Gaius Marius hatte sich einen Volkstribunen gekauft, und er hatte dabei einen guten Griff getan. Denn Titus Manlius Mancinus verkaufte seine Gunst nicht allein um des Geldes willen. Mancinus wollte als Volkstribun Aufsehen erregen, und je spektakulärer die Angelegenheit, desto besser. Dabei verfolgte er nur ein Ziel: Er wollte der patrizischen Familie Manlius, der er nicht angehörte, jedes nur mögliche Hindernis in den Weg legen. Und er merkte schnell, daß sein Haß auf die Familie Manlius sich leicht auf alle anderen großen aristokratischen Familien ausdehnen ließ, einschließlich der Familie Caecilius Metellus. Daher konnte er Marius’ Geld mit reinem Gewissen annehmen und sich mit eifriger Vorfreude für Marius’ Pläne einsetzen.

Die zehn neuen Volkstribunen traten am dritten Tag vor den Iden des Dezembers ihr Amt an, und Titus Manlius Mancius verlor keine Zeit. Noch am selben Tag brachte er einen Gesetzentwurf in die Versammlung der Plebs ein, der besagte, daß der Oberbefehl in Africa von Quintus Caecilius Metellus auf Gaius Marius übertragen werden sollte.

»Die Herrschaft liegt beim Volk!« schrie Mancinus in die Menge. »Der Senat ist Diener des Volkes, nicht Herr des Volkes! Wenn der Senat seine Pflichten mit dem angemessenen Respekt für das Volk von Rom erfüllt, dann darf er selbstverständlich weitermachen. Aber wenn der Senat seine Pflichten so erfüllt, daß seine eigenen führenden Mitglieder auf Kosten des Volkes von Rom geschützt werden, dann muß man ihm Einhalt gebieten. Quintus Caecilius Metellus hat seinen Oberbefehl nachweislich schlecht ausgeübt, und er hat nicht das Allergeringste erreicht! Warum hat dann der Senat sein Kommando noch ein zweites Mal verlängert und auf das kommende Jahr ausgedehnt? Weil, Volk von Rom, der Senat wie üblich seine eigenen führenden Leute auf Kosten des Volkes schützt. In Gaius Marius, der ordnungsgemäß zum Konsul gewählt wurde, hat das Volk von Rom einen Führer, der diesen Namen auch verdient. Aber nach Meinung der Männer, die im Senat das Sagen haben, ist der Name Gaius Marius nicht gut genug! Gaius Marius, oh Volk von Rom, ist nur ein homo novus - ein Emporkömmling, ein Nichts, kein Adliger!«

Die Menge lag ihm zu Füßen. Mancinus war ein guter Redner und kämpfte leidenschaftlich gegen die Arroganz bestimmter Senatoren. Es war schon eine Welle her, daß die Plebejer dem Senat zum letzten Mal ein Schnippchen geschlagen hatten, und viele der nicht gewählten, aber einflußreichen Führer der Plebs fürchteten, daß sie ihren Einfluß auf die Politik Roms allmählich einbüßen könnten. An diesem Tag und in diesem historischen Augenblick sprach alles für Marius - die Stimmung in der Öffentlichkeit, der Unmut der Ritter und die zehn Volkstribunen, die dem Senat unbedingt Steine in den Weg legen wollten. Keiner der Volkstribunen stand auf der Seite des Senats.

Der Senat setzte sich zur Wehr. Die besten Redner plebejischer Herkunft marschierten auf und sprachen in der Versammlung der Plebs, darunter auch der Pontifex Maximus Lucius Caecilius Metellus Delmaticus - der seinen jüngeren Bruder Schweinebacke glühend verteidigte - und der neugewählte erste Konsul Lucius Cassius Longinus. Aber Marcus Aemilius Scaurus, der vielleicht als Zünglein an der Waage dem Senat zum Sieg verholfen hätte, war ein Patrizier und konnte darum nicht in der Versammlung der Plebejer sprechen. Scaurus mußte sich damit begnügen, von der Treppe vor dem Senatsgebäude auf die brechend vollen Ränge des offenen Rundbaus hinunterzuschauen, in dem die Plebs sich versammelt hatte, und ohnmächtig zuzuhören.

