Es war Mitte Dezember geworden, bis Sulla Clitumna endlich nach Circei begleiten konnte, ein Vorbild an Fürsorge und liebevoller Aufmerksamkeit. Er hatte befürchtet, daß Clitumnas Verfassung sich bessern und seine Pläne daran scheitern könnten, aber das Schicksal meinte es weiterhin gut mit ihm. Clitumna war immer noch sehr deprimiert, und Marcia hatte Caesar davon bestimmt berichtet.

Für ein Landhaus an der Küste der Campania war Clitumnas Haus nicht übermäßig groß, aber doch erheblich größer als ihr Haus auf dem Palatin, denn Römer, die reich genug waren, sich für die Ferienzeit ein eigenes Landhaus zu leisten, hatten den Wunsch, sich mit viel Raum zu umgeben. Das Landhaus stand hoch oben auf einer vulkanischen Landzunge und verfügte über einen privaten Strand. Nachbarn in unmittelbarer Nähe gab es keine.

Nach der Ankunft nahm Clitumna als erstes ein Bad, anschließend aß sie zu Abend, dann gingen Sulla und sie zu Bett, allerdings in getrennten Zimmern. Sulla wollte nur zwei Tage in Circei bleiben und widmete in diesen zwei Tagen seine ganze Zeit Clitumna.

»Ich habe eine Überraschung für dich«, sagte er am Tag der Abreise frühmorgens bei einem Spaziergang.

»Ja?« fragte sie teilnahmslos.

»Du bekommst sie in der ersten Vollmondnacht«, sagte er verheißungsvoll.

»In der Nacht?« fragte sie und zeigte einen Funken Interesse.

»In der Nacht und bei Vollmond! Vorausgesetzt, es ist eine schöne, klare Nacht und du kannst den Vollmond sehen.«

Sie waren unter der hohen Fassade des Landhauses stehengeblieben, das wie die meisten dieser Häuser auf abfallendem Gelände erbaut worden war. Auf der Vorderseite hatte es oben eine Loggia, von der aus die Bewohner die Aussicht genießen konnten. An die Loggia schloß sich das großzügige Peristyl an, der von Säulen umgebene Garten, und hinter dem Peristyl kam das eigentliche Haus, in dem sich die meisten Räume befanden. Die Ställe lagen im Erdgeschoß der Vorderseite, die Wohnräume der Stallknechte über den Ställen und unter der Loggia.

Das Gelände vor Clitumnas Haus war mit Gras und üppigen Rosenbüschen bewachsen und fiel schräg zur Spitze einer Felsnase ab. Zur Seite war das Gelände kunstvoll mit einem Wäldchen bepflanzt worden, das ungestörte Ruhe auch für den Fall sicherte, daß auf dem nächsten Grundstück ein weiteres Landhaus erbaut wurde.

Sulla wies auf die Pinien und Zypressen des Wäldchens.

»Ein Geheimnis, Clitumna«, sagte er mit schmeichelnder Stimme.

»Was für ein Geheimnis?« Allmählich wurde sie doch neugierig.

»Wenn ich dir das sagen würde, wäre es kein Geheimnis mehr«, flüsterte er und knabberte an ihrem Ohrläppchen. »Was ich dir jetzt sage, mußt du unbedingt geheimhalten. Schwörst du mir das?«

»Ich schwöre es«, sagte sie.

»Du wirst dich zu Beginn der dritten Stunde nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Haus schleichen, in acht Tagen, von gestern abend an gerechnet. Du mußt allein sein und dich in dem Wäldchen dort verstecken.« Sulla streichelte ihre Hüfte.

Clitumna war jetzt überhaupt nicht mehr teilnahmslos. »Oooooh! Ist es eine schöne Überraschung?« fragte sie aufgeregt.

»Es wird die größte Überraschung deines Lebens sein«, sagte Sulla, »und das ist kein leeres Versprechen, Liebling. Aber ich stelle zwei Bedingungen.«

Sie lächelte ihn an und sah dabei unerträglich dumm aus. »Ja?«

»Erstens darf niemand etwas davon erfahren, nicht einmal die kleine Bithy. Wenn du ihr davon erzählst, wirst du statt der Überraschung eine große Enttäuschung erleben, und ich werde sehr, sehr böse sein. Du magst es nicht, wenn ich sehr, sehr böse bin, nicht wahr, Clitumna?«

Sie fröstelte. »Nein, Lucius Cornelius.«

»Dann behalte unser Geheimnis für dich«, flüsterte er. »Wenn es dir gelingt, von jetzt an bis zu dem Augenblick, in dem du die Überraschung bekommst, besonders niedergeschlagen zu wirken, wird die Überraschung noch größer sein, das verspreche ich dir.«

»Ich werde brav sein, Lucius Cornelius«, sagte sie eifrig.

Er erriet, in welche Richtung ihre Gedanken gingen. Sie glaubte, die Überraschung werde eine neue, liebevolle Gefährtin sein, hübsch, willig beim Liebesspiel und unterhaltsam im Gespräch. Und Clitumna kannte Sulla gut genug, um zu wissen, daß sie seine Bedingungen erfüllen mußte, weil er ihr die Gefährtin sonst für immer wieder wegnehmen würde. Außerdem wagte niemand, Sullas Wünschen zu widersprechen, wenn es ihm ernst war.

»Es gibt noch eine zweite Bedingung«, sagte er.

Sie schmiegte sich an ihn. »Ja, liebster Lucius?«

»Wenn die Nacht nicht schön ist, muß die Überraschung ausbleiben. Achte also auf das Wetter. Wenn es in der ersten Nacht regnet, dann warte auf die nächste trockene.«

»Ich verstehe, Lucius Cornelius.«

Sulla fuhr in einem gemieteten Wagen nach Rom zurück. Clitumna hütete ihr Geheimnis und bemühte sich, deprimierter als je zuvor zu erscheinen.

Als Sulla in Rom eintraf, rief er den Verwalter von Clitumnas Haus auf dem Palatin zu sich.

