zu werden - eine Ungeheuerlichkeit! Politische Unterschiede waren vergessen, Fraktionen lösten sich auf, ultrakonservative Senatoren standen Schulter an Schulter mit den fortschrittlichsten Anhängern von Marius, geeint im Kampf gegen den geifernden Wolf auf dem Forum Romanum.

Selbst als Sulla die Männer zu organisieren versuchte, die um ihn herumschwirrten und wild fluchten, während sie darauf warteten, daß ihnen ihre Waffen von zu Hause gebracht wurden, waren seine Gedanken bei ihr. Nicht bei Delmatica, bei Aurelia. Er schickte zwei Liktoren zu ihrer insula mit der Anweisung, sie solle sich im Hause einschließen, und zwei weitere zu Lucius Decumius mit der Nachricht, weder er noch seine Kumpane aus dem Kreuzwegeverein sollten sich in den nächsten Tagen auf dem Forum Romanum blicken lassen. Wie er Lucius Decumius kannte, würden sie ohnehin nicht auf dem Forum sein. Während der übrige Pöbel Roms auf dem Forum randalierte, herumbrüllte und unschuldige Passanten zusammenschlug, lud das Gebiet, das der Pöbel normalerweise unsicher machte, zu ein oder zwei Überfällen geradezu ein. So sah das zweifellos Lucius Decumius. Trotzdem, die Botschaft konnte nicht schaden. Vor allem Aurelia mußte gewarnt werden.

Zwei Stunden später waren alle bereit. Vor dem Tempel der Bellona lag ein großer, offener Hof, der als Feindesland bezeichnet wurde. In halber Höhe der Treppen, die zum Tempel führten, stand ein etwa vier Fuß hoher, quadratischer Felsblock. Wenn einem ausländischen Feind ein gerechter und rechtmäßiger Krieg erklärt wurde - und gab es denn andere Kriege? -, rief man einen der Fetialen. Die Aufgabe dieser Priester war es, im Auftrag des Staates Bündnisse zu schließen und Kriege zu erklären. Der Priester schleuderte von den Tempeltreppen aus einen Speer genau über die Spitze des uralten Felsblockes in den Boden des Feindeslandes. Niemand wußte, wie dieses Ritual entstanden war, aber es gehörte zur Tradition, und deshalb hielt man daran fest. Doch heute gab es keinen ausländischen Feind, dem man den Krieg erklären mußte, heute mußte man einer Anordnung des Senats Folge leisten. Kein Priester schleuderte den Speer, und auf dem Feindesland drängten sich die Römer der Ersten und Zweiten Vermögensklasse.

Die ganze Versammlung - vielleicht tausend Männer - war für den Krieg gerüstet: mit Harnischen, Metallschienen an den Schienbeinen und Lederkleidung unter den Rüstungen. Alle trugen verzierte Helme. Keiner hatte einen Speer in der Hand, alle waren mit dem guten, altbewährten römischen Kurzschwert und Dolchen bewaffnet und hielten die altmodischen, aus der Zeit vor Marius stammenden ovalen, fünf Fuß hohen Schilde vor sich.

Gaius Marius trat an den vordersten Rand des Podiums vor dem Tempel der Bellona und sprach zu seinem kleinen Heer. »Denkt daran - wir sind Römer und ziehen in unsere Stadt Rom«, sagte er und betonte jedes Wort. »Wir werden über die Schwelle der geheiligten Stadtgrenze treten. Deshalb habe ich auch nicht Marcus Antonius’ Seesoldaten zu den Waffen gerufen. Wir, die Bürger, können selbst mit dieser Krise fertig werden, wir brauchen keine Armee. Ich verbitte mir strengstens alle Gewalttätigkeiten, die nicht unbedingt notwendig sind. Ich warne euch alle - insbesondere die Jüngeren unter euch - eindringlich: Niemand erhebt sein Schwert gegen einen unbewaffneten Mann! Wehrt Stockschläge mit euren Schilden ab und benutzt nur die flache Seite eurer Schwerter. Wo immer es möglich ist, entreißt der Menge die hölzernen Waffen, laßt eure Schwerter stecken und benutzt selbst ihre Knüppel. Es darf keine Berge von Sterbenden und Toten im Herzen von Rom geben! Dann wäre das Glück der Republik zu Ende, und das wäre das Ende der Republik! Wir müssen heute Gewalt verhindern, nicht anwenden!«

»Ihr seid heute meine Truppen«, führ er mit strenger Miene fort. »Nur wenige haben schon unter mir gedient. Darum gebt jetzt gut acht, ich sage es euch nur einmal. Wer meinen Befehlen und denen meines Stellvertreters nicht Folge leistet, wird sterben. In so einer Situation darf es keine Diskussionen und keine Unterschiede geben. Heute gibt es nicht verschiedene Arten von Römern, sondern nur Römer. Viele von euch lieben die Proletarier nicht und haben kein Herz für die unteren Schichten. Aber ich sage euch - und merkt euch das gut! -, auch ein römischer Proletarier ist ein Römer. Vor dem Gesetz ist sein Leben genauso heilig wie mein Leben oder euer Leben. Es darf kein Blutbad geben! Wenn ich so etwas auch nur zu ahnen beginne, werde ich in eurer Mitte stehen und mein Schwert gegen die zücken, die ihre Schwerter gezückt haben! Der Senat hat mir Immunität gegeben, eure Erben werden also keinen Denar Wiedergutmachung von mir erhalten, wenn ich euch töte. Ihr werdet nur von zwei Männern Befehle entgegennehmen - von mir und von Lucius Cornelius Sulla hier an meiner Seite. Von keinem anderen kurulischen Beamten. Ich dulde keinen Angriff, bevor nicht Lucius Cornelius oder ich den Befehl dazu geben. Wir werden diese Sache so schonend wie möglich erledigen. Verstanden?«

Mit gespielter Unterwürfigkeit neigte Catulus Caesar den Kopf. »Wir haben verstanden, und wir werden gehorchen, Gaius Marius. Ich habe schon unter dir gedient - ich weiß, daß du meinst, was du sagt.«

»Gut!« sagte Marius freundlich, ohne auf die Ironie einzugehen. Er wandte sich an den zweiten Konsul. »Lucius Valerius, du nimmst dir fünfzig Männer und gehst auf den Quirinal. Wenn Gaius Servilius Glaucia sich im Haus des Gaius Claudius befindet, nimm ihn fest. Wenn er sich widersetzt, bleibst du mit den fünfzig Männern als Wache vor dem Haus stehen. Versucht nicht, in das Haus einzudringen. Und haltet mich auf dem laufenden.«

