Marius und Sulla erfuhren erst gegen Mitte April des Kalenderjahres, daß die Germanen begonnen hatten, ihr Lager abzubrechen, und im Begriff standen, das Gebiet der Aduatuker zu verlassen. Nach einem weiteren Monat kehrte Sertorius zurück und berichtete, es sei Boiorix gelungen, die Germanen als Volksverband so zusammenzuhalten, daß sein Plan durchführbar erschien. Die Kimbern und die von den Tigurinern angeführte Mischgruppe zogen am Rhein entlang, während die Teutonen in südöstlicher Richtung dem Lauf der Mosel folgten.

»Wir müssen damit rechnen, daß die Germanen im Herbst in drei verschiedenen Abteilungen vor den Grenzen des italischen Gallien ankommen werden«, sagte Marius. »Ich würde gerne persönlich Boiorix begrüßen, wenn er das Etschtal herabkommt, aber das wäre natürlich nicht vernünftig. Zuerst muß ich die Teutonen angreifen und kampfunfähig machen. Von den drei Gruppen werden hoffentlich die Teutonen am schnellsten vorankommen, wenigstens bis zur Durance, weil sie vorher keine Alpenpässe zu überwinden haben. Wenn wir die Teutonen dort schlagen können - und zwar richtig schlagen -, haben wir genug Zeit, um den Mons-Genava-Paß zu überschreiten und Boiorix und den Kimbern den Weg abzuschneiden, bevor sie das italische Gallien erreichen.«

»Du glaubst also nicht, daß Catulus Caesar allein mit Boiorix fertig wird?« fragte Manius Aquilius.

»Nein«, sagte Marius rundheraus.

Später, als er mit Sulla allein war, ließ er sich ausführlicher darüber aus, wie er die Chancen seines Mitkonsuls im Kampf gegen Boiorix einschätzte. Denn Quintus Lutatius Catulus würde sein Heer nördlich bis zur Etsch führen, sobald er es ausgebildet und ausgerüstet hatte.

»Er wird ungefähr sechs Legionen haben, und er hat das Frühjahr und den ganzen Sommer Zeit, um sie kampfbereit zu machen. Aber er ist kein richtiger Feldherr«, erklärte Marius. »Wir müssen also hoffen, daß Teutobod zuerst ankommt und daß wir ihn schlagen können. Dann müssen wir in irrwitziger Geschwindigkeit die Alpen überqueren und uns mit Catulus Caesars Legionen vereinigen, bevor Boiorix den Gardasee erreicht.«

Sulla hob die Augenbrauen. »Das klappt bestimmt nicht«, sagte er.

Marius seufzte. »Ich wußte, daß du das sagen würdest!«

»Und ich wußte, daß du wußtest, daß ich es sagen würde!« grinste Sulla. »Es ist unwahrscheinlich, daß die beiden Abteilungen, die Boiorix nicht selbst antreibt, schneller vorankommen als die Kimbern. Das Problem ist, daß du nicht genug Zeit hast, im passenden Moment an beiden Orten zu sein.«

»Dann bleibe ich eben hier und warte, bis Teutobod kommt«, entschied Marius. »Mein Heer kennt jeden Grashalm und jeden Zweig zwischen Massilia und Arausio, und die Männer brauchen nach zwei kampflosen Jahren dringend einen Sieg. Ihre Chancen sind hier ausgezeichnet, also muß ich bleiben.«

»Das ›ich‹ war nicht zu überhören, Gaius Marius«, sagte Sulla vorsichtig. »Hast du einen anderen Auftrag für mich?«

»Ja, Lucius Cornelius. Es tut mir leid, daß ich dich um eine wohlverdiente Gelegenheit bringen muß, ein paar Teutonen auszulöschen. Aber ich glaube, daß es besser ist, wenn ich dich als ersten Legaten zu Catulus Caesar schicke. Er wird dich als Legaten akzeptieren, schließlich bist du ein Patrizier«, sagte Marius.

Sulla blickte auf seine Hände, er war bitter enttäuscht. »Wie kann ich denn von Nutzen sein, wenn ich im falschen Heer dienen muß?«

»Normalerweise würde ich mir über den zweiten Konsul nicht so viele Sorgen machen, wenn ich nicht bei ihm alle Symptome erkennen wurde, die auch bei Silanus, Cassius, Caepio und Mallius Maximus vorhanden waren. Es ist so, Lucius Cornelius, glaub mir. Catulus Caesar hat weder für Strategie noch für Taktik ein Gespür. Er glaubt, beides sei ihm von den Göttern ins Gehirn gesteckt worden, als sie seine hohe Geburt anordneten, und sozusagen auf Abruf vorhanden. Aber du weißt, daß es nicht so einfach ist.«

»Ja, das weiß ich«, gab Sulla zu.

»Wenn Boiorix und Catulus Caesar aufeinanderstoßen, bevor ich das italische Gallien erreicht habe, wird Catulus Caesar irgendeinen katastrophalen militärischen Fehler machen und sein Heer verlieren. Und wenn wir das zulassen, können wir nicht mehr gewinnen. Die Kimbern stellen die bestgeführte und zahlenmäßig stärkste der drei germanischen Abteilungen. Außerdem kenne ich das Land im italischen Gallien nördlich des Po nicht. Wenn ich hier die Teutonen mit weniger als vierzigtausend Mann schlagen kann, dann nur deshalb, weil ich das Land so gut kenne.«

Sulla starrte seinen Befehlshaber an, um ihn aus der Fassung zu bringen, aber gegen dessen Blick unter seinen buschigen Augenbrauen kam er nicht an. »Und was erwartest du von mir?« fragte er. »Catulus Caesar trägt den Feldherrenmantel, nicht Cornelius Sulla. Was also kannst du von mir erwarten?«

Marius streckte die Hand aus und packte Sullas Handgelenk »Wenn ich das wüßte, könnte ich Catulus Caesar von hier aus kontrollieren«, sagte er. »Tatsache ist, Lucius Cornelius, daß du ein Jahr lang bei diesen Barbaren gelebt und überlebt hast und von ihnen akzeptiert wurdest. Dein Verstand ist so scharf wie dein Schwert, und beides setzt du sehr wirkungsvoll ein. Ich habe keinen Zweifel, daß du tun wirst, was nötig ist, um Catulus Caesar vor sich selbst zu schützen.«

Sulla atmete tief ein. »Mein Befehl lautet also, sein Heer zu retten, koste es, was es wolle?«

