Das dritte Jahr
(108 v.Chr.)

Unter den Konsuln
SERVIUS SULPICIUS GALBA und QUINTUS HORTENSIUS

Mit dem Beginn der winterlichen Regenzeit kam der Krieg gegen Numidien - soweit er bisher überhaupt gediehen war - vollends zum Stillstand. Römer und Numider bezogen ihre Winterquartiere. Gaius Marius hatte den Brief seines Schwiegervaters Caesar erhalten und machte sich Gedanken über den Inhalt. Er fragte sich, ob der Konsul Quintus Caecilius Metellus Schweinebacke wußte, daß er im neuen Jahr die Ernennung zum Prokonsul und eine Verlängerung seines Kommandos erhalten würde und daß ihm über kurz oder lang ein Triumph sicher war. Auch zum Sieg der Germanen über Marcus Junius Silanus und den Verlust so vieler Soldaten hatte im Hauptquartier des Statthalters in Utika noch niemand ein Wort verloren.

Aber das hieß natürlich nicht, dachte Marius verärgert, daß Metellus diese Tatsachen nicht längst bekannt waren. Es hieß nur, daß der erste Legat Gaius Marius wie üblich als letzter davon erfuhr. Dem armen Publius Rufus war die Aufgabe zugewiesen worden, die Winterlager an der Grenze zu überwachen, und dort war er von allen Neuigkeiten abgeschnitten. Gaius Marius, der zum Dienst nach Utika berufen worden war, hatte sich als Untergebener von Metellus Schweinebackes Sohn wiedergefunden. Dieser junge Mann, ganze zwanzig Jahre alt und Offiziersanwärter im persönlichen Stab seines Vaters, genoß sichtlich die Aufgabe, die Garnison von Utika zu befehligen und ihre Verteidigung zu organisieren. Marius mußte sich jetzt mit jeder Kleinigkeit, die mit der militärischen Planung von Utika zu tun hatte, an das unerträglich arrogante Ferkel wenden, wie der junge Metellus bald genannt wurde - und nicht nur von Marius. Marius war aber nicht allein für die Festung Utika zuständig, er mußte darüber hinaus all die Aufgaben erledigen, um die sich der Statthalter drücken wollte - Pflichten, die eher ein Quästor als ein erster Legat übernehmen sollte.

Im Winterlager gingen die Wogen der Gefühle hoch, und Marius’ Selbstbeherrschung schwand rasch, vor allem seit der junge Metellus sich einen Spaß daraus machte, Marius zu ärgern. Nachdem das Ferkel gemerkt hatte, daß solche Scherze auch seinem Vater gefielen, gab es für ihn kein Halten mehr. Nach der Schlacht am Fluß Muthul, bei der die römischen Truppen nur knapp einer Niederlage entronnen waren, hatten Rutilius Rufus und Marius nicht mit Kritik an ihrem Feldherrn gespart, und Marius hatte Metellus ins Gesicht gesagt, daß sie den Krieg in Numidien nur gewinnen würden, wenn es gelänge, Jugurtha gefangenzunehmen.

»Wie soll ich das machen?« hatte Metellus gefragt. Von seiner ersten Schlacht war er immerhin so weit ernüchtert, daß er zuhörte.

»Mit List«, hatte Rutilius Rufus geantwortet.

»Mit was für einer List?«

»Das«, hatte Gaius Marius abschließend gesagt, »wirst du allein herausfinden müssen, Quintus Caecilius.«

Aber jetzt, da alle wieder sicher in der Provinz Africa saßen und die Langeweile verregneter Tage und alltäglicher Pflichten ertragen mußten, hüllte sich Metellus in Schweigen. Zumindest hatte er so lange geschwiegen, bis es ihm gelungen war, Verbindung zu einem numidischen Adligen namens Nabdalsa aufzunehmen. Bei dem Gespräch mit Nabdalsa wollte er Marius unbedingt dabeihaben.

»Warum?« fragte Marius barsch. »Kannst du deine Dreckarbeit nicht alleine machen, Quintus Caecilius?«

»Glaub mir, Gaius Marius«, fauchte Metellus, »wenn Publius Rutilius hier wäre, würde ich dich nicht bemühen! Aber du kennst Jugurtha im Gegensatz zu mir, und das heißt vermutlich, daß du besser weißt als ich, was im Kopf eines Numiders vor sich geht. Ich will nur, daß du dabeisitzt, diesen Nabdalsa beobachtest und mir anschließend sagst, was du von ihm hältst.«

»Es überrascht mich, daß du mir so viel Vertrauen schenkst und damit rechnest, daß ich dir ehrlich meine Meinung sage«, erwiderte Marius.

Metellus zog verblüfft die Augenbrauen hoch. »Du bist hier, um gegen Numidien zu kämpfen, Gaius Marius. Warum solltest du mir nicht ehrlich deine Meinung sagen?«

»Dann hol den Burschen herein, Quintus Caecilius, und ich werde mein Bestes tun.«

Marius wußte einiges über Nabdalsa, obwohl er ihm noch nie begegnet war. Nabdalsa war Anhänger eines legitimen Anwärters auf den numidischen Thron, des Prinzen Gauda. Dieser lebte zu jener Zeit umgeben von königlicher Pracht in der blühenden Stadt, die unweit von Utika an der Stelle des alten Karthago entstanden war. Nabdalsa war also von Prinz Gauda gekommen und wurde von Metellus zu einer frostigen Audienz empfangen.

Metellus weihte ihn in seine Überlegungen ein: Der beste und schnellste Weg, die numidische Frage zu lösen und Prinz Gauda auf den Thron zu bringen, sei die Gefangennahme von Jugurtha. Hatten Prinz Gauda - oder Nabdalsa - eine Idee, wie man sich Jugurthas bemächtigen könnte?

»Am besten mit Hilfe von Bomilkar, Dominus«, sagte Nabdalsa.

Metellus starrte ihn ungläubig an. »Bomilkar? Aber er ist doch Jugurthas Halbbruder, sein treuester Gefolgsmann!«

»Im Augenblick sind die Beziehungen zwischen ihnen etwas gespannt«, sagte Nabdalsa.

»Warum?« fragte Metellus.

»Es geht um die Thronfolge, Dominus. Bomilkar möchte für den Fall, daß Jugurtha etwas zustößt, zum Regenten bestimmt werden. Aber Jugurtha will nichts davon hören.«

»Zum Regenten, nicht zum Erben?«

»Bomilkar weiß, daß er niemals Erbe werden kann, Dominus. Jugurtha hat zwei Söhne. Allerdings sind sie noch sehr klein.«

Metellus runzelte die Stirn und versuchte die Gedankengänge eines Mannes nachzuvollziehen, der aus einer ihm fremden Welt kam. »Warum ist Jugurtha dagegen? Ich hätte gedacht, Bomilkar wäre ein idealer Kandidat.«

»Es ist wegen der Abstammung, Dominus«, sagte Nabdalsa. »Baron Bomilkar ist kein Nachfahr König Massinissas, und deshalb ist er nicht von königlichem Geblüt.«

»Ich verstehe.« Metellus richtete sich auf. »Also gut, sieh zu, was du tun kannst. Versuche Bomilkar davon zu überzeugen, daß er sich mit Rom verbünden muß.« Er wandte sich an Marius. »Wie erstaunlich. Man sollte denken, ein Mann, der nicht hochgeboren genug ist, den Thron zu beanspruchen, sei der ideale Anwärter für eine Regentschaft.«

»Bei uns wäre es so«, sagte Marius, »aber in Jugurthas Reich käme das einer Aufforderung gleich, Jugurthas Söhne zu ermorden. Denn wie könnte Bomilkar den Thron besteigen und eine neue Dynastie begründen, solange Jugurthas Söhne am Leben sind?«

Metellus wandte sich wieder an Nabdalsa. »Vielen Dank, Baron Nabdalsa. Du kannst gehen.«

Aber Nabdalsa zögerte noch. » Dominus«, sagte er, »ich möchte dich um einen kleinen Gefallen bitten.«

»Und der wäre?« fragte Metellus ganz und gar nicht erfreut.

»Prinz Gauda möchte dich gerne kennenlernen und fragt sich schon geraume Zeit, warum er noch keine Gelegenheit dazu hatte. Dein Jahr als Statthalter der Provinz Africa ist beinahe vorüber, und noch immer wartet Prinz Gauda auf eine Einladung von dir.«

»Wenn er mich kennenlernen möchte, was hält ihn dann davon ab?« fragte Metellus verständnislos.

»Er kann nicht einfach herkommen, Quintus Caecilius«, sagte Marius. »Du mußt eine formelle Einladung aussprechen.«

»Ach so! Wenn es weiter nichts ist, werde ich eine Einladung aussprechen«, sagte Metellus und verbiß sich ein amüsiertes Lächeln.

Und nachdem die Einladung tatsächlich am nächsten Tag zu Papier gebracht worden war, so daß Nabdalsa sie persönlich nach Karthago mitnehmen konnte, kam Prinz Gauda, um den Statthalter huldvoll zu begrüßen.

Es wurde keine erfreuliche Zusammenkunft. Gauda und Metellus waren so verschieden, wie zwei Männer nur verschieden sein können. Gauda war schwach, kränklich und nicht sehr intelligent und benahm sich auf eine Weise, die er seinem Stand für angemessen, Metellus jedoch nur für unerträglich hochmütig hielt. Seit Metellus gehört hatte, daß es einer Einladung bedurfte, bevor der Prinz ihn besuchen konnte, rechnete er damit, daß der königliche Gast aus Karthago demütig, ja sogar unterwürfig auftreten würde. Mitnichten. Gauda eröffnete die Unterredung mit einem Wutausbruch, weil Metellus sich zu seiner Begrüßung nicht erhoben hatte, und beendete die Audienz nur wenig später, indem er hinausstolzierte und den Statthalter einfach sitzenließ.

»Ich bin eine königliche Hoheit!« brüllte Gauda draußen Nabdalsa an.

»Das wissen alle, Hoheit«, sagte Nabdalsa mit einer tiefen Verbeugung. »Aber die Römer haben ein seltsames Verhältnis zu Königen. Sie fühlen sich ihnen überlegen, weil sie ihre Könige vor vielen hundert Jahren vertrieben haben und sich seither selbst regieren.«

»Von mir aus können sie verehren, wen sie wollen!« So leicht beruhigte sich Gauda nicht, dafür hatte man ihn zu sehr verletzt. »Ich bin der legitime Sohn meines Vaters, Jugurtha ist nur ein Bastard! Und wenn ich bei diesen Römern erscheine, dann sollen sie sich gefälligst zu meiner Begrüßung erheben, einen Thron für mich aufstellen und mir ihre hundert besten Soldaten als Leibwache mitgeben!«

»Ganz recht«, pflichtete Nabdalsa seinem Herrscher bei. »Ich werde Gaius Marius aufsuchen. Vielleicht kann er Quintus Caecilius zur Vernunft bringen.«

Jeder Numider kannte die Namen Gaius Marius und Publius Rutilius Rufus, denn Jugurtha hatte ihren Ruhm überall verbreitet, als er damals aus Numantia zurückgekehrt war, und er hatte beide bei seinem letzten Besuch in Rom oft aufgesucht.

»Dann geh zu Gaius Marius«, sagte Gauda und zog sich zutiefst beleidigt nach Karthago zurück, wo er über das Unrecht nachgrübelte, das ihm Metellus im Namen Roms zugefügt hatte. Nabdalsa suchte inzwischen unauffällig ein Gespräch mit Gaius Marius.

»Ich werde tun, was ich kann, Baron«, seufzte Marius.

»Dafür wäre ich dir sehr dankbar, Gaius Marius«, sagte Nabdalsa überschwenglich.

Marius grinste. »Dein königlicher Herr läßt dich dafür büßen, wie?«

Nabdalsa antwortete mit einem vielsagenden Blick.

»Das eigentliche Problem, mein Freund, ist Quintus Caecilius. Er meint, er sei von unendlich edlerem Blut als jeder numidische Prinz. Ich bezweifle stark, daß irgend jemand - geschweige denn ich - ihn dazu bewegen kann, sein Verhalten zu ändern. Aber ich werde es versuchen, denn ich möchte dich frei wissen, damit du Bomilkar aufsuchen kannst. Es gibt entschieden wichtigere Dinge als Streitereien zwischen Statthaltern und Prinzen«, sagte Marius.

»Die syrische Prophetin sagt, daß die Familie Caecilius Metellus langsam, aber sicher ihrem Untergang entgegengeht«, bemerkte Nabdalsa nachdenklich.

»Die syrische Prophetin?«

»Eine Frau namens Martha«, fuhr der Numider fort. »Prinz Gauda hat sie in Karthago aufgelesen. Offenbar hat sie dort vor etlichen Jahren ein Schiffskapitän zurückgelassen, der glaubte, sie habe sein Schiff verflucht. Zuerst sind nur die Armen zu ihr gelaufen, aber jetzt ist sie sehr berühmt, und der Prinz hat sie an seinen Hof geholt. Sie hat prophezeit, daß Prinz Gauda eines Tages tatsächlich König von Numidien wird, wenn Jugurtha gestürzt ist. Aber bis zu Jugurthas Sturz werde es noch einige Zeit dauern, sagt sie.«

»Und was ist mit der Familie Caecilius Metellus?«

»Sie behauptet, die ganze Familie Caecilius Metellus habe den Höhepunkt ihrer Macht überschritten, und sowohl die Anzahl ihrer Mitglieder als auch ihr Reichtum würden schrumpfen. Andere würden in Zukunft größer sein - so auch du, Dominus

»Ich möchte diese syrische Prophetin sehen«, sagte Marius.

»Das läßt sich einrichten. Aber dafür mußt du nach Karthago kommen, denn sie verläßt Prinz Gaudas Haus nicht«, entgegnete Nabdalsa.

Eine Audienz bei Martha, der syrischen Prophetin, erforderte zuerst eine Audienz bei Prinz Gauda. Ergeben hörte sich Marius die Litanei der Klagen über Metellus an und gab Versprechen, von denen er nicht die leiseste Ahnung hatte, wie er sie halten sollte.

»Du kannst versichert sein, Hoheit, daß ich, sobald es mir möglich ist, dafür sorgen werde, daß du mit all dem Respekt und all der Ehrerbietung behandelt wirst, auf die du deiner Herkunft gemäß Anspruch hast«, sagte Marius und verbeugte sich so tief, daß er fast den Boden berührte.

»Dieser Tag wird kommen!« verkündete Gauda selbstsicher und grinste. Dabei entblößte er eine Reihe sehr schlechter Zähne. »Martha sagt, du wirst der Erste Mann in Rom sein, und es wird nicht mehr lange dauern. Aus diesem Grund, Gaius Marius, möchte ich mich unter deine Klienten einreihen, und ich werde dafür sorgen, daß meine Anhänger in der römischen Provinz Africa meinem Beispiel folgen. Mehr noch, wenn ich erst König von Numidien bin, wird ganz Numidien deine Klientel sein.«

Marius hörte zu, und sein Erstaunen wuchs mit jedem Satz. Ihm, einem einfachen Prätor, wurden Klienten angetragen, die sich ein Caecilius Metellus vergebens wünschte! Er mußte diese Martha, die syrische Prophetin, unbedingt kennenlernen!

Nur wenige Augenblicke später bot sich ihm die Gelegenheit, denn Martha hatte den Wunsch geäußert, Gaius Marius zu sehen, und Gauda hatte Marius zu ihrer Wohnung in der riesigen Villa geführt, die hin vorläufig als Palast diente. Marius wartete in Marthas Wohnzimmer. Ein rascher Blick in die Runde überzeugte ihn, daß sie tatsächlich hoch in Ehren gehalten wurde, denn die Wohnung war prachtvoll eingerichtet. Marius konnte sich nicht erinnern, schon jemals so herrliche Wandgemälde und so prachtvolle Bodenmosaike gesehen zu haben.

Martha erschien in schimmernden, purpurnen Gewändern, ein weiteres Zeichen der Ehre, denn eine Frau, die nicht von Adel war, durfte normalerweise keine Purpurgewänder tragen. Und von adeliger Herkunft war sie ganz gewiß nicht. Sie war eine kleine, verschrumpelte, magere alte Frau, die nach abgestandenem Urin stank und deren Haare vor Dreck starrend vom Kopf abstanden, als wären sie jahrelang nicht gewaschen worden. Sie sah fremd aus mit ihrer großen, gebogenen, schmalen Nase in dem Gesicht mit den tausend Fältchen und ihren schwarzen Augen, die so scharf und stolz und wachsam blickten wie die Augen eines Adlers. Ihre herabhängenden Brüste erinnerten an zwei leere Socken, die an der Spitze mit Kieseln gefüllt sind, und baumelten sichtbar unter dem dünnen Hemd aus tyrischem Purpur, das ihr knapp bis zur Taille reichte. Um die Hüften hatte sie einen Purpurschal geschlungen. Ihre Hände und Füße waren mit Henna tief dunkelrot gefärbt, und beim Gehen klimperten Dutzende von Glöckchen, Armbändern, Ringen und Kinkerlitzchen an ihrem Körper, alle aus echtem Gold. Ein Kamm, ebenfalls aus echtem Gold, hielt an ihrem Hinterkopf einen Gazeschleier aus tyrischem Purpur fest, der ihr schlaff auf den Rücken fiel wie eine Fahne bei Windstille.

»Setz dich, Gaius Marius«, sagte sie und zeigte mit einer langen Kralle auf einen Stuhl. An dem knorrigen Finger blitzten etliche Ringe.