»Sie werden uns schlagen«, sagte er zum Zensor Fabius Maximus Eburnus, der ebenfalls Patrizier war. »Dieser verdammte Gaius Marius!«

Und Marius gewann. Durch seine gnadenlose Briefkampagne war es ihm gelungen, die Ritter und die mittleren Stände von Metellus abzubringen. Metellus’ Name war befleckt, seine politische Macht zerstört. Natürlich würde er sich im Laufe der Zeit erholen, seine Familie und seine Verbindungen waren zu einflußreich. Aber im Augenblick wollte ihm die Versammlung der Plebs, geschickt geführt von Mancinus, den Oberbefehl in Africa abnehmen, und sein Name war schmutziger als der Schweinestall von Numantia. Das römische Volk verabschiedete ein Gesetz, mit dem ein Präzedenzfall geschaffen wurde. Dieses Gesetz ersetzte Metellus durch Gaius Marius, der namentlich genannt wurde. Und als das Gesetz - genaugenommen ein Plebiszit - erst einmal auf den Tafeln festgehalten war, lag es im Archiv eines Tempels, Beispiel und Vorbild für andere, die in Zukunft dasselbe versuchen würden - andere, die vielleicht weder die Fähigkeiten eines Gaius Marius besaßen, noch seine ausgezeichneten Gründe hatten.

»Aber«, sagte Marius zu Sulla, sobald das Gesetz verabschiedet war, »Metellus wird mir nie und nimmer seine Soldaten überlassen.«

Ach, was mußte er noch alles lernen, wie viele Dinge, die er als patrizischer Cornelius hätte wissen müssen und die er doch nicht wußte? Manchmal zweifelte Sulla, ob er jemals genug würde lernen können, aber dann dachte er daran, welches Glück es war, daß er unter Gaius Marius diente, und faßte wieder Mut. Denn Marius hatte immer für ihn Zeit, erklärte ihm Zusammenhänge und kreidete ihm seine Unwissenheit nicht an. Und so nutzte Sulla die Gelegenheit, sein Wissen zu erweitern, und fragte: »Aber gehören die Soldaten nicht zum Krieg gegen König Jugurtha? Sollen sie nicht so lange in Africa bleiben, bis der Krieg gewonnen ist?«

»Sie könnten in Africa bleiben - aber nur, wenn Metellus einverstanden ist. Er müßte den Leuten verkünden, daß sie sich für die Dauer des Feldzuges eingeschrieben haben und daß sein Rücktritt vom Oberbefehl daran nichts ändert. Aber er kann sich ebensogut auf den Standpunkt stellen, die Soldaten kraft seines Amtes rekrutiert zu haben. In diesem Fall endet ihre Dienstzeit gleichzeitig mit der seinen. Wie ich Metellus kenne, wird er diese Auffassung vertreten. Er wird sie entlassen und sie schnurstracks nach Italien zurückverfrachten.«

»Und das heißt, daß du ein neues Heer aufstellen mußt«, sagte Sulla. »So ist das also.« Dann fragte er: »Könntest du nicht warten, bis er sein Heer nach Hause bringt und die Leute dann in deinem Namen neu rekrutieren?«

»Das könnte ich«, antwortete Marius, »aber leider werde ich keine Gelegenheit dazu bekommen. Lucius Cassius wird nach Gallien gehen, um in Tolosa gegen die Germanen zu kämpfen. Eine Aufgabe, die erledigt werden muß - wir wollen keine halbe Million Germanen knapp hundert Meilen weit von der Straße nach Spanien und direkt an den Grenzen unserer eigenen Provinz sitzen haben. Deshalb vermute ich, daß Cassius bereits an Metellus geschrieben und ihn gebeten hat, sein Heer für den Feldzug nach Gallien neu zu Verpflichten, ehe es Africa überhaupt verläßt.«

»Ach, so funktioniert das«, sagte Sulla.

