Am ersten Tag im Dezember feierten Gaius Marius und Quintus Lutatius Catulus Caesar gemeinsam ihren Triumph. Marius’ Idee, einen gemeinsamen Triumphzug zu veranstalten, war ein Geniestreich, denn Catulus Caesar, der in seinem Triumphwagen hinter dem amtierenden Konsul herzuckelte, spielte ganz offenkundig die zweite Geige. Gaius Marius war der Held des Tages. Lucius Cornelius Sulla, der wie üblich den Triumphzug zusammengestellt hatte, brachte als besondere Attraktion einen Festwagen, auf dem dargestellt wurde, wie Marius die Soldaten aus Catulus Caesars Heer die fünfunddreißig kimbrischen Feldzeichen aufsammeln ließ - er selbst hatte schließlich schon genug in Gallien erobert.

Zum Abschluß fand eine Senatssitzung im Tempel des Jupiter Optimus Maximus statt. Leidenschaftlich berichtete Marius von seinen Taten: wie er den Soldaten aus Camerinum das Bürgerrecht verliehen hatte, wie er durch die Ansiedlung einer Soldatenkolonie in der Nähe der kleinen Stadt Eporedia das Tal der Salasser abgeriegelt hatte. Als er seine sechste Kandidatur für das Konsulat ankündigte, erntete er spöttisches Gelächter, bittere Protestrufe, lautes Stöhnen - und Jubelrufe. Die Jubelrufe übertönten alles. Marius wartete ab, bis sich der Tumult gelegt hatte, und gab dann bekannt, daß er seinen gesamten persönlichen Anteil an der Kriegsbeute für den Bau eines neuen Tempels zur Verehrung der soldatischen Tugenden Honos und Virtus zur Verfügung stellen werde. Der neue Tempel auf dem Kapitol sollte seine Siegeszeichen und die seines Heeres beherbergen. In der griechischen Stadt Olympia werde er einen weiteren Tempel für Honos und Virtus erbauen lassen.

Catulus Caesar sank das Herz bei dieser Rede, denn er wußte, daß er es seinem guten Ruf schuldig war, nun ebenfalls seinen Anteil an der Kriegsbeute für einen religiösen Zweck zur Verfügung zu stellen. Er konnte damit nicht sein eigenes Privatvermögen mehren - das zwar beträchtlich war, aber lange nicht so groß wie das von Marius.

Niemand war überrascht, als die Zenturiatkomitien Gaius Marius zum sechsten Mal zum Konsul wählten, und zwar zum ersten Konsul. Unumstritten war er jetzt nicht nur der Erste Mann in Rom, viele nannten ihn sogar den dritten Gründer Roms. Der erste Gründer war Romulus gewesen, der zweite Marcus Funus Camillus, der Italien vor dreihundert Jahren von den Galliern befreit hatte. Auch Gaius Marius hatte einen Ansturm der Barbaren zurückgedrängt - und sich damit den Titel des dritten Gründers verdient.

Ein paar Überraschungen brachte die Wahl doch noch: Quintus Caecilius Metellus Numidicus wurde nicht zum zweiten Konsul gewählt. Für Marius war die Wahl des zweiten Konsuls der entscheidende Punkt - und auch da setzte er sich durch. Er hatte sich deutlich für Lucius Valerius Flaccus ausgesprochen, und Lucius Valerius Flaccus wurde mit einer komfortablen Mehrheit gewählt. Flaccus hatte auf Lebenszeit ein wichtiges Priesteramt inne, er war flamen Martialis, Oberpriester des Mars. In diesem Amt war er zu einem stillen Mann geworden, fügsam und untergeben, der ideale Mitkonsul für den gebieterischen Gaius Marius.

Allgemein wurde erwartet, daß Gaius Servilius Glaucia zum Prätor gewählt würde. Er war Marius’ Kandidat, und Marius hatte großzügige Bestechungsgelder an die Wähler verteilt. Doch daß Glaucia die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnte und damit zum Stadtprätor gewählt wurde, dem ranghöchsten der sechs Prätoren, überraschte dann doch alle.

Kurz nach den Wahlen verkündete Quintus Lutatius Catulus Caesar öffentlich, daß er seinen persönlichen Anteil an der Kriegsbeute für religiöse Zwecke stiften werde. Erstens wolle er den Platz von Marcus Fulvius Flaccus’ ehemaligem Haus auf dem Palatin, gleich neben seinem eigenen Haus, kaufen. Dort solle ein prächtiger Säulengang entstehen, und er werde seine fünfunddreißig kimbrischen Feldzeichen aus der Schlacht bei Vercellae darin aufstellen. Zweitens wolle er auf dem Marsfeld der Göttin Fortuna einen Tempel errichten.

Als die neuen Volkstribunen am zehnten Tag im Dezember ihr Amt aufnahmen, fing der Spaß an. Lucius Appuleius Saturninus, der jetzt zum zweiten Mal Volkstribun war, beherrschte seine Kollegen vollkommen und nutzte geschickt die Angst, die seit dem Tod von Quintus Nonius umging, für seine Ziele in der Gesetzgebung aus. Öffentlich stritt er jegliche Beteiligung an dem Mord heftig ab, heimlich schürte er durch kleine Bemerkungen im privaten Kreis die Ängste seiner Kollegen. Die anderen Volkstribunen mußten sich fragen, ob sie nicht vielleicht wie Quintus Nonius enden würden, falls sie versuchten, seine Pläne zu durchkreuzen. Saturninus hatte freie Hand; weder Metellus Numidicus noch Catulus Caesar konnten auch nur einen einzigen Volkstribunen dazu bringen, in irgendeinem Fall ein Veto einzulegen.

Saturninus legte den ersten von zwei Gesetzentwürfen vor, mit denen die Zuteilung von staatlichen Ländereien an Veteranen der beiden Armeen, die gegen die Germanen gekämpft hatten, geregelt werden sollte. Es handelte sich ausschließlich um Gebiete in fremden Ländern, in Sizilien, Griechenland, Makedonien und auf dem africanischen Festland. Neu an dem Gesetzentwurf war eine Klausel, die Gaius Marius persönlich ermächtigte, drei italischen Legionären in jeder Veteranenkolonie das römische Bürgerrecht zu verleihen.

Im Senat regte sich erbitterter Widerstand.

»Dieser Mann«, wetterte Metellus Numidicus, »will nicht einmal seine römischen Soldaten begünstigen! Alle sollen zu gleichen Teilen mit Land versorgt werden - Römer, Latiner, Italiker. Ohne Unterschiede! Ich frage euch, Senatoren, was sollen wir von diesem Mann halten? Was kümmert diesen Mann Rom? Überhaupt nichts! Warum auch? Er ist kein Römer. Er ist Italiker. Und er bevorzugt seine eigenen Leute. Tausende von ihnen erhielten auf dem Schlachtfeld das Wahlrecht zugesprochen - während römische Soldaten dabeistehen und zuschauen mußten! Sie gingen leer aus. Aber was hätte man von einem Mann wie Gaius Marius anderes erwarten können?«

Marius erhob sich zur Antwort. Als er sich im Senat kein Gehör verschaffen konnte, verließ er die curia hostilia und ging hinaus auf die Rednerbühne, wo er sich direkt an die Besucher des Forums wandte. Manche waren entrüstet, aber trotz allem liebten sie ihn und hörten zu.

»Es gibt genug Land für alle!« schrie er. »Niemand kann mir vorwerfen, ich würde die Italiker bevorzugt behandeln! Hundert iugera für jeden Soldaten! Ach, warum so viel? höre ich euch fragen. Das hat einen einfachen Grund: Diese Siedler, ihr Volk von Rom, gehen in Länder, wo das Leben sehr viel härter ist als in unserem geliebten Italien. In schlechten Böden, bei widrigem Klima müssen sie säen und ernten. Um dort anständig leben zu können, brauchen sie mehr Land als in unserem geliebten Italien.«

»Hört euch das an!« kreischte Catulus Caesar von den Stufen vor dem Senatsgebäude. Seine Stimme überschlug sich fast. »Hört euch das an! So ist er! Nicht Rom! Italien! Italien, Italien, Italien, ich höre nur Italien! Er ist kein Römer. Rom ist ihm völlig gleichgültig!«

»Italien ist Rom!« donnerte Marius. »Das ist ein und dasselbe! Rom kann ohne Italien nicht leben, und umgekehrt genauso! Sind es nicht Römer ebenso wie Italiker, die ihr Leben Seite an Seite in den Legionen für Rom opfern? Wenn das stimmt - und wer wollte das bestreiten? -, warum sollte dann der eine Soldat etwas anderes sein als sein Kamerad neben ihm?«

»Italien!« schrie Catulus Caesar. »Immer nur Italien!«

»Unsinn!« brüllte Marius. »Die ersten Landzuteilungen gehen an römische, nicht an italische Soldaten! Sieht so die Bevorzugung der Italiker aus? Und warum sollen nicht drei der vielen tausend italischen Veteranen, die in die Kolonien gehen, das volle römische Bürgerrecht erhalten? Ich spreche von dreien, Volk von Rom! Nicht dreitausend Italiker, Volk von Rom! Nicht dreihundert Italiker, Volk von Rom! Nicht drei Dutzend, Volk von Rom! Drei einzelne Männer! Soviel wie ein Tropfen im Meer! Ein Bruchteil eines Tropfens im Meer!«

»Sie werden ein Tropfen Gift in diesem Meer von Menschen sein!« kreischte Catulus Caesar von der Senatstreppe.