Marius tat, wie ihm geheißen, unfähig, den Blick von Marthas altem, sonnengebräuntem Gesicht zu wenden. »Prinz Gauda hat mir erzählt, du habest prophezeit, ich würde der Erste Mann in Rom werden«, begann er und mußte sich räuspern. »Ich würde gern mehr darüber hören.«

Sie brach in ein meckerndes Gelächter aus, wie man es oft von alten Frauen hört, und zeigte dabei ihren Gaumen, der bis auf einen gelben Schneidezahn zahnlos war. »Das will ich wohl glauben«, rief sie und klatschte in die Hände. Ein Diener kam. »Bring uns einen Tee aus getrockneten Blättern und ein paar von den kleinen Kuchen, die ich so gerne mag«, befahl sie. Dann wandte sie sich an Gaius Marius: »Es wird nicht lange dauern. Wenn der Tee und der Kuchen da sind, werden wir reden. Bis dahin werden wir schweigen.«

Da Marius sie nicht verärgern wollte, saß er schweigend da, wie sie es ihm befohlen hatte, und als das dampfende Getränk kam, trank er einen Schluck aus der Tasse, die sie ihm reichte. Er schnupperte mißtrauisch, seine Sinne waren wachsam. Das Gebräu schmeckte gar nicht so schlecht, aber da er nicht an heiße Getränke gewöhnt war, verbrannte er sich die Zunge und stellte die Tasse weg. Martha war offenbar eine Kennerin. Genüßlich nahm sie so kleine Schlucke wie ein Vogel aus ihrer Tasse und ließ sie mit einem hörbaren Laut des Wohlgefallens hinuntergluckern.

»Ein köstliches Getränk, aber du trinkst wahrscheinlich lieber Wein.«

»Ganz und gar nicht«, murmelte er höflich.

»Nimm einen Kuchen«, nuschelte sie mit vollem Mund.

»Vielen Dank, aber lieber nicht.«

»Schon gut, schon gut, ich verstehe den Wink mit dem Zaunpfahl«, sagte sie und spülte ihren Mund mit einem weiteren Schluck der heißen Flüssigkeit leer. Gebieterisch streckte sie eine Klaue aus: »Gib mir deine rechte Hand.«

Er gab sie ihr, und sie packte sie fest.

»Dir ist eine große Zukunft beschieden, Gaius Marius«, sagte sie, während ihre Augen neugierig über die vielen Linien in seiner Hand huschten. »Was für eine Hand! Sie gibt allem Gestalt, was sie anfaßt. Und was für eine Kopflinie! Sie regiert dein Herz, sie regiert dein Leben, sie regiert alles - bis auf die Spuren der Zeit, Gaius Marius, und ihnen kann niemand widerstehen. Aber du wirst vielem widerstehen, dem andere Menschen unterliegen. Da ist eine schreckliche Krankheit... Aber du wirst sie überstehen, wenn sie das erste Mal kommt, und sogar beim zweiten Mal... Es gibt Feinde, Feinde in Scharen... Aber du wirst sie besiegen... Du wirst Konsul werden in dem Jahr nach dem Jahr, das gerade beginnt, also im nächsten Jahr... Und danach wirst du noch sechsmal Konsul werden... Siebenmal wirst du insgesamt Konsul sein, und man wird dich den ›Dritten Gründer Roms‹ nennen, denn du wirst Rom aus der schwersten aller Gefahren retten!«

Er spürte, daß sein Gesicht brannte, so heiß wie ein Speer, den man im Feuer erhitzt hat. Sein Kopf dröhnte, alles drehte sich, und sein Herz hämmerte wie ein hortator, der mit seinem Trommeln die Soldaten anspornt, wenn sie mit dem Rammbock gegen eine Mauer anrennen. Vor seinen Augen hing ein dichter roter Schleier. Sie sprach die Wahrheit, er wußte es.

»Du besitzt die Liebe und die Achtung einer großen Frau«, fuhr Martha fort, während sie die kleineren Linien in seiner Haut berührte, »und ihr Neffe wird der größte Römer aller Zeiten sein.«

»Nein, das bin ich«, widersprach er schnell. Seine Erregung war bei dieser weniger schmeichelhaften Ankündigung mit einem Schlag verflogen.

»Nein, ihr Neffe wird der größte Römer sein«, sagte Martha hartnäckig. »Ein viel größerer Mann als du, Gaius Marius. Er hat denselben Vornamen wie du, er heißt auch Gaius. Aber sein Familiennamen ist der ihre, nicht der deine.«

Diese Prophezeiung grub sich tief in sein Gedächtnis ein, so tief, daß er sie nie mehr vergessen würde. »Und was ist mit meinem Sohn?« fragte er.

»Auch dein Sohn wird ein großer Mann sein. Aber nicht so groß wie sein Vater, und er wird auch längst nicht so viele Jahre leben. Aber er wird noch am Leben sein, wenn deine Zeit kommt.«

Bei diesen Worten stieß sie seine Hand abrupt weg und zog ihre schmutzigen nackten Füße mit unzähligen Glöckchen an den Zehen und Fußreifen an den Fesseln unter sich auf das Sofa.

»Ich habe alles gesehen, was zu sehen ist, Gaius Marius«, sagte sie, lehnte sich zurück und schloß die Augen.

»Ich danke dir, Prophetin Martha.« Marius stand auf und zog seine Geldbörse hervor. »Wieviel...?«

Sie öffnete die Augen, die in tiefem Schwarz funkelten und boshaft lebendig waren. »Von dir verlange ich nichts. Es ist Lohn genug, die Gesellschaft der wahrhaft Großen zu genießen. Geld ist etwas für Leute wie Prinz Gauda, der nie ein großer Mann sein wird, obwohl er König werden wird.« Wieder erfüllte ihr meckerndes Lachen den Raum. »Aber das weißt du so gewiß wie ich, Gaius Marius, auch wenn du nicht die Gabe besitzt, in die Zukunft zu sehen. Du hast die Gabe, in die Herzen der Menschen zu sehen, und Prinz Gauda hat ein enges Herz.«

»Dann muß ich dir noch einmal danken.«

»Oh, ich möchte dich noch um einen Gefallen bitten«, rief sie ihm nach, als er schon fast an der Tür war.

Er drehte sich sofort um. »Ja?«

»Wenn du zum zweitenmal Konsul bist, Gaius Marius, dann hole mich nach Rom und behandle mich ehrenvoll. Ich möchte einmal Rom sehen, bevor ich sterbe.«

»Du sollst Rom sehen«, versprach er und ging.

Siebenmal Konsul! Der Erste Mann in Rom! Der Dritte Gründer Roms! Welche Zukunft konnte größer sein als diese? Wie sollte ein anderer Römer da noch größer sein als er? Gaius... Sie mußte den Sohn seines jüngeren Schwagers meinen, einen zukünftigen Gaius Julius Caesar. Ja, dessen Sohn wäre Julias Neffe - und gewiß der einzige, der Gaius heißen würde.

»Nur über meine Leiche«, sagte Gaius Marius laut, stieg auf sein Pferd und ritt nach Utika zurück.

Am nächsten Tag suchte Marius Metellus auf. Er fand den Konsul in ein Bündel Briefe und Dokumente aus Rom vertieft, denn in der Nacht war ein Schiff angekommen, das lange von stürmischer See aufgehalten worden war.

»Großartige Nachrichten, Gaius Marius« sagte Metellus, und er war ausnahmsweise einmal freundlich. »Mein Kommando in Africa ist verlängert, mit prokonsularischem imperium, und alles spricht dafür, daß ich eine weitere Verlängerung bekommen kann, wenn ich noch mehr Zeit brauche.« Ein Blatt Papier wurde weggelegt, eine Schriftrolle zur Hand genommen, beides nur, um Eindruck zu machen, denn Metellus hatte die Briefe offensichtlich schon gelesen, ehe Marius gekommen war. Niemand überflog einfach schweigend und mit blitzartigem Verständnis Wörter auf dem Papier - man mußte sie einzeln entziffern und laut lesen, damit ihr Sinn klar wurde.

»Es ist ein Glück, daß mein Heer vollzählig ist, denn es sieht so aus, als sei der übliche Mangel an Männern in Italien schlimmer geworden, wegen Silanus’ Blamage in Gallien. Aber davon weißt du noch gar nichts, oder doch? Ja, mein Mitkonsul wurde von den Germanen besiegt. Unerhört hohe Verluste.« Metellus griff nach einer weiteren Rolle und hielt sie hoch. »Silanus schreibt, daß über eine Million germanische Riesen auf dem Schlachtfeld waren.« Er legte die Rolle wieder weg und wedelte mit der, die er noch in der Hand hatte, vor Marius’ Nase hin und her. »Hier teilt mir der Senat mit, daß er die lex Sempronia von Gaius Gracchus aufgehoben hat, die verbot, einen Mann zu beliebig vielen Feldzügen einzuberufen. Höchste Zeit! Wir können Tausende von Veteranen einziehen, falls wir sie einmal brauchen.« Metellus war sichtlich erfreut.

»Das ist ein sehr schlechter Gesetzesentscheid«, sagte Marius. »Wenn sich ein Veteran nach zehn Jahren oder sechs vollständigen Feldzügen zur Ruhe setzen möchte, dann sollte er dies ohne Furcht vor neuerlichen Waffendiensten tun dürfen. Wir untergraben den Stand der Kleinbauern, Quintus Caecilius! Wie kann ein Mann seinen kleinen Hof für nunmehr bis zu zwanzig Jahren Heeresdienst verlassen und damit rechnen, daß er in seiner Abwesenheit dennoch gedeiht? Wie kann er Söhne zeugen, die einmal seinen Platz einnehmen sollen, sowohl auf seinem kleinen Hof als auch in unseren Legionen? Es ist immer mehr die Pflicht der kinderlosen Frauen geworden, das Land zu bestellen, und Frauen sind nicht kräftig, nicht umsichtig genug, einfach nicht geeignet dafür. Wir sollten anderswo nach Soldaten Ausschau halten - und wir sollten sie vor schlechten Feldherren schützen!«

Metellus hatte sich aufgerichtet, starr und mit zusammengepreßten Lippen stand er da. »Es steht dir nicht zu, Gaius Marius, die Weisheit der höchsten gesetzgebenden Körperschaft in unserem Staat zu kritisieren!« sagte er. »Was glaubst du denn, wer du bist?«

»Ich glaube, du hast mir schon einmal mitgeteilt, wer ich bin, Quintus Caecilius, vor vielen Jahren. Soweit ich mich erinnere, hast du mich einen italischen Bauern ohne Griechischkenntnisse genannt. Und das mag stimmen. Aber das nimmt mir nicht die Berechtigung, einen Kommentar zu einer Sache abzugeben, die ich nach wie vor für einen schlechten Gesetzesentscheid halte«, sagte Marius mit ruhiger Stimme. »Wir - und mit ›wir‹ meine ich den Senat, dem ich ebenso angehöre wie du - erlauben, daß eine ganze Schicht unserer Bürger ausstirbt, weil wir weder den Mut noch die Geistesgegenwart besitzen, all den sogenannten Feldherren das Handwerk zu legen, die jetzt schon jahrelang ins Feld ziehen. Das Blut römischer Soldaten ist nicht dazu da, verschwendet zu werden, Quintus Caecilius!«

Marius stand auf, beugte sich über Metellus’ Schreibtisch und fuhr mit seiner leidenschaftlichen Rede fort. »Am Anfang, als wir unseren Heeresdienst eingerichtet haben, gingen die Feldzüge nach Italien. Die Männer konnten jeden Winter nach Hause zurückkehren, sich um ihre Höfe kümmern, Söhne zeugen und ihre Frauen beaufsichtigen. Aber wenn sich ein Mann heute freiwillig zum Waffendienst meldet oder eingezogen wird, wird er mit dem Schiff über das Meer gebracht, und der Feldzug dauert nicht einen einzigen Sommer, sondern zieht sich über Jahre hin. Jahre, in denen die Soldaten nicht ein einziges Mal nach Hause kommen. Es kann also gut sein, daß sechs Feldzüge einen Mann zwölf oder gar fünfzehn Jahre kosten - in einem fremden Land! Gaius Gracchus hat sein Gesetz erlassen, weil er die Zeit begrenzen wollte, weil er verhindern wollte, daß die kleinen Bauernhöfe in Italien zur Beute reicher Viehzüchter werden, die in großem Stil mit Land spekulieren!« Marius holte tief Luft und sah Metellus ironisch an. »Aber ich habe etwas Wichtiges vergessen, nicht wahr, Quintus Metellus? Du bist doch selbst ein reicher Viehzüchter, der in großem Stil mit Land spekuliert, nicht wahr? Und es paßt dir sehr gut, wenn diese kleinen Höfe in deinen Schoß fallen, weil die Männer nicht zu Hause sein und sie versorgen können, sondern auf irgendeinem fernen Schlachtfeld sterben, nur wegen aristokratischer Besitzgier und Nachlässigkeit!«

»Aha! Jetzt haben wir es!« rief Metellus, sprang auf und hielt sein Gesicht dicht vor Marius’ Gesicht. »Das also ist es! Aristokratische Besitzgier und Nachlässigkeit, wie? Dann will ich dir mal ein oder zwei Kleinigkeiten sagen, Gaius Marius, du Emporkömmling! Eine Julia aus dem Hause Julius Caesar macht aus dir noch lange keinen Aristokraten!«

»Darauf kann ich auch verzichten«, schnaubte Marius. »Ich verachte das ganze Aristokratenpack - mit einer einzigen Ausnahme, und das ist mein Schwiegervater, dem es wie durch ein Wunder gelungen ist, ein anständiger Mensch zu bleiben, trotz seiner vornehmen Herkunft!«

Ihre Stimmen waren längst zu einem durchdringenden Gebrüll angeschwollen, und in den Vorzimmern spitzten alle die Ohren.

»Gib’s ihm, Gaius Marius!« rief ein Militärtribun und schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Würg ihm ordentlich eine rein, Gaius Marius!« sagte ein anderer und rieb sich die Hände.

»Scheiß doch auf den verdammten fellator, Gaius Marius!« feuerte ihn ein dritter an und grinste.

Offensichtlich mochten alle Gaius Marius viel lieber als Quintus Caecilius Metellus, vom Offizier bis hinunter zum einfachen Soldaten.

Aber das Gebrüll war noch weiter als bis in die Vorzimmer gedrungen. Es dauerte nicht lange, und der Sohn des Konsuls, der junge Quintus Caecilius Metellus, stürmte ins Vorzimmer. Alle Soldaten des Stabes beugten sich über ihre Schriftrollen und schienen eifrig zu schreiben. Metellus das Ferkel schenkte ihnen nicht einen Blick, sondern riß sofort die Tür zum Zimmer seines Vaters auf.

»Vater, eure Stimmen sind meilenweit zu hören!« rief er und warf Marius einen haßerfüllten Blick zu.

Der junge Metellus sah seinem Vater äußerlich sehr ähnlich. Er war wie dieser von durchschnittlicher Größe und Gestalt, hatte braune Haare, braune Augen, sah weder besonders gut noch besonders schlecht aus, sondern so durchschnittlich, daß er in einer Gruppe von Römern nie auffallen würde.

Die Unterbrechung ernüchterte Metellus, besänftigte jedoch kaum Marius’ Zorn. Keiner der beiden Streithähne machte Anstalten, sich wieder hinzusetzen. Der junge Metellus stand seitlich an einer Wand, erschreckt und aufgeregt. Er liebte seinen Vater abgöttisch, war jetzt aber völlig ratlos, vor allem wenn er an die unzähligen Demütigungen dachte, die er Marius zugefügt hatte, seit sein Vater ihn zum Kommandanten der Garnison Utika bestellt hatte. Jetzt sah der junge Metellus zum erstenmal einen ganz anderen Marius vor sich: körperlich riesengroß und von einer Tapferkeit, einem Mut und einer Intelligenz, die die Fähigkeiten eines Caecilius Metellus weit überstiegen.

»Ich denke es hat keinen Sinn, dieses Gespräch fortzusetzen, Gaius Marius«, sagte Metellus und preßte seine Hände mit den Handflächen nach unten auf den Schreibtisch, damit Marius nicht merkte, wie sehr sie zitterten. »Warum hast du mich überhaupt aufgesucht?«

»Ich bin gekommen, um dir mitzuteilen, daß ich die Absicht habe, Ende des nächsten Sommers aus dem Dienst in deinem Heer auszuscheiden«, antwortete Marius. »Ich will nach Rom zurückkehren und mich der Wahl zum Konsul stellen.«

Metellus sah aus, als traue er seinen Ohren nicht. »Du willst was?«

»Ich werde nach Rom gehen und für das Konsulat kandidieren.«

»Nein, das wirst du nicht«, rief Metellus. »Du bist mein erster Legat - und obendrein mit dem imperium eines Proprätors ausgestattet - für die Zeit meiner Statthalterschaft in der Provinz Africa. Meine Frist ist soeben verlängert worden. Und somit auch die deine.«

»Du kannst mich freigeben.«

»Falls ich dich freigeben möchte. Aber das möchte ich nicht«, entgegnete Metellus. »Wenn es nach mir ginge, Gaius Marius, würde ich dich glattweg hier in der Provinz vergraben für den Rest deines Lebens!«

»Zwinge mich nicht, etwas Häßliches zu tun, Quintus Caecilius«, sagte Marius mit ruhiger, freundlicher Stimme.

»Dich wozu zwingen? Mach, daß du hier rauskommst, Marius! Verschwinde und tu etwas Nützliches - hör auf, meine Zeit zu verschwenden!« Metellus fing einen Blick seines Sohnes auf und lächelte ihm verschwörerisch zu.

»Ich bestehe darauf, daß ich vom Dienst in diesem Krieg entbunden werde, damit ich mich im kommenden Herbst in Rom um das Konsulat bewerben kann.«

Ermutigt vom wachsenden Ausdruck erhabener und gleichmütiger Überlegenheit in der Haltung seines Vaters, brach Metellus das Ferkel in unterdrücktes Gekicher aus, was wiederum seinen Vater zu wahren Geistesblitzen anspornte.