»Wie viele Bedienstete hat die Herrin hiergelassen, Iamus?« fragte er. Er saß am Schreibtisch seines Arbeitszimmers und erstellte offensichtlich eine Liste.

»Nur mich, zwei Hausdiener, zwei Hausmädchen, einen Marktjungen und den Unterkoch, Lucius Cornelius«, sagte der Verwalter.

»Dann wirst du zusätzliche Hilfe holen müssen, Iamus, denn heute in vier Tagen gebe ich ein Fest.«

Sulla hielt dem erstaunten Verwalter die Liste unter die Nase. Iamus wußte nicht, ob er einwenden sollte, daß seine Herrin Clitumna ihm kein Wort von einem Fest gesagt habe, oder ob er einfach darauf hoffen sollte, daß es später keinen Ärger geben würde, wenn die Rechnungen kamen. Sulla erriet, was in ihm vorging, und zerstreute seine Bedenken.

»Es ist mein Fest, also bezahle ich dafür. Außerdem bekommst du eine große Belohnung - unter zwei Bedingungen: erstens, daß du mir bei der Vorbereitung des Festes nach Kräften zur Hand gehst, und zweitens, daß du es Clitumna gegenüber nicht erwähnst, wenn sie zurückkommt. Ist das klar?«

»Vollkommen, Lucius Cornelius«, sagte Iamus und verbeugte sich tief.

Sulla machte sich an die Vorbereitung. Er bestellte Tänzer, Musikanten, Akrobaten, Sänger, Zauberer, Possenreißer und andere Unterhaltungskünstler, denn sein Fest sollte alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen. Auf dem ganzen Palatin sollte man darüber sprechen. Als letzten suchte er Skylax auf.

Unangemeldet platzte er in dessen Arbeitszimmer. »Ich möchte Metrobius ausleihen«, sagte er. In der Wohnung hing ein schwüler Geruch nach Räucherwerk und dem Holz der Zimtkassie, die Zimmer waren mit Wandteppichen behängt und üppig mit Sofas und Sitzkissen ausstaffiert.

Sulla ließ sich auf eines der luxuriös gepolsterten Sofas fallen, während Skylax, der träge auf einem der Sofas gelegen hatte, sich empört aufsetzte.

»Wirklich, Skylax, du bist so weich wie Karamelpudding und so dekadent wie ein syrischer Potentat!« sagte Sulla. »Warum besorgst du dir nicht ein paar gewöhnliche Roßhaarsofas? Bei diesem Zeug fühlt man sich, als versinke man in den Armen einer gigantischen Hure!«

»Ich scheiße auf deinen Geschmack«, lispelte Skylax erregt.

»Solange du Metrobius herausgibst, kannst du scheißen, worauf du willst.«

»Warum sollte ich, du... du... Rohling!« Skylax fuhr sich mit der Hand durch seine sorgfältig frisierten, gefärbten goldenen Locken, klimperte mit seinen langen Wimpern, die er mit stibium geschwärzt hatte, und rollte mit den Augen.

»Weil der Knabe dir nicht mit Leib und Seele gehört«, sagte Sulla.

»Er gehört mir mit Leib und Seele! Und er ist nicht mehr der alte, seit du ihn mir gestohlen und in ganz Italien herumgeschleppt hast, Lucius Cornelius! Ich weiß nicht, was du mit ihm gemacht hast, aber auf alle Fälle hast du ihn verdorben!«

Sulla grinste. »Ich habe einen Mann aus ihm gemacht! Er frißt dir nicht mehr aus der Hand, was?« Er verzog angeekelt den Mund und brüllte dann: »Metrobius!«

Der Junge schoß durch die Tür, warf sich Sulla in die Arme und bedeckte sein Gesicht mit Küssen.

Sulla sah Skylax über den schwarzen Schopf des Jungen an und zog eine rotgoldene Augenbraue hoch. »Gib’s auf, Skylax, dein Bumsjunge mag mich lieber als dich.« Zum Beweis zog er Metrobius’ Tunika hoch und enthüllte dessen Erektion. Skylax brach in Tränen aus, und das stibium floß ihm in schwarzen Bächen die Wangen herab.

»Komm, Metrobius.« Sulla stand auf. An der Tür drehte er sich um und warf Skylax ein zusammengefaltetes Blatt Papier hin. »Ein Fest in Clitumnas Haus, in vier Tagen«, sagte er. »Schluck deine schlechte Laune runter und komm. Du kannst Metrobius zurückhaben, wenn du kommst.«

Alle kamen, auch Hercules Atlas, der stärkste Mann der Welt, der auf Jahrmärkten und Festen und Feiern in ganz Italien auftrat. Hercules Atlas war außerhalb seines Hauses nie anders zu sehen als mit einem mottenzerfressenen Löwenfell bekleidet und mit einer riesigen Keule in der Hand. Er wurde freilich nur selten irgendwohin eingeladen, denn wenn der Wein seine Kehle hinunterfloß, wurde er streitsüchtig und gewalttätig.

»Du bist ja nicht recht bei Trost, wie konntest du diesen Bullen einladen!« sagte Metrobius und spielte mit Sullas glänzenden Locken. Die entscheidende Veränderung, die mit Metrobius während der Reise mit Sulla vorgegangen war, bestand darin, daß Sulla dem Jungen Lesen und Schreiben beigebracht hatte.

»Hercules Atlas ist mein Freund«, sagte Sulla und küßte jeden einzelnen Finger des Jungen mit erheblich mehr Genuß, als ihm Clitumnas Finger bereiteten.

»Aber er ist verrückt, wenn er betrunken ist!« protestierte Metrobius. »Er wird das Haus zertrümmern und wahrscheinlich auch noch ein paar Gäste zusammenschlagen! Er soll seine Nummer vorführen und dann verschwinden.«

»Unmöglich.« Sulla schien ganz unbesorgt. Er streckte die Arme aus und zog Metrobius auf seinen Schoß. Metrobius schlang die Arme um Sullas Hals, hob das Gesicht, und Sulla küßte ihn langsam und zärtlich auf die Augenlider.