»Ja, so funktioniert das. Lucius Cassius Ist der erste Konsul, er hat Vorrang vor mir. Folglich hat er auch die erste Wahl bei allen Soldaten, die verfügbar sind. Metellus wird sechs sehr gut ausgebildete und erfahrene Legionen mit nach Italien zurückbringen. Und das werden auch zweifellos die Legionen sein, die Cassius nach Gallia Transalpina mitnimmt. Das heißt, ich muß ganz von vorn anfangen - ich werde gezwungen sein, Leute ohne militärische Vorkenntnisse zu rekrutieren - sie ausbilden, ausstatten und mit Begeisterung für den Krieg gegen Jugurtha erfüllen müssen.« Marius schnitt eine Grimasse. »Das heißt auch, daß mir in meinem ersten Jahr als Konsul nicht genügend Zeit bleiben würde, einen so massiven Angriff gegen Jugurtha zu führen, wie ich ihn führen könnte, wenn mir Metellus seine Truppen übergeben würde. Und das bedeutet wiederum, daß ich dafür sorgen muß, daß mein eigener Oberbefehl in Africa für das folgende Jahr verlängert wird, oder ich werde platt auf den Bauch fallen und am Ende schlechter dastehen als Schweinebacke.«

»Und jetzt steht ein Gesetz auf den Tafeln, das einen Präzedenzfall geschaffen hat . Nun kann dir jemand den Oberbefehl auf dieselbe Weise abnehmen, wie du ihn Metellus abgenommen hast.« Sulla seufzte. »Es ist nicht leicht. Ich hätte mir im Traum nicht vorstellen können, wie viele Schwierigkeiten ein Mann überwinden muß, um nur sein eigenes Überleben sicherzustellen, vom Schicksal Roms ganz zu schweigen.«

Das erheiterte Marius. Er lachte fröhlich und klopfte Sulla auf den Rücken. »Nein, Lucius Cornelius, es ist niemals leicht. Aber deshalb lohnt sich die Mühe auch! Welcher Mann, der wirklich begabt und tüchtig ist, wünscht sich ehrlichen Herzens einen leichten Weg? Je rauher der Pfad, je mehr Hindernisse den Weg versperren, desto größer ist die Befriedigung.«

Das war nur der persönliche Teil der Antwort, Sullas wichtigste Frage war damit nicht gelöst. »Gestern hast du mir gesagt, daß Italien völlig ausgepumpt ist«, sagte er. »Es sind so viele Männer gefallen, daß wir unter den Bürgern von Rom nicht genug Truppen ausheben können und daß bei den italischen Bundesgenossen der Widerstand gegen weitere Aushebungen täglich wächst. Wo willst du genug Leute für vier gute Legionen hernehmen? Du hast ja selbst gesagt, Jugurtha ist nicht mit weniger als vier Legionen zu schlagen.«

»Warte ab, bis ich Konsul bin, Lucius Cornelius, dann wirst du schon sehen.« Mehr bekam Sulla aus Marius nicht heraus.

Am Fest der Saturnalien fielen Sullas gute Vorsätze zusammen wie ein Kartenhaus. Solange er noch mit Clitumna und Nikopolis zusammengelebt hatte, war diese Zeit des Feierns und der Lustbarkeiten ein herrlicher Abschluß für das alte Jahr gewesen. Die Sklaven lagen herum und schnippten mit den Fingern, während die beiden Frauen kichernd durch das Haus rannten und die Wünsche der Sklaven erfüllten. Alle tranken zuviel, und Sulla überließ seinen Platz im gemeinsamen Bett bereitwillig jedem Sklaven, der Lust auf Clitumna und Nikopolis hatte - unter der Bedingung, daß er, Sulla, an anderer Stelle im Haus dieselben Privilegien genoß. Und wenn die Saturnalien vorüber waren, kehrten die Herren und die Sklaven wieder zur alten Ordnung zurück, als wäre nichts geschehen.

In diesem ersten Jahr seiner Ehe mit Julilla war alles ganz anders. Es wurde von Sulla erwartet, daß er den Tag im Haus nebenan verbrachte, im Kreis der Familie von Gaius Julius Caesar. Auch dort dauerte das Fest die üblichen drei Tage, und alles stand auf dem Kopf - die Sklaven wurden von ihrer Herrschaft bedient, man tauschte kleine Geschenke aus, besonders köstliche Speisen und Getränke wurden in reichlichen Mengen bereitgestellt. Aber im Grunde änderte sich nichts. Die armen Sklaven lagen so steif wie Statuen auf ihren Speiseliegen und lächelten schüchtern Marcia und Caesar an, die zwischen triclinium und Küche hin und her eilten. Niemand wäre im Traum auf die Idee gekommen, sich zu betrinken, und erst recht nicht, irgend etwas zu tun oder zu sagen, was nach dem Fest peinlich gewesen wäre.

