Der Unmut der italischen Bundesgenossen schwebte in diesem Dezember wie eine bedrohliche Wolke über Rom. Den Kern der aufgebrachten Italiker bildeten die kriegerischen Stämme des Hochlandes hinter den Tälern des Tiber und des Lira, angeführt von den Marsern und den Samniten. Doch das waren nicht die einzigen Schwierigkeiten, mit denen Rom sich auseinandersetzen mußte. Römische Adlige begannen an den eigenen Privilegien zu rütteln.

Die neuen Volkstribunen waren sehr rührig. Lucius Cassius Longinus empfand eine brennende Scham, weil sein Vater einer jener unfähigen Oberbefehlshaber war, die sich den Zorn des Volkes zugezogen hatten, und so brachte er einen alarmierenden Gesetzesvorschlag in einer contio, der beratenden Versammlung der Plebs, ein. Er verlangte, daß jeder Mann, dem das imperium aberkannt wurde, auch seinen Sitz im Senat verlieren sollte. Das war ein Racheakt, eine Kriegserklärung an Caepio! Denn es war klar, daß Caepio, falls er wegen Hochverrat angeklagt werden sollte, freigesprochen werden würde. Er war zu reich und zu mächtig, er hatte zu viele Ritter in der Ersten und Zweiten Klasse auf seiner Seite, als daß man ihn verurteilen würde. Doch mit dem Gesetz, das Lucius Cassius vorgeschlagen hatte, könnte die Versammlung der Plebs ihm seinen Senatssitz aberkennen, und das war etwas ganz anderes. Trotz heftigen Widerstandes von Metellus Numidicus und seinen Kollegen sah es ganz danach aus, als würde der Gesetzesvorschlag angenommen werden. Lucius Cassius sollte es besser ergehen als seinem Vater.

Aber dann brach der Streit um das Amt des pontifex los, und alle anderen Probleme traten zurück. Da der Streit auch seine komischen Seiten hatte, verfolgte ganz Rom ihn höchst interessiert - alle Römer hatten eine besondere Vorliebe für das Lächerliche. Als Gnaeus Domitius Ahenobarbus auf der Rednertribüne des Forum Romanum tot zusammenbrach, von einem Schlaganfall niedergestreckt, während er gegen die Kandidatur von Gaius Marius in absentia wetterte, hinterließ er eine Lücke. Er war ein pontifex gewesen, ein Priester Roms, und sein Platz in den Reihen der pontifices mußte wieder besetzt werden. Das Amt des pontifex maximus hatte damals der alternde Lucius Caecilius Metellus Delmaticus inne, weitere Priester waren Marcus Aemilius Scaurus, der Senatsvorsitzende, Publius Licinius Crassus und Scipio Nasica.

Neue Priester wurden von den übrigen pontifices berufen, und immer folgte ein Plebejer einem Plebejer nach, ein Patrizier einem Patrizier. Die Räte der Priester und der Auguren bestanden üblicherweise je zur Hälfte aus Patriziern und Plebejern. Nach alter Tradition wurden die neuen Priester aus der Familie des verstorbenen Priesters berufen, und so konnte das Amt eines Priesters oder eines Auguren vom Vater auf den Sohn übergehen oder vom Onkel auf den Neffen oder von einem Vetter auf einen anderen Vetter. Auf diese Weise blieben die Ehre und die dignitas der Familie erhalten. Und natürlich rechnete nun der junge Gnaeus Domitius Ahenobarbus, Familienoberhaupt seit dem Tod seines Vaters, damit, daß er das Amt des pontifex übernehmen würde.