»Richtig.«

»Auch auf Kosten von Catulus Caesar?«

»Auch auf Kosten von Catulus Caesar.«

Der Frühling neigte sich mit reicher Blütenpracht seinem Ende zu, der Sommer zog ein und legte sich heiß und trocken über das Land. Teutobod und seine Teutonen setzten ihren Marsch durch das Land der Häduer und in das Land der Allobrogen fort, die das ganze Gebiet zwischen der oberen Rhône, der Isère und viele Meilen in südlicher Richtung beherrschten. Die Allobrogen waren ein kriegerisches Volk und empfanden gegenüber Rom und den Römern einen unversöhnlichen Haß. Doch die germanischen Haufen waren schon vor drei Jahren einmal durch ihr Land gezogen, und die Allobrogen wollten nicht von den Germanen beherrscht werden. Es fanden also heftige Kämpfe statt, die Teutonen kamen langsamer voran. Marius lief gereizt in seinem Hauptquartier auf und ab und fragte sich, wie es wohl Sulla ergehen mochte, der jetzt in Catulus Caesars Heer diente, das am Po im italischen Gallien lag. Catulus Caesar war Ende Juni an der Spitze von sechs Legionen die Via Flaminia hinaufgezogen. Seine Legionen erreichten nicht ihre Sollstärke, denn es gab so wenig wehrfähige Männer, daß er nicht genug Rekruten gefunden hatte. Von Bononia an der Via Aemilia zog er über die Via Annia zu der großen Gewerbestadt Patavium, die zwar weit östlich vom Gardasee lag, aber an einer Route, die für einen Heerzug besser geeignet war als die Seitenstraßen und ausgefahrenen Wege im italischen Gallien. Von Patavium marschierte er über eine dieser vernachlässigten Seitenstraßen nach Verona und schlug dort sein Hauptlager auf. Sulla hatte bis zu diesem Zeitpunkt an Catulus Caesars Entscheidungen nichts auszusetzen, aber er verstand nun besser, warum Marius ihn in das italische Gallien geschickt hatte - eine Anordnung, die er, Sulla, zunächst als nicht so wichtig empfunden hatte. Militärisch betrachtet mochte dies zutreffen - doch Marius hatte seinen zweiten Konsul vollkommen richtig eingeschätzt, dachte Sulla. Catulus Caesar war durch und durch aristokratisch, arrogant, geradezu vermessen, er erinnerte Sulla lebhaft an Metellus Numidicus. Das Problem war jedoch, daß Catulus Caesar ein viel gefährlicheres Kriegsschauspiel und ein viel gefährlicherer Feind bevorstand als damals dem Metellus Numidicus in Africa. Außerdem hatten Metellus Numidicus seinerzeit Gaius Marius und Publius Rutilius Rufus als Legaten zur Seite gestanden, ganz abgesehen von den überaus heilsamen Erfahrungen, die Numidicus einst in einem Schweinestall in Numantia gemacht hatte. Dem Catulus Caesar hingegen war bei seinem Aufstieg zum Feldherrn niemals ein Gaius Marius begegnet. Er hatte seine Ausbildung als Offiziersanwärter erhalten und war dann Militärtribun unter zweitrangigen Feldherren in zweitrangigen Kriegen geworden, in Makedonien, in Spanien. An einem großen Feldzug hatte er nie teilgenommen.

Catulus Caesar empfing Sulla nicht gerade begeistert, denn er hatte seine Legaten bereits vor dem Abmarsch aus Rom ernannt. Als er in Bononia ankam, wartete dort Sulla mit einer Nachricht des Oberbefehlshabers Gaius Marius auf ihn, die besagte, daß Lucius Cornelius Sulla zum ersten Legaten und stellvertretenden Befehlshaber ernannt worden sei. Gaius Marius’ Vorgehensweise war zwar zweifelhaft und überheblich, aber er hatte natürlich keine andere Wahl gehabt. Catulus Caesar behandelte Sulla eisig und behinderte ihn, wo er konnte. In seinen Augen sprach nur eines für Sulla, das war seine edle Abstammung, und selbst die war durch die Verarmung seiner Familie beschädigt. Catulus Caesar empfand auch ein wenig Neid, denn Sulla war ein Mann, der nicht nur an großen und wichtigen Feldzügen teilgenommen, sondern sich auch wagemutig als Spion bei den Germanen ausgezeichnet hatte. Hätte er gewußt, welche Rolle der Spion Sulla bei den Germanen gespielt hatte, wäre er ihm gegenüber gewiß noch mißtrauischer gewesen.

Marius hatte jedoch wieder einmal, wie gewohnt, einen guten Griff getan, als er Sulla und nicht Manius Aquilius abkommandierte, der als Aufpasser und Beschützer wohl auch geeignet gewesen wäre. Sulla brachte es fertig, Catulus Caesar zu reizen, denn ständig tat er, als sehe er am Rande seines Blickfeldes einen Schatten, sobald er aber hinschaute, war der Schatten verschwunden. Kein erster Legat hatte sich jemals hilfreicher gezeigt, kein erster Legat hatte je seinem Feldherrn die Last der täglichen Verwaltungsarbeit und die Kontrolle des Heeres williger von den Schultern genommen. Und doch, und doch - Catulus Caesar wußte, daß etwas nicht stimmte. Warum hatte Gaius Marius diesen Burschen überhaupt abkommandiert, wenn er nicht irgend etwas im Schilde führte?

Sulla hatte nicht vor, Catulus Caesar zu beruhigen, seine Ängste und seinen Verdacht zu zerstreuen. Ganz im Gegenteil: Sulla wollte sogar, daß Catulus Caesars Furcht und Mißtrauen erhalten blieben, um ihn auf diese Weise geistig zu beherrschen, ihm überlegen zu sein, wenn es darauf ankam. In der Zwischenzeit bemühte sich Sulla, jeden Militärtribunen und Zenturio im Heer und möglichst viele einfache Soldaten kennenzulernen. Sobald das Lager in der Nähe von Verona aufgeschlagen war, überließ Catulus Caesar die Routineübungen und den Drill seinem ersten Legaten, und bald kannte jeder den ersten Legaten, respektierte ihn und vertraute ihm. Darauf legte Sulla größten Wert, für den Fall, daß er Catulus Caesar würde ausschalten müssen.

Sulla plante nicht ernsthaft, Catulus Caesar zu töten oder zu verletzen, er war immerhin Patrizier und insofern eher geneigt, andere Adlige zu schützen, wenn nötig auch vor sich selbst. Gegenüber Catulus Caesar verspürte er keine Zuneigung, wohl aber gegenüber seiner Klasse.

Die Kimbern waren unter der Führung von Boiorix gut vorangekommen. Er hatte seine eigene Abteilung und die von Getorix bis zum Zusammenfluß von Donau und Inn geführt, dort trennten sie sich. Getorix hatte nunmehr nur noch eine relativ kurze Wegstrecke vor sich, während die Kimbern in südlicher Richtung am Inn entlangzogen. Bald erreichten sie die Alpen und durchquerten ein Land, in dem der Keltenstamm der Brennen siedelte, die ihren Namen vom ersten Brennus ableiteten. Sie kontrollierten den Brenner-Paß, den niedrigsten der Alpenpässe, die in das italische Gallien führten, doch sie waren nicht in der Lage, Boiorix und seinen Kimbern den Durchzug zu versperren.

Gegen Ende des Kalendermonats Quintilis erreichten die Kimbern die Etsch an der Stelle, wo sie mit dem Eisack zusammenfloß, dem sie seit dem Brenner-Paß gefolgt waren. Hier, auf den saftigen grünen Alpenwiesen, ließen sie sich nieder und betrachteten die Gipfel der Berge, die in den tiefblauen, wolkenlosen Himmel ragten. Und hier wurden sie von den Kundschaftern entdeckt, die Sulla ihnen entgegengeschickt hatte.

Sulla hatte geglaubt, daß er für jede unvorhergesehene Situation gerüstet wäre, doch was jetzt passierte, hätte er sich nicht einmal im Traum vorgestellt. Er kannte Catulus Caesar noch nicht gut genug, um zu ahnen, wie dieser auf die Nachricht reagieren würde, daß die Kimbern am Eingang des Etschtals standen und im Begriff waren, in das italische Gallien einzufallen.

»Solange ich lebe, wird kein germanischer Fuß italienischen Boden berühren!« erklärte Catulus Caesar pathetisch bei der Lagebesprechung im Feldstab. »Kein germanischer Fuß wird italienischen Boden berühren!« wiederholte er, erhob sich majestätisch von seinem Stuhl und blickte seine Offiziere der Reihe nach an. »Wir marschieren los!«

Sulla starrte ihn entsetzt an. »Wir marschieren?« fragte er. »Wohin denn?«

»Natürlich die Etsch hinauf«, antwortete Catulus Caesar. Sein Gesichtsausdruck zeigte deutlich, daß er Sulla für einen ausgemachten Dummkopf hielt. »Ich werde die Germanen über die Alpen zurückjagen, bevor der erste Schnee mich daran hindert.«

»Wie weit die Etsch hinauf?« fragte Sulla.