 

Am frühen Nachmittag führte Gaius Marius seine kleine Truppe aus dem Feindesland vor dem Tempel der Bellona durch das Carmentalis-Tor in die Stadt. Sie kamen vom Velabrum, folglich tauchten sie aus dem Durchgang zwischen dem Tempel des Kastor und der Basilica Sempronia auf. Die Menschenmenge auf dem unteren Forum war völlig überrumpelt. Saturninus’ Gefolgschaft - inzwischen auf vielleicht viertausend Mann angeschwollen - hatte sich mit allem bewaffnet, was nur halbwegs als Waffe dienen konnte: mit Knüppeln, Prügeln, Stöcken, Messern, Äxten, Pickeln und Mistgabeln. Im Vergleich mit den tausend fähigen und gut ausgerüsteten Kämpfern, die in dichten Reihen auf das Forum marschierten und sich vor der Basilica Sempronia aufbauten, waren sie eine schäbige Bande. Ein Blick auf die Brustharnische, Helme und Schwerter der Ankömmlinge genügte, und die Hälfte von Saturninus’ Anhängern flüchtete Hals über Kopf Richtung Argiletum, die östliche Seite des Forums hinauf in die Gassen auf dem Esquilin, auf sicheren Heimatboden.

»Lucius Appuleius, gib auf!« schrie Marius aus vollem Hals. Sulla stand an seiner Seite.

Saturninus überblickte mit Saufeius, Labienus, Equitius und etwa zehn anderen oben von der rostra das Geschehen. Er starrte Marius mit offenem Mund an, dann warf er den Kopf zurück und lachte. Das Lachen sollte trotzig und selbstbewußt klingen, tatsächlich aber klang es hohl.

»Deine Befehle, Gaius Marius?« fragte Sulla.

»Wir nehmen sie im Sturm«, sagte Marius. »Ganz plötzlich, mit aller Härte. Die Schwerter bleiben stecken. Nur mit den Schilden. Ich hätte nie gedacht, daß sie so eine kunterbunte Versammlung sind, Lucius Cornelius! Wir werden leichtes Spiel mit ihnen haben.«

Sulla und Marius gingen durch die Reihen ihrer kleinen Armee und wiesen sie an. Mit ausgestreckten Schilden bildeten sie eine Phalanx, vielleicht zweihundert Männer lang und fünf Reihen tief.

Und dann: »Angreifen!« schrie Gaius Marius.

Hinter einer festen Mauer von Schilden überrannten sie den Pöbel wie eine ungeheure Welle. Männer und selbstgebastelte Waffen flogen in alle Richtungen. Bevor sich Saturninus’ Pöbel wieder aufgerappelt hatte, krachte die Mauer aus Schilden zum zweiten Mal hinein.

Saturninus und seine Gefährten sprangen von der Rednerbühne und mischten sich unter die Kämpfenden. Vergebens. Obwohl Marius’ Kohorte anfänglich nach Blut gelechzt hatte, fand sie jetzt Gefallen an der neuartigen Holzhammermethode. Im Gleichschritt fuhren sie wieder und wieder in die verstörte Menge, drängten die Männer wie Steine zu einem Haufen zusammen, zogen sich zurück, um erneut eine Mauer zu bilden, und stießen wieder vor. Ein paar Männer aus dem Pöbel wurden zertrampelt, aber es entwickelte sich keine Schlacht, es war ein einziges Debakel für den Pöbel.

Es dauerte nicht lang, bis Saturninus’ ganze Truppe die Flucht ergriff. Die Besetzung des Forum Romanum war vorüber, fast ohne Blutvergießen. Saturninus, Labienus, Saufeius, Equitius, ein Dutzend Römer und an die dreißig bewaffnete Sklaven liefen den Clivus Capitolinus hinauf und verbarrikadierten sich im Tempel des Jupiter Optimus Maximus. Sie flehten den großen Gott um Hilfe an, er solle ihnen doch die riesige Menschenmenge zurück auf das Forum schicken.

»Jetzt wird Blut fließen!« kreischte Saturninus vom Podium vor dem Tempel auf dem Kapitol hinunter, so laut, daß Marius und seine Männer ihn gut verstehen konnten. »Ich werde dafür sorgen, daß du Römer töten mußt, bevor ich abtrete, Gaius Marius! Dieser Tempel wird durch das Blut von Römern entweiht werden!«

»Er könnte recht behalten«, sagte der Senatsvorsitzende Scaurus. Trotzdem sah er sehr glücklich und zufrieden aus.

Marius lachte herzhaft. »Nein! Er stellt die Stacheln auf, wie ein kleines wehrloses Tier, Marcus Aemilius. Es gibt ein ganz einfaches Mittel gegen diese Besetzung. Wir werden sie dort rauskriegen, ohne daß auch nur ein Tropfen Blut fließt.« Er wandte sich an Sulla. »Lucius Cornelius, such die Ingenieure der städtischen Wasserversorgung, sie sollen sofort das Wasser für das gesamte Kapitol sperren!«

Der Senatsvorsitzende schüttelte verblüfft den Kopf. »So einfach ist das! Und so naheliegend - und ich wäre trotzdem nicht darauf gekommen. Wie lange werden wir wohl warten müssen, bis Saturninus aufgibt?«

»Nicht sehr lange. Ihre Arbeit muß sie ziemlich durstig gemacht haben. Ich schätze, morgen ist es soweit. Ich schicke genug Männer hinauf, damit wir den Tempel umstellen können. Und die sollen sich erbarmungslos über den Wassernotstand unserer Ausreißer lustig machen.«

»Saturninus wird aufs Ganze gehen«, sagte Scaurus.