»Lucius Cornelius, warum behältst du mich nicht bei dir?« Mit einem Seufzer tiefster Befriedigung lehnte sich Metrobius an Sullas Arm.

Sulla runzelte die Stirn. »Du hast es bei Skylax viel besser«, sagte er. Es klang schroff.

Metrobius öffnete seine großen dunklen Augen, die vor Liebe glänzten. »Aber das stimmt nicht, wirklich nicht! Die Geschenke und der Schauspielunterricht und das Geld sind mir nicht wichtig, Lucius Cornelius! Ich wäre viel lieber bei dir, ganz gleich, wie arm wir wären!«

»Ein verlockendes Angebot, das ich sofort annehmen würde wenn ich vorhätte, arm zu bleiben.« Sulla drückte den Jungen an sich. »Aber ich werde nicht arm bleiben. Ich habe jetzt das Geld von Nikopolis, und ich spekuliere fleißig damit. Eines Tages werde ich genug haben, um in den Senat zu kommen.«

Metrobius setzte sich auf. »In den Senat!« Er drehte sich um und starrte Sulla an. »Aber das kannst du doch nicht, Lucius Cornelius! Deine Vorfahren waren Sklaven!«

»Nein, das waren sie nicht.« Sulla starrte zurück. »Ich bin ein patrizischer Cornelius. Ich gehöre in den Senat.«

»Das glaube ich dir nicht!«

»Aber es ist die Wahrheit«, sagte Sulla trocken, »und deshalb kann ich dein verlockendes Angebot nicht annehmen. Ich werde ein Vorbild der Tugend sein müssen - keine Schauspieler, keine Mimen und keine hübschen Knaben mehr.« Er umarmte Metrobius. »Jetzt kümmere dich um die Liste. Hercules Atlas kommt nicht nur zu einer Vorstellung, sondern auch als Gast, und dabei bleibt es.«

Die Kunde, daß ein lärmendes Fest zu erwarten sei, hatte sich natürlich in der ganzen Straße verbreitet, und die Nachbarn waren auf eine Nacht mit Geschrei, Gelächter und lauter Musik gefaßt. Wie üblich war es ein Kostümfest. Sulla hatte sich mit fransenbesetzten Schals, zahllosen Ringen und einer hennagefärbten Perücke als Clitumna verkleidet und ahmte fortwährend ihr albernes Gekicher und ihr wieherndes Gelächter nach. Da die Gäste Clitumna gut kannten, wußten sie Sullas Künste zu schätzen.

Metrobius hatte wieder Flügel bekommen, aber an diesem Abend war er nicht Cupido, sondern Ikarus. Skylax kam als Minerva, und es war ihm gelungen, die strenge, knabenhafte Göttin in eine alte, aufgedonnerte Hure zu verwandeln. Als er sah, daß Metrobius Sulla nicht von der Seite wich, betrank er sich und weinte sich in einer Ecke in den Schlaf.

Tänzerinnen traten auf, die sich mit vollendeter Grazie entkleideten und ihre unbehaarte Scham enthüllten, ein Mann ließ seine dressierten Hunde fast ebenso graziös tanzen, und ein Mädchen aus Antiochia führte einen Tierakt mit einem Esel vor - die Männer waren von der natürlichen Ausstattung des Esels so eingeschüchtert, daß sich anschließend keiner an das Mädchen herantraute.

Hercules Atlas trat ganz am Schluß auf. Die Gäste versammelten sich unter den Säulen des Peristyls. Hercules Atlas hatte sich auf einem stabilen Podium in der Mitte des Gartens installiert. Zum Aufwärmen verbog er ein paar Eisenstangen und zerknickte ein paar dicke Holzbalken wie Streichhölzer. Dann packte der starke Mann ein halbes Dutzend kreischender Mädchen, setzte sie sich auf Schultern und Kopf und klemmte sich einige unter die Arme, hob mit den Händen einen Amboß hoch und brüllte wie ein Löwe in der Arena. Hercules amüsierte sich glänzend, denn der Wein floß seine Kehle hinunter wie das Wasser die Aqua Marcia. Er ergriff immer mehr Ambosse, und den Mädchen wurde es immer ungemütlicher, und zuletzt ging ihr freudiges Gekreische in Schreckensgeschrei über.

Sulla schlenderte in die Mitte des Gartens und stieß Hercules Atlas freundlich ans Knie.

»Komm alter Freund, setz die Mädchen ab«, sagte er lächelnd. »Du zerquetschst sie ja mit deinen Eisenbrocken.«

Hercules Atlas ließ die Mädchen auf der Stelle fallen. Statt dessen packte er jetzt Sulla.

»Schreib mir nicht vor, wie ich meine Nummer zu machen habe«, brüllte er und wirbelte Sulla über seinem Kopf herum. Sullas Perücke, Schals und Gewänder regneten zu Boden.

Einige Festgäste gerieten in Panik, andere versuchten zu helfen und redeten auf Hercules Atlas ein. Aber Hercules Atlas klemmte sich Sulla so beiläufig wie ein Paket unter den linken Arm und verließ das Fest. Niemand konnte ihn aufhalten.

An der Vesta-Treppe blieb er stehen. »Alles in Ordnung?« fragte er. »Habe ich alles richtig gemacht, Lucius Cornelius?« Er stellte Sulla vorsichtig auf den Boden.

»Ganz ausgezeichnet«, sagte Sulla. Ihm war immer noch schwindlig, und er schwankte. »Ich begleite dich nach Hause.«

»Nicht nötig«, sagte Hercules Atlas. »Ich wohne gleich um die Ecke.«

»Ich bestehe darauf«, sagte Sulla. »Ich will dir dein Geld nicht mitten auf dem Forum geben.«

»Ach ja, richtig?« Hercules Atlas schlug sich mit der Hand an die Stirn. »Ich hatte vergessen, daß du mich noch nicht bezahlt hast. Dann komm mit.«

Hercules Atlas wohnte in einer Vierzimmerwohnung im dritten Stock eines Mietshauses in der Nähe des Clivus Orbius. Das Haus stand am Rand der Subura, aber in einer viel besseren Wohngegend. Sulla sah sofort, daß die Sklaven die Chance genutzt und den Abend freigenommen hatten. Eine Frau schien nicht im Haus zu sein, aber er wollte sichergehen.

