Aurelia lag in der dicht verhängten Sänfte, die sie von Onkel Publius’ Haus zu dem ihrer Eltern zurückbrachte. Sie lag bequem auf dem Bauch und dachte an den jungen Gaius Julius Caesar, während die Sänfte sich schaukelnd hinauf- und hinunterbewegte. Wie wundervoll er war, wie vollkommen! Würde er sie heiraten wollen? Was würde Cornelia, die Mutter der Gracchen, denken?

Cardixa, die mit ihrer Herrin in der Sänfte saß, lehnte aufrecht in einer Ecke und hielt eine Kerze, die von einem dünnen Alabasterschirm geschützt war. Im dämmerigen Licht betrachtete sie neugierig ihre seltsam verwandelte Herrin - nie zuvor hatte sie Aurelia so erlebt. Der sonst so straffe Körper räkelte sich entspannt, die Lippen waren nicht so fest zusammengepreßt, und die sahneweißen Augenlider verbargen, was in den Augen lag. Da Cardixa einen überaus scharfen Verstand besaß, wußte sie genau, wer für diese Veränderung verantwortlich war - dieser unglaublich gutaussehende junge Mann, den Publius Rutilius fast wie einen Hauptgang serviert hatte. Was für ein schlauer alter Fuchs! Sei’s drum - der junge Gaius Julius Caesar war ein außergewöhnlicher Mann, genau der Richtige für Aurelia. Cardixa spürte das mit jeder Faser ihres Körpers.

Was immer Cornelia, die Mutter der Gracchen, getan hätte, Aurelia jedenfalls wußte genau, was sie tun wollte, als sie am nächsten Morgen aufstand. Als erstes schickte sie Cardixa mit einer Botschaft für den jungen Mann zum Haus des Gaius Julius Caesar. Die Mitteilung bestand nur aus einem Satz: »Halte um meine Hand an.«

Danach unternahm sie vorläufig nichts, blieb in ihrem Arbeitszimmer und zeigte sich während der gemeinsamen Mahlzeiten so unbefangen wie möglich. Sie war sich der Verwandlung bewußt, die mit ihr vorging, und wollte nicht, daß ihre aufmerksamen Eltern Verdacht schöpften, bevor sie ihren nächsten Zug machte.

Am folgenden Tag wartete sie, bis Marcus Cotta die Besprechungen mit seinen Klienten beendet hatte. Da Cottas Sekretär ihr gesagt hatte, daß keine Senatssitzungen stattfanden und auch keine Besucher angemeldet waren, ließ sie sich Zeit, denn Cotta würde bestimmt für eine oder zwei Stunden zu Hause bleiben, nachdem der letzte Klient gegangen war.

»Vater?«

Cotta schaute von den Papieren auf seinem Schreibtisch auf. »Ah, heute ist der Vater an der Reihe, hin? Komm herein, meine Tochter, komm nur herein.« Er schenkte ihr ein warmes Lächeln. »Möchtest du, daß deine Mutter auch bei unserem Gespräch dabei ist?«

»Ja, bitte.«

»Dann hole sie.«

Sie ging und kehrte wenige Minuten später mit Rutilia zurück.

»Setzt euch, meine Damen«, sagte Cotta.

Sie nahmen nebeneinander auf einer Liege Platz. »Nun, Aurelia?«

»Haben sich neue Bewerber um meine Hand gemeldet?« begann sie unvermittelt.

»Ja, in der Tat. Der junge Gaius Julius Caesar suchte mich gestern auf und hielt um dich an. Da ich nichts gegen ihn einzuwenden hatte, setzte ich ihn auf die Liste. Damit sind wir bei achtunddreißig.« Aurelia errötete. Cotta starrte sie fasziniert an - seit er sie kannte, hatte er noch nie erlebt, daß sie die Fassung verlor. Rutilia wandte sich auf der Liege ihrer Tochter zu und war ebenso erstaunt wie ihr Gatte.

»Ich habe mich entschieden«, sagte Aurelia.

»Ausgezeichnet! Wer ist der Glückliche?« rief Cotta.

»Der junge Gaius Julius Caesar.«

»Was?« fragte Cotta verblüfft.

»Wer?« fragte Rutilia gleichfalls verblüfft.

»Der junge Gaius Julius Caesar«, wiederholte Aurelia geduldig.

»Das letzte Pferd, das ins Rennen ging«, meinte Cotta amüsiert.

»Von meinem Bruder ins Rennen geschickt«, ergänzte Rutilia. »Ihr Götter, er ist wirklich schlau! Wie konnte er das nur wissen?«

»Er ist ein bemerkenswerter Mann«, erwiderte Cotta. Dann wandte er sich an seine Stieftochter. »Du hast Gaius Julius Caesar vorgestern im Haus deines Onkels getroffen. Zum ersten Mal?«

»Ja.«

»Und du willst ihn heiraten?«

»Ja.«

»Mein Liebes, er ist ein vergleichsweise armer Mann«, sagte ihre Mutter. »Wenn du ihn heiratest, wird dein Leben nicht sehr luxuriös sein.«

»Man heiratet nicht, um im Luxus zu leben.«

»Ich bin froh, daß du dir darüber im klaren bist, mein Kind. Ich hätte ihn mir jedenfalls nicht ausgesucht«, meinte Cotta nicht gerade begeistert.

»Warum nicht, Vater?« fragte Aurelia.

»Seine Familie ist seltsam. Zu - zu unkonventionell. Und sie ist eng mit Gaius Marius verbunden, einem Mann, den ich verabscheue«, antwortete Cotta.

»Onkel Publius mag Gaius Marius«, erwiderte Aurelia.

»Dein Onkel Publius ist manchmal ein wenig fehlgeleitet«, gab Cotta grimmig zurück. »Er ist immerhin nicht so verrückt, im Senat gegen seine eigene Klasse zu stimmen, nur um Gaius Marius zu unterstützen. Was man von diesem Zweig der Julier nicht behaupten kann! Dein Onkel Publius und Gaius Marius waren jahrelang zusammen in der Armee. Das verbindet natürlich. Wogegen der alte Gaius Julius Caesar diesen Gaius Marius regelrecht in seine Familie geholt hat, und er hat seine ganze Familie dazu erzogen, daß sie ihn schätzt.«

»Hat Sextus Julius nicht vor kurzem eine Tochter der Claudier geheiratet?« fragte Rutilia.

»Ja, ich glaube schon.«

»Nun, das ist doch eine untadelige Verbindung. Vielleicht sind die Söhne nicht so eng mit Gaius Marius verbunden, wie du annimmst.«

»Gaius Marius ist mit diesem Zweig der Claudier verschwägert, Rutilia.«

Aurelia unterbrach das Gespräch. »Vater und Mutter, ihr habt die Wahl mir überlassen. Ich werde Gaius Julius Caesar heiraten. Das ist alles, was es dazu zu sagen gibt.«

Cotta und Rutilia begriffen: Die kühle, vernünftige Aurelia hatte sich verliebt.

»Das ist richtig«, sagte Cotta. Er konnte nur das Beste daraus machen. »Nun, hinaus mit euch!« Er gab seiner Frau und seiner Nichte ein Zeichen, sich zu entfernen. »Ich muß siebenunddreißig Briefe schreiben lassen. Und ich sollte Gaius Julius aufsuchen. Vater und Sohn.«

Der Brief, den Marcus Aurelius Cotta von seinen Schreibern vervielfältigen ließ, lautete folgendermaßen:

Nach sorgfältigen Erwägungen habe ich beschlossen, meiner Nichte und meinem Mündel Aurelia die Erlaubnis zu geben, sich ihren Gatten selbst auszuwählen. Meine Frau, Aurelias Mutter, hat zugestimmt. Hiermit gebe ich bekannt, daß Aurelia ihre Entscheidung getroffen hat. Sie wird Gaius Julius Caesar heiraten, den jüngeren Sohn des Senators Gaius Julius Caesar. Ich bin sicher, Du schließt dich den Glückwünschen für das junge Paar an.

 

Cottas Sekretär schaute ihn mit großen Augen an.

»Na los, sitz nicht so herum, mach dich an die Arbeit!« wetterte Cotta in schroffem Ton - für diesen sonst so ausgeglichenen Mann recht ungewöhnlich. »In einer Stunde möchte ich siebenunddreißig Abschriften davon, eine für jeden Mann auf dieser Liste.« Er schob die Liste über den Tisch. »Ich werde sie persönlich unterschreiben, und dann müssen sie sofort von Boten verteilt werden.«

Der Sekretär machte sich an die Arbeit, doch der Klatsch eilte den schriftlichen Nachrichten wie immer weit voraus. Aurelias Wahl war eindeutig von Gefühlen bestimmt und nicht vom Verstand, und das nahm man ihr übel. Irgendwie wurde ihre Entscheidung dadurch noch unverzeihlicher. Die abgewiesenen Bewerber um ihre Hand grollten, weil der jüngere Sohn eines unbedeutenden Hinterbänklers aus dem Senat sie aus dem Rennen geworfen hatte, mochte die Reihe seiner Vorfahren auch noch so illuster sein. Außerdem sah der glückliche Auserwählte viel zu gut aus, und man vertrat allgemein den Standpunkt, daß dies ein unfairer Vorteil sei.

Nachdem sie sich von ihrem ersten Schreck erholt hatte, hieß Rutilia die Wahl ihrer Tochter gut. »Oh, denk nur an die Kinder, die sie haben wird!« schwärmte sie Cotta vor, während ein Diener ihm die Toga mit den Purpurstreifen für den Besuch bei Julius Caesar anlegte. »Wenn du einmal nicht an das Geld denkst, ist es eine äußerst vorteilhafte Partie für eine Aurelia und erst recht für eine Rutilia. Die Julier gehören zu den allerbesten Familien.«

»Davon wird man aber nicht satt«, knurrte Cotta.

»Ach, komm schon, Marcus Aurelius, so schlimm ist es doch gar nicht! Die Verbindung mit Gaius Marius hat das Vermögen der Julier um einiges vermehrt und wird es in Zukunft sicher noch weiter vermehren. Ich sehe keinen Grund, warum der junge Gaius Julius nicht Konsul werden sollte - ich habe gehört, er sei sehr begabt und höchst intelligent.«

»Das glaube ich erst, wenn ich es sehe«, zweifelte Cotta und machte sich auf den Weg zu Caesars Haus, das in einem etwas weniger vornehmen Viertel auf dem Palatin lag. Im Schmuck seiner Toga war er eine eindrucksvolle Erscheinung, nur seine Gesichtsfarbe war ein wenig zu lebhaft, wie bei allen aus dem Geschlecht des Aurelius Cotta. Die Mitglieder dieser Familie wurden meist nicht sehr alt, weil sie mit einer Neigung zu Schlaganfällen erblich belastet waren.

Der junge Gaius Julius Caesar war nicht zu Hause, und so bat Cotta darum, zu dem alten Caesar geführt zu werden. Er wunderte sich über das ernste Gesicht, das der Diener aufsetzte.

»Wenn du mich bitte entschuldigen würdest, Marcus Aurelius, ich werde nachschauen«, sagte der Diener. »Gaius Julius geht es gar nicht gut.«

Cotta hatte noch nichts von Julius Cäsars Erkrankung gehört, doch jetzt fiel ihm ein, daß der alte Mann schon einige Zeit nicht mehr im Senat erschienen war. »Ich werde warten«, sagte er.

Der Diener kam schnell zurück. »Gaius Julius wird dich empfangen«, meldete er und führte Cotta zum Arbeitszimmer des Hausherrn. »Ich sollte dich darauf vorbereiten, daß er sehr schlecht aussieht, geradezu erschreckend.«

Cotta war froh über die Warnung, denn so konnte er gerade noch sein Entsetzen verbergen, als er nach der Hand mit den knochigen Fingern griff, die ihm Caesar mit größter Anstrengung zur Begrüßung entgegenstreckte.

»Marcus Aurelius, es ist mir eine Freude«, begrüßte ihn Caesar. »Setz dich doch, bitte! Es tut mir leid, daß ich mich nicht erheben kann, aber mein Diener hat dir bestimmt mitgeteilt, daß es mir nicht gutgeht.« Ein kaum erkennbares Lächeln spielte um die feinen Lippen. »Eine Beschönigung. Ich sterbe.«

»Aber, aber, wer wird denn gleich an so etwas denken«, sagte Cotta unbehaglich. Er setzte sich auf die Kante eines Stuhles, seine Nasenflügel zuckten - ein seltsamer Geruch hing im Raum, unangenehm.

»Oh doch. Ich habe ein Geschwür in meiner Kehle. Athenodorus Siculus hat das heute morgen bestätigt.«

»Es schmerzt mich, das zu hören, Gaius Julius. Wir werden dich im Senat sehr vermissen, besonders mein Schwager Publius Rutilius.«

»Er ist ein treuer Freund.« Caesars rotgeränderte Augen blinzelten müde. »Ich glaube, ich weiß, warum du hier bist, Marcus Aurelius, aber bitte, sprich selbst.«

»Wie du vielleicht gehört hast, gab es sehr viele Bewerber um die Hand meiner Nichte Aurelia, darunter sehr einflußreiche Männer.

Als die Liste immer länger wurde, mußte ich befürchten, daß jede Entscheidung meinen Söhnen mehr Feinde als Freunde schaffen würde. So beschloß ich, Aurelia die Erlaubnis zu geben, ihren Gatten selbst auszuwählen. Vor zwei Tagen traf sie deinen Sohn im Hause von Publius Rutilius, und heute hat sie mir eröffnet, daß ihre Wahl auf Gaius Julius gefallen ist.«

»Und das gefällt dir ebensowenig wie mir«, sagte Caesar.