Es gab jedoch ein Problem, und das hieß Scaurus. Als das collegium Pontificum sich versammelte, um über den neuen Priester zu beraten, verkündete Scaurus, er sei dagegen, Ahenobarbus’ Amt an dessen Sohn weiterzugeben. Den wahren Grund für seine Ablehnung sprach er nicht aus, doch er war zwischen seinen Sätzen herauszuhören, und seine dreizehn Zuhörer wußten genau, was er meinte - nämlich, daß Gnaeus Domitius Ahenobarbus ein sturköpfiger, streitsüchtiger und jähzorniger Mann gewesen war, den kaum jemand gemocht hatte. Und sein Sohn war noch schlimmer. Kein römischer Adliger nahm einem anderen römischen Adligen unangenehme Eigenarten übel, jeder war bereit, sich damit abzufinden, vorausgesetzt, er konnte entfliehen, wenn er sich danach fühlte. Doch der Rat der Priester war eine eng verbundene Gemeinschaft, und der junge Ahenobarbus war erst dreiundreißig Jahre alt. Die Priester versammelten sich in der regia, dem Amtshaus des pontifex maximus. Denen, die wie Scaurus jahrelang unter dem Vater zu leiden gehabt hatten, war der Gedanke, daß sie jetzt jahrelang unter dem Sohn leiden würden, sehr zuwider. Glücklicherweise konnte Scaurus seinen Kollegen zwei sehr gute Gründe nennen, die Berufung des jungen Ahenobarbus abzulehnen.

Der erste Grund war der, daß das Priesteramt des verstorbenen Zensors Marcus Livius Drusus nach dessen Tod nicht an seinen Sohn weitergegeben worden war. Mit seinen neunzehn Jahren war er den pontifices damals einfach zu jung für das Amt erschienen. Der zweite Grund lag in Marcus Livius’ Verhalten - er zeigte plötzlich eine beunruhigende Neigung, seinem entschiedenen Konservatismus untreu zu werden. Scaurus vertrat nun die Meinung, daß er als pontifex wieder auf die traditionsgebundenen Pfade seiner Vorfahren zurückkehren werde. Sein Vater war ein unerbittlicher Feind von Gaius Gracchus gewesen, doch so, wie der junge Marcus Livius sich inzwischen auf dem Forum Romanum aufführte, konnte man meinen, er wäre ein zweiter Gaius Gracchus! Nach Scaurus’ Ansicht mußte man für das Verhalten von Marcus Livius mildernde Umstände geltend machen, vor allem die schrecklichen Erlebnisse von Arausio. War es nicht eine geradezu ideale Lösung, nun den jungen Marcus Livius Drusus in den Rat der Priester zu berufen?

Die dreizehn anderen Priester einschließlich des Oberpriesters Delmaticus stimmten Scaurus zu, das sei in der Tat eine brillante Lösung ihres Problems. Der alte Ahenobarbus hatte ohnehin kurz vor seinem Tod das Amt eines Auguren für seinen jüngeren Sohn Lucius gesichert. Die Familie konnte also nicht behaupten, sie sei aller religiösen Ämter beraubt.

Als der junge Gnaeus Domitius Ahenobarbus hörte, daß das frei gewordene Amt des Priesters an Marcus Livius Drusus vergeben werden sollte, war er sehr ungehalten. Genaugenommen war er außer sich vor Wut. Bei der nächsten Senatssitzung verkündete er, daß er den Senatsvorsitzenden Marcus Aemilius Scaurus wegen Verletzung seiner Amtspflichten als pontifex anklagen werde. Er bezog sich auf die Adoption eines patrizischen Kindes durch einen Plebejer. So eine Adoption mußte sowohl vom Rat der pontifices gutgeheißen werden als auch von den Liktoren der dreißig Kurien. Der junge Ahenobarbus behauptete nun, das Vorgehen von Scaurus in dieser Sache sei nicht korrekt gewesen. Der Senat wußte jedoch sehr wohl, woher diese plötzliche Genauigkeit in religiösen Angelegenheiten rührte, und ließ sich überhaupt nicht beeindrucken. Ebensowenig wie Scaurus, der aufstand und auf das rote Gesicht von Ahenobarbus hinunterstarrte.