»Der Gesetzentwurf sieht zwar vor, daß zuerst die römischen Soldaten ihr Land erhalten sollen. Wo aber steht geschrieben, daß die ersten Landzuteilungen auch die besten sind?« schrie Metellus Numidicus.

Trotz des heftigen Widerspruchs im Senat wurde das erste Gesetz zur Landreform durch Abstimmung in der Versammlung der Plebs beschlossen. Große Gebiete, die sich schon seit langem in staatlichem Besitz befanden und an römische Bürger verpachtet waren, die sich nie in den jeweiligen Ländern aufhielten, wurden neu verteilt.

Quintus Poppaedius Silo, inzwischen trotz seiner jungen Jahre Führer des mittelitalischen Volks der Marser, kam nach Rom, um die Debatten über die Landreform zu hören. Marcus Livius Drusus hatte ihn eingeladen, und so wohnte Silo in Drusus’ Haus.

»Dieses Thema, Rom gegen Italien, wird ziemlich hochgespielt, oder?« fragte Silo. Seines Wissens hatte Rom vorher noch nie darüber gestritten.

»In der Tat«, antwortete Drusus voller Ingrimm. »Mit der Zeit werden sich die Wogen glätten. Ich habe noch Hoffnung, Quintus Poppaedius.«

»Aber Gaius Marius kannst du dennoch nicht leiden?«

»Ich verabscheue diesen Mann. Trotzdem habe ich für ihn gestimmt«, sagte Drusus.

»Es ist erst vier Jahre her, daß wir in Arausio gekämpft haben.« Silo war nachdenklich geworden. »Ja, wahrscheinlich hast du recht, mit der Zeit wird sich der Aufruhr legen. Vor Arausio hatte ich noch Zweifel, ob es Gaius Marius überhaupt gelingen würde, seine italischen Truppen in den Kolonien unterzubringen.«

»Der Schlacht von Arausio ist es zu verdanken, daß die italischen Schuldsklaven freigelassen wurden«, sagte Drusus.

»Es macht mich froh, daß unsere Männer nicht umsonst gestorben sind. Aber dennoch - denk nur an Sizilien. Dort wurden die italischen Sklaven nicht freigelassen. Sie mußten sterben.«

»Ich krümme mich vor Scham, wenn ich an Sizilien denke.« Drusus errötete bei diesen Worten. »Das ist das Werk von zwei korrupten, selbstsüchtigen römischen Magistraten. Zwei erbärmlichen mentulae! Wenn alle so wären, Quintus Poppaedius, müßte man annehmen, daß auch Männer wie Metellus Numidicus oder Aemilius Scaurus fähig wären, sich ihre Finger mit Kornbetrügereien schmutzig zu machen.«

»Ja, du hast recht«, sagte Silo. »Dabei glauben sie immer noch, Marcus Livius, daß sie als Römer zum erlesensten Volk der Erde gehören - und daß kein Italiker es verdient, von diesem Volk adoptiert zu werden.«

»Adoptiert?«

»Ja, was sonst bedeutet die Verleihung des römischen Bürgerrechts? Ist das nicht eine Adoption in die Familie der Römer?«

Drusus seufzte. »Das stimmt schon. Der einzige Unterschied besteht im Namen. Durch die Verleihung des Bürgerrechts wird kein Italiker, kein Grieche zu einem Römer. Und im Laufe der Zeit wird sich zumindest der Senat immer hartnäckiger gegen eine wachsende Zahl solcher unechter Römer zur Wehr setzen.«

»Dann werden wir Italiker uns wohl selbst darum kümmern müssen, unechte Römer zu werden - mit oder ohne Zustimmung des Senats.«

 

Ein zweiter Gesetzentwurf zur Landreform folgte, darin ging es um die neuen Gebiete, die Rom im Laufe der Kriege gegen die Germanen erobert hatte. Der zweite Gesetzentwurf war sehr viel wichtiger als der erste, denn jetzt stand praktisch unerschlossenes Land zur Verteilung an, das weder Bauern noch Viehzüchter in größerem Umfang nutzten, das aber womöglich andere Reichtümer als Herden und Getreide bereithielt - Mineralien, Edelmetalle, Steinbrüche. Die Gebiete lagen alle in der westlichen Gallia Transalpina, in der Nähe von Narbo, Tolosa, Carcasso, in der mittleren Gallia Transalpina. Hinzu kam ein Gebiet in Hispania Citerior, wo es einen Aufstand gegeben hatte, als die Kimbern in das Gebiet am Fuß der Pyrenäen eingedrungen waren.

Viele adlige Gutsbesitzer und viele Unternehmen in Rom wollten gerne nach Gallia Transalpina expandieren. Mit dem Sieg über die Germanen sahen sie ihre Chance gekommen. Sie blickten erwartungsvoll auf ihre Patrone im Senat, die ihnen Zugang zu dem neuen ager publicus Galliae, dem neuen Gemeindeland in Gallien, verschaffen sollten. Die Wellen der Empörung schlugen so hoch wie zuvor nur in den schlimmsten Tagen der Gracchenzeit, als bekannt wurde, daß das meiste Land an Veteranen der Proletarierarmeen gehen sollte.

Der Widerstand im Senat wuchs, und ebenso der Widerstand der Ritter aus der Ersten Vermögensklasse. Die Ritter waren einst Marius’ bedeutendste Fürsprecher gewesen - jetzt fühlten sie sich um ihre Chancen als Landbesitzer in Gallia Transalpina betrogen und wurden zu Marius’ erbittertsten Feinden. Die Agenten von Metellus Numidicus und Catulus Caesar zogen überall ihre Kreise und flüsterten und flüsterten...

»Er verteilt das Eigentum des Staates, als ob ihm das Land und der Staat obendrein gehören würden«, hieß es erst hinter vorgehaltener Hand und bald in voller Lautstärke.

»Er will den ganzen Staat für sich! Warum hätte er sonst Konsul werden wollen, jetzt, wo der Krieg gegen die Germanen vorbei ist?«

»Noch nie hat Rom Legionäre mit Landzuweisungen unterstützt!«

»Die Italiker kriegen viel mehr, als sie verdienen!«

»Das Land der besiegten Feinde Roms steht ausschließlich Römern zu, nicht Latinern oder Italikern!«

»Jetzt fängt er mit dem ager publicus im Ausland an, aber es wird nicht lange dauern, bis er den ager publicus in Italien verteilt - und dann womöglich an die Italiker!«

»Er nennt sich dritter Gründer Roms, dabei will er König von Rom werden!«

Und so weiter, und so fort. Lauthals verkündete Marius seine Position auf der rostra und im Senat: Roms Provinzen müßten mit Kolonien einfacher Römer durchsetzt sein; ehemalige Legionäre seien brauchbare Besatzungstruppen; römische Ländereien im Ausland böten mehr Vorteile, wenn sie in den Händen vieler kleiner Grundbesitzer lägen als in den Händen weniger großer. Doch je mehr er donnerte, desto erbitterter wurde der Widerstand. Täglich schien sich mehr Ärger Luft zu machen, und statt abzuflauen, wuchs der Widerstand immer weiter. Bis sich schließlich, ganz allmählich, fast unmerklich die öffentliche Meinung über Saturninus’ zweites Ackergesetz änderte. Viele Politiker aus dem Volk - solche, die oft auf das Forum kamen, und einige aus dem sehr einflußreichen Ritterstand - zweifelten inzwischen, ob Marius auf dem richtigen Weg war. Denn solchen Widerstand hatte es noch nie gegeben.

»Wo viel Rauch ist, muß auch ein Feuer sein«, sagten sie, erst untereinander, und dann auch zu denen, die auf sie hörten, weil sie Politiker waren.