»Richtig.« Cotta seufzte und zuckte mit den Schultern. »Aber ich habe mein Wort gegeben, und ich werde dazu stehen.«

»Ich habe meinem Sohn vor Jahren die gleiche Erlaubnis gegeben«, meinte Caesar lächelnd. »Wir sollten übereinkommen, das Beste daraus zu machen, und hoffen, daß unsere Kinder mehr Verstand haben als wir.«

»Ich gebe dir vollkommen recht.«

»Du wirst natürlich wissen wollen, wie es um die finanziellen Verhältnisse meines Sohnes bestellt ist.«

»Er hat sie mir geschildert, als er um Aurelias Hand anhielt.«

»Vielleicht war er nicht mitteilsam genug. Es steht mehr als genug Land zur Verfügung, um seinen Platz im Senat zu sichern. Darüber hinaus im Moment leider nichts«, sagte Caesar. »Ich bin leider nicht in der Lage, ein zweites Haus in Rom zu kaufen, und da liegt das Problem. Dieses Haus wird an meinen älteren Sohn Sextus übergehen, der kürzlich geheiratet hat und mit seiner jungen Frau hier lebt. Sie erwartet inzwischen ihr erstes Kind. Ich habe nicht mehr lange zu leben, Marcus Aurelius. Nach meinem Tod wird Sextus der pater familias sein, und das bedeutet, daß mein jüngerer Sohn bis zu seiner Hochzeit ein eigenes Haus finden muß.«

»Dir ist sicher bekannt, daß Aurelia eine hohe Mitgift in die Ehe bringt«, sagte Cotta. »Es wäre vermutlich das Vernünftigste, wenn wir ihre Mitgift in ein Haus investierten.« Er räusperte sich. »Von ihrem Vater, meinem Bruder, hat sie eine große Summe geerbt, die für etliche Jahre angelegt wurde, und bis heute sind trotz der Schwankungen des Marktes hundert Talente daraus geworden. Vierzig Talente sollten genug sein, um ein schönes Anwesen auf dem Palatin oder in den Carinae zu kaufen. Natürlich würde das Haus auf den Namen deines Sohnes eingetragen werden, aber bei einer Scheidung müßte dein Sohn den Kaufpreis zurückzahlen. Und einmal abgesehen von einer Scheidung - Aurelia würde auf ihrem Namen eine Summe zur Verfügung haben, die sicherstellt, daß sie nie in Not kommt.«

Caesar starrte vor sich hin. »Der Gedanke, daß mein Sohn in einem Haus leben wird, das vom Geld seiner Frau gekauft wurde, gefällt mir nicht«, krächzte er. »Es wäre eine Zumutung für ihn. Nein, Marcus Aurelius, wir brauchen eine Lösung, die Aurelias Geld besser schützt als der Erwerb eines Hauses, das ihr nicht gehören wird. Für hundert Talente kann man ein ansehnliches Mietshaus auf dem Esquilin kaufen. Es wird für sie gekauft und auf ihren Namen eingetragen. Das junge Paar könnte dort in einem ebenerdigen Appartement mietfrei wohnen, und deine Nichte würde ein Einkommen aus der Vermietung der anderen Wohnungen beziehen, das größer wäre als die Erträge aus Investitionen. Mein Sohn wird aus eigener Kraft das Geld für ein Haus verdienen müssen, und das wird seiner Entschlußkraft und seinem Ehrgeiz förderlich sein.«

»Ich würde Aurelia nie erlauben, in einer insula zu leben!« widersprach Cotta entgeistert. »Nein, ich werde vierzig Talente von der Mitgift abzweigen für ein Haus und die anderen sechzig Talente sicher anlegen.«

»Eine insula, auf ihren Namen«, beharrte Caesar. Er keuchte, hustete und beugte sich um Atem ringend nach vorn.

Cotta goß Wein in einen Becher, drückte ihn in Caesars Hand und half ihm, den Becher an die Lippen zu führen.

»Vielleicht sollten wir ein anderes Mal weiterreden«, sagte Cotta.

»Nein, laß uns das jetzt ausfechten, Marcus Aurelius. Wir beide stimmen überein, daß diese Verbindung nicht das ist, was wir für unsere Kinder erhofft hatten. Nun gut, wir sollten es ihnen nicht zu einfach machen. Sie sollen lernen, daß die Liebe ihren Preis hat. Wenn die beiden wirklich zusammengehören, können Entbehrungen das Band zwischen ihnen nur festigen. Wenn sie nicht füreinander bestimmt sind, werden die Entbehrungen den Bruch beschleunigen. Wir werden sicherstellen, daß Aurelias gesamte Mitgift ihr Eigentum bleibt, und wir werden den Stolz meines Sohnes nicht mehr verletzen als unbedingt notwendig. Eine insula, Marcus Aurelius! Sie muß von bester Qualität sein, also sorge dafür, daß die Männer, die sie für dich besichtigen, vertrauenswürdig sind. Und«, fuhr er mit ersterbender Stimme mühsam fort, »sei nicht zu wählerisch, wenn es um die Lage geht. Rom wächst schnell. Heute gibt es noch mehr billige Wohnungen als besser ausgestattete und teurere, aber wenn wieder schlechtere Zeiten kommen, werden die Aufsteiger, die sich die teuren Wohnungen genommen haben, abrutschen. Für billige Wohnungen wird es immer genug Mieter geben.«

»Ihr Götter, und dann ist meine Nichte eine gewöhnliche Vermieterin!« rief Cotta. Allein der Gedanke empörte ihn.

»Und warum nicht?« fragte Caesar mit einem müden Lächeln. »Ich habe gehört, sie sei eine außergewöhnliche Schönheit. Paßt das nicht gut zusammen? Wenn es nicht zusammenpaßt, sollte sie sich die Heirat mit meinem Sohn vielleicht noch einmal überlegen.«

»Es stimmt, sie ist außergewöhnlich schön«, bestätigte Cotta und lächelte, als ginge ihm gerade ein belustigender Gedanke durch den Kopf. »Ich werde sie hierherbringen, damit du sie kennenlernst, und dann kannst du dir dein eigenes Bild machen.«

Er stand auf und beugte sich vor, um behutsam auf die schmalen Schultern des alten Mannes zu klopfen. »Mein letztes Wort: Aurelia soll entscheiden, was mit ihrer Mitgift geschieht. Du wirst ihr von der insula erzählen, und ich werde ihr vorschlagen, ein Haus zu kaufen. Einverstanden?«

»Einverstanden«, antwortete Caesar. »Aber bring sie bald. Morgen nachmittag.«

»Wirst du deinem Sohn von unserem Gespräch erzählen?«

»Natürlich. Er soll sie morgen abholen.«

Unter normalen Umständen zögerte Aurelia nicht lange bei der Wahl ihrer Kleidung, sie liebte leuchtende Farben und kombinierte sie gerne, und sie entschied ebenso schnell und ohne Umstände wie in allen anderen Dingen. Nachdem sie jedoch erfahren hatte, daß ihr Verlobter sie zu einem Besuch bei ihren zukünftigen Schwiegereltern abholen würde, zauderte sie. Schließlich wählte sie ein kirschfarbenes Unterkleid aus feiner Wolle, über das sie einen Überwurf aus rosenfarbener Wolle legte, fein genug, das Unterkleid durchschimmern zu lassen. Darüber legte sie einen zweiten Überwurf, hellrosa und so fein wie ihr Hochzeitsschleier. Sie nahm ein Bad und parfümierte sich mit Rosenduft, doch das Haar wurde wie immer in einem schmucklosen Knoten zusammengefaßt, und den Vorschlag ihrer Mutter, ein wenig Rouge und stibium aufzulegen, lehnte sie ab.

»Du bist zu blaß heute«, meinte Rutilia besorgt. »Das ist die Aufregung. Komm, versuche, so gut wie möglich auszusehen, bitte! Nur einen Hauch Rouge auf die Wangen und eine zarte Linie um die Augen.«

»Nein«, sagte Aurelia entschieden.

Ihre Blässe spielte ohnehin keine Rolle, denn als der junge Gaius Julius Caesar kam, um sie abzuholen, nahm Aurelias Gesicht so viel Farbe an, wie ihre Mutter nur wünschen konnte.

»Gaius Julius«, sagte Aurelia und streckte ihm die Hand entgegen.

»Aurelia«, erwiderte er und nahm ihre Hand in seine.

Dann waren sie beide verlegen und wußten nicht, was sie tun sollten.

»Na, geht schon, auf Wiedersehen!« sagte Rutilia gereizt. Es war ein seltsames Gefühl, das erste Kind an diesen ungemein gutaussehenden jungen Mann zu verlieren, wo sie sich selbst noch wie achtzehn fühlte.

Das Paar verließ das Haus, Cardixa und die beiden Gallier folgten ihnen.

»Ich sollte dich darauf vorbereiten, daß es meinem Vater nicht gut geht«, begann der junge Caesar, sichtlich um Fassung bemüht. »Er hat ein bösartiges Geschwür in seiner Kehle, und wir fürchten alle, daß er nicht mehr lange unter uns sein wird.«

»Oh«, sagte Aurelia.

Sie bogen um eine Ecke. »Als ich deine Nachricht erhielt«, sagte er, »suchte ich auf der Stelle Marcus Aurelius auf. Ich kann kaum glauben, daß du mich gewählt hast!«

»Ich kann kaum glauben, daß ich dich gefunden habe«, erwiderte sie.

»Meinst du, daß Publius Rutilius das absichtlich arrangiert hat?«

Aurelia mußte lächeln. »Ganz bestimmt.«

Sie gingen die Straße hinunter und bogen wieder um eine Ecke. »Ich habe den Eindruck, du bist nicht sehr gesprächig«, bemühte sich der junge Caesar erneut, das Gespräch in Gang zu halten.

»Nein.«

Und das war ihre ganze Unterhaltung, bis sie zum Haus von Caesars Familie kamen.

Ein Blick auf die Braut seines Sohnes zerstreute Caesars Bedenken. Das war keine verwöhnte, anspruchsvolle Schönheit! Oh, was er gehört hatte, traf vollkommen zu, sie war außergewöhnlich schön, doch nicht in der üblichen Weise. Das, dachte er, war vermutlich der Grund, warum ihr nur der Zusatz »außergewöhnlich« gerecht wurde. Was für wundervolle Kinder sie haben würden! Kinder, die er nicht mehr sehen würde.

»Setz dich, Aurelia.« Seine Stimme war kaum hörbar, deshalb deutete er auf einen Stuhl neben sich, der ein Stück nach vorne gerückt war, so daß er sie ansehen konnte. Sein Sohn setzte sich auf seine andere Seite.

»Was hat Marcus Aurelius dir von unserem Gespräch erzählt?« fragte er.

»Nichts«, erwiderte Aurelia.

Caesar berichtete ihr von der Unterredung, die Cotta und er über die Verwendung ihrer Mitgift geführt hatten. Dabei machte er aus ihrer beider Einstellung zu der Hochzeit kein Hehl.

»Dein Onkel und Vormund will dir die Entscheidung überlassen. Möchtest du lieber ein eigenes Haus oder ein Mietshaus?«

Was würde Cornelia, die Mutter der Gracchen, tun? Diesmal fand Aurelia die Antwort ohne langes Überlegen: Cornelia, die Mutter der Gracchen, würde sich für den ehrenhaften Weg entscheiden, egal wie hart er wäre. Nur ging es in ihrem Fall um die Ehre von zwei Personen, die ihres Liebsten und ihre eigene. Ein eigenes Anwesen wäre die bequemere und ihr vertrautere Lösung, aber es würde die Gefühle ihres Liebsten verletzen, wenn er in einem Haus wohnen mußte, das vom Geld seiner Frau gekauft worden war.

Sie wandte ihren Blick von Caesar ab und schaute seinen Sohn an. »Was wäre dir lieber?« fragte sie ihn.

»Es ist deine Entscheidung, Aurelia.«

»Nein, Gaius Julius, du mußt entscheiden. Ich werde deine Frau sein. Ich möchte eine Ehefrau sein, die weiß, was sich gehört, und die ihren Platz kennt. Du wirst der Herr des Hauses sein. Dafür, daß ich dir diesen Platz einräume, erwarte ich nur, daß du ehrlich zu mir bist und mich ehrenhaft behandelst. Die Entscheidung darüber, wo wir leben werden, liegt bei dir. Ich werde sie anerkennen, in Worten wie in Taten.«

»Dann werden wir Marcus Aurelius bitten, ein Mietshaus zu suchen und es auf deinen Namen eintragen zu lassen«, erwiderte der junge Caesar, ohne zu zögern. »Es muß das lohnendste und beste Mietshaus sein, das er finden kann. Ich stimme meinem Vater zu - es ist nicht wichtig, wo es liegt. Die Mieteinnahmen gehören dir. Wir werden in einer der ebenerdigen Wohnungen leben, bis ich in der Lage bin, uns ein eigenes Haus zu kaufen. Von dem Geld, das ich aus meinen Ländereien beziehe, werden wir und unsere Kinder leben. Das bedeutet, daß du die volle Verantwortung für das Mietshaus trägst, ich werde nichts damit zu tun haben.«

Sie war mit seiner Entscheidung einverstanden, das war deutlich sichtbar, doch sie sagte nichts.

»Du bist nicht sehr gesprächig«, meinte Caesar verwundert.

»Nein«, sagte Aurelia.

Cotta machte sich tatkräftig auf die Suche nach einem geeigneten Mietshaus, er wollte unbedingt ein behagliches Haus in einer der besseren Gegenden Roms finden. Doch so sorgfältig er auch suchte, das beste Angebot war und blieb ein ziemlich großes Mietshaus in der Subura. Obwohl es schon vor dreißig Jahren erbaut worden war, befand es sich in gutem Zustand, denn da es der Bauherr selbst bewohnen wollte, hatte er beim Bau auf solide Arbeit geachtet. Cotta, Aurelia und der junge Caesar besichtigten das Mietshaus, nachdem sie sich bereits eine ganze Reihe anderer Objekte angesehen hatten. Inzwischen kannten sie alle Maklersprüche. Dieser hier war ein kleiner, sehr beredter Mann, von unzweifelhaft römischer Abstammung - die angesehene Maklerfirma von Thorius Postumus beschäftigte keine freigelassenen Griechen!

»Beachtet, daß die Wände innen und außen verputzt sind«, redete er auf sie ein, »es ist nirgendwo ein Riß zu sehen, die Fundamente sind so fest wie der Griff eines Geizhalses um seinen letzten Goldbarren... Acht Läden, langfristig vermietet, kein Ärger mit den Mietern oder mit den Zahlungen... Zwei ebenerdige Wohnungen, die zwei Stockwerke hoch sind... Nur zwei Wohnungen im darüberliegenden Geschoß, acht Wohnungen pro Geschoß bis zum sechsten Stockwerk, zwölf Wohnungen im siebten Stockwerk, zwölf im achten... Über den Läden befinden sich ebenfalls Wohnräume... In den Schlafkammern im Erdgeschoß zusätzlicher Stauraum in falschen Zimmerdecken...«

Endlos pries er die Vorzüge des Mietshauses. Nach einer Welle hörte Aurelia ihm nicht mehr zu, sondern konzentrierte sich auf ihre eigenen Gedanken. Onkel Marcus und Gaius Julius sollten zuhören und aufpassen. Dies war eine Welt, die sie nicht kannte, doch sie war entschlossen, sie zu meistern, und wenn das bedeutete, daß sie sich an einen neuen Lebensstil gewöhnen müßte, würde sie die Herausforderung annehmen.

Natürlich plagten sie auch Ängste, es war nicht gerade einfach, sich in zwei neue Lebensweisen auf einmal zu stürzen - in das Leben einer Ehefrau und in das Leben einer Vermieterin. Und doch entdeckte sie eine Furchtlosigkeit in sich, die aus einem Gefühl der Freiheit erwuchs, an das sie sich noch nicht ganz gewöhnt hatte. Ihre Kindheit war mit Lernen und kleinen Beschäftigungen ausgefüllt gewesen, und weil sie nicht wußte, daß es auch anderes gab, hatte sie sich nie gelangweilt. Doch als ihre Heirat näherrückte, hatte sie immer öfter darüber nachgedacht, was sie mit ihrer Zeit anfangen würde, falls sie nicht so viele Kinder haben sollte wie Cornelia, die Mutter der Gracchen - die meisten römischen Frauen aus dem Adel wollten gar nicht mehr als zwei Kinder. Von Natur aus war Aurelia energisch und praktisch veranlagt, aber bei ihrer gesellschaftlichen Stellung hatte sie kaum Gelegenheit, diese Eigenschaften zu nutzen. Jetzt war sie auf dem Wege, eine Vermieterin und Ehefrau zu werden, und sie war klug genug zu erkennen, daß zumindest das erstere ihr Gelegenheit bot, ihre praktischen Seiten zu nutzen. Interessante und anregende Arbeit wartete auf sie.