Gaius Marius und Julia waren ebenfalls da und offensichtlich in bester Laune. Aber Gaius Marius wollte ja unbedingt ein richtiger Patrizier sein, dachte Sulla aufgebracht, da würde er schon keinen Fehltritt riskieren.

»Ich habe mich prächtig amüsiert«, sagte Sulla, als er und Julilla sich am letzten Abend verabschiedeten. Er war inzwischen so vorsichtig geworden, daß niemand, nicht einmal Julilla, bemerkte, daß er die Bemerkung sarkastisch gemeint hatte.

»Es war gar nicht so schlecht«, sagte Julilla, als sie Sulla in ihr eigenes Haus folgte, wo die Sklaven, anstatt von ihrem Herrn und ihrer Herrin bedient zu werden, einfach drei Tage frei bekommen hatten.

»Es freut mich, daß es dir gefallen hat«, sagte Sulla und verriegelte das Tor.

Julilla seufzte und streckte sich. »Und morgen ist das Abendessen für Crassus Orator. Ich muß sagen, ich freue mich darauf.«

Sulla blieb mitten im Atrium stehen, drehte sich um und starrte sie an. »Du bleibst zu Hause«, sagte er.

»Was soll das heißen?«

»Was ich gesagt habe.«

»Aber - aber - ich dachte, die Frauen wären auch eingeladen!« rief sie, und ihr Gesicht zuckte verdächtig.

»Manche Frauen«, sagte Sulla. »Du nicht.«

»Ich will aber mit! Alle reden davon, alle meine Freundinnen sind neidisch - ich habe ihnen schon gesagt, daß ich hingehe!«

»Dein Pech. Du kommst nicht mit, Julilla.«

Einer der Haussklaven schwankte ihnen betrunken aus der Tür zum Arbeitszimmer entgegen. »Ach, gut daß ihr heimkommt!« lallte er und mußte sich festhalten. »Holt mir mal Wein, aber dalli!«

»Die Saturnalien sind vorüber«, sagte Sulla gefährlich leise. »Verschwinde, du Dummkopf.«

Der Sklave ging, jäh ernüchtert.

»Warum bist du so miserabel gelaunt?« fragte Julilla, als sie das Schlafzimmer betraten.

»Ich bin nicht miserabel gelaunt«, sagte er, stellte sich hinter sie und legte die Arme um ihre Schultern.

Sie entzog sich ihm. »Laß mich in Ruhe!«

»Was ist denn jetzt los?«

»Ich will zu dem Essen für Crassus Orator mitgehen!«

»Nein, das geht nicht.«

»Aber warum denn nicht?«

»Weil es nicht die Art von Fest ist, die dein Vater billigen würde, Julilla«, sagte er geduldig. »Und die paar Frauen, die hingehen, sind auch keine Frauen, die dein Vater billigen würde.«

»Ich unterstehe nicht mehr meinem Vater, ich kann alles tun, was ich will«, sagte sie.

»Das ist nicht wahr, und das weißt du auch. Du bist von der Hand deines Vaters in meine Hand übergegangen. Und ich sage, daß du nicht mitkommst.«

Ohne ein Wort hob Julilla ihre Kleider vom Boden auf und warf ein Gewand über ihren dünnen Körper. Dann drehte sie sich um und verließ das Zimmer.

»Ganz wie du willst!« rief Sulla ihr nach.

Am Morgen behandelte sie ihn kühl, eine Taktik, die er ignorierte. Als er zu dem Abendessen für Crassus Orator aufbrach, war sie nirgendwo zu finden.

»Verwöhntes kleines Luder!« murmelte er vor sich hin.

Diese kleine Reiberei hätte ihn eigentlich amüsieren sollen, aber daß sie das nicht tat, war nicht in dem Zwist selbst begründet, sondern kam aus einer tieferen Schicht seines Wesens, in der für Julilla kein Raum war. Er war nicht im geringsten aufgeregt bei der Aussicht, im luxuriösen Palast des Auktionators Quintus Granius zu speisen, der das Essen ausrichtete. Als Sulla die Einladung in Händen hielt, hatte er sich zuerst unbändig gefreut, weil er sie als Freundschaftsangebot eines wichtigen Kreises junger Senatoren verstanden hatte. Dann war ihm der Klatsch über das Fest zu Ohren gekommen, und er begriff, daß man ihn eingeladen hatte, weil über seine Vergangenheit finstere Gerüchte kursierten und weil man den aristokratischen Gästen den Kitzel eines Hauchs von Zwielicht und Verrufenheit bieten wollte.