»Diesmal ist es nicht nur ein dummer Zank im Senat. Dazu ist der Streit zu erbittert.«

»Wenn ein Mann wie Quintus Caecilius Metellus Numidicus, der immerhin Zensor und Konsul war, und war er nicht sehr mutig als Zensor? - immer mehr Unterstützung findet, kann er nicht ganz unrecht haben.«

»Gestern habe ich gehört, wie ein Ritter, auf dessen Unterstützung Gaius Marius dringend angewiesen ist, öffentlich über ihn geschimpft hat! Gaius Marius hatte ihm Land in der Nähe von Tolosa versprochen, und jetzt wird es an die Veteranen verteilt.«

»Jemand hat mir erzählt, daß er gehört hat, wie Marius gesagt hat, er wolle persönlich jedem einzelnen Italiker das Bürgerrecht verleihen.«

»Das ist Marius’ sechste Amtszeit als Konsul - und die fünfte ohne Unterbrechung. Er soll neulich bei einem Gastmahl gesagt haben, daß er dieses Amt nie mehr aufgeben will! Er wird jedes Jahr kandidieren, bis er stirbt.«

»Eigentlich will er nämlich König von Rom werden!«

Allmählich zeigte die Flüsterkampagne von Metellus Numidicus und Catulus Caesar Wirkung. Und plötzlich waren sich sogar Glaucia und Saturninus nicht mehr sicher, daß das zweite Gesetz zur Landreform durchgehen würde.

 

»Ich muß das Land haben, unbedingt!« tobte Marius verzweifelt in Gegenwart von Julia, die seit Tagen geduldig darauf wartete, daß er die Lage mit ihr besprechen würde. Nicht weil sie neue Ideen zu bieten oder gute Nachrichten zu berichten hatte, sondern weil sie wußte, daß sie der einzige wahre Freund in seiner Nähe war. Sulla war nach dem Triumph nach Gallia Cisalpina zurückgeschickt worden, und Sertorius war nach Hispania Citerior gereist, um seine germanische Frau und sein Kind zu besuchen.

»Gaius Marius, ist es denn wirklich so wichtig?« fragte Julia. »Was macht es schon, wenn deine Soldaten ihr Land nicht bekommen? Noch nie haben römische Soldaten Land bekommen - das hat es noch nie in der Geschichte gegeben. Und sie können nicht sagen, du hättest es nicht wenigstens versucht.«

»Das verstehst du nicht«, sagte er ungeduldig. »Es geht nicht mehr nur um die Soldaten, es geht um meine dignitas, um meine Stellung im öffentlichen Leben. Wenn dieses Gesetz nicht durchkommt, bin ich nicht länger der Erste Mann in Rom.«

»Kann Lucius Appuleius dir nicht helfen?«

»Er versucht es, bei den Göttern, er versucht es! Aber statt Boden gutzumachen, verlieren wir immer mehr. Ich fühle mich wie Achilles, der nicht aus dem Fluß steigen kann, weil die Ufer immer weiter zurückweichen. Ich ziehe mich ein bißchen hoch und sinke dann doppelt so tief wieder ein. Die Gerüchte sind so unglaublich, Julia! Und ich kann sie nicht bekämpfen, weil niemals etwas offen gesagt wird. Wenn ich nur ein Zehntel der Dinge, die sie mir zuschreiben, getan hätte, wäre ich schon lange im Tartarus und müßte einen Felsblock den Berg hinaufrollen.«

»Ja, sicher, gegen solche Verleumdungskampagnen kann man nichts machen«, tröstete Julia. »Früher oder später werden die Gerüchte so grotesk, daß es allen wie Schuppen von den Augen fällt. Das wird auch in diesem Fall so sein. Sie haben dich umgebracht, aber sie stechen noch so lange auf dich ein, bis ganz Rom es nicht mehr mit ansehen kann. Das Volk ist schrecklich naiv und leichtgläubig, aber selbst die größte Naivität und Leichtgläubigkeit ist irgendwann überreizt. Das Gesetz kommt durch, Gaius Marius, da bin ich ganz sicher. Du darfst nur nicht zu sehr drängen. Besser, du wartest, bis die Stimmung wieder zu deinen Gunsten umschlägt.«

»Ja, es kann gut sein, daß das Gesetz durchkommt, genau wie du sagst, Julia. Aber was hindert den Senat, das Gesetz zu annullieren, sobald Lucius Appuleius aus dem Amt ist? Und was soll ich dann tun, wenn ich keinen so fähigen Volkstribunen mehr habe, der sich dem Senat so zäh widersetzt?« stöhnte Marius.

»Hm, ich verstehe.«

»Wirklich?«

»Ja, sicherlich. Ich bin eine Julius Caesar, mein Gatte, und das bedeutet, daß ich in meiner Kindheit tagtäglich politische Diskussionen mit angehört habe, auch wenn durch mein Geschlecht eine Karriere in der Politik von vornherein ausgeschlossen war.« Sie biß sich auf die Unterlippe. »Es ist ein großes Problem, nicht wahr? Ackergesetze lassen sich nicht von einem Tag auf den anderen vollziehen, es dauert ewig, bis sie durchgeführt sind. Jahre. Man muß das Land aussuchen, vermessen, aufteilen, die Männer finden, die als Siedler ausgelost wurden, Ausschüsse bilden, Ausschußmitglieder aussuchen - eine endlose Aufgabe.«

Marius grinste. »Du hast mit Gaius Julius gesprochen!«

»Stimmt. In der Tat, ich bin fast ein Experte.« Sie klopfte leicht auf den freien Platz an ihrer Seite. »Komm, mein Lieber, setz dich zu mir!«

»Ich kann nicht, Julia.«

»Gibt es keine Möglichkeit, die Gesetze abzusichern?«

Marius, der im Zimmer hin und her gelaufen war, hielt inne, wandte sich zu Julia und schaute sie scharf an. »An sich schon.«

»Welche denn?« drängte sie sanft.

»Gaius Servilius Glaucia hat sich das ausgedacht, und Lucius Appuleius ist ganz verrückt danach. So habe ich sie beide am Hals, beide wollen mich überreden, aber ich bin nicht so sicher.«

»Ist es so neuartig?« Julia kannte Glaucias Ruf.

»Völlig neuartig.«

»Bitte, Gaius Marius, erzähl es mir!«

Marius fühlte sich müde. Es wäre eine Erleichterung, einmal mit jemandem darüber zu sprechen, der dabei nicht seinen eigenen Vorteil im Sinn hatte. »Ich bin ein Mann des Militärs, Julia, und ich mag militärische Lösungen«, sagte er. »Wenn ich in der Armee einen Befehl ausgebe, weiß jeder, daß es der bestmögliche Befehl unter den gegebenen Umständen ist. Ohne Widerrede beeilt sich jeder, den Befehl auszuführen. Sie kennen mich schließlich, und sie vertrauen mir. Nun, dieses Gesindel in Rom kennt mich auch, und sie sollten Vertrauen zu mir haben! Aber was tun sie? Sie haben nur ihre eigenen Ideen im Kopf, die wollen sie durchsetzen, sie hören nicht einmal zu, wenn jemand andere Ideen hat, selbst wenn die besser sind. Dieser Haß im Senat! Und ständig diese dummen Zwischenrufe! Ich bin schon erschöpft, bevor ich überhaupt angefangen habe. Ich bin zu alt, ich werde mich nicht mehr ändern, und ich kann mich nicht mehr mit solchen Leuten abgeben, Julia. Das sind doch alles Idioten! Wenn sie weiter so tun, als hätte sich seit Scipio Africanus’ Kindheit nichts geändert, werden sie die Republik zugrunde richten. Meine Veteranensiedlungen sind eine so gute Idee!«

»Ja, gewiß.« sagte Julia, bemüht, ihre Bestürzung zu verbergen. Marius sah angegriffen aus in diesen Tagen, älter als er war, statt jünger. Er bekam einen Bauch, bisher war er immer schlank und muskulös gewesen. Aber jetzt mußte er ja dauernd in Versammlungen herumsitzen, statt sich unter freiem Himmel bewegen zu können. Sein Haar war ergraut und dünn geworden. Kriege führen bekam dem Körper eines Mannes sichtlich besser als Gesetze machen! »Gaius Marius, hör auf damit und erzähl mir, worum es geht!« beharrte sie.

