Catulus Caesars Heer hatte das Basislager bei Verona längst wieder erreicht, als es Boiorix und seinen Kimbern endlich gelang, ihre Karren über die wenigen baufälligen Brücken zu ziehen, die noch übriggeblieben waren. Die Germanen setzten ihren Weg talwärts fort, bis sie die fruchtbare Po-Ebene erreichten. Catulus Caesar hatte zunächst darauf bestanden, daß sich die Römer den Kimbern in der Nähe des Gardasees zum Kampf stellen sollten, aber Sulla, der jetzt das Heft fest in der Hand hielt, wollte nichts davon wissen. Statt dessen überredete er Catulus Caesar, jeder Stadt und jedem Dorf zwischen Aquileia im Osten und Comum und Mediolanum im Westen eine Nachricht zu senden: Alle römischen Bürger, alle latinischen Bürger und alle Gallier, die sich nicht mit den Germanen verbünden wollten, wurden aufgefordert, den nördlich des Po gelegenen Teil von Gallien unverzüglich zu verlassen. Die Flüchtlinge sollten nach Süden über den Po ziehen und Gallia Transpadana ganz den Kimbern überlassen.
»Die Germanen werden sich aufführen wie Schweine in einem Haufen von Eicheln«, erklärte Sulla, denn nicht umsonst hatte er ein Jahr unter Kimbern gelebt. »Wenn sie erst einmal Gefallen an den Weiden und an der friedlichen Landschaft zwischen dem Gardasee und dem Po gefunden haben, wird Boiorix seine Leute nicht mehr zusammenhalten können. Sie werden sich in alle Himmelsrichtungen zerstreuen, du wirst schon sehen.«
»Und sie werden plündern, zerstören, brandschatzen«, warf Catulus Caesar ein.
»Richtig. Sie werden aber auch vergessen, was sie hier eigentlich vorhatten, nämlich in Italien einzufallen. Nimm es nicht so schwer, Quintus Lutatius! Schließlich leben auf dieser Seite der Alpen fast nur Gallier, und die Germanen werden den Po nicht überqueren, bevor sie das Land nicht so abgenagt haben wie ein Verhungernder einen Hühnerknochen. Unsere eigenen Bürger werden dann längst weg sein und ihren Besitz in Sicherheit gebracht haben. Sie behalten ihr Land, wir holen es uns zurück, sobald Gaius Marius hier ankommt.«
Catulus Caesar jammerte zwar, aber er widersetzte sich nicht. Er wußte, wie schneidend Sullas Worte sein konnten - und er wußte nun auch, wie rücksichtslos Sulla sein konnte, wie kalt, wie unnachgiebig, wie entschlossen. Seltsam, daß Gaius Marius ihm vertraute, auch wenn man in Rechnung stellte, daß sie Schwäger waren. Oder besser gewesen waren. Hatte sich Sulla auch seiner Julilla entledigt? fragte sich Catulus Caesar. Er hatte reichlich Zeit gehabt, über Sulla nachzudenken, und dabei war ihm ein Gerücht eingefallen, das unter den Brüdern und Familien des Hauses Caesar kursiert hatte, als der bis dahin völlig unbekannte Sulla so überraschend ins öffentliche Leben getreten war und seine Julilla aus dem Geschlecht der Julier geheiratet hatte. Dem Gerücht zufolge war er zu Geld gekommen, weil er seine - Mutter? - Stiefmutter? - Geliebte? - seinen Neffen? umgebracht hatte. Nun, sobald ich nach Rom zurückkehre, beschloß Catulus Caesar, werde ich mich sehr eingehend nach diesem Gerücht erkundigen. Nicht um es offen gegen ihn zu verwenden und auch nicht sofort, sondern nur, um in Zukunft besser vorbereitet zu sein, zum Beispiel, wenn sich Lucius Cornelius Hoffnungen auf die Prätur machen sollte. Noch nicht, wenn er Ädil werden will - die Freude soll er noch genießen und sich dabei ruinieren dürfen. Aber wenn er Prätor werden will, dann.
Catulus Caesar wußte, daß er die Nachricht von dem Fehlschlag im Etschtal sofort nach Rom melden mußte, sobald seine Legionen das Lager bei Verona erreicht hatten, denn er vermutete, daß Sulla unverzüglich Gaius Marius in Kenntnis setzen würde. Es war deshalb wichtig, daß Rom zuerst seine, Catulus Caesars, Version der Ereignisse zu hören bekam. Da sich beide Konsuln auf Feldzügen befanden, mußte die Nachricht für den Senat an den Senatsvorsitzenden gerichtet werden, und so schickte Catulus Caesar seinen Bericht an den Senatsvorsitzenden Marcus Aemilius Scaurus, zusammen mit einem privaten Brief, in dem er die Ereignisse wahrheitsgemäß schilderte. Beide Botschaften, den offiziellen Bericht und den privaten Brief, versiegelte er mehrfach und übergab sie dann dem jungen Scaurus, dem Sohn des princeps senatus, mit dem Auftrag, sie so schnell wie möglich nach Rom zu bringen.
»Er ist der schnellste Reiter, den wir haben«, erklärte er Sulla ganz unbefangen.
Sulla blickte Catulus Caesar mit jenem ironischen, spöttischen Ausdruck an, den er bereits bei ihrem Gespräch über die Meuterei gezeigt hatte. »Quintus Lutatius, du bist von einer einzigartigen, raffinierten Grausamkeit, wie sie mir noch nie vorgekommen ist.«
»Willst du den Befehl widerrufen?« fragte Catulus Caesar höhnisch. »Du bist unverschämt genug, das zu tun.«
Aber Sulla zuckte nur die Schultern und wandte sich ab. »Es ist dein Heer, Quintus Lutatius. Du kannst tun und lassen, was du willst.«
Und Catulus Caesar hatte getan, was er tun wollte. Er hatte den jungen Marcus Aemilius Scaurus mit dem Bericht über dessen klägliches Versagen im Kampf nach Rom geschickt.
»Ich gebe dir diesen Auftrag, Marcus Aemilius, weil ich mir keine schlimmere Strafe für einen Feigling von so hoher Abstammung vorstellen kann. Du überbringst deinem Vater die Nachricht von einem militärischen Fehlschlag und von deinem persönlichen Versagen«, sagte Catulus Caesar in gemessenem, priesterlichem Ton.
Der junge Scaurus - blaß, betrübt und erheblich abgemagert, stand stramm vor seinem Feldherrn und vermied es, ihm direkt in die Augen zu blicken. Aber als Catulus Caesar ihm seinen Auftrag eröffnete, richtete er seine blassen Augen - ein Abbild der grünen Augen seines Vaters, nur bei weitem nicht so schön - widerstrebend auf Catulus Caesars hochmütiges Gesicht.
»Bitte, Quintus Lutatius!« keuchte er. »Ich bitte dich, schicke jemand anderen! Ich kann meinem Vater nicht gegenübertreten, noch nicht!«
»Es geht nicht um dich, Marcus Aemilius, es geht um Rom«, sagte Catulus Caesar kalt, und eine Welle der Verachtung stieg in ihm auf. »Du wirst im Galopp nach Rom reiten und dem Senatsvorsitzenden meine Botschaft überbringen. Du bist zwar ein Feigling im Kampf, aber du bist einer unserer besten Reiter, und dein Name ist hinreichend berühmt, so daß du auf der ganzen Strecke hervorragende Pferde bekommen wirst. Du brauchst keine Angst zu haben! Die Germanen stehen noch weit im Norden, du wirst im Süden also keiner Gefahr ausgesetzt.«
Der junge Scaurus saß wie ein Mehlsack im Sattel. Meile um Meile legte er zurück, die Via Annia hinunter und dann die Via Cassia nach Rom, die kürzere, aber schwierigere Strecke. Sein Kopf fiel mit jedem Schritt seines Pferdes auf und nieder, die Zähne schlugen regelmäßig wie ein Herzschlag aufeinander, ein stetiges und auf eigenartige Weise beruhigendes Geräusch. Manchmal führte er Selbstgespräche.