Als er jetzt so vor sich hin stapfte, konnte er zum ersten Mal ermessen, was für eine Falle hinter ihm zugeschnappt war, als er Julilla geheiratet und sich in die Reihen seiner Standesgenossen eingegliedert hatte. Denn es war eine Falle. Und er konnte ihr nicht entrinnen, solange er in Rom lebte. Das war alles gut und recht für Crassus Orator, der so fest im Sattel saß, daß er an einem Fest teilnehmen konnte, bei dem der Gastgeber auf Schritt und Tritt gegen den Luxuserlaß seines eigenen Vaters verstieß. So sicher war er als Mitglied des Senats und neugewählter Volkstribun, daß er sich ruhig vulgär und ungebildet gebärden und die aufdringlichen Schmeicheleien eines Emporkömmlings wie Quintus Granius, des Auktionators, akzeptieren konnte.

Als Sulla Quintus Granius’ riesigen Speiseraum betrat, fiel sein Blick sogleich auf Colubra. Sie schenkte ihm über den Rand eines goldenen, mit Juwelen besetzten Bechers hinweg ein verführerisches Lächeln und klopfte einladend auf die Liege neben der ihren. Ich hatte recht, ich bin nur zur Unterhaltung für die Gäste hier, sagte er sich im stillen. Dabei lächelte er Colubra strahlend zu und überließ sich der Dienstbarkeit einer Schar unterwürfiger Sklaven. Das hier war keine Angelegenheit im kleinen Kreis! Der Speiseraum war mit Liegen angefüllt - sechzig Gäste würden zu Tische liegen, um den neuen Volkstribunen Crassus Orator zu feiern. Aber, dachte Sulla verächtlich, als er sich neben Colubra niederließ, Quintus Granius hat nicht die leiseste Ahnung, wie man ein richtiges Fest aufzieht.

Als er sechs Stunden später wieder ging - alle anderen Gäste blieben noch da -, war er stockbetrunken. Statt wie vorher sein Los anzunehmen, war er in die tiefsten Tiefen einer schweren Depression versunken. Dabei hatte er immer gedacht, diese Art Depression würde er nie mehr erleben, wenn er erst einmal zu seinem rechtmäßigen Rang aufgestiegen war. Er war enttäuscht, ohnmächtig - und, so erkannte er schlagartig, unerträglich einsam. Von seinem Herzen bis zu seinem Kopf und seinen Händen und Füßen hungerte er nach freundlicher und liebevoller Gesellschaft, nach einem Menschen, mit dem er lachen konnte, einem Menschen, der keine selbstsüchtigen Hintergedanken hatte, einem Menschen, der ganz ihm gehörte. Nach einem Menschen mit schwarzen Augen und schwarzen Locken und dem hübschesten Hintern der Welt.

Bei diesem Gedanken ging er mit beflügeltem Schritt weiter, den ganzen Weg bis zur Wohnung des Schauspielers Skylax, ohne auch nur einen Augenblick daran zu denken, wie gefährlich dieser Weg war, wie unklug, wie töricht, ihm war es gleich! Denn Skylax würde dasein, er würde mit Skylax am Tisch sitzen und einen Becher verdünnten Wein trinken und banale Bemerkungen austauschen und seine Augen voll Wohlgefallen auf dem Knaben ruhen lassen. Niemand würde ihm einen Vorwurf machen können. Ein unschuldiger Besuch, nichts weiter.

Aber Fortuna blieb ihm auch weiterhin treu. Metrobius war allein zu Hause, zur Strafe zurückgelassen, während Skylax Freunde in Antium besuchte. Metrobius langweilte sich tödlich und war überglücklich, Sulla zu sehen! So voller Liebe, Leidenschaft, Hunger, Kummer. Und nachdem ihr Hunger und ihre Leidenschaft gestillt waren, zog Sulla den Knaben auf seinen Schoß, umarmte ihn und weinte beinahe.

