Das zehnte bis elfte Jahr
(101 - 100 v. Chr. )
Unter den Konsuln
GAIUS MARIUS (V) und MANIUS AQUILIUS
Unter den Konsuln
GAIUS MARIUS (VI) und LUCIUS VALERIUS FLACCUS
Sulla hatte recht: Die Kimbern wollten den Po gar nicht überschreiten. Friedlich wie eine Kuhherde auf einer riesigen saftigen Weide zogen sie über die weite Flußebene in der östlichen Hälfte der italischen Gallia Transpadana, umgeben von einer solchen Fülle von fruchtbaren Äckern und Weiden, daß sie den Ermahnungen ihres Königs keine Beachtung schenkten. Nur Boiorix war beunruhigt und erschüttert, als ihn die Nachricht von der Niederlage der Teutonen bei Aquae Sextiae erreichte. Als er dann auch noch erfuhr, daß die Tiguriner, Markomannen und Cherusker allen Mut verloren hatten und in ihre ursprüngliche Heimat zurückgekehrt waren, verzweifelte er. Sein großer Plan war an der Überlegenheit der römischen Waffen und der Untauglichkeit der germanischen Waffen gescheitert, und jetzt konnte er nicht einmal mehr sicher sein, daß er nicht die Kontrolle über sein eigenes Volk, die Kimbern, verlieren würde.
Da sie zahlenmäßig die stärkste der drei Abteilungen waren, glaubte er zwar immer noch, daß sie Italien auch ohne die Hilfe der anderen Stämme erobern konnten - aber nur dann, wenn er ihnen endlich begreiflich machen könnte, daß ein Sieg nur im gemeinsamen Kampf aller bei strenger Selbstdisziplin jedes einzelnen zu erringen war.
Den ganzen Winter über nach der Niederlage von Aquae Sextiae schwieg er, denn er wußte, daß er nichts erreichen würde, solange seine Leute nicht des Lagerplatzes überdrüssig waren oder den letzten Kornspeicher leergegessen hatten. Er rechnete mit der zweiten Möglichkeit: Die Kimbern waren keine Bauern, also würden ihnen über kurz oder lang Nahrungsmittel und Viehfutter ausgehen. Allerdings hatte Boiorix noch nie ein so fruchtbares Land gesehen, das schier unerschöpfliche Vorräte an Futter hervorbrachte. Kein Wunder, daß Rom so mächtig war, wenn solches Land zu seinem Herrschaftsgebiet gehörte! Anders als in Gallia Narbonensis gab es in Gallia Transpadana keine großen Waldflächen, statt dessen boten sorgfältig gepflegte Eichenhaine eine so reiche Ernte, daß viele tausend Schweine dort den Winter über Nahrung fanden. Das übrige Land wurde bestellt: Wo der Po den Boden zu sumpfig machte, pflanzte man Hirse, wo der Boden trocken genug war, wuchs Weizen; Kichererbsen, Linsen, Lupinen und Bohnen gediehen in jedem Boden. Selbst nachdem die Bauern im Frühjahr geflohen waren oder es nicht gewagt hatten, ihre Felder einzusäen, sprossen die Pflanzen, so viele Samenkörner schlummerten schon in diesem Boden.
Boiorix durchschaute die geographische Beschaffenheit Italiens nicht, sonst hätte er sich wohl dafür entschieden, Gallia Transpadana zur neuen Heimat der Kimbern zu erklären. Rom hätte ihn möglicherweise gewähren lassen, da Gallia Transpadana kein lebenswichtiges Gebiet war und überwiegend Kelten dort siedelten. Die geographische Beschaffenheit Italiens verhinderte nämlich, daß die ungeheuren Reichtümer der Poebene der italienischen Halbinsel zugute kamen. Alle Flüsse verliefen von Osten nach Westen oder von Westen nach Osten, und die unwirtliche Bergkette der Apenninen teilte die Halbinsel von Gallia Cisalpina in der ganzen Länge von den Ufern der Adria bis zur ligurischen Küste. Gallia Transpadana war ein eigenes Land, das wiederum in zwei Länder geteilt war, das eine lag südlich, das andere nördlich des großen Flusses.
Als der Frühling dem Sommer wich und die ersten winzigen Anzeichen für eine Erschöpfung des Landes sich zeigten, kam Boiorix auf seinen Plan zurück. Die Pflanzen hatten sich zwar selbst versamt, aber sie waren dünn geblieben und bildeten nur wenige Ähren oder Schoten. Die Schweine, schlaue Tiere, spürten als erste, daß das Futter knapper wurde, und verschwanden. Die fünfhunderttausend Stück Vieh der Kimbern hatten alles abgegrast und fanden nur noch ein paar staubige, zertrampelte Halme.
Es war an der Zeit, weiterzuziehen. So rief Boiorix seine Häuptlinge zusammen und erteilte den Befehl zum Aufbruch, den diese wiederum an die Mannschaften weitergaben. Anfang Juni trieb man das Vieh und die Pferde zusammen, die Wagen wurden aufgepackt. Wieder einmal zu einer einzigen riesigen Masse vereint, zogen die Kimbern in westlicher Richtung stromaufwärts, am Nordufer des Po entlang. Ihr Ziel waren die stärker unter römischem Einfluß stehenden Gebiete in der Nähe der großen Stadt Placentia.
In Placentia lagerte die römische Armee mit vierundfünfzigtausend Mann. Marius hatte zwei seiner Legionen an Manius Aquilius übergeben, der Anfang des Jahres nach Sizilien gegangen war, um mit dem Sklavenkönig Athenion fertig zu werden. Die Niederlage der Teutonen war so eindeutig gewesen, daß es nicht einmal nötig schien, eine Garnison zur Bewachung von Gallia Transalpina zurückzulassen.
Die Situation hatte gewisse Parallelen zur Befehlslage in Arausio: Wieder war der oberste Feldherr ein homo novus, sein Stellvertreter ein Mann aus dem hohen Adel, aber ansonsten hatten Gaius Marius und Gnaeus Mallius Maximus nichts gemein. Der homo novus Marius war nicht der Mann, der sich von einem Adligen wie Catulus Caesar auch nur die geringsten Schwierigkeiten machen ließ. Catulus Caesar bekam kurz und bündig mitgeteilt, was er zu tun und wohin er zu gehen habe und warum er dies zu tun und dorthin zu gehen habe. Von ihm wurde nichts als Gehorsam erwartet, und er wußte genau, was passieren würde, wenn er nicht gehorchte. Gaius Marius hatte sich nämlich die Zeit genommen, ihm das mitzuteilen, auf sehr direkte Art.
»Du mußt dir das wie folgt vorstellen: Ich habe für dich eine Linie gezogen, auf der du dich bewegen kannst, Quintus Lutatius. Wenn du diese Linie auch nur mit einem Zeh übertrittst, bist du so schnell zurück in Rom, daß du dich fragen wirst, wie du dorthin gekommen bist«, sagte Marius. »Mit mir macht keiner solche Mätzchen wie Caepio! Ich hätte ohnehin lieber Lucius Cornelius in deiner Position, und er wird sie bekommen, wenn du auch nur daran zu denken wagst, deine Linie zu überschreiten. Kapiert?«
»Ich bin kein Untergebener, und ich verwahre mich entschieden dagegen, wie ein solcher behandelt zu werden«, sagte Catulus Caesar mit hochroten Wangen.
»Hör mal, Quintus Lutatius, mir ist es vollkommen egal, wogegen du dich verwahrst!« sagte Marius betont geduldig. »Mich interessiert nur, was du tust. Und du tust, was ich dir sage, sonst nichts.«
»Ich werde sicherlich ohne Schwierigkeiten deinen Befehlen Folge leisten können, Gaius Marius. Sie sind ebenso bestimmt wie präzise«, erwiderte Catulus Caesar und unterdrückte mühsam seinen Zorn. »Aber ich wiederhole nochmals, es gibt keinen Grund, daß du mit mir sprichst, als wäre ich ein gewöhnlicher Zenturio! Ich bin der stellvertretende Befehlshaber.«
Marius grinste hämisch. »Ich kann dich auch nicht leiden, Quintus Lutatius. Du bist eine dieser mittelmäßigen Figuren aus dem Adel, die meinen, sie hätten ein göttliches Recht darauf, Rom zu regieren. Von dir persönlich glaube ich, daß du nicht einmal eine Weinstube führen könntest, und wenn sie zwischen einem Bordell und einem Männerverein läge! Also, du und ich werden auf folgende Art zusammenarbeiten: Ich gebe die Befehle, und du befolgst sie aufs Wort.«
»Nur unter Protest«, sagte Catulus Caesar.
»Meinetwegen unter Protest, aber du befolgst sie.« Und das war Marius’ letztes Wort.
»Hättest du nicht ein bißchen taktvoller sein können?« fragte Sulla Marius später an diesem Tag. Eine Stunde lang hatte er mit anhören müssen, wie Catulus Caesar in seinem Zelt auf und ab stapfte und Schimpftiraden gegen Marius losließ.
»Warum denn?« fragte Marius ganz überrascht.
»Weil er in Rom wichtig ist, darum! Und er ist auch hier in Gallia Cisalpina wichtig!« gab Sulla barsch zurück. Sein Zorn legte sich, er blickte Gaius Marius an, dem keine Spur von Reue anzumerken war, und schüttelte den Kopf. »Ach, du bist unmöglich! Und wirst immer schlimmer, ich schwör’s dir.«
»Ich bin ein alter Mann, Lucius Cornelius. Sechsundfünfzig. Genauso alt wie unser princeps senatus, den jeder einen alten Mann nennt.«
»Ja, weil unser princeps senatus eine Glatze hat und ein faltiges Gesicht und zum Inventar des Forums gehört«, sagte Sulla. Aber du bist immer noch der tatendurstige Befehlshaber auf dem Schlachtfeld, deshalb hält dich niemand für alt.«
»Wie auch immer, ich bin zu alt, um gute Miene zu solchen Narren wie diesem Quintus Lutatius zu machen«, sagte Marius. »Ich habe einfach keine Zeit, Stunden damit zuzubringen, so einem Hahn, der auf dem Mist herumstolziert, die zerzausten Federn wieder glattzustreichen, nur damit er seine hohe Meinung von sich selbst nicht verliert.«
»Sag nicht, daß ich dich nicht gewarnt hätte!« erwiderte Sulla.
In der zweiten Hälfte des Quintilis standen die Kimbern am Fuße der westlichen Alpen, verstreut über eine Ebene namens Campi Raudii, nicht weit von der kleinen Stadt Vercellae.
»Warum hier?« fragte Marius Quintus Sertorius, der sich immer wieder unter die Kimbern gemischt hatte, während sie westwärts gezogen waren.
»Ich wünschte, ich wüßte die Antwort, Gaius Marius, aber es ist mir nie gelungen, an Boiorix selbst heranzukommen«, sagte Sertorius. »Die Kimbern glauben wohl, daß sie heim nach Germanien ziehen, aber ein paar seiner Häuptlinge, die ich kenne, haben mir gesagt, daß Boiorix nach wie vor unbedingt nach Süden vorstoßen will.«
»Er ist viel zu weit im Westen«, entgegnete Sulla.
»Meine Informanten glauben, daß er versuchen wird, die Kimbern zu beschwichtigen, indem er so tut, als werde man sehr bald die Alpen in Richtung Gallia Narbonensis überqueren und im nächsten Jahr wieder auf der Kimbrischen Chersonesos sein. Aber in Wahrheit wird er sie so lange im italischen Gallien festhalten, bis die Alpenpässe zugeschneit sind, und dann wird er sie vor die Entscheidung stellen, entweder in Gallien zu bleiben und sich durch den Winter zu hungern oder in Italien einzufallen.«
»Das ist eine ziemlich schlaue Strategie für einen Barbaren«, meinte Marius skeptisch.
»Der dreiflankige Angriff auf das italische Gallien war auch keine typisch barbarische Strategie«, erinnerte ihn Sulla.
»Sie sind wie die Geier«, sagte Sertorius plötzlich.
»Wie meinst du das?« fragte Marius mit gerunzelter Stirn.
»Wenn sie irgendwo einen Haufen Knochen finden, stürzen sie sich darauf, Gaius Marius. Meiner Meinung nach ist das der Grund, warum sie ständig weiterziehen. Oder vielleicht vergleicht man sie besser mit einem Schwarm Heuschrecken. Sie fressen alles, was ihnen in die Hände fällt, und dann ziehen sie weiter. Die Häduer und Ambarrer werden zwanzig Jahre brauchen, bis sie die verheerenden Schäden beseitigt haben, die die Germanen in vier Jahren bei ihnen angerichtet haben. Und die Aduatuker waren auch nicht gerade in allerbester Stimmung, als ich sie verließ, das kann ich dir sagen.«
»Wie konnten die Germanen dann eigentlich so lange in ihrer ursprünglichen Heimat leben, ohne weiterziehen zu müssen?« fragte Marius.
»Früher waren sie dort nicht so zahlreich. Die Kimbern hatten ihre riesige Halbinsel, die Teutonen das ganze Land südlich davon, die Tiguriner waren in Helvetien zu Hause, die Cherusker lebten an den Ufern der Weser in Germanien und die Markomannen in Böhmen«, erklärte Sertorius.
»Das Klima ist anders dort«, fuhr Sulla fort, als Sertorius schwieg. »Nördlich des Rheins regnet es das ganze Jahr. Das Gras wachst sehr schnell, und es ist süßes, saftiges, zartes Gras. Auch sind anscheinend die Winter dort nicht sehr hart - zumindest nicht in der Nähe des Atlantischen Ozeans, wo die Kimbern, Teutonen und Cherusker lebten. Selbst im tiefsten Winter fällt mehr Regen als Schnee. So können sie die Tiere weiden lassen und müssen wenig anpflanzen. Ich glaube nicht, daß die Germanen so leben, weil sie von Natur aus so sind. Sie leben eben so, wie sie es von ihrer ursprünglichen Heimat gewohnt sind.«
Marius horchte auf und zog die Augenbrauen hoch. »Wenn sie also beispielsweise lange genug in Italien herumlungerten, dann würden sie irgendwann lernen, wie man Landwirtschaft betreibt, meinst du das?«
»Genau.«
»Dann sollten wir auf jeden Fall noch in diesem Sommer den Entscheidungskampf herbeiführen und dem Spiel ein Ende machen - und mit ihnen auch. Seit fast fünfzehn Jahren lebt Rom jetzt mit diesem Schatten. Ich kann nicht ruhig in meinem Bett schlafen, wenn ich vor dem Einschlafen immer an die halbe Million Germanen denken muß, die in Europa herumzieht und nach dem Elysium sucht, das sie irgendwo nördlich des Rheins verlassen hat. Die germanische Völkerwanderung muß aufhören. Und ich kann nur sicher sein, daß sie aufhört, wenn römische Schwerter ihr ein Ende machen.«
»Ich bin ganz deiner Meinung«, sagte Sulla.
»Ich auch«, pflichtete Sertorius bei.
»Hast du nicht einen Sprößling irgendwo bei den Kimbern?« wandte sich Marius an Sertorius.
»Ja, habe ich.«
»Weißt du, wo er ist?«
»Ja.«
»Gut. Wenn alles vorbei ist, kannst du deinen Sprößling und seine Mutter schicken, wohin du willst, meinetwegen sogar nach Rom.«
»Vielen Dank, Gaius Marius. Ich werde sie nach Hispania Citerior schicken«, sagte Sertorius lächelnd.
Marius stutzte. »Spanien? Warum gerade Spanien?«
»Dort hat es mir gefallen, als ich lernte, ein Keltiberer zu sein. Der Stamm, bei dem ich damals lebte, wird für meine germanische Familie sorgen.«
»Also gut! Nun, meine lieben Freunde, laßt uns überlegen, wie wir den Kampf mit den Kimbern herbeiführen können.«
Und Marius führte den Kampf herbei. Bei einer Zusammenkunft von Marius und Boiorix wurde der letzte Tag im Kalendermonat Quintilis als Tag für die Schlacht festgesetzt. Marius war nämlich nicht der einzige, der die Jahre der Unentschiedenheit satt hatte, auch Boiorix wollte endlich eine Entscheidung.
»Dem Sieger gehört Italien«, sagte Boiorix.
»Dem Sieger gehört die Welt«, gab Marius zurück.
Wie in Aquae Sextiae kämpfte Marius mit den Fußsoldaten. Seine Truppen aus Gallia Transalpina hatte er in zwei riesige Flügel geteilt, jeder Flügel bestand aus fünfzehntausend Mann. Die spärliche Reiterei hatte er zusammengezogen, sie sollte die beiden Flügel der Infanterie schützen. Zwischen die beiden Flügel stellte er Catulus Caesar mit seinen vierundzwanzigtausend wenig erfahrenen Kämpfern, sie bildeten den Mittelteil. Die altgedienten Truppen an den Flügeln würden einen beruhigenden und disziplinierenden Einfluß auf sie haben. Marius kommandierte den linken Flügel, Sulla den rechten und Catulus Caesar die Mitte.
Fünfzehntausend berittene Krieger der Kimbern eröffneten die Schlacht. Sie waren großartig gekleidet und ausgerüstet, ritten schwere nordische Pferde und nicht die kleinen gallischen Ponys. Alle germanischen Reiter trugen hohe Helme, die wie die Köpfe sagenhafter Ungeheuer aussahen, mit gefletschten Zähnen und langen steifen Federn an jeder Seite, so daß die Berittenen noch größer wirkten. Alle trugen eiserne Brustharnische und Langschwerter, ein weißes rundes Schild und zwei schwere Lanzen.