»Wenn ich nur etwas Mut besessen hätte, glaubst du nicht, daß ich mich dann dort zusammengerissen hätte?« fragte er den imaginären Zuhörer im Wind, auf der Straße und am Himmel. »Was kann ich dafür, daß ich keinen Mut habe, Vater? Woher kommt Mut? Warum habe ich keinen? Wie kann ich dir nur begreiflich machen, welchen Schmerz und welche Furcht, welches Entsetzen ich empfand, als ich diese furchtbaren Wilden schreiend und brüllend wie die Furien heranstürmen sah? Ich konnte mich nicht mehr rühren! Ich hatte keine Kontrolle mehr über meine Gedärme, von meinem Herzen ganz zu schweigen! Es schlug immer schneller, bis ich zusammenbrach und meinen Tod freudig annehmen wollte. Und dann wachte ich auf und mußte feststellen, daß ich noch lebte, immer noch voller Entsetzen - und meine Gedärme entleerten sich noch einmal! Und die Soldaten, die mich in Sicherheit gebracht hatten, wuschen sich im Fluß vor meinen Augen meine stinkende Scheiße von den Kleidern, mit einer Verachtung, einem Haß! Oh, Vater, was ist Mut? Wo ist mein Anteil an Mut? Vater, hör mich an! Ich muß es dir erklären! Du kannst von mir nicht etwas fordern, das ich nicht habe. Vater, hör mich an!«
Aber der Senatsvorsitzende Marcus Aemilius Scaurus wollte nicht hören. Als sein Sohn mit den Botschaften des Catulus Caesar in Rom eintraf, befand er sich gerade im Senat, und als er nach Hause kam, hatte sich sein Sohn in seinem Zimmer eingeschlossen. Der junge Scaurus ließ seinem Vater durch den Verwalter ausrichten, daß er Botschaften des Konsuls mitgebracht habe und in seinem Zimmer warte, bis sein Vater sie gelesen habe und ihn rufen lasse.
Scaurus las zuerst den offiziellen Bericht. Sein Gesicht verfinsterte sich, aber er war froh, daß wenigstens die Legionen gerettet waren. Dann las er Catulus Caesars privaten Brief, jedes einzelne der furchtbaren Wörter las er laut, und bei jedem Wort sank er ein Stück tiefer in seinen Stuhl, bis er auf die Hälfte seiner üblichen Größe geschrumpft schien. Tränen standen in seinen Augen und fielen auf das Papier, wo sie große nasse Flecken bildeten. Natürlich wußte er, was für ein Mann Catulus Caesar war, insofern überraschte ihn der Teil der Ereignisse nicht, und er war aufrichtig dankbar dafür, daß ein so starker und furchtloser Legat wie Sulla dabeigewesen war und die wertvollen Truppen gerettet hatte.
Aber Scaurus hatte immer gehofft, daß sein Sohn in einer schier ausweglosen, lebensbedrohlichen Situation jenen Mut, jene Kühnheit finden würde, die nach seiner Überzeugung in jedem Mann schlummerten. Zumindest in jedem Mann mit dem Namen Aemilius. Dieser Junge war sein einziger Sohn - sein einziges Kind. Nun würde sein Familienname in Unehre, in Schande enden! Und wohl zu Recht, wenn sein Sohn - sein einziges Kind! - ein solcher Versager war.
Scaurus atmete tief ein und faßte einen Entschluß. Er würde keinen Versuch unternehmen, die Sache zu verbergen, zu entschuldigen, reinzuwaschen oder zu zerreden. Das konnte er getrost Catulus Caesar überlassen. Sein Sohn hatte sich als Feigling erwiesen, er hatte seine Soldaten in einer Stunde der größten Gefahr verlassen, auf eine erniedrigende und weit feigere Art, als wenn er nur geflohen wäre - er hatte buchstäblich in die Hosen geschissen und war dann ohnmächtig geworden. Seine Soldaten hatten ihn retten müssen, wo doch er sie hätte retten müssen. Scaurus war entschlossen, diese Schande mit all dem Mut zu ertragen, den er immer besessen hatte. Mochte sein Sohn die Verachtung der ganzen Stadt wie Peitschenhiebe zu spüren bekommen!
Die Tränen versiegten, sein Gesicht nahm wieder einen normalen, entschlossenen Ausdruck an. Er klatschte in die Hände. Als der Verwalter eintrat, fand er seinen Herrn aufrecht auf dem Stuhl sitzend, die Hände lagen locker gefaltet auf dem Tisch.
»Marcus Aemilius, dein Sohn wünscht dich dringend zu sprechen«, sagte der Verwalter. Es war ihm klar, daß etwas nicht stimmte, denn der junge Herr benahm sich eigenartig.
»Du wirst dem jungen Herrn mitteilen«, sagte Scaurus steif, »daß ich ihn verstoße, aber daß ich ihm seinen Namen lassen werde. Mein Sohn ist ein Feigling - ein jämmerlicher, bleichgesichtiger Bastard -, aber Rom soll diesen Feigling unter seinem wirklichen Namen verachten. Ich will ihn niemals wiedersehen, solange ich lebe. Sag ihm das. Und sage ihm auch, daß er dieses Haus niemals wieder betreten darf, auch nicht als Bettler an der Tür. Sag ihm das! Sag ihm, daß er mir nie mehr unter die Augen kommen soll! Geh, sag es ihm!«
Der Verwalter war so erschrocken, daß er zitterte und um den jungen Herrn weinte, denn er mochte ihn gern. Jederzeit in den zurückliegenden zwanzig Jahren hätte er dem Vater sagen können, daß sein Sohn keinen Mut besaß, keine Stärke, keine Entschlossenheit. Und nun mußte er dem jungen Scaurus die Worte seines Vaters überbringen.
»Ich danke dir«, sagte der junge Scaurus und schloß die Tür hinter dem Verwalter, aber verriegelte sie nicht.
Als sich der Verwalter einige Stunden später wieder in das Zimmer des jungen Scaurus wagte, weil der Vater wissen wollte, ob sein Sohn das Haus bereits verlassen hatte, fand er den Sohn tot auf dem Boden. Er hatte sein Schwert gegen sich selbst gerichtet.
Aber Marcus Aemilius Scaurus, der princeps senatus, blieb seinem Wort treu. Sein Sohn durfte ihm nicht mehr unter die Augen kommen, weder lebend noch tot. Im Senat listete er mit gewohnter Energie und Geistesschärfe die Fehlschläge im italischen Gallien auf und verschwieg auch nicht die gräßliche Geschichte von der Feigheit und dem Selbstmord seines Sohnes. Er erzählte sie ungeschminkt, ersparte sich und den Senatoren nichts und zeigte keine Trauer.
Nach der Sitzung zwang er sich, auf den Treppen des Senatsgebäudes auf Metellus Numidicus zu warten. Hatten die Götter möglicherweise ihm so viel Mut zugemessen, daß in dieser Familie für seinen Sohn nichts mehr übriggeblieben war? Und es kostete ihn allen Mut, den er besaß, hier auf Metellus Numidicus zu warten, während die Senatoren an ihm vorübereilten - manche warfen ihm mitleidige Blicke zu, ängstliche, verlegene Blicke, aber keiner blieb bei ihm stehen.
»Oh, mein lieber Marcus!« rief Metellus Numidicus, sobald niemand mehr ihr Gespräch belauschen konnte. »Mein lieber, lieber Marcus, was soll ich dazu nur sagen?«
»Was meinen Sohn betrifft, am besten gar nichts«, erwiderte Scaurus. Wie gut war es doch, Freunde zu haben! »Was die Germanen betrifft, müssen wir überlegen, wie wir eine Panik in Rom verhindern!«
»Oh, über Rom brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen«, sagte Metellus Numidicus leichthin. »Rom wird überleben. Es mag heute, morgen und übermorgen eine Panik geben, aber schon am nächsten Markttag ist alles wieder beim alten. Hast du jemals gehört, daß Menschen ihre Häuser aufgeben, weil es in ihrer Heimat dauernd Erdbeben gibt oder weil vor ihrer Haustür ein Vulkan zu spucken anfangen könnte?«
»Das stimmt, sie bleiben, jedenfalls so lange, bis das Dach einstürzt und die Großmutter erschlägt oder ein Mädchen in einen Lavastrom fällt«, stimmte Scaurus zu. Er war froh, daß er ein normales Gespräch führen konnte und dabei sogar ein wenig lächeln durfte.