»Bis wir auf sie stoßen.«

»In dem engen Etschtal?«

»Natürlich«, sagte Catulus Caesar. »Wir sind den Germanen überlegen. Wir haben ein diszipliniertes Heer, sie sind nur ein riesiger, unorganisierter Haufen. Das ist unsere beste Chance.«

»Eine gute Chance haben wir nur, wenn die Legionen genügend Platz haben, um sich zu formieren«, widersprach Sulla.

»Im Etschtal gibt es mehr als genug Platz für die Legionen, sich zu formieren.« Und Catulus Caesar duldete keine weitere Widerrede.

Sulla verließ den Feldstab in völliger Verwirrung, die Pläne, die er für die Begegnung mit den Kimbern ausgearbeitet hatte, waren jetzt überflüssig geworden. Er hatte sogar geübt, wie er Catulus Caesar die passende Alternative so einflüstern könnte, daß dieser sie für seinen eigenen Einfall halten würde. Jetzt mußte Sulla feststellen, daß seine Pläne nutzlos waren, daß er nicht einmal einen neuen Plan entwerfen konnte. Jedenfalls nicht, bevor er Catulus Caesar überredet hatte, seinen Entschluß zu ändern.

Aber Catulus Caesar dachte nicht daran, seinen Entschluß zu ändern. Er gab den Befehl zum Aufbruch und marschierte an der Etsch entlang. Der Strom floß wenige Meilen östlich am Gardasee vorbei, dem größten der wunderbaren Alpenseen, die in den Lücken zwischen den Vorhügeln der italischen Alpen lagen. Und je weiter das kleine Heer zog - es bestand aus 22 000 Soldaten, 2 000 Reitern und etwa 8 000 nichtkämpfenden Männern -, desto enger und abweisender wurde das Etschtal.

Endlich erreichte Catulus Caesar einen Handelsposten namens Tridentum. Hier ragten drei mächtige Alpenberge in die Höhe, drei bizarre Gipfel, die dem Ort seinen Namen gegeben hatten: die drei Zähne. Die Etsch floß hier sehr tief und reißend, denn sie entsprang hoch in den Bergen im ewigen Schnee und führte deshalb das ganze Jahr über viel Wasser. Hinter Tridentum verengte sich das Tal noch mehr, bis der Weg, der sich zum Dorf hinabwand, an einer Stelle endete, wo der Fluß reißend unter einer langen Holzbrücke auf Steinblöcken hindurchschoß.

Catulus Caesar, der mit seinen Offizieren an der Spitze des Heeres ritt, blickte sich um und nickte zufrieden.

»Das hier erinnert mich an die Thermopylen«, sagte er. »Die Stelle ist wie geschaffen, um die Germanen aufzuhalten, bis sie aufgeben und sich wieder nach Norden zurückziehen.«

»Die Spartaner sind bei der Verteidigung der Thermopylen gefallen, bis auf den letzten Mann«, warf Sulla ein.

Catulus Caesar hob hochmütig die Augenbrauen. »Und welche Rolle spielt das, wenn wir die Germanen zurückschlagen?«

»Aber sie werden sich nicht zurückziehen, Quintus Lutatius! Bei einem Rückzug nach Norden hätten sie nichts als Schnee vor sich. Ihr Proviant ist aufgebraucht, und nur ein paar Meilen südlich von hier liegt die ganze fruchtbare Landschaft des italischen Gallien!« Sulla schüttelte heftig den Kopf. »Wir werden sie hier nicht aufhalten.«

Die anderen Offiziere wurden unruhig, denn im Verlauf des Marsches an der Etsch entlang hatten alle Sullas Befürchtungen eingesehen, und ihr gesunder Menschenverstand sagte ihnen, daß Catulus Caesars Entscheidung töricht war. Sulla hatte ihnen seine Befürchtungen genau dargelegt, denn wenn er Catulus Caesar gewaltsam davon abhalten mußte, seine Legionen sinnlos zu opfern, würde er die Unterstützung aller hohen Offiziere des Heeres benötigen.

»Wir stellen uns hier zum Kampf«, entschied Catulus Caesar, und von diesem Entschluß war er nicht mehr abzubringen. Er träumte von dem unsterblichen Leonidas und seiner kleinen Gruppe von Spartanern. Welche Rolle spielte es schon, daß der Körper starb, wenn dafür ewiger Ruhm winkte?

Die Kimbern waren jetzt sehr nahe. Die Römer hätten ihren Marsch über Tridentum hinaus gar nicht mehr fortsetzen können, selbst wenn Catulus Caesar es gewollt hätte. Dennoch bestand er darauf, daß das ganze Heer die Brücke überquerte, und schlug das Lager auf der falschen Seite des Flusses auf, an einer Stelle, wo das Tal so eng war, daß sich das Lager über mehrere Meilen in Nord-Süd-Richtung erstreckte. Die Legionen lagen hintereinander aufgereiht, die letzte Legion ganz in der Nähe der Brücke.

»Ich bin wirklich furchtbar verwöhnt«, sagte Sulla zum primus pilus, dem ranghöchsten Zenturio der Legion nahe der Brücke, einem kräftigen, bodenständigen Samniten aus Atina mit Namen Gnaeus Petreius. Seine Legion bestand aus samnitischen Proletariern und wurde als Hilfstruppe geführt.

»Inwiefern bist du verwöhnt?« fragte Gnaeus Petreius. Sie standen auf der Brücke, die kein Geländer hatte, nur ein paar Baumstämme am Rand. Der Zenturio starrte in das reißende Wasser.

»Ich habe bisher nur unter Gaius Marius gedient«, erklärte Sulla.

»Hast du ein Glück!« sagte Gnaeus Petreius. »Ich habe immer gehofft, daß ich auch einmal unter ihm dienen dürfte.« Er knurrte verächtlich. »Aber keiner von uns wird noch die Chance dazu bekommen, Lucius Cornelius.«

Ein dritter Mann stand bei ihnen, der Kommandant der Legion, zu der auch Petreius gehörte, ein gewählter Militärtribun. Es war kein Geringerer als der junge Marcus Aemilius Scaurus, der Sohn des Senatsvorsitzenden - über den sein zäher Vater so enttäuscht war. Der junge Scaurus wandte den Blick vom Fluß ab und sah den Zenturio an.

»Was willst du damit sagen?« fragte er.

Gnaeus Petreius knurrte noch einmal. »Daß wir alle hier fallen werden, tribunus

»Fallen? Wir alle? Warum?«

»Gnaeus Petreius will damit sagen«, warf Sulla grimmig dazwischen, »daß wir wieder einmal von einem hochgeborenen, inkompetenten Mann in eine unmögliche militärische Lage geführt wurden.«

»Aber ihr habt unrecht!« rief der junge Scaurus eifrig. »Ich habe schon gemerkt, daß du offenbar Quintus Lutatius’ Strategie nicht begriffen hast, Lucius Cornelius, als er sie uns erklärte!«

Sulla warf dem Zenturio einen vielsagenden Blick zu. »Dann erkläre du mir doch einmal seine Strategie, tribunus militum! Ich bin ganz Ohr.«

»Nun, da drüben stehen vierhunderttausend Germanen, und wir sind nur vierundzwanzigtausend Mann. Wir können uns also nicht auf offenem Feld zum Kampf stellen«, erklärte der junge Scaurus, ermutigt durch die aufmerksamen Blicke der beiden altgedienten Soldaten. »Die einzige Möglichkeit, sie zu besiegen, ist, daß wir sie an einen Ort locken, an dem ihre Front nicht breiter sein kann als unsere Front. Und dann bearbeiten wir ihre Front unter Einsatz unserer ganzen militärischen Überlegenheit. Wenn ihnen klar wird, daß wir nicht zurückweichen - nun, dann werden sie das tun, was Germanen normalerweise tun: Sie werden sich zurückziehen.«

»So also siehst du die Lage«, sagte Gnaeus Petreius.