»Dieser zweite Gesetzentwurf enthält eine zusätzliche Klausel, die sich Glaucia extra dafür ausgedacht hat.« Marius fing wieder an, im Zimmer hin und her zu laufen. Die Worte purzelten jetzt aus seinem Mund. »Wenn das Gesetz beschlossen ist, muß jeder Senator innerhalb von fünf Tagen einen Eid schwören, daß dieses Gesetz für immer gültig bleiben wird.«

Unwillkürlich schnappte Julia nach Luft, schlug die Hände vors Gesicht und blickte Marius entsetzt an. Dann sagte sie das stärkste Wort, das in ihrem Wortschatz vorkam: » Ecastor

»Das ist ein Schock, nicht wahr?«

»Oh, Gaius Marius, das werden sie dir nie verzeihen, wenn du diese Klausel in das Gesetz einfügst!«

»Meinst du, ich wüßte das nicht?« rief Marius aus. Hilflos streckte er die Hände zur Decke. »Aber was soll ich sonst tun? Ich muß das Land haben!«

Julia fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen »Du wirst noch viele Jahre im Senat sitzen«, sagte sie. »Kannst du nicht einfach weiter darum kämpfen, daß das Gesetz erhalten bleibt?«

»Weiterkämpfen? Wann soll das je aufhören?« fragte er. »Ich habe das Kämpfen satt, Julia!«

Mit gespieltem Spott versuchte Julia ihn aufzuheitern. »Pah! Gaius Marius hat das Kämpfen satt? Du hast dein Leben lang gekämpft!«

»Aber nicht diese Art von Kampf.« Marius suchte nach Worten. »Das ist ein schmutziger Kampf. Es gibt keine Regeln. Du weißt nicht einmal, wer - geschweige denn wo! - deine Feinde sind. Auf dem Schlachtfeld, jederzeit! Aber der Senat von Rom ist ein Bordell, dort findest du die gemeinsten Kreaturen, die niedrigsten Verhaltensweisen. In diesem Schleim krieche ich Tag für Tag! Ach Julia, glaube mir, ich würde lieber bis zum Hals in Blut auf dem Schlachtfeld waten! Und wenn jemand immer noch so naiv ist und glaubt, daß der Krieg mehr Menschenleben kostet als die politische Intrige, dann hat er verdient, was die Politik mit ihm macht.«

Julia stand auf und ging zu ihm. Sie zwang ihn stehenzubleiben und hielt seine beiden Hände fest. »Es fällt mir nicht leicht, das zu sagen, mein Geliebter, aber für einen Mann wie dich, der so geradeheraus spricht, ist die politische Bühne nicht der richtige Ort.«

»Wenn ich es bisher nicht gewußt habe, kann jetzt zumindest kein Zweifel mehr daran bestehen«, sagte Marius düster. »Wahrscheinlich wird es auf Glaucias verfluchte Spezialklausel mit dem Schwur hinauslaufen. Aber hat Publius Rutilius nicht recht, wenn er mich immer fragt, wo uns all diese neuartigen Gesetze hinführen werden? Setzen wir wirklich etwas Gutes an die Stelle von etwas Schlechtem? Oder machen wir alles nur noch schlechter?«

»Das kann nur die Zeit entscheiden«, erwiderte sie ruhig. »Was auch geschieht, Gaius Marius, vergiß nicht, daß es immer große Schwierigkeiten beim Regieren gibt, daß die Leute immer umherlaufen und mit düsterer Miene verkünden, dieses neue Gesetz oder jenes bedeute das Ende der Republik, Rom sei nicht mehr Rom und so weiter! Ich weiß aus meinen Büchern, daß Scipio Africanus das über Cato den Zensor gesagt hat! Und irgendein früherer Julius Caesar wird es sicherlich über Brutus gesagt haben, als der vor vielen hundert Jahren seine Söhne umbringen ließ! Die Republik ist unzerstörbar, das wissen alle, auch wenn sie lauthals das Ende der Republik beklagen. Das mußt du dir immer vor Augen halten.«

Ihr gesunder Menschenverstand beruhigte ihn schließlich. Befriedigt registrierte Julia, daß der Rotstich aus seinen Augen wich und die hektischen Flecken auf seiner Haut verblaßten. Es war höchste Zeit, das Thema zu wechseln, fand sie.

»Übrigens, mein Bruder Gaius Julius möchte dich gerne morgen sprechen. Ich habe die Gelegenheit am Schopfe gepackt und ihn mit Aurelia zum Abendessen eingeladen, wenn es dir recht ist.«

Marius ächzte. »Natürlich! Stimmt ja! Ich hatte es vergessen! Er wird nach Kerkena abreisen, um dort meine erste Veteranenkolonie anzusiedeln, so war’s doch?« Er ließ den Kopf in die Hände fallen, schüttelte Julias Umklammerung ab. »War es das? Bei den Göttern, mein Gedächtnis? Was ist bloß mit mir los, Julia?«

»Nichts«, tröstete sie. »Du brauchst Erholung, ein paar Wochen Abstand von Rom täten dir gut. Aber das ist natürlich im Moment nicht möglich. Wie wäre es, wenn wir statt dessen nach dem kleinen Marius schauten?«

Der kleine Marius, inzwischen fast neun Jahre alt, war sehr hübsch, ein Sohn, der seinen Eltern viel Freude machte: groß und kräftig gebaut, blond, mit einer römischen Nase, die auch seinem Vater gefiel, und er neigte eher körperlicher als geistiger Betätigung zu, was ebenfalls dem Vater entgegenkam. Daß er bisher das einzige Kind geblieben war, betrübte Julia sehr viel mehr als Marius. Nach zwei Fehlgeburten fürchtete sie, daß sie kein Kind mehr würde austragen können. Aber Marius war zufrieden mit seinem Sohn, ein Stammhalter reichte ihm.

Der Abend verlief sehr angenehm. Nur Gaius Julius Caesar, Aurelia und Aurelias Onkel Publius Rutilius Rufus waren geladen.

Nach dem nächsten Markttag in acht Tagen sollte Caesar nach Kerkena in der Provinz Africa abreisen. Sein Auftrag gefiel ihm, nur ein Umstand trübte seine gute Laune.

»Ich werde nicht in Rom sein, wenn mein erster Sohn auf die Welt kommt«, sagte er lächelnd.

»Aurelia, nein! Schon wieder?« stöhnte Rutilius Rufus. »Es wird wieder ein Mädchen, ihr werdet schon sehen - und wo wollt ihr eine weitere Mitgift herbekommen?«

»Ach was, Onkel Publius.« Ungerührt stopfte sich Aurelia einen Happen Hühnerfleisch in den Mund. »Erstens werden wir keine Mitgift für unsere Töchter brauchen. Gaius Julius’ Vater hat uns das Versprechen abgenommen, daß wir keine so hochnäsige Caesaren werden, die ihre Töchter vor dem anrüchigen Hauch des Geldadels fernhalten müssen. Wir sind fest entschlossen, unsere Töchter an furchtbar reiche, unbedeutende Würstchen vom Lande zu verheiraten.« Weitere Happen Hühnerfleisch verschwanden in Aurelias Mund. »Außerdem haben wir jetzt unsere beiden Mädchen. Jetzt sind die Jungen an der Reihe.«

»Alle auf einmal?« fragte Rutilius Rufus verschmitzt.

»Oh ja, ich hätte nichts gegen Zwillinge! Gibt es Zwillinge in der julianischen Familie?« fragte Aurelia ihre Schwägerin.

»Ich glaube schon«, sagte Julia mit einem nachdenklichen Stirnrunzeln. »Unser Onkel Sextus hatte mit Sicherheit Zwillinge, einer ist aber gestorben - und Caesar Strabo ist doch auch ein Zwilling, oder?«

»Stimmt, ist er«, grinste Rutilius Rufus. »Unser armer, junger, schielender Freund zieht Spitznamen geradezu magisch an, einer davon ist ›Vopiscus‹, der Überlebende von Zwillingen. Aber er hat einen neuen Spitznamen, habe ich gehört.«

Seine Stimme hatte einen spöttischen Unterton bekommen, alle lauschten gespannt. Marius stellte die Frage, die allen auf der Zunge lag: »Was für einen?«

»Ihm ist eine Fistel am Hinterteil gewachsen. Irgendein Witzbold meinte, er habe jetzt einen anderthalbfachen Hintern~ und hat ihn ›Sesquisculus‹ getauft«, sagte Rutilius Rufus.

Die gesamte Abendgesellschaft brach in schallendes Gelächter aus, auch die Frauen, in deren Gegenwart so eine milde Zote gerade noch erzählt werden durfte.

»Auch in Lucius Cornelius’ Familie könnten Zwillinge vorkommen.« Marius wischte sich die Augen.

»Wie meinst du das?« fragte Rutilius Rufus, der schon weiteren Tratsch witterte.

»Nun, ihr wißt doch alle - auch wenn Rom es nicht weiß -, daß er ein Jahr bei den Kimbern verbracht hat. Er hatte ein Frau, eine Cheruskerin namens Hermana, die hat ihm Zwillinge geboren, zwei Jungen.«

Julia wurde ernst. »Gefangen? Oder tot?« fragte sie.