Sie sah sich mit glänzenden Augen um, malte sich aus, wie es sein würde, und schmiedete bereits Pläne.

Die beiden ebenerdigen Wohnungen waren unterschiedlich groß, denn der frühere Besitzer hatte seine eigene Wohnung so bequem wie möglich angelegt. Dennoch war die Wohnung im Vergleich zum Anwesen der Cottas auf dem Palatin sehr klein. Tatsächlich war das Haus der Cottas größer als die Grundfläche des gesamten Mietshauses, einschließlich der Läden, der Taverne an der Kreuzung und der beiden ebenerdigen Wohnungen.

Obwohl im Eßzimmer kaum drei Liegen Platz hatten - das mindeste, was man erwarten durfte -, wirkte es durch seine Höhe luftig, ebenso das Arbeitszimmer. Die Zwischenwand zwischen den beiden Räumen war mehr eine Unterteilung und reichte nicht ganz bis zur Decke. So drangen Licht und frische Luft vom Luftschacht in beide Zimmer. Das Wohnzimmer konnte eigentlich kaum als Atrium bezeichnet werden, doch es hatte einen schönen Terrazzoboden und geschmackvoll gestaltete Wände. In der Mitte standen zwei Säulen aus Holz, das so bearbeitet war, daß es wie farbiger Marmor wirkte. Drei der üblichen fensterlosen Schlafkammern schlossen an das Wohnzimmer an, zwei weitere, darunter ein größeres, an das Arbeitszimmer. Es gab ein kleines Zimmer, das Aurelia für sich selbst nutzen würde, den kleinen Raum daneben konnte Cardixa haben. Am meisten freute sich Aurelia jedoch darüber, daß die Wohnung ein eigenes Bad und eine eigene Latrine besaß - denn, so erklärte der Makler voller Stolz, die insula war an einen der größten Abwasserkanäle Roms und an die Frischwasserzuleitung angeschlossen.

»Es gibt noch eine öffentliche Latrine gegenüber auf der Subura Minor, und die öffentlichen Bäder sind gleich daneben«, führte der Makler weiter aus. »Wasser ist kein Problem. Das Haus liegt genau auf der richtigen Höhe - niedrig genug für die Frischwasserzuleitung, aber hoch genug, daß der Rückstau vom Abwasserkanal nicht bis hierher reicht, wenn der Tiber Hochwasser führt. Das Rohr, das das Haus mit den Hauptrohren verbindet, ist größer als heutzutage üblich - die meisten neuen Häuser erhalten ja inzwischen gar keinen Anschluß mehr! Natürlich nutzte der frühere Besitzer die Wasser- und Abwasserversorgung für sich selbst, die Mieter sind mit der öffentlichen Latrine und den Bädern gegenüber gut versorgt.«

Aurelia hörte aufmerksam und erleichtert zu, denn sie hatte schon gehört, daß die Mietshäuser üblicherweise weder Frischwasser noch Abwasserleitungen besaßen. Die Aussicht, kein eigenes Bad und keine eigene Toilette zu haben, hatte sie bestürzt und einen düsteren Schatten auf ihr neues Leben als Vermieterin geworfen. Keines der Mietshäuser, die sie bisher besichtigt hatten, war mit Wasserleitungen ausgestattet gewesen, obwohl sie alle in besseren Bezirken lagen. Wenn Aurelia vorher noch geschwankt hatte, ob dieses Haus das richtige war - jetzt zweifelte sie nicht mehr.

»Wieviel Miete wirft es ab?« fragte Caesar.

»Zehn Talente im Jahr - eine viertel Million Sesterze.«

»Gut, sehr gut!« nickte Cotta.

»Die Instandhaltungskosten sind niedrig, weil der Bauherr auf beste Qualität geachtet hat«, sagte der Makler. »Deshalb wird es auch stets genügend Mieter geben. So häufig kommt es vor, daß Mietshäuser einstürzen oder bei einem Feuer brennen wie Zunder. Aber dieses hier nicht! Außerdem grenzen zwei Seiten an Straßen, die dritte an einen breiteren Durchgang, und das bedeutet, daß es nicht schnell Feuer fängt, wenn es in der Nachbarschaft brennt. Ja, dieses Haus ist so solide wie ein Schiff von Granius. Darauf gebe ich mein Wort.«

Cotta, Caesar und Aurelia waren zu Fuß gekommen, da man in dem Gewimmel auf den Straßen der Subura mit einer Sänfte nicht vom Fleck kam. Zu Aurelias Schutz hatte Cotta die beiden Gallier mitgenommen, doch diese Vorsichtsmaßnahme erwies sich als überflüssig. Zur Mittagszeit war es hell, und die Menschen schienen viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als daß sie die schöne Aurelia belästigt hätten.

»Was meinst du?« fragte Cotta sie, als sie die Fauces Suburae Richtung Argiletum hinuntergingen, um das untere Ende des Forum Romanum zu überqueren.

»Oh, Onkel, es ist ideal!« sagte sie, dann wandte sie sich um und sah Caesar an. »Bist du auch der Meinung, Gaius Julius?«

»Ich denke, es ist genau das Richtige für uns«, sagte er.

Cotta war einverstanden. »Gut, dann werde ich heute nachmittag den Kaufvertrag abschließen. Für fünfundneunzig Talente ist es ein gutes Geschäft, wenn nicht sogar ein Gelegenheitskauf. Und ihr habt fünf Talente übrig, für die ihr Möbel kaufen könnt.«

»Nein«, widersprach Caesar entschieden. »Für die Möbel bin ich verantwortlich. Ich bin nicht mittellos! Meine Güter bei Bovillae werfen ein gutes Einkommen ab.«

»Ich weiß, Gaius Julius«, meinte Cotta geduldig. »Du hast mir davon erzählt, erinnerst du dich?«

Der junge Caesar erinnerte sich nicht. Alles, woran er in diesen Tagen denken konnte, war Aurelia.

Die Hochzeit fand im April statt, an einem wunderschönen Frühlingstag, und alle Vorzeichen waren günstig. Sogar Gaius Julius Caesar schien es ein wenig besser zu gehen.

Rutilia weinte, und Marcia weinte, die eine, weil ihr erstes Kind heiratete, die andere, weil ihr letztes Kind aus dem Haus ging, um von nun an mit seiner Gattin zu leben. Julia und Julilla waren anwesend, ebenso Sextus’ Frau Claudia, aber ihre Ehemänner konnten nicht kommen - Marius und Sulla waren immer noch in Africa, Sextus Caesar rekrutierte Männer für die Armee in Italien und erhielt keinen Urlaub vom Konsul Gnaeus Mallius Maximus.

Cotta hatte dem jungen Paar für den ersten Monat der Ehe ein Haus auf dem Palatin mieten wollen. »Gewöhnt euch erst einmal daran, verheiratet zu sein, und dann an das Leben in der Subura«, hatte er voller Sorge um sein einziges Mädchen gesagt.

Das junge Paar hatte das Angebot jedoch entschieden abgelehnt. So war der Weg der Hochzeitsgesellschaft sehr weit, und die ganze Subura schien der jungen Braut zuzujubeln. Der junge Caesar war mehr als erleichtert, daß Aurelias Gesicht von einem Schleier verhüllt wurde. Er hörte über die anzüglichen Bemerkungen hinweg und verbeugte sich im Gehen lächelnd nach rechts und links.

»Das sind unsere künftigen Nachbarn, wir müssen lernen, mit ihnen zurechtzukommen«, sagte er zu seiner Braut. »Hör einfach nicht hin.«

»Mir wäre es lieber, ihr würdet euch von ihnen fernhalten«, knurrte Cotta, den man nur mit Mühe davon abgebracht hatte, Gladiatoren zur Begleitung der Hochzeitsgesellschaft zu bestellen. Die Subura mit ihren riesigen Menschenmassen und der hohen Verbrechensrate war ihm nicht geheuer, und die rüde Sprache bestätigte seine Befürchtungen.

Als sie Aurelias insula erreichten, hatte sich hinter ihnen eine große Menschenmenge angesammelt, die auf ihre Weise mitfeiern wollte und hoffte, am Ende der Straße werde der Wein reichlich fließen. Doch Cotta, Lucius Cotta und die beiden Gallier hielten die Meute zurück, bis Caesar seine junge Braut über die Schwelle getragen und die Tür hinter sich zugeschlagen hatte. Unter dem Protestgeheul der ungeladenen Gäste schritt Cotta hoch erhobenen Hauptes den Vicus Patricii hinunter.

Nur Cardixa war in der Wohnung. Aurelia hatte beschlossen, mit dem Rest ihrer Mitgift die notwendige Dienerschaft zu kaufen, aber sie hatte das Vorhaben bis nach der Hochzeit verschoben, weil sie ihre Diener ohne die Hilfe ihrer Mutter oder ihrer Schwiegermutter auswählen wollte. Auch der junge Caesar mußte Diener kaufen: einen Hausverwalter, einen Mundschenk, einen Sekretär, einen Gehilfen und einen Kammerdiener. Aurelias Liste war länger: Sie brauchte zwei Sklavinnen für schwere Hausarbeiten, eine Wäscherin, einen Koch und einen Hilfskoch, zwei Diener für verschiedene Zwecke und einen starken Mann. Kein großer Haushalt, aber angemessen.

Draußen brach gerade die Dämmerung herein, doch in der Wohnung war es schon fast dunkel. Als sie das Haus vor einigen Wochen besichtigt hatten, war das nicht aufgefallen, denn sie waren in der Mittagszeit gekommen. Jetzt bemerkte Aurelia, daß das Licht durch die oberen Stockwerke abgehalten wurde, wenn die Sonne tiefer stand. Cardixa hatte zwar alle Lampen angezündet, doch sie reichten nicht aus, um die dunklen Ecken zu erhellen. Cardixa selbst blieb in ihrem Zimmer, denn sie wollte die Neuvermählten nicht stören.

Am meisten überraschte Aurelia jedoch der Lärm. Er kam von überall, von der Straße, von den Treppen zu den oberen Stockwerken, aus dem Lichtschacht, er schien sogar aus dem Boden zu dringen. Schreie, Flüche, Gepolter, laute Unterhaltungen, Auseinandersetzungen, Beschimpfungen, weinende Säuglinge, schreiende Kinder, Frauen und Männer, Musikanten, die auf ihre Trommeln und Becken eindroschen, Liedfetzen, brüllende Ochsen, blökende Schafe, Maultiere und Esel, endlos vorbeirumpelnde Karren, Gelächter.

»Oh, wir werden unser eigenes Wort nicht verstehen können!« sagte sie und versuchte, die aufsteigenden Tränen wegzublinzeln. »Gaius Julius, es tut mir so leid! Ich habe nicht an den Lärm gedacht!«

Caesar war klug und einfühlsam genug, um zu wissen, daß zumindest ein Teil dieses ungewöhnlichen Ausbruchs nicht auf den Lärm zurückzuführen war, sondern auf die Hektik der letzten Tage, die Aufregung der Hochzeitsvorbereitungen und der Heirat. Er selbst hatte dies empfunden, wieviel stärker mußte erst seine junge Frau darunter gelitten haben?

So lachte er fröhlich und versicherte: »Wir werden uns daran gewöhnen, keine Angst. Ich verspreche dir, in einem Monat werden wir den Krach überhaupt nicht mehr hören. Außerdem - in der Schlafkammer wird es nicht ganz so schlimm sein.« Als er ihre Hand ergriff, fühlte er, wie sie zitterte.

Die größere Schlafkammer, die an das Arbeitszimmer angrenzte, war wirklich ruhiger. Sie lag vollkommen im Dunkel, und außer der Tür gab es keine Frischluftzufuhr - wegen der falschen Zimmerdecken, die den zusätzlichen Stauraum boten, den der Makler angepriesen hatte.

Caesar ließ Aurelia im Arbeitszimmer stehen und holte eine Lampe aus dem Wohnraum. Hand in Hand betraten sie die Schlafkammer und hielten dann wie verzaubert inne. Cardixa hatte den Raum über und über mit Blumen geschmückt und duftende Blüten auf das breite Bett gestreut, entlang der Wände standen Vasen jeder Größe mit Rosen, Levkojen und Veilchen, und auf einem kleinen Tischchen waren eine Karaffe mit Wein, eine mit Wasser, zwei goldene Becher und eine große Platte mit Honigkuchen angerichtet.

Sie waren beide nicht schüchtern. Man hatte sie in sachlicher Weise über sexuelle Dinge aufgeklärt, wenn auch nicht in allen Einzelheiten. Jeder Römer, der es sich leisten konnte, bevorzugte Zurückgezogenheit für Intimitäten, besonders wenn er sich dabei entblößte, aber gehemmt war man nicht. Natürlich konnte Caesar auf einige Abenteuer zurückblicken, doch obwohl er sehr gut aussah, war er ein zurückhaltender, verläßlicher Mann.

Publius Rutilius Rufus’ Gefühl hatte ihn nicht getrogen - Caesar und Aurelia paßten wunderbar zueinander. Er war behutsam und rücksichtsvoll, in der Liebe eher zärtlich als leidenschaftlich. Wäre er feuriger gewesen, hätte er vielleicht auch Aurelia entflammt, doch das sollten sie nie erfahren. Ihre Liebe war vorsichtig, die Berührungen sanft, die Küsse zärtlich, sie befriedigte beide, erfüllte beide. Und Aurelia konnte sich sagen, daß Cornelia, die Mutter der Gracchen, mit ihr zufrieden gewesen wäre, denn sie hatte ihre Pflicht erfüllt, wie sie erfüllt werden mußte. Sie würde das Ehebett gewiß nie mit Abscheu betrachten, doch sexuelles Vergnügen und sexuelle Befriedigung waren nicht die Dinge, die ihr Leben bestimmen würden.

Quintus Servilius Caepio blieb den Winter über in Narbo und trauerte um sein verlorenes Gold. Dort erreichte ihn der Brief des jungen Advokaten Marcus Livius Drusus, der zu Aurelias glühendsten Verehrern gezählt hatte und der jetzt, nachdem sie sich für Caesar entschieden hatte, zutiefst enttäuscht war.