»Ist deine Frau nicht da?« fragte er.

Hercules Atlas spuckte aus. »Weiber! Ich hasse sie.«

Ein Krug Wein und einige Becher standen auf dem Tisch. Sie setzten sich. Sulla zog eine prall gefüllte Börse aus einem Leinenband um seine Taille. Während Hercules Atlas zwei Becher Wein einschenkte, öffnete Sulla die Börse und ließ geschickt ein Papierpäckchen in seine Handfläche gleiten. Dann stülpte er die Börse um, und ein Strom glänzender Silbermünzen ergoß sich auf die Tischplatte. Drei oder vier Münzen rollten über den Tisch und fielen mit hellem Klirren zu Boden.

»He, halt!« rief Hercules Atlas und kroch auf allen Vieren auf dem Boden herum.

Sulla faltete gemächlich das Papier in seiner Hand auseinander und schüttete ein weißes Pulver in den Becher von Hercules Atlas. Da er kein anderes Instrument zur Hand hatte, rührte er den Wein mit dem Finger um, bis Hercules Atlas ächzend unter dem Tisch auftauchte.

»Auf dein Wohl«, sagte Sulla und prostete dem Muskelprotz freundschaftlich zu.

»Auf dein Wohle, und vielen Dank für den phantastischen Abend.« Hercules Atlas leerte seinen Becher in einem Zug. Dann füllte er ihn erneut und goß den Inhalt wiederum in einem Zug hinunter.

Sulla stand auf, schob Hercules Atlas seinen eigenen Becher in die Hand, nahm ihm den anderen Becher weg und steckte ihn in seine Tunika. »Kleines Andenken«, sagte er. »Gute Nacht.« Er schlüpfte leise aus der Tür.

Die Bewohner des Mietshauses schliefen. Rasch und lautlos stahl sich Sulla die drei Stockwerke hinunter und trat ungesehen auf die schmale Straße hinaus. Der Becher, den er entwendet hatte, verschwand zwischen den Eisenstäben eines Kanaldeckels. Sulla horchte, bis er es tief unten platschen hörte, dann warf er das gefaltete Papier hinterher. An der Juturna-Quelle unter der Vesta-Treppe blieb er stehen, tauchte Hände und Arme bis zu den Ellbogen ins Wasser und wusch und schrubbte sie gründlich.

Er kehrte nicht zu dem Fest zurück, sondern machte einen großen Bogen um den Palatin und ging die Via Nova hinauf in Richtung Capena-Tor. Hinter der Stadtmauer betrat er einen der zahlreichen Ställe. Nur wenige Römer hielten sich eigene Maultiere oder Pferde und besaßen eigene Wagen. Es war billiger und einfacher, sie zu mieten.

Der Stall, den Sulla betrat, war gut und angesehen, aber die Sicherheitsvorkehrungen waren lax. Der einzige Stallbursche schlief fest in einem Haufen Stroh. Sulla beförderte ihn mit einem Schlag ins Genick in einen noch viel tieferen Schlaf und ging dann langsam auf und ab, bis er ein kräftig und gutmütig aussehendes Maultier gefunden hatte. Da er noch nie im Leben ein Reittier gesattelt hatte, brauchte er einige Zeit, bis er herausgefunden hatte, wie man das machte. Er hatte gehört, daß Reittiere die Luft anhalten, wenn der Sattelgurt festgezogen wird, daher wartete er geduldig, bis er sicher war, daß der Brustkorb des Maultiers nicht aufgebläht war. Dann schwang er sich in den Sattel und stieß das Tier sanft in die Flanken.

Er war zwar noch nie geritten, aber er hatte keine Angst und vertraute auf sein Glück. Die Hörner an den vier Ecken des Sattels hielten den Reiter relativ sicher auf dem Rücken des Tieres. Das einzige Zaumzeug, das Sulla dem Maultier hatte anlegen können, war ein einfaches Trensengebiß, und das Maultier kaute still und zufrieden daran. Zügig ritt Sulla die mondhelle Via Appia entlang. Bis zum Morgen würde er bereits eine gute Strecke zurückgelegt haben. Jetzt war es Mitternacht.

Da er das Reiten nicht gewöhnt war, taten ihm bald alle Knochen weh. Bei Tripontium verließ er die Via Appia und ritt querfeldein auf die Küste zu, denn dieser Weg war relativ unbefahren und erheblich kürzer, als wenn er bis Tarracina der Via Appia gefolgt wäre und dann nördlich einen Bogen nach Circei geschlagen hätte. Ein Mantel mit Kapuze, den er aus dem Stall mitgenommen hatte, schützte ihn vor neugierigen Blicken. Nachdem Sulla etwa zehn Meilen in das öde Land hineingeritten war, hielt er bei einer Baumgruppe an. Der Boden war trocken und hart, und es schien keine Stechmücken zu geben. Er band das Maultier mit einer langen Leine fest, die er zusammen mit dem Tier gestohlen hatte, nahm ihm den Sattel ab und legte ihn als Kopfkissen unter eine Pinie. Dann schlief er tief und traumlos.

Gegen Mittag des nächsten Tages ritt Sulla weiter. Er war guter Dinge, obwohl seine Wirbelsäule vom Reiten schrecklich schmerzte und sein Gesäß wund war. Er hatte noch nichts gegessen, verspürte aber keinen Hunger. Das Maultier hatte frisches, saftiges Gras gefressen und wirkte zufrieden und erstaunlich munter. In der Dämmerung erreichte er den vorspringenden Berg, auf dem Clitumnas Villa stand. Erleichtert saß er ab. Wieder nahm er dem Maultier Sattel und Zaumzeug ab und band es fest, damit es grasen konnte. Aber diesmal ließ er es allein ausruhen.

