Das sechste Jahr
(105 v. Chr.)
Unter den Konsuln
PUBLIUS RUTILIUS RUFUS und GNAEUS MALLIUS MAXIMUS
Jugurtha war zwar noch kein Verfolgter im eigenen Land, aber die Römer hatten Nordafrica fest im Griff. Die Bewohner in den dichter besiedelten und den östlich gelegenen Teilen des Landes hatten sich mit der römischen Herrschaft abgefunden. Cirta, die Hauptstadt, lag in der Mitte, und Marius entschied, daß es klüger sei, dort zu überwintern anstatt in Utika. Die Einwohner von Cirta hatten nie eine besondere Zuneigung zu ihrem Herrscher gezeigt, doch Marius kannte Jugurtha gut genug, um zu wissen, daß er am gefährlichsten - und am liebenswürdigsten - war, wenn er unter Druck stand. Er durfte Cirta nicht den Verführungskünsten des Königs überlassen. Sulla blieb in Utika, um die römische Provinz zu regieren, während Aulus Manlius vom Dienst befreit wurde und die Erlaubnis erhielt, nach Hause zu reisen. Er nahm die beiden Söhne von Gaius Julius Caesar mit nach Rom, obwohl keiner der beiden Africa verlassen wollte. Der Brief von Rutilius Rufus hatte Marius beunruhigt, und er hielt es für besser, die Söhne zu ihrem Vater zurückzuschicken.
Zu Beginn des neuen Jahres fällte König Bocchus von Mauretanien endlich eine Entscheidung. Trotz seiner Bluts- und Verwandtschaftsbande zu Jugurtha wollte er sich mit den Römern verbünden - sofern Rom bereit wäre, ihn als Verbündeten zu akzeptieren. Aus diesem Grund begab er sich von Iol nach Icosium, an den Ort, wo er zwei Monate zuvor mit Sulla und dem seekranken Manlius verhandelt hatte. Es kam ihm überhaupt nicht in den Sinn, daß Marius überall, nur nicht in Utika überwintern würde, und so zog die kleine Gesandtschaft, die er zu Verhandlungen mit Marius schickte, nördlich an Cirta vorbei in Richtung Utika. Die Gesandtschaft bestand aus fünf maurischen Botschaftern, darunter dem jüngeren Bruder des Königs, Prinz Bogud, und einem seiner Söhne. Sie reisten mit wenig Aufwand und ohne militärische Eskorte, denn Bocchus wollte Marius auf keinen Fall provozieren, und ebensowenig wollte er die Aufmerksamkeit Jugurthas auf sich ziehen. Die kleine Reisegesellschaft wirkte wie eine Gruppe wohlhabender Händler, die sich nach einer ertragreichen Saison mit ihrem Gewinn auf der Heimreise befand, und das lockte natürlich Banditen an, die ihren Vorteil aus der verworrenen Situation in Numidien zu ziehen wußten. Als die Gesandten nicht weit südlich von Hippo Regius den Fluß Ubus überqueren wollten, gerieten sie in einen Hinterhalt und wurden ausgeplündert bis auf die Kleidung, die sie am Leibe trugen. Die Banditen nahmen ihre Sklaven und Diener gefangen, um sie später auf einem fernen Markt zu verkaufen.
Quintus Sertorius und seine ausgezeichnet geschulten Offiziere hatten Marius nach Cirta begleitet, und das bedeutete, daß Sulla mit dem weniger gut geschulten Rest des Stabes zurechtkommen mußte. Er machte es sich zur Gewohnheit, selbst ein Auge auf alle Vorgänge an den Toren des Regierungspalastes in Utika zu haben, und so kam es, daß er als erster den Haufen zerlumpter Wanderer vor dem Tor erblickte, die vergebens Einlaß begehrten.
»Wir müssen unbedingt mit Gaius Marius sprechen!« beharrte Prinz Bogud. »Wir sind Gesandte des König Bocchus von Mauretanien, so glaub uns doch!«
Sulla erkannte einige der Gesandten und schlenderte hinüber.