»Hör mir gut zu, Gaius Marius«, sagte Metellus mit einem milden Lächeln. »Du bist jetzt beinahe fünfzig Jahre alt. Mein Sohn ist zwanzig. Darf ich dir vorschlagen, daß du dich im selben Jahr wie er zur Konsulwahl stellst? Bis dahin hast du vielleicht gerade so viel gelernt, daß du auf den Stuhl eines Konsuls paßt! Und ich bin sicher, daß mein Sohn dir liebend gern ein paar nützliche Ratschläge erteilen wird.«

Der junge Metellus brach jetzt in schallendes Gelächter aus.

Marius blickte beide unter seinen buschigen Augenbrauen hervor an, sein Adlergesicht war stolzer und hochmütiger denn je. »Ich werde Konsul sein«, sagte er. »Du kannst dich darauf verlassen, Quintus Caecilius, ich werde Konsul sein - nicht einmal, sondern siebenmal!«

Und er verließ das Zimmer. Vater und Sohn sahen ihm mit einer Mischung aus Verwirrung und Furcht nach. Merkwürdigerweise konnten sie gar nichts Amüsantes an dieser vermessenen Behauptung finden.

Am nächsten Tag ritt Marius nach Karthago zurück und bat um eine Audienz bei Prinz Gauda.

Als Marius vorgelassen wurde, beugte er ein Knie tief zu Boden und drückte seine Lippen auf Gaudas feuchte, schwammige Hand.

»Steh auf, Gaius Marius!« rief Gauda hocherfreut. Der Anblick dieses eindrucksvollen Mannes, der ihm so respektvoll und bewundernd huldigte, entzückte ihn.

Marius erhob sich ein Stück weit, sank dann auf beide Knie nieder und streckte die Hände aus. »Königliche Hoheit«, begann er, »ich bin nicht würdig, in deiner Gegenwart zu stehen, denn ich bin als demütiger Bittsteller gekommen.«

»Steh auf, steh auf«, krähte Gauda, noch entzückter als zuvor. »Ich werde mir keine Bitte anhören, solange du vor mir kniest! Komm, setz dich zu mir und erzähle, was du auf dem Herzen hast.«

Gauda deutete auf einen Stuhl, der neben ihm stand - aber eine Stufe tiefer als der Prinzenthron. Marius verbeugte sich den ganzen Weg bis zu diesem Stuhl immer wieder tief und setzte sich dann auf die äußerste Kante, als würde ihm der Glanz des Prinzen, der bequern saß, so viel Ehrfurcht einflößen, daß er selbst nur unbequem dasitzen durfte.

»Als du dich unter meine Klienten einreihen wolltest, königliche Hoheit, habe ich diese außerordentliche Ehre angenommen, weil ich glaubte, ich könnte in Rom für deine Sache eintreten. Denn ich hatte vor, mich im Herbst den Konsulwahlen zu stellen.« Marius hielt inne und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Aber das soll leider nicht sein! Quintus Caecilius Metellus bleibt in der Provinz Africa, denn seine Zeit als Statthalter wurde verlängert - und das bedeutet, daß ich als sein Legat nicht ohne seine Erlaubnis aus dem Dienst ausscheiden kann. Als ich ihm nun eröffnete, ich wolle mich zum Konsul wählen lassen, weigerte er sich, mich freizugeben, und verbot mir, Africa auch nur einen Tag vor ihm zu verlassen.«

Der edle Sproß des numidischen Königshauses erstarrte vor Zorn, denn wie alle verhätschelten Kranken war er leicht zu erzürnen. Er erinnerte sich sehr gut daran, daß Metellus zu seiner Begrüßung nicht aufgestanden war, daß er sich nicht tief genug verbeugt hatte, daß er keinen Thron aufgestellt und ihm keine römische Eskorte gegeben hatte. »Aber das ist völlig unvernüftig, Gaius Marius!« empörte sich Gauda. »Wie können wir ihn zwingen, seine Haltung zu ändern?«

»Hoheit, welche Intelligenz - mit welcher Schnelligkeit hast du die Lage erfaßt, ich bin tief beeindruckt!« rief Marius aus und schien einen Augenblick sprachlos. »Genau das müssen wir tun! Wir müssen ihn zwingen, seine Haltung zu ändern.« Marius hielt inne. »Ich weiß, was du mir vorschlagen wirst, aber vielleicht sollte es besser über meine Lippen kommen als über deine, denn es ist ein schmutziges Geschäft. Darum bitte ich dich um die Erlaubnis, es an deiner Stelle aussprechen zu dürfen!«

»Sprich es aus«, bat Gauda huldvoll.

»Königliche Hoheit, Rom und der Senat und selbst das Volk in seinen beiden Versammlungen müssen mit Briefen überschwemmt werden! Mit Briefen von dir - und von jedem einzelnen Städter, Landbewohner, Getreideanbauer, Kaufmann und Makler in der gesamten Provinz Africa. Sie müssen Rom darüber aufklären, wie stümperhaft wie ganz und gar unzulänglich Quintus Caecilius Metellus diesen Krieg gegen den numidischen Feind geführt hat. Aus den Briefen muß hervorgehen, daß die wenigen Erfolge, die wir erringen konnten, ohne Ausnahme mir zu verdanken waren und nicht Quintus Caecilius Metellus. Wir brauchen Tausende von Briefen, mein Prinz! Und es genügt nicht, daß sie nur einmal geschrieben werden, sie müssen wieder und wieder geschrieben werden, bis Quintus Caecilius Metellus nachgibt und mir gestattet, nach Rom zu gehen, damit ich mich zur Wahl als Konsul stellen kann.«

Gauda wieherte selig. »Ist es nicht wahrhaft erstaunlich, Gaius Marius wie sehr unsere Gedanken in Einklang stehen? Briefe sind genau das Mittel, das ich auch vorschlagen wollte!«

»Das wußte ich, wie schon gesagt«, erwiderte Marius anerkennend. »Aber ist das möglich, Hoheit?«

»Möglich? Natürlich ist es möglich!« sagte Gauda. »Dazu braucht man nur Zeit, Einfluß und Geld - und ich denke, Gaius Marius, daß wir beide zusammen eine Menge mehr Zeit und Einfluß und Geld zusammenbringen können als Quintus Caecilius Metellus, meinst du nicht auch?«

»Auf alle Fälle hoffe ich es«, erwiderte Marius.

Natürlich ließ Marius es dabei nicht bewenden. Er gab seine Pflichten im Dienst von Metellus als Grund dafür an, daß er soviel herumreisen mußte, und suchte persönlich jeden wichtigen römischen, latinischen und italischen Mann vom einen Ende der Provinz bis zum anderen auf. In seinem Gepäck führte er ein geheimes Schreiben von Prinz Gauda mit, in dem der Prinz Numidiens alle möglichen Zugeständnisse für die Zeit seiner Herrschaft versprach und in dem er alle bat, sich als Klienten von Gaius Marius einzuschreiben. Weder Regen noch Matsch noch reißende Flüsse konnten Gaius Marius aufhalten. Er reiste unermüdlich umher, schrieb Tausende von Klienten ein und sammelte Versprechen für Briefe, Briefe und nochmals Briefe. Abertausende von Briefen. So viele Briefe, daß sie Quintus Caecilius Metellus von seinem hohen Roß in den Abgrund des politischen Untergangs stürzen würden.

Ab Februar trafen nach und nach unzählige Briefe aus der römischen Provinz Africa bei jedem wichtigen Mann und jeder politisch bedeutenden Körperschaft Roms ein. Mit jedem Schiff kamen sie säckeweise. In einem der ersten Briefe schrieb Marcus Caecilius Rufus, ein römischer Bürger, der im Tal des Flusses Bagradas etliche hundert iugera Land besaß und den römischen Markt mit umfangreichen Getreidelieferungen versorgte:

Quintus Caecilius Metellus hat sich in Africa vor allem um seine eigenen Interessen gekümmert. Es ist meine wohlüberlegte Meinung, daß er beabsichtigt, diesen Krieg in die Länge zu ziehen, weil er seinen Ruhm mehren und seine Machtgelüste befriedigen will. Letzten Herbst ließ er wissen, er werde numidisches Getreide verbrennen und numidische Städte plündern, besonders jene Städte, in denen große Schätze lagern, um König Jugurthas Position zu schwächen. Seither sind meine Ländereien sowie die Ländereien vieler anderer römischer Bürger in dieser Provinz in Gefahr, denn numidische Stoßtrupps schlagen überall in der Provinz zurück. Das gesamte Bagradas-Tal, das für die Getreideversorgung von Rom so wichtig ist, lebt in Furcht und Schrecken von einem Tag zum anderen.

Außerdem ist mir und vielen anderen zu Ohren gekommen, daß Quintus Caecilius Metellus nicht einmal seine Legaten, geschweige denn sein Heer ordentlich führen kann. Er hat absichtlich die Talente so altgedienter und tüchtiger Männer wie Gaius Marius und Publius Rutilius Rufus verschwendet, indem er den einen mit der Führung seiner unbedeutenden Reiterei betraut, den anderen zum praefectus fabrum gemacht hat. Sein Betragen gegenüber Prinz Gauda, den der Senat und das Volk von Rom als den rechtmäßigen Herrscher von Numidien betrachten, war unerträglich arrogant, unbedacht und gelegentlich sogar grausam.

Zum Schluß möchte ich noch erwähnen, daß die wenigen Erfolge, die beim Feldzug des letzten Jahres errungen wurden, einzig und allein Gaius Marius und Publius Rutilius Rufus zu verdanken sind. Soweit ich sehe, ist ihnen weder Dank noch Anerkennung zuteil geworden. Ich möchte Gaius Marius und Publius Rutilius Eurer Aufmerksamkeit empfehlen und meine schärfste Mißbilligung über das Verhalten von Quintus Caecilius Metellus zum Ausdruck bringen!

Dieses Schreiben war an einen der größten und wichtigsten Getreidehändler in Rom gerichtet, einen Mann mit unglaublichem Einfluß auf Senatoren und Ritter. Nachdem er von Metellus’ Versäumnissen Kenntnis erhalten hatte, äußerte er natürlich lautstark seinen Unmut, und seine Stimme erreichte in kürzester Zeit viele interessierte Zuhörer. Und als die Tage vergingen und die Flut von Briefen immer mehr anschwoll, gesellten sich seiner Stimme viele weitere Stimmen hinzu. Den Senatoren wurde es höchst unbehaglich, wenn sie nur von weitem einen Kaufmann oder einen Bankier oder einen Großreeder sahen, und die selbstgefällige Zufriedenheit der unermeßlich reichen Sippe Caecilius Metellus wich der Bestürzung.

Quintus Caecilius, der Prokonsul in der Provinz Africa, erhielt nun seinerseits viele Briefe aus Rom, die meisten von Mitgliedern seiner weitverzweigten Familie. Man mahnte ihn, er solle behutsamer mit Prinz Gauda umgehen, seine Legaten rücksichtsvoller behandeln als seinen eigenen Sohn und, wenn möglich, endlich einen Durchbruch im Kampf mit Jugurtha erzielen.

Und dann kam der Skandal von Vaga. Die Stadt Vaga, die sich im letzten Herbst Metellus ergeben hatte, rebellierte, und viele italische Kaufleute wurden niedergemetzelt. Jugurtha hatte die Revolte geschürt - mit der stillschweigenden Duldung von keinem Geringeren als dem Garnisonskommandanten Turpillius, einem persönlichen Freund von Metellus. Metellus beging den Fehler, Turpillius zu verteidigen, nachdem Marius öffentlich gefordert hatte, den Kommandanten wegen Hochverrat vor ein Kriegsgericht zu stellen. Als diese Geschichte in Hunderten von Briefen nach Rom berichtet wurde, hatte es bereits den Anschein, Metellus selbst wäre ebenso des Hochverrats schuldig wie Turpillius. Die römischen Mitglieder der Familie Caecilius Metellus schickten nun noch sehr viel mehr Briefe an ihren verehrten Quintus Caecilius in Utika. Sie ermahnten ihn dringend, seine Freunde sorgfältiger auszuwählen, wenn er sie denn unbedingt bei Anklagen wegen Hochverrat selbst verteidigen wolle.

Viele Wochen gingen ins Land, bis Metellus sich davon überzeugen ließ, daß Gaius Marius der Urheber der römischen Briefkampagne war. Und als er es endlich glauben mußte, dauerte es wiederum ziemlich lange, bis er begriff, was diese briefliche Schlacht bedeutete - und noch länger dauerte es, bis er etwas dagegen unternahm. Er, ein Caecilius Metellus, sollte in Rom in Mißkredit gebracht werden von einem eingebildeten Emporkömmling, einem wehleidigen Thronanwärter und ein paar gewöhnlichen Provinzkaufleuten? Unmöglich! So funktionierte Rom doch nicht! Rom gehörte ihm, Quintus Caecilius Metellus, nicht Gaius Marius.

Regelmäßig alle acht Tage sprach Marius bei Metellus vor und verlangte, am Ende des Sextilis vom Dienst freigestellt zu werden. Und ebenso regelmäßig lehnte Metellus ab.

Immerhin mußte man Metellus zugestehen, daß er sich mit wichtigeren Dingen zu beschäftigen hatte als mit ein paar schnöden Briefen, die in Rom auftauchten. Die meiste Zeit beschäftigte er sich mit Bomilkar. Nabdalsa hatte lange gebraucht, bis eine Unterredung mit Bomilkar einfädeln konnte, und dann noch länger, bis er eine geheime Zusammenkunft zwischen Bomilkar und Metellus arrangiert hatte. Aber Ende März war es endlich soweit. Bomilkar wurde in ein kleines Nebengebäude der Statthalterresidenz zu Utika eingeschmuggelt, und dort fand die Unterredung schließlich statt.

Metellus und Bomilkar kannten sich natürlich ziemlich gut, denn Metellus hatte Jugurtha über Bomilkar während der letzten verzweifelten Tage in Rom auf dem laufenden gehalten, da der König die geheiligten Stadtgrenzen nicht hatte überschreiten dürfen.

Bei dieser neuerlichen Begegnung verschwendete man nicht viel Zeit mit Höflichkeiten. Bomilkar war nervös, weil er fürchtete, seine Anwesenheit in Utika könne durchsickern, und Metellus war in seiner neuen Rolle als Anstifter zur Spionage noch unsicher.

Metellus steuerte direkt auf sein Ziel zu. »Ich möchte diesen Krieg mit dem geringstmöglichen Verlust an Menschen und Material zum baldmöglichsten Zeitpunkt beenden«, begann er. »Rom braucht mich an wichtigeren Stellen als an einem so entlegenen Vorposten wie diesem.«

»Ja, ich habe von den Germanen gehört«, entgegnete Bomilkar trocken.

»Dann verstehst du meine Eile«, sagte Metellus.

»Die verstehe ich sehr gut. Aber ich verstehe nicht, was ich dazu beitragen kann, die Feindseligkeiten hier abzukürzen.«

»Man hat mich davon zu überzeugen versucht - und nach langen Überlegungen bin ich davon überzeugt -, daß der schnellste und beste Weg, das Schicksal Numidiens in einer für Rom günstigen Weise zu entscheiden, die Beseitigung König Jugurthas ist«, sagte Metellus.

Bomilkar betrachtete ihn nachdenklich. Metellus war kein Gaius Marius, das wußte er wohl, Metellus war nicht einmal ein Rutilius Rufus. Er war stolzer, hochmütiger und sich seines Ranges viel bewußter, aber er war bei weitem nicht so ruhig und kompetent. Wie allen Römern bedeutete Rom ihm alles. Aber das Bild, das Caecilius Metellus von Rom hatte, unterschied sich stark von dem eines Gaius Marius. Bomilkar sah, daß der Metellus, der heute die Provinz Africa regierte, ein anderer war als der Metellus, den er früher in Rom gekannt hatte, und das verwirrte ihn. Bomilkar wußte zwar von den Briefen, aber er hatte keine Vorstellung, wie wichtig sie waren.

»Es stimmt, Jugurtha ist die Quelle des numidischen Widerstandes gegen Rom«, sagte Bomilkar. »Du bist dir aber vielleicht nicht darüber im klaren, wie unbeliebt Prinz Gauda in Numidien ist. Numidien wird sich nie von einem Gauda regieren lassen, ob er nun legitimer Thronfolger ist oder nicht.«

Als Metellus den Namen Gauda hörte, erschien ein Ausdruck tiefsten Widerwillens auf seinem Gesicht. »Pfui!« rief er mit einer wegwerfenden Handbewegung aus. »Ein Nichts, ein armseliges Würstchen von Mann, von einem Herrscher gar nicht erst zu reden!«

Metellus’ hellbraune Augen ruhten abwägend auf Bomilkars düsterem Gesicht. »Sollte König Jugurtha etwas zustoßen, dann hatte ich - und natürlich auch Rom - eher daran gedacht, einen Mann auf den numidischen Thron zu setzen, den sein gesunder Menschenverstand und seine Erfahrung gelehrt haben, daß den numidischen Interessen am besten gedient ist, wenn sich der König mit seinem ganzen Land als getreuer Klient Roms versteht.«

»Ich stimme dir zu, ich glaube auch, daß den numidischen Interessen auf diese Weise am besten gedient wäre.« Bomilkar machte eine Pause und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Würdest du mich als einen möglichen König von Numidien betrachten, Quintus Caecilius?«

»Aber gewiß!« sagte Metellus.

»Gut! In diesem Fall werde ich gerne das Meine dazu beitragen, daß Jugurtha das Handwerk gelegt wird.«

»Und hoffentlich bald«, fügte Metellus mit einem verbindlichen Lächeln hinzu.