Die Reiter drängten sich in Viererreihen auf einer Länge von fast vier Meilen, direkt hinter ihnen standen die kimbrischen Fußsoldaten. Als sie angriffen, wandten sie sich nach rechts und zogen die Römer mit. Diese Taktik sollte die Kampflinie der Römer weit nach links verschieben, damit die Infanterie der Kimbern Sulla von der Flanke her angreifen und den Römern in den Rücken fallen konnte.
Die römischen Legionen waren so versessen auf den Kampf, daß der Plan der Germanen beinahe aufgegangen wäre. Schließlich konnte Marius seine Truppen zum Stehen bringen und die volle Wucht der Kavallerieattacke auf sich ziehen. Sulla mußte allein mit dem ersten Angriff der kimbrischen Fußsoldaten fertig werden, während Catulus Caesar in der Mitte gegen Kavallerie und Infanterie kämpfte.
Ihre Stärke, ihre bessere Ausbildung und vor allem ihre List verhalfen den Römern auf dem Schlachtfeld von Vercellae zum Sieg. Marius hatte darauf gesetzt, daß der entscheidende Teil des Kampfes am Vormittag stattfinden würde, und seine Kampfreihen deshalb nach Westen ausgerichtet. Die Kimbern wurden von der Morgensonne geblendet, und ihre Kräfte ließen früher nach als die der Römer. Sie waren an ein kühleres, milderes Klima gewöhnt und hatten wie immer riesige Mengen Fleisch zum Frühstück verschlungen, und mußten nun zwei Tage nach der Sommersonnwende unter einem wolkenlosen Himmel, in einer erstickenden Staubwolke gegen die Römer kämpfen. Für die römischen Legionäre waren das die üblichen kleinen Unannehmlichkeiten, die Germanen aber fühlten sich wie in der Unterwelt. Sie fielen zu Tausenden und Abertausenden, mit ausgedörrten Kehlen, in Rüstungen, die wie das Bluthemd des Herakles brannten, unter glühend heißen Helmen und mit Schwertern, die tonnenschwer in den Scheiden steckenblieben.
Als die Sonne am höchsten stand, gab es keine kimbrischen Krieger mehr. Achtzigtausend Mann lagen tot auf dem Schlachtfeld, darunter auch Boiorix. Die übrigen flüchteten und zerrten ihre Frauen und Kinder in die Wagen, um über die Alpen zu retten, was noch zu retten war. Aber fünfzigtausend Wagen konnten nicht im Galopp davonrasen, und eine halbe Million Rinder und Pferde ließen sich nicht in ein oder zwei Stunden zusammentreiben. Nur die Germanen kamen davon, die das Tal der Salasser hinauf in Richtung Alpen flohen. Viele Frauen fürchteten die Gefangenschaft so sehr, daß sie sich und ihre Kinder töteten, manche töteten auch die flüchtenden Krieger. Trotzdem wurden sechzigtausend kimbrische Frauen und Kinder und zwanzigtausend Krieger an die Sklavenhändler verkauft.
Von denen, die durch das Tal der Salasser und über den Paß bei Lugdunum nach Gallia Transalpina gelangten, schafften es nur wenige, sich durch die angriffsbereiten Spaliere der Kelten zu schlagen, auch die Allobroger und Sequaner griffen sie unbarmherzig an. Höchstens zweitausend Kimbern stießen schließlich zu den sechstausend Kriegern, die bei den Aduatukern zurückgeblieben waren. Wo die Somme in die Maas fließt, ließen sich die wenigen, die von der großen Völkerwanderung übriggeblieben waren, endgültig nieder, und im Laufe der Zeit nannten sie sich Aduatuker. Nur der unermeßlich große Schatz erinnerte noch daran, daß sie einst ein germanischer Stamm von mehr als siebenhundertfünfzigtausend Menschen gewesen waren. Doch konnten sie ihre Schätze nie genießen, denn immer wieder mußten sie sie gegen einfallende Römer verteidigen.
Gewappnet für eine andere Art von Kampf, kam Catulus Caesar zu dem Rat, den Marius nach der Schlacht von Vercellae einberufen hatte. Er traf auf einen weich gestimmten, leutseligen Marius, der ihm bereitwillig jeden Wunsch erfüllte.
»Mein lieber Freund, natürlich sollst du einen Triumph feiern!« sagte Marius und klopfte ihm auf den Rücken.
»Mein lieber Freund, nimm dir zwei Drittel der Beute! Meine Männer haben ja noch die Beute von Aquae Sextiae, außerdem gab ich ihnen den Erlös vom Verkauf der Sklaven, so stehen sie nach dieser Schlacht besser da als deine Leute, würde ich meinen - oder willst du das Geld aus dem Sklavenhandel auch verteilen? Nein? Natürlich nicht, das verstehe ich gut, mein lieber Quintus Lutatius!« sagte Marius und reichte ihm einen Teller voller Leckereien.
»Mein lieber Freund, nicht im Traum würde ich daran denken, allen Ruhm für mich zu beanspruchen! Wie könnte ich, wo deine Soldaten in Mut und Geschick meinen in keiner Weise nachgestanden haben?« sagte Marius, nahm ihm den Teller ab und drückte ihm statt dessen einen bis zum Rand mit Wein gefüllten Becher in die Hand. »Komm her, nimm Platz! Was für ein Tag! Heute werde ich in Frieden schlafen.«
»Boiorix ist tot«, sagte Sulla und lächelte zufrieden. »Es ist alles vorbei, Gaius Marius. Wirklich und endgültig vorbei.«
»Und deine Frau und dein Kind, Quintus Sertorius?« fragte Marius.
»Sind in Sicherheit.«
»Gut. Sehr gut!« Marius schaute sich im überfüllten Zelt des Feldherrn um. Selbst seine buschigen Augenbrauen schienen zu leuchten. »Und wer möchte die Nachricht vom Sieg von Vercellae nach Rom bringen?« fragte er.
Zwei Dutzend Stimmen erschollen, einige Dutzend Männer hingegen schwiegen betroffen, aber ihre Gesichter sprachen Bände. Marius betrachtete einen nach dem anderen und ließ seine Augen endlich auf dem ruhen, für den er sich ohnehin schon entschieden hatte.
»Gaius Julius, du sollst die Aufgabe übernehmen. Du bist mein Quästor, aber nicht nur das. In dir ruht ein Teil eines jeden von uns drei obersten Feldherren. Wir müssen hier im italischen Gallien bleiben, bis alles in Ordnung gebracht ist. Du bist mein Schwager und auch der von Lucius Cornelius, in den Adern unserer Kinder fließt das Blut deiner Familie. Und Quintus Lutatius ist von Geburt her ein Julius Caesar. So ist es angemessen, daß ein Julius Caesar Rom die Siegesbotschaft überbringt.« Er schaute sich fragend im Kreise der Anwesenden um. »Ist das gerecht?«
»Es ist gerecht«, antworteten alle im Chor.
»Was für ein wundervoller erster Auftritt im Senat«, sagte Aurelia und konnte ihre Augen nicht von Caesars Gesicht wenden. Wie braungebrannt er war, was für ein Mann! »Ich bin jetzt froh, daß die Zensoren dich vor deinem Dienst bei Gaius Marius nicht zugelassen haben.«
Caesar war immer noch aufgeregt. In Gedanken durchlebte er jene glorreichen Augenblicke im Senat, als er dem Senatsvorsitzenden Marius’ Schreiben übergeben und dann mit eigenen Augen gesehen hatte, wie der Senat von Rom die Nachricht aufnahm, daß die Bedrohung durch die Germanen ihr Ende gefunden hatte: Beifall, Jubel, lachende und weinende Senatoren, Gaius Servilius Glaucia, der Führer der Volkstribunen, wie er mit geraffter Toga von der Curia zum Versammlungsplatz der Komitien rannte und die Nachricht von der rostra herunterschrie, der Anblick von so illustren Persönlichkeiten wie Metellus Numidicus und dem pontifex maximus Ahenobarbus, die sich feierlich die Hände schüttelten und bemüht waren, trotz aller Aufregung noch würdevoll zu wirken.
»Das ist ein Omen«, sagte er zu seiner Frau. Seine Augen ruhten mit Bewunderung auf ihr. Wie schön sie war, und wie wenig man ihr anmerkte, daß sie seit vier Jahren in der Subura lebte und ein großes Mietshaus, eine insula, verwaltete.
»Eines Tages wirst du Konsul sein«, sagte sie zuversichtlich. »Immer wenn sie an unseren Sieg bei Vercellae denken, werden sie sich daran erinnern, daß du es warst, der ihnen die Nachricht überbracht hat.«
»Nein«, sagte er, um Gerechtigkeit bemüht, »sie werden an Gaius Marius denken.«
»Und an dich«, beharrte die verliebte Aurelia hartnäckig. »Dein Gesicht haben sie gesehen, du warst sein Quästor.«
Caesar seufzte, machte es sich auf der Speiseliege bequem und wies auf den leeren Platz neben sich. »Komm her!«
Aurelia saß hochaufgerichtet auf ihrem Stuhl mit gerader Lehne und schaute auf die Tür zum triclinium. »Gaius Julius!«
»Wir sind allein, meine geliebte Frau, und ich bin nicht so ein Tugendbold. An meinem ersten Abend zu Hause will ich von dir nicht einmal durch eine Tischbreite getrennt sein.« Er klopfte noch einmal auf die Liege. »Komm her, mein Weib! Sofort!«
Als das junge Paar sich in der Subura niedergelassen hatte, war ihre Ankunft immerhin so bemerkenswert gewesen, daß sie für längere Zeit die Neugier aller Nachbarn auf sich gezogen hatten. Adlige Hausbesitzer gab es genug, aber keine adligen Hausbesitzer, die auch in der Subura wohnten. Gaius Julius Caesar und seine Frau waren seltene Ausnahmen, und deshalb erregten sie mehr als das übliche Maß an Aufmerksamkeit. Denn in ihrer Ausdehnung und der riesigen Zahl von Menschen, die dort lebten, war die Subura ein geschäftiges, klatschsüchtiges Dorf, und nichts war wichtiger als ein neues Spektakel.
Alle Prophezeiungen liefen darauf hinaus, daß das junge Paar nicht lange bleiben würde. Die Subura, die schon viele Ansprüche und Ambitionen zurechtgerückt hatte, würde den beiden schon zeigen, wo sie hingehörten: auf den Palatin. Hysterische Anfälle würde die Dame bekommen, der Herr würde die Nase rümpfen und Wutausbrüche kriegen! Ha, ha! lachten sich die hartgesottenen Bewohner der Subura ins Fäustchen. Und warteten hämisch.
Doch nichts dergleichen geschah. Die Dame, so registrierten sie, war sich nicht zu schade, selbst auf dem Markt einzukaufen, und sie genierte sich nicht, jedem lüsternen Kerl, der sich an sie heranmachen wollte, eine deutliche Abfuhr zu erteilen. Nicht einmal die Frauen der Subura konnten ihr Angst einjagen. Als sie einmal den Vicus Patricius überquerte, war sie plötzlich von einer Gruppe Frauen umringt, die auf sie einredeten, sie solle sich doch auf den Palatin scheren, wo sie hingehöre. Und der Herr war, man konnte es nicht anders sagen, ein echter Edelmann. Er war höflich und ruhig, hörte stets interessiert und aufmerksam zu und bot jederzeit seine Hilfe bei Problemen mit Testamenten, Pachtkontrakten und Verträgen an.
Sehr schnell achtete man das junge Paar, und irgendwann liebte man die beiden. Vieles an ihnen war neu hier: Sie kümmerten sich um ihre eigenen Dinge und steckten ihre Nasen nicht in anderer Leute Angelegenheiten, sie jammerten und nörgelten nie, und sie hielten sich nicht für etwas Besseres. Sprach man sie an, bekam man ein offenes und ehrliches Lächeln zur Antwort, fand man echtes Interesse, Höflichkeit und Einfühlungsvermögen. Anfangs hielten die Bewohner der Subura das für Verstellung, doch bald merkten sie, daß Caesar und Aurelia wirklich so waren, wie sie sich gaben.
Für Aurelia war es sehr viel wichtiger als für Caesar, daß sie in der Subura akzeptiert wurden, denn sie kümmerte sich um die Angelegenheiten in der Subura, und sie war die Vermieterin eines großen Mietshauses. Der Anfang war nicht leicht gewesen; den Grund hatte sie erst herausgefunden, als Caesar Rom bereits verlassen hatte. Zunächst machte sie ihre Fremdheit und Unerfahrenheit für die Schwierigkeiten verantwortlich. Die Makler, von denen sie die insula gekauft hatten, boten an, für sie die Mieten einzutreiben und mit den Mietern zu verhandeln. Caesar war das recht gewesen, und so hatte sich die gehorsame junge Ehefrau gefügt. Caesar verstand auch nicht, was sie ihm eigentlich mitteilen wollte, als sie ihm einen Monat nach ihrem Einzug über ihre Mieter berichtete.
»So eine Vielfalt, ich kann es kaum glauben«, sagte sie mit leuchtenden Augen und gar nicht so zurückhaltend, wie es sonst ihre Art war.
»Vielfalt?« neckte er sie.
»Nun ja, in den beiden Dachgeschossen leben hauptsächlich freigelassene Sklaven - vor allem Griechen -, die sich ihren Lebensunterhalt damit zu verdienen scheinen, daß sie ihren früheren Herren nachlaufen. Sie haben alle tiefe Sorgenfalten im Gesicht, und Männer sind ihnen wohl lieber als Frauen. In den Stockwerken darunter trifft man alles mögliche: einen römischen Gerber und seine Familie, einen römischen Töpfer und seine Familie, einen römischen Schafhirten mit Familie - hast du gewußt, daß es in Rom Schafhirten gibt? Er hütet die Schafe draußen auf dem Campus Lanatanus, wenn sie an den Schlachter verkauft werden sollen, ist das nicht interessant? Ich fragte ihn, warum er sich nicht eine Wohnung dort in der Nähe suche, aber er sagte, seine Frau und er seien beide aus der Subura und könnten sich nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben. Der lange Weg mache ihm nichts aus.« Aurelia wurde ganz aufgeregt, während sie erzählte.
Aber Caesar runzelte die Stirn. »Ich bin nicht eingebildet, Aurelia, aber ich glaube nicht, daß es gut ist, wenn du dich auf Gespräche mit den Mietern einläßt. Du bist die Ehefrau eines Julius’ und mußt dich an gewisse Regeln halten. Man darf nicht herrisch oder unhöflich zu diesen Leuten sein und sollte auch Interesse für sie haben. Aber ich werde bald weggehen, und dann möchte ich nicht, daß aus solchen Bekannten Freunde meiner Frau werden. Du mußt ein bißchen Abstand zu deinen Mietern halten. Darum bin ich froh, daß die Makler die Miete kassieren und dich geschäftlich beraten.«
Aurelia starrte ihn bestürzt an und stammelte: »Es tut mir leid, Gaius Julius, ich - ich war unüberlegt. Ich habe mich wirklich nicht angebiedert. Ich dachte nur, es wäre interessant zu wissen, was jeder so tut.«
»Natürlich ist es das«, beschwichtigte er sie. Er merkte, daß er sie erschreckt hatte. »Erzähl mir noch mehr.«
»Dann gibt es noch einen griechischen Rhetor mit Familie, einen römischen Lehrer mit Familie - der möchte gerne die zwei Zimmer neben seiner Wohnung mieten, wenn sie frei werden, damit er seine Schulstunden hier abhalten kann.« Sie warf einen kurzen Blick auf Caesar und fügte hinzu: »Das haben mir die Makler erzählt.« Und damit belog sie ihren Mann zum ersten Mal.
»Das klingt gut«, sagte er, »und wen haben wir noch, meine Liebe?«
»Das Stockwerk über uns ist ziemlich eigenartig. Da wohnt ein Gewürzhändler mit seiner schrecklich überheblichen Frau. Und ein Erfinder! Er ist Junggeselle. Seine ganze Wohnung ist vollgestopft mit lauter kleinen Modellen von Hebekränen und Pumpen und Mühlen«, sprudelte es wieder aus ihr heraus.
»Willst du damit sagen, du warst in der Wohnung eines Junggesellen, Aurelia?« fragte Caesar.
Mit klopfendem Herzen belog sie ihn zum zweiten Mal. »Nein, Gaius Julius, wirklich nicht! Der Makler meinte, ich solle ihn doch auf seinen Rundgängen begleiten, dann könne ich die Mieter einmal überprüfen und sehen, wie sie leben.«
Caesar war beruhigt. »Ach so, ich verstehe! Natürlich. Was erfindet denn unser Erfinder?«
»Hauptsächlich Bremsen und Flaschenzüge, wie ich verstanden habe. Er hat mir gezeigt, wie das funktioniert, aber ich bin in solchen Dingen schrecklich unbegabt und konnte ihm nicht ganz folgen.«
»Seine Erfindungen scheinen sich zu lohnen, wenn er es sich leisten kann, im Stock über uns zu wohnen«, sagte Caesar. Er bemerkte mit einem unbehaglichen Gefühl, daß seine Frau nicht mehr so unbefangen und begeistert erzählte, aber er besaß nicht genug Einfühlungsvermögen, um zu merken, wessen Schuld das war.