Ich war gerade neunzehn, als mein Vater, der Zensor, starb. Er hinterließ mir nicht nur seinen gesamten Besitz, sondern auch die Stellung des pater familias. Glücklicherweise bestand die einzige Bürde in meiner dreizehnjährigen Schwester, die nach der Trennung meiner Eltern durch den Tod des Vaters nun beider Eltern beraubt war. Zu dieser Zeit wollte meine Mutter Cornelia meine Schwester zu sich nehmen, aber ich habe das natürlich abgelehnt. Obwohl es nie zu einer Scheidung kam, war das Verhältnis meiner Eltern äußerst kühl, wie Dir sicher nicht entgangen ist, und die Entfremdung rührte daher, daß mein Vater meinen jüngeren Bruder zur Adoption gegeben hatte. Meine Mutter stand meinem Bruder immer näher als mir, und als er ein Mamercus Aemilius Lepidus Livianus wurde, nahm sie seine Jugend zum Vorwand und zog mit ihm zu seiner neuen Familie. Dort führte sie ein anderes Leben, freizügiger und ausschweifender, als sie es im Haus meines Vaters je hätte führen können. Ich erinnere Dich an diese Dinge, weil es dabei auch um meine Ehre geht, denn ihr schäbiges und selbstsüchtiges Verhalten hat meine Ehre sehr beschmutzt.

Ich schmeichle mir, daß ich meine Schwester Livia Drusa so aufgezogen habe, wie es ihrer hohen Stellung entspricht. Sie ist nun achtzehn und somit im heiratsfähigen Alter. Auch ich, Quintus Servilius, habe die Absicht, mich zu verheiraten, obwohl ich erst dreiundzwanzig bin. Ich weiß, daß es üblich ist zu warten, bis man die Fünfundzwanzig überschritten hat, und ich weiß auch, daß viele Männer erst heiraten, wenn sie im Senat sitzen. Doch so lange kann ich nicht warten. Ich bin der pater familias und der einzige männliche Livius Drusus meiner Generation. Mein Bruder, Mamercus Aemilius Lepidus Livianus, hat weder auf den Namen Livius Drusus noch auf das Vermögen Anspruch. Somit ist es meine Pflicht, zu heiraten und für Nachkommen zu sorgen. Als mein Vater starb, hatte ich beschlossen, damit zu warten, bis auch meine Schwester alt genug wäre für die Ehe.

 

Der Brief war genauso steif und umständlich wie der junge Mann, doch Quintus Servilius Caepio störte das nicht. Er und der Vater von Livius Drusus waren Freunde gewesen, so wie nun sein Sohn und der junge Drusus befreundet waren.

Darum, Quintus Servilius, möchte ich Dir in meiner Eigenschaft als Oberhaupt der Familie eine Verbindung durch Heirat vorschlagen. Ich habe übrigens davon abgesehen, mich mit meinem Onkel Publius Rutilius Rufus in dieser Sache zu beraten. Als Ehemann meiner Tante Livia und als Vater ihrer Kinder habe ich nichts gegen ihn einzuwenden, doch weder seine Abstammung noch sein Charakter sind geeignet, mir seinen Rat als wertvoll erscheinen zu lassen. Erst kürzlich kam mir zum Beispiel zu Ohren, daß er Marcus Aurelius Cotta überredet hat, seiner Stieftochter Aurelia zu erlauben, sich ihren Gatten selbst zu wählen. Ein weniger römisches Verhalten kann man sich schwerlich vorstellen. Natürlich hat sich Aurelia für einen Schönling entschieden, für Julius Caesar, einen verarmten Nichtsnutz, der es nie zu etwas bringen wird.

 

Soviel zu Publius Rutilius Rufus. Und Marcus Livius Drusus, wund an Herz und dignitas, schrieb weiter:

Ich beschloß, mit meiner Heirat zu warten, bis meine Schwester das richtige Alter erreicht hätte, da ich meiner Frau nicht die Verantwortung für meine Schwester aufbürden wollte. Ich würde es als unedel empfinden, anderen meine eigenen Pflichten zu übertragen, die sie nicht mit dem gleichen Maß an Anteilnahme erfüllen könnten.

Quintus Servilius, ich möchte Dir nun vorschlagen, daß Du mir die Erlaubnis erteilst, Deine Tochter Servilia Caepionis zu heiraten. Ich wiederum werde Deinem Sohn, Quintus Servilius dem jüngeren, gestatten, um die Hand meiner Schwester Livia Drusa anzuhalten. Das ist die ideale Lösung für uns beide. Die Bande zwischen unseren Familien reichen viele Generationen weit zurück, und außerdem haben meine Schwester und Deine Tochter Mitgiften der gleichen Größe, was bedeutet, daß kein Geld die Hände wechseln müßte, ein Vorteil in diesen bargeldknappen Zeiten.

Bitte teile mir Deine Entscheidung mit.

 

Eigentlich gab es nichts zu entscheiden. Von so einer Verbindung hatte Quintus Servilius Caepio immer geträumt, denn Livius Drusus war unermeßlich reich, und er stammte aus höchstem Adel. Caepio antwortete umgehend:

Mein lieber Marcus Livius, ich bin hoch erfreut. Du hast meine Erlaubnis, sämtliche Vorbereitungen zu treffen.

 

So brachte Drusus die anstehenden Heiraten bei seinem nächsten Treffen mit dem jungen Caepio zur Sprache. Er wußte, daß dessen Vater ihm demnächst schreiben würde, und wollte seinen Freund darauf vorbereiten. Caepio sollte diese Hochzeit als ein erfreuliches Ereignis ansehen und nicht als Befehl seines Vaters.

»Ich würde gerne deine Schwester heiraten«, sagte er zu Caepio, etwas unvermittelter als geplant.

Caepio blinzelte überrascht, erwiderte aber nichts.

»Und ich würde es gerne sehen, daß du meine Schwester heiratest«, fuhr Drusus fort.

Caepio blinzelte etwas heftiger, sagte aber immer noch nichts.

Endlich nahm der junge Caepio seinen Verstand zusammen - der nicht annähernd so groß war wie sein Vermögen - und antwortete: »Ich muß aber erst meinen Vater fragen.«

»Das habe ich schon getan. Er ist entzückt.«

»Oh, ich denke, dann wird alles seine Ordnung haben.«

»Quintus Servilius, ich möchte deine Meinung hören!« rief Drusus verzweifelt.

»Nun, meine Schwester mag dich... Und ich denke, ich mag deine Schwester, aber...« Er sprach nicht weiter.

»Aber was?« fragte Drusus.

»Ich glaube, deine Schwester mag mich nicht.«

Nun blinzelte Drusus überrascht. »Ach, Unsinn! Warum sollte sie dich nicht mögen? Du bist mein bester Freund! Natürlich mag sie dich! Es ist die ideale Lösung, wir werden immer zusammenbleiben.«

»Tja, das wäre schön«, meinte Caepio.

»Gut«, sagte Drusus knapp. »Ich habe mit deinem Vater bereits alle wichtigen Punkte geklärt, Mitgift und so weiter. Du mußt dich also um nichts kümmern.«

»Gut.«

Sie saßen auf einer Bank unter einer schönen alten Eiche im unteren Teil des Forum Romanum und hatten gerade eine köstliche Mahlzeit zu sich genommen - Brottaschen aus ungesäuertem Teig, gefüllt mit einer würzigen Mischung aus Linsen und gehacktem Schweinefleisch.

Drusus erhob sich und reichte seine Serviette dem Sklaven. Dann stand er einen Moment still, während der Sklave prüfte, ob die schneeweiße Toga Flecken bekommen hatte.

»Wo willst du so eilig hin?« fragte Caepio.

»Nach Hause und meiner Schwester von unseren Plänen erzählen«, erwiderte Drusus. Er zog eine scharfgezeichnete, schwarze Augenbraue in die Höhe. »Meinst du nicht, daß auch du nach Hause gehen und mit deiner Schwester sprechen solltest?«

»Vermutlich schon«, meinte Caepio, aber es klang sehr zweifelnd. »Könntest du es ihr nicht lieber selber sagen? Sie mag dich.«

»Nein, du mußt mit ihr sprechen, Dummkopf! Im Moment bist du in loco parentis, also ist es deine Aufgabe - ebenso wie es meine Aufgabe ist, mit Livia Drusa zu sprechen.«

Und damit ging Drusus über das Forum in Richtung Vesta-Treppen davon.

Seine Schwester war zu Hause - wo hätte sie auch sonst sein sollen? Seit Drusus das Oberhaupt der Familie war und ihre Mutter Cornelia das Haus nicht mehr betreten durfte, konnte Livia ohne die Erlaubnis ihres Bruders keinen Fuß vor das Haus setzen, und sie hätte nie gewagt, heimlich auszugehen. In den Augen ihres Bruders war sie durch die Schande ihrer Mutter gezeichnet. Er betrachtete sie als schwaches, leicht verführbares Wesen, dem nicht die kleinste Freiheit zugestanden werden konnte, er war bereit, immer das Schlimmste von ihr zu denken - auch ohne Beweise.

»Bitte meine Schwester ins Arbeitszimmer«, sagte Drusus zum Hausverwalter, als er wieder daheim war.

Sein Haus stand an einem steilen Abhang auf dem höchsten Punkt des Palatin über dem Forum Romanum. Es war gerade vollendet worden, als Drusus, der Zensor, starb und galt allgemein als das schönste Haus Roms. Die Sicht von der Loggia auf der Vorderfront im obersten Stockwerk war atemberaubend. Das angrenzende Grundstück, die area flacciana, war unbebaut. Einst hatte dort das Haus von Marcus Fulvius Flaccus gestanden, auf der anderen Seite dieses Grundstücks lag das Anwesen von Quintus Lutatius Catulus Caesar.

Drusus’ Haus hatte nach römischer Art keine Fenster an den Außenseiten, denn sollte das Nachbargrundstück je wieder bebaut werden, würde dieses Haus direkt an Drusus’ Haus anschließen. An der Rückseite, die an den Clivus Victoriae grenzte, befand sich ein großes Holztor, daneben waren einige Wareneingänge. Der vordere Teil des Hauses mit seiner prachtvollen Aussicht war drei Stockwerke hoch, die Stützpfeiler waren tief in dem darunterliegenden Felsvorsprung verankert. Das oberste Stockwerk lag auf gleicher Höhe mit dem Clivus Victoriae, und dort wohnte die Familie. Vorratsräume, Küchen und die Räume der Dienerschaft waren in den darunterliegenden Geschossen untergebracht, die sich nicht über die volle Breite des oberen Stockwerkes erstreckten, weil der Felsvorsprung steil abfiel.

Die Wareneingänge an der Rückwand führten direkt in das Peristyl, den Säulengarten. Der Garten war so groß, daß sechs wunderschöne, großgewachsene Lotusbäume darin Platz fanden, die Scipio Africanus vor neunzig Jahren als Schößlinge aus Africa mitgebracht hatte. In jedem Sommer blühten sie in verschwenderischer Pracht, zwei in Rot, zwei in Orange und zwei in tiefem Gelb, und erfüllten über einen Monat lang das ganze Haus mit ihrem Duft. Später trugen sie zarte, farnähnliche Blätter, und im Winter waren sie kahl, so daß ungehindert Licht einfallen konnte. Ein langes, schmales Wasserbecken, mit weißem Marmor ausgekleidet, wurde von vier perfekt aufeinander abgestimmten Springbrunnen umgeben, einem in jeder Ecke, die der große Myron angefertigt hatte. An den Seiten des Beckens standen lebensgroße Statuen, ebenfalls von Myron, die Satyre, Nymphen, Artemis, Dionysos und Orpheus darstellten. Jede dieser Statuen war so kunstvoll bemalt, daß man beinahe glaubte, im nächsten Moment würde sie sich bewegen. Der ganze Garten wirkte auf den ersten Blick wie eine Versammlung der Unsterblichen.

Eine Kolonnade mit dorischen Säulen führte an den Seiten des Peristyls entlang, unterstützt von Holzsäulen, die gelb bemalt waren mit Basen und Kapitellen in leuchtenden Farben. Der Boden des Säulengangs bestand aus poliertem Terrazzo, die Wände waren in lebhaftem Grün, Gelb und Blau gehalten. Zwischen den erdroten Wandpfeilern befanden sich einige der schönsten Malereien der Welt: ein Kind mit Trauben von Zeuxis, der dem Wahnsinn verfallene Ajax von Parrhaslos, einige nackte männliche Gestalten von Timanthes, ein Bildnis Alexanders des Großen von Apelles, und ein Pferd, ebenfalls von Apelles, das so täuschend echt wirkte, daß man von weitem glauben konnte, es wäre an der Wand festgebunden.

Entlang der Wand standen die Ahnenschreine mit den Wachsmasken von Livius Drusus’ Vorfahren, sie waren auf das Sorgfältigste erhalten. Bemalte Steinpfeiler - Hermen genannt, da sie mit aufgerichteten Phallen verziert waren - trugen Büsten von Ahnen und Göttern, von mythischen Frauen und griechischen Philosophen. Alle Büsten waren meisterhaft bemalt, ebenso wie die lebensgroßen Statuen, die um das impluvium, das Wasserbecken in der Mitte, und entlang der Wände aufgestellt waren. Große silberne und goldene Kronleuchter hingen von der unvorstellbar hohen Decke herab, die als sternenübersäter Himmel bemalt war, umgeben von vergoldeten Stuckornamenten, und auf dem Boden standen Kerzenhalter, die sieben oder acht Fuß hoch waren. Das farbige Mosaik des Fußbodens zeigte den feiernden Bacchus, umgeben von seinen Bacchantinnen, die tanzten und tranken, Wild fütterten und Löwen an ihrem Wein schlürfen ließen.

Doch Drusus hatte keinen Blick für all die Pracht, die ihn umgab, denn er war von klein auf daran gewöhnt und zudem - anders als sein Vater und sein Großvater, die einen ausgezeichneten Kunstgeschmack besessen hatten - nicht sehr empfänglich für schöne Dinge.

Der Verwalter fand Drusus’ Schwester in der Loggia, die an die Vorderfront des Atriums anschloß. Livia Drusa war immer allein und immer einsam. Das Haus war so groß, daß sie nie das Bedürfnis nach einem Spaziergang geltend machen konnte, und wenn sie etwas kaufen wollte, rief ihr Bruder einfach die Händler ins Haus, und sie breiteten ganze Läden und Stände in den großen Räumen entlang des Säulengangs aus. Der Verwalter bekam Anweisung, alles zu bezahlen, was Livia Drusa haben wollte. Die beiden Schwestern aus dem Hause der Julier hatten unter den aufmerksamen Augen ihrer Mutter oder vertrauenswürdiger Sklaven oft die besseren Viertel von Rom besucht, Aurelia war ständig bei Verwandten oder Schulfreundinnen zu finden gewesen, und Frauen wie Clitumna und Nikopolis mußten nicht einmal regelmäßig zu den Mahlzeiten erscheinen. Doch Livia Drusa lebte in völliger Abgeschiedenheit, eine Gefangene des Reichtums und ein Opfer der Freiheit ihrer Mutter.