»Sobald es geht. Es hat keinen Sinn, einen Mordanschlag zu versuchen. Jugurtha ist zu wachsam, außerdem ist ihm seine königliche Garde treu ergeben. Auch ein Staatsstreich hätte wohl keinen Erfolg. Die meisten Adligen sind sehr zufrieden mit der Art und Weise, wie Jugurtha Numidien bisher regiert hat - und mit seiner Kriegführung auch. Wenn Gauda eine verlockendere Alternative wäre, dann stünden die Dinge vielleicht anders. Ich«, hier zog Bomilkar eine Grimasse, »habe nicht das Blut Massinissas in meinen Adern, und das heißt, ich werde gewaltige Unterstützung von Rom brauchen, damit ich den Thron besteigen kann.«

»Aber was können wir wirklich tun?« fragte Metellus.

»Ich sehe nur einen Weg. Wir müssen Jugurtha in eine Lage bringen, in der er von römischen Soldaten gefangengenommen werden kann - ich meine nicht in einer offenen Schlacht, sondern in einem Hinterhalt. Dann kannst du ihn auf der Stelle töten oder in Haft nehmen und später mit ihm machen, was du willst«, schlug Bomilkar vor.

»Gut, Baron Bomilkar. Und du benachrichtigst mich früh genug, daß wir den Hinterhalt in Ruhe planen können?«

»Natürlich. Grenzüberfälle sind für so etwas ideal, und Jugurtha hat vor, viele Vorstöße selbst anzuführen, sobald der Boden trockener ist. Aber stell dir die Sache nicht zu einfach vor, Quintus Caecilius. Es kann sein, daß du mehrmals scheiterst, ehe du einen so gerissenen Mann wie Jugurtha gefangennehmen kannst. Schließlich kann ich mein eigenes Leben nicht aufs Spiel setzen - wenn ich tot bin, nützt das weder mir noch den Römern. Aber verlaß dich darauf, daß es mir über kurz oder lang gelingen wird, ihn in eine gute Falle zu locken. Nicht einmal Jugurtha ist unverletzlich.«

Alles in allem war Jugurtha sehr zufrieden mit dem Gang der Dinge. Zwar hatte Marius ihm mit überraschenden Einfällen in dichter besiedelte Gebiete des Reiches ziemlich zugesetzt, aber Jugurtha wußte besser als jeder andere, daß die unermeßliche Weite der numidischen Landschaft sein größter Vorteil und sein bester Schutz waren. Während den meisten Herrschern anderer Länder die besiedelten Gegenden am wichtigsten waren, lagen diese Gebiete Jugurtha weit weniger am Herzen als die ungezähmte Wildnis. Die Mehrzahl der numidischen Soldaten, auch die leichtbewaffnete Reiterei, die in der ganzen Welt berühmt war, stammte von Völkern ab, die tief im Inneren des Landes ein halbnomadisches Leben führten. Jugurthas Leute kamen sogar von der Südseite der mächtigen Bergkette, wo Atlas geduldig den Himmel auf seinen Schultern trug. Diese Stämme kannte man unter dem Namen Gaetuler und Garamanten. Jugurthas Mutter gehörte zum Stamm der Gaetuler.

Nach dem Fall von Vaga ließ der König alles Gold und alle Schätze aus sämtlichen Städten entlang der vermuteten Marschroute der Römer herausschaffen und an Orte wie Zama und Capsa bringen, abgelegene und schwer zugängliche Zitadellen auf unbesteigbaren Berggipfeln, die von den fanatisch treuen Gaetulern verteidigt wurden. Und Vaga war letztlich auch kein Sieg für die Römer.

Wieder einmal hatte sich Jugurtha einen Römer gekauft, den Garnisonskommandeur Turpillius. Den Freund von Metellus.

Aber etwas hatte sich verändert. Als die Regenfälle des Winters allmählich nachließen, wurde sich Jugurtha dieser Tatsache immer deutlicher bewußt. Etwas war anders, aber er konnte nicht genau sagen, was es war. Der Hof hatte keine feste Residenz, und Jugurtha zog ständig von einer Zitadelle zur nächsten und verteilte seine Frauen und Konkubinen gleichmäßig auf alle Orte, so daß ihn überall freudestrahlende Gesichter und liebende Arme erwarteten. Aber etwas stimmte nicht, Es hatte nichts mit seinen Plänen zu tun, nichts mit seinen Soldaten, nichts mit dem Nachschub, nichts mit der Treue seiner vielen Städte und Bezirke und Stämme. Was Jugurtha witterte, war kaum mehr als eine schwache Fährte, ein Hauch von Gefahr, ein warnendes Prickeln, das von einer Quelle in seiner Nähe ausging. Aber er brachte seine böse Vorahnung nicht im entferntesten damit in Zusammenhang, daß er Bomilkar nicht zum Regenten bestimmen wollte.

»Es ist etwas am Hof«, bemerkte er gegenüber Bomilkar, als sie Ende März von Capsa nach Cirta ritten. Ihre Pferde gingen im Schritt an der Spitze eines langen Zuges von Reiterei und Fußsoldaten.

Bomilkar wandte den Kopf und sah seinem Halbbruder direkt in die hellen Augen. »Am Hof?«

»Es liegt Unheil in der Luft, Bruder. Angezettelt und geschürt von dem schleimigen kleinen Dreckskerl Gauda, möchte ich wetten«, sagte Jugurtha.

»Meinst du, es gibt eine Palastrevolution?«

»Ich weiß nicht genau, was ich meine. Es stimmt einfach etwas nicht. Ich habe es im Gefühl.«

»Ein Mörder?«

»Vielleicht. Aber ich weiß es einfach nicht, Bomilkar! Meine Augen spähen in ein Dutzend verschiedene Richtungen gleichzeitig, und meine Ohren rotieren beinahe, so eifrig lauschen sie überallhin - aber bisher hat nur meine Nase registriert, daß etwas faul ist. Wie sieht es bei dir aus? Merkst du nichts?« fragte er, denn von Bomilkars Zuneigung, Vertrauen und Treue war er zutiefst überzeugt.

»Ich muß sagen, ich merke nichts«, antwortete Bomilkar.

Dreimal lockte Bomilkar den arglosen Jugurtha in eine Falle, und dreimal gelang es Jugurtha, unbeschadet davonzukommen. Und er schöpfte keinen Verdacht gegen seinen Halbbruder.

»Sie werden allmählich zu raffiniert«, meinte Jugurtha, nachdem er dem dritten Hinterhalt der Römer entgangen war. »Da ist Gaius Marius am Werk oder Publius Rutilius, nicht Metellus.« Er grunzte. »Ich habe einen Spion in meinem Lager, Bomilkar.«

Bomilkars Miene drückte ehrliches Erstaunen aus. »Das ist denkbar. Aber wer würde es wagen?«

»Ich weiß nicht«, erwiderte Jugurtha mit finsterer Miene. »Aber verlaß dich darauf, früher oder später werde ich es herausbekommen««

Ende April marschierte Metellus in Numidien ein. Rutilius Rufus hatte ihn davon überzeugt, daß er sich zunächst mit einem leichteren Ziel als der Hauptstadt Cirta begnügen sollte, und so zogen die römischen Truppen statt dessen in Richtung Thala. Von Bomilkar traf die Botschaft ein, er habe Jugurtha persönlich nach Thala gelockt, und Metellus machte einen vierten Versuch, den König gefangenzunehmen. Aber da Metellus zögerte, anstatt Thala mit der nötigen Schnelligkeit und Entschlossenheit zu stürmen, entkam Jugurtha wiederum, und aus dem Angriff wurde eine Belagerung; es dauerte einen Monat, bis der Widerstand der Stadt gebrochen war. Zu Metellus’ großer Überraschung fielen ihm in Thala beträchtliche Schätze in die Hände. Jugurtha hatte sie mitgebracht und mußte sie bei seiner Flucht notgedrungen zurücklassen.

Ende Mai, Anfang Juni marschierte Metellus auf die numidische Hauptstadt zu, wo ihn eine weitere angenehme Überraschung erwartete: Cirta ergab sich kampflos. Die zahlreichen italischen und römischen Kaufleute der Stadt waren eine bedeutende pro-römische Kraft in der Lokalpolitik. Außerdem liebte Cirta Jugurtha ebensowenig, wie Jugurtha Cirta liebte.

Das Wetter war heiß und trocken, wie üblich zu dieser Jahreszeit. Jugurtha entzog sich den Fühlern des schlampigen römischen Spitzelsystems, indem er sich erst nach Süden zu den Zelten der Gaetuler absetzte, dann nach Capsa, dem Gebiet des Stammes, aus dem seine Mutter kam. Capsa war eine kleine, aber stark befestigte Bergzitadelle inmitten des schwer zugänglichen Gebietes der Gaetuler. Jugurtha liebte diesen Ort, denn hier lebte seine Mutter seit dem Tod ihres Mannes, Bomilkars Vater. Und hier lagerte Jugurtha auch den größten Teil seiner Schätze.

Nach Capsa brachten Jugurthas Leute im Juni Nabdalsa, der gefangen worden war, als er die von Römern besetzte Stadt Cirta verlassen hatte. Jugurthas Spitzeln bei den Römern war es endlich gelungen, genügend Beweise zu sammeln, und sie benachrichtigten den König von Nabdalsas Verrat. Zwar hatte man schon immer gewußt, daß Nabdalsa ein Anhänger Gaudas war, aber Nabdalsa konnte sich bisher dennoch frei in Numidien bewegen. Als entfernten Verwandten des Königs, mit Massinissas Blut in den Adern, ließ man ihn lange Zeit gewähren und traute ihm einen Hochverrat nicht zu.

»Aber jetzt habe ich Beweise«, begann Jugurtha, »daß du eng mit den Römern zusammengearbeitet hast. Und daran enttäuscht mich besonders, daß du so töricht warst, mit Metellus zu verhandeln anstatt mit Gaius Marius.« Jugurtha ließ seinen Blick über Nabdalsa wandern, der in Ketten vor ihm stand und deutliche Spuren von Schlägen trug. »Natürlich bist du in dieser Sache nicht allein«, fuhr er nachdenklich fort. »Wer von meinen Baronen ist an der Verschwörung beteiligt?«

Nabdalsa antwortete nicht.

»Foltert ihn«, befahl Jugurtha gleichmütig.

Die Folter in Numidien war kein ausgeklügeltes Verfahren, auch wenn Jugurtha wie alle barbarischen Herrscher Verliese hatte und manche Gefangene lange dort schmachten ließ. Jugurthas Kerker lagen tief im felsigen Sockel des Berges unter der Stadt Capsa versteckt und waren nur durch ein Labyrinth von Gängen vom Palast innerhalb der Zitadellenmauern her zugänglich. In ein solches Verlies wurde Nabdalsa geworfen, und dort wandten die unmenschlich rohen Soldaten, denen diese Aufgabe offenbar vererbt wurde, die Folter an.

Jugurtha erfuhr sehr bald, warum Nabdalsa dem schwächlichen Gauda diente, denn Nabdalsa berichtete alles. Es hatte genügt, ihm die Zähne und die Fingernägel einer Hand auszureißen. Jugurtha war gerufen worden, um Nabdalsas Geständnis anzuhören, und er hatte ahnungslos Bomilkar mitgebracht.

Bomilkar wußte, daß er die unterirdische Welt, in die er gleich eintreten würde, nie mehr verlassen sollte. Er schaute in den unendlich weiten, tiefblauen Himmel hinauf, sog tief die süße Wüstenluft ein, streifte mit dem Handrücken die seidigen Blätter eines blühenden Busches. Und er bemühte sich, diese Erinnerungen mit in die Finsternis zu nehmen.

Aus dem schlecht gelüfteten Verlies schlug ihnen ein bestialischer Gestank entgegen. Exkremente, Erbrochenes, Schweiß, Blut und abgestandenes Wasser ergaben zusammen eine ekelhafte Fäulnis, eine Luft, die jedem Menschen den Atem stocken ließ. Selbst Jugurtha schauderte, als er eintrat.

Die Befragung konnte nur unter großen Schwierigkeiten durchgeführt werden, denn Nabdalsas Gaumen blutete heftig, und da die Nase gebrochen war, konnte man die Blutung auch nicht dadurch zum Stillstand bringen, daß man ihm den Mund zustopfte. Diese Dummköpfe, dachte Jugurtha, hin und her gerissen zwischen dem Schreck über den furchtbaren Anblick, den Nabdalsa bot, und dem Zorn über die Gedankenlosigkeit seiner Folterknechte. Sie hatten ihr Werk an der einzigen Stelle begonnen, die sie mit ihren Folterinstrurnenten hätten verschonen sollen.

Aber es war egal. Nabdalsa stieß bei Jugurthas dritter Frage das eine, entscheidende Wort hervor, und es war nicht allzu schwer zu verstehen, obwohl es mit einem Schwall von Blut herauskam.

»Bomilkar.«

»Laßt uns allein«, befahl der König seinen Folterknechten. Zuvor mußten sie Bomilkar sicherheitshalber noch den Dolch abnehmen.

Als Bomilkar allein mit dem König und dem halb bewußtlosen Nabdalsa im Kerker stand, seufzte er tief. »Ich bedauere nur eines«, sagte er, »diese Geschichte wird unsere Mutter umbringen.«

Es war das Klügste, was er unter diesen Umständen hatte sagen können, denn so starb er durch einen einzigen Axthieb des Scharfrichters und wurde nicht langsam und qualvoll zu Tode gefoltert, wie sein Halbbruder es am liebsten gesehen hätte.

»Warum?« fragte Jugurtha.

Bomilkar zuckte die Achseln. »Als ich alt genug war, über mein Leben nachzudenken, Bruder, stellte ich fest, wie sehr du mich betrogen hast. Du hast mich mit derselben Herablassung behandelt, mit der du einen zahmen Affen behandelt hättest.«

»Was wolltest du?« fragte Jugurtha.

»Daß du mich Bruder nennst vor aller Welt.«

Jugurtha starrte ihn verwundert an. »Und dich über deinen Rang erhebe? Mein lieber Bomilkar, es kommt auf den Vater an, nicht auf die Mutter. Unsere Mutter ist eine Berberfrau aus dem Stamme der Gaetuler und noch nicht einmal die Tochter eines Häuptlings. Sie kann kein königliches Geblüt vererben. Würde ich dich vor aller Welt Bruder nennen, dann hieße das, ich nähme dich in die Linie Massinissas auf. Und das wäre, da ich zwei eigene Söhne habe, die rechtmäßige Erben sind, gelinde gesagt unklug.«

»Du hättest mich zu ihrem Vormund und zum Regenten ernennen können«, erwiderte Bomilkar.

»Mein lieber Bomilkar, das Blut unserer Mutter verbietet es! Dein Vater war ein kleiner Baron, fast ein Niemand. Mein Vater dagegen war Massinissas legitimer Sohn. Ich habe mein Königsblut von meinem Vater geerbt.«

»Aber du bist nicht legitim, nicht wahr?«

»Nein. Aber das richtige Blut ist da. Und Blut läßt sich nicht verleugnen.«

Bomilkar wandte sich ab. »Dann mach es kurz«, bat er. »Ich bin gescheitert - nicht du, sondern ich. Grund genug, zu sterben. Aber nimm dich in acht, Jugurtha.«

»In acht nehmen? Wovor? Vor Mordanschlägen? Weiterer Treulosigkeit, anderen Verrätern?«

»Vor den Römern. Sie sind wie die Sonne und der Wind und der Regen. Am Ende zermahlen sie alles zu Sand.«

Jugurtha rief die Folterknechte, die hereinstolperten und auf Anweisungen warteten.

»Tötet sie beide«, befahl Jugurtha und ging in Richtung Tür. »Aber macht es schnell. Und schickt mir beide Köpfe.«

Die Köpfe von Bomilkar und Nabdalsa wurden an die Zinnen von Capsa genagelt, wo alle Welt sie sehen konnte. Das war mehr als ein bloßes Zeichen königlicher Rache an einem Verräter. Ein Kopf wurde an einem öffentlichen Ort befestigt, um den Leuten zu zeigen, daß der richtige Mann gestorben war, und um weitere Betrüger abzuschrecken.

Jugurtha redete sich selbst ein, keinen Kummer zu empfinden er fühlte sich nur einsamer als je zuvor. Es war eine notwendige Lektion gewesen. Er hatte gelernt, daß ein König keinem Menschen trauen kann, nicht einmal seinem eigenen Bruder.

Bomilkars Tod hatte zwei unmittelbare Folgen. Die eine war, daß niemand mehr wußte, wo Jugurtha sich gerade aufhielt, denn er blieb nie länger als ein oder zwei Tage am selben Ort und sagte seinen Wachen nicht, wohin er als nächstes ging. Auch seinen Soldaten sagte er nicht, was er vorhatte; er entschied und nur er allein. Die zweite Folge betraf seinen Schwiegervater, König Bocchus von Mauretanien. Bocchus hatte Rom nicht gegen den Mann seiner Tochter unterstützt, war aber Jugurtha auch nicht gegen Rom zu Hilfe geeilt. Jugurtha setzte sich unverzüglich mit Bocchus in Verbindung und drängte ihn, sich mit Numidien zu verbünden und gemeinsam mit den Numidern die Römer aus Africa zu vertreiben.

Bis zum Ende des Sommers war der gute Ruf von Quintus Caecilius in Rom vollständig ruiniert, niemand hatte mehr ein gutes Wort für ihn oder seine Kriegführung übrig. Und immer noch trafen Briefe ein, regelmäßig, erbarmungslos und außerordentlich wirksam.

Nach der Eroberung von Thala und der Übergabe von Cirta hatten Metellus’ Anhänger bei den Rittern ein Stück weit Boden gutgemacht, aber darin kamen weitere Nachrichten aus Africa, die klarstellten, daß weder Thala noch Cirta das Ende des Krieges bedeuteten. Später folgten Berichte von endlosen Scharmützeln, von tieferen Vorstößen in den Westen Numidiens, die zu nichts geführt hatten, von mißbrauchten Geldern und davon, daß die sechs Legionen unter enormen Kosten für die Staatskasse im Feld gehalten wurden und daß ein Ende der Ausgaben nicht absehbar war. Dank Metellus würde sich der Krieg gegen Jugurtha gewiß noch mindestens ein weiteres Jahr hinziehen.