»Laß sie hinein, Idiot«, befahl er dem diensthabenden Wachsoldaten. Er nahm Boguds Arm und stützte ihn, denn es war offensichtlich, daß seine wunden Füße bei jedem Schritt schmerzten. »Nein, für Erklärungen haben wir später Zeit, Prinz«, schnitt Sulla ihm das Wort ab. »Jetzt brauchst du erst ein Bad, frische Kleidung, etwas zu essen und Ruhe.«
Einige Stunden später hörte er sich Boguds Bericht an.
»Wir waren viel länger unterwegs, als wir gedacht hatten«, schloß Bogud, »und ich fürchte, der König, mein Bruder, hat inzwischen alle Hoffnung aufgegeben. Können wir Gaius Marius sprechen?«
»Gaius Marius ist in Cirta«, meinte Sulla leichthin. »Ich gebe euch den Rat , sagt mir, was euer König will, und überlaßt es mir, die Botschaft nach Cirta weiterzuleiten, sonst könnte es noch mehr Verzögerungen geben.«
»Wir sind alle Blutsverwandte des Königs, und der König bittet Gaius Marius, er möge uns nach Rom senden, damit wir persönlich den Senat ersuchen können, den König wieder als Verbündeten anzunehmen.«
»Ich verstehe.« Sulla erhob sich. »Bitte, Prinz Bogud, mach es dir bequem und warte. Ich werde sofort eine Botschaft an Gaius Marius schicken, aber es wird eine Welle dauern, bis wir Antwort erhalten.«
Marius’ Antwort traf vier Tage später in Utika ein:
Gut, sehr gut! Das kann sehr nützlich sein, Lucius Cornelius. Aber ich muß äußerst vorsichtig sein. Der neue erste Konsul, Publius Rutilius Rufus, hat mir mitgeteilt, daß unser lieber Freund Metellus Schweinebacke Numidicus jedem, der es hören will, erzählt, er werde mich wegen Unterschlagung und Korruption während meiner Verwaltung der Provinz anklagen. Ich darf ihm keine Angriffsfläche bieten. Zum Glück muß er sich seine Beweise selbst basteln, denn Unterschlagung und Korruption waren nie meine Art - nun, Du kannst das besser beurteilen als die meisten, denke ich.
Ich will, daß Du folgendes tust: Ich werde Prinz Bogud in Cirta Audienz gewähren, Du mußt also die Gesandtschaft hierher bringen. Doch bevor ihr euch auf den Weg macht, möchte ich, daß Du jeden einzelnen römischen Senator, jeden Beamten des Schatzamtes, jeden offiziellen Vertreter des Senats von Rom oder des römischen Volkes, jeden wichtigen römischen Bürger in der gesamten Provinz Africa auftreibst. Bring sie mit nach Cirta. Ich werde mit Bogud verhandeln, und alle bedeutenden Römer, die ich finden kann, werden dabeisein, werden jedes Wort hören, das ich sage, und schriftlich gutheißen, was ich beschließe.
Lauthals lachend legte Sulla den Brief zur Seite. »Das ist einfach genial, Gaius Marius!« sagte er zu den vier Wänden seines Arbeitszimmers. Und dann stürzte er seine Tribunen und Verwaltungsbeamten in heillose Verwirrung mit dem Auftrag, die gesamte Provinz nach prominenten Römern abzusuchen.
Weil die Provinz Africa ein wichtiger Weizenlieferant für Rom war, besuchten sie reiselustige Senatoren gern. Die Provinz war exotisch und schön, und bei den üblichen Windverhältnissen Anfang des Jahres war die Seereise nach Osten sicherer als die Passage über das adriatische Meer. Selbst in der Regenzeit regnete es nicht jeden Tag, zwischen den Regengüssen war das Klima herrlich mild und eine Wohltat für die Frostbeulen der Besucher aus dem wintergeplagten Europa.