Die Nacht war wundervoll still und sternklar. Als die zweite Stunde der Nacht beinahe vorüber war, stieg der Vollmond weit im Osten über den Hügeln auf und übergoß die Landschaft mit seinem unwirklichen Licht.

In Sulla stieg ein Gefühl der Unverwundbarkeit auf, das Müdigkeit und Schmerzen verbannte, den Fluß seines kalten Blutes beschleunigte und ihn mit Zufriedenheit erfüllte. Alles lief wunderbar glatt und würde weiterhin glatt laufen, mit anderen Worten, er konnte seinem Vorhaben mit völliger Gelassenheit entgegensehen. Als sich so überraschend die Chance aufgetan hatte, Nikopolis loszuwerden, hatte er gar keine Zeit gehabt, sich zu freuen. Er hatte nur blitzschnell eine Entscheidung treffen und dann abwarten können. Den Weißen Knollenblätterpilz hatte er bereits während seiner Ferien mit Metrobius entdeckt, aber Nikopolis hatte die Art ihres Hinscheidens selbst bestimmt, er war nur Mittler gewesen. Pech für sie, Glück für ihn. Aber was er heute abend vorhatte, hatte er bewußt geplant. Das Glück würde ihm nur bei der Ausführung helfen. Angst dagegen - wovor hätte er Angst haben sollen?

Clitumna war da, sie wartete im Schatten der Pinien. Sulla näherte sich ihr nicht sofort, sondern überprüfte zuerst die ganze Umgebung, um sicherzugehen, daß sie niemanden mitgebracht hatte. Ja, sie war allein.

Geräuschvoll ging er auf Clitumna zu. Als sie ihn aus der Dunkelheit heraustreten sah, war sie auf sein Kommen vorbereitet und breitete die Arme aus.

»Es ist genau, wie du gesagt hast!« flüsterte sie und hängte sich kichernd an seinen Hals. »Meine Überraschung! Wo ist meine Überraschung?«

»Bekomme ich keinen Kuß zur Begrüßung?« fragte Sulla. Seine weißen Zähne schimmerten im Mondlicht.

Clitumna bot ihm gierig die Lippen. Und so stand sie da, auf Zehenspitzen, den Mund an seinem festgesaugt, als er ihr das Genick brach. Es war so leicht. Knacks. Wahrscheinlich merkte sie es nicht einmal, denn er sah keinen Funken des Begreifens in ihren Augen aufscheinen, als er ihren Kopf mit der Hand zurückstieß, auf seine andere Hand zu, die ihren Rücken geradehielt. Alles ging blitzschnell. Knacks. Er ließ sie los. Aber sie sank nicht zu Boden, sondern erhob sich noch höher auf die Zehen und begann vor ihm zu tanzen, die Arme in die Seiten gestemmt, mit obszön rollendem Kopf. Sie ruckte und zuckte und machte abgehackte Sprünge, bis sie in einer wilden Drehung mit verrenkten Knien und Ellbogen hinstürzte. Der beißende Geruch warmen Urins stieg in Sullas geweitete Nasenflügel, danach der Gestank von Kot.

Sulla schrie nicht und sprang nicht zur Seite, im Gegenteil, er empfand ein ungeheures Vergnügen. Fasziniert sah er zu, wie sie tanzte, und als sie hinfiel, schaute er angewidert weg.

»Na, Clitumna«, sagte er, »wie eine Dame bist du nicht gestorben.«

Er mußte sie aufheben, selbst wenn das bedeutete, daß er sich beschmutzen, beflecken, verunreinigen würde. Es durften keine Spuren zurückbleiben, keine Anzeichen, daß ein Körper über den Boden gezogen worden war. Das war der Hauptgrund dafür, daß er trockenes Wetter zur Bedingung gemacht hatte. Er trug sie das kurze Stück bis zur Spitze des Felsens auf den Armen.

Die richtige Stelle hatte er bereits ausgesucht und mit einem Stein markiert, als er Clitumna in ihre Villa gebracht hatte. Er fand sie ohne Schwierigkeiten wieder. Unter Anspannung aller Kräfte schleuderte er Clitumna hinaus. Ihre Gewänder blähten sich im Wind, und sie stürzte wie ein großer, toter Vogel tief hinab auf die Felsen. Dort blieb sie liegen, ein formloses Bündel, das die See an Land gespült haben mochte. So würde man sie finden, und es war wichtig, daß sie gefunden wurde.

Wie am Morgen hatte er das Maultier in der Nähe eines Baches angebunden, aber ehe er es zum Trinken führte, watete er voll bekleidet ins Wasser und wusch die letzten Spuren seiner Stiefmutter Clitumna ab. Danach blieb nur noch eines zu tun. Er zog einen kleinen Dolch aus dem Gürtel und ritzte sich auf der linken Seite eine Schnittwunde in die Stirnhaut, knapp unter dem Haaransatz. Wie alle Kopfwunden blutete der Schnitt heftig. Aber das war erst der Anfang. Die Wunde durfte nicht glatt und sauber aussehen. Also setzte er die Mittel- und die Ringfinger beider Hände rechts und links des Einschnitts an und zog, bis das Fleisch wulstig auseinanderklaffte. Blut spritzte auf sein schmutziges, triefend nasses Festgewand und verteilte sich auf dem durchnäßten Stoff rasch. So! Gut! Aus der Gürteltasche nahm er ein weißes Stück Leinen heraus, preßte es auf den Schnitt in der Stirn und band es fest. Dann holte er das Maultier.

Er ritt die ganze Nacht durch und trieb das Maultier erbarmungslos an, wenn es stehenbleiben wollte. Das Maultier mochte seinen Reiter, deshalb war es gutwillig. Es mochte das Trensengebiß, das viel angenehmer war als die Kandare, es mochte Sullas Schweigsamkeit und Fürsorge, es mochte seine Ruhe. Ihm zuliebe trabte und galoppierte es, fiel in Schritt und beschleunigte wieder, sobald es konnte. Das Maultier wußte nichts von der Frau, die mit gebrochenem Genick auf den rauhen Felsen unterhalb ihres großen, weißen Landhauses lag. Es spürte nur einen ungewöhnlich freundlichen Reiter.