»So ist die Lage!« erwiderte der junge Scaurus ungeduldig.

»Also so müssen wir die Lage sehen!« Sulla begann zu lachen.

»Ja, so müssen wir die Lage wohl sehen!« Gnaeus Petreius lachte ebenfalls.

Der junge Scaurus blickte die beiden Männer verwirrt an, das Lachen ängstigte ihn. »Und was ist so komisch daran, bitte sehr?«

Sulla wischte sich die Tränen aus den Augen. »Das Komische daran ist, daß der Plan so hoffnungslos naiv ist.« Mit einer ausladenden Bewegung wies er auf die Berghänge zu beiden Seiten. »Schau mal da hinauf! Was siehst du?«

»Berge«, sagte der junge Scaurus, der immer verwirrter wurde.

»Wir sehen da oben Fußpfade, Reitwege, Viehwege!« sagte Sulla. »Hast du die kleinen, welligen, terrassenähnlichen Einschnitte nicht bemerkt? Die Berge sehen hier aus wie ein minoisches Krausenkleid! Die Kimbern müssen nur einfach auf die Berge steigen und diese Terrassen entlangmarschieren. Auf diese Weise können sie uns in drei Tagen von beiden Seiten in den Rücken fallen. Und dann, Marcus Aemilius, sitzen wir zwischen dem Hammer und dem Amboß. Und werden zerquetscht wie ein Käfer unter dem Stiefel.«

Der junge Scaurus wurde so blaß, daß Sulla und Petreius im selben Moment ihre Arme nach ihm ausstreckten, weil sie befürchteten, er würde über den Rand der Brücke stürzen, und das hätte er in diesem reißenden Strom nicht überlebt.

»Unser Feldherr hat einen schlechten Plan entworfen«, erklärte Sulla rauh. »Wir hätten zwischen Verona und dem Gardasee auf die Kimbern warten sollen. Dort hätten wir tausend Möglichkeiten gefunden, sie in eine richtige Falle zu locken, und genug Platz, um die Falle zuschnappen zu lassen.«

»Und warum erklärt das niemand Quintus Lutatius?« flüsterte Scaurus.

»Weil er eben ein halsstarriger Konsul ist«, sagte Sulla. »Er will nichts hören und hat nur blödsinnige Ideen im Kopf. Aber das ist ein non sequitur - Gaius Marius hätte man so etwas gar nicht zu sagen brauchen! Nein, Marcus Aemilius, unser Feldherr Quintus Lutatius Catulus Caesar hält es für das beste, hier so zu kämpfen wie die Spartaner bei den Thermopylen. Und wenn du in Geschichte aufgepaßt hast, dann weißt du, daß damals ein einziger winziger Fußpfad ausreichte, um Leonidas zu erledigen.«

Der junge Scaurus schluckte heftig. »Entschuldigt mich bitte!« rief er und stürzte auf sein Zelt zu. Sulla und Petreius blickten ihm nach.

»Das hier ist kein Heer, das ist eine Katastrophe!« sagte Petreius.

»Nein, es ist ein gutes kleines Heer«, widersprach Sulla. »Nur die Führung ist eine Katastrophe.«

»Dich ausgenommen, Lucius Cornelius.«

»Richtig.«

»Du hast dir etwas überlegt«, sagte Petreius.

»Ebenfalls richtig.« Sulla lächelte und entblößte dabei seine bemerkenswerten Eckzähne.

»Darf ich fragen, was?«

»Fragen darfst du, Gnaeus Petreius. Aber ich werde dir erst, sagen wir - heute abend antworten. Auf dem Sammelplatz deiner eigenen samnitischen Legion«, sagte Sulla. »Wir beide werden den Rest des Nachmittags damit verbringen, jeden einzelnen primipilus und führenden Zenturio einer Kohorte zu einem kleinen Treffen bei Anbruch der Dunkelheit einzuladen.« Er rechnete leise nach. »Es werden ungefähr siebzig Mann sein. Aber siebzig Mann, die eine wichtige Rolle spielen. Fang gleich damit an, Gnaeus Petreius! Du übernimmst die drei Legionen auf dieser Talseite, und ich setze mich auf mein treues Maultier und übernehme die Legionen, die flußabwärts lagern.«

Noch am selben Tag kamen die Kimbern an. Die Krieger ergossen sich nördlich des Lagers der sechs Legionen des Catulus Caesar in das Tal, sie waren ihren Wagen weit vorausgeeilt und hielten erst an, als sie die Befestigungsanlagen des römischen Lagers vor sich sahen. Unruhig standen sie nun dort, während die Nachricht wie ein Lauffeuer durch das römische Lager raste und ein paar Neugierige sich in nördlicher Richtung bis an die römische Brustwehr wagten. Voller Entsetzen erblickten sie mehr Germanen, als jemals zuvor ein Römer gesehen hatte - lauter furchteinflößende Riesen.

Sullas Versammlung auf dem Appellplatz der samnitischen Legion dauerte nicht sehr lange. Bald folgten die Teilnehmer des Treffens Sulla über die Brücke in das Dorf Tridentum, wo Catulus Caesar sein Hauptquartier im Haus des örtlichen Magistrats aufgeschlagen hatte. Catulus Caesar hatte seine Offiziere zusammengerufen, um mit ihnen die Lage nach dem Eintreffen der Kimbern zu besprechen, und beschwerte sich gerade über die Abwesenheit seines Stellvertreters, als Sulla den überfüllten Raum betrat.

»Ich schätze Pünktlichkeit, Lucius Cornelius«, sagte Catulus Caesar eisig. »Setz dich bitte, damit wir endlich über unseren Angriff morgen sprechen können.«

»Es tut mir leid, aber ich habe keine Zeit, mich zu setzen«, sagte Sulla. Er trug keine Rüstung, sondern nur sein ledernes Unterkleid und seinen pteryges, doch er hatte Schwert und Messer umgeschnallt.

»Wenn du Wichtigeres zu tun hast, dann geh bitte gleich!« Catulus Caesars Gesicht lief rot an.

»Oh, ich brauche nicht wegzugehen«, sagte Sulla lächelnd. »Die wichtigen Dinge, die ich zu tun habe, muß ich hier in diesem Raum tun. Das Allerwichtigste dabei ist, daß es morgen keine Schlacht geben wird, Quintus Lutatius.«

Catulus Caesar sprang auf. »Keine Schlacht? Warum nicht?«

»Weil das hier eine Meuterei ist, und ich bin der Anstifter.« Sulla zog sein Schwert. »Herein, centuriones!« rief er. »Es ist zwar eng hier drin, aber es wird schon gehen.«

Keiner der Anwesenden sprach auch nur ein Wort, Catulus Caesar war stumm vor Wut, die übrigen Offiziere waren verwirrt oder erleichtert - nicht alle Mitglieder des Feldstabes hatten den Plan gutgeheißen, am nächsten Morgen anzugreifen. Siebzig Zenturionen drängten sich durch die Tür und gruppierten sich dicht um Sulla, in höchstens einem Meter Abstand von Catulus Caesars Stab. Der Feldherr und seine Offiziere standen buchstäblich mit dem Rücken an der Wand.

»Dafür wird man dich vom Tarpeischen Felsen hinunterwerfen!« sagte Catulus Caesar.