Livia Drusa war zehn Jahre alt gewesen, als ihre Mutter, eine Cornelia aus dem Hause Scipio, die Familie verlassen hatte. Von da an hatte sie in der alleinigen Obhut ihres Vaters gelebt, der kaum Notiz von ihr genommen, sondern seine Zeit hauptsächlich damit verbracht hatte, durch seine Säulengänge zu wandeln und seine Kunstwerke zu betrachten. Die Dienerinnen und Lehrer hatten große Angst vor der Macht der Familie gehabt und nicht gewagt, sich mit Livia anzufreunden. Drei Jahre, nachdem ihre Mutter mit ihrem kleinen Bruder - Mamercus Aemilius Lepidus Livianus, wie er jetzt genannt wurde - fortgegangen war, war sie mit ihrem Vater und ihrem Bruder in dieses riesige Mausoleum gezogen. Allein und ziellos wanderte sie seither durch das Anwesen, verloren, ungeliebt, unbeachtet. Der Tod ihres Vaters, fast unmittelbar nach dem Umzug, hatte ihr Leben kaum verändert.

Lachen war ihr unbekannt. Wenn von Zeit zu Zeit Gelächter aus den überfüllten, fensterlosen Dienstbotenräumen zu ihr heraufdrang, fragte sie sich verwundert, was das war. Sie kannte nur eine Welt, die sie liebte, und das war die Welt der Schriftrollen. Da ihr niemand das Lesen oder Schreiben verbot, füllte sie den größten Teil ihrer Zeit damit aus. Sie ließ sich von den Beschreibungen der Wut des Achilles hinreißen, von den Taten der Griechen und Trojaner, von den Geschichten über Helden und Ungeheuer, über Götter und sterbliche Mädchen, nach denen es die Götter mehr zu verlangen schien als nach anderen Unsterblichen. Nachdem das Entsetzen über die schrecklichen Veränderungen ihres Körpers während der Pubertät abgeklungen war - niemand hatte sich die Mühe gemacht, sie aufzuklären -, entdeckte sie mit ihrer leidenschaftlichen Natur die Faszination der Liebesdichtung. Des Griechischen so mächtig wie des Lateinischen, begeisterte sie sich für Alkman, Pindar, Sappho und Asklepiades. Der alte Sosilis von Argiletum schickte von Zeit zu Zeit willkürlich zusammengestellte Körbe mit Schriftrollen zu Drusus’ Haus. Er nahm selbstverständlich an, daß sie für Drusus bestimmt wären, und hatte keine Ahnung, wer sie in Wirklichkeit las. Kurz nach Livia Drusas siebzehntem Geburtstag hatte Sosilis begonnen, die Werke eines neuen Poeten namens Meleagros zu senden, der über die Liebe und über die Wollust dichtete. Mehr gefesselt als abgestoßen, ließ sich Livia in die Welt der erotischen Literatur einführen, und dank Meleagros erwachten ihre eigenen sexuellen Gefühle.

Doch es änderte sich nichts. Sie durfte nicht ausgehen, niemanden treffen. Annäherungsversuche an einen Sklaven oder Annäherungsversuche eines Sklaven an die Herrin waren in diesem Haus unvorstellbar. Manchmal sah sie die Freunde von Livius Drusus, doch diese Begegnungen waren sehr flüchtig. Nur einen kannte sie näher - Livius’ besten Freund, den jungen Caepio. Mit seinen kurzen Beinen, den vielen Pickeln und dem häßlichen Gesicht erschien er ihr wie ein Tölpel aus einem von Meleagros’ Stücken oder wie der widerliche Thersites, den Achilles mit einem Schwertstreich köpfte, nachdem Thersites den Helden angeklagt hatte, sich an der Leiche der Amazonenkönigin Penthesileia vergangen zu haben. Nicht, daß Caepio ihr jemals Anlaß zu solchen Vergleichen gegeben hätte - ihre ausgehungerte Phantasie hatte einfach sein Gesicht auf diese Figuren übertragen.

Ihr Lieblingsheld war Odysseus. Sie liebte die überlegene Art, wie er die Probleme anderer löste. Sein Werben um Penelope, deren geistiges Kräftemessen mit ihren Freiern, Odysseus’ Rückkehr zwanzig Jahre später - so stellte sie sich die Liebe vor. Sie stattete Odysseus mit dem Gesicht eines jungen Mannes aus, den sie ein paarmal auf der Loggia des unterhalb liegenden Hauses gesehen hatte. Es war das Haus von Gnaeus Domitius Ahenobarbus, und er hatte zwei Söhne, die Livia flüchtig kannte. Der junge Mann auf der Loggia war keiner von ihnen.

Odysseus hatte rotes Haar und war Linkshänder. Hätte sie ein wenig genauer gelesen, wäre ihr vielleicht nicht entgangen, daß er sehr kurze Beine hatte, und da sie kurze Beine einfach abscheulich fand, hätte das ihrer Vorliebe für Odysseus vermutlich ein wenig Abbruch getan. Der Unbekannte von der Loggia war ebenfalls rothaarig, sehr groß und breitschultrig, unter der Toga ließ sich ein schlanker, kraftvoller Körper vermuten. Sein Haar glänzte in der Sonne, die Kopfhaltung war stolz wie die eines Königs. Sogar von Livias Loggia aus konnte man sehen, wie die Nase gebieterisch hervorragte, doch die Gesichtszüge waren nicht zu erkennen. Aber das war auch nicht nötig - Livia wußte auch so, daß seine Augen groß und leuchtend und grau waren, wie die von Odysseus.

Wenn sie die flammenden Liebesgedichte von Meleagros las, sah sie sich selbst in der Rolle des Mädchens - oder des Jünglings -, das von dem leidenschaftlichen Dichter verführt wurde. Und der Dichter war stets der junge Mann auf Ahenobarbus’ Balkon. Dachte sie dagegen an Caepio, was selten vorkam, geschah dies mit einer angewiderten Grimasse.

»Livia Drusa, dein Bruder möchte dich unverzüglich in seinem Arbeitszimmer sprechen«, riß der Verwalter sie aus ihren Träumen heraus. Sie stand gerade auf der Loggia und hielt Ausschau nach dem rothaarigen Unbekannten, sie wäre so gerne noch geblieben. Doch ihren Bruder durfte sie nicht warten lassen. Sie wandte sich um und folgte dem Verwalter.

Drusus saß an seinem Schreibtisch und blätterte in Papieren. Als sie eintrat, sah er auf und musterte seine Schwester mit einem nachsichtigen, nicht sehr interessierten Gesichtsausdruck.

»Setz dich«, sagte er und deutete auf einen Stuhl.

Livia setzte sich und betrachtete ihren Bruder ebenso uninteressiert. Sie hatte Drusus niemals lachen gehört, allenfalls den Anflug eines Lächelns an ihm wahrgenommen. Das gleiche konnte er von ihr sagen.

Leicht beunruhigt registrierte sie, daß Drusus sie genauer betrachtete als sonst. Sie konnte nicht wissen, daß er das stellvertretend für den jungen Caepio tat.

Ja, sie war ein hübsches kleines Ding, dachte er. Sie war klein, hatte aber glücklicherweise keine kurzen Beine wie so viele andere Familienmitglieder. Ihre Gestalt war entzückend, sie hatte volle, hohe Brüste, eine schmale Taille, runde Hüften. Ihre Hände und Füße waren zart und schmal - ein Zeichen von Schönheit - und die Nägel gepflegt, nicht abgekaut. Das Gesicht war herzförmig, die Nase besaß die richtige Länge und war leicht gebogen. Ihr Mund und ihre Augen entsprachen dem Schönheitsideal, die Augen waren sehr groß, der Mund klein und rot wie eine Rosenknospe. Augen, Wimpern, Brauen und das dichte Haar schimmerten schwarz, und sie trug ihr Haar anmutig frisiert.

In der Tat, Livia Drusa war hübsch, wenn auch nicht annähernd so hübsch wie Aurelia. Bei dem Gedanken an Aurelia zog sich Drusus’ Herz schmerzvoll zusammen. Sofort nach Ankündigung ihrer Heirat mit Julius Caesar hatte er an Quintus Servilius geschrieben. Die Aurelier waren zwar eine anerkannte Familie, doch mit den Serviliern konnten sie sich weder im Rang noch im Reichtum messen.

»Meine Liebe, ich habe einen Ehemann für dich gefunden«, teilte er ihr ohne Umschweife mit.

Livia erschrak, doch es gelang ihr, keine Miene zu verziehen. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, dann fragte sie: »Wer ist es, Marcus Livius?«

»Der beste aller guten Männer, ein wunderbarer Freund! Der junge Quintus Servilius.«

Ihr Gesicht spiegelte grenzenloses Entsetzen. Sie öffnete ihren Mund, versuchte zu sprechen, brachte aber keinen Ton heraus.

»Was ist los?« fragte er verwirrt.

»Ich kann ihn nicht heiraten«, flüsterte sie.

»Warum nicht?«

»Er ist widerlich... abstoßend!«

»Das ist lächerlich!«

Sie schüttelte den Kopf, immer wilder. »Ich werde ihn nicht heiraten, auf keinen Fall!«

Drusus kam ein schrecklicher Gedanke, seine Mutter fiel ihm ein. Er sprang auf, ging um den Tisch herum und beugte sich über sie. »Hast du jemanden getroffen?«

Livia hob den Kopf und starrte ihn an. Sie war außer sich. »Ich? Wie sollte ich jemanden treffen? Jeden Tag meines Lebens war ich eingesperrt in diesem Haus. Die einzigen Männer, die ich sehe, sind deine Gäste. Ich habe nicht einmal Gelegenheit, mich mit ihnen zu unterhalten! Wenn du sie zum Essen einlädst, bittest du mich nie dazu. Nur wenn dieser widerwärtige Tölpel Quintus Servilius da ist, darf ich mit euch essen!«

»Wie kannst du es wagen!« Er wurde zornig. Niemals war ihm in den Sinn gekommen, daß sie seinen besten Freund nicht ausstehen könnte.

»Ich werde ihn nicht heiraten!« schrie sie. »Eher sterbe ich!«

»Geh sofort in dein Zimmer«, sagte er eisig.

Sie sprang auf und ging auf die Tür zu, die zum Säulengang führte.

»Nicht in dein Wohnzimmer, Livia Drusa. In dein Schlafzimmer. Dort wirst du bleiben, bis du Vernunft angenommen hast.«

Ein flammender Blick war die Antwort. Sie wandte sich um und verließ den Raum durch die Tür, die zum Atrium führte.

Drusus blieb neben dem Stuhl stehen, auf dem sie gesessen hatte, und versuchte, seinen Zorn zu zügeln. Unvorstellbar! Wie konnte sie es wagen, sich ihm zu widersetzen!

Nach einiger Zeit fand er seine Ruhe wieder. Er wollte das Problem mit Überlegung angehen, obwohl er keine Ahnung hatte, wie er es lösen sollte. In seinem ganzen Leben hatte noch niemand gewagt, sich ihm zu widersetzen, niemand hatte ihn je in eine Lage gebracht, aus der er keinen Ausweg sah. Er war Gehorsam gewohnt, Respekt und Ehrerbietung in einem Maß, das ungewöhnlich war für sein Alter. Jetzt wußte er nicht, was er tun sollte. Wenn er mehr von seiner Schwester wüßte - er mußte sich gestehen, daß er gar nichts von ihr wußte. Wenn sein Vater noch lebte - wenn seine Mutter - oh, was für ein Wirrwarr! Was sollte er tun?

So etwas durfte er sich nicht bieten lassen, das war die Antwort. Er rief den Verwalter.

»Die Herrin, Livia Drusa, hat mich beleidigt«, sagte er mit bewundernswerter Ruhe und ohne den geringsten Ausdruck von Zorn. »Ich habe ihr befohlen, in ihrem Schlafzimmer zu bleiben. Sorge dafür, daß ein Schloß an der Tür angebracht wird, und bis dahin stellst du eine ständige Wache vor ihrem Zimmer auf. Sie wird von einer Frau bedient werden, die sie nicht kennt. Auf keinen Fall darf sie das Zimmer verlassen, ist das klar?«

»Jawohl, Marcus Livius«, erwiderte der Verwalter ausdruckslos.

Und dann nahm der Zweikampf seinen Lauf. Livia Drusa war in ein Gefängnis verbannt, das sehr viel kleiner war als ihr bisheriges, das Haus. Ihre Schlafkammer war wenigstens nicht ganz so dunkel und stickig wie andere, sie grenzte an die Loggia und hatte an der oberen Außenwand ein Gitter. Dennoch war es ein tristes Gefängnis. Wie trist, das erfuhr sie, als man ihr Bücher und Schreibpapier verweigerte. Vier Wände umschlossen einen Raum, der ungefähr acht auf acht Fuß groß und bis auf ein Bett und einen Nachttopf vollkommen leer war. Die Mahlzeiten brachte ihr eine Frau, die sie noch nie gesehen hatte, und es schmeckte nicht sehr gut. Das war nun Livia Drusas Leben.

In der Zwischenzeit mußte Drusus seinem Freund vorspiegeln, alles entwickle sich wunschgemäß. Er verlor keine Zeit. Unmittelbar nachdem er seine Anweisungen erteilt hatte, warf er die Toga um und ging zu Caepio.

»Oh, wie schön, daß du vorbeikommst!« strahlte Caepio.

»Ich dachte, wir müßten noch einiges besprechen«, sagte Drusus. Er machte jedoch keine Anstalten, sich zu setzen, und sprach auch nicht weiter.

»Nun, Marcus Livius, willst du vorher nicht ein paar Worte mit meiner Schwester wechseln? Sie ist sehr aufgeregt.«

Wenigstens etwas, dachte Drusus. Sie war nicht so störrisch wie seine eigene Schwester.

Er fand Servilia Caepionis in ihrem Wohnzimmer. Als er eintrat, sprang sie auf und warf sich ihm an die Brust, sehr zu seinem Unbehagen. Nun, anscheinend war sein Werben willkommen.

»Oh, Marcus Livius!« seufzte sie und sah ihn schmachtend an.

Warum hatte Aurelia ihn nie so angesehen? Er schob den Gedanken entschlossen beiseite und betrachtete Servilia Caepionis. Eine Schönheit war sie beileibe nicht. Sie hatte kurze Beine, wie alle in ihrer Familie, aber von den Pickeln, die ebenfalls in der Familie lagen, war sie verschont geblieben. Und sie hatte außerordentlich schöne Augen, sanft und zärtlich im Ausdruck, groß und dunkel schimmernd. Gern gehabt hatte er sie schon immer, und vielleicht würde er sie mit der Zeit sogar lieben.

Er küßte sie auf den Mund und war angenehm überrascht, daß sein Kuß erwidert wurde. Dann wechselte er noch ein paar Sätze mit ihr.

»Und deine Schwester Livia Drusa - freut sie sich?« fragte Servilia, als er aufstand und gehen wollte.

Drusus blieb wie angewurzelt stehen. »Sie freut sich sehr«, sagte er, und dann fügte er ohne weitere Überlegung hinzu: »Leider fühlt sie sich im Moment nicht wohl.«

»Oh, das - tut mir leid! Sag ihr bitte, daß ich sie besuchen komme. Wir werden Schwägerinnen sein, und das gleich doppelt, aber mir wäre es noch lieber, wenn wir Freundinnen sein könnten.«

Er lächelte. »Ich danke dir.«

Caepio wartete ungeduldig im Arbeitszimmer seines Vaters.