»Wir werden es überleben, Marcus, keine Angst.« Metellus Numidicus schluckte und fügte dann mutig hinzu: »Gaius Marius wartet noch immer auf seine Abteilung der Germanen. Erst wenn er geschlagen wird, müssen wir uns Sorgen machen. Denn wenn Gaius Marius die Germanen nicht besiegen kann, dann kann es niemand.«
Scaurus schloß für einen Moment die Augen. Er hielt es für besser, nicht direkt zu antworten, denn Metellus Numidicus’ Geste, hier in aller Öffentlichkeit mit ihm zu reden, war geradezu heroisch. Außerdem mußte er für alle Zeiten vergessen, daß Metellus Numidicus jemals zugegeben hatte, daß Gaius Marius Roms bester Feldherr war - und Roms einzige Chance.
»Quintus, etwas muß ich dir noch über meinen Sohn mitteilen, dann können wir dieses Kapitel vergessen«, sagte Scaurus.
»Und was wäre das?«
»Es betrifft deine Nichte - dein Mündel, Metella Delmatica. Durch diese unglückselige Episode habt ihr - du und sie - große Unannehmlichkeiten bekommen. Sag ihr, daß sie noch einmal glimpflich davongekommen ist. Es wäre für eine Caecilia Metella nicht gut gewesen, einen Feigling zu heiraten«, sagte Scaurus mürrisch.
Plötzlich wurde ihm bewußt, daß er vollkommen allein war. Er drehte sich um und sah Metellus Numidicus an, der wie vom Donner gerührt dastand.
»Quintus? Quintus! Was ist los mit dir?« fragte Scaurus und ging zu seinem Freund zurück.
»Was soll schon los sein!« Metellus Numidicus’ Erstarrung wich. »Oh guter Gott Amor! Nichts ist los, nichts. Mein lieber, lieber Marcus! Ich hatte gerade einen wunderbaren Gedanken!«
»Das kommt vor«, sagte Scaurus trocken.
»Warum heiratest nicht du meine Nichte Delmatica?«
Scaurus starrte ihn entgeistert an. »Ich?«
»Ja, du! Du bist seit vielen Jahren Witwer und hast jetzt auch keinen Sohn mehr, der deinen Namen und dein Vermögen erben könnte. Das ist eine Tragödie, Marcus!« sagte Metellus Numidicus sehr eindringlich. »Sie ist ein reizendes Mädchen, und so hübsch! Komm, Marcus, vergiß die Vergangenheit und fang noch einmal von vorne an! Außerdem ist sie sehr reich!«
»Ich wäre dann um keinen Deut besser als der geile alte Cato der Zensor«, widersprach Scaurus. Doch der leise Zweifel in seiner Stimme verriet Metellus Numidicus, daß Scaurus für die Idee gewonnen werden konnte, wenn sie nur ernsthaft genug vorgetragen wurde. »Quintus, ich bin fünfundfünfzig Jahre alt!«
»Du lebst bestimmt noch einmal fünfundfünfzig Jahre!«
»Schau mich an! Komm, schau mich an! Ich bin kahl, habe einen Bauch und mehr Falten als Hannibals Elefanten! Ich werde allmählich buckelig, habe Rheuma und Hämorrhoiden - nein, Quintus, kommt nicht in Frage!«
»Delmatica ist noch so jung, daß sie sich einen Großvater als idealen Ehemann vorstellt«, sagte Metellus Numidicus. »Oh, Marcus, ich würde mich darüber freuen! Komm schon, was sagst du dazu?«
Scaurus griff sich an den kahlen Kopf und schnappte nach Luft, aber er spürte auch, wie neue Lebenskräfte in ihm erwachten. »Glaubst du wirklich, daß das gutgehen könnte?« fragte er. »Glaubst du, daß ich noch einmal eine Familie gründen sollte? Ich werde sterben, bevor die Kinder erwachsen sind!«
»Warum glaubst du, daß du so bald stirbst? Du kommst mir vor wie eines dieser ägyptischen Dinger - so gut präpariert, daß sie tausend Jahre überdauern. Wenn du stirbst, Marcus Aemilius, wird Rom in seinen Grundfesten erschüttert.«
Sie gingen über das Forum auf die Vesta-Treppe zu, tief in ihr Gespräch versunken und heftig mit den Händen gestikulierend.
»Schau dir nur einmal die zwei da drüben an!« sagte Saturninus zu Glaucia. »Sicherlich planen sie wieder einmal den Sturz aller Demagogen.«
»Ein kaltherziger alter Knochen, dieser Scaurus«, meinte Glaucia. »Wie kann er sich nur hinstellen und so über seinen Sohn reden?«
Saturninus zuckte die Schultern. »Der Ruf der Familie ist eben wichtiger als ihre einzelnen Mitglieder. Aber Scaurus ist ein hervorragender Taktiker. Er hat aller Welt bewiesen, daß es seiner Familie an Mut nicht fehlt! Sein Sohn hat zwar beinahe eine römische Legion in den Untergang geführt, aber das kann jetzt niemand mehr Marcus Aemilius oder seiner Familie vorwerfen!«
Mitte September hatten die Teutonen Arausio hinter sich gelassen und näherten sich dem Zusammenfluß von Rhône und Durance. Die Spannung im römischen Lager vor Glanum stieg von Tag zu Tag.
»Die Stimmung ist gut«, sagte Gaius Marius bei einem Inspektionsgang durch das Lager zu Quintus Sertorius.
»Darauf warten die Soldaten jetzt schon seit Jahren«, meinte Sertorius.
»Sie sind vollkommen furchtlos, nicht wahr?«
»Sie vertrauen darauf, daß du sie gut führen wirst, Gaius Marius.«
Quintus Sertorius hatte die Nachricht von dem Fiasko bei Tridentum überbracht, nachdem er sich von den Kimbern abgesetzt und sich heimlich mit Sulla getroffen hatte. Sulla hatte ihm einen Brief für Marius mitgegeben und darin die Ereignisse anschaulich geschildert. Der Brief endete mit der Information, daß Catulus Caesars Heer vor Placentia sein Winterlager bezogen habe. Bald darauf traf ein Brief von Publius Rutilius Rufus ein, in dem die Angelegenheit aus der Sicht Roms beschrieben wurde.
Ich vermute, daß es Deine persönliche Entscheidung war, Lucius Cornelius zu beauftragen, ein wenig auf unseren hochmütigen Freund Quintus Lutatius aufzupassen, und ich finde diese Entscheidung sehr gut. Hier in Rom laufen alle möglichen Gerüchte um, aber die Wahrheit scheint niemand genau zu kennen, nicht einmal unsere boni. Sicher hast Du von Lucius Cornelius erfahren, was sich wirklich abgespielt hat - wenn diese Angelegenheit mit den Germanen erledigt ist, werde ich als Dein Freund verlangen, daß Du mich ebenfalls ins Bild setzt. Bislang habe ich von Meuterei gehört, von Feigheit vor dem Feind, von Stümperei und von verschiedenen anderen militärischen Vergehen. Besonders bemerkenswert finde ich die Kürze und - kann ich es so nennen? - Aufrichtigkeit des Berichts von Quintus Lutatius an den Senat. Aber ist er wirklich aufrichtig? Letztlich enthält der Bericht~ lediglich ein einfaches Eingeständnis: Ihm sei bei der Begegnung mit den Kimbern klargeworden, daß Tridentum ein ungünstiger Ort für eine solche Schlacht sei, und der Rückzug sei notwendig gewesen, um das Heer zu retten, aber zuvor habe er noch die Brücke zerstören und damit das Nachsetzen der Germanen hinauszögern können. Aber da muß doch noch etwas anderes gewesen sein! Ich kann fast Dein Lächeln sehen, während Du dies liest.