»Seine Flaschenzüge baut er zusammen mit einer Gießerei, die viel für große Baufirmen arbeitet. Seine Bremsen stellt er in eigenen kleinen Betrieben irgendwo am Ende der Straße her.« Sie holte tief Luft und kam zu ihren ungewöhnlichsten Mietern: »Und wir haben ein ganzes Stockwerk voll Juden, Gaius Julius! Sie leben gerne zusammen mit anderen Juden, erzählten sie mir, weil sie so viele Regeln und Vorschriften zu befolgen haben - die sie sich im übrigen anscheinend selbst gegeben haben. Sehr fromme Leute! Ich kann die Abneigung der anderen gegen die Juden verstehen - verglichen mit ihnen sind wir ziemlich unmoralisch. Sie sind alle selbständig, vor allem weil sie jeden siebten Tag ihren Sabbat halten. Sind das nicht eigenartige Regeln? Wo doch in Rom an jedem achten Tag ein Feiertag mit Markt ist, und dann die vielen Feiern und Feste. Sie passen nicht zu nichtjüdischen Arbeitgebern. So vergeben sie die Arbeit lieber untereinander, anstatt normale Arbeitsstellen anzunehmen.«
»Wie ungewöhnlich!« sagte Caesar.
»Sie sind alle Handwerker und Gelehrte«, sagte Aurelia und versuchte, möglichst unbeteiligt zu wirken. »Einer von ihnen - Shimon heißt er, glaube ich - ist ein ganz ausgezeichneter Schreiber. Wunderbare Arbeit, Gaius Julius, wirklich sehr schön! Er schreibt nur in griechischer Schrift. Keiner von ihnen spricht Latein ganz perfekt. Wenn ein Verleger oder ein Autor ein besonderes Buch herausgeben will, das auch mehr kosten darf, geht er zu Shimon. Seine vier Söhne werden auch alle Schreiber. Shimon möchte, daß sie Latein genauso fließend beherrschen wie Griechisch, Aramäisch und - Hebräisch sagte er wohl auch noch. Dann werden sie immer genügend Arbeit haben in Rom.«
»Sind alle Juden Schreiber?«
»Nein, nein, nur Shimon. Einer arbeitet mit Gold, er beliefert ein paar Geschäfte am Porticus Margaritaria. Dann haben wir noch einen Portraitbildhauer, einen Schneider, einen Waffenschmied, einen Weber, einen Steinmetz und einen Balsamhändler.«
»Sie arbeiten doch hoffentlich nicht alle im Haus?« fragte Caesar besorgt.
»Nur der Schreiber und der Goldschmied, Gaius Julius. Der Waffenschmied besitzt eine Werkstatt in der Alta Semita, der Bildhauer hat Räume von einer großen Firma im Velabrum gemietet, und der Steinmetz bewirtschaftet ein Stück Land in der Nähe der Marmorkais am Hafen von Rom.« Aurelia konnte nicht verhindern, daß ihre veilchenblauen Augen wieder zu leuchten begannen. »Sie singen viel. Religiöse Lieder, glaube ich. Es sind ganz eigenartige Gesänge, weißt du, orientalisch und unmelodiös. Aber es ist nett, einmal etwas anderes als Kindergeschrei zu hören.«
Caesar strich ihr mit der Hand eine Haarsträhne zurück, die ihr ins Gesicht gefallen war. Ganze achtzehn Jahre war sie alt, seine Ehefrau. »Die Juden wohnen also gerne hier?« fragte er.
»Eigentlich leben wohl alle gerne hier«, sagte sie.
An diesem Abend schlief Caesar schon, als Aurelia noch wachlag und ein paar Tränen in ihr Kissen weinte. Sie wäre niemals auf die Idee gekommen, daß Caesar in einer insula in der Subura die gleichen Verhaltensweisen von ihr erwarten würde wie von einer Hausfrau auf dem Palatin. Konnte er denn nicht verstehen, daß es in diesen engen, dichtbewohnten Vierteln keine solchen Zerstreuungen und Vergnügungen gab wie auf dem Palatin? Nein, natürlich konnte er das nicht. Die ersten Schritte auf der politischen Karriereleiter nahmen seine ganze Zeit in Anspruch. Er verbrachte seine Tage auf dem Gericht, mit wichtigen Senatoren wie dem Senatsvorsitzenden Marcus Aemilius Scaurus, in der Münzprägeanstalt, bei den Beamten des Staatsschatzes und in den verschiedenen Arkaden und Säulengängen, wo ein zukünftiger Senator sein Handwerk lernte. Es gab sicher keinen zweiten Gatten, der so sanft, so freundlich und so aufmerksam gewesen wäre, aber Gaius Julius betrachtete seine Frau eben auch als etwas ganz Besonderes.
Aurelias heimlicher Wunsch war es gewesen, die insula selbst zu führen und die Makler zu entlassen. So war sie allein in allen Stockwerken von Mieter zu Mieter gegangen, hatte mit allen gesprochen und herausgefunden, was sie für Menschen waren. Sie mochte diese Leute und konnte nicht einsehen, warum sie nicht persönlich mit ihnen verhandeln sollte. Bis sie jetzt mit Caesar gesprochen hatte und ihr klar geworden war, daß für ihn seine geliebte Ehefrau zu einer anderen Klasse gehörte, daß sie eine Frau war, die auf dem Sockel julianischer dignitas stand; niemals würde sie etwas tun dürfen, was möglicherweise das Ansehen seiner Familie schmälern könnte. Sie stammte selbst aus einer vornehmen Familie, sie verstand und respektierte diese Haltung. Aber was sollte sie hier nur den ganzen Tag über tun? Sie wagte nicht einmal darüber nachzudenken, daß sie ihren Mann zweimal belogen hatte. So weinte sie sich in den Schlaf.
Eine Schwangerschaft löste glücklicherweise fürs erste ihre Probleme. Sie fühlte sich ein wenig müde, aber ansonsten hatte sie nicht unter den üblichen Beschwerden zu leiden. Sie war jung und kerngesund, und in ihren Adern floß von väterlicher und mütterlicher Seite her genügend frisches Blut, so daß sie nicht die schwächliche Konstitution vieler junger Frauen aus altem Adel hatte. Außerdem hatte sie sich angewöhnt, jeden Tag lange Spaziergänge zu machen, schon um nicht vor Langeweile zu sterben. Im Schutze ihres hünenhaften Dienstmädchens Cardixa wanderte sie durch die Straßen von Rom.
Kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes wurde Caesar in den Dienst von Gaius Marius nach Gallia Transalpina abgeordnet. Er machte sich große Sorgen um seine Frau, die er mit hoch gewölbtem Bauch, in einem so verletzlichen Zustand, zurücklassen mußte.
»Hab keine Angst, mir geht es gut hier«, sagte sie.
»Aber geh auf jeden Fall rechtzeitig nach Hause zu deiner Mutter«, wies er sie an.
»Das laß nur meine Sorge sein, ich komme schon zurecht«, war ihre ganze Antwort.
Sie ging natürlich nicht ins Haus ihrer Mutter, sondern gebar das Kind in ihrer eigenen Wohnung. Keiner der Modeärzte vom Palatin war dabei, nur eine Hebamme aus der Subura und Cardixa. Nach leichten und ziemlich kurzen Wehen gebar sie ein Mädchen, eine weitere Julia, so blond und blauäugig und wunderschön, wie sich das für eine Julia gehörte.
»Wir werden sie ›Lia‹ rufen«, sagte sie zu ihrer Mutter.
»Ach nein! Wie wäre es mit ›Julilla‹?« jammerte Rutilia. Lia klang in ihren Ohren viel zu gewöhnlich.
Entschieden schüttelte Aurelia den Kopf. »Nein, dieser Rufname bringt kein Glück. Unsere Tochter wird ›Lia‹ heißen.«
Aber Lia wollte nicht gedeihen, sechs Wochen lang schrie sie Tag und Nacht. Schließlich marschierte Shimons Frau Ruth in Aurelias Wohnung und rümpfte verächtlich die Nase, als Aurelia von Ärzten, besorgten Großeltern, Blähungen und Erkältungen berichtete.
»Deine Tochter hier hat Hunger«, sagte Ruth mit starkem griechischen Akzent. »Du hast keine Milch, dummes Ding!«
»Oh je, wo soll ich hier eine Amme unterbringen?« fragte Aurelia. Ruth hatte natürlich recht, und Aurelia war sehr erleichtert. Aber sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie sie den Dienstboten klarmachen sollte, daß sie noch mehr zusammenrücken müßten, damit noch eine Amme Platz finden könnte.
»Du brauchst keine Amme, dummes Ding. Das ganze Haus ist voller stillender Mütter. Mach dir keine Sorgen, wir werden deine Kleine schon satt kriegen.«
»Ich kann euch Geld geben«, bot Aurelia vorsichtig an. Sie war einfühlsam genug, um zu spüren, daß sie jetzt nicht gönnerhaft wirken durfte.
»Wofür, um Himmels willen? Überlaß das mir, dummes Ding. Ich werde schon dafür sorgen, daß sie sich alle die Brustwarzen waschen, bevor sie deine Kleine anlegen! Sie muß einiges aufholen, und wir wollen doch nicht, daß sie krank wird.«
So kam die kleine Lia zu einer ganzen insula voller Ammen, und weder konnte das stattliche Angebot an unterschiedlichen Brustwarzen, die ihr in den Mund gesteckt wurden, ihre Gefühle durcheinanderbringen, noch das Gemisch aus griechischer, römischer, jüdischer, spanischer und syrischer Milch ihren Magen. Die kleine Lia gedieh prächtig.
Und auch Lias Mutter blühte auf, nachdem sie sich von der Geburt erholt hatte und kein ständig schreiendes Baby sie mehr beunruhigte. Je länger Caesar fort war, desto sicherer und selbstbewußter wurde sie. Zunächst einmal wies sie ihre männlichen Verwandten, die Caesar angewiesen hatte, ein Auge auf sie zu haben, in die Schranken.
»Wenn ich dich brauche, werde ich dich schon holen, Vater«, erklärte sie Cotta unmißverständlich.
»Onkel Publius, laß mich in Ruhe!« bekam Rutilius Rufus zu hören.
»Sextus Julius, geh doch nach Gallia!« sagte sie zum älteren Bruder ihres Ehemannes.
Dann wandte sie sich an Cardixa und rieb sich vergnügt die Hände: »Endlich gehört mein Leben mir! Jetzt wird sich einiges ändern!«
Den Anfang machte sie in ihren eigenen vier Wänden. Die Sklaven, die Caesar und sie kurz nach der Hochzeit gekauft hatten, hielten sie eher auf Trab, als daß sie ihr Arbeit abnahmen. Unter der Führung des Verwalters, eines Griechen namens Eutychus, erledigten sie ihre Aufgaben so gut, daß Aurelia keine ausreichenden Gründe fand, um sich bei Caesar über sie zu beklagen. Caesar sah vieles nicht so wie sie, außerdem war er oft so in Gedanken, daß er manches überhaupt nicht sah, vor allem Dinge im Haus. Aurelia schaffte es innerhalb eines einzigen Tages, daß die Dienstboten nach ihrer Pfeife tanzten. Erst hielt sie ihnen eine Standpauke, dann verkündete sie den Arbeitsplan. Gaius Marius hätte ihre Rede sehr imponiert, denn sie war kurz und unverblümt, im harten Ton und mit den knappen Handbewegungen eines Feldherrn.
»Oh weh! Und ich dachte, sie wäre ein nettes kleines Ding«, stöhnte Murgus, der Koch, später gegenüber dem Verwalter Eutychus.
Der Verwalter klimperte mit seinen verführerisch langen Wimpern: »Und was soll ich sagen? Ich hatte mir vorgestellt, ich könnte mich in ihr Schlafzimmer schleichen und sie ein bißchen über Caesars Abwesenheit hinwegtrösten - und jetzt so was! Da würde ich ja eher zu einer Löwin ins Bett kriechen!«
»Meinst du, sie würde allen Ernstes den großen finanziellen Verlust in Kauf nehmen und uns mit schlechten Empfehlungen verkaufen?« fragte Murgus, dem bei dem bloßen Gedanken schon die Knie zitterten.
»Sie würde uns kreuzigen lassen, wenn es sein muß!« sagte der Verwalter ungerührt.
Nach dieser ersten Schlacht nahm Aurelia die Verhandlungen mit dem Mieter der anderen Parterrewohnung in Angriff. In ihrem Gespräch mit Caesar über die Hausbewohner hatte sie diesen Mann gar nicht erwähnt, Caesar hätte die Lage nicht so gesehen wie sie. Aber jetzt hatte sie freie Hand, und sie handelte.
Die andere ebenerdige Wohnung war über den Innenhof der insula erreichbar, Aurelia hätte nur über den Hof am Fuße des Lichtschachts hinübermarschieren müssen. Doch das hätte ihrem Besuch einen Charakter von Vertraulichkeit verliehen, den sie gerade nicht wünschte. Sie wollte die Wohnung ihres Mieters durch die vordere Haustür betreten. Das bedeutete, daß sie durch ihre Vordertür auf den Vicus Patricii treten mußte, rechts herum an den vermieteten Ladenräumen vorbei bis zur Spitze des Gebäudes gehen mußte, wo die Taverne an der Kreuzung stand, dann nach rechts in die Subura Minor hinein und an den anderen Geschäften ihrer insula vorbei, bis sie endlich zur Haustür der zweiten Parterrewohnung kam.
Hier wohnte ein berühmter Schauspieler namens Epaphroditos, und zwar, wenn man den Büchern trauen konnte, seit mehr als drei Jahren.
»Sag Epaphroditos, seine Hauswirtin möchte ihn sprechen«, wies Aurelia den Türsklaven an.
Während sie in der Eingangshalle wartete - die genauso groß war wie die Halle in ihrer Wohnung -, suchte sie mit geübtem Blick die Wände nach Rissen, abgeschlagenen Ecken, abblätternder Farbe und ähnlichem ab. Seufzend mußte sie feststellen, daß es hier besser aussah als in ihrer eigenen Eingangshalle. Die Wände waren frisch bemalt mit üppigen Früchten, bunten Blumen und prallen Cupidos zwischen täuschend echt nachgeahmten Purpurvorhängen.
»Ich kann es nicht glauben!« drang eine angenehm wohltönende Stimme auf griechisch an ihr Ohr.
Blitzschnell wandte Aurelia sich um. Ihr Mieter war sehr viel älter, als sie es der Stimme nach erwartet hätte. Auch sein Aussehen - jedenfalls soweit sie es von jenseits des Hofes her hatte einschätzen können - und der Ruf, den er als Schauspieler genoß, hätten nicht vermuten lassen, daß er ein Mann in den Fünfzigern war. Er war sorgfältig geschminkt und trug eine goldgelbe Perücke und eine üppig fallende Robe aus tyrischem Purpur, bestickt mit Tausenden von goldenen Sternen. Viele Römer trugen Purpur und gaben vor, es wäre der echte Purpur aus Tyros, aber dieser war wirklich echt: eine Farbe zwischen Schwarz und Violett glänzend, in wechselndem Licht zu Pflaumenblau und tiefstem Purpurrot changierend. Auf Wandteppichen sah man so etwas schon einmal, aber als Gewand hatte Aurelia echten tyrischen Purpur erst einmal gesehen. Als sie Cornelia, die Mutter der Gracchen, in ihrer villa besucht hatten, hatte Cornelia ihr stolz einen Umhang gezeigt, den Aemilius Paullus dem König Perseus von Makedonien abgenommen hatte.
»Was kannst du nicht glauben?« fragte Aurelia, ebenfalls auf griechisch.
»Du bist unglaublich, Schätzchen! Ich hörte schon, daß unsere Hauswirtin schön sei und ein Paar wunderbare blaue Augen habe, aber die Wirklichkeit stellt alles in den Schatten, was ich mir aus dem Abstand über den Innenhof her ausgemalt habe!« flötete er mit seiner wohlklingenden Stimme, die trotz der unmännlichen Höhe nicht lächerlich wirkte. »Nimm doch Platz!« sagte er.
»Ich stehe lieber.«
Er hielt abrupt inne, drehte sich um und zog seine dünnen, sorgfältig gezupften Augenbrauen hoch. »Es geht also um Geschäftliches?«
»Selbstverständlich.«
»Wie kann ich dir behilflich sein?« fragte er.
»Indem du ausziehst.«
Er schnappte nach Luft, wankte, seine Hände fuhren an die Brust, ein Ausdruck des Schreckens trat in sein Gesicht.
»Was?«
»Du hast acht Tage Zeit«, sagte die Hauswirtin.
»Aber das kannst du doch nicht machen! Ich habe immer pünktlich die Miete bezahlt! Ich kümmere mich so sorgfältig um diese Wohnung, als wäre sie mein Eigentum. Erklär mir deine Gründe, domina«, sagte er. Sein Stimme klang jetzt hart, und aus seinem geschminkten Gesicht war alle Freundlichkeit gewichen.
»Deine Art zu leben gefällt mir nicht«, sagte Aurelia.
»Wie ich lebe, ist meine Sache.«
»Nicht mehr, wenn ich auf der anderen Seite des Hofes meine Familie aufziehen muß und von dort Dinge sehe, die weder meinem Kind noch mir guttun. Nicht mehr, wenn deine Geliebten beiderlei Geschlechts auf den Hof hinausströmen und dort ihre Spielchen fortsetzen.«
»Bring doch Vorhänge an«, sagte Epaphroditos.
»Das werde ich nicht tun. Und es wird mir auch nicht genügen, wenn du Vorhänge anbringst. Denn wir können ebensogut hören wie sehen.«
»Nun gut, es tut mir leid, daß du so denkst, aber für mich macht das keinen Unterschied. Ich werde nicht ausziehen«, sagte Epaphroditos brüsk.