»Beim Pollux, nein! Er hat sie zurück zu ihren eigenen Leuten nach Germanien gebracht, bevor er wieder zu mir gestoßen ist.«

»Ein ulkiger Vogel, dieser Lucius Cornelius«, sagte Rutilius Rufus nachdenklich. »Wohl nicht ganz richtig im Kopf.«

»Da hast du einmal unrecht, Publius Rutilius«, sagte Marius. »Keiner ist richtiger im Kopf als Lucius Cornelius. In der Tat, ich würde meinen, er ist der zukünftige Mann, was Rom angeht.«

Julia kicherte. »Wie der Blitz ist er nach Gallia Cisalpina gesaust, nach dem Triumph. Mutter und er streiten immer mehr, je älter sie werden.«

»Ja, das kann ich gut verstehen!« sagte Marius mutig. »Deine Mutter ist der einzige Mensch auf diesem Flecken Erde, der mich zu Tode erschrecken kann.«

»Eine wunderbare Frau, Marcia«, schwelgte Rutilius Rufus in Erinnerungen. Als sich alle Augen auf ihn richteten, beeilte er sich hinzuzufügen: »Zumindest, was das Aussehen betrifft. Früher.«

»Sie hat sich wirklich mächtig ins Zeug gelegt, um eine neue Frau für Lucius Cornelius zu finden«, sagte Caesar.

Rutilius Rufus verschluckte sich fast an einem Pflaumenkern. »Tja, zufällig war ich vor ein paar Tagen gerade bei Marcus Aemilius Scaurus zum Abendessen eingeladen«, sagte er und genoß sichtlich seine Unverschämtheit, »und wenn sie nicht schon mit jemand anderem verheiratet wäre, würde ich darauf wetten, daß Lucius Cornelius ganz allein eine Frau für sich gefunden hat.

»Nein!« Aurelia lehnte sich neugierig vor. »Ach komm, Onkel Publius, sag schon!«

»Die kleine Caecilia Metella Delmatica«, sagte Rutilius Rufus.

»Die Frau des princeps senatus höchstselbst?« quiekste Aurelia.

»Genau die. Lucius Cornelius warf ihr einen Blick zu, als sie ihm vorgestellt wurde, und sein Gesicht lief über und über rot an, roter noch als seine Haare. Wie ein begossener Pudel saß er da, das ganze Abendessen lang, und starrte sie an.«

»Nicht zu fassen!« sagte Marius.

»Aber genauso war es!« beharrte Rutilius Rufus. »Selbst Marcus Aemilius hat es bemerkt - er ist sowieso wie eine alternde Glucke mit ihrem einzigen Küken, was seine süße kleine Delmatica betrifft. So wurde sie nach dem Hauptgang ins Bett geschickt. Sie sah ziemlich enttäuscht aus. Und blickte scheu und voller Bewunderung zu Lucius Cornelius, als sie ging. Er hat seinen Wein verschüttet.«

»Solange er ihr seinen Saft nicht zwischen die Schenkel kippt«, sagte Marius grimmig.

»Oh, nein, nicht schon wieder ein Skandal!« rief Julia. »Lucius Cornelius kann sich nicht noch einen Skandal leisten. Gaius Marius, du mußt etwas tun!«

Auf Marius’ Gesicht erschien der typische Ausdruck, den alle Ehemänner bekommen, wenn ihre Frauen eine ganz und gar unmännliche und unmögliche Forderung an sie richten. »Mit Sicherheit nicht!«

»Warum denn nicht?« fragte Julia. Die Bitte schien ihr sehr vernünftig.

»Weil sich jeder Mann selbst um sein Privatleben kümmern muß - er würde sich schön bedanken, wenn ich meine Nase in seine Angelegenheiten stecke!«

Julia und Aurelia waren beide enttäuscht.

Wie immer mußte Caesar Frieden stiften. Er räusperte sich. »Nun, da Marcus Aemilius Scaurus so aussieht, als müßte man ihn in ungefähr tausend Jahren mit der Axt erschlagen, müssen wir uns wohl nicht allzu viele Sorgen um Lucius Cornelius und Delmatica machen. Meines Erachtens hat Mutter ihre Wahl schon getroffen; wie ich höre, ist Lucius Cornelius einverstanden, so werden wir wohl eine Einladung zur Hochzeit erhalten, sobald er aus Gallia Cisalpina zurück ist.«

»Wer?« fragte Rutilius Rufus. »Ich habe kein Sterbenswörtchen gehört!«

»Aelia, die einzige Tochter von Quintus Aelius Tubero.«

»Ist die nicht schon ein bißchen vertrocknet?« wandte Marius ein.

»Ende dreißig, so alt wie Lucius Cornelius«, gab Caesar gelassen zurück. »Er will anscheinend keine Kinder mehr, deshalb meinte Mutter, eine kinderlose Witwe sei das Beste für ihn. Und sie sieht immer noch gut aus.«

»Aus einer guten alten Familie«, fügte Rutilius Rufus hinzu. »Sehr reich!«

»Um so besser für Lucius Cornelius!« sagte Aurelia warm. »Ich kann mir nicht helfen, ich mag ihn einfach!«

»Das tun wir alle.« Marius blinzelte ihr zu. »Gaius Julius, macht dich das Eingeständnis dieser Zuneigung nicht eifersüchtig?«

»Ach, ich habe noch viel ernstere Rivalen, was Aurelias Gefühle betrifft, als solche patrizischen Erben«, grinste Caesar.

Julia blickte auf. »Wirklich? Wen denn?«

»Er heißt Lucius Decumius, ist ein schmuddeliger kleiner Mann um die Vierzig, mit dünnen Beinen und fettigem Haar. Außerdem riecht er penetrant nach Knoblauch«, sagte Caesar, während er sich die dicksten Rosinen aus dem Nachtisch aus Trockenfrüchten pickte. »Überall stehen seine prachtvollen Blumensträuße. Alle vier bis fünf Tage schickt er einen neuen Strauß vorbei. Und besucht meine Frau. Er freut sich so auf unser Baby, daß ich manchmal ins Grübeln komme.«

»Hör auf, Gaius Julius!« sagte Aurelia lachend.

»Wer ist er?« fragte Rutilius Rufus.

»Er ist Hausmeister oder so etwas Ähnliches bei der Bruderschaft an der Kreuzung, die Aurelia mietfrei beherbergen muß«, sagte Caesar.

»Lucius Decumius und ich haben eine Abmachung getroffen«, sagte Aurelia und schnappte sich dabei die Rosine, die sich Caesar gerade in den Mund stecken wollte.

»Was für eine Abmachung?« fragte Rutilius Rufus.

»Es geht darum, wo er seinen Beruf ausübt, nämlich überall, nur nicht in meiner Nachbarschaft.«

»Was für einen Beruf?«

»Er ist ein Mörder«, sagte Aurelia.

 

Als Saturninus das zweite Ackergesetz einbrachte, löste die Klausel, die von jedem Senator einen Eid verlangte, einen Sturm der Entrüstung auf dem Forum aus. Die Formel schlug ein wie ein Blitz des Jupiters, mehr noch, wie das verheerende Donnern der alten Götter, der wahren, gesichtslosen Götter, der numina. Nicht nur, daß jeder Senator den Eid schwören mußte, nein, der Schwur sollte nach Appuleius’ Gesetz auch nicht wie üblich im Tempel des Saturn abgelegt werden, sondern unter freiem Himmel, in dem nach oben offenen Tempel des Semo Sancus Dius Fidius auf dem unteren Quirinal. Nur eine Statue der Gaia Caecilia, der Gattin des Königs Tarquinius Priscus aus der Frühzeit von Rom, gab der Wohnstätte des gesichtslosen Gottes ohne Mythologie einen menschlichen Rahmen. Und nicht auf den Namen der großen Gottheiten des Kapitols sollte der Eid geschworen werden, sondern auf die kleinen, gesichtslosen numina, die wahren Götter Roms: auf die Di Penates Publici, die Hüter der öffentlichen Schätze und Vorräte, auf die Lares Praestites, die Hüter des Staates, und auf Vesta, die Hüterin des Herdes. Niemand wußte, wie diese Götter aussahen, wo sie herkamen, welches Geschlecht sie hatten, ob sie überhaupt ein Geschlecht hatten. Aber sie waren da. Und sie waren wichtig. Sie waren römisch. Sie waren die öffentlichen Vertreter der ganz privaten Götter, der Hausgötter, dieser wichtigsten römischen Tradition. Kein Römer konnte einen Eid auf den Namen dieser Götter je brechen, denn Auflösung seiner Familie, Untergang seines Hauses, Zerfall seines Besitzes wären die sichere Folge gewesen.