Sulla gelang es, zwei Senatoren aufzutreiben, zwei bedeutende Landbesitzer - darunter den größten, Marcus Caelius Rufus -, einen leitenden Beamten des Schatzamtes, der seinen Urlaub in Nordafrica verbrachte, sowie einen Händler, der Weizengeschäfte in großem Stil abwickelte.
»Aber mein größter Fund«, sagte Sulla zu Gaius Marius, als er zwei Wochen später in Cirta ankam, »ist Gaius Billienus, der sich Africa ein bißchen anschauen wollte, bevor er die Verwaltung der Provinz Asia antritt. Ich bringe dir also einen Prätor mit prokonsularischen Machtbefugnissen! Und dann haben wir noch einen Quästor vom Schatzamt, Gnaeus Octavius Ruso. Er kam mit dem Sold für das Heer und traf gerade im Hafen von Utika ein, als wir auslaufen wollten, und so habe ich ihn auch gleich mitgebracht.«
»Lucius Cornelius, du bist ein Mann nach meinem Geschmack!« lobte Marius mit breitem Grinsen. »Du begreifst sehr schnell.«
Bevor Marius die maurische Abordnung empfing, berief er die römische Prominenz zu einer Sitzung ein.
»Ich werde euch genau erklären, wie die Lage ist«, begann Marius, »dann werde ich in eurem Beisein mit Prinz Bogud und den anderen Gesandten sprechen, und anschließend sollten wir gemeinsam entscheiden, wie wir uns gegenüber König Bocchus verhalten. Ich muß jeden von euch bitten, seine Meinung schriftlich festzuhalten, damit man in Rom sieht, daß ich meine Befugnisse nicht überschritten habe.«
Das Ergebnis der Sitzung fiel genauso aus, wie Marius es sich erhofft hatte. Er hatte die hochgestellten Herren aus Rom mit Vorsicht und Beredsamkeit über die Situation unterrichtet, dabei hatte Sulla ihn tatkräftig unterstützt. Die Versammlung kam überein, daß ein Friedensschluß mit Bocchus wünschenswert sei und daß man am besten drei der maurischen Gesandten in Begleitung des Quästors Gnaeus Octavius Ruso nach Rom schicken solle, die beiden anderen Mauren sollten als Beweis von Roms gutem Willen zu Bocchus zurückkehren.
So reisten denn Prinz Bogud und zwei seiner Verwandten unter der Aufsicht von Gnaeus Octavius Ruso nach Rom, wo sie Anfang März eintrafen und in einer eigens einberufenen Sitzung des Senats angehört wurden. Die Senatssitzung fand im Tempel der Bellona statt, denn die Angelegenheit betraf einen ausländischen Krieg mit einem ausländischen Herrscher, und Bellona war Roms ursprüngliche Kriegsgöttin - weit älter als Mars -, ihr Tempel somit der angemessene Ort für Kriegsberatungen des Senats.
Nach Abschluß der Beratungen wurden die Türen des Tempels weit geöffnet, damit draußen alle hören konnten, was der Senat beschlossen hatte. Konsul Publius Rutilius Rufus gab den Spruch des Senats bekannt.
»Teilt König Bocchus mit«, sagte Rutilius Rufus mit seiner hellen, klaren Stimme, »daß der Senat und das Volk von Rom weder eine Beleidigung noch einen erwiesenen Dienst vergessen. Wir erkennen, daß König Bocchus seine Verfehlung aufrichtig bereut, und so wäre es nicht gerecht, wenn wir, der Senat und das Volk von Rom, ihm unsere Vergebung verweigerten. Ihm sei also vergeben. Der Senat und das Volk von Rom verlangen jedoch, daß König Bocchus uns nun einen Dienst erweist, der an Größe seiner Schuld gleichkommt, denn bislang hat er für Rom noch nichts geleistet, was die Verfehlung hätte aufwiegen können. Wenn dieser Dienst ebenso unzweideutig ausfällt wie die Beleidigung, werden der Senat und das Volk von Rom mit Freuden König Bocchus von Mauretanien einen Freundschafts- und Bündnisvertrag anbieten.«
Bocchus erhielt diese Antwort Ende März, Prinz Bogud und die beiden anderen Botschafter überbrachten sie persönlich. Die Angst des Königs vor Vergeltungsmaßnahmen der Römer war inzwischen größer als die Angst um sein Leben, und so hatte er beschlossen, in Icosium zu bleiben, anstatt sich in das entlegene Tingis hinter den Säulen des Herkules zurückzuziehen. In so entlegenen Gebieten würde Gaius Marius sicher nicht mit ihm verhandeln. Um sich vor Jugurtha zu schützen, rief er eine neue maurische Armee nach Icosium und befestigte das winzige Hafenstädtchen, so gut er konnte.