Marius wollte dieser Einschätzung nicht zustimmen. »Er ist Politiker, kein Soldat, Marcus Aemilius. Er hat verstanden, was Macht ist, aber er weiß nicht, was Waffengewalt ist. Er kann sich keine erfolgreiche Taktik ausdenken.« Scaurus erschrak, als Marius ihm die verzerrte Hälfte seines Gesichts zuwandte. Das Augenlid hing traurig herunter, und das Lächeln, das die gesunde Seite seines Gesichts erhellte, bildete einen schrecklichen Kontrast. »Wenn ich in Saturninus’ Stiefeln stünde, Marcus Aemilius, dann hättest du Grund zur Sorge! Ich wäre längst König von Rom, und ihr wäret alle tot.«

Der Senatsvorsitzende Scaurus trat unwillkürlich einen Schritt zurück. »Das weiß ich, Gaius Marius«, sagte er, »das weiß ich!«

»Sei’s drum«, sagte Marius fröhlich und drehte die schreckliche Seite seines Gesichtes weg. »Glücklicherweise bin ich nicht König Tarquinius - auch wenn die Familie meiner Mutter aus Tarquinia stammt! Mehr als eine Nacht zusammen mit dem großen Gott wird Saturninus nicht aushalten.«

Die Aufrührer, die man auf der Flucht gefaßt hatte, wurden zusammengetrieben und unter schwerer Bewachung in die Zellen der Lautumiae gebracht. Dort sonderten Gehilfen der Zensoren rasch alle Männer aus, die keine römischen Bürger waren; sie wurden auf der Stelle hingerichtet. Die römischen Bürger sollten am nächsten Tag gemeinsam unter Anklage gestellt werden, anschließend würde man sie vom Tarpeischen Felsen am Südosthang des Kapitols in den Tod stürzen.

Sulla kehrte zurück, als Marius und Scaurus gerade das Forum verlassen wollten.

»Ich habe eine Nachricht von Lucius Valerius auf dem Quirinal erhalten«, sagte er. In Anbetracht der Ereignisse dieses Tages sah er ziemlich frisch aus. »Glaucia befindet sich in der Tat in Gaius Claudius’ Haus. Aber sie haben die Tore verriegelt und weigern sich herauszukommen.«

Marius sah Scaurus an. »Nun, Senatsvorsitzender, wie sollen wir verfahren?«

»Genau wie mit der Bande, die sich bei Jupiter Optimus Maximus verkrochen hat. Wir können doch eine Nacht verstreichen lassen. Lucius Valerius soll das Haus weiterhin bewachen. Wenn Saturninus aufgegeben hat, lassen wir die Nachricht über die Mauern von Gaius Claudius’ Haus ausrufen und warten dann ab, was passiert.«

»Ein guter Plan, Marcus Aemilius.«

Scaurus lachte. »Wie freundlich unser Umgangston geworden ist, Gaius Marius! Das wird meinem Ruf bei meinen Freunden, den boni, hoffentlich nicht schaden!« prustete er und ergriff Marius’ Arm. »Denn trotz allem bin ich sehr froh, daß wir dich guten Mann heute hier hatten! Was meinst du dazu, Publius Rutilius?«

»Ich meine, du hättest es nicht treffender ausdrücken können.«

Von den ungefähr fünfzig Männern, die sich im Tempel des Jupiter Optimus Maximus verschanzt hatten, gab Lucius Appuleius Saturninus als erster auf, Gaius Saufeius als letzter. Die fünfzehn römischen Bürger unter ihnen wurden in aller Öffentlichkeit auf der rostra in Ketten gelegt. Viele Zuschauer waren nicht gekommen, die große Menge war zu Hause geblieben. Dann wurden die Aufrührer wegen Hochverrat vor ein eigens zu diesem Zwecke einberufenes Gericht gestellt. Die Strafe lautete für alle gleich: Sie sollten vom Tarpeischen Felsen gestürzt werden.

Der Tarpeische Felsen war nur knapp drei Meter hoch, ein Überhang aus Basalt über einem steilen Abgrund, aus dem nadelspitze Gesteinsbrocken emporragten. Der Verurteilte wurde regelrecht aufgespießt.

Die Verräter wurden den Clivus Capitolinus hinaufgeführt, am Tempel des Jupiter Optimus Maximus vorbei zu einem Platz an der Servianischen Mauer vor dem Tempel der Ops. Der Überhang des Tarpeischen Felsens ragte über die Mauer und war vom unteren Forum aus gut sichtbar. Dort erschien plötzlich eine Menschenmenge, die zusehen wollte, wie die Kämpfer des Lucius Appuleius Saturninus in den Tod gingen. Menschen mit leeren Bäuchen - aber heute hatten sie keine Lust, ihren Unmut zu zeigen. Sie wollten nur sehen, wie die Männer vom Tarpeischen Felsen gestürzt wurden, denn so etwas war schon lange nicht mehr vorgekommen. Gerüchteweise hatte sich herumgesprochen, daß mehr als hundert Männer sterben sollten. Niemand in der Menge empfand Liebe oder Mitleid für Saturninus oder Equitius, obwohl jetzt genau dieselben Menschen da unten standen, die den beiden bei der Wahl der Volkstribunen so begeistert zugejubelt hatten. Man munkelte, daß eine Flotte mit Getreide an Bord aus Asien kommen solle - und daß man das Gaius Marius zu verdanken habe. So jubelten sie ein paarmal zu Gaius Marius hinüber; aber was sie wirklich interessierte an diesem römischen Festtag, war das Schauspiel, wie menschliche Körper vom Tarpeischen Felsen in den Abgrund stürzten. Tod in hinreichender Entfernung, eine akrobatische Vorstellung, ein neues Schauspiel.

 

»Solange die Gefühle noch so hohe Wellen schlagen, können wir Saturninus und Equitius nicht vor Gericht stellen«, sagte der Senatsvorsitzende Scaurus zu Marius und Sulla. Sie standen zu dritt auf den Senatstreppen, weit entfernt fielen wild um sich schlagende Männer wie eine Parade kleiner Puppen einer nach dem anderen vom Tarpeischen Felsen ins Nichts.

Marius und Sulla verstanden genau, was Scaurus meinte. Nicht die Menschenmenge auf dem Forum beunruhigte Scaurus, sondern die starken Gefühle, die Wut in seinen Kreisen. Jetzt, wo das Schlimmste vorüber war, wurden viele immer zorniger. Der Haß galt nicht mehr Saturninus’ Anhängern aus dem Pöbel, sondern Saturninus selbst und ganz besonders Lucius Equitius. Die jungen Senatoren und solche, die noch nicht alt genug für dieses Amt waren, standen in einer Gruppe am Rande des Versammlungsplatzes zusammen, in vorderster Reihe der junge Caepio und Metellus das Ferkel. Begierig musterten sie Saturninus und seine Leute auf der rostra.