Die Konsulwahlen waren auf Mitte Oktober angesetzt, und Marius’ Name, der durch die Briefe in aller Munde war, tauchte immer häufiger gerüchteweise auf der Liste der möglichen Kandidaten auf.

Aber die Zeit verstrich, und Marius kam nicht nach Rom. Metellus blieb eisern.

»Ich bestehe darauf, daß du mich freigibst«, verlangte Marius zum mindestens fünfzigsten Mal von Metellus.

»Du kannst darauf bestehen, solange du willst«, erwiderte dieser. »Aber du gehst nicht.«

»Ich werde dennoch nächstes Jahr Konsul sein«, sagte Marius.

»Ein Emporkömmling wie du Konsul? Unmöglich!«

»Du hast Angst, daß die Wähler mich wählen könnten, nicht wahr?« fragte Marius selbstsicher. »Du willst mich nicht gehen lassen, weil du weißt, daß ich gewählt werde.«

»Ich kann nicht glauben, daß auch nur ein echter Römer für dich stimmen würde, Gaius Marius. Aber du bist sehr reich, und das heißt, du kannst dir Stimmen kaufen. Solltest du je irgendwann zum Konsul gewählt werden - sicher nicht nächstes Jahr -, dann garantiere ich dir schon heute, daß ich mit Vergnügen jeden Funken Energie, den ich besitze, dafür einsetzen werde, vor Gericht zu beweisen, daß du dein Amt gekauft hast!«

»Ich habe es nicht nötig, ein Amt zu kaufen, Quintus Caecilius. Ich habe keines meiner Ämter gekauft. Deshalb kannst du es gerne versuchen«, entgegnete Marius, noch immer empörend selbstsicher.

Metellus wechselte die Taktik. »Ich lasse dich nicht gehen - finde dich damit ab. Als römischer Römer würde ich meinen eigenen Stand verraten, wenn ich dich gehen ließe. Das Konsulat, Gaius Marius, ist ein viel zu hohes Amt für einen Mann von italischer Herkunft. Die Männer, die auf dem Elfenbeinstuhl sitzen, müssen von ihrer Geburt her - durch die Leistungen ihrer Vorfahren und durch ihre eigenen - dafür würdig sein. Ich würde lieber in Schande sterben, als einen Italiker aus dem samnitischen Grenzland - einen Bauern, der ein halber Analphabet ist, der niemals auch nur Prätor hätte werden dürfen - auf dem Elfenbeinstuhl zu sehen! Ich werde lieber in Schande geraten und sterben, als daß ich dir erlaube, nach Rom zu gehen.«

»Wenn es nötig ist, Quintus Caecilius, kannst du beides haben«, bemerkte Marius trocken und verließ das Zimmer.

Publius Rutilius Rufus versuchte, die beiden Männer zur Vernunft zu bringen, weil er um Rom ebenso besorgt war wie um Marius.

»Laßt die Politik aus dem Spiel«, sagte er zu den beiden. »Wir drei sind hier in Africa, weil wir Jugurtha besiegen wollen, aber keiner von euch beiden setzt seine Energien ernsthaft für dieses Ziel ein. Ihr seid viel mehr damit beschäftigt, euch gegenseitig kleinzukriegen, und ich habe davon endgültig genug!«

»Wirfst du mir etwa vor, daß ich meine Pflichten vernachlässige, Publius Rutilius?« fragte Marius gefährlich ruhig.

»Nein, natürlich nicht! Ich werfe dir nur vor, daß du deine genialen Einfälle zurückhältst, die du sonst immer hast, wenn es um Kriegführung geht. Taktisch bin ich ebenso gut wie du. Logistisch bin ich ebenso gut wie du. Aber wenn es um Strategie geht, Gaius Marius - die langfristige Planung eines Krieges -, da kann dir keiner das Wasser reichen, nicht ein einziger. Und hast du auch nur ein Minimum an Zeit und Überlegung darauf verwendet, dir Gedanken zu machen, wie wir diesen Krieg gewinnen können? Nein!«

»Und wo ist mein Platz in dieser Lobeshymne auf Gaius Marius?« fragte Metellus spitz. »Und wo ist, ganz nebenbei, mein Platz in der Lobeshymne auf Publius Rutilius Rufus? Oder zähle ich gar nicht?«

»Du zählst wohl, du Erzangeber, weil du nominell der Befehlshaber in diesem Krieg bist!« schnaubte Rutilius Rufus. »Und wenn du denkst, daß du taktisch und logistisch besser bist als ich, und taktisch und logistisch und strategisch besser als Gaius Marius, dann zeig uns das doch endlich, bei allen Göttern! Aber das tust du natürlich nicht. Wenn du gelobt werden willst, dann will ich dir so viel zugestehen: Du bist weder so korrupt wie Spurius Postumius Albinus noch so unfähig wie Marcus Junius Silanus. Dein Hauptproblem ist, daß du einfach nicht so gut bist, wie du glaubst. Immerhin warst du so intelligent, mich und Gaius Marius als oberste Legaten mitzunehmen, und eine Zeitlang dachte ich tatsächlich, du hättest im Laufe der Jahre etwas dazugelernt. Aber ich habe mich geirrt. Du hast unsere Talente ebenso verschwendet wie das Geld des Staates. Wir gewinnen diesen Krieg nicht, wir stecken in einer außerordentlich kostspieligen Sackgasse. Deshalb höre auf meinen Rat, Quintus Caecilius! Laß Gaius Marius nach Rom gehen, laß Gaius Marius an den Konsulwahlen teilnehmen - und laß mich unsere Mittel organisieren und unsere militärischen Schachzüge planen. Und du - widme deine Energien der Aufgabe, Jugurthas Beliebtheit bei seinem Volk zu untergraben. Von mir aus kannst du so viel öffentlichen Ruhm einheimsen, wie du willst, solange du nur innerhalb dieser vier Wände zugibst, daß ich recht habe.«

»Ich gebe gar nichts zu«, sagte Metellus.

Und so ging es den ganzen Sommer fort bis weit in den Herbst hinein. Jugurtha konnte nicht dingfest gemacht werden, er schien wie vom Erdboden verschluckt. Als auch dem letzten einfachen Soldaten klar geworden war, daß es keine offene Schlacht zwischen dem römischen und dem numidischen Heer geben würde, zog sich Metellus aus den westlichen Gebieten Numidiens zurück und schlug vor Cirta ein Lager auf.

Dort traf die Kunde ein, Bocchus von Mauretanien habe endlich Jugurthas Druck nachgegeben und sein Heer zusammengezogen und sei jetzt unterwegs, um irgendwo weiter südlich zu seinem Schwiegersohn zu stoßen. Es ging das Gerücht, daß sie gemeinsam nach Cirta marschieren wollten. Metellus hoffte, es werde endlich zur Schlacht kommen, er schmiedete Pläne und hörte mit mehr Interesse als sonst auf Marius und Rutilius Rufus. Aber es kam anders. Die beiden Heere lagen einige Meilen voneinander entfernt in Stellung, Jugurtha ließ sich nicht zu einem Angriff provozieren.

Nichts bewegte sich. Die römische Position war so gut verteidigt, daß Jugurtha keinen Angriff wagte, und die Position der Numider war so wenig greifbar, daß Metellus sich nicht aus seinem Lager locken ließ.

Und dann, zwölf Tage vor den Konsulwahlen in Rom, entließ Quintus Caecilius Metellus Schweinebacke den ersten Legaten im Feldzug gegen Jugurtha, Gaius Marius, offiziell aus seinem Dienst.

»Mach, daß du wegkommst«, sagte Metellus und lächelte zuckersüß. »Verlaß dich darauf, Gaius Marius, daß ich ganz Rom davon unterrichten werde, daß ich dich doch vor den Wahlen freigegeben habe.«

»Du denkst, ich komme nicht rechtzeitig dort an«, durchschaute ihn Marius.

»Ich denke gar nichts, Gaius Marius.«

Marius grinste. »Das stimmt allerdings«, meinte er und schnippte mit den Fingern. »Wo ist die Urkunde, die bestätigt, daß ich formell entlassen bin? Gib sie mir.«

Metellus händigte Marius mit gefrorenem Lächeln den Marschbefehl aus, und als Marius die Tür erreicht hatte, sagte Metellus mit ruhiger Stimme: »Übrigens, Gaius Marius, ich habe gerade hervorragende Nachrichten aus Rom bekommen. Der Senat hat meine Statthalterschaft der Provinz Africa und mein Kommando im numidischen Krieg für das nächste Jahr verlängert.«

»Das ist nett vom Senat«, erwiderte Marius und verschwand.

»Ich scheiße auf ihn!« knurrte Marius gleich darauf bei Rutilius Rufus. »Er denkt, er hat mich in die Pfanne gehauen und sein Schäfchen ins trockene gebracht. Aber er täuscht sich. Ich kann ihn schlagen, Publius Rutilius, wart es nur ab! Ich werde rechtzeitig zu den Konsulwahlen in Rom sein, und dann werde ich ihm seine verlängerte Befehlsgewalt wieder abnehmen lassen. Und sie mir selbst geben lassen.«

Rutilius Rufus sah ihn nachdenklich an. »Ich habe großen Respekt vor deinen Fähigkeiten, Gaius Marius«, begann er, »aber in diesem Fall arbeitet die Zeit für unseren Freund Schweinebacke. Du schaffst es nie nach Rom bis zu den Wahlen.«

»Ich schaffe es«, entgegnete Marius im Brustton der Überzeugung.

Er ritt in zwei Tagen von Cirta nach Utika und legte unterwegs nur kurze Pausen ein, um ein paar Stunden zu schlafen. Bei jeder Gelegenheit schnappte er sich ein frisches Pferd. Noch vor Einbruch der Dämmerung des zweiten Tages hatte er ein kleines, schnelles Schiff gemietet, das im Hafen von Utika lag. Und in der Morgendämmerung des dritten Tages segelte er nach Italien ab, nachdem er am Strand großzügig den Lares Permarini geopfert hatte, und zwar genau in dem Augenblick, als ein schmaler Lichtstreifen den östlichen Rand der Welt erhellte.

»Du segelst einem unvorstellbar großen Geschick entgegen, Gaius Marius«, sagte der Priester, als er das Opfer den Göttern darbrachte, die all diejenigen beschützten, die auf dem Meer unterwegs waren. »Ich habe noch nie ein besseres Omen gesehen als heute.«

Die Worte des Priesters überraschten Marius nicht. Seit ihm die syrische Prophetin Martha offenbart hatte, was die Zukunft für ihn bereithielt, war er felsenfest davon überzeugt, daß die Dinge sich genauso entwickeln würden, wie sie vorhergesagt hatte. Als das Schiff in langsamem Tempo den Hafen von Utika verließ, lehnte er deshalb ruhig an der Reling und wartete auf den Wind. Er kam aus Südwesten und blies gleichmäßig mit zwanzig Seemeilen. Er blies das Schiff von Utika nach Ostia in ganzen drei Tagen, ein stets gleichmäßiger Wind bei vollkommen ruhiger See, so daß man sich nirgendwo nahe an der Küste halten oder irgendwo anlegen mußte, um Schutz zu suchen oder Vorräte an Bord zu nehmen. Alle Götter waren auf seiner Seite, genau wie Martha prophezeit hatte.

Die Nachricht von der wundersamen Reise traf noch vor Marius in Rom ein, obwohl er sich in Ostia nur gerade so lange aufhielt, wie er brauchte, um das Schiff zu bezahlen und den Kapitän reichlich zu entlohnen. Als er auf das Forum Romanum ritt und vor dem Wahltisch des Konsuls Aurelius abstieg, hatte sich dort schon eine große Menschenmenge versammelt. Eine Menge, die ihm zujubelte und ihm begeistert applaudierte. Und die ihm zeigte, daß er der Held des Tages war. Die Menschen klopften ihm auf den Rücken, und durch ein Spalier strahlender Gesichter trat Marius vor den consul suffectus hin, der den Platz von Servius Sulpicius Galba eingenommen hatte, nachdem Galba von der Kommission des Mamilius verurteilt worden war. Marius legte Metellus’ Brief auf den Tisch.

»Bitte entschuldige, daß ich mir nicht die Zeit genommen habe, die weiße Toga anzulegen, Marcus Aurelius«, sagte Marius. »Ich bin hier, um mich für die Konsulwahlen einzutragen.«

»Wenn du beweisen kannst, daß dich Quintus Caecilius von deiner Verpflichtung in Numidien entbunden hat, Gaius Marius, werde ich deinen Namen gerne eintragen«, sagte der nachgerückte Konsul. Er war bewegt von dem Empfang, den die Menge Gaius Marius bereitet hatte. Aus jeder Basilika und jedem Porticus ringsum eilten immer mehr einflußreiche Ritter herbei, sobald sich die Nachricht von Marius’ überraschender Ankunft verbreitete.

Wieviel Format Marius gewonnen hatte! Was für eine eindrucksvolle Erscheinung, als er so dastand, einen halben Kopf größer als die Menschen um ihn herum, mit einem stolzen Lächeln auf den Lippen! Wie breit seine Schultern waren, wie geschaffen, um die Bürde des Konsulats zu tragen! Zum ersten Mal in seiner langen Laufbahn erlebte der italische Bauer ohne Griechischkenntnisse eine echte politische Huldigung. Nicht die gesunde, vertrauensvolle Achtung seiner Soldaten, sondern die wankelmütige, eitle Bewunderung der Massen auf dem Forum. Und Gaius Marius genoß sie nicht, weil sie seinem Selbstwertgefühl schmeichelte, sondern weil sie so fremd, so verführerisch, so geheimnisvoll war.

Er stürzte sich in die fünf hektischsten Tage seines Lebens. Er hatte weder Zeit noch Energie, Julia mehr als eine flüchtige Umarmung zu schenken, und war nie zu einer Zeit daheim, zu der man ihm seinen Sohn zeigen konnte. Denn der überschwengliche Empfang, der ihm auf dem Forum zuteil geworden war, hieß nicht, daß er auch gewinnen konnte. Die ungeheuer einflußreiche Sippe Caecilius Metellus verband sich mit allen anderen aristokratischen Fraktionen, Patriziern und Plebejern, in einem letzten verzweifelten Bemühen, den italischen Bauern ohne Griechischkenntnisse vom Elfenbeinstuhl fernzuhalten. Marius hatte Rückhalt bei den Rittern, bei seinen spanischen Verbindungen und in Prinz Gaudas Versprechungen für die Zeit, wenn er endlich Herrscher in Numidien sein würde. Aber es gab auch viele Ritter, die an die verschiedenen Fraktionen gebunden waren, die sich gegen Marius zusammengeschlossen hatten.

Und die Menschen redeten, argumentierten, fragten, diskutierten: wäre es wirklich gut für Rom, den homo novus Gaius Marius zum Konsul zu wählen? Ein homo novus war immer ein Risiko. Ein homo novus kannte das vornehme Leben nicht. Ein homo novus war nun einmal ein homo novus und blieb ein homo novus... Ja, seine Frau war eine Julia aus dem Geschlecht Julius Caesar. Ja, seine militärische Laufbahn war eine Zierde für Rom. Ja, er war so reich, daß man zuversichtlich erwarten konnte, er werde nicht anfällig für Bestechung sein. Aber hatte man ihn je bei Gericht gesehen? Hatte man ihn je über Gesetze und Gesetzgebung sprechen hören? War er nicht vor vielen Jahren einmal ein Störenfried im Kollegium der Volkstribunen gewesen, als er denjenigen die Stirn geboten hatte, die Rom und die Bedürfnisse Roms besser kannten als er, und hatte er nicht dieses verhaßte Gesetz durchgebracht, das regelte, daß die Abstimmungsbezirke in der saepta verengt wurden? Und dann sein Alter! Volle fünfzig Jahre wäre er alt, wenn er gewählt werden sollte, und alte Männer waren immer schlechte Konsuln.

Und zusätzlich zu all diesen Spekulationen und Einwänden schlug die Fraktion von Caecilius Metellus handfestes Kapital aus dein größten Schwachpunkt des Gaius Marius. Er war kein römischer Römer. Er war ein italischer Römer. Hatte Rom so wenig geeignete römische Adlige, daß ein italischer homo novus Konsul werden sollte? Gewiß gab es unter den Kandidaten ein halbes Dutzend Männer, die würdiger waren als Gaius Marius! Alles Römer. Alles gute Leute.

Natürlich hielt Marius Reden, vor kleinen und vor großen Gruppen, auf dem Forum Romanum, im Circus Flaminius, von den Podien der Tempel, am Porticus Metelli, in allen Basiliken. Und er war ein guter Redner. Er beherrschte die Prinzipien der Rhetorik, obwohl er seine Fähigkeiten erst geübt hatte, seit er Mitglied des Senats war. Scipio Aemilianus hatte ihm den nötigen rhetorischen Schliff beigebracht. Er schlug seine Zuhörer in Bann, niemand ging vorzeitig weg oder langweilte sich, auch wenn er es nicht mit einem Lucius Cassius oder einem Catulus Caesar aufnehmen konnte. Viele Fragen wurden ihm gestellt, manche von Männern, die einfach etwas wissen wollten, manche von Männern, die er selbst beauftragt hatte zu fragen, und manche von Männern, die sich für die Unterschiede zwischen seinen Antworten und Metellus’ Berichten an den Senat interessierten.