»Ich bin bereit«, sagte Sulla und steckte sein Schwert wieder in die Scheide. »Aber wann ist eine Meuterei wirklich eine Meuterei, Quintus Lutatius? Wie weit muß ein Soldat seinem Feldherrn in blindem Gehorsam folgen? Ist es wirklich wahrer Patriotismus, willig in den Tod zu gehen, wenn der Befehlshaber ein militärischer Vollidiot ist?«

Es war offenkundig, daß Catulus Caesar nicht wußte, was er auf diese brutale Aufrichtigkeit antworten sollte. Er war zu stolz, um sich in wüsten Beschimpfungen zu ergehen, und fühlte sich zu sehr im Recht, um diese Behauptung einfach so hinzunehmen. Schließlich erwiderte er kühl und würdevoll: »Das ist ungeheuerlich, Lucius Cornelius!«

Sulla nickte. »Richtig, es ist ungeheuerlich. Unsere Anwesenheit hier in Tridentum ist ungeheuerlich. Morgen werden die Kimbern Hunderte von Pfaden entdecken, die die Rinder, Schafe, Pferde und Wölfe in die Berghänge getrampelt haben. Nicht eine Anopaia, sondern Hunderte! Du bist kein Spartaner, Quintus Lutatius, sondern ein Römer, und es wundert mich, daß du bei den Thermopylen an die Spartaner denkst und nicht an die Römer! Hast du nicht gelernt, daß Cato der Zensor den Anopaia-Pfad wählte, um die Stellung des Königs Antiochos zu umgehen? Oder hielt dein Lehrer Cato den Zensor für nicht hochgeboren genug, um als Beispiel für etwas anderes als nur für hybris zu dienen? Wenn ich an die Thermopylen denke, bewundere ich Cato den Zensor, nicht Leonidas und seine Königsgarde, die bis auf den letzten Mann aufgerieben wurde! Die Spartaner nahmen den Tod in Kauf, um die Perser so lange aufzuhalten, bis die griechische Flotte bei Artemisium in See stechen konnte. Nur klappte das nicht, Quintus Lutatius. Es - klappte - nicht! Die griechische Flotte wurde vernichtet, und Leonidas starb umsonst. Und hat der Kampf bei den Thermopylen den Verlauf des Krieges gegen die Perser beeinflußt? Natürlich nicht! Als später die neue griechische Flotte bei Salamis siegte, hatte es zuvor keinen Kampf bei den Thermopylen gegeben. Willst du wirklich behaupten, daß du den selbstmörderischen Heldenmut eines Leonidas der strategischen Genialität eines Themistokles vorziehst?«

»Du verkennst die Situation«, sagte Catulus Caesar steif. Dieser rothaarige, trickreiche Odysseus hatte seinen Stolz verletzt. In Wahrheit ging es Catulus Caesar jetzt vor allem darum, sich mit unbeschädigter dignitas und auctoritas aus dieser Zwangslage zu retten, das Schicksal seines Heeres oder das der Kimbern interessierte ihn weit weniger.

»Nein, Quintus Lutatius, du verkennst die Situation!« sagte Sulla. »Dein Heer steht jetzt aufgrund meiner Meuterei unter meinem Befehl. Gaius Marius«, Sulla legte eine kleine Pause ein, um den Namen wirken zu lassen, »Gaius Marius hat mir nur einen einzigen Auftrag gegeben: Ich muß sicherstellen, daß dieses Heer unversehrt bleibt, bis er selbst den Befehl übernehmen kann. Und das kann er erst tun, wenn er die Teutonen geschlagen hat. Gaius Marius ist unser Oberbefehlshaber, Quintus Lutatius, und in diesem Moment gehorche ich seinem Befehl, nicht deinem. Wenn sein Befehl in Konflikt mit deinem Befehl steht, befolge ich seine Anweisung, nicht deine. Wenn ich zulasse, daß diese törichte Eskapade weitergeht, wird dieses Heer tot auf dem Schlachtfeld von Tridentum zurückbleiben. Aber es wird kein Schlachtfeld von Tridentum geben. Dieses Heer wird sich heute nacht zurückziehen. Das ganze Heer. Es wird am Leben bleiben und erst dann kämpfen, wenn die Siegeschancen ungleich besser stehen.«

»Ich habe geschworen, daß kein germanischer Fuß italienischen Boden berühren wird!« sagte Catulus Caesar. »Ich bin noch nie wortbrüchig geworden!«

»Die Entscheidung liegt jetzt nicht mehr bei dir, Quintus Lutatius. Du kannst also nicht wortbrüchig werden.«

Quintus Lutatius Catulus Caesar gehörte zu jenen Senatoren aus den alten Geschlechtern, die sich weigerten, einen goldenen Ring als Zeichen der Senatorenwürde zu tragen, statt dessen hatte er den traditionellen eisernen Ring am Finger, wie früher alle Senatoren. Als Catulus Caesar nun seine Hand in einer herrischen Geste gegen seine Offiziere hob, die wie gebannt die Szene verfolgten, blitzte nicht ein gelber Strahl von seinem Zeigefinger, sondern nur ein dumpfer grauer Schein. Bisher hatten die Männer unbeweglich dagestanden, jetzt kam Bewegung in sie, und ein Aufseufzen lief durch die Reihen.

»Laßt uns allein!« befahl Catulus Caesar. »Wartet draußen. Ich will mit Lucius Cornelius unter vier Augen sprechen.«

Die Zenturionen wandten sich um und verließen den Raum, die Militärtribunen und Catulus Caesars Adjutanten folgten, schließlich verschwanden auch die Legaten. Als Catulus Caesar mit Sulla allein im Raum war, kehrte er zu seinem Stuhl zurück und ließ sich schwer darauf niederfallen.

Catulus Caesar steckte in einem Dilemma. Sein Stolz hatte ihn die Etsch hinaufgeführt - nicht der Stolz auf Rom oder auf sein Heer, sondern sein persönlicher Stolz, der ihn auch zu dem Schwur veranlaßt hatte, kein germanischer Fuß dürfe italienischen Boden berühren. Und nun verhinderte eben dieser Stolz, daß er zurückwich, weder um Roms noch um seines Heeres willen. Je weiter er in das Tal eingedrungen war, desto deutlicher hatte er gespürt, daß er einen Fehler beging. Doch er war zu stolz gewesen, den Fehler einzugestehen. Mit jedem Schritt in das Flußtal hinein war sein Mut gesunken. Doch erst in Tridentum hatte er erkannt, wie sehr der Ort den Thermopylen glich - obwohl er natürlich, geographisch betrachtet, keine Ähnlichkeit mit jener historischen Stätte aufwies -, und von da an hatte Catulus Caesar nur noch über einen ehrenvollen Tod für alle nachgedacht. Ein solcher Tod hätte seine Ehre, seinen fatalen persönlichen Stolz unbefleckt gelassen. Wie der Name Thermopylen für alle Zeiten in die Erinnerung eingegraben war, so würde auch Tridentum unvergeßlich werden. Der Untergang der tapferen Wenigen, die von den gewaltigen Vielen geschlagen wurden. Fremder, kommst du nach Rom, verkündige dorten, du habest uns hier liegen gesehen, wie das Gesetz es befahl! Und man hätte ein prächtiges Mahnmal errichtet, Pilgerreisen veranstaltet und unsterbliche epische Gedichte darüber verfaßt.

Der Anblick der Kimbern, die sich in den nördlichen Teil des Tals ergossen, hatte Catulus Caesar auf den Weg der Vernunft gebracht, Sullas Worte hatten dann endgültig den Ausschlag gegeben. Denn natürlich hatte auch Catulus Caesar Augen im Kopf und hinter den Augen ein Gehirn, wenn auch ein Gehirn, das allzu leicht vom Gedanken an seine persönliche dignitas umwölkt wurde. Die Augen hatten die vielen Terrassen bemerkt, die aus den steilen grünen Berghängen riesige Treppen machten. Und das Gehirn hatte sich ausgemalt, wie schnell die Kimbern das römische Heer einkreisen konnten. Dies war keine Schlucht mit beiderseits jäh abfallenden Felsen, es war einfach ein enges Alpental, für den Aufmarsch einer Armee völlig ungeeignet, weil die Wiesenhänge so steil anstiegen, daß die Truppen nicht in Kampfordnung hinaufmarschieren konnten, von schnellen Ausfällen ganz zu schweigen.