»Wenn Glaucia aufgibt und sich zu ihnen gesellt, wird es noch schlimmer«, sagte Marius nachdenklich.

»Was für ein schäbiger Haufen!« Scaurus rümpfte die Nase. »Man hätte doch erwarten können, daß wenigstens ein paar von ihnen den ehrenhaften Ausweg wählen und sich in ihre Schwerter stürzen würden! Selbst mein feiger, nichtsnutziger Sohn hat wenigstens das fertiggebracht!«

»Das stimmt«, sagte Marius. »Nun, wir haben jetzt fünfzehn von dieser Sorte - sechzehn, wenn Glaucia herauskommt -, die wir wegen Hochverrat vor Gericht stellen müssen. Und dort drüben stehen ein paar sehr verärgerte Kerle. Sie erinnern mich an ein Rudel Wölfe, das eine Schafherde beäugt.«

»Irgendwo müssen wir Saturninus und seine Genossen für mindestens ein paar Tage unterbringen«, sagte Scaurus. »Bloß wo? Um Roms willen dürfen wir nicht zulassen, daß sie gelyncht werden.«

»Warum nicht?« fragte Sulla. Das war sein erster Beitrag zu diesem Gespräch.

»Das gibt Ärger, Lucius Cornelius. Wir haben ein Blutvergießen auf dem Forum verhindern können, aber die Masse wird in voller Stärke wieder hier erscheinen. Sie wollen sehen, wie der Haufen dort auf der Rednerbühne vor Gericht gestellt wird. Heute lassen sie sich von der Hinrichtung völlig unbedeutender Männer unterhalten, das ist ein Schauspiel für sie. Aber wie können wir sicher sein, daß sie nicht sehr böse werden, wenn wir Lucius Equitius anklagen, zum Beispiel?« fragte Marius nüchtern. »Die Lage ist äußerst verzwickt.«

»Warum konnten sie sich nicht in ihre Schwerter stürzen?« fragte Scaurus sorgenvoll. »Denkt nur, wieviel Ärger sie uns erspart hätten! Selbstmord, das Eingeständnis ihrer Schuld, keine Prozesse, keine Galgen in den Verliesen des Tullianum - es wäre zu gewagt, diese Leute vom Tarpeischen Felsen zu stoßen!«

Sulla stand dabei und hörte zu. Er behielt jedes Wort, obwohl seine Augen gleichzeitig nachdenklich auf dem jungen Caepio und Metellus dem Ferkel ruhten. Aber er sagte kein Wort.

»Nun, um den Prozeß kümmern wir uns, wenn es soweit ist«, sagte Marius. »Inzwischen müssen wir einen sicheren Ort finden, wo wir sie unterbringen können.«

»Die Lautumiae kommen nicht in Frage«, sagte Scaurus sofort. »Der Pöbel könnte aus irgendeinem Grund - oder weil jemand sie angestiftet hat - beschließen, sie zu befreien. Die Zellen dort würden einem solchen Angriff niemals standhalten, selbst wenn alle unsere Liktoren dort Wache stünden. Wegen Saturninus mache ich mir keine Sorgen, aber dieser gräßliche Equitius ist ein Problem. Da muß nur eine dumme Frau anfangen zu jammern und zu klagen, weil der Sohn von Tiberius Gracchus sterben soll, und schon sind wir in Schwierigkeiten.« Er stöhnte. »Und als hätten wir damit nicht genug zu tun - schaut euch die jungen Spunde dort drüben an, wie sie geifern. Am liebsten würden sie Saturninus eigenhändig lynchen.«

»Dann schlage ich vor«, sagte Marius fröhlich, »daß wir Saturninus und seine Bande in der curia hostilia einsperren.«

Der Senatsvorsitzende Scaurus starrte ihn mit offenem Mund an. »Das können wir nicht machen, Gaius Marius!«

»Warum nicht?«

»Verräter im Senatsgebäude einsperren? Das ist - ja, das ist - ja, als brächten wir unseren alten Götter ein Opfer aus Scheiße dar!«

»Sie haben schon den Tempel des Jupiter Optimus Maximus entweiht. Alles, was mit unserer Staatsreligion zu tun hat, muß ohnehin gereinigt werden. Die Curia hat keine Fenster und die besten Türen in ganz Rom. Die andere Möglichkeit wäre, daß wir freiwillig jeweils einen von ihnen in unseren Villen unterbringen - möchtest du Saturninus übernehmen? Nimm ihn, ich nehme Equitius. Quintus Lutatius sollte Glaucia kriegen, schlage ich vor.« Marius grinste.

»Die curia hostilia, das ist eine glänzende Idee«, sagte Sulla und betrachtete weiter nachdenklich den jungen Caepio und Metellus das Ferkel.

Scaurus schüttelte sich angewidert, dann nickte er entschlossen. »Du hast recht, Gaius Marius. Ich fürchte, wir müssen die curia hostilia nehmen.«

»Gut!« sagte Marius. Er klopfte Sulla auf die Schulter, zum Zeichen, daß er gehen solle. Mit einem furchtbar schiefen Lächeln fügte er hinzu: »Ich kümmere mich um die Einzelheiten, Marcus Aemilius. Du kannst inzwischen deinen Freunden, den boni, erklären, warum wir unser hochverehrtes Senatsgebäude als Gefängnis benützen müssen.«

»Welche Ehre, ich danke dir!« sagte Scaurus.

»Nichts zu danken.«

Als alle, auf die es ankam, außer Hörweite waren, blickte Marius Sulla neugierig an. »Was hast du vor?« fragte er.

»Ich weiß nicht, ob ich dich einweihen soll«, sagte Sulla.

»Sei vorsichtig, bitte. Ich möchte nicht, daß du wegen Verrat vor Gericht gezerrt wirst.«

»Ich bin vorsichtig, Gaius Marius.«

Am achten Tag des Dezember hatten Saturninus und seine Mitstreiter aufgegeben, am neunten berief Gaius Marius erneut die Versammlung der Zenturien ein, und die Kandidaten für die kurulischen Ämter stellten sich vor.