Aber Glaucia mit seinem unerschütterlichen Glauben an die Gesetze wollte nicht nur auf die namenlose Angst vor den namenlosen Göttern vertrauen. Er setzte eine menschliche Strafe fest, die verhindern sollte, daß sich ein Senator dem Eid entzog: Wasser und Feuer sollten in ganz Italien demjenigen verboten werden, der den Eid verweigerte, er müßte zwanzig Talente in Silber bezahlen und würde alle seine Bürgerrechte verlieren.

»Das Problem ist, daß wir noch nicht schnell genug waren und nicht weit genug gegangen sind«, sagte Metellus Numidicus zu Catulus Caesar, dem pontifex maximus Ahenobarbus, Metellus dem Ferkel, zu Scaurus, Lucius Cotta und seinem Onkel Marcus Cotta. »Das Volk ist noch nicht bereit, Gaius Marius fallen zu lassen. Das Gesetz wird in dieser Form durchkommen. Und wir werden schwören müssen.« Er zitterte. »Und wenn ich schwöre, muß ich mich an meinen Eid halten.«

»Dann darf dieses Gesetz nicht durchkommen«, sagte Ahenobarbus.

»Kein Volkstribun wird es wagen, sein Veto einzulegen«, sagte Marcus Cotta.

»Dann müssen wir eben mit religiösen Argumenten dagegen ankämpfen.« Scaurus warf Ahenobarbus vieldeutige Blicke zu. »Unsere Gegner haben die Religion ins Spiel gebracht, also gibt es keinen Grund, warum wir das nicht auch tun sollten.«

»Ich glaube, ich weiß schon, was du willst«, sagte Ahenobarbus.

»Nun, ich nicht«, sagte Lucius Cotta.

»Am Tag der Abstimmung über das Gesetz müssen die Auguren die göttlichen Zeichen prüfen, damit alle sicher sein können, daß die Versammlung nicht gegen göttliches Gesetz verstößt. Ja, und wir werden dafür sorgen, daß die Zeichen Unheil verheißen«, sagte Ahenobarbus. »Wir werden so lange unheilträchtige Zeichen sehen, bis einer unserer Volkstribunen den Mut findet, sein Veto aus religiösen Gründen einzulegen. Damit ist das Gesetz erledigt. Das Volk hat solche Dinge schnell satt.«

Der Plan wurde in die Tat umgesetzt. Die Auguren erklärten, die Zeichen würden Unheil verkünden. Unglücklicherweise war aber Lucius Appuleius Saturninus selbst Augur - eine kleine Entschädigung für die falschen Beschuldigungen in Ostia -, und Saturninus deutete die Zeichen ganz anders.

»Das ist ein Trick!« brüllte er die Plebejer auf dem Versammlungsplatz an. »Seht sie euch an! Alle sind sie Handlanger derer, die im Senat die Fäden ziehen! An den Zeichen ist nichts auszusetzen - auf diesem Wege soll die Macht des Volkes gebrochen werden! Wir wissen es alle: Der Senatsvorsitzende Scaurus, Metellus Numidicus und Catulus wollen unsere Soldaten um ihren gerechten Lohn bringen, dafür ist ihnen jedes Mittel recht. Und dies hier beweist, daß sie wirklich vor nichts zurückscheuen! Sie haben absichtlich den Willen der Götter mißdeutet!«

Das Volk glaubte Saturninus, der darüber hinaus so umsichtig gewesen war, seine Gladiatoren unter die Menge zu mischen. Als ein Volkstribun einen zaghaften Versuch machte, sein Veto einzulegen - die Zeichen seien unheilträchtig, er habe schon Donner gehört, ein Gesetz, das an diesem Tag verabschiedet würde, sei nefas, ein Sakrileg -, schlugen die Gladiatoren zu. Während Saturninus mit schallender Stimme verkündete, daß er dieses Veto nicht zulassen werde, rissen seine Muskelmänner den glücklosen Volkstribunen von der Rednerbühne, stießen ihn den Clivus Argentarius hinauf bis zu den Lautumiae und hielten ihn dort fest, bis die Versammlung aufgehoben war. Das zweite Landreformgesetz stand schließlich zur Abstimmung, und sämtliche Tribus stimmten dafür, denn die ungewöhnliche Schwurformel stachelte die Neugier der regelmäßigen Besucher des Forums an: Was würde passieren, wenn dieses Gesetz verabschiedet war? Wer würde es verhindern wollen? Wie würde der Senat reagieren? So etwas durfte man nicht verpassen! Das Volk wartete gespannt.

Am Tag nach der Verabschiedung des Gesetzes erhob sich Metellus Numidicus im Senat und kündigte feierlich an, daß er den Eid nicht schwören werde.

»Mein Gewissen, meine Prinzipien, ja mein ganzes Leben hängen an dieser Entscheidung!« rief er donnernd. »Ich werde die Strafe bezahlen, ich werde in die Verbannung nach Rhodos gehen. Denn ich werde nicht schwören. Hört ihr mich, Senatoren? Ich - werde - nicht - schwören! Ich könnte niemals etwas schwören, gegen das sich mein Innerstes so hartnäckig sträubt. Wann wird ein Eid zum Meineid? Was ist das schlimmere Verbrechen - den Eid schwören, ein Gesetz zu hüten, das ich grundsätzlich ablehne, oder einen solchen Eid nicht zu schwören? Diese Entscheidung müßt ihr alle für euch allein treffen. Meine Entscheidung ist gefallen. Der Schwur wäre das größere Verbrechen. So wisse, Lucius Appuleius Saturninus, und auch du, Gaius Marius: Ich - werde - nicht - schwören! Ich habe mich entschieden, die Strafe zu bezahlen und ins Exil zu gehen.«

Seine Rede machte großen Eindruck, denn alle Anwesenden spürten, daß es ihm ernst war. Marius’ Augenbrauen trafen sich über der Nase. Saturninus fletschte die Zähne. Ein Gemurmel hob an, Zweifel und Unzufriedenheit quälten, nagten und verschafften sich immer lauter Gehör.

»Sie wollen Schwierigkeiten machen«, flüsterte Glaucia, dessen Amtsschemel ganz nahe neben dem von Marius stand.

»Wenn ich die Versammlung nicht schließe, werden sich noch alle weigern, den Eid zu schwören«, murmelte Marius. Er erhob sich und entließ die Versammlung. »Ich möchte euch eindringlichst bitten, nach Hause zu gehen und drei Tage lang über die sehr ernsten Folgen nachzudenken, die es hätte, wenn ihr den Eid nicht schwört. Für Quintus Caecilius ist es leicht - er hat genug Geld, um die Strafe zu bezahlen und sich in der Verbannung behaglich einzurichten. Aber wie viele sonst von euch können das sagen? Geht nach Hause, Senatoren, und überlegt es euch gut. Ihr habt drei Tage Zeit. Am vierten Tage von heute an gerechnet wird sich der Senat wieder versammeln. Bis dahin müßt ihr euch entscheiden. Vergeßt nicht, daß das zweite Ackergesetz des Appuleius eine zeitliche Beschränkung enthält.«

So kannst du doch nicht mit ihnen reden! sagte sich Marius. Er lief unruhig in seinem großen, schönen Haus unterhalb des Tempels der Juno Moneta hin und her, Julia stand hilflos daneben. Selbst sein sonst so kecker Sohn hatte sich in seinem Spielzimmer versteckt.

So kannst du einfach nicht mit ihnen reden, Gaius Marius! Sie sind keine Soldaten. Sie sind noch nicht einmal untergeordnete Offiziere, auch wenn ich Konsul bin und sie größtenteils Hinterbänkler, die niemals wissen werden, wie sich ein Amtsstuhl aus Elfenbein unter ihren fetten Ärschen anfühlen würde. Alle, bis auf den letzten, glauben sie, sind mir gleichgestellt - mir, Gaius Marius, zum sechsten Male Konsul dieser Stadt, dieses Staates, dieses Weltreiches! Ich muß mit ihnen fertig werden, die Schande einer solchen Niederlage könnte ich nicht ertragen. Meine dignitas ist soviel größer als ihre, und wenn sie tausendmal das Gegenteil behaupten. Und meine Würde darf keinen Schaden nehmen. Ich bin der Erste Mann in Rom. Ich bin der dritte Gründer Roms. Und nach meinem Tod werden sie zugeben müssen, daß ich, Gaius Marius, der italische Bauer, der angeblich kein Griechisch kann, der größte Mann in der Geschichte der Republik war, in der Geschichte des Senats und des Volkes von Rom.