Eine Meile vor dem Stall stieg Sulla ab und nahm dem Maultier das Sattelzeug ab. Er warf es in die Büsche am Wegrand, gab dem Tier einen Klaps auf die Kruppe und scheuchte es in die Richtung seines Stalles. Er war sicher, daß es nach Hause finden würde. Aber als er zum Capena-Tor losmarschierte, folgte ihm das Maultier, und er mußte es schließlich mit ein paar Steinen vertreiben.

In seinen Kapuzenmantel gehüllt, betrat Sulla Rom in dem Augenblick, als der Himmel sich im Osten perlgrau färbte. In neun Stunden zu vierundsiebzig Minuten war er von Circei nach Rom geritten, eine beachtliche Leistung für ein müdes Maultier und einen Mann, der nie zuvor geritten war.

Die Cacus-Treppe führte vom Circus Maximus auf den Cermalus hinauf, den nordwestlichen Teil des Palatins. Hier war noch der Geist der ursprünglichen Siedlung des Romulus lebendig: In einer kleinen, unauffälligen Höhle mit einer Quelle hatte die Wölfin die Zwillinge Romulus und Remus gesäugt. Die Höhle erschien Sulla der geeignete Ort, seine Verkleidung abzulegen. Er verbarg Mantel und Verband sorgfältig in einem hohlen Baum hinter dem Denkmal für den Genius Loci. Die Wunde begann sofort wieder zu bluten. Wie vom Donner gerührt sahen die wenigen Menschen in Clitumnas Straße, die so früh schon auf den Beinen waren, den vermißten Sulla herantaumeln: schmutzig, blutig und übel zugerichtet.

In Clitumnas Haus war schon Leben. Seit man Hercules Atlas gefunden hatte, hatte man nach Sulla gesucht. Von allen Seiten eilten die Diener herbei, er wurde ins Bett gebracht und mit einem Schwamm abgetupft, kein Geringerer als Athenodorus aus Sizilien wurde gerufen, um die Wunde zu untersuchen, und Gaius Julius Caesar kam von nebenan und erkundigte sich, was geschehen sei. Der ganze Palatin war in Aufruhr.

»Erzähle mir, was passiert ist.« Caesar setzte sich an sein Bett.

Sulla sah wirklich krank aus. Um seine von Schmerz und Mattigkeit gezeichneten Lippen lag ein bläulicher Schimmer, seine durchsichtige Haut war noch blasser als sonst, und seine Augen waren vor Erschöpfung glasig und hatten breite rote Ränder.

»Dumm war ich«, sagte Sulla. Das Sprechen fiel ihm sichtlich schwer. »Ich hätte mich nicht mit Hercules Atlas anlegen sollen. Ich habe nicht damit gerechnet, daß ein Mann so stark sein kann, ich dachte, er mache nur Spaß. Er war stockbetrunken, und er... er trug mich einfach unter dem Arm davon. Ich konnte ihn nicht aufhalten. Irgendwo hat er mich dann wieder abgesetzt. Ich versuchte zu entkommen, und er muß mir einen Schlag versetzt haben, ich weiß es nicht. Ich kam irgendwann in einer Gasse der Subura wieder zu mir. Ich muß dort bewußtlos gelegen haben, mindestens einen Tag. Als ich mich wieder bewegen konnte, ging ich nach Hause. Das ist alles, Gaius Julius.«

»Du hast großes Glück gehabt«, sagte Caesar. »Wenn Hercules Atlas dich mit zu sich nach Hause genommen hätte, hättest du vielleicht sein Schicksal geteilt.«

»Sein Schicksal?«

»Dein Verwalter kam gestern zu mir. Nachdem er mir die ganze Geschichte erzählt hatte, ging ich mit ein paar Gladiatoren zur Wohnung von Hercules Atlas. Dort fand ich ein Bild der Verwüstung vor. Aus irgendeinem Grund hatte er alles zusammengeschlagen - sämtliche Möbel zertrümmert, mit den Fäusten große Löcher in die Wand geschlagen und die anderen Bewohner seines Mietshauses derart in Angst und Schrecken versetzt, daß sich bis dahin niemand in seine Nähe gewagt hatte. Er lag mitten Im Wohnzimmer, tot. Ich vermute, daß ein Blutgefäß in seinem Gehirn geplatzt ist und er vor Schmerzen wahnsinnig wurde. Oder jemand hat ihn vergiftet.« Ein Ausdruck des Ekels glitt über Caesars Gesicht. »Er hat beim Sterben eine fürchterliche Schweinerei angerichtet. Ich glaube, seine Diener haben ihn als erste gefunden, aber sie waren längst weg, als ich ankam. Sie haben vermutlich mitgenommen, was sie tragen konnten, und sind über alle Berge. Hat er Geld für den Auftritt bei deinem Fest bekommen? Wenn ja, war es nicht in der Wohnung.«

Sulla schloß die Augen. Seine Müdigkeit war nicht geheuchelt. »Ich hatte ihn im voraus bezahlt, Gaius Julius, deshalb kann ich dir nicht sagen, ob er Geld in der Wohnung hatte.«

Caesar stand auf. »Nun, ich habe alles getan, was in meiner Macht steht.« Streng sah er auf die reglose Gestalt im Bett hinunter, doch Sullas Augen blieben geschlossen. »Du tust mir außerordentlich leid, Lucius Cornelius, aber so kann es nicht weitergehen. Meine Tochter hat sich beinahe zu Tode gehungert wegen einer unreifen Schwärmerei für dich, und sie hat sich bis heute nicht davon erholt. Du hast zwar meine Tochter nicht ermutigt, aber es wäre mir trotzdem lieber, wenn du in eine andere Gegend ziehen würdest. Ich habe einen Boten zu deiner Stiefmutter nach Circei geschickt und sie darüber informiert, was in ihrer Abwesenheit hier vorgegangen ist. Ich habe sie weiterhin darüber informiert, daß sie in dieser Straße schon lange nicht mehr gern gesehen ist. Wir hier sind ruhige Leute, und ich würde nur äußerst ungern eine Klage beim Stadtprätor einreichen, um unser Recht auf Frieden und Ruhe zu schützen. Aber wenn es nicht anders geht, werde ich die Klage einreichen.«

Sulla rührte sich nicht und öffnete auch nicht die Augen. Caesar blieb noch eine Welle stehen und überlegte, wieviel von seiner Strafpredigt angekommen sein mochte, als er auf einmal ein Schnarchen hörte. Er drehte sich um und ging.