Lucius Cornelius Sulla bemühte sich nicht auf die Saepta hinaus, er war zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt. Unter anderem führte er lange Gespräche mit dem jungen Caepio und Metellus dem Ferkel, und er stattete Aurelia einen kurzen Besuch ab, obwohl er von Publius Rutilius Rufus gehört hatte, daß bei ihr alles in Ordnung war und daß Lucius Decumius seine Brüder aus der Taverne vom Forum Romanum ferngehalten hatte.

Am zehnten Tag des Monats sollten die neuen Volkstribunen ihre Ämter antreten, doch zwei von ihnen, Saturninus und Equitius, waren in der curia hostilia eingesperrt. Alle fürchteten, daß die Menschenmassen wieder auftauchen könnten, denn die Vorgänge um die Volkstribunen schienen sie am meisten zu interessieren.

Marius erlaubte zwar nicht, daß seine kleine Armee in voller Kriegsrüstung auf dem Forum Romanum erschien, aber er ließ die Basilica Porcia für die normalen Besucher, Händler und Bankiers, sperren und Waffen und Rüstungen dort lagern. Im untersten Stock, an der Seite, die an das Senatsgebäude grenzte, lagen die Amtsräume der Volkstribunen, und dort sollten sich im Morgengrauen die acht Tribunen versammeln, die nichts mit Saturninus’ Machenschaften zu tun hatten. Die konstituierende Sitzung der Volksversammlung sollte so schnell wie möglich über die Bühne gebracht werden, über die beiden fehlenden Mitglieder sollte kein Wort verloren werden.

Doch noch bevor der Morgen graute - das Forum lag menschenleer da - führten der junge Caepio und Metellus, das fromme Ferkel, ihre Truppe durch das Argiletum auf die curia hostilia zu. Sie hatten den längeren Weg gewählt, weil sie sichergehen wollten, daß keine Wache sie überraschte. Als sie die Curia umstellten, war weit und breit niemand zu sehen.

Sie hatten lange Leitern mitgebracht, die bis an die uralten, fächerartig geformten Ziegel des bröckeligen, mit Flechten überzogenen Dachvorsprungs heranreichten.

»Denkt daran«, ermahnte der junge Caepio seine Truppe, »keiner zückt sein Schwert, hat Lucius Cornelius gesagt. Wir halten uns wortwörtlich an die Befehle von Gaius Marius.«

Einer nach dem anderen kletterten sie die Leitern hinauf, bis sämtliche fünfzig Mann nebeneinander am Rand des Daches kauerten. Das Dach war ziemlich flach, so war es kein allzu unbequemer Platz. Dort hockten sie in der Dunkelheit wie die Hühner auf der Stange und warteten, bis das fahle Licht im Osten von Taubengrau in glänzendes Gold überging und die ersten Sonnenstrahlen vom Esquilin her auf das Dach des Senatsgebäudes krochen und es wärmten. Ein paar Menschen bewegten sich jetzt in den Straßen, aber Caepios Männer hatten die Leitern auf das Dach der Curia gezogen, und so bemerkte niemand etwas Besonderes, weil niemand nach oben schaute.

Und dann gab der junge Caepio das Signal. »Los!« schrie er.

Im Wettlauf mit der Zeit - Lucius Cornelius hatte ihnen eingeschärft, daß es schnell gehen müsse - rissen sie die Ziegel von den Latten aus Eichenholz, die sehr viel massivere Balken aus Zedernholz verbanden. Licht fiel in die Halle unter ihnen, fünfzehn weiße Gesichter starrten eher überrascht als erschreckt zu ihnen herauf. Sobald jeder Mann auf dem Dach einen Haufen Ziegel neben sich hatte, begannen sie, diese Wurfgeschosse durch die Löcher zu schleudern, direkt in die Gesichter. Saturninus ging sofort zu Boden, ebenso Lucius Equitius. Einige Gefangene suchten in den entlegensten Winkeln der Halle Schutz, aber die jungen Männer auf dem Dach hatten schnell zielen gelernt, und mit großer Genauigkeit warfen sie die Ziegel in alle Richtungen. In der Halle gab es keinerlei Mobiliar; die Senatoren brachten ihre eigenen Stühle mit, die Helfer holten ein oder zwei Tische aus den Büroräumen des Senats im angrenzenden Haus am Argiletum. So konnten sich die Gefangenen gegen die Wurfgeschosse nicht schützen, die viel wirksamere Waffen waren, als Sulla geglaubt hatte. Die Ziegel zerbrachen beim Aufprall, die Kanten der Bruchstücke waren messerscharf. Jeder Ziegel wog zehn Pfund.

Als Marius und seine Getreuen - unter ihnen auch Sulla - eintrafen, war alles vorüber. Die Männer kletterten die Leitern hinunter. Dort standen sie ruhig, keiner versuchte zu fliehen.

»Soll ich sie verhaften, Marius?« fragte Sulla.

Marius zuckte zusammen, so tief war er in Gedanken versunken gewesen, als Sullas Frage zu ihm durchdrang. »Nein!« sagte er. »Sie werden nicht fliehen.« Er warf Sulla einen Blick zu, einen verstohlenen, fragenden Seitenblick. Ein Augenzwinkern war ihm Antwort genug.

»Öffnet die Türen«, befahl Marius seinen Liktoren.

Drinnen warf die Morgensonne ihre Strahlen durch aufgewirbelten Staub, der sich langsam setzte. Überall lagen Scherben von Dachziegeln herum, überzogen mit grünen Flechten, die Kanten leuchteten in einem kräftigen Rostrot, fast die Farbe von Blut. Fünfzehn Körper lagen eng zusammengekrümmt, manche mit völlig verrenkten Armen und Beinen, unter den Scherben.

»Du und ich, Senatsvorsitzender«, sagte Marius, »sonst niemand.«

Sie betraten gemeinsam die Halle, bahnten sich ihren Weg von Körper zu Körper und suchten nach Lebenszeichen. Saturninus war so schnell und so hart getroffen worden, daß er nicht einmal Zeit gehabt hatte, die Hände schützend vor das Gesicht zu schlagen. Sein Gesicht lag unter einem Berg von Ziegeln begraben, die blicklosen Augen starrten zum Himmel, die schwarzen Wimpern waren mit dem Staub der Ziegel verklebt. Scaurus beugte sich nieder, um ihm die Augen zu schließen, und zuckte erschreckt zurück. Auf den ausgetrockneten Augäpfeln lag so viel Staub, daß sich die Lider nicht schließen ließen. Lucius Equitius hatte es noch schlimmer getroffen. Kaum eine Stelle seines Körpers, die nicht von einem Dachziegel verletzt war, überall Schnitte und Beulen. Es dauerte lange, bis Marius und Scaurus ihn mit den Händen freigeschaufelt hatten. Saufeius, der in eine der Ecken gerannt war, war von einer Scherbe getötet worden. Offensichtlich war sie vom Boden abgesprungen und hatte sich wie eine große Speerspitze in seinen Hals gebohrt, sein Kopf war fast abgetrennt. Titus Labienus war von einem ganzen Ziegel in der Lendenwirbelsäule getroffen worden. Unterhalb der Stelle, wo seine Wirbelsäule gebrochen war, hatte er nichts mehr gespürt, als er zu Boden ging.