Nichts anderes konnte er denken während der drei Tage, die er den Senatoren als Bedenkzeit gegeben hatte, unaufhörlich kreisten seine Gedanken um den Verlust seiner dignitas, falls sein Gesetz nicht durchkommen sollte. Bei Anbruch des vierten Tages marschierte er mit festem Siegeswillen in die curia hostilia - über die Taktik, wie die konservative Senatorenclique ihn wohl zu schlagen versuchen würde, hatte er überhaupt nicht nachgedacht. Statt dessen legte er große Sorgfalt auf sein Aussehen, niemand sollte ihm ansehen, daß er drei Tage in seinem Haus auf und ab gelaufen war. Seine zwölf Liktoren zogen vor ihm her, als er die Straße der Geldverleiher hinunterschritt. Ihm war, als gehörte ihm die ganze Stadt.

Der Senat versammelte sich ungewöhnlich ruhig, kaum ein Stuhl wurde gerückt, kaum ein Hüsteln war zu hören, nur wenige Besucher flüsterten mit ihren Nachbarn. Das Opfer wurde dargebracht, die Auguren erklärten die Zeichen für günstig.

Marius erhob sich mit majestätischer Würde, er hatte jede Faser seines massigen Körpers unter Kontrolle. Wenn er auch keinen Gedanken auf die möglichen Strategien der konservativen Senatorenclique verschwendet hatte, so hatte er doch sein eigenes Vorgehen bis in die letzte Einzelheit geplant. Das Selbstvertrauen stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben.

»Auch ich habe viel nachgedacht in den letzten drei Tagen, eingeschriebene Väter«, begann er. Seine Augen waren auf einen Punkt irgendwo zwischen den Senatoren gerichtet. Er schaute niemandem direkt ins Gesicht, weder freundlich noch feindselig. Ohnehin hätte niemand sagen können, wo Marius hinschaute, denn nur aus nächster Nähe gaben seine buschigen Augenbrauen den Blick in seine Augen frei. Die linke Hand steckte er in den vorderen Saum seiner Toga, dort, wo sie in vielen wohlgeordneten Falten von seiner linken Schulter bis auf die Knöchel fiel. So trat er von dem Podium, wo die Amtsschemel standen, in den Versammlungsraum hinunter. »Eines ist offensichtlich.« Er machte ein paar Schritte und hielt dann inne. »Wenn dieses Gesetz gültig wird, müssen wir alle schwören, daß wir uns daran halten werden.« Er machte noch ein paar Schritte. »Wenn dieses Gesetz gültig wird, müssen wir alle den Schwur ablegen.« Er ging zu den Türen und wandte sich um, so daß er beide Seiten des Senats überblicken konnte. »Aber ist es gültig?« fragte er laut.

Die Frage fiel in eine atemlose Stille.

»Das war’s!« flüsterte der Senatsvorsitzende Scaurus zu Metellus Numidicus. »Er ist erledigt! Jetzt hat er sich selbst den Todesstoß versetzt!«

Marius, der auf der anderen Seite an den Türen stand, konnte es nicht hören. So hielt er nicht inne, um sein Vorgehen noch einmal zu überdenken, sondern fuhr ohne Zögern fort. »Einige von euch bestehen darauf, daß ein Gesetz nicht gültig sein kann, das unter solchen Umständen beschlossen wurde wie die lex Appuleia agraria secunda. Zwei Gründe sprechen scheinbar dagegen - erstens wurde es bei unheilträchtigen Zeichen beschlossen, zweitens wurde es beschlossen, obwohl Gewalt gegen die unantastbare Person eines rechtmäßig gewählten Volkstribunen angewendet worden war.«

Er ging zwischen den Stuhlreihen entlang und blieb stehen. »Die Zukunft des Gesetzes ist sicherlich ungewiß. Die Versammlung der Plebs wird das Gesetz im Lichte dieser Einwände auf seine Gültigkeit hin überprüfen müssen.« Er machte einen kleinen Schritt, blieb stehen. »Aber das, eingeschriebene Väter, ist heute nicht unser Problem. Die Gültigkeit des Gesetzes per se ist nicht unsere Hauptsorge. Unser Problem ist dringlicher.« Noch ein kleiner Schritt. »Das Gesetz, um das es geht, schreibt uns vor, einen Schwur darauf zu leisten, daß wir es einhalten werden. Darüber müssen wir heute sprechen. Heute ist der letzte Tag, an dem wir schwören können, daß wir uns an dieses Gesetz halten werden. Vordringlich ist die Frage des Schwurs. Und am heutigen Tage ist das Gesetz gültig, um das es hier geht. Also müssen wir schworen.«

Er machte ein paar hastige Schritte, stieß fast an das Podium, drehte sich um und schritt langsam zu den Türen, dort wandte er sich wieder beiden Seiten des Senats zu. »Heute, Senatoren, werden wir alle einen Eid ablegen. Der unmißverständliche Wille des Volkes von Rom schreibt es uns vor. Das Volk von Rom macht die Gesetze! Wir, die Senatoren, sind nur seine Diener. Darum - schwören wir. Es darf uns nichts ausmachen, Senatoren! Wenn irgendwann in der Zukunft die Versammlung der Plebs das Gesetz überprüft und für ungültig erklärt, sind wir von unserem Schwur wieder entbunden.« Seine Stimme klang siegesgewiß. »Das müssen wir begreifen! Jeder Schwur auf ein Gesetz bleibt nur so lange bindend, wie das Gesetz Gesetz bleibt. Wenn das Volk beschließt, das Gesetz zu annullieren, ist auch unser Schwur nicht mehr bindend.«

Scaurus, der Senatsvorsitzende, nickte vielsagend, gleichmäßig hob und senkte er den Kopf. Für Marius sah es so aus, als würde er jedem seiner Worte zustimmen. Aber Scaurus nickte aus einem anderen Grund so vielsagend und gleichmäßig. Während er mit dem Kopf nickte, sprach er leise zu Metellus Numidicus. »Wir haben ihn, Quintus Caecilius! Wir haben ihn endlich! Er muß klein beigeben. Er hat es nicht durchgehalten. Wir haben ihn gezwungen, vor dem ganzen Senat zuzugeben, daß es Zweifel gibt, ob Appuleius’ Gesetz gültig ist. Wir haben den schlauen Fuchs aus Arpinum in der Falle!«

Marius war in Hochstimmung, weil er ganz sicher glaubte, den Senat hinter sich zu haben. So schritt er in großem Ernst zurück zum Podium, stieg hinauf und stand vor seinem mit Einlegearbeiten aus Elfenbein verzierten Amtsschemel. Er kam zum Schluß. »Ich werde als erster den Eid ablegen«, sagte er, ganz die Stimme der Vernunft. »Und wenn ich, Gaius Marius, euer erster Konsul der letzten vier Jahre und länger, bereit bin zu schwören, warum sollte einer von euch es nicht können? Der Tempel des Semo Sancus Dius Fidius steht uns offen. Es ist kein weiter Weg! Kommt, wer geht mit mir?«

Ein Seufzen war zu hören, leises Gemurmel, Stühlerücken. Die Senatoren erwachten aus ihrer Erstarrung. Die ersten Hinterbänkler erhoben sich langsam von ihren Stühlen.

»Eine Frage, Gaius Marius«, sagte Scaurus.

Es wurde wieder still im Senat. Marius nickte.

»Ich wüßte gerne deine persönliche Meinung, Gaius Marius. Nicht deine offizielle Meinung. Einfach deine persönliche Meinung.«

»Wenn dir etwas an meiner persönlichen Meinung liegt, Marcus Aemilius, sollst du sie natürlich erfahren. Worum geht es?« sagte Marius.

»Was denkst du persönlich?« fragte Scaurus. Seine Stimme war bis in den letzten Winkel des Raumes zu vernehmen. »Ist das zweite Ackergesetz des Appuleius gültig oder nicht?«

Stille. Totenstille. Alle hielten den Atem an. Auch Gaius Marius. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, in den gähnenden Abgrund zu blicken, an dessen Rand ihn seine vorschnelle Siegesgewißheit geführt hatte, er konnte gar nicht atmen.

»Soll ich die Frage wiederholen, Gaius Marius?« fragte Scaurus zuckersüß.

Marius führ sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen. Wohin gehen, was tun? Jetzt bist du ausgerutscht, Gaius Marius. In eine Grube gefallen, aus der du nicht mehr herausklettern kannst. Warum habe ich nicht vorausgesehen, daß diese Frage kommen mußte? Daß der einzige hier, der ein Gehirn im Kopf hat, sie stellen mußte? Hat mich auf einmal meine eigene Schlauheit geblendet? Die Frage mußte kommen! Und ich habe nicht ein einziges Mal daran gedacht. Nicht ein einziges Mal in diesen drei ewig langen Tagen.