Bogud machte sich auf den Weg nach Cirta, um mit Marius zu sprechen.
»Mein Bruder, der König, bittet und beschwört Gaius Marius, er möge ihm mitteilen, welchen Dienst er Rom erweisen kann, um seine Verfehlung wiedergutzumachen«, flehte Bogud auf Knien.
»Genug, steh auf!« sagte Marius ungehalten. »Ich bin kein König! Ich bin ein Prokonsul des Senats und des Volkes von Rom! Vor mir braucht niemand im Staub zu liegen. Es erniedrigt mich ebenso wie den, der im Staub liegt!«
Bogud umklammerte Marius’ Füße, er wußte nicht mehr, was er tun sollte.
»Gaius Marius, hilf uns!« rief er. »Was für einen Dienst erwartet der Senat?«
»Ich würde dir ja helfen, wenn ich könnte, Prinz Bogud«, erwiderte Marius und betrachtete eingehend seine Fingernägel.
»Dann schick uns einen deiner hohen Offiziere, und beauftrage ihn, mit dem König zu sprechen! Vielleicht findet sich dann ein Weg.«
»Gut«, stimmte Marius zu. »Lucius Cornelius Sulla kann sich mit deinem König zu Verhandlungen treffen. Vorausgesetzt, das Treffen findet in Icosium statt und nicht an einem weiter entfernten Ort.«
»Wir wollen natürlich Jugurtha, das ist der Dienst, den Bocchus uns erweisen kann«, sagte Marius zu Sulla, kurz bevor dieser an Bord ging. »Ich würde viel darum geben, wenn ich an deiner Stelle gehen könnte. Aber da das nun einmal nicht möglich ist, bin ich froh, daß ich einen Mann mit einem so scharfen Verstand schicken kann, wie du ihn hast.«
Sulla grinste. »Sie haben angebissen, und jetzt werde ich nicht mehr lockerlassen.«
»Dann sorg dafür, daß sie sich richtig festbeißen! Bring mir Jugurtha!«
Sulla verließ den Hafen von Rusicade mit großen Hoffnungen und eiserner Entschlossenheit. Mit ihm segelten eine Kohorte römischer Legionäre, eine Kohorte leichtbewaffneter italischer Truppen vom Stamm der Paeligner aus Samnium, eine persönliche Eskorte von balearischen Schlingenwerfern und eine Schwadron der ligurischen Kavallerie, die Publius Vagiennius unterstand. Es war Mitte Mai.
Die ganze Reise über war Sulla sehr unruhig, obwohl er die See und das Segeln liebte. Die Mission würde ein voller Erfolg werden. Er wußte, wieviel sie für seine Zukunft bedeutete, er wußte es so sicher, als hätte man es ihm prophezeit. Sulla hatte sich nie das Schicksal weissagen lassen, obwohl er von Marius oft genug gedrängt wurde, die Syrerin Martha aufzusuchen. Das hatte nichts mit Unglauben oder fehlendem Aberglauben zu tun, denn wie jeder Römer war Lucius Cornelius abergläubisch. Der Grund war seine Angst. Obwohl er den drängenden Wunsch verspürte, ein anderer Mensch möge seine eigenen Vorahnungen über sein außergewöhnliches Schicksal bestätigen, war er sich der Schwächen und dunklen Seiten seines Wesens zu klar bewußt, um eine Weissagung so gelassen hinzunehmen wie Marius.