Marius und Scaurus berieten sich.

»Was soll ich mit diesen Dummköpfen dort draußen tun?« fragte Marius.

»Was kannst du tun?«

Marius zog die rechte Hälfte der Oberlippe hoch. »Ach, komm, Senatsvorsitzender! Nimm einen Teil der Last auf deine knochigen, alten Schultern! Du wirst mir nicht von hier verschwinden, das verspreche ich dir. Entweder du unterstützt mich - oder du kannst dich auf einen Kampf einstellen. Was hier geschehen ist, wird im Vergleich dazu dann wie das Bona-Dea-Fest der Frauen aussehen!«

»Schon gut, schon gut«, sagte Scaurus gereizt. »Ich wollte damit nicht sagen, daß ich nicht hinter dir stehe, wenn du schon alles so genau nimmst! Ich wollte doch nur fragen, was du in dieser Situation tun kannst.«

»Das Senatus consultum ermächtigt mich zu tun, was ich für richtig halte. Ich kann jeden einzelnen der mutigen, kleinen Truppe dort draußen verhaften lassen oder sie nach Hause schicken, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Was hältst du für angebracht?«

»Mir schiene es angebracht, sie alle nach Hause zu schicken. Korrekterweise müßte man sie allerdings verhaften und des Mordes an römischen Mitbürgern anklagen. Die Gefangenen waren noch nicht verurteilt und deshalb immer noch römische Bürger, als sie getötet wurden.«

Marius zog die bewegliche Augenbraue nach oben. »Wie soll ich also vorgehen, Senatsvorsitzender? Soll ich tun, was angebracht scheint oder was richtig wäre?«

Scaurus zuckte die Schultern. »Tu, was uns angebracht scheint, Gaius Marius. Das weißt du genausogut wie ich. Sonst treibst du einen Keil so tief in das Herz von Rom, daß die ganze Welt zusammen mit unserer Stadt daran zugrunde gehen könnte.«

Sie traten gemeinsam hinaus und blieben auf den Senatstreppen stehen. Die Gesichter in ihrer unmittelbaren Nähe konnten sie sehen, dahinter standen ein paar Dutzend Menschen, das Forum Romanum lag menschenleer, sauber und verschlafen in der Morgensonne.

»Hiermit verkünde ich eine Generalamnestie!« schrie Gaius Marius, so laut er konnte. »Geht nach Hause, ihr jungen Männer«, sagte er zu dem jungen Caepio und seinen Männern. »Ihr seid wie alle anderen von der Strafverfolgung befreit.« Dann wandte er sich wieder der größeren Gruppe seiner Zuhörer zu. »Wo sind die Volkstribunen? - Sie sind hier? Gut! Dann beruft eure Versammlung ein, heute ist die große Masse nicht hier. Als erstes müssen zwei weitere Volkstribunen gewählt werden. Lucius Appuleius Saturninus und Lucius Equitius sind tot. Du, oberster Liktor, hole deine Kameraden und die Staatssklaven, ihr räumt in der curia hostilia auf. Übergebt die Leichen den Angehörigen, damit sie anständig begraben werden können. Sie waren für ihre Verbrechen nicht verurteilt, deshalb sind sie immer noch römische Bürger von vornehmer Abkunft.«

Marius schritt die Treppen hinunter und bestieg die rostra, denn als erster Konsul leitete er auch die Feierlichkeiten zur Amtseinführung der neuen Volkstribunen. Wäre er aus patrizischem Geschlecht gewesen, hätte sein Mitkonsul das tun müssen. Mindestens einer der Konsuln mußte immer Plebejer sein, damit er Zugang zum concilium plebis hatte.

Und dann geschah es. Die Nachrichtenübermittlung von Mund zu Mund mußte wie immer gut funktioniert haben, mit der Geschwindigkeit des Lichts hatten sich die Ereignisse herumgesprochen. Das Forum füllte sich mit Menschen, Tausende und Abertausende strömten herbei - vom Esquilin, Caelius, Viminal, Quirinal, Palatin, Aventin, aus der Subura. Dieselbe Menschenmenge, das erkannte Gaius Marius auf den ersten Blick, die sich bei der Wahl der Volkstribunen auf dem Forum gedrängt hatte.

Jetzt, wo das Schlimmste vorüber war, kehrte Frieden in Marius’ Herz ein. Er blickte über das Meer von Menschen und sah, was Lucius Appuleius Saturninus gesehen hatte: eine Quelle der Macht, noch ungenutzt, ohne die Arglist und Tücke, die mit Erfahrung und Bildung kamen. Die Menschen glaubten bereitwillig jedem leidenschaftlichen Demagogen, sie ließen sich von jedem Redner mit Charisma überzeugen, sie folgten jedem Führer wie eine Herde. Das ist nichts für mich, dachte Gaius Marius. Erster Mann in Rom zu sein und dabei von den Launen der Masse abhängig, das ist kein Triumph. Ich war gerne der Erste Mann in Rom, im alten Stil, auf dem harten Weg: im ständigen Kampf gegen die Vorurteile und die Ungeheuerlichkeiten, die mir auf dem cursus honorum begegneten.

Doch einmal, schloß Gaius Marius seine Gedanken schadenfroh, möchte ich dem Senatsvorsitzenden Scaurus, Catulus Caesar, dem pontifex maximus Ahenobarbus und dem Rest der boni noch zeigen, was sie erwartet hätte, wenn ich Saturninus’ Weg gewählt hätte: Dann lägen nämlich sie jetzt alle in der curia hostilia unter Dachziegeln begraben. Mit einer Hand würde ich Rom regieren! Ich bin im Vergleich zu Saturninus so wie Jupiter im Vergleich zu Cupido.