»Ich bin hoch erfreut«, sagte Drusus, während er sich setzte. »Deine Schwester ist entzückt von der Verbindung.«

»Ich habe dir ja gesagt, daß sie dich sehr gern hat«, meinte Caepio. »Aber wie hat Livia Drusa die Neuigkeiten aufgenommen?«

Nun war Drusus vorbereitet. »Sie hat sich sehr gefreut«, log er. »Unglücklicherweise liegt sie mit Fieber zu Bett. Der Arzt war schon da. Er ist ein wenig besorgt. Anscheinend gibt es Komplikationen, und er befürchtet, es könnte ansteckend sein.«

»Ihr Götter!« rief Caepio und wurde blaß.

»Nun, es wird schon nicht so schlimm sein«, beruhigte Drusus ihn. »Du magst sie sehr, Quintus Servilius, nicht wahr?«

»Mein Vater meint, ich könnte keine Bessere wählen. Mein Vater sagt, daß ich einen ausgezeichneten Geschmack habe. Hast du ihm erzählt, wie gern ich sie habe?«

»Ja.« Drusus lächelte. »Es war schon seit einigen Jahren ziemlich deutlich, weißt du.«

»Ich habe heute einen Brief von meinem Vater bekommen. Er schreibt, daß Livia sowohl reich sei als auch von hohem Rang. Und er findet sie nett.«

»Nun, sobald es ihr wieder besser geht, werden wir zusammen essen und über die Hochzeit sprechen. Anfang Mai wäre gut, hin? Vor der Unglückszeit.« Er stand auf. »Ich kann leider nicht länger bleiben, Quintus Servilius. Ich muß nach meiner Schwester sehen.«

Sowohl Caepio als auch Drusus waren gewählte Militärtribunen und würden mit Gnaeus Mallius Maximus nach Gallia Transalpina ziehen. Doch während Sextus Caesar nicht einmal für die Hochzeit seines Bruders Urlaub bekommen hatte, waren Caepio und Drusus noch gar nicht einberufen worden. Rang, Reichtum und die richtigen politischen Ansichten machten sich eben bezahlt. Drusus sah keine Schwierigkeiten für eine Doppelhochzeit Anfang März, obwohl die beiden Bräutigame dann schon mit militärischen Angelegenheiten beschäftigt sein würden, und selbst wenn die Armee zu dieser Zeit bereits auf dem Weg nach Gallien sein sollte, würde es keine Probleme geben - sie konnten sie jederzeit einholen.

Drusus ordnete an, weder Caepio noch Servilia zu seiner Schwester zu lassen. Außerdem sollte sie bis auf weiteres nur noch ungesäuertes Brot und Wasser erhalten. Fünf Tage lang suchte er sie nicht auf, dann ließ er sie in sein Arbeitszimmer bringen.

Sie kam auf etwas unsicheren Füßen, die Haare durcheinander, und blinzelte in der ungewohnten Helligkeit. Ihren Augen sah man an, daß sie kaum geschlafen hatte, aber Spuren langen Weinens konnte ihr Bruder nicht an ihr entdecken. Ihre Hände zitterten, ebenso ihre Lippen, und die Unterlippe war zerbissen.

»Setz dich«, sagte Drusus knapp.

Sie setzte sich.

»Wie denkst du inzwischen über die Heirat mit Quintus Servilius?«

Sie begann am ganzen Körper zu zittern, alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. »Will nicht«, sagte sie.

Ihr Bruder beugte sich nach vorn. »Livia Drusa, ich bin das Oberhaupt unserer Familie. Ich habe uneingeschränkte Gewalt über dein Leben, ich habe sogar Gewalt über deinen Tod. Zufällig mag ich dich sehr. Das bedeutet, daß ich dich nur ungern verletze, es bekümmert mich, dich leiden zu sehen. Doch wir sind beide Römer. Das bedeutet alles für mich. Es bedeutet mir mehr, als du mir bedeutest. Mehr als irgend jemand mir je bedeuten kann! Es tut mir leid, daß du meinen Freund Quintus Servilius nicht magst. Aber du wirst ihn heiraten. Als Römerin hast du mir zu gehorchen. Quintus Servilius ist der Mann, den unser Vater für dich ausgesucht hat, ebenso wie sein Vater Servilia Caepionis als Ehefrau für mich ausgesucht hat. Eine Zeitlang wollte ich mir eine Frau meiner Wahl nehmen, aber die Ereignisse haben bewiesen, daß mein Vater - möge sein Schatten in Frieden wandeln - klüger war als ich. Außerdem müssen wir an die Schande denken, die unsere Mutter über uns gebracht hat. Ihr hast du es zu verdanken, daß eine besondere Verantwortung auf dir lastet. Nichts, was du sagst oder tust, darf den Gedanken erlauben, ihr Makel könnte auch an dir zu finden sein.«

Livia Drusa holte tief Atem und wiederholte, stärker zitternd: »Will nicht!«

»Was du willst, spielt keine Rolle«, entgegnete Drusus streng. »Wer bist du denn, Livia Drusa, daß du glaubst, deine Wünsche seien wichtiger als die Ehre oder die Stellung der Familie? Du hast die Entscheidung zwischen Quintus Servilius oder gar keiner Heirat. Wenn du hartnäckig bleibst, wirst du niemals heiraten. Du wirst dein Schlafzimmer nicht mehr verlassen, solange du lebst, es wird für dich keine Gesellschaft und keine Zerstreuung geben, nie mehr.« Seine Augen starrten sie an wie zwei kalte, schwarze Steine, ohne jedes Gefühl. »Ich meine, was ich sage, Schwester. Keine Bücher, kein Papier, kein Essen außer Wasser und Brot, kein Bad, kein Spiegel, keine Sklavin, keine sauberen Kleider, kein frisches Bettzeug, kein Kohlenbecken im Winter, keine warmen Decken, keine Schuhe, keine Gürtel oder Bänder, mit denen du dich aufhängen könntest, keine Scheren, mit denen du dir die Nägel oder die Haare schneiden könntest, keine Messer, mit denen du dich erstechen könntest - und falls du das Essen verweigerst, werde ich dich gewaltsam füttern lassen.«

Er schnalzte mit den Fingern. Der Verwalter erschien mit einer Eilfertigkeit, die vermuten ließ, daß er gelauscht hatte. »Bring meine Schwester zurück in ihr Zimmer. Morgen früh, bevor ich meine Klienten empfange, möchte ich sie noch einmal sprechen.«

Der Verwalter mußte ihr auf die Füße helfen und geleitete sie zur Tür.

»Morgen früh erwarte ich deine Antwort«, sagte Drusus.

Wortlos führte der Verwalter Livia in ihre Kammer, schloß die Tür und verriegelte sie.

Die Dämmerung brach herein. Livia Drusa wußte, daß sie in zwei Stunden von der schwarzen Leere einer langen Winternacht umgeben sein würde. Bis jetzt hatte sie nicht geweint. Die Gewißheit, im Recht zu sein, und eine grenzenlose Empörung hatten sie die ersten drei Tage und Nächte aufrechtgehalten. Danach hatte sie Trost aus den Geschichten geschöpft, die sie über die Leiden und Nöte ihrer Heldinnen gelesen hatte. An der Spitze stand natürlich Penelope, die zwanzig Jahre auf ihren Gatten gewartet hatte, und dann war da noch Danae, die von ihrem Vater in ihrem Schlafzimmer eingesperrt wurde, und Ariadne, die Theseus auf Naxos zurückgelassen hatte... stets hatte es ein glückliches Ende gegeben. Odysseus war nach Hause gekommen, Perseus wurde geboren und Ariadne sogar von einem Gott gerettet...

Doch durch die Worte ihres Bruders, die immer noch in ihr nachhallten, wurde ihr allmählich der Unterschied zwischen Literatur und Realität bewußt. Literatur war kein Abbild oder Echo des wahren Lebens, sie sollte das Leben eine Welle ausschließen, die Gedanken vom Alltäglichen befreien, den Geist entspannen in einer Welt berauschender Sprache, lebhaft beschriebener Bilder, großartiger und mitreißender Ideen. Im wahren Leben wäre Penelope vergewaltigt und zur Heirat gezwungen worden. Ihren Sohn hätte man ermordet, und Odysseus wäre niemals heimgekehrt. Danae und ihr Neugeborenes wären in der Truhe auf dem Meer getrieben und schließlich ertrunken. Und Ariadne wäre von Theseus geschwängert worden, dann hätte er sie verlassen, und sie wäre bei der einsamen Geburt gestorben...

Würde Zeus in einem goldenen Regen erscheinen, um die lebenslange Gefangenschaft der modernen Römerin Livia Drusa zu erhellen? Würde Dionysos mit seinem von Leoparden gezogenen Streitwagen in ihre kalte Schlafkammer fahren? Oder würde Odysseus seinen Bogen spannen und ihren Bruder und Caepio mit demselben Pfeil töten, mit dem er die sieben Axtschäfte durchbohrt hatte? Nein! Natürlich nicht! Sie alle hatten vor über tausend Jahren gelebt - wenn es sie überhaupt gegeben hatte, wenn sie nicht nur in den unauslöschlichen Zeilen eines großen Dichters existierten.

Insgeheim hatte sie sich an den Gedanken geklammert, daß der rothaarige Held auf Ahenobarbus’ Balkon von ihrer Bedrängnis hören, durch das Gitter ihres Gefängnisses eindringen und sie auf eine verzauberte Insel im Meer bringen würde. Sie hatte die entsetzlichen Stunden fortgeträumt und sich ihren Retter vorgestellt, dem Odysseus so ähnlich, so groß, so klug, so erfinderisch und so tapfer wie Odysseus. Das Haus des Marcus Livius Drusus wäre kein Hindernis für ihn, wenn er hörte, daß sie hier gefangengehalten wurde!

Aber in dieser Nacht war es anders. Diese Nacht war der wahre Beginn einer Gefangenschaft, die kein glückliches Ende haben würde. Wer wußte denn schon, daß sie gefangen war, außer ihrem Bruder und seinen Sklaven? Und welcher Sklave würde es wagen, sich den Befehlen ihres Bruders zu widersetzen? Wessen Mitleid könnte die Furcht vor Marcus Livius überwiegen? Ihr Bruder war kein grausamer Mensch, aber er war strikten Gehorsam gewohnt. Sie war ihm genauso unterworfen wie die Sklaven und die Hunde, die er in seiner Jagdhütte in Umbrien hielt. Sein Wort war ihr Gesetz, seine Wünsche ihr Befehl. Was sie selbst wollte, war bedeutungslos und existierte nicht außerhalb ihrer Gedanken.

Sie fühlte ein Brennen in ihrem linken Auge und dann eine heiße Spur auf der linken Wange. Etwas tropfte auf ihren Handrücken. Das rechte Auge begann zu brennen, und eine Träne lief die andere Wange herunter. Die Tränen fielen häufiger, wie bei einem kurzen Sommerregen, der mit einzelnen Tropfen beginnt und dann immer stärker wird. Livia Drusa weinte, denn ihr Herz brach. Sie wiegte sich vor und zurück, wischte sich die nassen Augen, putzte sich die Nase und weinte wieder. Sie weinte viele Stunden lang, allein mit ihrem Schmerz, gefangen durch den Wunsch ihres Bruders und ihre Weigerung, ihm zu gehorchen.

Doch als der Verwalter am nächsten Morgen die Tür entriegelte, saß sie gefaßt und ruhig auf der Bettkante. Sie ging vor ihm aus dem Raum und durchquerte das prächtige Atrium auf dem Weg zum Arbeitszimmer ihres Bruders.

»Nun?« fragte Drusus.

»Ich werde Quintus Servilius heiraten«, sagte sie.

»Gut, aber ich werde noch mehr von dir verlangen, Livia Drusa.

»Ich werde mich bemühen, dir in allem zu gefallen, Marcus Livius«, erwiderte sie ruhig.

»Gut.« Er schnalzte mit den Fingern, der Verwalter erschien sofort. »Schicke heißen, gesüßten Wein in das Wohnzimmer von Livia Drusa. Und sage ihrer Dienerin, sie soll ein Bad vorbereiten.«

»Ich danke dir.« Sie war sehr blaß.

»Es ist mir ein aufrichtiges Vergnügen, dich glücklich zu machen, Livia Drusa - solange du dich wie eine wohlerzogene Römerin verhältst und tust, was man von dir verlangt. Ich erwarte, daß du dich Quintus Servilius gegenüber so benimmst wie jede junge Frau, die sich über ihre Verlobung freut. Du wirst ihm diese Freude zeigen, und du wirst ihm mit unerschütterlicher Achtung, mit Respekt, Interesse und Anteilnahme begegnen. Niemals - auch nicht in der Zurückgezogenheit eures Schlafgemachs - wirst du ihm auch nur den leisesten Hinweis geben, daß er nicht der Gatte deiner Wahl ist. Hast du verstanden?« fragte er streng.

»Ich habe verstanden, Marcus Livius«, sagte sie.

»Komm mit.«

Er nahm sie mit in das Atrium. An einer Wand war ein kleiner Schrein für die Hausgötter, die Laren und Penaten, angebracht. Auf beiden Seiten standen kleine Tempel mit den imagines der berühmten Vorfahren von Livius Drusus. Und hier ließ Drusus seine Schwester einen furchtbaren Eid bei den schrecklichen römischen Göttern schwören. Diese Götter hatten keine Statuen, keine Mythen, keine menschlichen Züge, weder männliche noch weibliche, sie waren Verkörperungen geistiger Eigenschaften. Bei diesen Göttern schwor Livia Drusa, daß sie dem jungen Quintus Servilius Caepio eine warmherzige, liebende Gattin sein würde.

Nachdem sie geschworen hatte, entließ er sie in ihr Wohnzimmer, wo der heiße, mit Honig gesüßte Wein und Honigkuchen für sie bereitstanden. Sie trank ein paar Schlucke und spürte sofort die wohltuende Wirkung. Doch essen konnte sie nicht, ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie schob die Honigkuchen zur Seite, lächelte ihre Sklavin an und erhob sich.

»Ich möchte mein Bad«, sagte sie.

An diesem Nachmittag kamen Quintus Servilius Caepio und seine Schwester Servilia Caepionis zum Essen. Sie saßen mit Marcus Livius Drusus und Livia Drusa zusammen und sprachen über die geplanten Hochzeiten. Livia Drusa gehorchte ihrem Eid, doch sie dankte allen Göttern, daß man in ihrer Familie nur selten lächelte. Niemand fand es seltsam, sie so ernst zu sehen, alle waren ernst. Mit leiser Stimme und interessiert unterhielt sie sich mit Caepio, während ihr Bruder mit Servilia Caepionis sprach, und ganz allmählich schwanden Caepios Befürchtungen. Wie hatte er jemals zweifeln können, daß Livia Drusa ihn mochte? Sie wirkte etwas matt von ihrer Krankheit, doch die sanfte Freude, mit der sie Marcus Livius’ Pläne für eine Doppelhochzeit begrüßte, war eindeutig. Marcus wollte die Hochzeit Anfang Mai feiern, bevor Gnaeus Mallius Maximus seinen Marsch über die Alpen begann.