Ohne Konsuln ist Rom eine tote Stadt. Die Sache mit Marcus Aemilius hat mir sehr leid getan, ich nehme an, Du empfindest ebenso. Wie soll man sich verhalten, wenn man feststellt, daß man einen Sohn gezeugt hat, der es nicht wert ist, den Namen der Familie zu tragen? Aber der Skandal versandete sehr schnell wieder, aus zwei Gründen. Erstens wird Scaurus überall sehr geachtet, gleichgültig, ob man ihn nun persönlich mag oder nicht und ob man seine Politik schätzt oder nicht. Der zweite Grund ist entschieden sensationeller: Scaurus hat die Braut seines Sohnes geheiratet, Caecilia Metella Delmatica, das Mündel von Metellus Numidicus Schweinebacke. Ganze siebzehn Jahre, stell dir das vor! Wenn die Sache nicht so komisch wäre, müßte man eigentlich darüber weinen. Ich kenne das Mädchen zwar nicht, aber ich habe gehört, daß sie ein hübsches kleines Ding sei, sehr sanft und ausgesprochen nett. Das kann man kaum glauben, wenn man bedenkt, aus welchem Stall sie kommt, aber ich glaube es trotzdem. Du solltest Scaurus sehen - da hättest Du etwas zum Lachen! Er stolziert herum wie ein Pfau. Und ich denke allen Ernstes daran, einmal durch alle besseren Schulzimmer Roms zu schleichen - und mir ein heiratsfähiges Mädchen als neue Frau des Rutilius Rufus zu suchen!
Im kommenden Winter werden wir vor einer ernsten Getreideknappheit stehen, erster Konsul. Ich will Dich nur an die Pflichten erinnern, die üblicherweise auch noch zu Deinem Amt gehören, um die Du Dich aber wegen der Germanen nicht kümmern kannst. Wie ich erfahren habe, wird Catulus Caesar den Oberbefehl in Placentia in Kürze Cornelius Sulla überlassen und den Winter in Rom verbringen. Das ist Dir sicherlich nichts Neues. Die Sache mit Tridentum hat Deine eigene Kandidatur in absentia für eine weitere Amtsperiode als Konsul gestärkt, aber Catulus Caesar wird keine Wahlen abhalten, bevor Du nicht auf die Germanen getroffen bist. Er dürfte sich in einer verzwickten Situation befinden, denn um Roms willen muß er hoffen, daß Du einen großen Sieg erringst, aber um seiner selbst willen muß erhoffen, daß Du auf Deinen bäuerlichen podex fällst. Wenn Du siegst, Gaius Marius, wirst Du gewiß nächstes Jahr wieder Konsul. Übrigens war es ein kluger Zug, Manius Aquilius nach Rom zu schicken, damit er sich als Kandidat für die Konsulwahlen aufstellen lassen kann. Die Wähler waren gewaltig beeindruckt, als er sich vorstellte, seine Kandidatur anmeldete und dann sehr nachdrücklich erklärte, daß er auf jeden Fall zu Dir zurückkehren werde, um gegen die Germanen zu kämpfen, auch wenn das bedeuten sollte, daß er während der Wahlen nicht in Rom sein könnte und dadurch seine Chance verpassen würde. Wenn Du die Germanen besiegst, Gaius Marius, und Manius Aquilius anschließend sofort nach Rom zurückschickst, wirst Du einen zweiten Konsul bekommen, mit dem Du zur Abwechslung richtig arbeiten kannst.
Gaius Servilius Glaucia, der Saufbruder Deines Quasi-Klienten Saturninus - eine unfreundliche Bemerkung, ich weiß! -, hat angekündigt, daß er sich als Volkstribun aufstellen lassen will. Er wird eine große, haarige, graue Katze unter all den Tauben sein! Wenn wir schon bei dem Namen Servilius und bei der Getreideknappheit sind: Servilius der Augur benimmt sich in Sizilien immer noch abscheulich. Wie ich Dir schon in einem früheren Brief geschrieben habe, hatte er tatsächlich damit gerechnet, daß Lucullus ihm alles überlassen würde, was er in Sizilien so mühsam aufgebaut hatte. So regelmäßig, wie ein Pflaumenesser Durchfall bekommt, empfängt der Senat jetzt an jedem Markttag einen Brief von Servilius, in dem er sich bitterlich über sein Schicksal beklagt und wiederholt, daß er Lucullus vor Gericht bringen werde, sobald er wieder in Rom sei. Der Sklaven-König ist tot - Salvius oder Tryphon, wie er sich nannte -, der asiatische Grieche Athenion wurde zum neuen König gewählt. Er ist klüger als Salvius-Tryphon. Wenn Manius Aquilius Dein zweiter Konsul wird, wäre es vielleicht kein schlechter Gedanke, ihn nach Sizilien zu schicken, damit er dort ein für allemal Ordnung schafft. Zur Zeit wird Sizilien von König Athenion beherrscht, nicht von Servilius dem Augur. Aber bei der ganzen Sache beklage ich mich am meisten über einen geistigen Diebstahl. Weißt Du, was dieser abscheuliche alte culibonia neulich im Senat zu sagen wagte? Ich meine Scaurus, möge ihm der Schwanz abfallen, wenn er ihn zu häufig gebraucht! »Sizilien«, brüllte dieser Mensch, »ist zu einer wahren Ilias des Leidens geworden!« Und nach der Versammlung rannten sie alle zu ihm und überschütteten ihn mit schleimigen Lobhudeleien, weil er so eine treffliche Sentenz geprägt habe! Wie Du aus meinem früheren Brief weißt, stammt die Sentenz von mir! Er muß sie von mir gehört haben, der geile alte Bock!
Was ich zu den diesjährigen Volkstribunen noch sagen wollte: Sie sind ein wirklich armseliger und einfallsloser Haufen - ein Grund, warum ich froh bin, daß sich Glaucia bewirbt; selbst wenn ich bei diesem Gedanken schaudere. Rom ist wirklich langweilig, wenn in den Komitien nicht ab und zu kräftig gestritten wird. Gerade vor kurzem hatten wir wieder ein denkwürdiges Ereignis mit den Tribunen, die Gerüchteküche kochte wieder einmal über.
Ungefähr vor einem Monat trafen zwölf oder dreizehn Männer in Rom ein. Sie waren höchst wunderlich gekleidet - Umhänge in leuchtenden Farben und mit purem Gold durchwirkt; Juwelen in Bärte und Haupthaar geflochten, Ringe an den Ohren, und um die Köpfe hatten sie wunderbare, gestickte Schals gewickelt. Ich rieb mir die Augen und fragte mich, ob ich wohl in einen Festzug geraten war! Sie bezeichneten sich als Gesandte und wollten den Senat zu einer Sondersitzung einberufen lassen. Doch unser verehrter, wundersam verjüngter Phrasendieb Scaurus überprüfte ohne jeden Respekt ihre Empfehlungsschreiben und verweigerte ihnen dann die Anhörung im Senat mit der Begründung, sie hätten keinen offiziellen Gesandtenstatus. Sie behaupteten, sie kämen vom Heiligtum der Großen Göttin in Pessinus im anatolischen Phrygien und seien von der Göttin selbst nach Rom gesandt worden, um den Römern für den Kampf gegen die Germanen Glück zu wünschen! Und warum, höre ich Dich fragen, sollte sich die anatolische Große Göttin für die Germanen interessieren? Darauf weiß hier niemand eine Antwort. Ich bin sicher daß Scaurus aus genau diesem Grunde nichts mit den wunderlich herausgeputzten Burschen zu tun haben wollte.