»Wenn es so steht, werde ich Amtsdiener kommen lassen und dich zur Räumung zwingen.«
Epaphroditos nutzte seine verblüffenden Künste, größer zu wirken, als er war, und kam bedrohlich näher. Aurelia fühlte sich an Achilles erinnert, wie er sich im Harem des Königs Lykomedes auf Skyros versteckte.
»Jetzt hör mir gut zu, mein Fräulein. Ich habe ein Vermögen dafür ausgegeben, diesen Ort so zu gestalten, wie es mir gefällt, und ich habe nicht die Absicht, ihn zu verlassen. Wenn du versuchst, irgendwelche Mätzchen mit mir zu machen, wie beispielsweise die Amtsdiener hierherzuschicken, werde ich dich verklagen! Um genau zu sein, sobald ich dich aus meiner Wohnung geleitet habe, werde ich direkt zum Büro des Stadtprätors gehen und meine Klage einreichen.«
Gegen ihre veilchenblauen Augen erschien der tyrische Purpur wie billiger Tand. »Tu das nur!« sagte sie süß. »Er heißt Gaius Memmius und ist mein Vetter. Es stehen zur Zeit allerdings viele Prozesse an, du wirst dich erst einmal an seinen Helfer wenden müssen. Frag ruhig nach seinem Namen! Er heißt Sextus Julius Caesar und ist mein Schwager.« Sie machte ein paar Schritte und betrachtete die frisch dekorierten Wände und den wertvollen Mosaikfußboden. In keiner anderen Wohnung gab es etwas ähnliches. »Ja, das ist alles sehr hübsch! Ich bin froh, daß dein Geschmack in puncto Innenausstattung besser ist als der in der Wahl deiner Freunde. Aber du wirst sicher wissen, daß jede Verbesserung der Ausstattung von gemieteten Räumlichkeiten Eigentum des Hausbesitzers ist. Der Hausbesitzer ist gesetzlich nicht verpflichtet, auch nur einen Sesterz zu erstatten.«
Acht Tage später war Epaphroditos verschwunden. Er stieß wüste Flüche über die Frauen im allgemeinen und Aurelia im besonderen aus, konnte aber nichts tun. Aurelia hatte zwei Gladiatoren angeheuert, die in seiner Wohnung Wache standen, und so konnte Epaphroditos weder die Fresken verunstalten noch den Mosaikboden abgraben, was er allen Ernstes vorgehabt hatte.
»Gut!« sagte Aurelia und rieb sich den Staub von den Händen. »Jetzt kann ich mir einen anständigen Mieter suchen, Cardixa.«
Es gab verschiedene Möglichkeiten, eine freie Wohnung zur Vermietung anzubieten. Der Hausbesitzer konnte eine Notiz an seiner Haustür anbringen, an den Wänden seiner Ladenräume, an den Eingängen der öffentlichen Bäder und Latrinen sowie an jeder Wand, die einem Freund gehörte, und eine solche Nachricht verbreitete sich auch mündlich. Da Aurelias insula als besonders sicher bekannt war, gab es keinen Mangel an Bewerbern für die Wohnung. Aurelia sprach mit allen persönlich, manche gefielen ihr, manche schienen ihr vertrauenswürdig, manchen hätte sie die Wohnung selbst dann nicht gegeben, wenn sie die einzigen Interessenten gewesen wären. Aber niemand entsprach genau ihren Vorstellungen, so suchte sie weiter und führte Gespräch um Gespräch.
Sieben Wochen vergingen, bis sie endlich ihren idealen Mieter gefunden hatte. Er hieß Gaius Matius, war Ritter und Sohn eines Ritters, ungefähr so alt wie Caesar, und seine Frau war im gleichen Alter wie Aurelia. Beide waren wohlerzogen und gebildet, hatten etwa zur gleichen Zeit geheiratet wie Caesar und Aurelia, und sie hatten ein kleines Mädchen in Lias Alter. Außerdem waren sie gut betucht. Seine Frau hieß Priscilla, der Name kam wohl eher vom cognomen als vom gentilnomen ihres Vaters, aber in all den Jahren, in denen die Familie im gleichen Haus wohnte, fand Aurelia nie heraus, wie Priscilla eigentlich hieß. Die Familie Matius verdiente ihr Geld mit der Vermittlung von Geschäften und der Abfassung von Verträgen. Der Vater von Gaius Matius lebte mit seiner zweiten Frau und sehr viel jüngeren Kindern in einem geräumigen Haus auf dem Quirinal. Aurelia überprüfte diese Angaben sorgfältig, und als sie sicher war, daß alles der Wahrheit entsprach, vermietete sie Gaius Matius die Parterrewohnung für die stattliche Summe von zehntausend denarii jährlich. Epaphroditos’ wertvolle Wandmalereien und der schöne Mosaikboden trugen nicht wenig dazu bei, daß der Mietvertrag zustande kam, und ebenso die Abmachung, daß Aurelia in Zukunft ihre Mietverträge von der Firma Gaius Matius und Sohn aufsetzen lassen würde.
Denn inzwischen zogen nicht mehr die Makler die Mieten ein, sondern Aurelia kümmerte sich selbst um ihre insula. Für alle Wohnungen sollten schriftliche Mietverträge aufgestellt werden, die alle zwei Jahre verlängert werden konnten. Die Mietverträge enthielten Klauseln, die den Schadenersatz im Falle einer Beschädigung der Wohnung regelten und die Mieter davor schützten, vom Vermieter übervorteilt zu werden.
Aurelias Wohnzimmer verwandelte sich allmählich in ein Büro, in dem sich die Rechnungsbücher stapelten. Ihre früheren Beschäftigungen hatte sie aufgegeben, nur der Webstuhl stand noch da. Sorgfältig arbeitete sie sich in die vielfältigen Aufgaben einer Hausbesitzerin ein. Sie holte sich alle Unterlagen von den früheren Hausverwaltern und ging Berge von Akten durch: Adressenlisten von Steinmetzen, Malern, Gipsern, Händlern aller Art, Aufstellungen über Wassergeld, Steuer, Landrechte, Sammlungen von Rechnungen und Quittungen. Ein großer Teil der Einnahmen mußte sofort wieder ausgegeben werden, denn der Staat stellte das Wasser und die Kanalisation in Rechnung, und für jedes Fenster der insula, für jede Tür, die auf die Straße hinausführte, für jede Treppe zu jedem Stockwerk mußte eine Gebühr entrichtet werden. Ständig fielen Reparaturen an, obwohl die insula zweifelsohne sehr solide gebaut war. Mehrere Zimmermänner standen auf der Liste, Aurelia verglich die Rechnungen sorgfältig und fand schließlich den heraus, der die meiste Arbeit in der kürzesten Zeit geleistet zu haben schien. Sie bestellte ihn zu sich und wies ihn an, die hölzernen Gitter zu entfernen, mit denen der Lichtschacht ausgekleidet war.
Seit sie mit Caesar in die insula gezogen war, verfolgte sie diesen Plan - Aurelia wünschte sich sehnlich, einen Garten anzulegen. Sie träumte davon, den ungepflegten Innenhof in eine Oase für alle Bewohner des Hauses zu verwandeln. Doch alles schien sich gegen sie verschworen zu haben, angefangen mit Epaphroditos, der auch den Hof benutzen durfte. Caesar hatte das seltsame Treiben in der anderen Wohnung selbst nie beobachtet, denn Epaphroditos war gewitzt genug gewesen, dafür zu sorgen, daß seine Ausschweifungen nur stattfanden, wenn Caesar außer Haus war. Und Aurelia hatte lernen müssen, daß Caesar insgeheim die Berichte von Frauen immer für übertrieben hielt.
Alle oberen Stockwerke hatten einen Balkon zur Hofseite hin, doch zwischen den Säulen, auf denen die Balkone ruhten, waren so dichte hölzerne Gitter angebracht, daß kein Bewohner auch nur einen Blick nach draußen werfen konnte. Diese Gitter schützten zugegebenermaßen den Hof gegen unerwünschte Einblicke und dämpften den ständigen Lärm, der aus allen Wohnungen drang. Aber dadurch war der Lichtschacht ein trüber, dunkelbrauner Schornstein, der Hof ein ebenso trübes, dunkles Loch. Die oberen Stockwerke bekamen weder Licht noch frische Luft.
Caesar war kaum fort, da bestellte Aurelia den Zimmermann und wies ihn an, alle Gitter zu entfernen.
Völlig entgeistert starrte er sie an.
»Was ist los?« fragte sie verblüfft.
» Domina, es wird keine drei Tage dauern, bis der Hof knietief in Pisse und Scheiße schwimmt. Von den anderen Dingen, die sie dir auf den Kopf schmeißen werden, will ich gar nicht erst reden: Von toten Hunden über tote Omas bis zu unerwünschten Töchtern ist alles möglich.«
Aurelia spürte, wie sie bis unter die Haarwurzeln errötete. Nicht die drastischen Worte des Zimmermanns brachten sie in solche Verlegenheit, sondern ihre eigene Naivität. Sie war so schrecklich dumm und unerfahren! Warum hatte sie nicht selbst daran gedacht? Sie hatte ihr ganzes Leben in großen Privathäusern verbracht und war an den Treppen und Eingängen der Mietshäuser vorbeigelaufen, ohne auch nur die blasseste Ahnung zu haben, wie das Leben darin wirklich aussah. Selbst ihrem Onkel Cotta wäre der Sinn der hölzernen Gitter nicht aufgegangen.
Aurelia schlug die Hände vor das Gesicht und bot dem Zimmermann in ihrer Verwirrung einen so entzückenden Anblick, daß er monatelang von ihr träumte, regelmäßig vorbeikam, um nach dem Rechten zu sehen, und seine Arbeitsleistung auf das Doppelte steigerte.
Aurelia war ihm sehr dankbar.
Nachdem sie den widerspenstigen Epaphroditos endlich hinausgesetzt hatte, konnte sie darangehen, ihre Gartenpläne zu verwirklichen. Wie sich herausstellte, war ihr neuer Mieter Gaius Matius von dem Gedanken an einen Garten ebenso begeistert wie sie.
»Laß mich mithelfen!« bat er inständig.
Sie konnte schlecht nein sagen, wo sie mit solcher Mühe die passenden Mieter ausgewählt hatte. »Natürlich kannst du mir helfen.«
Wieder mußte sie dazulernen: Vom Traum von einem blühenden Garten bis zu den ersten Blüten im Garten war es ein weiter und mühsamer Weg. Gaius Matius erwies sich als unschätzbare Hilfe, er hatte das richtige Händchen für Blumen und Pflanzen. Caesars Badewasser, das früher in den Abwasserkanälen versickert war, speiste jetzt eine kleine Zisterne im Hof. Damit bewässerten sie die Pflanzen, die Gaius mit verblüffender Geschwindigkeit herbeizauberte. Die meisten ließ Gaius, wie er Aurelia gestand, aus dem weitläufigen Garten seines Vaters auf dem Quirinal mitgehen, aber auch überall sonst, wo er geeignete Büsche, Bäume, Weinstöcke oder Sträucher entdeckte. Er wußte, wie man schwächliche Pflänzchen auf starke Wurzelstöcke derselben Art aufpfropfte, er wußte, welche Pflanzen ein bißchen Kalk brauchten und welche in der sauren römischen Erde gediehen. Er wußte, wann die Samen eingesät, die Pflanzen ausgesetzt, die Sträucher beschnitten werden mußten. In einem Jahr verwandelte er den Hof - der immerhin dreißig Fuß lang und dreißig Fuß breit war - in eine grüne Laube, und vom Hof aus rankte sich an den Gittern zwischen den Säulen der Efeu dem handtuchbreiten Stück Himmel hoch oben entgegen.
Eines Tages klopfte Shimon, der jüdische Schreiber, bei ihr an. Mit seinem langen Bart und den langen Locken, die aus seinem kleinen Käppchen quollen, mutete er Aurelia reichlich fremdartig
» Domina Aurelia, wir vom vierten Stockwerk möchten dich um einen ganz besonderen Gefallen bitten.«
»Laß hören, ich werde tun, was ich kann.«
»Sei versichert, daß wir vollstes Verständnis dafür aufbringen würden, wenn du uns diese Bitte abschlagen solltest, denn unsere Bitte stellt ein Eindringen in deine Privatsphäre dar.« Shimon drückte sich so umständlich und gewählt aus wie sonst nur bei seiner Arbeit. »Würdest du uns die Erlaubnis erteilen, die hölzernen Gitter von unserem Balkon im Lichtschacht zu entfernen? Wir geben dir selbstverständlich unser Wort darauf, daß wir niemals Abfälle oder Unrat hinunterwerfen werden. Wir wären überglücklich, wenn wir bessere Luft atmen und auf deinen wunderschönen Garten hinabblicken könnten.«
Aurelia strahlte übers ganze Gesicht. »Mit großer Freude gewähre ich euch diese Bitte. Aber ich kann genausowenig dulden, daß Abfall und Unrat durch die Fenster auf die Straße hinausgeworfen wird. Ihr müßt mir also versprechen, daß ihr allen Abfall über die Straße zur öffentlichen Latrine tragt.
Hoch erfreut gab Shimon ihr sein Wort.
Die Gitter im vierten Stock waren schnell entfernt. Nur an den Stellen, wo sie die Säulen einkleideten, blieben sie auf Gaius Matius’ Bitte stehen, damit der Efeu weiter emporranken konnte. Die Juden hatten den Anfang gemacht, die anderen Mieter zogen bald nach: Als Nächste baten der Erfinder und der Gewürzhändler im ersten Stock um die Erlaubnis, die Gitter entfernen zu dürfen, dann fragte ein Stockwerk nach dem anderen, bis nur noch die winzigen Kammern der Freigelassenen in den obersten beiden Stockwerken vergittert waren.
Im Frühjahr vor der Schlacht von Aquae Sextiae kam Caesar zu einem kurzen Besuch nach Rom und überbrachte Berichte von jenseits der Alpen. Bei diesem Besuch wurde Aurelia wieder schwanger. Im darauffolgenden Februar gebar sie ein zweites Mädchen, wieder fand die Geburt in ihrem eigenen Haus statt, nur die Hebamme und Cardixa waren dabei. Dieses Mal merkte sie gleich, daß sie zuwenig Milch hatte. Die zweite kleine Julia - sie sollte ihr Leben lang unter dem kindischen Spitznamen Ju-Ju leiden - wurde sofort einem Dutzend stillender Mütter, verteilt über alle Stockwerke der insula, an die Brust gelegt.
»Das ist gut«, schrieb Caesar als Antwort auf ihren Brief mit der Nachricht von Ju-Jus Geburt. »Damit haben wir die beiden obligatorischen Mädchen hinter uns gebracht. Beim nächsten Mal, wenn ich wieder in Rom bin, können wir mit den julianischen Söhnen anfangen.«
So ähnlich reagierte auch ihre Mutter Rutilia. Auch sie meinte, Aurelia müsse nach der Geburt einer weiteren Tochter getröstet werden.
»Du hättest wissen können, daß das überflüssig war!« lachte Cotta.
Rutilia war etwas verstimmt. »Ja, schon. Aber ehrlich, Marcus Aurelius, meine Tochter wird mir immer ein Rätsel bleiben! Ich wollte sie aufmuntern, aber sie zog nur eine Augenbraue hoch und ließ mich wissen, daß ihr das Geschlecht ihrer Kinder völlig gleichgültig sei. Wichtig sei nur, daß die Kleinen gesund seien.«
»Aber das ist doch eine wunderbare Einstellung! Vor mehr als vierhundert Jahren haben unsere Vorfahren aufgehört, Mädchen gleich nach der Geburt auszusetzen - wenn sie es sich leisten konnten, sie durchzufüttern. Was für ein Fortschritt, wenn sich eine Mutter jetzt auch über Töchter freut!«
»Ja, schon! Aber du hättest sie sehen sollen. Nicht ihre Einstellung stört mich, nein, sie hat mir das Gefühl gegeben, ich sei eine Närrin, weil ich etwas so Selbstverständliches ausgesprochen habe«, gab Rutilia beleidigt zurück.
Publius Rutilius Rufus war eindeutig parteiisch in diesem Streit. »Sie ist wundervoll«, schmunzelte er.
»Ja, was sonst!« sagte Rutilia.
»Ist es ein hübsches kleines Mädchen?«
»Ausgesprochen hübsch sogar; was hast du denn erwartet? Die zwei müßten sich schon auf den Kopf stellen, um ein häßliches Kind zu zeugen. Und selbst dann hätten sie schlechte Chancen«, knurrte Rutilia.
»Sachte, sachte, was sind das für Töne von einer ehrbaren Ehefrau aus römischem Adel!« rügte Cotta und zwinkerte Rutilius Rufus schelmisch zu.
»Euch sollen doch die Zähne ausfallen!« rief Rutilia wütend und warf mit Kissen nach den beiden.
Kurz nach Ju-Jus Geburt mußte sich Aurelia aufraffen, mit den Männern von der Taverne an der Ecke zu verhandeln. Sie hatte sich lange vor dieser Aufgabe gedrückt. Obwohl die Taverne baulich zu ihrer insula gehörte, konnte sie dort keine Miete kassieren, denn der Ort galt als Treffpunkt einer religiösen Bruderschaft. Die Taverne hatte zwar nicht den Status eines Tempels oder aedes, war aber immerhin in den Büchern des Stadtprätors offiziell registriert.