»Willst du, Gnaeus Domitius - nicht einmal pontifex - mir, Marcus Aemilius, pontifex und Vorsitzender des Senats, vorwerfen, ich hätte ein Sakrileg begangen?« fragte er in eisigem Ton. »Geh heim und spiele mit deinem neuen Spielzeug in der Versammlung der Plebs, bis du endlich erwachsen wirst!«

Damit schien die Sache erledigt zu sein. Unter dem brüllenden Gelächter der Senatoren rauschte ein wütender Ahenobarbus aus dem Senat, verfolgt von höhnischen Zurufen wie »schlechter Verlierer!«.

Doch Ahenobarbus gab sich noch nicht geschlagen. Scaurus hatte ihm gesagt, er solle mit seinem neuen Spielzeug, dem Volkstribunat, in der Versammlung der Plebs spielen, und genau das tat er. Innerhalb von zwei Tagen hatte er einen Gesetzesvorschlag ausgearbeitet, und bevor das alte Jahr zu Ende war, wurde der Vorschlag nach der üblichen Diskussion und Abstimmung als lex Domitia de sacerdotiis verabschiedet. Nach diesem Gesetz sollten die neuen Priester und Auguren in Zukunft nicht mehr von den übrigen Priestern berufen, sondern statt dessen von einer besonderen Versammlung gewählt werden. Jedermann konnte sich zur Wahl aufstellen lassen.

»Frech«, sagte der Pontifex maximus Metellus Delmaticus zu Scaurus, »einfach frech!«

Aber Scaurus lachte nur, bis ihm die Tränen kamen. »Oh, Lucius Caecilius, du mußt zugeben, daß er uns wunderbar an unseren pontifikalen Nasen herumgeführt hat!« Er wischte sich die Augen. »Ich muß sagen, er ist mir jetzt viel sympathischer.«

»Wenn der nächste von uns stirbt, wird er sich natürlich für die Wahl aufstellen lassen«, sagte Delmaticus mürrisch.

»Und warum nicht? Er hat es sich verdient«, erwiderte Scaurus.

»Was ist, wenn mein Platz wieder besetzt werden muß? Dann wird er Pontifex maximus

»Was für eine wunderbare Rache für ihn«, sagte Scaurus ungerührt.

»Ich habe gehört, er sei jetzt hinter Marcus Junius Silanus her«, sagte Metellus Numidicus.

»Stimmt. Er will ihn für unbefugtes Beginnen eines Krieges gegen die Germanen in Gallia Transalpina belangen«, antwortete Delmaticus.

»Mit dieser Klage kann er vor die Versammlung der Plebs gehen. Eine Klage wegen Hochverrat würde bedeuten, daß er vor die Zenturien müßte.« Scaurus pfiff anerkennend durch die Zähne. »Er ist wirklich schlau! Langsam beginne ich zu bedauern, daß wir ihn nicht in unserer Mitte haben.«

»Ach, Unsinn!« sagte Metellus. »Du genießt nur jeden Augenblick dieses schauderhaften Schauspiels!«

»Na, warum denn nicht!« Scaurus spielte den Überraschten. »Wir sind hier in Rom, patres conscripti, und das ist Rom von seiner römischsten Seite! Alle vornehmen Römer im edlen Wettstreit, jeder gegen jeden.«

»Unsinn, Unsinn, Unsinn!« schrie Metellus Numidicus außer sich. Er war immer noch aufgebracht darüber, daß Gaius Marius Konsul werden würde. »Unser altes Rom stirbt langsam. Männer werden zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren zum Konsul gewählt, und das, obwohl sie nicht einmal da waren, um sich in der toga candida zu zeigen - capite censi werden in die Legionen aufgenommen - Priester und Auguren werden gewählt anstatt berufen die Beschlüsse des Senats, wer was regieren soll, werden von der Versammlung des Volkes über den Haufen geworfen - der Senat gibt ein Vermögen für Soldaten aus - und homines novi, Emporkömmlinge, besetzen wichtige Ämter. Pah!«