Bis jetzt konnte noch niemand herausfinden, was sie eigentlich vorhaben. Normalerweise sind die Orientalen ganz gerissen, wenn sie jemandes Vertrauen erschleichen wollen. Jeder halbwegs vernünftige Römer näht seine Börse zu und versteckt sie unter seiner linken Achsel, wenn ein Orientale in der Nähe ist. Aber diese Leute sind ganz anders! Sie spazieren in Rom herum und werfen mit Geschenken nur so um sich, als ob ihre Börsen unerschöpflich wären. Ihr Anführer ist ein besonders auffälliger Mensch namens Battaces. Jedes Auge beginnt bei seinem Anblick zu glänzen, denn er ist von Kopf bis Fuß in echten Goldbrokat gekleidet und trägt eine riesige Krone aus massivem Gold auf dem Kopf Ich habe schon von Goldbrokat gehört, aber nie geglaubt, daß ich diesen Stoff jemals zu sehen bekommen würde, es sei denn, ich würde König Ptolemaios oder den König der Parther besuchen.
Die Frauen dieser unserer törichten Stadt wurden schier wild, als sie Battaces und seine Begleiter zu Gesicht bekamen, und geblendet vom Anblick des Goldes streckten sie gierig ihre kleinen Hände nach Perlen oder Edelsteinen aus, die vielleicht aus einem Bart fallen könnten oder vom... Laß es besser ungesagt, Publius Rutilius! Ich will nur mit äußerster Feinfühligkeit hinzufügen, daß Battaces und seine Leute keine - ich wiederhole: keine! - Eunuchen sind.
Der Volkstribun Aulus Pompeius stieg auf die Rednerbühne und beschuldigte Battaces und die übrigen Priester, Scharlatane und Betrüger zu sein. Welchen Grund Pompeius auch haben mochte - weil seine Frau zu den geblendeten römischen Damen gehörte oder weil er selbst gewisse altruistische Motive hatte -, er beantragte jedenfalls die zwangsweise Ausweisung der Orientalen aus unserer Stadt, und zwar rückwärts auf Eseln sitzend und geteert und gefedert! Battaces fühlte sich von Aulus Pompeius’ Schmährede so beleidigt, daß er umgehend beim Senat eine Beschwerde einreichte. Aber ein paar Ehefrauen unserer Senatoren waren offenbar bereits mit einer gewissen Zuneigung zu diesen Botschaftern infiziert - vielleicht auch injiziert - worden, denn der Senat befahl prompt dem Aulus Pompeius, damit aufzuhören und diese wichtigen Persönlichkeiten nicht weiter zu belästigen. Die mehr auf Sitte und Anstand bedachten Mitglieder der patres conscripti unterstützten Aulus Pompeius, mit der Begründung, der Senat sei gar nicht befugt, einen Volkstribunen für sein Verhalten in den Komitien abzumahnen. Dann entbrannte ein heftiger Streit über die Frage, ob Battaces und seine Bande Botschafter seien oder nicht, obwohl hier Scaurus sein Urteil bereits gesprochen hatte. Weil aber Scaurus unauffindbar war - vermutlich suchte er gerade in meinen alten Reden nach weiteren Sentenzen oder unter dem Rock seiner jungen Frau nach Epidermen -, blieb die Frage unbeantwortet.
Pompeius brüllte weiterhin wie ein Löwe von der Rostra herab und warf den römischen Damen Fleischeslüste und Unkeuschheit vor. Und dann kam plötzlich Battaces höchstpersönlich mit einem Gefolge prächtiger Priester und prächtiger römischer Damen hereinspaziert, die ihm hinterherliefen wie Katzen einem Fischhändler. Zufällig war ich anwesend - Du weißt ja, wie so etwas in Rom läuft! Jemand hatte mir einen Tip gegeben, ohnehin wußte die halbe Stadt, daß etwas passieren würde -, und ich durfte eine schier unglaubliche Posse miterleben. Kein Theater könnte Sulla ein solches Spektakel bieten! Aulus Pompeius und Battaces gingen sofort aufeinander los, leider nur verbal, aber schneller als bei Plautus. Unser edler Volkstribun bezeichnete seinen Gegner als Marktschreier, und Battaces erklärte, Aulus Pompeius spiele mit dem Feuer, denn die Große Göttin dulde nicht, daß ihre Priester beleidigt würden. Die Szene endete damit, daß Battaces einen Todesfluch auf Aulus Pompeius hinabschleuderte, der einem das Blut in den Adern gefrieren ließ - auf Griechisch, damit jeder es verstehen konnte. Ich hätte gedacht, die Große Göttin wollte auf Phrygisch angerufen werden.
Und jetzt kommt der Höhepunkt der Geschichte, Gaius Marius! Kaum war der Fluch ausgesprochen, begann Aulus Pompeius zu husten und zu würgen. Er taumelte von der Rednertribüne und mußte nach Hause gebracht werden, legte sich ins Bett und wurde immer kränker. Und nach drei Tagen - war er tot! Gab einfach den Geist auf. Du kannst Dir sicherlich vorstellen, welche Wirkung das bei allen hervorrief - vom Senat bis hin zur römischen Damenwelt. Battaces kann jetzt tun und lassen, was er will. Die Menschen treten eilfertig beiseite, wenn sie ihm begegnen, als leide er unter einer Art goldener Lepra. Er wird ständig zum Essen eingeladen, der Senat ändert seine Meinung und empfängt seine Delegation offiziell, Scaurus bleibt verschwunden, er steckt wohl immer noch unter dem Rock seiner jungen Frau -, und die Damen klammern sich förmlich an ihn. Er selbst lächelt, teilt mit beiden Händen seinen Segen aus und benimmt sich im übrigen wie Zeus persönlich.
Ich bin verwirrt, entsetzt, angeekelt und habe tausend andere, noch weit unappetitlichere Empfindungen. Die große Frage ist natürlich, wie hat Battaces das nur gemacht? Hatte die Große Göttin ihre Hand im Spiel, oder war es irgendein unbekanntes Gift? Ich vermute letzteres, aber ich bin eben ein Skeptiker, wenn nicht gar ein ausgemachter Zyniker.
Gaius Marius lachte, bis ihm die Seiten wehtaten, und vertiefte sich dann wieder in seine Kriegspläne.
Eine viertel Million Teutonen überquerte den Fluß Durance östlich seiner Einmündung in die Rhône und zog dann stromaufwärts auf die römischen Befestigungsanlagen zu. Ihr loser Zug erstreckte sich über viele Meilen. Flanken und Vorhut bildeten Krieger, einhundertdreißigtausend an der Zahl, der sich endlos dahinschlängelnde Rest des Zuges bestand aus einer riesigen Ansammlung von Wagen, Rindern und Pferden, die von den Frauen und Kindern vorangetrieben wurden. Nur wenige alte Männer und noch weniger alte Frauen befanden sich darunter. Die Krieger wurden von einem Stamm namens Ambronen angeführt, von wilden, stolzen, kühnen Männern. Die letzte Gruppe der Wagen und Tiere war fünfundzwanzig Meilen von der Spitze des Zuges entfernt.
Die germanischen Kundschafter hatten die römische Zitadelle bereits entdeckt, aber Teutobod war zuversichtlich. Sie würden nach Massilia ziehen, und wenn noch so viele Römer in der Nähe waren, denn in Massilia - nach Rom die größte Stadt, von der sie je gehört hatten - würden sie Frauen, Sklaven, Nahrungsmittel und Kostbarkeiten finden. Mit Genuß würden sie die Stadt plündern und brandschatzen und dann an der Küste entlang nach Italien weiterziehen. Teutobod hatte zwar herausgefunden, daß die Via Domitia über den Paß Mons Genava in hervorragendem Zustand war, glaubte aber dennoch, daß er auf dem Küstenweg schneller nach Italien käme.
Das Getreide stand noch auf den Feldern und wurde von dieser Menschenmenge bis auf den letzten Halm niedergetrampelt. Keiner von ihnen, nicht einmal Teutobod, kam auf den Gedanken, daß sie durch ein wenig Vorsicht das Getreide für den kommenden Winter hätten retten können, um es später zu ernten und zu lagern.