Aber nicht Caesar, sondern Sulla erhielt zuerst Nachricht aus Circei. Der Verwalter des Landhauses teilte Sulla mit, man habe Clitumnas Leiche am Fuße der Felsen gefunden, die ihr Grundstück begrenzten. Beim Sturz habe sie sich das Genick gebrochen. Wie Sulla ja wisse, sei die Herrin Clitumna in letzter Zeit in sehr schlechter Verfassung gewesen.

Sulla schwang die Beine aus dem Bett und stand auf.

»Laß mir ein Bad ein und lege meine Toga bereit«, sagte er.

Die kleine Wunde an der Stirn heilte gut. Abgesehen von der Schwellung erinnerte nichts mehr an seinen gestrigen Zustand.

»Schicke nach Gaius Julius Caesar«, sagte Sulla zu Iamus, als er angekleidet war.

Von diesem Gespräch hing seine Zukunft ab. Den Göttern sei Dank, daß Skylax Metrobius nach dem Fest mit nach Hause genommen hatte, obwohl der Junge sich gesträubt hatte. Er war nur knapp davongekommen! Hätte Caesar Metrobius in Clitumnas Haus angetroffen, wäre Sullas Schicksal besiegelt gewesen. Caesar würde Sulla zwar niemals aufgrund von Gerüchten verurteilen, aber das Zeugnis seiner eigenen Augen hätte ein völlig neues Licht auf die Situation geworfen.

Als er Caesar empfing, war er vom Scheitel bis zur Sohle ein patrizischer Römer: Er war makellos weiß gekleidet, der schmale Streifen des Ritters schmückte seine Tunika, sein prachtvolles Haar war frisch geschnitten und zu einer männlichen Frisur gekämmt.

»Ich bitte dich um Entschuldigung, Gaius Julius, daß ich dich noch ein weiteres Mal bemühen muß«, sagte Sulla. Er überreichte Caesar eine kleine Papierrolle. »Dieses Schreiben ist soeben aus Circei eingetroffen, und ich dachte, ich sollte dich sofort informieren.«

Mit regloser Miene und sehr langsam las Caesar das Schreiben. Sulla wußte, daß er jedes einzelne Wort genau abwog.

»Das ist der dritte Todesfall.« Caesar schien regelrecht erleichtert. »Dein Haus hat schwere Verluste erlitten, Lucius Cornelius. Mein aufrichtiges Beileid.«

»Ich nehme an, daß du Clitumnas Testament aufgesetzt hast«, sagte Sulla, »sonst hätte ich dich nicht belästigt, das versichere ich dir.«

»Ja, ich habe mehrere Testamente für sie gemacht, das letzte kurz nach Nikopolis’ Tod.« Caesars schönes Gesicht, seine klaren, blauen Augen, sein ganzes Auftreten wirkten betont sachlich und unverbindlich. »Bitte sage mir ehrlich, Lucius Cornelius, was du für deine Stiefmutter empfunden hast.«

Hier war sie, die brüchigste Stelle seines Planes. Er mußte so sicher und vorsichtig auftreten wie eine Katze auf einem mit Scherben übersäten Fensterbrett im zwölften Stock eines Mietshauses. »Ich erinnere mich, schon früher mit dir über dieses Thema gesprochen zu haben, Gaius Julius«, sagte Sulla, »aber ich bin froh, daß ich mich ausführlicher darüber äußern kann. Clitumna war eine alberne, dumme und vulgäre Frau, aber ich hatte sie trotzdem gern. Mein Vater« - hier zuckte Sullas Gesicht - »war ein unheilbarer Trinker, das Leben mit ihm war ein einziger Alptraum. Wir waren nicht einfach verarmter Adel, Gaius Julius: Nichts erinnerte mehr an unsere Herkunft. Wir konnten uns nicht einmal einen einzigen Sklaven leisten. Hätte sich nicht ein alter Lehrer, der auf dem Marktplatz unterrichtete, aus Mitleid meiner angenommen, hätte ich, ein Patrizier aus dem Geschlecht der Cornelier, nicht einmal Lesen und Schreiben gelernt. Ich habe keine militärische Grundausbildung auf dem Marsfeld erhalten, ich habe nicht Reiten gelernt, ich war nie als Schüler eines Anwalts bei Gerichtsverhandlungen dabei. Vom Militär, von der Rhetorik und vom öffentlichen Leben weiß ich nichts. Das ist die Schuld meines Vaters. Und deshalb... hatte ich Clitumna gern. Sie hat meinen Vater geheiratet und ihn und mich in ihr Haus aufgenommen. Wer weiß - hätten mein Vater und ich weiter in der Subura gelebt, wäre ich vielleicht eines Tages wahnsinnig geworden und hätte ihn ermordet. So jedoch hat Clitumna bis zu seinem Tod die Hauptlast getragen und mich befreit. Ja, ich hatte sie gern.«

»Sie hatte dich auch gern, Lucius Cornelius«, sagte Caesar. »Ihr Testament ist einfach und klar. Sie hat alles dir hinterlassen.«

Jetzt war äußerste Vorsicht angebracht! Er durfte nicht zuviel Freude zeigen, aber auch nicht zuviel Kummer! Caesar war sehr klug und besaß große Menschenkenntnis.