Er trat an den Rand der Rednerbühne, näher zum unteren Forum als zum Versammlungsplatz der Komitien. Mit ausgebreiteten Armen schien er die Menge umarmen zu wollen wie ein Vater seine Kinder. »Volk von Rom, geht zurück in eure Häuser!« donnerte er. »Die Krise ist vorüber. Rom ist gerettet. Und ich, Gaius Marius, kann euch mit großer Freude ankündigen, daß gestern eine Flotte von Getreideschiffen im Hafen von Ostia eingelaufen ist. Die Lastkähne kommen heute flußaufwärts, ab morgen wird es Korn aus den staatlichen Speichern auf dem Aventin geben, zum Preis von einem Sesterz pro Scheffel, zu dem Preis, den Lucius Appuleius Saturninus’ Getreidegesetz festgelegt hat. Nun, Lucius Appuleius ist tot, sein Gesetz ist ungültig. Ich, Gaius Marius, der Konsul von Rom, gebe euch das Korn! Der billige Preis wird so lange gelten, wie ich noch im Amt bin, das heißt noch neunzehn Tage. Danach müssen die neuen Magistrate entscheiden, wieviel ihr zu bezahlen habt. Der Preis von einem Sesterz ist mein Abschiedsgeschenk an euch, Volk von Rom! Ich liebe euch, ich habe für euch gekämpft, und ich habe für euch gesiegt! Vergeßt das niemals, niemals! Lang lebe - Rom!«

In einer Woge des Jubels stieg er mit erhobenen Armen von der Rednerbühne. Das wilde, verzerrte Grinsen auf seinem Gesicht paßte zum Abschiednehmen mit seiner guten und seiner schlechten Seite.

Catulus Caesar stand da wie angewurzelt. »Hast du das gehört, Scaurus?« stieß er hervor. »Er hat gerade neunzehn Tagesrationen Korn verschenkt - in seinem Namen! Das kostet die Staatskasse Tausende von Talenten! Wie kann er es wagen!«

»Willst du dich vielleicht auf die rostra stellen und ihm widersprechen, Quintus Lutatius?« grinste Sulla. »Wo doch deine jungen Getreuen dort drüben ihre Freiheit behalten haben?«

»Verflucht sei er!« Catulus Caesar war den Tränen nahe.

Scaurus brach in schallendes Gelächter aus. »Er hat es uns wieder gegeben, Quintus Lutatius!« sagte er, sobald er wieder sprechen konnte. »Ein Mann wie ein Erdbeben. Er hat es uns gezeigt, und wir müssen die Rechnung bezahlen. Ich verabscheue ihn - aber, bei allen Göttern, ich liebe ihn auch!« Und er schüttelte sich wieder vor Lachen.

»Es gibt Zeiten, Marcus Aemilius Scaurus, da verstehe ich nicht im mindesten, was für ein Mensch du bist!« Catulus Caesar stolzierte in seinem besten Kamelgang davon.

»Wohingegen ich, Marcus Aemilius Scaurus, euch alle nur zu gut verstehe«, sagte Sulla, der noch heftiger als Scaurus lachen mußte.

Glaucia stürzte sich in sein Schwert, Marius weitete die Amnestie auf Gaius Claudius und seine Anhänger aus, und Rom atmete auf. Der Kampf auf dem Forum schien endgültig vorüber. Aber dem war nicht so. Die beiden Söhne von Lucullus klagten Gaius Servilius Augur des Hochverrats an, und erneut kam es zu Gewalttätigkeiten. Unter den Senatoren ging es hoch her, denn der Fall spaltete die Konservativen. Catulus Caesar, der Senatsvorsitzende Scaurus und ihre Anhänger standen unverrückbar auf der Seite der Brüder Lucullus, der pontifex maximus Ahenobarbus und Crassus Orator waren durch Freundschaftsbande und Protektion mit Servilius Augur verbunden.

Die Menschen, die während der Ereignisse um Saturninus so unerwartet auf dem Forum aufgetaucht waren, blieben verschwunden, aber die üblichen Besucher des Forums erschienen wieder so zahlreich wie früher und beobachteten den Prozeß. Die Jugend und die Leidenschaft der beiden Lucullus-Brüder zogen sie an. Das wußten die beiden, und sie waren fest entschlossen, die Sympathie der Zuschauer auf jede mögliche Weise für sich auszunutzen. Varro Lucullus, der jüngere Bruder, hatte erst wenige Tage vor dem Prozeß die Toga des Mannesalters angelegt. Weder er noch Lucius Lucullus, der achtzehn Jahre alt war, mußten sich schon rasieren. Ihre Agenten, die sie klug in der Menge verteilt hatten, wisperten überall herum, die beiden armen Knaben hätten soeben die Nachricht erhalten, daß ihr Vater im Exil gestorben sei - und nun liege es ganz allein an ihnen, diesen beiden bemitleidenswerten Knaben, die Ehre, die dignitas, die edle Abkunft der Familie der Licinus Lucullus zu verteidigen.

Die Geschworenen, alle aus dem Ritterstand, hatten schon im voraus beschlossen, sich auf die Seite von Servilius Augur zu stellen, denn er war ein Ritter wie sie, dank der Unterstützung seines Gönners Ahenobarbus saß er im Senat. Schon bei der Wahl der Richter war es zu Gewalttätigkeiten gekommen, denn Servilius Augur hatte ehemalige Gladiatoren angeheuert, die den Prozeß verhindern sollten. Aber die schnelle, kleine Truppe junger Adliger unter der Führung von Caepio und Metellus, dem braven Ferkel, trieb die Muskelmänner vom Platz, einer wurde dabei getötet. Die Richter verstanden die Botschaft und entdeckten ihr Mitgefühl für die Brüder Lucullus.

»Sie werden Servilius verurteilen«, sagte Marius, der mit Sulla dabeistand und die Geschehnisse genau beobachtete.

»Das werden sie, in der Tat«, sagte Sulla, der von dem älteren der beiden Brüder, Lucius Lucullus, fasziniert war. »Großartig!« rief er aus, als der junge Lucullus seine Rede beendet hatte. »Er gefällt mir, Gaius Marius!«

Aber Marius war unbeeindruckt. »Er ist genauso hochnäsig und überheblich wie sein Vater.«

»Es ist bekannt, daß du Servilius Augur unterstützt«, sagte Sulla steif.