»Ich habe zu lange in dieser Welt gelebt«, sagte er. »Oh ihr Götter, wie ich dich vermisse!«

»Und wie ich dich vermisse!« sagte der Knabe und schmiegte sich an Sulla.

Es wurde still. Metrobius fühlte an seiner Wange, wie Sulla hart schluckte, er sehnte sich danach, Sullas Tränen zu spüren. Aber Tränen würde er nicht spüren, das wußte er. »Was ist los, liebster Lucius Cornelius?« fragte er.

»Ich langweile mich«, sagte Sulla sehr ruhig. »Diese Leute da oben sind solche Heuchler, so schrecklich fad! Gute Sitten und gute Manieren bei jeder öffentlichen Gelegenheit, und dann heimlich schmutzige Vergnügen, wenn sie glauben, daß niemand sie beobachtet - ich kann heute abend meine Verachtung nur schwer verbergen.«

»Ich dachte, du würdest glücklich werden da oben«, sagte Metrobius sichtlich erfreut.

»Das dachte ich auch«, sagte Sulla bitter und schwieg wieder.

»Warum bist du heute abend gekommen?«

»Ach, ich war auf einem Fest.«

»War es nicht schön?«

»Nicht für deine oder meine Begriffe, mein Goldjunge. Für ihre Begriffe war es ein großer Erfolg. Aber ich hätte die ganze Zeit lachen können. Und dann, auf dem Heimweg, wurde mir bewußt, daß ich niemanden hatte, der mit mir gelacht hätte. Niemanden!«

»Außer mir«, sagte Metrobius und setzte sich aufrecht hin. »Na, willst du mir nichts davon erzählen?«

»Du kennst die Familie Licinius Crassus, nicht wahr?«

Metrobius betrachtete eingehend seine Fingernägel. »Ich bin ein Kinderstar am Komödientheater«, sagte er. »Was weiß ich über berühmte Familien?«

»Die Familie Licinius Crassus hat Rom mit Konsuln und gelegentlich auch mit einem Pontifex Maximus versorgt seit - ach, seit Jahrhunderten! Sie sind unerhört reich und bringen zwei Sorten von Männern hervor - die genügsame und die genußsüchtige Sorte. Der Vater dieses Crassus war von der genügsamen Sorte und ließ das lächerliche Luxusgesetz auf die Tafeln schreiben - du weißt, welches ich meine«, sagte Sulla.

»Kein goldenes Geschirr, keine Purpurgewänder, keine Austern, kein importierter Wein - ist es das?«

»Genau. Aber Crassus Orator - der sich anscheinend nicht gut mit seinem Vater versteht - liebt den Luxus mehr als alles andere auf der Welt. Und Quintus Granius der Auktionator, braucht Crassus Orator, der doch jetzt Volkstribun ist. Also hat Quintus Granius heute abend ein Fest zu Ehren von Crassus Orator gegeben. Das Motto«, sagte Sulla, nun mit etwas mehr Ausdruck in der Stimme, »hieß: ›Laßt uns die lex Licinia sumptuaria mißachten!‹«

»Wurdest du deshalb eingeladen?« fragte Metrobius.

»Ich wurde eingeladen, weil es so aussieht, als hielte man mich in den höchsten Kreisen für einen faszinierenden Burschen - hohe Geburt, niedriges Leben. Ich glaube, sie haben gedacht, ich würde mich nackt ausziehen, ein paar schmutzige Gassenhauer grölen und nebenher Colubra bumsen, bis ihr die Puste ausgeht.«

»Colubra?«

»Colubra.«

Metrobius pfiff durch die Zähne. »Du bewegst dich wirklich in gehobenen Kreisen! Ich habe gehört, sie verlangt ein Talent Silber für irrumatio

»Das mag sein, aber mir hat sie es umsonst angeboten«, sagte Sulla grinsend. »Ich habe abgelehnt.«

Metrobius fröstelte. »Ach, Lucius Cornelius, lauf nicht herum und mach dir Feinde, wo du doch jetzt in deiner rechtmäßigen Welt lebst! Frauen wie Colubra haben eine enorme Macht.«

Ein Ausdruck des Widerwillens erschien auf Sullas Gesicht. »Quatsch! Ich scheiße auf sie!«

»Das würde ihnen wahrscheinlich gefallen«, sagte Metrobius nachdenklich.