Catulus Caesar sah allerdings keine Möglichkeit, wie er sich aus seinem Dilemma befreien konnte, ohne das Gesicht zu verlieren. Zuerst war ihm Sullas Auftritt bei der Lagebesprechung als perfekte Lösung erschienen: Er hätte ihn der Meuterei beschuldigen und ihn im Senat lautstark anklagen können, er hätte ihn und jeden beteiligten Offizier bis hin zum letzten Zenturio wegen Verrat vor Gericht bringen können. Aber diesen Gedanken hatte er sofort wieder verworfen. Meuterei war nach den Regeln des Militärs zwar das schwerste Verbrechen, doch eine Meuterei, in der er allein gegen alle anderen Offiziere stand - denn Catulus Caesar hatte sehr wohl bemerkt, daß sich keiner der Männer im Raum der Meuterei verweigert hätte -, sah doch eher danach aus, als habe hier die Vernunft über eine monumentale Dummheit gesiegt. Wenn es niemals ein Arausio gegeben hätte - wenn Caepio und Mallius Maximus nicht auf alle Zeiten die Vorstellung von der absoluten Befehlsgewalt des römischen Feldherrn in den Augen des römischen Volkes besudelt hätten -, dann wäre es vielleicht anders gewesen. Doch so begriff Catulus Caesar schon kurz nach Sullas Auftritt, daß die Schmach ihn, Catulus Caesar, treffen würde, wenn er in der Öffentlichkeit darauf bestünde, daß eine Meuterei gegen ihn stattgefunden habe. Schlimmstenfalls würde er sogar selbst vor den neuen Gerichtshof für Verrat gestellt werden, den Saturninus geschaffen hatte.

Infolgedessen holte Quintus Lutatius Catulus Caesar tief Luft und schickte sich zu einer versöhnenden Geste an. »Wir wollen jetzt nicht mehr von Meuterei reden, Lucius Cornelius«, sagte er. »Du hattest keinen Grund, deine Meinung so öffentlich kundzutun. Du hättest mich persönlich aufsuchen sollen. Dann hätten wir nämlich diese Angelegenheit unter uns regeln können.«

»Das glaube ich nicht, Quintus Lutatius«, sagte Sulla liebenswürdig. »Du hättest mir befohlen, wieder an meine Arbeit zu gehen. Ich mußte dir eine Lektion erteilen.«

Catulus Caesar preßte die Lippen zusammen, stumm blickte er vor sich hin. Er war ein gutaussehender Mann aus adeliger Familie, mit blondem Haar und blauen Augen, sein Stolz dürstete nach einem Kampf. »Du hast zu lange unter Gaius Marius gedient«, sagte er schließlich. »Dein Verhalten entspricht nicht deiner patrizischen Abstammung.«

Sulla schlug mit der Hand so heftig gegen seinen Lederschurz, daß die Fransen und Metallverzierungen klapperten. »Oh, ihr Götter! Hör jetzt bitte auf mit diesem Geschwätz über Abstammung und Familie, Quintus Lutatius! Es hängt mir zum Hals heraus, dieses Gerede über Auserwähltheit! Und bevor du jetzt über unseren Oberbefehlshaber zu schimpfen anfängst, sage ich dir, daß Gaius Marius uns alle in den Schatten stellt, wenn es um Feldzüge und Heeresführung geht. Er steht so hoch über uns wie der Leuchtturm von Alexandria über einer Kerze! Du bist ebensowenig ein geborener Heerführer wie ich! Aber ich habe dir gegenüber den Vorteil, daß ich meine Erleuchtung diesem Mann verdanke, und deshalb brennt meine Kerze heller als deine!«

»Dieser Mann wird überschätzt!« zischte Catulus Caesar durch die Zähne.

»Oh nein, ganz und gar nicht! Du kannst noch so laut meckern und bellen, Quintus Lutatius, aber Gaius Marius ist der Erste Mann in Rom! Dieser Mann aus Arpinum hat euch alle mit einer Hand erledigt!«

»Es überrascht mich, daß du ihm so treu ergeben bist - aber ich versichere dir, Lucius Cornelius, daß ich das niemals vergessen werde.«

»Das kann ich mir denken«, erwiderte Sulla grimmig.

»Ich gebe dir einen guten Rat, Lucius Cornelius: Wechsle in den nächsten Jahren die Fronten«, sagte Catulus Caesar. »Wenn du das nicht schaffst, wirst du niemals Prätor, geschweige denn Konsul!«

»Oh, wie ich diese nackten Drohungen liebe!« sagte Sulla. »Wen willst du jetzt wieder zum Narren halten? Ich habe die richtige Abstammung. Wenn die Zeit kommt und du denkst, daß es vorteilhaft für dich wäre, mich zu umwerben, dann wirst du mich umwerben!« Er blickte Catulus Caesar listig an. »Eines Tages werde ich der Erste Mann in Rom sein. Der höchste Baum der Welt, genau wie jetzt Gaius Marius. Und die allerhöchsten Bäume kann niemand mehr fällen. Wenn sie stürzen, dann deshalb, weil sie von innen her verfault waren.«

Catulus Caesar schwieg. Sulla warf sich in einen Stuhl und goß Wein in einen Becher.

»Kommen wir jetzt noch einmal auf die Meuterei zurück, Quintus Lutatius. Falls du glaubst, daß mir der Mut fehlt, die Sache bis zum bitteren Ende durchzuziehen, dann irrst du dich.«

»Ich gebe zu, daß ich dich kaum kenne, Lucius Cornelius. Aber in den letzten Monaten habe ich begriffen, daß du fast alles tun würdest, um deinen Willen durchzusetzen«, sagte Catulus Caesar. Er blickte nachdenklich auf seinen eisernen Senatorenring, als erwarte er von dort eine Erleuchtung. »Ich habe gesagt, und ich sage es noch einmal, daß wir nicht mehr von Meuterei reden wollen.« Er schluckte hörbar. »Ich werde mich an die Entscheidung des Heeres halten und den Rückzug anordnen. Unter einer Bedingung: daß niemand das Wort ›Meuterei‹ jemals wieder erwähnt.«

»Ich versichere es dir im Namen des Heeres«, sagte Sulla.

»Ich möchte den Rückzug persönlich ankündigen. Danach - ich nehme an, daß du dir bereits eine Strategie ausgedacht hast?«

»Es ist unbedingt notwendig, daß du den Rückzug persönlich befiehlst, Quintus Lutatius. Auch den Männern gegenüber, die draußen auf uns warten«, sagte Sulla. »Ja, ich habe mir eine Strategie ausgedacht. Eine sehr einfache Strategie. In der Morgendämmerung wird das Heer die Zelte abbrechen und so schnell wie möglich abmarschieren. Das ganze Heer muß bis morgen abend den Fluß überquert haben und südlich von Tridentum stehen. Die samnitische Legion liegt unmittelbar neben der Brücke, deshalb wird sie den Übergang bewachen. Ich muß sofort mit unseren Ingenieuren reden, denn sobald der letzte Mann am anderen Ufer ist, muß die Brücke zerstört werden. Leider ruht sie auf Steinpfeilern, und die können wir nicht wegschaffen. Die Germanen werden die Brücke also wieder aufbauen können. Aber sie sind keine Brückenbauer, sie werden dafür viel mehr Zeit brauchen als wir, und vielleicht bricht ihr Bau ein paarmal zusammen, wenn Boiorix seine Leute darüberführt. Wenn er nach Süden weiterziehen will, muß er den Fluß hier bei Tridentum überqueren. Also müssen wir ihn hier aufhalten.«

Catulus Caesar erhob sich. »Dann wollen wir diese Posse hinter uns bringen.« Er öffnete die Tür, gelassen und vollkommen beherrscht trat er vor seine Offiziere. Offenbar hatte er bereits mit der Reparatur seiner dignitas und auctoritas begonnen. »Wir können unsere Stellung hier nicht halten«, sagte er knapp und deutlich. »Deshalb ordne ich den vollständigen Rückzug an. Ich habe Lucius Cornelius alle notwendigen Anweisungen gegeben, ihr werdet von ihm eure Befehle erhalten. Es muß aber klar sein, daß das Wort ›Meuterei‹ nie gefallen ist. Haben wir uns verstanden?«

Die Offiziere murmelten zustimmend, erleichtert über die Entwicklung der Dinge.