Die Wahl verlief ruhig und geordnet. Sie fand auf dem Marsfeld statt, in der saepta, einem eigens für Volksabstimmungen umzäunten Raum. Die Wahlen der fünfunddreißig Tribus konnten am Versammlungsort der Komitien auf dem Forum Romanum abgehalten werden, denn es war leicht, die Wähler der Tribus auf relativ engem Raum zu organisieren. Aber die Wahlen der riesigen Zenturienversammlung bedeuteten einen enormen Aufwand, denn die Hundertschaften mußten sich entsprechend den fünf Vermögensklassen aufstellen, denen sie zugeteilt waren.

Als die Stimme einer jeden Hundertschaft abgerufen wurde, angefangen bei der ersten Hundertschaft der Ersten Klasse, zeichnete sich bald ein Muster ab. Lucius Cassius Longinus war die erste Wahl einer jeden Hundertschaft, aber für den zweiten Konsul gab es ganz unterschiedliche Nennungen. Die Erste und die Zweite Klasse stimmten so einhellig für Lucius Cassius Longinus, daß er an die vorderste Stelle gesetzt wurde. Lucius Cassius Longinus war damit zum ersten Konsul gewählt, und im Monat Januar würden ihm die fasces vorangetragen werden. Der Name des zweiten Konsuls blieb unbestimmt bis beinahe ans Ende der Dritten Klasse, so dicht lagen Gaius Marius und Quintus Lutatius Catulus Caesar beieinander.

Und dann fiel die Entscheidung. Gaius Marius setzte sich als zweiter Konsul durch. Die Sippe Caecilius Metellus konnte zwar die Abstimmung der Zenturien noch beeinflussen - aber es reichte nicht mehr, den Sieg Gaius Marius’ zu verhindern. Die Wahl war ein großer Triumph für ihn, den italischen Bauern ohne Griechischkenntnisse. Er war ein echter homo novus, der erste in seiner Familie, der im Senat saß, der erste in seiner Familie, der seinen Wohnsitz nach Rom verlegt hatte, der erste in seiner Familie, der ein riesiges Vermögen erworben hatte, der erste in seiner Familie, der sich beim Heer ausgezeichnet hatte. Und nun der erste in seiner Familie, der Konsul wurde.

Spät am Nachmittag des Wahltages gab Gaius Julius Caesar ein Festessen im engsten Familienkreis. Bis dahin hatte er Marius nur einmal auf dem Forum kurz die Hand gedrückt und ein weiteres Mal auf dem Marsfeld seine Hand geschüttelt, als sich die Zenturien aufgestellt hatten, so hektisch war Marius’ Wahlkampf während der letzten fünf Tage gewesen.

»Du hast unglaubliches Glück gehabt«, sagte Caesar, als er seinen Ehrengast ins Speisezimmer führte. Seine Tochter Julia holte inzwischen ihre Mutter und ihre jüngere Schwester.

»Ich weiß«, sagte Marius.

»Wir Männer sind heute nicht eben zahlreich vertreten, da meine beiden Söhne noch in Africa sind. Aber ich habe einen weiteren Mann als moralische Stütze eingeladen, so können wir es mit den Frauen aufnehmen.«

»Ich habe Briefe von Sextus und Gaius Julius mit Nachrichten von ihren Heldentaten«, sagte Marius, als sie sich bequem auf dem Sofa niederließen.

»Das reicht auch noch später.«

Der angekündigte dritte männliche Gast betrat das Speisezimmer, und Marius fuhr überrascht hoch, denn er erkannte einen jungen, aber reif wirkenden Mann wieder, der ihm schon vor beinahe drei Jahren unter den Rittern aufgefallen war. Dieses Gesicht, diese Haare - wie hätte er das vergessen können?

»Gaius Marius«, sagte Caesar mit kaum merklich gezwungenem Tonfall, »Ich möchte dir Lucius Cornelius Sulla vorstellen, der nicht nur unser Nachbar ist, sondern auch mein Mitsenator, und der bald mein zweiter Schwiegersohn sein wird.«

»Donnerwetter!« rief Marius und drückte Sulla sehr herzlich die Hand. »Du bist ein Glückspilz, Lucius Cornelius.«

»Das weiß ich gut«, erwiderte Sulla bewegt.

Caesar hatte beschlossen, bei der Tischordnung ein wenig von der Konvention abzuweichen. Die Liege am oberen Ende hatte er sich und Marius vorbehalten und die zweite Liege für Sulla bestimmt. Das war nicht als Beleidigung gedacht, wie er ausdrücklich erklärte, sondern sollte die Gruppe ein wenig größer erscheinen lassen und allen mehr Platz bieten.

Wie interessant, dachte Marius und runzelte innerlich die Stirn. Ich habe bisher noch nie erlebt, daß Gaius Julius Caesar sich rechtfertigt. Aber dieser verteufelt hübsche Bursche bringt ihn irgendwie aus der Fassung, aus dem Gleichgewicht...

Dann kamen die Frauen herein, setzten sich auf Stühlen mit geraden Lehnen den Männern gegenüber, und das Festmahl konnte beginnen.

Marius gab sich große Mühe, nicht das Bild eines älteren Ehemanns abzugeben, der seine Frau anbetet, aber seine Augen wanderten unwillkürlich immer wieder zu Julia hin, die in seiner Abwesenheit zu einer blühenden jungen Ehefrau gereift war, anmutig, ihrer neuen Verantwortung vollkommen gewachsen, eine hervorragende Mutter und Hausherrin - und die ideale Gattin. Während Julilla keineswegs gereift ist, dachte Marius. Natürlich hatte er sie in den schlimmsten Zeiten ihrer Krankheit nicht gesehen, und nun war sie bereits seit einiger Zeit wieder genesen. Aber etwas war zurückgeblieben, was Marius nur als armselige Haltung dem Leben gegenüber bezeichnen konnte: Sie war armselig von Gestalt, arm an Intellekt, arm an Erfahrung und unzufrieden mit sich und ihrem Leben. Sie redete fieberhaft, bewegte sich fahrig, zuckte erschreckt zusammen und konnte nicht still auf ihrem Stuhl sitzen. Und ständig zog sie die Aufmerksamkeit ihres künftigen Gatten auf sich, so daß dieser häufig vom Gespräch zwischen Marius und Caesar ausgeschlossen war.

Er ertrug es mit Fassung, wie Marius feststellte, und schien Julilla wirklich gern zu haben. Ohne Zweifel faszinierte es ihn, daß er so ganz im Mittelpunkt ihrer Gefühle stand. Aber dieser Reiz würde nicht mehr als die ersten sechs Monate ihrer Ehe überdauern, dachte der nüchterne Marius. Nicht wenn Lucius Cornelius Sulla der Bräutigam war. Er sah wahrlich nicht so aus, als hätte er eine ausgeprägte Vorliebe für weibliche Gesellschaft oder eine besondere Neigung, ein treuergebener Gatte zu werden.

Nach dem Essen erklärte Caesar, daß er sich unter vier Augen in seinem Arbeitszimmer mit Gaius Marius unterhalten wolle. »Bleibt hier, wenn ihr möchtet, oder tut, was immer ihr zu tun habt«, sagte er ruhig. »Gaius Marius und ich haben uns viel zu lange nicht gesehen.«

»In deinem Haus hat es Veränderungen gegeben, Gaius Julius«, sagte Marius, als die beiden Männer es sich im tablinum gemütlich gemacht hatten.

»Ja, in der Tat - das ist auch der Hauptgrund dafür, daß ich unverzüglich mit dir allein sprechen wollte.«

»Nun, ich werde am nächsten Neujahrstag Konsul, und damit nimmt mein Leben eine höchst erfreuliche Wendung«, sagte Marius lächelnd. »All das habe ich dir zu verdanken - und nicht zuletzt habe ich dir das Glück einer wunderbaren Ehefrau zu verdanken, einer vollkommenen Gefährtin für meinen Lebensweg. Ich habe ihr seit meiner Rückkehr wenig Zeit widmen können, aber jetzt, nach meiner Wahl, will ich das wiedergutmachen. In drei Tagen fahre ich mit Julia und meinem Sohn nach Baiae, und wir werden die ganze Welt für einen Monat vergessen.«

»Es freut mich mehr, als du dir vorstellen kannst, daß du mit soviel Liebe und Respekt von meiner Tochter sprichst.«

Marius lehnte sich ein wenig bequemer in seinen Stuhl zurück. »Gut. Nun zu Lucius Cornelius Sulla. Ich erinnere mich an ein paar Bemerkungen von dir über einen Patrizier, der nicht das Geld habe, so zu leben, wie es ihm von Geburt aus zustehe, und der Name, den du nanntest, war der Name deines zukünftigen Schwiegersohnes. Was ist geschehen, daß sich die Verhältnisse gewandelt haben?«

»Nach seiner Darstellung hat er einfach Glück gehabt. Er sagt, wenn sein Leben so weitergehe, wie es seit der Begegnung mit Julilla verlaufen sei, dann werde er einen zweiten Beinamen an den Beinamen anhängen müssen, den er von seinem Vater geerbt hat. Felix. Der Vater, ein Säufer und Verschwender, heiratete vor mehr als fünfzehn Jahren die reiche Clitumna und starb bald darauf. Lucius Cornelius begegnete Julilla am Neujahrstag vor jetzt beinahe drei Jahren, und sie gab ihm einen Graskranz, ohne zu wissen, was das bedeutete. Er behauptet, daß sein Leben von jenem Augenblick an eine glückliche Wendung genommen habe. Zuerst starb Clitumnas Neffe, der ihr Erbe war. Dann starb eine Frau namens Nikopolis und hinterließ Lucius Cornelius ein kleines Vermögen - soweit ich weiß, war sie seine Geliebte. Und nur wenige Monate später beging Clitumna Selbstmord. Da sie keine Blutsverwandten hatte, denen sie etwas vererben konnte, vermachte sie ihr gesamtes Vermögen - das Haus nebenan, ein Landhaus in Circei und ungefähr zehn Millionen Denare - Lucius Cornelius.«

Ihr Götter, er hat den Beinamen Felix wirklich verdient«, sagte Marius trocken. »Bist du in dieser Sache naiv, Gaius Julius, oder hast du dich zufriedenstellend vergewissert, daß Lucius Cornelius Sulla keinem der Toten in Charons Fähre über den Styx hineingeholfen hat?«

Caesar hob bei dieser spöttischen Bemerkung abwehrend die Hand, aber er lächelte. »Nein, Gaius Marius, du kannst dich darauf verlassen, daß ich nicht naiv war. Ich kann Lucius Cornelius mit keinem der drei Todesfälle in Verbindung bringen. Der Neffe starb nach einer langen Magen- und Darmkrankheit, die freigelassene griechische Sklavin starb an akutem Nierenversagen - innerhalb von ein oder zwei Tagen, das weiß ich nicht genau, aber auf keinen Fall länger. Bei beiden wurde eine Autopsie durchgeführt, und man fand nichts Verdächtiges. Clitumna war in der letzten Zeit vor ihrem Tod sehr depressiv. Sie hat sich in Circei das Leben genommen, und Sulla war zu diesem Zeitpunkt nachweislich in Rom. Ich habe alle Sklaven aus Clitumnas Haushalt, sowohl in ihrem Haus hier wie auch in ihrem Landhaus in Circei, gründlich befragt, und ich bin zu der Überzeugung gelangt, daß es über Sulla nichts herauszufinden gibt.« Er zog eine Grimasse. »Ich bin immer dagegen gewesen, Sklaven zu foltern, um Beweise für ein Verbrechen zu erhalten, denn ich meine, daß solche Beweise keinen Pfifferling wert sind. Aber ich glaube ehrlichen Herzens nicht, daß Clitumnas Sklaven eine Geschichte erzählen könnten, auch unter der Folter nicht. Daher habe ich mich nicht weiter darum bemüht.«

Marius nickte. »Ich stimme dir zu, Gaius Julius. Zeugenaussagen von Sklaven sind nur etwas wert, wenn sie freiwillig gemacht werden - und wenn sie logisch sind und mit dem Sachverhalt übereinstimmen.«

»Die Folge all dieser Ereignisse war, daß Lucius Cornelius innerhalb von zwei Monaten aus tiefster Armut zu ansehnlichem Wohlstand gelangte«, fuhr Caesar fort. »Von Nikopolis erbte er genug, um in den Ritterstand aufgenommen zu werden, und von Clitumna genug, um zum Senat zugelassen zu werden. Weil Scaurus so ein großes Geschrei darüber erhoben hat, daß zwei Zensoren fehlten, wurden im letzten Mai zwei neue gewählt. Sonst hätte Lucius Cornelius mehrere Jahre auf die Zulassung zum Senat warten müssen.«

Marius lachte. »Ja, was war denn da los? Wollte niemand die Zensorenposten haben? Ich meine, es ist noch einigermaßen logisch, daß wir Fabius Maximus Eburnus haben, aber wie kommen wir zu Licinius Getha? Er wurde vor acht Jahren wegen unmoralischen Verhaltens von den Zensoren aus dem Senat hinausgeworfen und fand den Rückweg dorthin nur dadurch, daß er sich zum Volkstribunen wählen ließ!«

»Ich weiß«, sagte Caesar verdrossen. »Nein, ich denke, es war so, daß alle vor einer Kandidatur zurückschreckten, weil sie Scaurus nicht beleidigen wollten. Wenn in dieser Situation jemand Zensor werden wollte, sah das ganz nach einem Mangel an Respekt und Loyalität gegenüber Scaurus aus, also ließen sich nur solche Kandidaten aufstellen, denen diese Art von Feingefühl abging. Übrigens wird man mit Getha leicht fertig - er wollte den Posten nur aus Prestigegründen und zu dem Zweck, ein paar Silberlinge von Unternehmen zu ernten, die Verträge mit dem Staat abschließen wollen. Aber Eburnus - na ja, wir wissen ja alle, daß er nicht ganz richtig im Kopf ist, nicht wahr, Marius?«

Ja, dachte Marius, das wissen wir in der Tat. Die Familie Fabius Maximus war uralt und so aristokratisch, daß ihr nur die Julier das Wasser reichen konnten. Ihre legitimen Erben waren allesamt ausgestorben, und die Familie blieb nur durch eine Reihe von Adoptionen erhalten. Der Quintus Maximus Eburnus, der nun zum Zensor gewählt worden war, war ein adoptierter Fabius Maximus. Er war Vater eines einzigen Sohnes und hatte diesen vor fünf Jahren wegen Unkeuschheit hingerichtet. Zwar gab es kein Gesetz, das Eburnus daran gehindert hätte, in seiner Funktion als pater familias seinen Sohn zu töten, aber die Hinrichtung von Frauen und Kindern unter dem schützenden Dach des Famillengesetzes war seit langem nicht mehr üblich. Ganz Rom war deshalb über Eburnus’ Tat empört und entsetzt gewesen.

»Weißt du, es ist eigentlich gut für Rom, daß Getha einen Eburnus als Kollegen hat«, sagte Marius nachdenklich. »Ich glaube nicht, daß er sich viel erlauben kann, wenn er Eburnus neben sich weiß. Eburnus wird ihm ganz schön auf die Finger sehen.«

»Da hast du bestimmt recht, aber sein armer Sohn! Eburnus ist ja in Wirklichkeit ein gebürtiger Servilius Caepio, und die ganze Sippschaft Servillus Caepio ist ziemlich merkwürdig, wenn es um Moral und Sittlichkeit geht. Keuscher als die Jägerin Artemis, und sie posaunen es auch noch in alle Welt hinaus. Man fragt sich wirklich, was da los ist.«

»Und welcher Zensor hat nun welchen überredet, Lucius Cornelius Sulla in den Senat zu lassen?« fragte Marius. »Man hört allenthalben, daß er nicht gerade der Inbegriff eines keuschen Lebenswandels sei. Das fiel mir ein, seit ich seinen Namen und sein Gesicht zusammenbringe.«

»Ach, ich glaube, seine sexuelle Freizügigkeit hatte ihren Grund vor allem in Langeweile und Frustration«, sagte Caesar leichthin. »Aber Eburnus hat wirklich seine kleine Knubbelnase gerümpft und ein bißchen gemault, das stimmt. Während Getha ungerührt einen Affen für den Senat zulassen würde, wenn nur das Geld stimmt. Also einigten sie sich schließlich darauf, Lucius Cornelius einzuschreiben - aber nur mit Vorbehalten.«

»Ach?«

»Ja. Lucius Cornelius ist Senator unter Vorbehalt - er muß sich für die Quästur zur Wahl stellen und auf Anhieb durchkommen. Wenn er scheitert, verliert er zugleich seinen Senatssitz.«

»Und wird er es schaffen?«

»Was meinst du, Gaius Marius?«

»Mit diesem Namen? Oh, er wird es sicher schaffen.«

»Ich hoffe es.« Aber Caesar sah aus, als zweifle er. Als sei er unsicher. Womöglich sogar ein wenig verlegen? Er holte tief Luft, richtete den Blick seiner blauen Augen direkt auf seinen Schwiegersohn und lächelte bekümmert. »Ich habe gelobt, Gaius Marius, dich nie mehr um einen Gefallen zu bitten, nachdem du bei der Heirat mit Julia so großzügig warst. Aber das war ein törichtes Gelöbnis. Wie soll man wissen, was die Zukunft erfordert? Ich muß dich um etwas bitten. Ich muß dich um einen weiteren Gefallen bitten.«

»Was immer du willst, Gaius Julius«, sagte Marius herzlich.

»Hast du schon so viel Zeit mit deiner Frau verbracht, daß du weißt, warum Julilla sich beinahe zu Tode gehungert hat?« fragte Caesar.