Damit hatte er es geschafft - Sulla lachte und erzählte seine Geschichte etwas fröhlicher weiter.

»Es waren auch ein paar Ehefrauen da - von der abenteuerlustigen Sorte, die ihre Ehemänner halb zu Tode nörgeln -, zwei Claudias und eine Dame mit Maske, die darauf bestand, Aspasia genannt zu werden. Ich habe aber gleich gemerkt, daß sie Crassus Orators Cousine Licinia war - weißt du, die, mit der ich ab und zu mal geschlafen habe.«

»Ja, ich weiß schon«, sagte Metrobius ein wenig grimmig.

»Alles war vollkommen überladen mit Gold und tyrischem Purpur«, fuhr Sulla fort. »Sogar die Geschirrtücher waren aus purpurroter Seide und mit Gold bestickt! Du hättest sehen sollen, wie der Serviersklave gewartet hat, bis sein Herr wegschaute, und dann schnell ein gewöhnliches Geschirrtuch herauszog, um den Wein aus Chios aufzuwischen, den jemand verschüttet hatte - die Tücher aus Seide mit Gold waren natürlich nur Dekoration.«

»Dir war das alles zuwider«, sagte Metrobius verständnisvoll.

»Es war mir zutiefst zuwider«, seufzte Sulla und erzählte weiter. »Die Liegen waren mit Perlen bestickt. Stell dir das mal vor! Und die Gäste haben gerupft und gezupft, bis die Liegen kahlgepflückt waren. Dann haben sie die Perlen in eine Ecke der Servietten aus purpurner Seide mit Goldstickerei gelegt und die Ecke sorgfältig verknotet - dabei hätten alle diese Geldsäcke die Ausgabe nicht einmal bemerkt, wenn sie so viele Perlen gekauft hätten, wie sie stahlen.«

»Außer dir«, sagte Metrobius sanft und strich das Haar aus Sullas weißer Stirn. »Du hast keine Perlen genommen.«

»Lieber wäre ich gestorben«, sagte Sulla. Er zuckte mit den Achseln. »Und außerdem waren es sowieso nur armselige kleine Süßwasserperlen.«

Metrobius lachte verschmitzt. »Verdirb nur nicht die Pointe! Ich mag es, wenn du so unerträglich stolz und nobel bist.«

Sulla küßte ihn lächelnd. »Bin ich so schlimm?«

»Ja, das bist du. Wie war das Essen?«

»Fertig angeliefert. Nicht einmal in Granius’ Küche hätte man genug Essen für sechzig - ähm, neunundfünfzig - der gefräßigsten Schlemmer zubereiten können, die ich je gesehen habe. Jedes Hühnerei war extra groß, die meisten hatten zwei Dotter. Dann gab es Schwaneneier, Gänseeier, Enteneier, Eier von Seevögeln und Eier mit vergoldeten Schalen. Gefüllte Zitzen von Mutterschweinen, Truthähne, gemästet mit Honigkuchen, die in bestem Falernerwein getränkt waren - Schnecken, die eigens aus Ligurien geliefert wurden - Austern, die man in schnellen Kutschen aus Baiae gebracht hatte - die Luft war derart geschwängert von den teuersten Pfeffersorten, daß ich einen Niesanfall bekam.«

Metrobius spürte, daß Sulla unbedingt sprechen wollte. In was für einer seltsamen Welt mußte er jetzt leben. Diese Welt war wohl ganz anders, als er sie sich vorgestellt hatte, allerdings wußte Metrobius nicht genau, was Sulla sich früher vorgestellt hatte, denn Sulla war nicht redselig, jedenfalls war er es bis heute abend nicht gewesen. Und jetzt das, aus heiterem Himmel! Metrobius hatte sich damit abgefunden, dieses geliebte Gesicht nie mehr zu sehen, außer vielleicht von ferne. Und dann hatte Sulla plötzlich vor der Tür gestanden und einfach entsetzlich ausgesehen. Und liebesbedürftig. »Was gab es noch?« fragte Metrobius, damit sein Gast weitererzählte.