Die Taverne war für alle eine Plage. Tag und Nacht wurde dort gelärmt, die Besucher stießen andere Leute vom Bürgersteig, aber keiner hielt es für nötig, den ständig wachsenden Müllberg auf dem Bürgersteig einmal wegzuräumen. Cardixa war die erste, die mit der düsteren Seite der religiösen Bruderschaft in der Taverne in Berührung kam. Sie sollte Salbe für Ju-Jus wunden Popo kaufen. Als sie den kleinen Laden neben Aurelias Vordertür betrat, fand sie die Besitzerin - eine alte Frau aus Galatien, die sich mit Heilkräutern und Salben, Wundermitteln und Säften auskannte - angstvoll an die Rückwand gedrängt. Zwei niederträchtig aussehende Männer verhandelten darüber, welche der vielen Flaschen und Gläser sie zuerst zerschlagen sollten. Dank Cardixa ging nichts zu Bruch - dafür schlug sie gehörig auf die beiden Übeltäter ein. Mit ziemlichem Nachdruck holte sie die Wahrheit aus der völlig verschüchterten alten Frau heraus. Sie gestand, daß sie ihre Schutzgebühr nicht bezahlen könne und deshalb von den Männern bedroht worden sei.
»Jeder Laden muß der Bruderschaft eine Gebühr bezahlen«, berichtete Cardixa ihrer Herrin. »Sie behaupten, das Geld sei der Lohn dafür, daß sie die Gegend vor Überfällen und Diebstählen schützten. Dabei sind sie die einzigen, die Geschäftsleute überfallen und ausrauben! Vor allem, wenn die Ladenbesitzer die Gebühr nicht bezahlen. Die arme alte Galaterin hat erst vor kurzem ihren Mann begraben, es war eine schöne Beerdigung, jetzt hat sie keinen Sesterz mehr übrig, dominilla.«
»Jetzt reicht’s! Komm, Cardixa, denen werden wir es zeigen!« Aurelia wappnete sich zum Kamp£
Energisch marschierte sie zur Tür hinaus und in jeden Laden am Vicus Patricii hinein. Alle Ladenbesitzer mußten ihr sagen, wieviel Schutzgebühr sie an die ominöse Bruderschaft bezahlten. Aus den Berichten schloß sie, daß sich die Geschäfte der Bruderschaft weit über ihre insula hinaus erstreckten, und nachdem sie schließlich die gesamte Nachbarschaft abgeklappert hatte, kannte sie die ganze Geschichte dieser erstaunlich unverfrorenen Erpressungen. Selbst die beiden Frauen von der öffentlichen Latrine auf der anderen Seite der Subura Minor mußten der Bruderschaft einen gewissen Teil ihrer Einnahmen abtreten. Sie verkauften Schwämme, die an kleinen Stöcken befestigt waren, mit denen sich besser betuchte Römer nach einem Besuch der Latrine den Hintern säuberten. Außerdem holten die Frauen auf Wunsch die Nachttöpfe aus den Wohnungen ab, leerten und reinigten sie. Als die Bruderschaft davon erfuhr, zerschlugen sie alle Nachttöpfe, und die Frauen mußten neue beschaffen. Die Bäder neben der öffentlichen Latrine waren, wie alle Bäder in Rom, in Privatbesitz. Hier erhob die Bruderschaft ihre sogenannten Gebühren dafür, daß die Kunden nicht so lange unter Wasser gehalten wurden, bis sie fast ertrunken waren.
Am Ende ihrer Ermittlungen schäumte Aurelia vor Wut. Sie beschloß, erst einmal nach Hause zu gehen und sich zu beruhigen, bevor sie sich in die Höhle des Löwen wagte.
»Von meinem Haus aus! Meinem Eigentum!« empörte sie sich.
»Mach dir keine Sorgen, Aurelia, wir werden ihnen die gerechte Strafe verpassen!« beschwichtigte Cardixa.
»Wo ist Ju-Ju?« fragte Aurelia und holte tief Atem.
»Oben im vierten Stock. Rebekka ist heute morgen mit Stillen an der Reihe.«
Aurelia rang die Hände. »Warum habe ich bloß keine Milch? Ich bin so vertrocknet wie eine alte Jungfer!«
Cardixa zuckte die Achseln. »Manche Frauen haben eben Milch und manche nicht. Das ist halt so. Deshalb brauchst du den Kopf nicht hängen zu lassen - eigentlich betrübt dich doch diese Sache mit der Bruderschaft. Die Frauen geben Ju-Ju gern ein paar Schlucke, das weißt du genau. Ich schicke einen Sklaven hinauf zu Rebekka, sie soll noch ein bißchen länger auf Ju-Ju aufpassen. Inzwischen gehen wir hinüber und knöpfen uns diese miesen Schufte vor.«
Aurelia erhob sich. »Dann laß uns gehen, damit wir es hinter uns bringen.«
Im Inneren der Taverne brannte nur ein trübes Licht. Aurelia stand im Türrahmen, von Sonnenlicht umflutet, im vollen Glanz der Schönheit, die sie ihr Leben lang behalten sollte. Das laute Stimmengewirr in der Taverne brach abrupt ab, setzte aber um so heftiger wieder ein, als Cardixas hünenhafte Gestalt sich hinter Aurelia auftürmte.
»Da ist dieses Ungeheuer, das uns heute morgen verprügelt hat!« ertönte eine Stimme aus dem Hintergrund.
Einige Männer rückten unruhig auf den Bänken hin und her. Aurelia marschierte schnurstracks hinein und blickte sich herausfordernd um, und Cardixa postierte sich wachsam am Eingang.
»Wer trägt die Verantwortung für euch Flegel?« fragte Aurelia in schneidendem Ton.
Ein kleiner, dünner Mann um die Vierzig mit unverwechselbar römischen Gesichtszügen erhob sich am hintersten Tisch in der Ecke. »Ich«, sagte er, während er nach vorn kam. »Lucius Decumius, zu deinen Diensten.«
»Du weißt, wer ich bin?« Er nickte. »Du wohnst - mietfrei! - auf meinem Grund und Boden.«
»Das hier gehört nicht dir, sondern dem Staat, Gnädigste!«
»Das stimmt nicht.« Aurelias Augen hatten sich allmählich an die düstere Beleuchtung gewöhnt, und sie blickte sich um. »Dieser Ort ist eine Schande. Du kümmerst dich überhaupt nicht darum. Ich kündige dir hiermit.«
Plötzlich hatte es allen die Sprache verschlagen. Lucius Decumius kniff die Augen zusammen. Er war jetzt auf der Hut. »Du kannst uns nicht kündigen.«
»Das wirst du schon sehen!«
»Ich werde mich beim Stadtprätor beschweren.«
»Tu das ruhig! Er ist ein Vetter von mir.«
»Dann gehe ich eben zum pontifex maximus.«
»Gut. Er ist auch ein Vetter von mir.«
Lucius Decumius ließ ein Schnauben vernehmen, es war schwer zu sagen, ob vor Wut oder vor Lachen. »Sie können ja wohl nicht alle deine Vettern sein!«
»Sie können, und sie sind es.« Aurelia zeigte ihre blendend weißen Zähne. »Mach keinen Fehler, Lucius Decumius. Du und deine dreckige Bande, ihr werdet verschwinden.«
Nachdenklich ließ Lucius Decumius seinen Blick über sie wandern und kratzte sich mit einer Hand am Kinn. Im Winkel seiner klaren, blauen Augen meinte Aurelia ein Zwinkern zu entdecken. Er trat zur Seite und wies mit einer galanten Armbewegung zu dem Tisch, von dem er gerade aufgestanden war. »Wie wäre es, wenn wir unser kleines Problem in aller Ruhe besprechen?« fragte er in butterweichem Ton wie Scaurus.
»Da ist nichts zu besprechen. Ihr verschwindet.«
»Ach was! Einen gewissen Verhandlungsspielraum gibt es doch immer. Also, Gnädigste, am besten setzen wir beide uns erst einmal hin«, schmeichelte Lucius Decumius.
Mit Schrecken bemerkte Aurelia, daß sie diesen Lucius Decumius eigentlich ganz gut leiden konnte! Lächerlich. Aber es war so.
»Also gut. Cardixa, stell dich hinter meinen Stuhl.«
Lucius Decumius zog einen Stuhl für sie heran und nahm selber auf der Bank Platz. »Einen Schluck Wein, Gnädigste?«
»Auf keinen Fall.«
»Also?«
»Also was?« fragte Lucius Decumius.
»Du wolltest etwas besprechen.«
»Ach ja, stimmt, so war’s.« Lucius Decumius räusperte sich. »Tja, was war es noch einmal genau, was dich stört?«
»Deine Anwesenheit unter meinem Dach.«
»Sachte, sachte. Das ist ja vielleicht ein bißchen sehr allgemein gesprochen, oder? Wir werden uns sicher irgendwie einigen können - jetzt erzählst du mir mal, was du auszusetzen hast, und dann kümmere ich mich drum, so gut ich kann.«
»Wie schäbig und heruntergekommen es hier aussieht. Der Dreck. Der Lärm. Daß ihr glaubt, euch gehört die Straße, das ganze Viertel, alles, und nichts davon stimmt!« Aurelia zählte einen Punkt nach dem anderen auf. »Vor allem eure kleinen Geschäfte in der Nachbarschaft! Anständige Geschäftsleute in Angst und Schrecken versetzen! Sie auspressen wie Zitronen! Das ist abscheulich, niederträchtig, gemein!«
Lucius Decumius blickte sie ernst an und beugte sich ein wenig vor. »Es gibt Wölfe und Schafe auf dieser Welt, Gnädigste. Das ist die Natur. Wir wissen doch alle, daß auf jeden Wolf mindestens tausend Schafe kommen. Wir hier drinnen sind die Wölfe in diesem Revier; so mußt du dir das vorstellen. Dabei sind wir nicht einmal so böse wie Wölfe. Wir haben nur kleine Zähne, schnappen mal hier, mal dort zu, aber wir brechen niemandem das Genick.«
»Dein Vergleich ist abstoßend und kann mich kein bißchen umstimmen. Du verschwindest.«
»Oh, ich armer Kerl! Was bin ich für ein armer Tropf!« Lucius Decumius richtete sich auf und warf Aurelia einen schnellen Blick zu. »Sind sie wirklich alle Vettern von dir?«
»Mein Vater war der Konsul Lucius Aurelius Cotta. Mein Onkel ist der Konsul Publius Rutilius Rufus. Mein anderer Onkel ist der Prätor Marcus Aurelius Cotta. Mein Mann ist der Quästor Gaius Julius Caesar.« Aurelia lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, neigte den Kopf zur Schulter, schloß die Augen und säuselte süffisant: »Und Gaius Marius ist mein Schwager.«
»Ha, ha, und mein Schwager ist der König von Ägypten.« Lucius Decumius hatte genug Namen gehört.
»Dann gehst du am besten nach Ägypten zurück, würde ich vorschlagen.« Lucius Decumius’ kläglicher Versuch, sarkastisch zu sein, hatte Aurelia kein bißchen aus der Ruhe gebracht. »Der Konsul Gaius Marius ist mein Schwager.«
»Ja, ja, und die Schwägerin von Gaius Marius lebt selbstverständlich in einer insula im letzten verkommenen Winkel der Subura!« gab Lucius Decumius zurück.
»Die insula gehört mir. Das war meine Mitgift, Lucius Decumius. Mein Mann ist nicht der älteste Sohn seines Vaters. Einstweilen wohnen wir hier in meiner insula, später werden wir sicher woanders leben.«
»Gaius Marius ist wirklich dein Schwager?«
»Von Kopf bis Fuß, jawohl.«
Lucius Decumius seufzte schwer. »Mir gefällt es hier. Laß uns also verhandeln.«
»Ich will, daß du verschwindest.«
»Schau, Gnädigste, ein paar Rechte habe ich doch immerhin auch. Das hier ist eine Kreuzwegebruderschaft, Gnädigste, so steht es in den amtlichen Büchern des Stadtprätors, wir hüten den heiligen Schrein dieser Kreuzung. Rechtmäßig. Du glaubst vielleicht, bei all deinen Vettern gehört dir der Staat - aber wenn wir ausziehen, werden andere Gauner kommen, stimmt’s? Soll ich dir ein kleines Geheimnis verraten?« Er beugte sich wieder vor. »Alle Brüder der Kreuzwegevereine sind Wölfe!« Er reckte den Kopf empor und sah jetzt wie eine Schildkröte aus. »Du und ich, wir könnten eine Vereinbarung treffen. Wir halten den Ort hier sauber, klatschen frische Farbe an die Wände, laufen nach Einbruch der Dunkelheit nur noch auf Zehenspitzen, helfen alten Damen über Rinnsteine und Abflußgitter, unterlassen für immer unsere kleinen Geschäfte mit der Nachbarschaft - werden, alles in allem, zu tragenden Säulen der Gesellschaft! Wie hört sich das an?«
Aurelia versuchte vergeblich, ein Lächeln zu unterdrücken. »Mit dir fahre ich besser, als wenn ich die Katze im Sack hier einziehen lasse, das willst du mir sagen, oder?«
»Viel besser!« bestätigte Lucius Decumius freundlich.
»Ich muß zugeben, daß es keine besonders angenehme Vorstellung ist, dieses ganze Theater noch einmal mit einer solchen Bande wie euch zu veranstalten. Also gut, Lucius Decumius, du bekommst eine Bewährungsfrist von sechs Monaten!« Aurelia erhob sich und ging zur Tür; Lucius Decumius begleitete sie. »Aber glaub bloß nicht einen Moment lang, ich hätte nicht den Mut, euch rauszuschmeißen und mir die neue Bande zu zähmen!« Mit diesen Worten trat sie hinaus auf die Straße.
Lucius Decumius begleitete sie den Vicus Patricii entlang. Auf fast magische Weise traten die Menschen vor ihnen zur Seite. »Ich versichere dir, Gnädigste, wir werden Säulen der Gesellschaft sein.«
»Aber wenn man sich einmal an ein gewisses Einkommen gewöhnt hat, ist es doch schwer, mit weniger auszukommen«, sagte Aurelia.
»Keine Sorge, Gnädigste!« gab Lucius Decumius fröhlich zurück. »Rom ist eine große Stadt. Wir werden unsere Geschäfte auf andere Teile der Stadt verlagern, so daß du in keiner Weise belästigt wirst. Der Viminal, der Wall, die Fabrikviertel - es gibt genug Möglichkeiten. Zerbrich dir nicht deinen süßen Kopf über Lucius Decumius und seine Brüder von der heiligen Kreuzwegebruderschaft. Wir kommen schon zurecht.«
»Das ist keine Antwort! Für mich ist das kein Unterschied, ob ihr hier die Nachbarschaft terrorisiert oder anderswo!«
Lucius Decumius war ehrlich überrascht über soviel Beschränktheit. »Was du nicht weißt, macht dich nicht heiß. So ist das Leben.«
Sie waren vor Aurelias Haustür angekommen. Sie blieb stehen und sah ihn mitleidig an. »Tu, was du für richtig hältst, Lucius Decumius. Aber sorge dafür, daß ich nie herausfinde, wohin du deine Geschäfte, wie du das nennst, verlagert hast.«
»Ich schwöre es, Gnädigste! Nur über meine Leiche!« Er streckte seinen Arm aus und klopfte an die Tür. Mit verdächtiger Geschwindigkeit öffnete der Verwalter selbst. »Hallo, Eutychus, dich habe ich schon seit ein paar Tagen nicht mehr in der Bruderschaft gesehen«, sagte Lucius Decumius höflich. »Wenn du deinen nächsten freien Tag hast, erwarte ich dich in der Taverne. Wir müssen Großputz machen und den Wänden ein bißchen Farbe verpassen, damit deine domina zufrieden ist. Wir wollen doch, daß die Schwägerin von Gaius Marius glücklich ist!«
Eutychus sah gar nicht glücklich aus. »Ja, sicher«, sagte er.
»So, du wolltest also für dich behalten, wer die Gnädigste ist, nicht wahr?« fragte Lucius Decumius samtweich.
»Wie du im Laufe der Jahre bemerkt haben dürftest, Lucius Decumius, spreche ich niemals über meine Familie«, entgegnete Eutychus majestätisch.
»Verfluchte Griechen, sie sind alle gleich«, Lucius Decumius tippte grüßend mit dem Zeigefinger an sein strähniges braunes Haar und verbeugte sich kurz zu Aurelia hin. »Ich wünsche dir einen guten Tag, Gnädigste. Es war nett, deine Bekanntschaft gemacht zu haben. Wenn die Bruderschaft dir in irgendeiner Weise behilflich sein kann, laß es mich bitte wissen.«
Aurelia zog die Tür hinter sich zu und blickte den Verwalter ausdruckslos an. »Was hast du zu deinen Gunsten vorzubringen?« fragte sie.
» Domina, ich muß doch dazugehören!« jammerte er. »Ich bin der Verwalter der Hausbesitzer - ich habe gar keine andere Wahl! Niemals würden sie zulassen, daß ich draußen bleibe!«
»Ist dir klar, Eutychus, daß ich dich dafür auspeitschen lassen könnte?« Aurelia verzog noch immer keine Miene.
»Ja«, flüsterte er.