Vor der Unglückszeit. Für mich wird immer Unglückszeit sein, dachte Livia Drusa. Aber sie sprach es nicht aus.

Im Juni schrieb Publius Rutilius Rufus einen langen Brief an Gaius Marius. Die Nachricht von Jugurthas Gefangennahme war zu dieser Zeit noch nicht nach Rom gedrungen.

Wir hatten einen harten Winter, und der Frühling brachte Angst und Schrecken. Die Germanen sind auf dem Weg, sie ziehen entlang der Rhône nach Süden. Wir erhielten dringliche Schreiben von unseren gallischen Verbündeten, den Häduern. Sie berichteten, daß ihre ungebetenen Gäste, die Germanen, weiterziehen wollten. Im April kam dann die erste Abordnung und erzählte, wie die Germanen die Kornspeicher der Häduer und der Ambarrer geplündert hatten. Die Gallier glaubten jedoch, Spanien sei Ziel der Germanen, und einige Senatoren, die die Bedrohung herunterspielen wollten, haben diese Neuigkeiten gleich verbreitet.

Zum Glück gehören Scaurus und Gnaeus Domitius Ahenobarbus nicht zu dieser Sorte. Kurz nachdem Gnaeus Mallius und ich unsere Ämter als Konsuln übernommen hatten, bildete sich im Senat eine starke Fraktion, die darauf drängte, eine schlagkräftige Armee für Notfälle zu rekrutieren. Gnaeus Mallius wurde beauftragt, sechs neue Legionen aufzustellen.

 

Rutilius Rufus verkrampfte sich, als hätte er eine der heftigen Reden von Gaius Marius abzuwehren, und lächelte reuevoll.

Ja, ja, ich weiß! Zügle Dein Temperament, Gaius Marius, und laß mich die Sache erklären, bevor Du anfängst, auf meinem armen Kopf herumzutanzen! Es wäre eigentlich mein Recht gewesen, diese neue Armee aufzustellen und zu kommandieren, dessen bin ich mir wohl bewußt. Ich bin der erste Konsul, ich habe eine lange und sehr erfolgreiche militärische Laufbahn hinter mir. Seit mein Handbuch für die Ausbildung der Soldaten veröffentlicht wurde, bin ich sogar fast so etwas wie eine Berühmtheit. Mein Mitkonsul Gnaeus Mallius hingegen hat so gut wie keine Erfahrung.

Nun, es liegt vor allem an Dir! Meine Verbindung zu Dir ist allgemein bekannt, und Deine Feinde im Senat würden Rom lieber in einer germanischen Flutwelle ertrinken lassen, als Dich oder einen Deiner Anhänger zu Hilfe zu rufen. Also hat sich Metellus Schweinebacke Numidicus stark gemacht und eine großartige Rede geschwungen. Er meinte, ich sei viel zu alt, ich könne keine Armee mehr führen. Meine unleugbaren Talente würden besser genutzt, wenn ich in Rom bliebe und regierte. Sie folgten ihm wie Schafe, die zur Schlachtbank geführt werden, und erließen alle notwendigen Anordnungen. Ich höre Dich fragen, warum ich nichts dagegen unternommen habe. Nun, Gaius Marius, ich bin nicht wie Du! Ich habe nun einmal nicht diesen zerstörerischen Haß auf sie und auch nicht Deine unermüdliche Energie. Also ließ ich es damit bewenden, daß ich darauf bestand, Gnaeus Mallius ein paar fähige und erfahrene Legaten zur Seite zu stellen. Zumindest das wurde beschlossen. Er hat Marcus Aurelius Scaurus zur Unterstützung - ja, Du hast richtig gelesen, Aurelius, nicht Aemilius. Außer dem cognomen hat er nichts mit dem ehrenwerten Senatsvorsitzenden gemeinsam. Aber ich vermute, daß seine militärischen Fähigkeiten weit besser sind als die des berühmten Scaurus. Zumindest hoffe ich es für Rom und Gnaeus Mallius!

Alles in allem hat Gnaeus Mallius seine Sache bis jetzt ganz gut gemacht. Er hat nach dem Vorbild Deiner africanischen Armee eine Proletarierarmee rekrutiert. Im April erhielten wir die Nachricht, daß die Germanen südwärts ziehen, und da hatte Gnaeus Mallius bereits sechs Legionen aufgestellt, alles römische oder italische capite censi. Dann kam eine Abordnung der Häduer, und zum ersten Mal hörten wir genauere Zahlen über diese Völkerwanderung. Die 250 000 Germanen, die Lucius Cassius in Aquitanien geschlagen haben, sind höchstens ein Drittel. Die Häduer sagen, daß ungefähr 800 000 germanische Krieger, Frauen und Kinder auf dem Weg zur Mittelmeerküste sind. Unvorstellbar, nicht wahr?

Der Senat gab Gnaeus Mallius die Befugnis, vier weitere Legionen aufzustellen, insgesamt also zehn Legionen und 5 000 Reiter. Die Nachricht von der riesigen Zahl der Germanen hat sich natürlich in Windeseile in ganz Italien verbreitet, obwohl der Senat beschwichtigte, wo er nur konnte. Überall herrschen Angst und Schrecken, vor allem, weil wir bis jetzt noch keine einzige Schlacht gegen die Germanen gewonnen haben. Seit Carbo haben wir nur Niederlagen erlebt. Immer mehr Leute, vor allem einfache Leute, werden ungeduldig. Sie glauben uns nicht mehr, daß sechs gute römische Legionen ohne weiteres eine viertel Million undisziplinierter Barbaren besiegen könnten, sondern halten diese Behauptung für pure merda. Ich sage Dir, Gaius Marius, ganz Italien hat Angst, und ich zumindest kann Italien verstehen.

Einige unserer italischen Verbündeten haben ihre Haltung geändert und stellen nun freiwillig Truppen zur Verfügung - aufgrund dieser Bedrohung, nehme ich an. Die Samniten haben eine Legion leichtbewaffneter Fußsoldaten geschickt, die Marser eine wundervolle Legion Fußsoldaten, die alle nach römischem Standard ausgerüstet sind, und dann ist da noch eine gemischte Hilfslegion mit Männern aus Umbrien, Etrurien und Picenum. Du kannst Dir vorstellen, wie zufrieden unsere Senatoren sind - immerhin werden drei der vier zusätzlichen Legionen von den italischen Verbündeten bezahlt und unterhalten.

Alles schön und gut. Aber es gibt auch große Schwierigkeiten. Wir haben einfach nicht mehr genug Zenturionen, und das bedeutet, daß keine der neu verpflichteten Truppen eine gründliche Einweisung erhalten hat. Die eine zusätzliche Freiwilligenlegion ist nur so zusammengestückelt und hat keine Ahnung von Kriegführung. Gnaeus Mallius ist dem Vorschlag seines Legaten Aurelius gefolgt und hat die erfahrenen Zenturionen auf seine sieben Legionen verteilt. Also haben wir nun in jeder Legion ungefähr vierzig Prozent kampferfahrene Zenturionen. Militärtribunen hin oder her, ich muß Dir nicht erklären, daß es die Zenturionen sind, die die Kohorten zusammenhalten.

Offen gesagt, ich fürchte, daß Gnaeus Mallius scheitern wird. Er ist kein schlechter Mann, doch ich bezweifle stark, daß er den Germanen gewachsen ist. Er selbst hat während einer Senatssitzung Ende Mai gesagt, er könne nicht garantieren, daß jeder Mann in seiner Armee wisse, was er auf dem Schlachtfeld zu tun habe! Es gibt immer Männer in einer Armee, die nicht wissen, was sie auf dem Schlachtfeld tun sollen. Aber man stellt sich doch nicht vor den Senat und sagt es laut und deutlich!

Und was tat der Senat? Er sandte einen Befehl an Quintus Caepio in Narbo, er solle sich mit seiner Armee in Marsch setzen und sich an der Rhône mit den Truppen von Gnaeus Mallius vereinigen. Dieses eine Mal zögerte der Senat nicht - ein berittener Kurier überbrachte die Nachricht in weniger als zwei Wochen. Und Quintus Caepio zögerte nicht zu antworten. Gestern kam seine Erwiderung, und was für eine!

Natürlich enthielt die Botschaft des Senats auch die Anweisung an Quintus Servilius, sich dem Oberbefehl des diesjährigen Konsuls Gnaeus Mallius zu unterstellen. Alles ganz normal und üblich. Der Konsul des letzten Jahres kann prokonsularische Befugnisse haben, doch der amtierende Konsul hat den Oberbefehl.

Aber Quintus Caepio war entschieden anderer Meinung! Wie sei der Senat nur auf die Idee gekommen, daß er, ein Patrizier aus dem Hause Servilius, ein Nachfahre des großen Gaius Servilius Ahala, des Retters von Rom, sich einem Emporkömmling unterordnen werde? Einem Mann, der nicht einmal eine einzige Wachsmaske in seinem Ahnenschrein habe? Einem Mann, der nur zum Konsul gewählt worden sei, weil niemand von besserer Abkunft zur Verfügung gestanden habe? Letztes Jahr, dem Jahr seiner eigenen Wahl, sei das Aufgebot an Bewerbern respektabel gewesen, doch in diesem Jahr habe es nur zu einem alten, nicht sehr vornehmen Konsul gereicht - damit bin ich gemeint - und zu einem überheblichen Emporkömmling - Gnaeus Mallius. Also, schloß Quintus Caepio, werde er sich sofort auf den Weg zur Rhône machen. Dort erwarte er, einen Kurier des Senats vorzufinden mit der Nachricht, daß man ihm, Quintus Caepio, den Oberbefehl über das Unternehmen übertragen habe. Wenn Gnaeus Mallius ihm unterstellt sei, so Quintus Caepio, werde alles einwandfrei klappen.

 

Rutilius Rufus’ Hand begann zu schmerzen. Er legte den roten Stift mit einem Seufzer nieder und massierte sich die Finger. Seine Augenlider wurden schwer, und dann fiel sein Kopf nach vorne - er hielt ein Nickerchen. Als er nach einer Welle mit einem Ruck wieder erwachte, fühlte er sich besser und schrieb weiter.

Was für ein langer Brief! Doch niemand sonst wird Dir so genau berichten, was sich ereignet hat, und es ist wichtig, daß Du Bescheid weißt. Quintus Caepios Brief war an den Senatsvorsitzenden Scaurus gerichtet, nicht an mich. Und Du kennst ja unseren geliebten Marcus Aemilius Scaurus! Er las den ganzen schrecklichen Brief dem Senat vor, mit allen Zeichen größter Freude. Er hat es sichtlich genossen! Na, das war eine Aufregung im Senat. Rote Gesichter, fuchtelnde Fäuste, Gnaeus Mallius und Metellus Schweinebacke Numidicus gerieten sich so in die Haare, daß ich die Liktoren aus der Vorhalle herbeirufen ließ - was Scaurus überhaupt nicht paßte. Oh, welch ein Tag, beim Mars! Schade, daß wir die ganze heiße Luft nicht in Flaschen füllen und die Germanen damit einfach wegpusten können. Die giftigste Waffe, die Rom zu bieten hat!

Das Ergebnis dieser bewegten Sitzung war, daß tatsächlich ein berittener Kurier am Ufer der Rhône auf Quintus Caepio warten wird - mit genau den Befehlen, die bereits in der ersten Botschaft standen. Quintus Caepio hat sich dem Oberbefehl des rechtmäßig gewählten Konsuls, Gnaeus Mallius Maximus, zu unterstellen. Warum mußte sich dieser Narr ausgerechnet einen cognomen wie Maximus aussuchen? Das ist ein bißchen so, als würdest Du Dir selbst einen Graskranz verleihen, nachdem Deine Männer Dir das Leben gerettet haben.

Und ich fühle mich wie ein Schlachtpferd auf der Weide. Es juckt mich in allen Fingern, an Gnaeus Mallius’ Stelle zu sein. Statt dessen bin ich mit weltbewegenden Fragen geplagt wie: Können wir es uns leisten, den staatlichen Kornspeichern dieses Jahr einen neuen Innenanstrich zu geben, nachdem wir sieben Legionen auszurüsten hatten? Kannst Du Dir vorstellen, daß der Senat acht Tage über diese Frage beraten hat, während ganz Rom vor den Germanen zittert? Manchmal könnte man aus der Haut fahren!

Aber ich habe eine Idee, und ich werde sie in die Tat umsetzen, ob wir siegen oder verlieren in Gallien. Auch wenn nicht ein Mann in ganz Italien übrigbleibt, den man nur den Schuhabstreifer eines Zenturios nennen könnte, ich werde Ausbilder für Drill- und Kampfübungen von den Gladiatorenschulen holen. In Capua gibt es hervorragende Gladiatorenschulen. Wenn man bedenkt, daß Capua ohnehin als Lager für alle neu angeworbenen Truppen dient, kann man es doch gar nicht bequemer haben. Und wenn Lucius Gernegroß dann nicht mehr genug Gladiatoren bekommt für eine gute Vorstellung zum Begräbnis seines Großvaters - Pech für ihn! Rom braucht die Gladiatoren dringender als Lucius Gernegroß, denke ich! Aus meinem Plan kannst Du schon ersehen, daß ich weiterhin Besitzlose rekrutieren will.

Ich werde Dich auf dem laufenden halten. Wie geht es im Land der Lotusesser, der Sirenen und verzauberten Inseln? Hast Du Jugurtha immer noch nicht in Fußeisen gelegt? Nun, es wird bestimmt nicht mehr lange dauern, das wette ich. Metellus Schweinebacke Numidicus ist gerade ein wenig unentschlossen, ob er sich nun ganz der Hatz auf Dich oder auf Gnaeus Mallius widmen soll. Er hielt natürlich eine großartige Rede und unterstützte Quintus Caepio Ernennung zum Oberbefehlshaber. Es war mir ein außerordentliches Vergnügen, seine Sache mit ein paar gezielten Spitzen zu Fall zu bringen.

Bei den Göttern, Gaius Marius, sie ermüden mich! Sie blasen sich mit den Heldentaten ihrer Vorfahren auf, während Rom so dringend ein lebendes militärisches Genie braucht! Beeil Dich und komm heim, ja? Wir brauchen Dich. Ich kann nicht allein mit dem ganzen Senat fertig werden, es geht über meine Kräfte.