Dieser Pfeil hatte getroffen, aber Marius grinste nur. »Ich würde einen tingitanischen Affen unterstützen, wenn er den Gefolgsleuten unseres abwesenden Metellus Schweinebacke das Leben schwermachte, Lucius Cornelius.«

»Der Augur Servilius ist ein tingitanischer Affe«, sagte Sulla.

»Ich stimme dir zu. Er wird verlieren.«

Marius behielt recht. Die Richter verurteilten Servilius nach einem Seitenblick auf Caepios Bande einstimmig, obwohl die leidenschaftlichen Plädoyers seiner Verteidiger Crassus Orator und Mucius Scaevola sie zu Tränen gerührt hatten.

Es war keine Überraschung, daß der Prozeß in einem Kampf endete. Marius und Sulla schauten aus gebührender Entfernung zu und hatten ihren Spaß daran, als Ahenobarbus dem frohlockenden Catulus Caesar einen Schlag auf den Mund verpaßte.

»Pollux und Lynkeus!« sagte Marius. Erfreut beobachteten sie, wie die beiden eine ernsthafte Schlägerei begannen. »Oh, gib’s ihm, Quintus Lutatius Pollux!« röhrte er.

»Keine schlechte Anspielung auf die Klassiker, wo die Ahenobarber doch immer behaupten, Pollux habe ihnen rote Tinte in ihre Bärte gegossen«, sagte Sulla. In diesem Moment landete Catulus Caesar einen gut gezielten Schlag, und Blut strömte aus Ahenobarbus’ Nase und Mund.

»Hoffentlich ist das die letzte Prügelei auf dem Forum«, sagte Marius und wandte sich ab, denn es war offensichtlich, daß Ahenobarbus den kürzeren ziehen würde. »Zumindest für dieses schreckliche Jahr.«

»Hm, ich weiß nicht, Gaius Marius. Uns steht noch die Wahl der Konsuln bevor.«

»Zum Glück findet die nicht auf dem Forum statt.«

 

Zwei Tage später feierte Marcus Antonius seinen Triumph, und wiederum zwei Tage später wurde er für das kommende Jahr zum ersten Konsul gewählt. Sein Mitkonsul war niemand anderer als Aulus Postumius Albinus, dessen Einmarsch in Numidien vor zehn Jahren den Krieg gegen Jugurtha ausgelöst hatte.

»Die Wähler sind solche Arschlöcher!« sagte Marius erregt zu Sulla. »Als zweiten Konsul haben sie einen Mann gewählt, der geradezu ein Paradebeispiel ist für großen Ehrgeiz, gepaart mit absoluter Unfähigkeit in jeder Beziehung. Was soll’s! Ihr Gedächtnis ist so kurz wie ihre Schwänze!«

»Tja, es ist schon was dran an dem Satz, daß Verstopfung zu geistiger Verblödung führt.« Sulla grinste, obwohl ihm gar nicht zum Lächeln zumute war. Er wollte im nächsten Jahr für das Amt des Prätors kandidieren, aber heute spürte er in der Zenturienversammlung eine Stimmung, die marianischen Kandidaten für die Zukunft nichts Gutes verhieß. Doch wie soll ich mich von diesem Mann trennen, der so viel für mich getan hat? fragte er sich unglücklich.

»Wenigstens wird es ein eintöniges Jahr, und Aulus Albinus kann nicht viel kaputtmachen, glücklicherweise«, fuhr Marius fort, von Sullas geheimen Gedanken hatte er keine Ahnung. »Zum ersten Mal seit einer langer Zeit hat Rom keine nennenswerten Feinde. Wir können uns ausruhen. Und Rom kann sich ausruhen.«

Sulla riß sich zusammen. Er wollte nicht mehr an das Amt des Prätors denken, denn das war, wie er wußte, eine Illusion. »Was ist mit der Prophezeiung?« fragte er unvermittelt. »Martha hat ausdrücklich gesagt, du würdest siebenmal Konsul von Rom sein.«

»Ich werde siebenmal Konsul sein, Lucius Cornelius.«

»Du glaubst daran.«

»Ja.«

Sulla seufzte. »Ich wäre schon froh, wenn ich nur Prätor würde.«

Mit einer Gesichtslähmung lassen sich wunderbar spöttische Laute erzeugen, und einen solchen Laut gab Marius nun von sich. »Quatsch!« sagte er energisch. »Du bist der geborene Konsul, Lucius Cornelius. Und eines Tages wirst du der Erste Mann in Rom sein.«

»Ich danke dir für dein Vertrauen, Gaius Marius«, Sulla lachte ein wenig gequält mit, fast so wie Marius selbst. »Immerhin, bedenkt man den Altersunterschied zwischen uns, werde ich wohl kaum mit dir um den Titel konkurrieren«, sagte er.

Marius lachte. »Das wäre ein Kampf der Titanen! Aber die Gefahr besteht nicht«, entgegnete Marius mit großer Überzeugung.

»Wenn du dich aus dem Amt zurückziehst und das Haus nicht mehr betrittst, wirst du nicht länger der Erste Mann in Rom sein, Gaius Marius.«

»Ja, das stimmt. Aber, Lucius Cornelius, ich hatte eine gute Zeit. Und sobald diese schrecklichen Heimsuchungen vorbei sind, stehe ich wieder auf der Tribüne.«

»Und in der Zwischenzeit, wer soll da der Erste Mann in Rom sein?« fragte Sulla. »Scaurus? Catulus?«

»Nemo!« brüllte Marius und lachte schallend. »Niemand! Das ist der größte Spaß. Niemand von denen kann in meine Fußstapfen treten!«

Sulla fiel in das Lachen ein. Er legte den Arm um Marius’ Schultern, drückte ihn herzlich, und Arm in Arm machten sie sich auf den Heimweg von der Saepta. Vor ihnen erhob sich der kapitolinische Hügel, ein breiter Strahl kühler Herbstsonne fiel auf den von vier Pferden gezogenen Wagen der Siegesgöttin, der auf dem Giebeldreieck des Tempels des Jupiter Optimus Maximus stand. Die Sonnenstrahlen spiegelten sich in der Vergoldung und tauchten ganz Rom in gleißendes Gold.

»Mir brennen die Augen!« rief Sulla in echtem Schmerz. Aber er konnte die Augen nicht abwenden.

FINIS