»Du kannst froh sein, daß ich die Gattin meines Mannes und die Tochter meines Vaters bin. Ich glaube, mein Schwiegervater, Gaius Julius, hat es am besten ausgedrückt. Kurz vor seinem Tod hat er einmal gefragt, wie manche Familien mit Menschen in einem Haus leben können, die sie haben auspeitschen lassen - seien es ihre Söhne oder ihre Sklaven. Dafür fehlte ihm jedes Verständnis. Man kann auch anders mit unehrlichem und frechem Benehmen fertig werden. Du darfst mir glauben, daß ich dich jederzeit mit schlechten Zeugnissen und finanziellem Verlust verkaufen würde. Statt zehntausend Denare bekäme ich vielleicht noch tausend Sesterze für dich. Und dein neuer Herr wäre von der niedrigsten und gemeinsten Art - er könnte dich gnadenlos auspeitschen lassen, schließlich kämst du gebrandmarkt als schlechter Sklave zu ihm.«
»Ich verstehe, domina.«
»Gut! Dann bleibe nur bei dem Kreuzwegeverein, ich habe vollstes Verständnis für dein Dilemma. Aber ich befehle dir absolutes Stillschweigen über unsere Familie.« Sie wandte sich schon ab, blieb dann noch einmal stehen. »Dieser Lucius Decumius, hat er eine Arbeit?«
»Er ist Hausmeister bei der Bruderschaft.« Eutychus fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut.
»Du verheimlichst mir etwas.«
»Es ist nur ein Gerücht, domina. Niemand weiß wirklich Bescheid über ihn. Aber er soll es selbst gesagt haben - es könnte allerdings auch nur Prahlerei gewesen sein. Oder er wollte uns damit Angst einjagen.«
»Was hat er denn gesagt?«
Der Verwalter erbleichte. »Er sagt, er sei ein Mörder.«
»Beim Castor! Und wen hat er umgebracht?« fragte Aurelia.
»Diesen Kerl aus Numidien, der vor ein paar Jahren auf dem Forum Romanum erstochen wurde.«
»Wunder gibt es immer wieder!« sagte Aurelia und ging nachsehen, was ihre Kinder machten.
»Sie war wohl von Anfang an etwas Besonderes«, sagte Eutychus zu Cardixa.
Wie eine Katze, die eine Maus mit der Pfote am Schwanz festhält, legte das hünenhafte gallische Dienstmädchen eine Hand auf die Schulter des zierlichen Verwalters. »So ist es. Darum müssen wir alle gut auf sie aufpassen.« Und betont freundschaftlich tätschelte Cardixa Eutychus’ Schulter.
Das alles geschah, kurz bevor Gaius Julius Caesar mit Marius’ Nachricht vom Sieg bei Vercellae aus Gallia Cisalpina zurückkehrte. Caesar klopfte einfach an die Tür. Der Verwalter ließ ihn ein und kümmerte sich um sein Gepäck, während Caesar nach seiner Frau suchte.
Er fand sie im Garten auf dem Hof, wo sie dünne Netze um die Reben band, die an Gaius Matius’ Weinstock reiften. Es schien ihr nicht der Mühe wert, sich umzudrehen, als sie Schritte näherkommen hörte. »Man würde doch nie vermuten, daß es so viele Vögel in der Subura gibt, oder?« fragte sie den Ankömmling, wer es auch sein mochte. »Aber dieses Jahr werden auf alle Fälle wir die Trauben zu essen bekommen. Die Netze nützen sicher etwas.«
»Ich freue mich auf die Trauben«, sagte Caesar.
Aurelia flog herum, ließ die ganze Handvoll Netze zu Boden gleiten, und strahlte ihn an. »Gaius Julius!«
Er breitete seine Arme aus, sie sank hinein. Sie küßten sich lange, konnten gar nicht voneinander lassen. Erst das Beifallklatschen brachte sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Caesar blickte den Lichtschacht hinauf und sah, daß sich an allen Balkongeländern freudestrahlende Menschen drängten. Er winkte ihnen zu.
»Ein großer Sieg!« rief er aus. »Gaius Marius hat die Germanen vernichtend geschlagen! Rom braucht sie nie wieder zu fürchten!«
Caesar überließ die Mitbewohner seines Hauses ihrer Freude. Noch bevor der Senat und das Volk von Rom von dem Sieg über die Germanen erfuhren, war die Nachricht überall in der Subura verbreitet. Caesar legte den Arm um Aurelias Schultern und führte sie in den schmalen Gang zwischen Wohnzimmer und Küchenbereich. Er schaute in sein Arbeitszimmer, lobte die Ordentlichkeit und Sauberkeit, freute sich über die geschmackvolle, aber nicht teure Einrichtung. Überall standen Blumenvasen, das war ihm neu an Aurelias Haushaltsführung. Wie konnte sie sich diese Sträuße nur leisten? fragte er sich insgeheim ein wenig besorgt.
»Ich muß sofort zu Marcus Aemilius Scaurus«, sagte er, »aber zuerst wollte ich dich sehen. Wie schön es ist, zu Hause zu sein!«
»Es ist wunderbar.« Aurelia bebte vor Glück.
»Heute abend wird es noch viel schöner, Geliebte, wenn wir beide unseren ersten Sohn zeugen.« Caesar küßte sie wieder. »Wie ich dich vermißt habe! Nach dir interessieren mich alle anderen Frauen nicht mehr, glaub mir! Meinst du, ich könnte wohl ein Bad nehmen?«
»Ich sah Cardixa eben ins Bad huschen, sie wird dir wohl schon eins vorbereiten.« Aurelia kuschelte sich an ihn und seufzte wohlig.
»Und du bist wirklich sicher, daß es dir nicht zuviel wird? Die insula verwalten, unsere Töchter versorgen, diesen ganzen großen Schuppen in Schuß halten?« fragte Caesar. »Ich weiß schon, du hast mir immer gesagt, die Makler würden mehr Provision einbehalten, als ihnen zustünde, aber...«
»Es macht mir nichts aus, Gaius Julius. Das ist ein sehr ordentliches Haus, und unsere Mieter sind großartig«, antwortete sie entschieden. »Ich habe sogar das kleine Problem mit der Taverne an der Kreuzung gelöst, so daß es inzwischen auch dort sehr ruhig und sauber zugeht.« Sie blickte lachend zu ihm auf. »Du glaubst nicht, wie hilfsbereit und entgegenkommend alle sind, seit sie wissen, daß Gaius Marius mein Schwager ist!«
»Und all diese Blumen!«
»Sind sie nicht schön? Sie sind eine Art Dauergeschenk, alle vier oder fünf Tage bekomme ich einen neuen Strauß.«
Caesar zog sie fester an sich. »Ich habe wohl einen Rivalen?«
»Wenn du ihn gesehen hast, wirst du dir keine Sorgen mehr machen, glaube ich. Er heißt Lucius Decumius. Und ist ein Mörder.«
»Wie bitte?«
»Keine Sorge, mein Geliebter; ich mache nur Spaß«, beruhigte sie ihn. »Ich vermute, daß er den Mörder spielt, damit seine Mitbrüder den Respekt vor ihm behalten. Er ist der Hausmeister der Taverne.«
»Wo kriegt er die Blumen her?«
Aurelia lachte leise. »Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Hier in der Subura ist alles ein bißchen anders.«
Von Publius Rutilius Rufus erfuhr Gaius Marius, wie die Lage in Rom war, nachdem Caesar die Siegesnachricht überbracht hatte. Publius Rutilius schrieb:
Die Luft ist ziemlich vergiftet hier. Grund dafür ist vor allem, daß Du geschafft hast, was Du Dir vorgenommen hast, nämlich die Germanen ein für allemal zu schlagen. Jetzt ist Dir das Volk so dankbar, daß sie Dich sofort wieder zum Konsul machen würden, wenn Du zur Wahl stündest. Jedermann aus adeligem Hause trägt das Wort dictator auf den Lippen - und die Männer aus der Ersten Vermögensklasse spitzen schon die Lippen und fangen an, es nachzuplappern. Ich weiß schon, daß Du viele Klienten unter den Rittern hast und viele Freunde in der Ersten Klasse, aber Du mußt mir eines glauben: Unsere gesamte politische Ordnung ist traditionell so beschaffen, daß den Ambitionen von Männern, die sich herausheben wollen, Einhalt geboten wird. Nur unter Gleichen darf man der Erste sein. Du bist jetzt fünfmal zum Konsul gewählt worden, dreimal in absentia - daß Du Deine sogenannten Gleichen um Längen überragst, ist nicht mehr zu übersehen. Scaurus ist empört, aber mit ihm könntest du wahrscheinlich fertig werden. Nein, das eigentliche Problem ist unser gemeinsamer Freund Schweinebacke, den sein stotternder Sohn, das Ferkel, gekonnt unterstützt.
Seit Du in östlicher Richtung zu den Alpen gezogen bist, um zu Catulus Caesar im italischen Gallien zu stoßen, sind Schweinebacke und sein Sohn damit beschäftigt, Catulus Caesars Leistung im Feldzug gegen die Kimbern in den buntesten Farben auszumalen. Mit den Tatsachen hat das nichts mehr zu tun. Als uns die Nachricht vom Sieg bei Vercellae erreichte, trat der Senat im Tempel der Bellona zusammen, um solche Dinge wie Triumphzüge und Danksagungen zu besprechen. Was meinst du, wie viele die Ohren gespitzt haben, als Schweinebacke sich zu Wort meldete!
Kurz gesagt, er hat erreicht, daß es nur zwei Triumphzüge gibt - einen für Dich, für Aquae Sextiae, und einen für Catulus Caesar für den Sieg von Vercellae! Er ging einfach darüber hinweg, daß doch Du Feldherr in Vercellae warst und nicht Catulus Caesar. Er argumentierte rein formal - zwei Heere seien beteiligt gewesen, eins habest du als Konsul befehligt, das andere Catulus Caesar, der Prokonsul. Die Kriegsbeute sei enttäuschend mager ausgefallen, drei Triumphzüge seien im Verhältnis dazu geradezu lächerlich. Du könnest den Triumph für Aquae Sextiae nachholen, der vom Senat ja schon beschlossen sei, und Catulus Caesar werde den Triumph für Vercellae bekommen. Ein zweiter Triumph wegen Vercellae für Dich sei vollkommen überflüssig.
Lucius Appuleius Saturninus erhob sofort Protest dagegen, aber er wurde niedergebrüllt. Er ist privatus dieses Jahr hat kein Amt inne. So fühlten sich die patres conscripti eben nicht bemüßigt, ihm ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Der Senat beschloß schließlich zwei Triumphzüge: Deiner soll nur für Aquae Sextiae sein - die Schlacht vom letzten Jahr, also wenig aufsehenerregend. Der für Vercellae wird Catulus Caesar allein gelten - das wirklich große Ereignis, schließlich geht es um die Schlacht von diesem Jahr. Wenn sich dann der Triumphzug durch die Straßen von Rom windet, wird das Volk Catulus Caesar als großen Helden feiern. Niemand wird den Sieg über die Kimbern im italischen Gallien mit Deinem Namen in Verbindung bringen. Warum warst Du auch so blöd und hast ihm den Löwenanteil der Kriegsbeute und alle in der Schlacht eroberten Feldzeichen der Germanen überlassen? Das hat den Fall endgültig besiegelt. Wenn Du in leutseliger Stimmung bist und Deine angeborene Großzügigkeit zum Vorschein kommt, machst Du die schlimmsten Fehler, laß Dir das gesagt sein.
Ich glaube nicht, daß Du daran noch etwas ändern kannst - die Sache ist entschieden, es wurde offiziell abgestimmt, alles ist schriftlich in den Akten festgehalten. Ich bin ziemlich wütend über das Ganze. Die konservative Clique - wie Saturninus sie nennt - oder die Guten - wie Scaurus sie nennt - haben dieses Scharmützel für sich entschieden. Für den Sieg über die Germanen wirst Du nie die gebührende Anerkennung erhalten. Weißt Du noch, wie wir uns vor so vielen Jahren in Numantia über das Schlammbad lustig gemacht haben, das Metellus mit seinen schweinischen Freunden genommen hat? Wie wir ihm einen schweinischen Spitznamen verpaßt haben? Inzwischen bin ich fest davon überzeugt, daß der Mann kein Schwein ist - er ist ein ausgewachsener cunnus. Und sein Sohn, das Ferkel, wird genauso ein ausgewachsener cunnus werden wie sein Vater
Genug davon, sonst trifft mich noch der Schlag. Zum Schluß dieses Schreibens kann ich Dir noch mitteilen, daß es in Sizilien gut aussieht. Manius Aquilius macht seine Sache ausgezeichnet, und Servilius der Augur steht jetzt natürlich schlecht da. Immerhin hat er Wort gehalten und Lucullus vor dem neuen Gerichtshof für Verratsfälle angeklagt. Lucullus wollte sich unbedingt selbst verteidigen - vor all diesen großkotzigen, ungehobelten Rittern hat er sich damit keinen Gefallen getan, denn er trat so kaltschnäuzig und hochmütig auf, wie er sich nun einmal immer gibt. Die Richter haben das natürlich auf sich bezogen! Und so war es ja auch gemeint. Noch so ein sturer Idiot, dieser Lucullus. Sie haben ihn verurteilt - ihm damno auf alle Ziegel geschrieben, glaube ich. Und die Strafe ist unglaublich hart ausgefallen! Er muß sein Exil mindestens tausend Meilen entfernt von Rom wählen, also bleiben ihm nur zwei Orte zur Auswahl, Antiocheia oder Alexandria. Er hat beschlossen, König Ptolemaios Alexander die Ehre zu geben und nicht Antiochus Grypos. Außerdem hat das Gericht sein gesamtes Vermögen konfisziert - Häuser Ländereien, Kapitalanlagen, Besitz in der Stadt.
Er hat nicht gewartet, bis sie ihn davonjagen. Er hat nicht einmal abgewartet, wieviel seine Besitztümer bringen, sondern er hat sein liederliches Weib ihrem Bruder Schweinebacke überantwortet - so ist der wenigstens auch ein bißchen gestraft! - und seinen ältesten Sohn, der jetzt sechzehn und damit in den Augen des Staates ein erwachsener Mann ist, sich selbst überlassen. Ist es nicht merkwürdig, daß er diesen hochbegabten Jungen nicht Schweinebacke anvertraut hat? Sein jüngerer Sohn, Marcus Terentius Varro Lucullus, vierzehn Jahre alt, wurde zur Adoption gegeben.
Beide Söhne haben geschworen, daß sie Servilius den Augur verklagen werden, sobald Varro Lucullus die Toga des Mannesalters anlegen darf. Das weiß ich von Scaurus. Der Abschied von ihrem Vater war herzzerreißend, wie Du Dir sicher vorstellen kannst. Scaurus sagte, Lucullus werde nach Alexandria gehen und sich dann den Tod geben. Und beide Söhne glauben auch, daß ihr tata das tun wird. Am meisten peinigt die Familie Licinius Lucullus die Tatsache, daß sie Kummer und Armut einem dahergelaufenen homo novus wie Servilius Augur zu verdanken haben. Bei Lucullus’ Söhnen habt ihr homines novi euch keine Freunde gemacht.
Nun ja, wenn Lucullus’ Söhne alt genug sind, um Servilius Augur gemeinschaftlich zu verklagen, wird das vor dem neuen Repetundengericht geschehen. Das richtet gerade ein weiterer Servilius mit ziemlich obskurem Stammbaum ein, Gaius Servilius Glaucia. Beim Pollux, Gaius Marius, der Kerl kann Gesetze entwerfen! Die Regelung ist knallhart und völlig neuartig, aber sie funktioniert. Die Rechtsprechung ist wieder in den Händen der Ritter - keine guten Aussichten für Statthalter, aber sie ist in den Händen von Fachleuten. Der Kreis der Personen, die zur Erstattung herangezogen werden können, wurde erweitert, die Strafandrohung erhöht: Wer vom Gericht verurteilt wurde, darf nie mehr nirgendwo eine öffentliche Rede halten. Männer mit Latinerrecht erhalten das volle römische Bürgerrecht, wenn sie erfolgreich einen Übeltäter vor Gericht bringen. Außerdem gibt es jetzt eine Sitzungspause, wenn der Prozeß zur Hälfte vorbei ist. Das alte Verfahren ist längst vergessen. Die Aussagen der Zeugen sind nicht sehr wichtig, das haben die wenigen Fälle gezeigt, wo Zeugen gehört wurden. Es kommt jetzt vor allem auf die Plädoyers der Rechtsanwälte an, die Rechtsanwälte werden reichlich Zulauf bekommen.
Zu guter Letzt sollst Du noch wissen, daß dieser komische Vogel Saturninus wieder in Schwierigkeiten war. Wirklich, Gaius Marius, ich zweifle an seinem Verstand. Da fehlt die Logik. Genau wie bei seinem Freund Glaucia. Beide sind so brillant - und gleichzeitig so labil, so regelrecht verrückt. Oder vielleicht wissen sie gar nicht, was sie eigentlich im öffentlichen Leben erreichen wollen. Selbst der übelste Demagoge hat ein Schema, verfolgt einen Plan, will Prätor oder Konsul werden. Doch die beiden sind überhaupt nicht einzuschätzen. Sie hassen den alten Regierungsstil, sie hassen den Senat, aber sie wissen nicht, wie es anders gehen soll. Vielleicht sind sie Verfechter der Anarchie, wie die Griechen das nennen? Ich weiß es nicht.
Übrigens, was die Gesandtschaft von König Mithridates von Pontos betrifft, hat sich das Blatt zum Nachteil von König Nikomedes von Bithynien gewendet. Unser junger Freund vom fernen östlichen Rand des Schwarzen Meeres schickte sehr aufgeweckte Botschafter, die sofort die heimliche Schwäche von uns Römern erkannt haben - Geld! Mit ihrem Gesuch um einen Freundschafts- und Bündnisvertrag konnten sie nirgends landen. So fingen sie an, sich die Senatoren zu kaufen. Sie zahlten gut, und Nikomedes hatte allen Grund zur Sorge, das kannst Du mir glauben.