Als die Ambronen den Fuß des Hügels erreichten, auf dem die römische Festung lag, passierte zunächst gar nichts. Marius regte sich nicht und die Germanen stürmten nicht den Hügel hinauf. Aber die Festung war ein Hindernis, sie konnten nicht einfach weitermarschieren. Die Ambronen hielten an, und die übrigen Krieger drängten von hinten nach, bis alle Germanen am Fuß des Hügels durcheinanderliefen wie Ameisen in einem gewaltigen Ameisenhaufen. Dann erreichte Teutobod den Hügel. Zunächst versuchten die Germanen, das römische Heer durch Schreien, Brüllen , und Schmährufe herauszulocken, und sie führten eine Parade gefangener Zivilisten vor, die alle gefoltert worden waren. Doch kein Römer antwortete, kein Römer setzte einen Fuß aus der Festung. Und dann griff die ganze Schar plötzlich an, ein simpler, frontaler Angriff, der erfolglos gegen die hervorragenden Befestigungsanlagen des Lagers prallte und schließlich zurückflutete. Die Römer schleuderten ein paar Speere auf Germanen, die sich zu nah herangewagt hatten, unternahmen aber sonst nichts.
Teutobod zuckte die Schultern, seine Häuptlinge taten es ihm nach. Sollten doch die Römer da oben bleiben, wenn sie wollten! Es spielte keine große Rolle. Die Masse der Germanen wälzte sich um den Hügel herum wie ein zäher Brei um einen Felsen und zog dann in südlicher Richtung aus dem Gesichtsfeld der Römer. Tausende von Wagen knarrten sieben Tage lang vorbei, jede germanische Frau und jedes Kind starrte die anscheinend unbewohnte Zitadelle an, während der Zug sich langsam in Richtung Massilia fortbewegte.
Doch kaum war der letzte Wagen am Horizont verschwunden, setzte Marius alle sechs Legionen in Marsch, und zwar in Eilmarsch. Ruhig, diszipliniert und angesichts der bevorstehenden Schlacht in bester Stimmung, folgten die Römer in gebührendem Abstand den Germanen, die auf der Straße von Arelate nach Aquae Sextiae vorwärtsstolperten. Teutobod plante, sich bei Aquae Sextiae zum Meer hinzuwenden. Marius überquerte den Fluß Arc und bezog am Südufer Stellung, in einer ausgezeichneten Position auf einem zum Ufer hin stark abfallenden Kamm, der von sanft gewellten Hügeln umgeben war und von dessen höchstem Punkt man den gesamten Fluß überblicken konnte. Dort verschanzten sich die Römer.
Die dreißigtausend Ambronen, die noch immer den germanischen Zug anführten, erreichten die Furt und erblickten über sich ein römisches Lager, das von Helmen und Speeren zu wimmeln schien. Aber das war ein gewöhnliches Feldlager, leicht einnehmbar, und die Ambronen warteten gar nicht erst ab, bis sie durch die übrigen Stämme Verstärkung erhielten, sondern überquerten in aller Eile den seichten Fluß und griffen an.
Die römischen Legionäre stiegen einfach auf der gesamten Breite des Lagers über ihren Erdwall hinweg und setzten sich hügelabwärts in Bewegung, direkt auf die schreiende Horde undisziplinierter Barbaren zu. Zuerst warfen die Römer ihre pila, mit verheerender Wirkung, dann zogen sie die Schwerter und brachten ihre Schilde in Angriffsstellung. Wie die ineinandergreifenden Glieder eines riesenhaften Monstrums zogen die Legionen in die Schlacht. Kaum einem Germanen gelang der Rückzug über den Fluß, nach kurzer Zeit bedeckten dreißigtausend tote Ambronen den Abhang unterhalb des Kamms auf seiner ganzen Breite. Marius’ Heer erlitt fast keine Verluste.
Der Kampf war in weniger als einer halben Stunde vorüber. Die Römer schafften alle toten Ambronen zum Fluß hinunter und errichteten dort einen Wall aus Leichen. Die erbeuteten Schwerter, Fackeln, Schilde, Armreifen, Brustschilde, Messer und Helme häuften sie im römischen Lager auf. Die nächste Welle der Germanen würde beim Angriff zuerst den Wall ihrer eigenen Toten überwinden müssen.
Am anderen Ufer des Arc versammelten sich nach und nach immer mehr Teutonen, eine unüberschaubare Menge. Verwirrt und wütend starrten sie auf den hohen Wall aus toten Ambronen und auf das römische Lager, wo Tausende von Legionären in der Euphorie ihres Sieges jubelten, sangen, pfiffen und brüllten. Es war das erste Mal, daß ein römisches Heer eine große Zahl germanischer Feinde besiegt hatte.
Natürlich war das nur ein Vorspiel gewesen. Der richtige Kampf würde mit Sicherheit erst noch kommen. Marius unterstellte dreitausend seiner besten Soldaten dem Befehl von Manius Aquilius und schickte sie noch am Abend der Schlacht ein großes Stück flußabwärts. Dort sollten sie den Fluß überqueren und abwarten, bis der Kampf begann, um dann den Germanen auf dem Höhepunkt der Schlacht in den Rücken zu fallen.
Kaum ein Legionär schlief in dieser Nacht, so groß war die Erregung. Doch die Müdigkeit spielte keine Rolle, denn als der neue Tag graute, war auf germanischer Seite alles ruhig, nichts deutete auf Vorbereitungen zu einem Angriff hin. Die Passivität der Barbaren bereitete Marius Sorgen, denn er wollte auf keinen Fall die Entscheidung noch weiter hinauszögern. Er brauchte einen endgültigen, entscheidenden Sieg, und er war entschlossen, Kampf und Sieg herbeizuführen. Auf dem anderen Ufer lagerten die Teutonen, allein durch ihre gewaltige Zahl schien eine Befestigung überflüssig. Teutobod ritt auf seinem kleinen gallischen Pferd, begleitet von einem Dutzend seiner Häuptlinge, an der Furt auf und ab. Er war so groß, daß seine Füße fast den Boden streiften. Den ganzen Tag ritt er hin und her; zwei flachsblonde Zöpfe schlugen rhythmisch gegen seinen goldenen Brustpanzer, die goldenen Flügel auf seinem Helm glitzerten in der Sonne. Selbst über diese große Entfernung hinweg waren auf seinem glattrasierten Gesicht Furcht und Unentschlossenheit zu erkennen.
Am nächsten Morgen stand kein Wölkchen am Himmel. In der Hitze des Tages würde sich der süßliche Geruch der Gefallenen bald in dem ganzen Gebiet ausbreiten. Marius hatte nicht vor, so lange hierzubleiben, bis Seuchen seine Armee mehr bedrohen würden als der Feind.
»Jetzt«, sagte er zu Quintus Sertorius, »jetzt wagen wir es. Wenn sie nicht selbst angreifen wollen, muß ich eben ausrücken und die Schlacht einleiten. Damit opfern wir zwar den Vorteil, daß sie hügelaufwärts hätten stürmen müssen, aber unsere Chancen stehen hier immer noch besser als anderswo. Außerdem hat Manius Aquilius inzwischen seine Stellung bezogen. Laß die Hörner blasen, ruf die Legionen zusammen. Ich will zu ihnen sprechen.«
Das war das übliche Verfahren. Kein römisches Heer zog ohne vorherige Ansprache des Feldherrn in eine größere Schlacht. Jeder Soldat konnte dabei einen Blick auf den Feldherrn in seiner Kriegsrüstung werfen. Die Reden dienten dazu, die Kampfmoral der Truppen zu heben, und dem Feldherrn bot sich hier die Gelegenheit, den Soldaten seine Strategie zu erklären. Die Schlachten verliefen zwar niemals nach einem genauen Plan - das wußte jeder -, aber in der Rede konnte der Feldherr den Soldaten klarmachen, was er von ihnen erwartete und wie sie sich verhalten sollten, wenn es im Kampf zu einer unerwartet großen Verwirrung kam. Manches römische Heer hatte eine Schlacht nur deshalb gewonnen, weil die Soldaten gewußt hatten, was der Feldherr von ihnen erwartete, und weil sie sich an die Strategie gehalten hatten, auch wenn gerade kein Tribun in der Nähe stand.