Eine rotgoldene Braue zog sich in die Höhe, die dunkle Färbung mit stibium war längst dahin. »Das Beste sollte erst noch kommen, wie sich herausstellte. Sie brachten es auf Schulterhöhe herein, auf einem Kissen aus tyrischem Purpur in einer mit Edelsteinen besetzten goldenen Schüssel: einen riesigen Fisch aus dem Tiber, dessen starre Augen wie die einer geprügelten Bulldogge blickten. Sie trugen ihn mehrmals im Kreis um den ganzen Raum herum, mit mehr Feierlichkeit, als den zwölf Göttern bei einem lectisternium zuteil wird. Einen Fisch!«

Metrobius runzelte die Stirn. »Was für ein Fisch war es?«

Sulla legte den Kopf zurück und schaute Metrobius ins Gesicht. »Ein Barsch aus der Kanalisation. So etwas kennst du doch!«

»Ich weiß nicht, ich kann mich nicht daran erinnern.«

Sulla dachte nach, entspannte sich. »Na, vielleicht kennst du es wirklich nicht. Einen solchen Fisch gibt es auf Schauspielerfesten bestimmt nie und nimmer. Ich will dir nur soviel sagen, Metrobius, daß jeder Dummkopf von Feinschmecker in den höheren Kreisen von Rom schon allein bei dem Gedanken an einen Barsch aus der Mündung der Kanalisation vor Entzücken fast in Ohnmacht fällt. Dabei schwimmen sie zwischen der Hölzernen Brücke und dem Pons Aemilius zu Tausenden herum und baden ihre schuppigen Leiber in der Fracht der Abwasserkanäle. Sie sind so vollgefressen von Roms Fäkalien, daß sie Köder verschmähen. Sie riechen nach Kot, und sie schmecken nach Kot, und wenn du sie ißt, ißt du Kot. Das ist meine Meinung. Aber Quintus Granius und Crassus Orator schwelgten und schwärmten, als hätten sie nicht einen kotfressenden Flußbarsch aus dem Tiber vor sich, sondern Nektar und Ambrosia!«

Metrobius konnte sich nicht mehr halten und würgte laut.

»Gut gesagt!« rief Sulla und lachte. »Ach, wenn du sie nur gesehen hättest, diese aufgeblasenen Trottel! Sie feierten sich als die Besten und Feinsten von Rom, und dabei lief ihnen Roms Abwasser über das Kinn...« Sulla hielt inne und sog scharf die Luft ein. »Ich kann es nicht mehr ertragen. Keinen Tag mehr, keine Stunde.« Er hielt wieder inne. »Ich bin betrunken. Es waren diese schrecklichen Saturnalien.«

»Wieso schreckliche Saturnalien?«

»Langweilig - schrecklich - das ist egal. Eine andere Sorte Oberschicht als die Festgäste von Crassus Orator, aber genauso schlimm. Langweilig, langweilig, langweilig!« Er zuckte die Achseln. »Mach dir nichts daraus. Nächstes Jahr bin ich in Numidien und habe etwas, woran ich mir die Zähne ausbeißen kann. Ich kann es kaum erwarten ! Rom ohne dich - ohne meine alten Freunde - ich kann es nicht ertragen.« Ein Schauder überlief ihn. »Ich bin betrunken, Metrobius. Und ich sollte nicht hier sein. Aber wenn du wüßtest, wie gut es mir tut, hier zu sein!«

»Ich weiß nur, wie gut es mir tut, dich hier zu haben«, sagte Metrobius laut.

»Du bist im Stimmbruch«, sagte Sulla überrascht.

»Es ist auch an der Zeit. Ich bin siebzehn, Lucius Cornelius. Zum Glück bin ich klein für mein Alter, und Skylax hat mir beigebracht, wie ich meine Stimme oben halten kann. Aber inzwischen vergesse ich es manchmal. Es ist schwierig zu kontrollieren. Ich muß mich auch bald rasieren.«

»Siebzehn!«

Metrobius glitt von Sullas Schoß, stellte sich vor ihn hin und sah ernst auf ihn hinunter, dann streckte er die Hand aus. »Komm! Bleib noch ein bißchen bei mir. Du kommst rechtzeitig nach Hause, bevor es hell wird.«

Widerwillig stand Sulla auf. »Ich bleibe«, sagte er, »diesmal bleibe ich. Aber ich komme nicht wieder.«

»Ich weiß«, sagte Metrobius und zog Sullas Arm über seine Schultern, »nächstes Jahr bist du in Numidien, und du wirst glücklich sein.«