Nun, ich habe keine Wahl. Scaurus hat mich am Schwanz gepackt, und ich muß nach seiner Pfeife tanzen. Er hat mich zur Strecke gebracht. Weil ich keine Wahl habe. Jetzt stehe ich hier und muß diesem hohen Haus erzählen, daß ich persönlich das Gesetz für ungültig halte. Sonst wird keiner schwören. Ich habe sie glauben gemacht, daß es Zweifel an der Gültigkeit gibt. Ich habe angedeutet, daß deshalb der Schwur leicht fallen müßte. Wenn ich einen Rückzieher mache, habe ich sie verloren. Aber wenn ich sage, daß ich persönlich das Gesetz für ungültig halte, bin ich verloren.

Er schaute zu den Bänken der Volkstribunen. Lucius Appuleius Saturninus saß da mit vorgebeugtem Oberkörper, zusammengeballten Händen, das Gesicht erstarrt, der Mund ein gerader Strich.

Wenn ich sage, daß ich das Gesetz für ungültig halte, werde ich diesen Mann verlieren, der so wichtig für mich ist. Und ich werde den Mann verlieren, der die besten Gesetze entwirft, die es in Rom je gegeben hat, Glaucia... Zusammen hätten wir ganz Italien in Ordnung bringen können, und wenn die konservative Clique sich noch so schlaue Untaten hätte einfallen lassen. Aber wenn ich sage, daß ich ihr Gesetz für ungültig halte, habe ich sie für immer verloren. Und doch - trotz allem - ich muß es sagen. Wenn ich es nicht sage, werden diese fellatores den Eid nicht schwören, und meine Soldaten werden ihr Land nicht bekommen. Das ist alles, was ich aus diesem Schlamassel retten kann. Das Land für meine Männer. Ich bin verloren. Denn ich habe verloren.

Als die Füße von Glaucias Elfenbeinstuhl über den Marmorboden kratzten, sprang fast die Hälfte der Senatoren auf. Glaucia betrachtete seine Nägel, mit zusammengekniffenen Lippen, ausdruckslosem Gesicht. Aber das Schweigen dauerte an, unendlich lang.

»Ich wiederhole besser meine Frage noch einmal, Gaius Marius«, sagte Scaurus. »Was denkst du persönlich? Ist dieses Gesetz gültig oder ungültig?«

»Ich meine«, Marius hielt inne, runzelte heftig die Stirn, »meine persönliche Meinung ist, daß das Gesetz ungültig sein könnte«, sagte er.

Scaurus schlug sich vernehmlich auf die Schenkel. »Danke, Gaius Marius!« Er erhob sich, wandte sich strahlend zuerst den vorderen Reihen zu, dann den Reihen gegenüber. »Nun, eingeschriebene Väter, wenn kein Geringerer als unser siegreicher Held Gaius Marius das Gesetz des Appuleius für ungültig hält, bin ich für meinen Teil gerne bereit, den Eid zu schwören.« Er verneigte sich zu Saturninus und Glaucia. »Kommt, Mitsenatoren, als euer Senatsvorsitzender schlage ich vor, daß wir alle sofort zum Tempel des Semo Sancus eilen!«

»Halt!«

Alle blieben stehen. Metellus Numidicus klatschte in die Hände. Aus der obersten Reihe, von ganz hinten, kam schwerbeladen ein Sklave, in jeder Hand einen Sack. Die Säcke waren so schwer, daß er sie über die sechs Fuß breiten Stufen schleifen mußte. Mit einem lauten Schlag fielen sie von Stufe zu Stufe. Als der Diener mit den beiden Säcken bei Metellus Numidicus angelangt war, stieg er die Treppen wieder empor und schleppte noch einmal zwei Säcke herbei. Mehrere Senatoren auf den hinteren Bänken bemerkten die Säcke, die noch an der Wand aufgetürmt waren, und winkten ihre Diener zu Hilfe. So ging die Arbeit schneller voran, bis schließlich vierzig Säcke um den Stuhl von Metellus Numidicus aufgehäuft waren. Metellus Numidicus erhob sich.

»Ich werde den Eid nicht schwören«, sagte er. »Und wenn der erste Konsul tausend- und abertausendmal versichert, daß die lex Appuleia ungültig ist, ich werde dennoch nicht schwören! Das sind zwanzig Talente in Silber, meine Strafe. Außerdem erkläre ich, daß ich morgen in der Dämmerung nach Rhodos ins Exil aufbrechen werde.«

Alle brüllten durcheinander.

»Ruhe! Ruhe! Ruhe!« schrie Scaurus, ebenso Marius.

Als wieder Ruhe eingekehrt war, blickte Metellus Numidicus sich um und sprach über die Schulter ein paar Worte zu jemandem auf der hinteren Bank. »Quästor des Schatzamtes, bitte tritt vor«, sagte er.

Ein recht gutaussehender junger Mann trat vor, mit braunen Augen und braunem Haar; seine weiße Toga glänzte, jede Falte saß perfekt. Es war Quintus Caecilius Metellus das Ferkel, der Sohn von Metellus Numidicus Schweinebacke.

»Quästor des Schatzamtes, ich vertraue dir diese zwanzig Talente Silber zur Aufbewahrung an. Damit ist meine Strafe dafür bezahlt, daß ich mich weigere, den Eid auf das zweite Ackergesetz des Appuleius zu schwören«, sagte Metellus Numidicus. »Da jedoch der Senat noch versammelt ist, verlange ich, daß das Geld gezählt wird. So können die eingeschriebenen Väter sicher sein, daß nicht ein Denar der vorgeschriebenen Summe fehlt.«

»Wir verlassen uns auf dein Wort, Quintus Caecilius«, sagte Marius mit eiskaltem Lächeln.

»Nein, ich bestehe darauf!« erwiderte Metellus Numidicus. »Niemand wird sich aus der Curia entfernen, bevor das Geld nicht bis auf die letzte Münze gezählt ist.« Er hustete. »Insgesamt müßten es einhundertfünfunddreißigtausend denarii sein.«

Alle setzten sich seufzend. Zwei Senatsdiener brachten einen Tisch herbei und stellten ihn vor den Platz von Metellus Numidicus. Der stand aufrecht vor dem Tisch, die linke Hand in die Toga gesteckt, die rechte leicht auf den Tisch gestützt. Die Diener öffneten einen der Säcke, hoben ihn gemeinsam hoch und ließen den Inhalt in glitzernden, klirrenden Haufen neben Metellus Numidicus’ Hand rieseln. Der junge Metellus bedeutete den Dienern, den leeren Sack mit der Öffnung nach oben rechts neben ihn zu halten. Er faßte mit der rechten Hand den Tischrand. Mit der Linken zählte er die Münzen auf dem Tisch, ordnete sie zu kleinen Türmchen und schob diese in den Sack. »Warte!« sagte Metellus Numidicus. Metellus das Ferkel hielt inne. »Zähle laut, Quästor!« Ein Seufzen, ein schauerliches Stöhnen ging durch die Reihen.

Metellus das Ferkel legte alle Münzen zurück auf den Tisch und fing noch einmal an. »Ei-ei-eins... z-z-zwei... d-d-drei...«

Bei Sonnenuntergang erhob sich Gaius Marius von seinem Amtsschemel. »Der Tag geht zu Ende, eingeschriebene Väter. Unser Tagewerk ist noch nicht getan, aber nach Sonnenuntergang gibt es keine offiziellen Versammlungen mehr in diesem Haus. Deshalb schlage ich vor, daß wir jetzt zum Tempel des Semo Sancus gehen und unseren Eid schwören. Das muß vor Mitternacht geschehen, sonst mißachten wir einen Befehl des Volkes.« Er blickte hinüber zu Metellus Numidicus, der immer noch neben seinem Sohn stand. Der junge Metellus plagte sich weiterhin mit dem Geldzählen - es würde noch lange dauern, obwohl sein Stottern sehr viel besser geworden war, seit seine Nervosität sich gelegt hatte.

»Marcus Aemilius Scaurus, als Senatsvorsitzender ist es deine Pflicht, hier zu bleiben und diese langwierige Aufgabe bis zum Schluß zu überwachen. Das erwarte ich von dir. Und ich erteile dir hiermit die Erlaubnis, deinen Eid morgen zu schwören. Oder übermorgen, falls das Zählen morgen noch nicht beendet ist.« Ein leises Lächeln spielte um Marius’ Mundwinkel.

Scaurus lächelte nicht. Er warf den Kopf zurück und lachte, lachte schallend und konnte gar nicht mehr aufhören.