Der Sieg über die Ambronen hatte die Römer angestachelt, sie fieberten dem Kampf entgegen. Die Soldaten befanden sich alle in hervorragender physischer Verfassung, die Waffen und Rüstungen glänzten. Dicht gedrängt standen sie auf dem Appellplatz, während Marius seine Ansprache hielt. Sie wären ihm sogar in den Tartarus gefolgt, so verehrten sie ihn.
»Also dann, ihr fellatores, heute geht’s los!« brüllte Marius von seiner notdürftig zusammengenagelten Rednertribüne. »Wir waren einfach zu gut, das ist unser Problem! Jetzt wollen sie nicht mehr mit uns kämpfen! Wir müssen sie bis zur Weißglut reizen, so sehr, daß sie auch mit Legionen von Drachen kämpfen würden! Wir werden über unseren Wall und den Berg hinab stürmen und dort unten auf den Leichen der Ambronen herumtrampeln! Wir werden auf ihre Toten spucken! Und wenn es sein muß, werden wir auf ihre Toten pissen! Aber macht euch nichts vor: Sie werden zu Tausenden und Abertausenden durch die Furt stürmen! Ihre Zahl wird größer sein, als ihr unwissenden mentulae jemals zählen gelernt habt! Und wir werden nicht hier oben sitzen können wie Hühner auf der Stange, sondern wir werden ihnen Auge in Auge gegenüberstehen - und das heißt, daß ihr nach oben schauen müßt! Weil sie viel größer sind als wir! Sie sind Riesen! Und was sagen wir dazu? Jagt uns das Angst ein?«
»Nein!« brüllte die Menge wie aus einem Munde. »Nein, nein, nein!«
»Nein!« brüllte Marius wie ein Echo. »Und warum nicht? Weil wir die Legionen Roms sind! Wir folgen dem silbernen Adler bis zum Sieg oder bis in den Tod! Wir Römer sind die besten Soldaten, die die Welt je gesehen hat! Und ihr - die Soldaten des Gaius Marius - seid die besten Soldaten, die Rom je gesehen hat!«
Ihr Jubel wollte kein Ende nehmen, sie waren hysterisch vor Stolz, Tränen rannen über ihre Gesichter, jede Faser ihrer Körper war zum Zerreißen gespannt.
»Also los! Wir steigen über die Mauer und ziehen in einen schweren Kampf! Diesen Krieg können wir nur gewinnen, wenn wir die Wilden mit ihren verrückten Augen verprügeln, bis sie in die Knie gehen! Das heißt kämpfen, Männer! Das heißt weiterkämpfen, bis kein einziger von diesen Wilden mehr auf seinen Riesenfüßen steht!« Marius wandte sich zur Seite, wo sechs Männer in Löwenfellen standen und die polierten Stangen umklammerten, auf denen die sechs silbernen Adler mit ihren ausgebreiteten Schwingen steckten. »Da sind sie, eure Silberadler! Zeichen eures Mutes! Zeichen Roms! Zeichen meiner Legionen! Folgt den Adlern zum Ruhm!«
Selbst in dieser Hochstimmung hielten die Soldaten eisern Disziplin. In geordneten Reihen und ohne Eile zogen Marius’ sechs Legionen aus dem Lager und den Hügel hinunter, in einer Formation, die zugleich die Flanken schützte, da hier die Reiterei nicht eingesetzt werden konnte. Wie eine Sichel bauten die Römer ihre Reihen vor den Germanen auf. Kaum hatten die Germanen gesehen, daß die Römer die toten Ambronen bespuckten und mit den Füßen traten, trafen sie ihre Entscheidung, noch vor ihrem König Teutobod. Sie stürmten durch die Furt und prallten direkt auf die römische Front, die sie aber nicht erschüttern konnten. Die erste Welle der anstürmenden Germanen fiel unter einem Hagel von pila, die mit erstaunlicher Treffsicherheit auf sie geworfen wurden, denn Marius’ Truppen hatten zwei Jahre lang Zeit gehabt, für diesen Tag zu üben.
Die Schlacht war lang und grauenhaft, doch weder wankte die römische Front, noch konnten die Germanen die Silberadler erobern, die die sechs aquiliferi trugen. Immer höher wuchsen die Haufen der toten Germanen, und ohne Unterlaß stürmten weitere Germanen durch die Furt und füllten die Lücken. Bis Manius Aquilius mit seinen dreitausend Soldaten den Germanen in den Rücken fiel und sie niedermachte.
Am späten Nachmittag waren die Teutonen ausgelöscht. Angespornt von dem Gedanken an die militärische Tradition und die Ehre Roms, angeführt von einem hervorragenden Feldherrn, hatten siebenunddreißigtausend gut ausgebildete und gut ausgerüstete römische Legionäre in Aquae Sextiae mit ihrem Sieg über weit mehr als einhunderttausend germanische Krieger ein Kapitel Militärgeschichte geschrieben. Nach den dreißigtausend Ambronen waren am Arc weitere achtzigtausend Germanen gefallen. Nur wenige Teutonen hatten versucht, ihr Leben zu retten, die meisten hatten es vorgezogen, stolz und ehrenhaft in den Tod zu gehen. Auch König Teutobod war gefallen. Tausende teutonischer Frauen und Kinder und siebzehntausend Krieger fielen als Beute in die Hände der Sieger. Die Sklavenhändler aus Massilia strömten herbei, um die menschliche Beute aufzukaufen, und Marius verteilte den Erlös unter seinen Soldaten und Offizieren, obwohl traditionell der Erlös aus dem Verkauf der Gefangenen dem Feldherrn allein zustand.
»Ich brauche das Geld nicht, und meine Soldaten haben es verdient«, sagte Marius. Er grinste bei der Erinnerung an die gewaltige Summe, die Marcus Aurelius Cotta seinerzeit in Massilia für ein einziges Schiff bezahlt hatte. »Ich stelle fest, daß sich die Magistrate der Stadt Massilia bei uns für die Rettung ihrer schönen Stadt bedanken. Ich überlege, ob ich ihnen dafür nicht eine Rechnung schicken soll.«
Marius übergab Manius Aquilius seinen Bericht an den Senat und schickte ihn im Galopp nach Rom.
»Du überbringst die Nachricht und bewirbst dich dann gleich um das Konsulat«, sagte er. »Aber beeil dich!«
Und Manius Aquilius beeilte sich. Er jagte über die Straßen und erreichte Rom in sieben Tagen. Dort übergab er dem zweiten Konsul Quintus Lutatius Catulus Caesar den Brief, den dieser dem versammelten Senat vorlas. Manius Aquilius stand hölzern daneben und sagte kein einziges Wort.
Ich, Gaius Marius, erster Konsul, erstatte pflichtgemäß dem Senat und dem Volk von Rom meinen Bericht. Am heutigen Tag haben die unter meiner Führung stehenden Legionen auf dem Schlachtfeld vor Aquae Sextiae in der römischen Provinz Gallia Transalpina die germanischen Teutonen vernichtend geschlagen. Die Zahl der toten Germanen beläuft sich auf 113 000, die der Gefangenen auf 17 000 Krieger sowie 130 000 Frauen und Kinder. Ferner fielen 32 000 Wagen, 41 000 Pferde und 200 000 Rinder in unsere Hände. Ich habe verfügt, daß die gesamte Beute sowie der Erlös aus dem Verkauf der Germanen in die Sklaverei gleichmäßig unter meinen Soldaten verteilt wird. Lang lebe Rom!
Ganz Rom war außer sich vor Freude, auf den Straßen weinten, tanzten und jubelten die Massen, wildfremde Menschen lagen sich in den Armen, vom Sklaven bis zum vornehmsten Patrizier. Gaius Marius wurde in absentia zum ersten Konsul und Manius Aquilius zum zweiten Konsul gewählt. Der Senat beschloß, zu Ehren von Marius eine dreitägige Dankesfeier abzuhalten, und die Volksversammlung genehmigte noch zwei zusätzliche Tage.
»Sulla hat schon einmal so etwas angedeutet«, bemerkte Catulus Caesar zu Metellus Numidicus, als sich die Aufregung wieder gelegt hatte.