»Hat sie mir so viel hinterlassen, daß ich Senator werden kann?« fragte er und sah Caesar direkt in die Augen.

»Mehr als das.«

Sulla sackte in sich zusammen. »Ich - kann es - nicht glauben!« sagte er. »Bist du ganz sicher? Ich weiß, daß sie dieses Haus hatte und das Landhaus in Circei, aber ich dachte, sonst sei nicht mehr viel da.«

»Oh nein, sie war eine sehr reiche Frau. Sie hat Geld in Aktien investiert und in Wertpapiere aller möglichen Unternehmen und in’ ein Dutzend Handelsschiffe. Ich rate dir, die Schiffsanteile und die Wertpapiere zu verkaufen und den Erlös für Grundstückskäufe zu verwenden. Du mußt deinen Besitz tadellos in Ordnung haben, damit die Zensoren zufrieden sind.«

»Es ist wie ein Traum!« sagte Sulla.

»Ich verstehe, daß es dir so vorkommen muß, Lucius Cornelius. Aber sei versichert, es ist wirklich wahr.« Caesar wirkte ganz ruhig. Offensichtlich hegte er keinerlei Verdacht gegen Sulla.

»Das Schicksal ist mir doch gnädig«, sagte Sulla mit Verwunderung in der Stimme. »Ich hätte nicht geglaubt, daß ich das jemals sagen könnte. Ich werde Clitumna vermissen, aber ich hoffe, daß man später einmal sagen wird, ihr größtes Geschenk an die Welt sei ihr Tod gewesen. Denn ich habe vor, eine Zierde meines Standes und des Senats zu sein.« Klang das echt?

»Ich glaube auch, Lucius Cornelius, daß es sie glücklich machen würde, wenn sie wüßte, daß du ihr Erbe so nutzen willst«, sagte Caesar. Er faßte Sullas Worte genau in der beabsichtigten Weise auf. »Und darf ich annehmen, daß es keine lärmenden Feste mehr geben wird? Keine zweifelhaften Freunde?«

»Wenn ein Mann das Leben führen kann, auf das er nach seiner Herkunft ein Anrecht hat, Gaius Julius, dann braucht er keine lärmenden Feste und keine zweifelhaften Freunde.« Sulla seufzte. »Sie dienten nur dazu, die Zeit totzuschlagen. Du wirst das vermutlich schwer verstehen, aber das Leben, das ich über dreißig Jahre geführt habe, hing mir am Hals wie ein riesiger Mühlstein.«

»Ich verstehe es«, sagte Caesar.

Sulla kam ein schrecklicher Gedanke. »Aber wir haben ja gar keine Zensoren! Was soll ich tun?«

»Eine der Bedingungen, die Marcus Scaurus für seinen freiwilligen Rücktritt gestellt hat - falls man das als freiwilligen Rücktritt bezeichnen kann -, war, daß bereits im April nächsten Jahres neue Zensoren gewählt werden«, sagte Caesar ruhig. »Bis dahin wirst du dich gedulden müssen.«

Sulla straffte sich und holte tief Luft. »Gaius Julius, ich habe noch eine weitere Bitte an dich.«

Caesars blaue Augen sahen ihn an, als wisse er, was Sulla jetzt sagen würde - aber wie war das möglich, wo ihm der Gedanke doch gerade erst gekommen war? Eine hervorragende Idee. Denn wenn Caesar zustimmte, hatte Sullas Bewerbung bei den Zensoren erheblich mehr Gewicht, als Geld allein ihr verleihen konnte.

»Was für eine Bitte, Lucius Cornelius?« fragte Caesar.

»Ziehe mich als Ehemann für deine Tochter Julilla in Erwägung.«

»Obwohl sie dir soviel Unrecht zugefügt hat?«

»Ich - liebe sie«, sagte Sulla und glaubte es in diesem Moment selbst.

»Im Augenblick geht es Julilla noch viel zu schlecht, als daß man an Heirat denken könnte«, sagte Caesar, »aber ich werde deine Bitte überdenken, Lucius Cornelius.« Er lächelte. »Vielleicht habt ihr einander verdient, nach so viel Kummer.«

»Sie hat mir einen Kranz aus Gras geschenkt«, sagte, Sulla. »Seitdem, Gaius Julius, hat sich für mich das Blatt gewendet.«

»Ich glaube dir.« Caesar stand auf und wandte sich zum Gehen. »Trotzdem werde ich im Augenblick niemandem etwas davon sagen, und ich bitte dich dringend: Halte dich von ihr fern. Sie versucht noch immer, einen Ausweg aus ihrer mißlichen Lage zu finden, und ich möchte nicht, daß sich ihr eine so einfache Lösung bietet.«

Sulla begleitete Caesar zur Tür und streckte ihm dort die Hand hin. Dabei lächelte er mit geschlossenen Lippen, denn er wußte nur zu gut, welche Wirkung es hatte, wenn er seine langen, scharfen Eckzähne entblößte. Caesar mußte umworben und gehätschelt werden. Sulla wußte natürlich nichts von dem Gespräch, das Caesar und Gaius Marius seinerzeit geführt hatten, aber er war in puncto Heirat zum selben Schluß gekommen. Gab es einen besseren Weg, sich bei Zensoren und Wählern beliebt zu machen, als eine Julia zur Frau zu nehmen?

»Iamus!« rief Sulla, nachdem Caesar gegangen war.

»Lucius Cornelius?«

»Du brauchst dich nicht um das Abendessen zu kümmern. Richte das Haus als Trauerhaus für die Herrin her und sorge dafür, daß alle Diener aus Circei zurückkommen. Ich breche sofort auf und kümmere mich um die Bestattung.«

Und ich werde Metrobius mitnehmen und mich von ihm verabschieden, dachte Sulla, als er in aller Eile einige Dinge zusammenpackte. Ich werde mich von allen Resten meines alten Lebens verabschieden, und ich werde mich von Clitumna verabschieden. Ich werde nichts davon vermissen. Bis auf Metrobius. Ihn werde ich vermissen. Sehr sogar.