»Nein.« Das ernste, kraftvolle Adlergesicht leuchtete einen Augenblick lang voll Freude auf. »Die wenige Zeit, die wir seit meiner Heimkehr zusammen verbracht haben, haben wir nicht auf Gespräche verschwendet, Gaius Julius!«

Caesar lachte und seufzte. »Ich wünschte, meine jüngere Tochter wäre aus demselben Holz geschnitzt wie meine ältere. Aber sie ist es nicht. Wahrscheinlich liegt die Schuld dafür bei Marcia und mir. Wir haben sie verwöhnt und haben ihr vieles nachgesehen, was wir den drei älteren Kindern nicht durchgehen ließen. Andererseits bin ich fest davon überzeugt, daß Julilla auch charakterliche Mängel hat. Kurz bevor Clitumna starb, fanden wir heraus, daß das törichte Mädchen sich in Lucius Cornelius verliebt hatte und versuchte, ihn - und uns - dazu zu zwingen... Wir wissen gar nicht genau, was sie eigentlich im Sinn hatte, falls sie das überhaupt selbst richtig gewußt hat - auf alle Fälle wollte sie Lucius Cornelius haben, und sie wußte, daß ich einer solchen Verbindung niemals zustimmen würde.«

Marius sah ihn ungläubig an. »Und obwohl du gewußt hast, daß eine heimliche Beziehung zwischen ihnen bestand, hast du eine Eheschließung erlaubt?«

»Nein, nein, Gaius Marius, Lucius Cornelius war in keiner Weise in die Sache verwickelt!« rief Caesar. »Ich versichere dir, daß er nichts mit dem zu tun hatte, was sie getan hat.«

»Aber du hast gesagt, sie hätte ihm am Neujahrstag vor zwei Jahren einen Graskranz gegeben«, wandte Marius ein.

»Glaub mir, dieses Zusammentreffen war unschuldig, zumindest aus seiner Sicht. Er hat sie nicht ermutigt - er hat sogar versucht, sie abzuschrecken. Julilla hat Schande über sich und uns gebracht, weil sie ihn unbedingt dazu verleiten wollte, ihr Gefühle zu gestehen, von denen er wußte, daß ich sie ihm nie verzeihen würde. Laß dir von Julia die ganze Geschichte erzählen, und du wirst verstehen, was ich meine«, sagte Caesar.

»Und wie kommt es dann, daß sie heiraten werden?«

»Nun, als er das Vermögen geerbt hatte und in der Lage war, einen respektablen Platz in der Gesellschaft einzunehmen, bat er mich um Julillas Hand. Trotz der Art und Weise, wie sie ihn behandelt hat.«

»Der Graskranz«, sagte Marius nachdenklich. »Ja, ich kann verstehen, daß er sich mit ihr verbunden fühlt, besonders wenn ihr Geschenk sein Leben verändert hat.«

»Ich verstehe es auch, deshalb habe ich meine Zustimmung gegeben.« Wieder seufzte Caesar, diesmal tiefer. »Das Schlimme ist, Gaius Marius, daß ich für Lucius Cornelius nicht die geringste Spur der Sympathie empfinde, die, ich für dich empfinde. Er ist ein sehr merkwürdiger Mann, und er hat etwas in seinem Wesen, das mich schaudern macht. Aber ich habe keine Ahnung, was es ist. Und man muß sich immer darum bemühen, gerecht zu sein und unparteiisch zu urteilen.«

»Kopf hoch, Gaius Julius, es wird schon alles gut werden«, sagte Marius. »Doch nun: Was kann ich für dich tun?«

»Lucius Cornelius helfen, damit er zum Quästor gewählt wird«, sagte Caesar mit festerer Stimme, denn wenn es um Politik ging, war er in seinem Element. »Das Problem ist, daß ihn niemand kennt. Zwar kennt jeder seinen Namen, alle wissen, daß er ein echter patrizischer Cornelius ist. Aber der cognomen Sulla ist heute nicht gerade in aller Munde, und er hatte nie die Gelegenheit, sich als junger Mann auf dem Forum und bei Gericht bekannt zu machen, er hat auch keinen Militärdienst geleistet. Übrigens könnte schon allein die Tatsache, daß er nie Soldat war, ausreichen, seine Wahl zu vereiteln, falls irgendein böswilliger Adliger deswegen Theater macht - und das könnte ihm auch den Weg in den Senat versperren. Wir hoffen, daß niemand allzu genaue Fragen stellt, in dieser Hinsicht sind die beiden gegenwärtigen Zensoren ideal. Es ist keinem von beiden in den Sinn gekommen, daß Lucius Cornelius nicht fähig sein könnte, auf dem Marsfeld auszubilden oder als unterer Militärtribun in einer Legion zu dienen. Und glücklicherweise hat Scaurus höchstpersönlich Lucius Cornelius in den Ritterstand aufgenommen, deshalb glauben unsere neuen Zensoren einfach, daß die alten Zensoren alles sehr viel genauer überprüft haben, als es tatsächlich der Fall war. Scaurus und Drusus waren verständige Männer, sie wollten Lucius Cornelius eine Chance geben. Und außerdem stand damals seine Aufnahme in den Senat nicht zur Debatte.«

»Möchtest du, daß ich Lucius Cornelius durch Bestechung ins Amt bringe?« fragte Marius ganz direkt.

Caesar war so altmodisch, daß ihn diese Frage schockierte. »Aber nein, selbstverständlich nicht! Ich sehe ein, daß Bestechung entschuldbar ist, wenn es um das Konsulat geht, aber für das Amt des Quästors? Nie im Leben! Außerdem wäre es zu riskant. Eburnus hat Lucius Cornelius im Auge. Er lauert nur auf eine Gelegenheit, ihn von der Wahl auszuschließen - und ihn zu verfolgen. Nein, der Gefallen, um den ich dich bitten möchte, ist ein ganz anderer, viel unerfreulicher für dich, falls die Sache fehlschlägt. Ich möchte, daß du Lucius Cornelius als deinen persönlichen Quästor anforderst - ihm die Auszeichnung einer persönlichen Ernennung zuteil werden läßt. Wie du ja weißt, kann ein Kandidat für die Quästur sicher sein, tatsächlich gewählt zu werden, wenn die Wahlberechtigten erfahren, daß er bereits von einem neugewählten Konsul angefordert wurde.«

Marius antwortete nicht gleich. Er war damit beschäftigt, die ganze Tragweite dieses Wunsches zu verdauen. Letzten Endes war es ihm vollkommen gleichgültig, ob Sulla irgendeine Mitschuld am Tod seiner Geliebten oder seiner Stiefmutter trug, die ihn durch ihre Testamente zu einem reichen Mann gemacht hatten. Es würde später auf alle Fälle heißen, er habe sie umgebracht - spätestens, wenn er die Neigung bekunden sollte, Konsul zu werden. Irgend jemand würde die Geschichte ausgraben. Durch Flüsterpropaganda würde man das Gerücht verbreiten, Sulla habe gemordet, um genügend Geld für die politische Karriere in die Hand zu bekommen, die ihm durch die Armut seines Vaters verwehrt war. Für seine politischen Rivalen käme das einem Geschenk der Götter gleich. Die Ehe mit einer Tochter von Gaius Julius Caesar wäre ihm zwar eine Hilfe, aber nichts könnte ihn von dem Verdacht völlig reinwaschen. Und am Schluß würde etwas an ihm hängenbleiben, genauso wie an ihm, Marius, etwas hängengeblieben war. Das war der erste Einwand. Der zweite war Caesars Unbehagen. Caesar mochte Sulla nicht recht, obwohl er keine greifbaren Gründe für seine Abneigung nennen konnte. Hatte es eher mit dem Gefühl zu tun als mit dem Verstand? War es Instinkt? Und der dritte Einwand war Julilla. Seine Julia, das wußte Marius genau, hätte niemals einen Mann geheiratet, der ihr unwürdig erschienen wäre, wie bedrückend die finanziellen Verhältnisse der Familie auch sein mochten. Julilla hingegen hatte gezeigt, daß sie flatterhaft, gedankenlos und selbstsüchtig war - ein Mädchen, das nicht einmal dann einen würdigen Partner aussuchen würde, wenn ihr Leben davon abhinge. Und sie hatte Lucius Cornelius Sulla ausgesucht.

Dann ließ Marius seine Gedanken weit in die Vergangenheit abschweifen, erinnerte sich an die regnerischen Morgenstunden auf dem Kapitol, als er unbemerkt beobachtet hatte, wie Sulla die Opferstiere verbluten sah. Und da wußte er, was das Richtige war, was er antworten mußte. Lucius Cornelius Sulla war fraglos wichtig. Unter keinen Umständen durfte man zulassen, daß er wieder in den Sumpf zurücksank. Er mußte das Erbe seines Namens antreten.

»Also gut, Gaius Julius«, sagte Marius ohne das geringste Zögern in der Stimme, »morgen werde ich den Senat bitten, mir Lucius Cornelius Sulla als persönlichen Quästor zu geben.«

Caesar strahlte. »Danke, Gaius Marius! Vielen Dank!«

»Kannst du sie verheiraten, ehe die Versammlung der Plebs zur Wahl der Quästoren zusammentritt?« fragte er.

»Das kann ich«, antwortete Caesar.

Und so vermählten sich kaum acht Tage später Lucius Cornelius Sulla und Julia Minor, die jüngere Tochter des Gaius Julius Caesar, durch die traditionelle Zeremonie der confarreatio, die zwei Patrizier auf Lebenszeit aneinanderband. Sullas Karriere nahm einen glänzenden Beginn: Der neugewählte Konsul Gaius Marius forderte ihn persönlich als Quästor an, und durch seine Heirat mit Julilla wurde er Mitglied einer Familie, deren dignitas und Integrität über jeden Zweifel erhaben waren. Jetzt konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen.

In dieser Hochstimmung sah Sulla der Hochzeitsnacht gelassen entgegen und vergaß beinahe seine Abneigung gegen die Pflichten des Familienlebens. Von Metrobius hatte er sich getrennt, ehe er sich bei den Zensoren zur Aufnahme in den Senat beworben hatte. Obwohl bei dem Abschied so viele Tränen geflossen waren, daß er es kaum hatte ertragen können - denn der Junge liebte ihn abgöttisch und wollte nicht von ihm lassen -, war Sulla doch fest bei seinem Entschluß geblieben, solche Ausschweifungen für immer hinter sich zu lassen. Nichts und niemand sollte seinen Aufstieg zum Ruhm gefährden.

Außerdem konnten ihn seine Empfindungen für Julilla nicht täuschen. Er hatte erkannt, wieviel sie ihm bedeutete, und sie war ihm teuer - nicht nur, weil sie sein Glück verkörperte. In Gedanken jedoch waren seine Gefühle für Julilla diesem Glück untergeordnet. Sulla war ganz einfach unfähig, sich einzugestehen, daß er einen Menschen liebte. Liebe war in seinen Augen etwas, das andere Menschen, geringere Menschen empfanden. So, wie diese anderen, geringeren Menschen die Liebe verstanden, erschien sie ihm als eine recht befremdliche Sache: voller Illusion und Verblendung, manchmal edel bis zur Dummheit und manchmal niedrig bis zur Schamlosigkeit. Sulla konnte in sich selbst keine Liebe erkennen, weil er felsenfest davon überzeugt war, daß sie den gesunden Verstand, die Selbsterhaltung und die geistige Klarheit untergrub. In späteren Jahren kam er nicht ein einziges Mal auf den Gedanken, daß seine Geduld und seine Nachsicht mit seiner flatterhaften und labilen Frau der beste Beweis dafür waren, daß es auch in ihm ein Gefühl namens Liebe gab. Statt dessen glaubte er, Geduld und Nachsicht gehörten als gute Seiten zu seinem Charakter, und so verstand er nicht, was die Liebe in ihm bewirkte, und wuchs nicht innerlich an dieser Erfahrung.

Die Hochzeit war eine typische Feier der Familie Julius Caesar: würdevoll und festlich, ohne jeden Anflug von Derbheit, während die Hochzeiten, an denen Sulla bisher teilgenommen hatte, eher derb als würdevoll gewesen waren. Sulla ließ die ganze Prozedur mehr über sich ergehen, als daß er sich daran freute. Zur entscheidenden Stunde torkelten keine betrunkenen Gäste vor seiner Schlafzimmertür herum, und er mußte keine Zeit darauf verschwenden, sie gewaltsam hinauszuwerfen. Die Gäste geleiteten Sulla und Julilla den kurzen Weg von der einen Tür zur anderen, und als Sulla Julilla hochhob - wie federleicht sie war, wie zerbrechlich -, um sie über die Schwelle zu tragen, zogen sich die Gäste diskret zurück.

Unerfahrene Jungfrauen hatten in Sullas Leben bisher noch nie eine Rolle gespielt. So hatte er sich über sein Verhalten in der Hochzeitsnacht noch keinerlei Gedanken gemacht - und sich damit eine Menge unnötiger Ängste erspart. Denn wie auch immer es aus medizinischer Sicht um Julillas Jungfräulichkeit bestellt sein mochte, sie war so reif zur Hingabe wie ein Pfirsich, der von selbst vom Baum fällt. Sie sah Sulla zu, wie er seine Hochzeitstunika ablegte und den Blütenkranz vom Kopf nahm. Sie beobachtete jede Handbewegung fasziniert und gespannt. Und sie schälte sich bereitwillig Schicht um Schicht aus ihren zahlreichen Hüllen, den cremefarbenen und roten und safrangelben Brautgewändern. Sie nahm die siebenreihige wollene Tiara vom Kopf und löste all die speziellen Knoten und Gürtel.

Dann betrachteten sie einander und freuten sich an der Schönheit ihrer Leiber. Sullas Gestalt war makellos, Julilla war noch zu dünn, aber bei ihrer biegsamen anmutigen Schlankheit erschien vieles weich, was bei einer anderen Frau eckig und häßlich gewirkt hätte. Und während er noch dastand und sie betrachtete, kam sie auf ihn zu, legte ihm die Hände auf die Schultern und schmiegte mit vollkommenen natürlicher und spontaner Sinnlichkeit ihren Körper an seinen Körper. Sie seufzte vor Wonne, als er die Arme um sie legte und mit beiden Händen ihren Rücken zu streicheln begann.

Er war bezaubert von ihrer Leichtigkeit, von der akrobatischen Geschmeidigkeit, mit der sie reagierte, als er sie hoch über seinen Kopf hob, mit der sie sich um ihn schlang. Nichts, was er tat, erschreckte oder beleidigte sie, und sie erwiderte jede Zärtlichkeit, die man nur erwidern kann. Es dauerte lediglich Sekunden, bis sie küssen gelernt hatte, und in all den Jahren ihrer Ehe lernte sie beständig weiter. Eine wunderbare, schöne, glutvolle Frau, die ihm gerne Wonne schenken wollte, und die hungrig danach verlangte, daß er ihr ebenfalls Wonne schenkte. Und sie war sein. Ganz und gar. Wer von beiden hätte in dieser Nacht ahnen sollen, daß sich die Dinge ändern könnten, weniger vollkommen, weniger beglückend, weniger willkommen sein könnten?

»Wenn du einen andern auch nur anschaust, bringe ich dich um«, sagte er, als sie erschöpft auf dem Bett lagen und sich zwischen ihren Liebesspielen ausruhten.

»Ich glaube dir«, sagte sie und erinnerte sich an die Lektionen ihres Vaters über die Rechte eines pater familias. Denn von jetzt an stand sie nicht mehr unter der Autorität des Vaters, sondern hatte sich der Gewalt Sullas zu unterwerfen. Als Patrizierin war sie nicht Herrin ihrer selbst und konnte es auch niemals werden. Frauen wie Nikopolis und Clitumna hatten es da erheblich einfacher.

Sulla und Julilla waren ungefähr von gleicher Größe: Sie war recht groß für eine Frau und er eher durchschnittlich für einen Mann. Ihre Beine waren ein wenig länger als seine, und so konnte sie ihre - zu seiner Verwunderung - zwischen seinen Knien hindurchschlingen, während sie darüber staunte, wie weiß seine Haut im Vergleich zu ihrer tiefgoldenen war.

»Neben dir sehe ich aus wie eine Syrerin«, sagte sie und hielt ihren Arm an seinen. Sie reckte beide Arme nach oben, damit im Lampenlicht der Unterschied noch deutlicher hervortreten konnte.

»Ich bin nicht normal«, sagte er plötzlich.

»Das ist gut«, lachte sie, beugte sich zu ihm hinüber und küßte ihn.

Dann betrachtete er sie, und er staunte, weil sie so anders war als andere Frauen, so viel schlanker und von fast knabenhaftem Körperbau. Mit einer Hand fuhr er rasch über ihren Körper, drückte ihr Gesicht in das Kopfkissen und studierte die Linien ihres Rückens, ihres Gesäßes und ihrer Schenkel. Hinreißend.

»Du bist so hübsch wie ein Knabe«, sagte er.

Sie wollte empört in die Höhe fahren, aber er hielt sie fest wie in einem Schraubstock. »Das ist mir ein schönes Kompliment!« fauchte sie mit halb erstickter Stimme aus dem Kissen heraus. »Man könnte beinahe glauben, dir wären Knaben lieber als Mädchen, Lucius Cornelius!« Sie sagte es in aller Unschuld und kicherte in das weiche Kissen.

»Nun, bis ich dich getroffen habe, war das wohl auch so«, sagte er.

»Dummkopf!« lachte sie und hielt seine Bemerkung für einen gelungenen Scherz. Dann machte sie sich los, kletterte auf ihn, setzte sich rittlings auf seine Brust und drückte seine Arme mit den Knien nieder. »Dafür darfst du jetzt meine süße Muschel ganz aus der Nähe anschauen. Und dann sag mir, ob sie irgendeine Ähnlichkeit mit einem harten, spitzen Speer hat.«

»Nur anschauen?« fragte er und zog sie hoch an seinen Hals.

»Ein Knabe!« Die Idee erheiterte sie noch immer. »Du bist ein Dummkopf, Lucius Cornelius!« Und dann vergaß sie es wieder über der entzückenden Entdeckung neuer Wonnen.