»Oho! Du magst unseren Lucius Cornelius wohl nicht, daß du ihn nur ›Sulla‹ nennst! Und was also hat Sulla angedeutet?«
»Er sagte einmal, daß niemand den höchsten Baum der Welt fällen könne. Gaius Marius hat das Glück auf seiner Seite. Ich konnte mein Heer nicht überreden zu kämpfen, aber er vernichtet ein ganzes Volk und verliert dabei kaum einen Soldaten«, sagte Catulus Caesar düster.
»Er hatte schon immer viel Glück«, meinte Metellus Numidicus.
»Das hat nichts mit Glück zu tun!« ertönte eine verärgerte Stimme. Publius Rutilius Rufus hatte das Gespräch mit angehört. »Ehre, wem Ehre gebührt!«
Und Rutilius Rufus berichtete an Gaius Marius:
Das verschlug ihnen die Sprache. Du weißt ja, daß ich nicht damit einverstanden bin, daß Du Jahr um Jahr Konsul bist, und daß mir einige Deiner eher gierigen Freunde mißfallen. Aber ich gestehe, daß ich auf das äußerste gereizt werde, wenn ich es mit dem Neid und dem Haß von Männern zu tun habe, die eigentlich groß genug sind, um großherzig sein zu können. Äsop hatte ein treffendes Wort für solche Männer, Gaius Marius - er nannte sie »saure Trauben«. Wie unsinnig ist es doch, daß diese Männer Deinen Erfolg und ihr Versagen dem Glück zuschreiben! Ein Mann nimmt sein Glück selbst in die Hände, das ist die ganze Wahrheit! Ich würde ihnen am liebsten ins Gesicht spucken, wenn ich höre, wie geringschätzig sie über Deinen wunderbaren Sieg sprechen.
Nun aber genug davon, bevor ich noch einen Schlaganfall bekomme. Wenn ich schon Deine eher gierigen Freunde erwähnte: Gaius Servilius Glaucia ist jetzt erst seit acht Tagen Volkstribun und hat auf dem Versammlungsplatz doch schon viel Staub aufgewirbelt. Er hat seine erste contio einberufen, weil er ein neues Gesetz diskutieren lassen will. Er hat vor, die Arbeit unseres großartigen Helden von Tolosa, Quintus Servilius Caepio, der hoffentlich für immer im Exil in Smyrna bleibt, wieder rückgängig zu machen. Ich mag diesen Mann nicht, ich habe ihn nie gemocht! Glaucia will das Repetundengericht wieder den Rittern unterstellen und ihnen gleich noch ein paar Rechte dazugeben. Wenn das Gesetz verabschiedet wird - und das erwarte ich -, kann der römische Staat Entschädigungen, unrechtmäßig erworbenen Besitz oder veruntreute Gelder nicht mehr nur von den ursprünglichen Straftätern einfordern, sondern auch von denen, in deren Händen sie zuletzt waren. Bisher konnte ein raffgieriger Statthalter seinen unrechtmäßig erworbenen Reichtum seiner Tante Lucia oder dem tata seiner Frau Gemahlin oder sogar ganz unverblümt seinem Sohn überschreiben. Nach Glaucias neuem Gesetz müssen Tantchen Lucia, der tata und der Sohn alles wieder ausspucken.
Vermutlich ist das nicht ungerecht, aber wohin führen solche Gesetze, Gaius Marius? Der Staat erhält viel zuviel Macht und außerdem viel zuviel Geld! Solche Gesetze sind eine Brutstätte für Demagogen und Bürokraten, sag’ ich Dir! Irgendwie ist es doch ein beruhigendes Gefühl zu wissen, daß man sich in der Politik bereichern kann. Es ist normal. Es ist menschlich. Es ist entschuldbar. Es ist verständlich. Gefährlich sind nur die, die in die Politik gehen, um die Welt zu verändern. Alles Unglück wird von den Machtbesessenen und den Altruisten angerichtet. Es ist einfach nicht gesund, an andere Menschen zu denken, bevor man an sich selbst denkt. Die anderen Menschen verdienen das doch gar nicht. Habe ich Dir nicht gesagt, daß ich ein Skeptiker bin? Nun, ich bin einer. Aber manchmal - nur ganz selten! - beschleicht mich der Verdacht, daß ich mich ganz allmählich ein wenig zum Zyniker entwickle.
Wir haben erfahren, daß Du in Kürze wieder nach Rom zurückkehrst. Ich kann es kaum erwarten! Ich will Schweinebackes Gesicht sehen, wenn er Dir wieder gegenübertritt. Catulus Caesar ist zum Prokonsul des italischen Gallien ernannt worden, was Dich vielleicht nicht überraschen wird. Er ist bereits wieder zu seinem Heer nach Placentia abgereist. Paß gut auf ihn auf! Er wird bestimmt versuchen, den Ruhm für Deinen nächsten Sieg einzustecken, wenn er eine Gelegenheit dazu wittert. Ich hoffe, daß Dein Lucius Cornelius auch weiterhin so loyal bleibt wie bisher, nachdem nun seine Julilla tot ist.
Auch in der hohen Diplomatie hat sich etwas getan. Battaces und seine Priesterschar haben endlich geruht, wieder nach Hause zurückzukehren, und das Wehklagen etlicher hochwohlgeborener Damen ist mindestens bis Brundisium zu hören. Gegenwärtig sind wir Gastgeber einer weniger ehrfurchterregenden, aber unendlich bedrohlicheren Gesandtschaft. Sie kommt von keinem anderen als jenem sehr gefährlichen jungen Mann, der fast das ganze Gebiet um das Schwarze Meer in seinem Griff hält - von König Mithridates von Pontos. Er möchte einen Freundschafts- und Bündnisvertrag mit Rom schließen. Scaurus ist nicht dafür. Ich frage mich, warum. Hat das möglicherweise etwas mit den heftigen Intrigen zu tun, die die Agenten unseres Verbündeten, König Nikomedes von Bithynien, betrieben haben? Beim Pollux, da bricht schon wieder mein Hang zur Skepsis durch! Nein, Gaius Marius, es ist kein Hang zum Zynismus, noch nicht!
Zum Abschluß noch ein wenig Klatsch über andere Leute. Der eingeschriebene Vater Marcus Calpurnius Bibulus hat einen Sohn und Erben bekommen und damit große Freudenbekundungen bei verschiedenen Mitgliedern der Sippen Domitius Ahenobarbus und Servilius Caepio ausgelöst. Mir ist dabei aber aufgefallen, daß man bei Calpurnius Piso wie gewohnt so tut, als sei das alles gleichgültig. Das Schicksal mag gewisse ehrbare Senioren in die Arme von unreifen Mädchen führen, in der Regel aber führt es sie eher in die Arme des Todes. Unser literarischer Übervater Gaius Lucilius ist gestorben. Das tut mir wirklich leid. Als Mensch war er zwar ein entsetzlicher Langweiler, aber wie witzig konnte er auf dem Papier sein! Betrübt bin ich auch über den Tod Deiner alten syrischen Seherin Martha. Das ist sicherlich keine Neuigkeit für Dich, denn ich weiß, daß Julia es Dir schon mitgeteilt hat. Die alte Vettel wird mir fehlen. Schweinebacke schäumte immer so schön vor Wut, wenn er sie in ihrer grausigen roten Sänfte auf der Straße erblickte. Deine wunderbare liebe Julia sagt, Martha werde ihr auch fehlen. Übrigens hoffe ich, daß Dir bewußt ist, welchen Schatz Du mit Julia geheiratet hast. Nicht jede Frau würde über den Tod eines Gastes trauern, der einen Monat bleiben wollte und sich dann für immer einnistete. Besonders nicht über den Tod eines Gastes, der es für vornehm hielt, auf den Boden zu spucken und in den Fischteich zu pissen.
Ich schließe mit einem Zitat, das von Dir selbst stammt. Wie konntest Du nur Gaius Marius? »Lang lebe Rom!« In der Tat! Was für eine Anmaßung!