Catulus Caesar drehte sich wieder zu dem Haus um. »Ihr könnt jetzt gehen«, sagte er über die Schulter.

Als die Gruppe sich zerstreute, ging Gnaeus Petreius mit Sulla auf die Brücke zu. »Das ist ja noch einmal glimpflich verlaufen, schätze ich. Er hat sich besser aus der Affäre gezogen, als ich gedacht hätte, Lucius Cornelius. Besser als andere seiner Art, das schwöre ich.«

»Nun ja, hinter all seiner Überheblichkeit versteckt sich doch noch ein Verstand«, sagte Sulla leichthin. »Aber er hat recht: Das Wort ›Meuterei‹ sollten wir nicht mehr erwähnen.«

»Von mir wirst du es nicht hören!« sagte Petreius aus tiefster Überzeugung.

Inzwischen war es Nacht geworden, aber die Brücke wurde durch Fackeln erleuchtet, so daß Sulla und Petreius ohne Schwierigkeiten über die Bohlen schreiten konnten. Am anderen Ufer rannte Sulla voraus und rief den Zenturionen und Tribunen, die hinter ihm herkamen, seine Anweisungen zu: »Alle Legionen müssen beim ersten Tageslicht abmarschbereit sein! Die Ingenieure und alle Zenturionen treffen sich hier mit mir eine Stunde vor Tagesanbruch. Die Militärtribunen kommen jetzt sofort zu mir.«

»Bin ich froh, daß wir ihn haben!« sagte Gnaeus Petreius zum zweiten Zenturio seiner Legion.

»Ich auch. Aber über den da bin ich gar nicht froh!« antwortete der zweite Zenturio und wies auf den jungen Marcus Aemilius Scaurus, der hinter Sulla und den anderen Militärtribunen hereilte.

Petreius brummte. »Du hast recht, aber ich werde morgen gut auf ihn aufpassen. ›Meuterei‹ dürfen wir zwar nicht mehr sagen, aber das heißt nicht, daß irgendein römischer Idiot unsere Samniten ins Verderben führen darf, und wenn sein Vater noch so bedeutend ist.«

In der Morgendämmerung trat das Heer den Rückzug an. Wie bei allen Manövern der gut ausgebildeten römischen Truppen herrschte auch jetzt Ruhe und Ordnung. Die Legion, die am weitesten von der Brücke entfernt gelagert hatte, überquerte den Fluß als erste, dann die nächste Legion, und so fort, so daß sich das Heer gewissermaßen wie ein Teppich aufrollte. Glücklicherweise waren die Gepäckwagen und Tragtiere mit Ausnahme einiger Pferde, die die ranghöchsten Offiziere geritten hatten, südlich des Dorfes und der Brücke verblieben. Dieser Abteilung befahl Sulla, ebenfalls bei Tagesanbruch abzumarschieren. Die erste Hälfte der Legionen sollte den Gepäckzug überholen, die andere Hälfte sollte bis hinunter nach Verona hinter ihm bleiben, denn Sulla wußte, daß die Kimbern nicht schnell genug sein würden, um auch nur die Staubwolke der Römer zu sehen, sobald diese Tridentum hinter sich gelassen haben würden.

Die Kimbern waren mit der Erkundung der Terrassenwege an den Berghängen vollauf beschäftigt und bemerkten erst eine volle Stunde nach Sonnenaufgang, daß das römische Heer den Rückzug angetreten hatte. Sie waren verwirrt, und ihre Verwirrung hielt an, bis Boiorix erschien und einigermaßen Ordnung unter seine Krieger brachte. Die Römer hatten inzwischen keine Zeit verloren und waren zügig marschiert. Als sich die Kimbern endlich zu einem Angriff formierten, überquerte die erste Legion bereits im Eilmarsch die Brücke.

Die Ingenieure hatten lange vor der Dämmerung fieberhaft an den Pfeilern und Balken unter der Brücke zu arbeiten begonnen.

Sulla inspizierte ihre Arbeit. »Immer das gleiche«, beschwerte sich der Führer des Pioniertrupps bei ihm. »Wenn ich mir mal eine Brücke wünsche, die bei der leisesten Berührung zusammenbricht, muß ich mich mit einer soliden römischen Brücke abkämpfen.«

»Wirst du es schaffen?« fragte Sulla.

»Ich hoffe es, legatus! Das Ding hat keine einfachen Verbindungen und Bolzen, sondern richtige Widerlager! Die Brücke ist fest mit den Pfeilern verbunden. Ich kann sie nicht einfach auseinanderreißen, jedenfalls nicht ohne einen größeren Kran. Den haben wir aber nicht, und wir hätten auch gar keine Zeit mehr, ihn zusammenzubauen. Nein, es bleibt uns nur noch die schwere Lösung, und das heißt, fürchte ich, daß die Brücke ein wenig wackeln wird, wenn die letzten Soldaten darüberziehen.«

Sulla runzelte die Stirn. »Was meinst du damit?«

»Wir müssen die Hauptverstrebungen und Stützen durchsägen.«

»Dann tu das! Ich schicke dir hundert Ochsen, die ein wenig daran ziehen dürfen. Reicht das?«

»Sie müssen reichen«, sagte der Anführer der Ingenieure und ging, um den Fortgang der Arbeit an einer anderen Stelle zu überprüfen.

Die Reiterei der Kimbern kam schreiend und brüllend das Tal herunter und setzte ohne Schwierigkeiten über die verlassenen Wälle der Lager von fünf römischen Legionen hinweg. Es waren nur einfache Wälle und Gräben, für bessere Befestigungen hatte die Zeit nicht ausgereicht. Nur die samnitische Legion stand noch am jenseitigen Brückenkopf und war gerade im Begriff, ihr Lager durch das Haupttor zu verlassen, als die Kimbern heranstürmten und sie von der Brücke abschnitten. Die Samniten stellten sich in Kampfordnung auf und bereiteten sich auf den Angriff vor, die Speere kampfbereit, die Mienen entschlossen.

Sulla stand hilflos auf der anderen Seite der Brücke und beobachtete, wie der erste Ansturm der Reiter an der Legion vorbeifegte, wie sie ihre Pferde zügelten und herumrissen, um zu sehen, was der Kommandant wohl tun würde. Die Samniten führte der junge Scaurus, und Sulla machte sich bittere Vorwürfe, daß er diesen furchtsamen Sohn eines furchtlosen Vaters nicht abgelöst und selbst das Kommando übernommen hatte. Aber dafür war es jetzt zu spät, und er konnte auch nicht mehr zurück über die Brücke. Überdies traute er Catulus Caesar nicht zu, den Rückzug allein zu befehligen, deshalb mußte er, Sulla, am Leben bleiben. Und er wollte die Aufmerksamkeit der Kimbern nicht auf die Brücke lenken, denn wenn sie erst einmal ihre Barbarenaugen darauf gerichtet hätten, würden sie sofort fünf römische Legionen und ihren Versorgungstroß erspähen, die förmlich zur Verfolgung einluden. Sulla beschloß, schlimmstenfalls die Ochsen antreiben zu lassen und die angesägte Brücke zum Einsturz zu bringen, aber er wußte, daß damit die samnitische Legion rettungslos verloren wäre.