Dann stieg Saturninus auf die rostra und verurteilte in scharfen Worten alle die Senatoren, die Nikomedes und Bithynien zugunsten von Mithridates und Pontos aufgeben wollten. Mit Bithynien hätten wir seit Jahren einen Vertrag, erinnerte er uns, und Pontos sei von jeher mit Bithynien verfeindet. Viel Geld habe die Besitzer gewechselt - und nur, weil ein paar Senatoren jetzt dicke Geldbörsen hätten, gebe Rom ein Freundschaftsbündnis auf, das fünfzig Jahre gehalten habe.
Ich habe es nicht mit eigenen Ohren gehört, aber es wird behauptet, er sei etwa folgendermaßen fortgefahren: »Wir wissen ja alle, daß es teuer für tatterige alte Senatoren werden kann, wenn sie sich ein verspieltes junges Ding zur Frau nehmen, das kaum der Schule entwachsen ist. Perlenketten und goldene Armreifen sind schließlich erheblich teurer, als eine Flasche von diesem Tonikum, das Ticinus in seinem Liebeszauberladen verkauft. Und wer wollte bestreiten, daß ein verspieltes junges Ding ein viel wirksameres Tonikum ist als alles, was Ticinus anzubieten hat?« Oh, oh! Er grinste auch Schweinebacke höhnisch an und fragte in die Menge: »Und was ist mit unseren Jungens in Gallia Cisalpina?«
Mehrere Gesandte aus Pontos wurden daraufhin zusammengeschlagen und klagten lautstark auf dem Senaculum. Scaurus und Metellus haben Saturninus vor seinem eigenen Gerichtshof für Verrat verklagt, weil Saturninus Zwietracht gesät habe zwischen Rom und der akkreditierten Gesandtschaft eines fremden Königs. Für den Prozeßtag berief unser Volkstribun Glaucia eine Versammlung der Plebs ein und warf Schweinebacke vor, er versuche schon wieder, Saturninus loszuwerden. Aber das sei ihm bereits damals nicht gelungen, als er Zensor gewesen sei. Und dann tauchten auch noch diese gemieteten Gladiatoren auf, die Saturninus anscheinend immer, wenn es darauf ankommt, irgendwo auftreiben kann. Sie pöbelten die Geschworenen an und sahen so angsteinflößend aus, daß das Gericht die Klage abwies. Die Gesandten aus Pontos mußten ohne ihren Vertrag wieder heimkehren. Ich bin mit Saturninus einig: Es wäre reichlich schäbig, das langjährige Freundschaftsbündnis aufzukündigen, nur weil die Feinde von Bithynien inzwischen viel reicher und mächtiger sind.
Genug, Gaius Marius! Eigentlich wollte ich dir ja nur die Sache mit den Triumphen mitteilen, bevor Du es von offizieller Seite erfährst. Der Senat wird es nicht besonders eilig haben, Dich darüber zu unterrichten. Ich wünschte, Du könntest noch etwas dagegen unternehmen, aber ich sehe keine Möglichkeit.
»Und ob ich etwas unternehmen kann!« brummte Marius grimmig, nachdem er den Brief entziffert hatte. Er legte ein Stück Papier vor sich hin. Nach einer ganzen Weile hatte er einen eigenen kurzen Brief entworfen. Dann ließ er Quintus Lutatius Catulus Caesar rufen.
Catulus Caesar trat in aufgeräumter Stimmung ein, denn mit demselben Kurier, der Rutilius Rufus’ Brief an Marius gebracht hatte, waren für ihn Briefe von Metellus Numidicus und Scaurus gekommen.
Enttäuscht mußte Catulus Caesar feststellen, daß Marius schon von der Entscheidung für nur zwei Triumphzüge wußte. Und er hatte sich so darauf gefreut zu sehen, wie Marius auf diese Nachricht reagieren würde! Nun ja, das war nicht so wichtig. Aber Triumph war Triumph.
»Wenn du nichts dagegen hast, werde ich im Oktober nach Rom zurückkehren«, sagte Catulus Caesar und ließ jedes Wort auf der Zunge zergehen. »Ich werde meinen Triumph zuerst feiern, du als Konsul kannst ja nicht so früh hier weggehen.«
»Abgelehnt«, erwiderte Marius knapp. »Wir werden Ende November gemeinsam nach Rom zurückkehren, wie es geplant war. Ich habe dem Senat gerade geschrieben. Möchtest du es hören? Ich werde es dir vorlesen, das erspart dir die Mühe, meine Schrift zu entziffern.«
Marius zog das kleine Stück Papier aus dem Durcheinander auf seinem Schreibtisch, rollte es auseinander und begann laut zu lesen:
Gaius Marius, Konsul in der fünften Amtszeit, dankt dem Senat und dem Volk von Rom, daß sie sich der Frage des Triumphes für ihn und seinen Stellvertreter, den Prokonsul Quintus Lutatius Catulus, mit so viel ernsthafter Anstrengung gewidmet haben. Die Sparsamkeit der patres conscriptii, die in ihrem Entschluß zum Ausdruck kommt, nur einen Triumph für jeden der beiden Feldherrn von Rom zu bewilligen, ist höchst lobenswert. In Anbetracht der immensen Kosten dieses langen Krieges rate ich indes zu noch größerer Sparsamkeit. Quintus Lutatius stimmt mit mir überein. Gaius Marius und Quintus Lutatius Catulus werden sich deshalb einen einzigen Triumph teilen. Ganz Rom soll Zeuge der Einigkeit und Freundschaft seiner beiden Feldherrn sein, wenn sie gemeinsam durch die Straßen marschieren. Mit großer Freude teile ich daher mit, daß Gaius Marius und Quintus Lutatius ihren Triumph an den Kalenden des Dezembers feiern werden. Gemeinsam. Lang lebe Rom!
Catulus Caesar war weiß wie eine Wand. »Du machst Scherze!«
»Ich? Scherze? Niemals, Quintus Lutatius!« Marius’ Augen funkelten unter seinen buschigen Augenbrauen.
»Ich - ich - ich verweigere den Gehorsam!«
»Es wird dir nichts anderes übrigbleiben«, sagte Marius zuckersüß. »Sie dachten schon, jetzt haben sie mich endgültig kleingekriegt! Der gute alte Metellus Numidicus und seine Freunde - und deine Freunde! Tja, ihr werdet mich nie kleinkriegen, keiner von euch.«
»Der Senat hat zwei Triumphe beschlossen, und zwei werden es sein!« Catulus Caesar bebte vor Wut.
»Ja, du könntest natürlich darauf bestehen, Quintus Lutatius. Aber das wird nicht gut aussehen, was meinst du? Du hast die Wahl. Entweder wir beide feiern den Triumph gemeinsam, oder du stehst als Trottel da.«
Catulus Caesar wußte nichts mehr zu sagen. Marius’ Brief ging an den Senat, und der Triumph wurde für den ersten Tag im Monat Dezember angekündigt.
Catulus Caesar sann sofort auf Rache. In einem Brief an den Senat beschuldigte er den Konsul Gaius Marius, er habe sich ein Vorrecht des Senats und des Volkes von Rom angemaßt: Tausend Soldaten der Hilfstruppen aus Camerinum in Picenum habe er noch auf dem Schlachtfeld von Vercellae das volle römische Bürgerrecht zugesprochen. Er habe seine Befugnisse als Konsul weiterhin mit der Ankündigung überschritten, in der kleinen Stadt Eporedia in Gallia Cisalpina eine Kolonie für römische Veteranen zu gründen. Weiter hieß es in dem Brief:
Gaius Marius hat diese verfassungswidrige Kolonie gegründet, um sich an dem Gold zu bereichern, das die Dora Baltea bei Eporedia anschwemmt. Der Prokonsul Quintus Lutatius Catulus möchte außerdem mit allem Nachdruck betonen, daß er die Schlacht von Vercellae gewonnen hat, nicht Gaius Marius. Als Beweis lege ich die 35 germanischen Feldzeichen vor, die sich in meinem Besitz befinden; Gaius Marius kann lediglich zwei Feldzeichen vorweisen. Als Sieger von Vercellae stehen mir alle Gefangenen zu, die als Sklaven verkauft wurden. Gaius Marius beansprucht beharrlich ein Drittel für sich.
Marius sorgte dafür, daß der Inhalt des Briefs seinen und Catulus Caesars Soldaten zu Ohren kam. Er hatte eigenhändig einen nüchternen Nachsatz hinzugefügt: Bis auf das Drittel, das er für sich beanspruche, gehe der Erlös aus dem Verkauf der in der Schlacht von Vercellae gefangengenommenen Kimbern an das Heer von Quintus Lutatius Catulus. Seine eigenen Truppen, führte Marius aus, hätten bereits den Erlös aus dem Verkauf der teutonischen Gefangenen aus der Schlacht von Aquae Sextiae erhalten. Er wolle nicht, daß sich die Truppen von Catulus Caesar benachteiligt fühlten. Daher sollten sie wissen, daß Catulus Caesar seine zwei Drittel aus dem Verkauf der kimbrischen Sklaven für sich selbst behalten wolle - was sein gutes Recht sei.
Glaucia verlas beide Briefe auf dem Forum in Rom, und das Volk lachte sich krank. Niemand hatte jetzt noch Zweifel, wer der wahre Sieger war, wer das Wohl seiner Truppe über sein eigenes stellte.
»Du mußt mit deiner Verleumdungskampagne gegen Gaius Marius aufhören«, sagte der Senatsvorsitzende Scaurus zu Metellus Numidicus, »oder es wird Ohrfeigen hageln, wenn du das nächste Mal auf dem Forum erscheinst. Und Quintus Lutatius solltest du einen entsprechenden Brief schreiben. Ob es uns paßt oder nicht, Gaius Marius ist der Erste Mann in Rom. Er hat den Krieg gegen die Germanen gewonnen, und ganz Rom weiß das. Er ist der Held, der Halbgott, das Volk betet ihn an. Wenn du versuchst, ihn zu Fall zu bringen, wirst du die ganze Stadt gegen dich haben, Quintus Caecilius.«
»Scheiß auf das Volk!« Metellus Numidicus’ Nerven waren zur Zeit nicht die besten. Er mußte das Treiben seiner Schwester Metella Calva und ihrer jeweiligen Liebhaber, einer übler als der andere, in seinem Haus dulden.
»Schau, uns stehen noch andere Wege offen«, drängte Scaurus. »Du kannst dich zum Beispiel noch einmal um das Amt des Konsuls bewerben. Ob du es glaubst oder nicht, es ist schon zehn Jahre her, seit du Konsul warst! Gaius Marius wird sich todsicher wieder bewerben. Wäre es nicht nett, ihm in seiner sechsten Amtszeit als Konsul einen solchen Mitkonsul wie dich aufzuhalsen?«
»Oh, wann werden wir endlich diese Krankheit namens Gaius Marius los sein!« jammerte Numidicus.
»Wenn alles gut geht, dauert es nicht mehr lange. Ein Jahr. Höchstens.« Scaurus wirkte sehr zuversichtlich.
»Bis in alle Ewigkeit wahrscheinlich.«
»Aber nein, Quintus Caecilius, du gibst zu früh auf! Wie Quintus Lutatius läßt du dich von deinem Haß auf Gaius Marius leiten. Gebrauche deinen Kopf! Wieviel Zeit von seinen fünf langen Amtszeiten als Konsul hat Gaius Marius in Rom verbracht?«
»Ein paar Tage vielleicht. Was hat das damit zu tun?«
»Es ist der entscheidende Punkt, Quintus Caecilius! Gaius Marius ist kein großer Politiker. Als Soldat und Stratege ist er unübertrefflich. Wenn seine Welt auf nichts als Curia und Comitia zusammenschrumpft, wird der Glanz schnell abblättern, das laß dir gesagt sein! Wir werden dafür sorgen, daß er keinen Fuß auf den Boden bekommt! Wir werden ihn reizen wie einen Stier, unsere Zähne in seinem Kadaver verbeißen und nicht mehr loslassen. Wir werden ihn zu Fall bringen! Warte nur ab, du wirst es erleben.«
Scaurus klang sehr siegesgewiß.
Metellus Numidicus war wie gebannt von diesen neuen Perspektiven, die Scaurus ihm eröffnet hatte. Er lächelte. »Ja, ich verstehe, Marcus Aemilius. Sehr gut. Ich werde für das Konsulat kandidieren.«
»Gut! Du wirst es schaffen! Wir werden noch den letzten Rest von Einfluß, den wir bei der Ersten und der Zweiten Zensusklasse haben, ausnützen. Dann kann nichts schiefgehen, und wenn sie Gaius Marius noch so lieben.«
»Ich kann es gar nicht mehr abwarten, bis ich sein Kollege bin!« Metellus Numidicus spannte heimlich alle Muskeln an. »Ich werde ihm jeden Weg verbauen! Ich werde ihm das Leben zur Hölle machen!«
»Wahrscheinlich bekommen wir noch von unerwarteter Seite Unterstützung.« Scaurus sah aus wie eine Katze auf der Lauer.
»Von welcher Seite?«
»Lucius Appuleius Saturninus will noch einmal für das Volkstribunat kandidieren.«
»Das sind ja schreckliche Nachrichten! Wie soll uns das helfen?« fragte Numidicus.
»Nein, das ist eine höchst erfreuliche Nachricht, Quintus Caecilius. Wenn du erst deine Konsulzähne in Gaius Marius verbissen hast und ich dasselbe getan habe und Quintus Lutatius ebenfalls und noch ein halbes Hundert, dann wird Gaius Marius Saturninus als Verbündeten gewinnen müssen. Ich kenne Gaius Marius. Wenn er zu sehr gereizt wird, schlägt er wild um sich. Wie ein gereizter Stier. Er wird sich Saturninus’ Unterstützung sichern. Und Saturninus ist wahrscheinlich der schlimmste Verbündete, den er sich aussuchen kann. Du wirst schon sehen. Seine eigenen Leute werden unseren Stier Gaius Marius zu Fall bringen.«
Saturninus war auf dem Weg nach Gallia Cisalpina, um sich mit Gaius Marius zu treffen, denn er war sehr an einem Bündnis mit Marius interessiert, viel interessierter als Marius zu diesem Zeitpunkt. Saturninus lebte in der politischen Welt Roms, Marius immer noch auf der unberührten Insel des Feldherrn.
Sie trafen sich in dem kleinen Urlaubsort Comum am Ufer des Comer Sees. Marius hatte dort die Villa des Lucius Calpurnius Piso gemietet, der kürzlich zusammen mit Lucius Cassius in Burdigala gefallen war. Marius war müde, viel müder, als er das dem zehn Jahre jüngeren Catulus Caesar gegenüber je zugegeben hätte. Catulus Caesar hatte er ans andere Ende der Provinz verfrachtet, er sollte dort bei den Gerichtstagen zugegen sein. Das Kommando über die Truppen hatte Sulla, und Marius konnte sich endlich ein paar ruhige Ferientage gönnen.
Als Saturninus auftauchte, bat Marius ihn sogleich zu bleiben. Vor der Kulisse des schönsten Sees in ganz Italien konnten die beiden Männer in Ruhe reden.
Aber auch in den Ferien ging Marius immer direkt zur Sache. Als das Thema angeschnitten wurde, sagte er ohne Umschweife, was er dachte. »Ich will Metellus Numidicus nächstes Jahr nicht als Mitkonsul haben. Ich denke an Lucius Valerius Flaccus. Er ist ein weicher Mann, ihn werde ich mir zurechtbiegen können.«
»Er würde gut zu dir passen, aber du wirst es nicht schaffen, fürchte ich. Die Senatskamarilla schlägt schon die Werbetrommel für Metellus Numidicus.« Saturninus blickte Marius neugierig an. »Warum kandidierst du eigentlich ein sechstes Mal? Nachdem du die Germanen endgültig geschlagen hast, könntest du dich doch auf deinen Lorbeeren ausruhen!«
»Ich wünschte, ich könnte es, Lucius Appuleius. Aber diese Angelegenheit ist nicht abgeschlossen, bloß weil die Germanen geschlagen sind. Ich muß zwei Proletarierarmeen entlassen - oder vielmehr ich habe eine Armee mit sechs Legionen, die über der Sollstärke liegen, und Quintus Lutatius hat eine Armee mit sechs Legionen, die unter der Sollstärke liegen. Aber ich fühle mich für beide Armeen verantwortlich. Quintus Lutatius meint, mit der Ausstellung der Entlassungspapiere sei die Sache erledigt, und er brauche sich nicht weiter um die Männer zu kümmern.«
»Du bist immer noch fest entschlossen, ihnen Land zuzuteilen?« fragte Saturninus.