Die Versammlung der Plebs wählte Sulla dann auch wirklich zum Quästor, und obwohl sein Amtsjahr erst am fünften Tag des Dezembers begann - und er zudem, wie alle persönlichen Quästoren, erst im neuen Jahr anfangen konnte, wenn sein Vorgesetzter das Amt antrat -, fand sich Sulla am Tag nach der Wahl in Marius’ Haus ein.

Es war schon November, und zum Glück wurde es erst spät hell. Sulla war dafür sehr dankbar, denn die ausschweifenden Liebesnächte mit Julilla machten ihm das Aufstehen schwerer als früher. Aber er wußte, daß er vor Sonnenaufgang bei Marius erscheinen mußte. Als Marius’ persönlicher Quästor hatte Sulla bestimmte Pflichten und konnte seine Zeit nicht nach Gutdünken verbringen.

Zwar ergab sich aus dem Quästorenamt kein traditioneller Klientenstatus auf Lebenszeit, wohl aber war Sulla jetzt formal Marius’ Klient, solange er das Amt innehatte, und dies würde solange der Fall sein, wie Marius sein imperium behielt, aller Voraussicht nach länger als ein Kalenderjahr. Ein Klient lag nicht bis in den Morgen hinein mit seiner frisch angetrauten Ehefrau im Bett, ein Klient stellte sich im Hause seines Patrons ein, wenn das erste Licht den Horizont heller färbte, und stand dort zu Diensten. An manchen Tagen wurde er höflich wieder nach Hause geschickt, an anderen Tagen wurde er gebeten, seinen Patron zum Forum Romanum oder zu einer der 9 Basiliken zu begleiten und ihm bei der Abwicklung privater oder öffentlicher Angelegenheiten behilflich zu sein, und manchmal erhielt er den Auftrag, für seinen Patron irgend etwas zu erledigen.

Zwar kam Sulla nicht so spät, daß er einen Tadel verdient hätte, aber das riesige Atrium in Marius’ Haus war schon dicht mit Klienten gefüllt, die vor ihm zur Stelle gewesen waren. Sulla kam zu dem Schluß, daß manche von ihnen sogar auf der Straße vor Marius’ Tür geschlafen haben mußten, denn normalerweise wurden sie in der Reihenfolge vorgelassen, in der sie eingetroffen waren. Seufzend verzog sich Sulla in eine stille Ecke und richtete sich auf eine lange Wartezeit ein.

Manche großen Männer beschäftigten Sekretäre und nomenclatores, die den morgendlichen Fang an Klienten sortierten. Die kleinen Fische schickten sie sofort wieder weg und nur die dicken und interessanten Fische ließen sie zu dem großen Mann vor. Aber Gaius Marius sortierte seinen Fang selber, wie Sulla anerkennend feststellte, ein Helfer war nirgendwo zu sehen. Dieser große Mann, ein bereits zum Konsul Gewählter, der deshalb für viele in Rom ungeheuer wichtig war, tat seine schmutzige Arbeit ruhig und rasch. Er trennte die Bedürftigen mit größerer Treffsicherheit von den Pflichtschuldigen als jeder Sekretär. Innerhalb von zwanzig Minuten waren die vierhundert Männer, die sich im Atrium drängten und bis in den Säulengang des Peristyls hinein standen, sortiert und geordnet. Über die Hälfte von ihnen ging zufrieden weg, jeder Freigelassene und jeder freie Klient aus niedriger Stellung nahm eine kleine Gabe mit, die ihm ein lächelnder Marius mit entschuldigender Geste in die Hand gedrückt hatte.

Er mag ein homo novus sein, dachte Sulla, und er mag ein italischer Bauer sein, aber er weiß sich zu benehmen. Kein Fabius und kein Aemilius hätte die Rolle des Patrons besser spielen können. Es war nicht nötig, die Klienten großzügig zu beschenken, wenn sie nicht ausdrücklich darum baten, und auch dann lag es im Ermessen des Patrons, nein zu sagen. Aber Sulla sah an der Haltung derer, die warteten, bis sie an die Reihe kamen, während der künftige Konsul von einem Mann zum anderen ging, daß Marius immer großzügig war. Gleichzeitig gab er stillschweigend zu verstehen, daß jemand, der nur gierig war, bei ihm nichts zu lachen hatte.

»Lucius Cornelius, du brauchst doch nicht hier draußen zu warten!« sagte Marius, als er in Sullas Ecke ankam. »Geh in mein Arbeitszimmer, setz dich hin und mach es dir gemütlich. Ich komme bald nach, dann können wir miteinander reden.«

»Aber nein, Gaius Marius«, sagte Sulla und lächelte mit geschlossenen Lippen. »Ich bin hier, um dir meine Dienste als neuer Quästor anzubieten und warte gern, bis ich an der Reihe bin.«

»Dann warte in meinem Arbeitszimmer, bis du an der Reihe bist. Wenn du deine Aufgaben als mein Quästor ordentlich erfüllen willst, dann solltest du als erstes lernen, wie ich meine Geschäfte erledige«, sagte Marius, legte Sulla die Hand auf die Schulter und schob ihn zum tablinum.

Es dauerte drei Stunden, bis die Anliegen des Klientenschwarms geduldig, aber zügig durchgesprochen waren. Die Bitten reichten vom Wunsch nach Beistand bis zu dem Gesuch, unter den ersten berücksichtigt zu werden, sobald Numidien wieder für römische und italische Geschäftsleute zugänglich sein würde. Von einem Klienten verlangte man keine Gegenleistung, aber es galt die unausgesprochene Regel: Halte dich bereit für alles, was dein Patron von dir verlangt, und zwar zu jeder Zeit, sei es morgen oder erst in zwanzig Jahren.

»Gaius Marius«, sagte Sulla, als der letzte Klient gegangen war, »das Kommando von Quintus Caecilius Metellus in Africa wurde doch bereits für das nächste Jahr verlängert. Wie kannst du da deinen Klienten versprechen, daß sie wieder Handel in Numidien treiben können?«

Marius sah nachdenklich vor sich hin. »Ja, das stimmt natürlich, Quintus Caecilius hat Africa tatsächlich für nächstes Jahr in der Tasche, oder etwa doch nicht?«

Da dies offenkundig eine rhetorische Frage war, suchte Sulla erst gar nicht nach einer Antwort, sondern saß einfach da und staunte, wie Marius’ Gehirn arbeitete. Kein Wunder, daß er es bis zum Konsul gebracht hatte!

»Nun, Lucius Cornelius, ich habe über das Problem nachgedacht, daß Quintus Caecilius in Africa ist, und es ist durchaus lösbar.«

»Aber der Senat wird Quintus Caecilius nie und nimmer durch dich ersetzen«, wagte Sulla einzuwenden. »Ich kenne mich noch nicht gut aus mit den politischen Feinheiten im Senat, aber ich habe immerhin schon mitbekommen, wie unbeliebt du bei den führenden Senatoren bist, und diese Strömung erscheint mir viel zu stark, als daß du dagegen ankommen könntest.«

»Sehr wahr«, sagte Marius und lächelte noch immer freundlich. »Ich bin ein italischer Bauer ohne Griechischkenntnisse - um Metellus zu zitieren, den ich stets Schweinebacke nenne, wie du besser wissen solltest - und nicht würdig, auf dem Elfenbeinstuhl des Konsuls zu sitzen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, daß ich schon fünfzig bin - viel zu alt für das Konsulat und viel zu alt für große militärische Kommandos. Im Senat stehen die Zeichen gegen mich. Aber das war schon immer so, weißt du. Und doch - hier bin ich, Konsul mit fünfzig Jahren! Ein bißchen rätselhaft, nicht wahr, Lucius Cornelius?«

Sulla grinste und fletschte diesmal ungeniert die Zähne, aber Marius schien das nicht zu erschüttern. »Ja schon, Gaius Marius.«

Marius beugte sich in seinem Stuhl nach vorn und faltete seine schönen Hände auf der herrlichen grünen Steinplatte seines Schreibtisches. »Lucius Cornelius, vor vielen Jahren habe ich entdeckt, daß es verschiedene Methoden gibt, ein Wild zu stellen. Während andere den cursus honorum ohne Atempause durchliefen, trat ich auf der Stelle. Aber die Zeit war nicht verschwendet. Ich habe sie damit verbracht, sämtliche Methoden aufzulisten, wie man das Wild stellt. Und ich habe andere, ebenso lohnende Dinge betrieben. Weißt du, wenn man über die Zeit hinaus warten muß, zu der man eigentlich an der Reihe wäre, dann beobachtet man, man wägt ab und setzt Mosaiksteinchen zusammen. Ich war nie ein großer Rechtsgelehrter, nie ein Experte für unsere ungeschriebene Verfassung. Während Metellus Schweinebacke hinter Cassius Ravilla her durch die Gerichtshöfe zog und lernte, wie man die Verurteilung einer Vestalischen Jungfrau erwirken kann - das meine ich natürlich nur metaphorisch -, war ich Soldat. Und ich bin Soldat geblieben. Dieses Handwerk beherrsche ich am besten. Und doch kann ich mich damit brüsten, daß ich inzwischen mehr über das Gesetz und die Verfassung gelernt habe als fünfzig von der Sorte eines Metellus Schweinebacke. Ich sehe mir die Dinge von außen an, mein Denken wurde nicht durch eine Ausbildung in vorgezeichnete Bahnen gelenkt. Und ich sage dir jetzt, daß ich Quintus Caecilius Metellus Schweinebacke vom hohen Roß seines africanischen Kommandos stürzen und seine Stelle einnehmen werde.«

»Ich glaube dir«, sagte Sulla und holte Luft. »Aber wie?«

»In puncto Recht sind sie alle Einfaltspinsel«, sagte Marius verächtlich, »und deswegen werde ich mein Ziel erreichen. Es ist von jeher Brauch, daß der Senat die Statthalterschaften vergibt, und es ist noch nie jemandem in den Sinn gekommen, daß Senatsbeschlüsse genaugenommen keine Gesetzeskraft haben. Zwar wissen sie alle darum, wie man leicht zeigen kann, wenn man sie die Gesetze herunterrattern läßt. Aber wirklich zur Kenntnis genommen haben sie diese Tatsache nie, nicht einmal nach der Lektion, die ihnen die Gracchen erteilt haben. Senatsbeschlüsse haben nur die Kraft der Gewohnheit, der Tradition, nicht die Kraft des Gesetzes! Die Versammlung der Plebs macht heute die Gesetze, Lucius Cornelius. Und ich verfüge über erheblich mehr Macht in der Versammlung der Plebs als jeder Caecilius Metellus.«

Sulla saß reglos da, ehrfurchtsvoll und ein wenig ängstlich, und beide Gefühle waren ihm vollkommen fremd. Marius’ Scharfsinn war zwar eindrucksvoll, aber nicht das beeindruckte Sulla so sehr. Viel tiefer berührte Sulla die neue Erfahrung, daß ihn ein Mann in einer verletzlichen Lage rückhaltlos ins Vertrauen gezogen hatte. Woher wußte Marius, daß er, Sulla, vertrauenswürdig war? Er hatte noch nie in dem Ruf gestanden, vertrauenswürdig zu sein, und Marius hatte gewiß gründlich Erkundigungen über seinen neuen Quästor eingezogen. Und doch legte Marius jetzt seine zukünftigen Absichten und Pläne ganz offen dar!

»Gaius Marius«, brach es aus Sulla heraus, »was sollte mich davon abhalten, von deinem Haus geradewegs zum Haus eines beliebigen Caecilius Metellus zu gehen und diesem Caecilius Metellus alles zu erzählen, was du mir soeben erzählt hast?«

»Nichts, Lucius Cornelius«, sagte Marius ungerührt.

»Warum weihst du mich dann in all das ein?«

»Das ist ganz einfach«, sagte Marius. »Das tue ich, Lucius Cornelius, weil ich dich für einen außerordentlich fähigen und intelligenten Mann halte. Und jeder außerordentlich fähige und intelligente Mann ist außerordentlich gut in der Lage zu erkennen, daß es ganz und gar nicht intelligent ist, auf einen Caecilius Metellus zu setzen, wenn einem ein Gaius Marius die Anregung und den Reiz einiger Jahre interessanter und lohnender Arbeit bietet.« Er holte tief Luft. »So! Habe ich das nicht schön gesagt?«

Sulla lachte schallend. »Deine Geheimnisse sind bei mir bestens aufgehoben, Gaius Marius.«

»Das weiß ich.«

»Und doch möchte ich dir sagen, daß ich mich über dein Vertrauen freue.«

»Wir sind Schwäger, Lucius Cornelius. Und wir sind durch mehr miteinander verbunden als durch die Caesaren aus dem Hause der Julier. Wir haben noch etwas gemeinsam. Glück.«

»Ah, Glück!«

»Glück ist ein Zeichen, Lucius Cornelius. Glück zu haben heißt, ein Liebling der Götter zu sein. Glück zu haben heißt, ein Auserwählter zu sein.« Und Marius schaute seinen neuen Quästor hochzufrieden an. »Ich bin ein Auserwählter. Und ich habe dich gewählt, weil ich glaube, daß auch du auserwählt bist. Wir sind wichtig für Rom, Lucius Cornelius. Wir werden beide Rom unseren Stempel aufdrücken.«

»Das glaube ich auch«, sagte Sulla.

»Na dann... In einem Monat haben wir neue Volkstribunen. Wenn sie erst einmal eingesetzt sind, werde ich einen Vorstoß bezüglich Africa unternehmen.«

»Du wirst mit Hilfe der Versammlung der Plebs ein Gesetz durchbringen, das den Senatsbeschluß aufhebt, der Metellus Schweinebacke ein weiteres Jahr in Africa gibt«, sagte Sulla ohne Zögern.

»Genau das werde ich«, bestätigte Marius.

»Aber ist das wirklich rechtmäßig? Wird man ein solches Gesetz dulden?« fragte Sulla. Im stillen bewunderte er, wie ein überaus intelligenter homo novus, der nicht an Sitte und Brauchtum gebunden war, das ganze System auf den Kopf stellen konnte.

»Es steht nicht auf den Tafeln, daß es illegal ist, warum sollte man es also nicht machen können? Ich habe den brennenden Wunsch, den Senat zu schwächen, und das läßt sich am wirksamsten erreichen, wenn man diese traditionelle Autorität untergräbt. Und wie? Indem man seine traditionelle Autorität durch Gesetze außer Kraft setzt. Indem man einen Präzedenzfall schafft.«

»Warum ist es so wichtig, daß du den Oberbefehl in Africa bekommst?« fragte Sulla. »Die Germanen sind schon bis Tolosa vorgedrungen, und sie sind viel wichtiger als Jugurtha. Irgend jemand wird nächstes Jahr nach Gallien gehen und gegen sie kämpfen müssen, und mir wäre es viel lieber, wenn du dieser Jemand wärest und nicht Lucius Cassius.«

»Diese Chance werde ich nicht bekommen«, sagte Marius mit Nachdruck. »Unser geschätzter Kollege Lucius Cassius ist der erste Konsul, und er möchte den Oberbefehl in Gallien gegen die Germanen haben. Außerdem ist der Oberbefehl gegen Jugurtha unerläßlich für mein politisches Überleben. Ich habe mich dazu entschlossen, die Interessen der Ritter zu vertreten, sowohl in der Provinz Africa als auch in Numidien. Und das heißt, daß ich in Africa sein muß, wenn der Krieg zu Ende geht, damit ich sicherstellen kann, daß meinen Klienten all die Zugeständnisse erfüllt werden, die ich ihnen versprochen habe. Es wird in Numidien nicht nur riesige Flächen von hervorragendem Ackerland für Getreideanbau zu verteilen geben, vor kurzem wurde außerdem ein einzigartiger, erstklassiger Marmor entdeckt sowie große Kupfervorräte. Weiterhin gibt es in Numidien zwei sehr seltene Sorten Edelsteine und viel Gold. Und seit Jugurtha König geworden ist, hat Rom keinerlei Anteil an all dem gehabt.«

»Also gut, dann wird es Africa«, sagte Sulla. »Was kann ich dazu beitragen?«

»Lernen, Lucius Cornelius, lernen! Ich werde einen Stab von Offizieren brauchen, die mehr als nur loyal sind. Ich will Männer, die aus eigener Initiative handeln können, ohne meinen großen Plan zu zerstören - Männer, die mit ihrer eigenen Fähigkeit und Tüchtigkeit mitwirken und nicht an meinen Kräften zehren. Es macht mir nichts aus, die Lorbeeren zu teilen, es gibt eine Menge Lorbeeren und Ruhm zu ernten, wenn die Dinge gut laufen und die Legionen Gelegenheit haben, zu zeigen, was sie können.«

»Aber ich bin ein blutiger Anfänger, Gaius Marius.«

»Das weiß ich«, sagte Marius. »Aber wie ich dir schon sagte, glaube ich, daß in dir Großes steckt. Bleib bei mir, sei mir treu und arbeite hart, dann werde ich dir jede Möglichkeit geben zu beweisen, was in dir steckt. Du beginnst spät, genau wie ich. Aber es ist niemals zu spät. Ich bin endlich Konsul geworden, acht Jahre nach der üblichen Zeit. Du bist endlich im Senat, drei Jahre nach der üblichen Zeit. Wie ich wirst auch du dich auf dem Weg nach oben auf das Heer verlassen müssen. Ich werde dir auf jede mögliche Weise zur Seite stehen. Dafür erwarte ich, daß du mich genauso unterstützt.«

»Das klingt fair, Gaius Marius.« Sulla räusperte sich. »Ich bin dir sehr dankbar.«

»Du brauchst dich nicht zu bedanken. Wenn ich nicht überzeugt wäre, daß ich von dir noch viel Gutes zurückbekomme, Lucius Cornelius, dann würdest du jetzt nicht hier sitzen.« Und Marius streckte ihm die Hand hin. »Komm, wir einigen uns darauf, daß es zwischen uns keine Dankbarkeit geben wird! Nur Loyalität und die Kameradschaft unter Soldaten.«