»Einen Ausfall, Scaurus, einen Ausfall nach Norden!« hörte er sich murmeln. »Roll sie auf und bring deine Leute zur Brücke!«

Die kimbrische Reiterei hatte inzwischen gewendet, die ersten Reihen waren weit am samnitischen Lager vorbeigedonnert. Die letzten Reihen wichen ein Stück zurück, um den vorderen Reihen Platz für das Wendemanöver und den Rückgalopp zu schaffen. Gleich würden sie mit vollem Druck das samnitische Lager bestürmen, mit ihren Pferden über die Wälle setzen und alles niedertrampeln. Horden von Fußsoldaten würden die Sache dann zu Ende bringen. Die Kavallerie würde in einem großen Bogen umdrehen und die samnitische Legion direkt in die Arme der kimbrischen Fußsoldaten treiben.

Die Samniten hatten nur noch eine Chance: Sie mußten sich hinter die ersten Reihen der Reiter werfen, sie vom Rest der kimbrischen Kavallerie abschneiden und dann mit ihren Speeren die Pferde rechts und links töten, während ein Teil der samnitischen Legion auf die Brücke zustürmte. Aber wo war der junge Scaurus? Warum tat er das nicht? In wenigen Augenblicken würde es zu spät sein!

Noch bevor Sulla diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, hörte er das Hurragebrüll der drei Hundertschaften, die um ihn herum standen. Sulla hatte die ganze Zeit nach einem berittenen Militärtribunen Ausschau gehalten, der Ausfall wurde jedoch von einem Fußsoldaten angeführt, von Gnaeus Petreius, dem samnitischen primipilus.

Sulla schrie nun mit seinen Männern, hüpfte und tanzte von einem Bein auf das andere, während die nicht in Kämpfe verwickelten Samniten in rasender Geschwindigkeit über die Brücke stürmten. Sie blieben so eng beieinander, daß die Kimbern keinen Raum fanden, ihnen ein zweites Mal den Weg abzuschneiden. Die vorderen Reihen der kimbrischen Pferde fielen zu Hunderten unter den samnitischen Speeren, die Krieger versuchten, unter ihren Tieren hervorzukommen, und gerieten dabei in ein immer dichteres Gewühl, während die Samniten weiterhin ihre Speere in die Seiten, Rücken, Nacken und Flanken der Pferde trieben. Den übrigen Reihen der Kimbern erging es nicht besser. Schließlich lagen so viele Reiter und Pferde auf der Erde, daß die Fußsoldaten nicht durchkamen. Nur wenige Germanen waren Gnaeus Petreius auf den Fersen, als er als letzter hinter seinen Männern die Brücke überquerte. Die paarweise zusammengebundenen Ochsen hatten schon lange vor dem Kampf zu ziehen begonnen, denn es dauerte geraume Zeit, bis ein so langer Zug von hundert Tieren in Bewegung kam: Aber schließlich übertrug sich die Zugkraft von fünfzig Paaren auf die Ketten und erschütterte die Brücke. Es war eine gute, solide gebaute römische Brücke, sie hielt viel länger, als selbst der Führer des Pioniertrupps - wie alle Männer seines Berufs ein Pessimist - angenommen hatte. Doch schließlich brachen zwei Streben, und mit ohrenbetäubendem Knirschen, Knarren und Krachen stürzte die Brücke in sich zusammen. Holzstücke fielen in das reißende Gewässer und wurden wie Strohhalme unter einem Gartenspringbrunnen flußabwärts weggespült.

Gnaeus Petreius war an der Seite verwundet, aber nicht schwer. Sulla trat zu ihm, als ihm gerade einer der Ärzte der Legion den Kettenpanzer auszog. Sein Gesicht war mit einer Mischung aus Dreck, Schweiß und Pferdedung verklebt, aber er wirkte bemerkenswert munter.

»Rühr die Wunde nicht an, bevor du ihn nicht gesäubert hast, du mentula!« knurrte Sulla den Arzt an. »Wisch ihm zuerst einmal den Pferdedung ab! Er verblutet ja nicht. Stimmt’s, Gnaeus Petreius?«

»Gnaeus Petreius verblutet nicht!« antwortete der Zenturio mit breitem Grinsen. »Wir haben es geschafft, nicht wahr, Lucius Cornelius? Wir haben alle herübergebracht, nur ein paar Männer haben wir da drüben verloren!«

Sulla ließ sich neben ihm nieder und beugte den Kopf so nahe zu dem Zenturio, daß niemand hören konnte, was sie miteinander flüsterten. »Was ist mit dem jungen Scaurus passiert?«

Verächtlich zog Petreius die Mundwinkel herunter. »Hat in die Hosen geschissen, während er doch eigentlich hätte nachdenken sollen. Als ich ihm erklärt habe, was zu tun war, ist er umgekippt. Einfach in Ohnmacht gefallen. Es geht ihm jetzt wieder gut, dem armen Jungen, ein paar von meinen Männern haben ihn über die Brücke getragen. Schade um ihn, aber so ist’s nun mal. Hat eben den Mut seines Vaters nicht geerbt. Hätte lieber Buchhändler werden sollen.«

»Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, daß du dabei warst und nicht irgendein anderer primipilus. Ich habe nicht richtig nachgedacht! Als ich sah, was los war, hätte ich mich selbst in den Hintern treten können, weil ich Scaurus den Befehl nicht abgenommen habe«, sagte Sulla.

»Das spielt jetzt keine Rolle mehr, Lucius Cornelius, es ist ja alles gutgegangen. Wenigstens kennt er jetzt seine Grenzen.«

Die Sanitäter kamen mit so viel Wasser und Schwämmen zurück, als hätten sie ein Dutzend Männer waschen müssen. Sulla stand auf und ließ sie arbeiten. Er streckte seine Rechte aus, Gnaeus Petreius nahm sie und hielt sie einen Augenblick lang fest. Mit diesem Händedruck war alles gesagt, was sich die beiden Männer zu sagen hatten.

»Du hast einen Graskranz verdient«, sagte Sulla.

»Nein!« protestierte Petreius verlegen.

»Doch. Du hast eine ganze Legion vor dem Untergang gerettet, Gnaeus Petreius. Wenn ein Mann ganz allein eine ganze Legion rettet, wird ihm der Graskranz aufgesetzt. Ich werde persönlich dafür sorgen.«

Sulla ging den Berghang zum Dorf hinunter, um einen Transportwagen für Gnaeus Petreius, den Helden von Tridentum, bereitstellen zu lassen. War das der Graskranz, den Julilla vor so vielen Jahren in meiner Zukunft gesehen hat? fragte er sich unterwegs. Arme Julilla! Arme, arme Julilla. Sie hatte nie etwas richtig gemacht, vielleicht erklärte das all ihre Konflikte. Julilla war die einzige aus dem Haus der Julias gewesen, die die Fähigkeit, einen Mann glücklich zu machen, nicht geerbt hatte. Doch dann wandten sich Sullas Gedanken anderen Dingen zu, wichtigeren Dingen. Lucius Cornelius Sulla hatte nicht vor, sich wegen Julilla Vorwürfe zu machen. Ihr Schicksal hatte mit ihm nichts zu tun, sie hatte es selbst heraufbeschworen.