»Ja, sicher. Rom wird in mehr als einer Hinsicht geschwächt werden, wenn sie kein Land erhalten. Erst einmal werden über fünfzigtausend Legionäre mit ein paar Münzen im Beutel über Rom und ganz Italien herfallen. Innerhalb weniger Tage werden ihre Taschen leer sein - und wo immer sie dann leben, sie werden ständig Ärger machen. Wenn es Krieg gibt, lassen sie sich wieder anwerben. In Friedenszeiten werden sie zu einer wahren Plage.«
Saturninus nickte zustimmend. »Das leuchtet mir ein.«
»Der Gedanke kam mir in Africa, darum habe ich die africanischen Inseln für die Besiedlung durch Veteranen zurückbehalten. Tiberius Gracchus wollte die Armen Roms auf das Land, in die Campania, umsiedeln. Rom sollte dadurch eine saubere, sichere Stadt werden, gleichzeitig sollte dem Land frisches Blut zugeführt werden. Aber Italien war die falsche Entscheidung, Lucius Appuleius.« Marius geriet ins Träumen. »Wir brauchen Römer aus der Unterschicht in unseren Provinzen. Vor allem Veteranen.«
Eine so schöne Vision, aber Saturninus verstand nicht, um was es ging. »Ja, wir haben alle die Rede im Senat gehört - römische Lebensart in die Provinzen tragen. Und wir haben auch alle die Antwort von Delmaticus gehört. Was steckt wirklich hinter deinen Plänen, Gaius Marius?«
Marius’ Augen funkelten unter seinen buschigen Augenbrauen. »Wie scharfsinnig du bist, Saturninus! Natürlich steckt noch mehr dahinter.« Er lehnte sich auf seinem Stuhl nach vorne. »Heere in die Provinzen zu schicken, die dort Aufstände niederschlagen und die Gesetze hüten, kostet Rom eine Menge Geld. Schau dir nur Makedonien an. Zwei Legionen sind dort ständig im Einsatz - zwar keine römischen Legionen, aber immerhin, auch die kosten den Staat Geld, das er anderswo besser verwenden könnte. Jetzt stell dir einmal vor, zwanzig- oder dreißigtausend römische Veteranen würden dort verteilt in drei oder vier Kolonien leben. Was wäre dann? Griechenland und Makedonien sind so spärlich besiedelt, seit einem Jahrhundert schon, das Volk hat das Land verlassen. Überall Geisterstädte! Riesige Ländereien gehören römischen Grundbesitzern, die sich nie dort blicken lassen, wenig produzieren, nichts in das Land investieren und zu geizig sind, um die einheimische Bevölkerung zu beschäftigen. Wenn dann ein paar Skordisker einfallen und es Krieg gibt, jammern die Grundbesitzer in Rom dem Senat die Ohren voll, und der Statthalter rennt hin und her, muß mit plündernden Kelten und wütenden Briefen aus Rom gleichzeitig fertig werden. Und genau dieses Land, das von Rom aus mehr schlecht als recht verwaltet wird, möchte ich besser nutzen. Ich möchte dort Kolonien von Veteranen ansiedeln. Das Land wäre viel dichter besiedelt - und für den Fall eines ernsten Krieges stünde eine Besatzungsarmee auf Abruf bereit.«
»Und dieser Gedanke kam dir in Africa«, sagte Saturninus.
»Ja, als ich riesige Latifundien an Männer in Rom verteilte, die äußerst selten, wenn überhaupt jemals, einen Fuß nach Africa setzen werden. Sie schicken ihre Verwalter und Heere von Sklaven für den Feldbau, die Lebensbedingungen im Land und die Menschen dort sind ihnen vollkommen egal. Sie verhindern den Fortschritt in Africa und öffnen damit einem neuen Jugurtha Tor und Tür. Ich bin nicht prinzipiell dagegen, daß Römer Land in den Provinzen besitzen - aber in einigen Landstrichen der Provinzen sollten gut ausgebildete, tüchtige Römer in großer Zahl leben, an die wir uns in Notzeiten wenden können.« Er zwang sich, seine Unruhe, die Dringlichkeit seiner Wünsche zu verbergen. »Wir haben schon ein kleines Beispiel, wie hilfreich Veteranenkolonien in fremden Ländern in Notzeiten sein können. Auf der Insel Meninx habe ich persönlich eine erste kleine Gruppe angesiedelt. Als die Leute von dem Sklavenaufstand in Sizilien erfuhren, stellten sie selbständig Einheiten auf und mieteten ein paar Schiffe. Sie kamen gerade noch rechtzeitig in Lilybaeum an, um zu verhindern, daß die Stadt dem selbsternannten Sklavenkönig Athenion in die Hände fiel.«
»Jetzt verstehe ich, was du erreichen willst, Gaius Marius. Das ist ein ausgezeichneter Plan«, sagte Saturninus.
»Aber sie werden mich bekämpfen, und wenn es nur deshalb ist, weil eben ich es bin«, seufzte Marius.
Saturninus lief ein Schauer den Rücken hinunter. Schnell wandte er den Kopf ab und gab vor, die Spiegelung des Himmels, der Wolken, der Bäume und der Berge im glasklaren Wasser des Sees zu bewundern. Marius war müde! Marius wurde alt! Marius freute sich überhaupt nicht auf eine sechste Amtszeit als Konsul!
»Du hast sicher das Geschrei und Gezeter in Rom mitbekommen, als ich diesen tapferen Soldaten aus Camerinum das Bürgerrecht verliehen habe?« fragte Marius.
»Ja, natürlich. Ganz Italien hat das Spektakel mitbekommen. Und ganz Italien war begeistert. Nur den großen Politikern in Rom hat es ganz und gar nicht gefallen«, sagte Saturninus.
»Aber warum sollen sie eigentlich nicht römische Bürger werden?« fragte Marius verärgert. »Sie haben besser als irgend jemand sonst auf dem Schlachtfeld gekämpft, Lucius Appuleius, das kann man doch nicht leugnen. Wenn es nach mir ginge, würde ich jedem Mann in ganz Italien das Bürgerrecht zusprechen.« Er holte tief Luft. »Wenn ich sage, ich brauche Land für die Veteranen aus der besitzlosen Schicht, meine ich genau das. Land für alle von ihnen - Römer, Latiner und Italiker.«
Saturninus pfiff leise durch die Zähne. »Das wird Ärger geben! Das wird sich die konservative Clique im Senat nicht widerspruchslos bieten lassen.«
»Das weiß ich. Ich weiß nur nicht, ob du den Mut hast, ihnen die Stirn zu bieten.«
»Ich habe mir noch nicht viel Gedanken über meine Standfestigkeit gemacht«, antwortete Saturninus nachdenklich, »ich kann also nicht sagen, wie mutig ich bin. Aber doch, Gaius Marius. Ich glaube schon, daß ich es schaffe, ihnen die Stirn zu bieten.«
»Um meinetwillen muß ich niemanden bestechen, meine Wahl ist sicher, ich kann nicht verlieren. Nichts spricht allerdings dagegen, daß ich ein paar Jungens anheuere, damit sie Bestechungsgelder für den zweiten Konsul verteilen. Und für dich, wenn du Hilfe brauchst, Lucius Appuleius. Und auch für Gaius Servilius Glaucia. Er wird als Prätor kandidieren, wie ich höre?«
»Richtig. Und wir beide, Gaius Marius, würden deine Hilfe in dieser Angelegenheit gerne annehmen. Dafür hast du unsere Unterstützung, wo immer es nötig ist, damit du dein Land bekommst.«
Marius zog eine Rolle Papier aus dem Ärmel. »Ich habe schon ein bißchen vorgearbeitet. Hier ist die Skizze für eine Gesetzesvorlage. So etwas Ähnliches wäre nötig, meine ich. Ich gehöre leider nicht zu den besten Männern Roms, wenn es darum geht, Gesetze zu entwerfen. Ganz im Gegensatz zu dir. Und Glaucia ist - du wirst es mir hoffentlich nicht übelnehmen, wenn ich es so sage - geradezu ein Genie in dieser Beziehung. Könnt ihr beide zusammen aus meinen schlecht und recht zusammengeschusterten Kritzeleien gute Gesetzesvorlagen machen?«
»Du verhilfst uns ins Amt, Gaius Marius, und ich versichere dir, du wirst deine Gesetze bekommen«, sagte Saturninus.
Marius war sichtlich erleichtert. Die Spannung schwand aus seinem großen, muskulösen Körper. »Wenn ich das nur schaffe, Lucius Appuleius. Ich schwöre es, dann ist es mir egal, ob ich ein siebtes Mal Konsul werde.«
»Ein siebtes Mal?«
»Mir wurde prophezeit, daß ich siebenmal Konsul sein werde.«
Saturninus lachte. »Warum auch nicht? Niemand hätte es je für möglich gehalten, daß ein Mann sechsmal Konsul wird. Und du wirst es jetzt.«
Die Wahl der neuen Volkstribunen fand statt, als Gaius Marius und Catulus Caesar mit ihren Legionen südwärts auf dem Weg nach Rom waren, um ihren Triumph gemeinsam zu feiern. Die Wahl war heiß umkämpft. Über dreißig Kandidaten bewarben sich um die zehn Posten, mehr als die Hälfte davon standen im Dienste der konservativen Senatoren. Der Wahlkampf wurde erbarmungslos hart geführt.
Glaucia, der Vorsitzende der amtierenden zehn Volkstribunen, wurde damit beauftragt, die Wahl der Nachfolger durchzuführen. Die Wahl der Konsuln und der Prätoren durch die Zenturiatkomitien hatte noch nicht stattgefunden, nur deshalb konnte er diese Aufgabe übernehmen, denn als gewählter Prätor wäre er nicht in Frage gekommen. Aber wie die Dinge lagen, konnte er bei der Wahl der Volkstribunen seines Amtes walten.
Die Wahl fand auf dem Versammlungsplatz der Komitien statt, Glaucia leitete das Geschehen von der Rednerbühne aus. Die anderen neun Volkstribunen behielten die Menge im Auge. Sie mußten durch Losentscheid festlegen, in welcher Reihenfolge die fünfunddreißig Tribus, die Abteilungen der römischen Bürgerschaft, wählten, vom ersten bis zum letzten, und dann ließen sie die Tribus nacheinander zur Wahl antreten.
Viel Geld war von einer Hand zur anderen gegangen, einiges davon war zu Saturninus geflossen, aber sehr viel mehr zu unbekannten Kandidaten, die von den Konservativen ins Rennen geschickt wurden. Jeder reiche Senator von den vorderen Bänken der Konservativen mußte tief in die Taschen greifen. Man kaufte Stimmen für Männer wie Quintus Nonius aus Picenum, politisch ein Niemand, aber konservativ bis auf die Knochen. Nonius war der Bruder von Sullas Schwager; doch Sulla hatte nichts damit zu tun, daß Nonius im Senat saß und für das Volkstribunat kandidierte. Als Sullas Schwester Cornelia in die reiche Gutsbesitzerfamilie Nonius eingeheiratet hatte, hatte der Glanz ihres Namens die Männer der Familie auf die Idee gebracht, ihr Glück im cursus honorum zu versuchen. Zunächst sollte ihr Sohn zielstrebig für diese Karriere aufgebaut werden, aber dann wollte doch der Onkel zuerst sehen, was sich machen ließ.
Die Wahl brachte reichlich Überraschungen. Quintus Nonius aus Picenum zum Beispiel wurde problemlos gewählt, Lucius Appuleius Saturninus hingegen fiel durch. Zehn Volkstribunen konnten gewählt werden, Saturninus kam an die elfte Stelle.
»Ich kann es nicht glauben!« Saturninus schnappte nach Luft. »Ich kann es einfach nicht glauben! Was ist passiert, Glaucia?«
Glaucia runzelte die Stirn, seine Aussichten auf das Amt eines Prätors schienen auf einmal düster. Dann zuckte er die Achseln, klopfte Saturninus kräftig auf die Schulter und stieg von der Rednerbühne hinunter. »Mach dir keine Sorgen, das Blatt kann sich immer noch wenden.«
»Was soll sich am Ausgang einer Wahl denn noch ändern?« fragte Saturninus. »Nein, Gaius Servilius, die Sache ist entschieden. Ich habe es nicht geschafft.«
»Wir sprechen uns noch - hier. Warte hier, geh noch nicht nach Hause.« Glaucia drängte sich in die Menge.
Als sein Name bei der Ausrufung der neuen Volkstribunen fiel, wollte Quintus Nonius aus Picenum sofort in sein luxuriöses neues Haus in den Carinae eilen. Seine Frau, seine Schwägerin Cornelia Sulla und deren Sohn warteten dort gespannt auf den Ausgang der Wahl. Naiv wie sie waren, zweifelten sie an den Chancen von Quintus Nonius.
So große Schwierigkeiten beim Verlassen des Forums hatte Quintus Nonius allerdings nicht vorausgesehen. Alle paar Schritte mußte er stehenbleiben, um herzlichste Glückwünsche entgegenzunehmen, und da er nun einmal sehr höflich war, brachte er es nicht fertig, die Gratulanten fortzuscheuchen. Er kam nicht von der Stelle. Strahlend verbeugte er sich in alle Richtungen und schüttelte Hunderte von Händen.
Einer nach dem anderen hatten sich Quintus Nonius’ Gefährten davongemacht. Nur noch drei seiner engsten Freunde, die auch in den Carinae wohnten, begleiteten ihn, als er den ersten Säulengang auf seinem Heimweg betrat. Dort wurden sie von einem Dutzend Männer mit Keulen überfallen. Einem der Freunde gelang die Flucht, laut um Hilfe schreiend stürzte er auf das Forum zurück und mußte feststellen, daß es wie leergefegt war. Glücklicherweise standen Saturninus und Glaucia noch mit ein paar anderen plaudernd auf der Rednerbühne. Glaucia war rot im Gesicht und wirkte ein wenig zerzaust. Alle rannten sofort los, als der Hilferuf erscholl, aber es war zu spät. Quintus Nonius und seine beiden Freunde lagen tot am Boden.
»Beim Pollux!« Glaucia stand auf, nachdem er sich vergewissert hatte, daß Quintus Nonius wirklich tot war. »Quintus Nonius ist doch gerade als Volkstribun gewählt worden, und ich leite diese Wahl.« Er runzelte die Stirn. »Lucius Appuleius, könntest du dafür sorgen, daß Quintus Nonius nach Hause getragen wird? Ich muß sofort zurück aufs Forum und sehen, wie ich das Problem mit der Wahl löse.«
Der Anblick von Quintus Nonius und seinen Freunden, wie sie tot in riesigen Blutlachen lagen, entsetzte die Männer, die den Hilferufen gefolgt waren, so sehr, daß ihre Wahrnehmung - auch die von Saturninus - getrübt war. Sie merkten nicht - auch Saturninus merkte es nicht -, daß Glaucias Stimme seltsam klang. Gaius Servilius Glaucia erstieg die leere rostra und verkündete vor verlassenem Forum, daß der neugewählte Volkstribun Quintus Nonius tot war. Dann kündigte er an, daß der Kandidat, der an elfter Stelle gewählt sei, für den Ermordeten nachrücken werde - und der Kandidat hieß Lucius Appuleius Saturninus.
»Es hat sich alles geklärt«, meinte Glaucia wenig später selbstzufrieden in Saturninus’ Haus. »Du bist jetzt der offiziell gewählte neue Volkstribun, du wirst den Platz von Quintus Nonius einnehmen.«
Seit den schrecklichen Ereignissen in Ostia, seiner damaligen Entlassung als Quästor, hatte Saturninus nicht mehr viele Skrupel, aber jetzt war er so schockiert, daß er Glaucia entgeistert anstarrte.
»Das ist nicht wahr!« rief er aus.
Glaucia rieb sich mit dem Zeigefinger die Nase und lächelte Saturninus an, ein grimmiges Lächeln. »Stell du keine Fragen, Lucius Appuleius, dann hörst du von mir keine Lügen.«
»Er war ein netter Kerl. Es ist eine Schande.«
»Ja, er war nett. So hatte er das Glück, als Toter zu enden. Er war der einzige, der in den Carinae lebte, und deshalb hat man ihn gewählt - im doppelten Sinne. Auf dem Palatin kann man so etwas nur schwer machen, dort sind nicht genug Leute auf den Straßen.«
Saturninus seufzte tief. Dann richtete er sich auf und schüttelte seine Verstimmung ab. »Du hast recht. Und ich bin drin. Ich danke dir für deine Hilfe, Gaius Servilius.«
»Nichts zu danken.«
Es dauerte eine ganze Weile, bis Gras über den Skandal gewachsen war. Es gab keine Anhaltspunkte, daß Saturninus etwas mit dem Mord zu tun hatte - schließlich bezeugten selbst die Freunde des toten Mannes, daß sowohl Saturninus als auch Glaucia zur Tatzeit auf dem unteren Teil des Forums gestanden hatten. Die Leute redeten. »Laß sie reden!« meinte Glaucia verächtlich. Und als der pontifex maximus Ahenobarbus forderte, die Wahl der Volkstribunen müsse wiederholt werden, kam er damit nicht durch. Glaucias Entscheidung, seine Art, diese besondere Krisensituation zu bewältigen, hatte einen Präzedenzfall geschaffen.
»Die Leute können sich die Münder zerfransen!« wiederholte Glaucia, diesmal im Senat. »Es gibt keinerlei Beweise für die Anschuldigung, Lucius Appuleius und ich hätten etwas mit dem Tod von Quintus Nonius zu tun. Ja, ich habe an die Stelle des toten Volkstribunen einen lebendigen gesetzt! Jeder Wahlleiter, der seine Aufgabe ernst nimmt, hätte dasselbe tun müssen! Ich habe gehandelt! Niemand kann bestreiten, daß Lucius Appuleius an elfter Stelle gewählt wurde. Lucius Appuleius als Nachfolger von Quintus Nonius zu ernennen, und zwar so schnell und unbürokratisch wie möglich, war nicht nur völlig logisch, sondern auch ein Gebot der Stunde. Jeder hier weiß, daß die gestern von mir einberufene contio der Plebs meine Entscheidung einstimmig begrüßt hat. Diese Diskussion, patres conscripti, ist nutzlos und überflüssig. Der Fall ist erledigt.«