 

Der Brief hatte noch ein Postskriptum:

Es gab übrigens ein paar merkwürdige Vorfälle in der Campania. Ich weiß nicht, wie es dazu kam, aber es gefällt mir nicht. Anfang März brach ein Sklavenaufstand in Nuceria los. Nichts Großes, er wurde ohne Schwierigkeiten niedergeschlagen. Doch vor drei Tagen brachen weitere Unruhen aus, dieses Mal in einem großen Lager außerhalb von Capua. In dem Lager befanden sich männliche Sklaven der unteren Klasse, die für Arbeiten auf den Werften, in Steinbrüchen oder in Tretmühlen bestimmt waren. Beinahe zweihundertfünfzig Sklaven beteiligten sich. Der Aufstand wurde im Keim erstickt, da außerhalb von Capua einige neu rekrutierte Kohorten stationiert waren. Ungefähr fünfzig Aufrührer wurden im Kampf getötet, der Rest auf der Stelle hingerichtet. Dennoch, es gefällt mir nicht, Gaius Marius. Es ist ein Omen. Die Götter sind gegen uns, ich spüre es in meinen Knochen.

 

Und ein zweites Postskriptum:

Ich habe noch eine traurige Nachricht für Dich, Gaius Marius, von der ich selbst eben erst erfahren habe. Dein geliebter Schwiegervater, Gaius Julius Caesar, ist heute nachmittag gestorben. Wie Du weißt, litt er an einer bösartigen Geschwulst in der Kehle. Heute nachmittag hat er sich in sein eigenes Schwert gestürzt. Ich bin sicher, Du stimmst mir zu, daß er den besten Weg gewählt hat. Kein Mann sollte weiterleben, wenn er seinen Lieben zur Last fällt, vor allem, wenn er nicht mehr in dignitas und menschlicher Würde leben kann. Gibt es einen unter uns, der lieber leben als sterben würde, wenn er in seinen Exkrementen liegen oder sich von einem Sklaven die Exkremente abwischen lassen müßte? Nein, wenn ein Mann keine Gewalt mehr über seinen Darm oder über seinen Magen hat, ist es Zeit, Schluß zu machen. Ich glaube, Gaius Julius wäre früher gegangen, wenn er sich nicht um seinen jüngeren Sohn gesorgt hätte. Aber kürzlich hat sein Sohn geheiratet. Ich habe Gaius Julius vor zwei Tagen besucht, und er hat mir durch dieses würgende Ding in seiner Kehle hindurch zugeflüstert, daß die schöne Aurelia - mein Liebling, wie ich zugeben muß - die richtige Frau für seinen Sohn sei. Und so heißt es: ave atque vale, Gaius Julius Caesar.

In den letzten Junitagen machte sich der Konsul Gnaeus Mallius Maximus auf den langen Marsch nach Nordwesten. Seine beiden Söhne waren seinem persönlichen Stab zugeteilt, die vierundzwanzig gewählten Militärtribunen wurden auf die sieben der insgesamt zehn Legionen verteilt, die Rom gestellt hatte und unterhielt. Sextus Julius Caesar, Marcus Livius Drusus und der junge Quintus Servilius Caepio marschierten mit ihm, Quintus Sertorius diente als stellvertretender Militärtribun. Von den drei Legionen der italischen Verbündeten waren die Marser am besten ausgebildet und am kampffreudigsten - darin übertrafen sie sogar die Römer. Befehligt wurden die Marser von dem fünfundzwanzigjährigen Sohn eines marsischen Adligen, Quintus Poppaedius Silo, der natürlich der Aufsicht eines römischen Legaten unterstellt war.

Mallius Maximus hatte darauf bestanden, Kornvorräte für zwei Monate mitzunehmen, und so war der Troß ungeheuer groß und kam nur sehr langsam voran. Nach sechzehn Tagen hatte das Heer noch nicht einmal den umbrischen Ort Fanum Fortunae am adriatischen Meer erreicht. Der Legat Aurelius mußte lange auf Mallius Maximus einreden, bis dieser sich entschloß, mit neun Legionen, der Kavallerie und leichter Ausrüstung vorauszuziehen. Bis zur Rhône würden die Truppen schon nicht verhungern. Eine Legion bewachte den Troß und kam langsam hinterher.

Quintus Servilius Caepio hatte den kürzeren Weg auf leichterem Gelände und erreichte den riesigen Fluß lange vor Mallius Maximus. Er führte nur sieben seiner acht Legionen mit sich und keine Kavallerie. Die achte Legion hatte er auf dem Seeweg nach Hispania Citerior gesandt und die Kavallerie als unnötige Ausgabe schon im Jahr zuvor aufgelöst. Trotz der Befehle vom Senat und trotz des Drängens seiner Legaten wollte er in Narbo unbedingt noch einen wichtigen Brief aus Smyrna abwarten. Seine Laune war ausgesprochen schlecht - wenn er nicht gerade über die Langsamkeit der Verbindung mit Smyrna klagte, beschwerte er sich über die Taktlosigkeit des Senats, der ihn unter den Oberbefehl einer Laus wie Mallius Maximus stellen wollte. Am Ende mußte er ohne seinen Brief marschieren. Natürlich ließ er ausführliche Anordnungen zurück, auf welchem Weg ihm der Brief unverzüglich nachzusenden sei.

Trotz dieser Verzögerungen erreichte Caepio den Zielort lange vor Mallius Maximus. In Nemausus, einer kleinen Handelsstadt im Rhônedelta, wurden ihm von einem Kurier des Senats die neuen Befehle ausgehändigt.

Nicht im Traum war es Caepio in den Sinn gekommen, sein Brief an die Senatoren könnte nicht die gewünschte Wirkung zeigen. Als er nun die Antwort gelesen hatte, tobte er. Unmöglich! Unerträglich! Er, ein Patrizier aus dem Hause Servilius, sollte den Launen des Emporkömmlings Mallius Maximus unterworfen sein? Niemals!

Die römischen Kundschafter meldeten, daß die Germanen südwärts durch das Gebiet der Allobroger zogen. Die Allobroger waren unversöhnliche Feinde Roms, doch nun befanden sie sich in einer Zwickmühle - die Römer waren zwar Feinde, doch man kannte sie, während die Germanen eine unbekannte Gefahr darstellten. Und die Druiden machten bereits seit zwei Jahren jedem Stamm klar, daß es in Gallien kein Land für die Germanen gab. Die Allobroger hatten nicht vor, einen Teil ihres Gebietes an die Germanen abzutreten, die ihnen zahlenmäßig so weit überlegen waren. Außerdem hatten sie von den Häduern und den Ambarrern gehört, was für Verwüstungen die Germanen bei ihnen angerichtet hatten. So verschanzten sich die Allobroger in den Ausläufern ihrer geliebten Alpen und setzten den Germanen zu, wo immer sie konnten.

Ende Juni stießen die Germanen nördlich des Handelspostens Vienna in die römische Provinz Gallia Transalpina vor und zogen von dort ungehindert weiter - eine unübersehbare Masse, bestehend aus achthunderttausend Menschen, die sich die Rhône entlangwälzte. Dabei blieben sie auf dem Ostufer, denn hier waren die Ebenen weiter und sicherer und Angriffe der wilden Hochlandstämme Galliens unwahrscheinlicher.

Nachdem Caepio davon erfahren hatte, verließ er die Via Domitia bei Nemausus. Anstatt die Sümpfe des Rhônedeltas auf dem langen Damm zu überqueren, den Ahenobarbus gebaut hatte, zog er am Westufer der Rhône entlang und hatte so den Fluß zwischen sich und den Germanen. Es war inzwischen Mitte des Monats Sextilis.

Von Nemausus aus hatte Caepio einen Eilkurier mit einem neuen Brief an Scaurus nach Rom geschickt. Er erklärte, daß er keine Befehle von Mallius Maximus entgegennehmen werde, und damit Schluß. Der einzige Weg, den er danach einschlagen konnte, war der am Westufer der Rhône.

Am Ostufer der Rhône, ungefähr vierzig Meilen nördlich von dem Punkt, an dem die Via Domitia die Rhône überquerte, befand sich eine römische Handelsstadt von einiger Bedeutung, ihr Name war Arausio. Am Westufer, zehn Meilen nördlich von Arausio, ließ Caepio ein Lager für seine vierzigtausend Soldaten und seine fünfzehntausend Männer vom Troß errichten. Hier wartete er auf Mallius Maximus, der am anderen Ufer auftauchen sollte - und auf eine Antwort des Senats auf seinen letzten Brief.

Mallius Maximus kam Ende des Monats Sextilis, vor der Antwort des Senats. Er errichtete ein stark befestigtes Lager für fünfundfünfzigtausend Soldaten und dreißigtausend nichtkämpfende Männer direkt am Ufer der Rhône. Der Fluß war damit zugleich Teil der Verteidigungsanlage und Wasserreservoir.

Marcus Mallius betrachtete das Gebiet nördlich des Lagers als ideales Schlachtfeld, den Fluß als besten Schutzwall. Das war sein erster Fehler. Den zweiten beging er, als er die fünftausend Mann starke Kavallerie vom Lager abtrennte und dreißig Meilen nördlich stationierte. Der dritte Fehler bestand darin, daß er seinen fähigsten Legaten, Aurelius, als Kommandanten der Kavallerie abstellte. Alle diese Fehler ergaben sich aus Mallius Maximus’ vermeintlich großartigem Plan. Aurelius und die Kavallerie sollten den Vormarsch der Germanen allein durch ihre Anwesenheit bremsen, denn Mallius Maximus wollte die Germanen mit römischer Waffentechnik einschüchtern, er wollte verhandeln, nicht kämpfen. Er wollte die Germanen dazu bewegen, sich freiwillig ins Innere Galliens zurückzuziehen.

Alle früheren Schlachten zwischen Germanen und Römern hatten die Römer begonnen, und zwar immer dann, wenn die Germanen Anstalten machten, das römische Territorium friedlich zu verlassen. So hegte Mallius Maximus große Hoffnungen für seinen Plan, und die Hoffnungen waren nicht ganz unbegründet.

Als erstes jedoch mußte er Caepio dazu bewegen, vom Westufer zum Ostufer überzusetzen. Mallius Maximus war immer noch aufgebracht über Caepios beleidigenden Brief, den Scaurus im Senat verlesen hatte. So fiel sein schriftlicher Befehl an Caepio denkbar knapp und unfreundlich aus: Setze über den Fluß und begib Dich in mein Lager, und zwar sofort! Er ließ die Botschaft von ein paar Ruderern über den Fluß bringen, das war der direkteste Weg.

Caepio gab den Ruderern seine Antwort gleich mit. In derselben eisigen Kürze schrieb er, daß er, ein Patrizier aus dem Hause Servilius, von so einer Laus, wie ein anmaßender Händler es sei, keine Befehle entgegennehmen werde. Er werde bleiben, wo er sei, nämlich am Westufer.

Und so erging der nächste Befehl von Mallius Maximus:

Als Dein Vorgesetzter wiederhole ich meinen Befehl: Laß Dich mit Deiner Armee sofort, ohne die geringste Verzögerung, über den Fluß setzen. Das ist meine letzte Anweisung. Solltest Du Dich weiterhin widersetzen, werde ich gerichtliche Schritte gegen Dich in Rom einleiten. Die Anklage wird auf Hochverrat lauten.

 

Caepio antwortete in ähnlich kampflustigem Tonfall:

Ich erkenne Dich nicht als Oberbefehlshaber an. Zögere nicht, mich wegen Hochverrat anzuklagen. Ich werde gegen Dich auf jeden Fall Anklage wegen Hochverrat erheben. Da wir beide wissen, wer gewinnen wird, fordere ich Dich auf, mir den Oberbefehl sofort zu übergeben.

 

Die Antwort von Mallius Maximus stand dieser Aufforderung an Arroganz nicht nach. Und so ging es fort bis in die zweite Hälfte des Septembers. Dann kamen sechs Senatoren aus Rom an, vollkommen erschöpft von der langen und unbequemen Reise, die sie in höchster Eile unternommen hatten. Rutilius Rufus, der in Rom verbliebene Konsul, hatte seinen Plan, Senatoren zu Caepio und Mallius Maximus zu schicken, nach etlichen Mühen endlich durchsetzen können, aber Scaurus und Metellus Numidicus war es gelungen, der Abordnung die Zähne zu ziehen - kein Konsular befand sich unter den Senatoren, und keiner hatte nennenswerten politischen Einfluß. Der Ranghöchste war ein einfacher Prätor von niederem Adel, Rutilius Rufus’ Schwager Marcus Aurelius Cotta. Zumindest Cotta hatte einige Stunden nach ihrer Ankunft begriffen, wie schwierig und verfahren die Lage war.

Cotta machte sich mit großem Schwung und einer Leidenschaft an die Arbeit, die ihm normalerweise fremd war. Er konzentrierte sich auf Caepio, aber Caepio blieb unzugänglich. Nach einem Besuch im Lager der Kavallerie, dreißig Meilen nördlich, ging Cotta mit doppelter Energie zu Werke, denn der Legat Aurelius hatte ihn auf Schleichwegen auf einen hohen Hügel geführt, von dem aus man die Spitze der heranrollenden Masse der Germanen sehen konnte.

Cotta schaute hinab und wurde blaß. »Ihr müßtet alle im Lager von Gnaeus Mallius sein«, sagte er.

»Wenn Gnaeus Mallius auf einen Kampf hinauswollte, ja«, antwortete Aurelius ganz ruhig. Er hatte den Vormarsch der Germanen seit Tagen beobachtet und war an den Anblick gewöhnt. »Gnaeus Mallius meint, wir könnten an frühere diplomatische Erfolge anschließen. In der Vergangenheit haben die Germanen nur gekämpft, wenn wir sie dazu gezwungen haben. Aber diesmal wollen wir nicht kämpfen. Und ich bin sicher, daß sie auch nicht anfangen werden. Ich habe ein paar fähige Übersetzer hier, und seit Tagen trichtere ich ihnen ein, was ich sagen will, wenn die Germanen ihre Häuptlinge zu uns schicken. Ich bin sicher, daß die Germanen verhandeln werden, wenn sie sehen, daß eine riesige römische Armee auf sie wartet.«

»Aber das wissen sie doch bestimmt!«

»Das bezweifle ich«, meinte Aurelius gelassen. »Sie rücken nicht in militärischer Ordnung vor. Ich bin mir nicht sicher, ob sie überhaupt wissen, was Kundschafter sind, jedenfalls haben sie noch nie welche ausgesandt. Sie... wälzen sich einfach vorwärts!«

Cotta wandte sein Pferd um. »Ich muß sofort zurück zu Gnaeus Mallius. Wir müssen diesen starrköpfigen Idioten Caepio dazu bewegen, über den Fluß zu setzen. Dort drüben nützt er uns nichts.«

»Da stimme ich dir vollkommen zu«, erwiderte Aurelius. »Ich möchte dich jedoch um eines bitten, Marcus Aurelius. Komm sofort zurück, wenn ich dir melden lasse, daß germanische Unterhändler da sind. Bring deine fünf Kollegen mit! Die Germanen werden davon beeindruckt sein, daß sechs römische Senatoren den weiten Weg gekommen sind, um mit ihnen zu verhandeln.« Er grinste sarkastisch. »Wir werden ihnen bestimmt nicht verraten, daß sechs römische Senatoren den weiten Weg gemacht haben, um mit unseren verbohrten Feldherren zu verhandeln!«