Als er nun jedoch in die Bucht von Icosium einlief, wünschte er, er hätte mit Martha gesprochen. Seine Zukunft lastete auf ihm wie eine schwere Bürde, und er wußte nicht, ahnte nicht einmal, was sie für ihn bereithielt. Große Dinge. Aber auch Böses. Sulla war einer der wenigen Menschen, die die brütende, greifbare Gegenwart des Bösen fühlen können. Die Griechen diskutierten endlos über die Existenz des Bösen, und viele behaupteten, daß es diese unheimliche Macht gar nicht gebe. Doch Sulla wußte, daß es existierte. Und er fürchtete sehr, daß es auch in ihm selbst schlummerte.
Die Bucht von Icosium hätte eigentlich eine majestätische Stadt beherrschen müssen, statt dessen lag im hinteren Teil der Bucht, wo zerklüftete Bergketten bis an die Küste reichten, nur ein kleines Städtchen, abseits und durch die Berge geschützt. Während der Regenzeit im Winter strömten an dieser Stelle viele Bäche ins Meer, und mehr als ein Dutzend Inseln lagen wie wunderschöne Schiffe auf dem Wasser, die hohen Zypressen ragten wie Schiffsmasten empor. Ein schöner Ort, dieses Icosium, dachte Sulla.
An dem Küstenstreifen, der an das Städtchen grenzte, warteten ungefähr tausend maurische Berber zu Pferde. Sie waren ausgerüstet wie Numider - keine Sättel, kein Zaumzeug, keine Rüstungen - und trugen nur ein Bündel Speere, Langschwerter und Schilde.
»Ah!« rief Bogud aus, als er und Sulla am Strand landeten, »der König hat seinen Lieblingssohn geschickt, um dich zu begrüßen, Lucius Cornelius.«
»Wie heißt er?« fragte Sulla.
»Volux.«
Der junge Mann ritt heran, bewaffnet wie seine Männer, sein Pferd jedoch mit prachtvollem Sattel und Zaumzeug geschmückt. Sulla gefiel die Art des Prinzen, sein fester Händedruck. Doch wo war der König? Sein geschultes Auge konnte nirgends das übliche Gewimmel und Durcheinander entdecken, das einen Herrscher stets umgab.
»Der König hat sich nach Süden in die Berge zurückgezogen, ungefähr hundert Meilen von hier, Lucius Cornelius«, erklärte der Prinz, während sie zu einem Aussichtspunkt gingen, von wo aus Sulla beobachten konnte, wie seine Truppen und die Ausrüstung ausgeschifft wurden.
Sulla spürte ein Kribbeln auf der Haut. »Die Abmachung des Königs mit Gaius Marius lautete anders«, sagte er.
»Ich weiß«, erwiderte Volux unsicher. »Aber König Jugurtha hält sich ganz in der Nähe auf.«
Sulla erstarrte. »Ist das eine Falle, Prinz Volux?«
»Nein, nein!« rief der junge Mann und streckte abwehrend die Hände aus. »Ich schwöre bei all unseren Göttern, es ist keine Falle! Aber Jugurtha hat gemerkt, daß etwas vorgeht, weil der König, mein Vater, in Icosium blieb und sich nicht wie angekündigt nach Tingis begeben hat. Jugurtha hat sich mit einer kleinen Armee von Gätulern in den Hügeln eingenistet. Er hat zu wenig Männer, um uns anzugreifen, aber zu viele, als daß wir ihn angreifen könnten. Der König, mein Vater, hat beschlossen, sich von der See zurückzuziehen, und falls Jugurtha ahnt, daß mein Vater einen Römer erwartet, wird er glauben, daß der Römer auf dem Landweg kommt. Jugurtha ist meinem Vater gefolgt. Wir sind sicher, daß er nichts von eurer Ankunft weiß. Es war eine kluge Entscheidung, den Seeweg zu wählen.«
»Jugurtha wird früh genug erfahren, daß ich hier bin«, meinte Sulla grimmig und dachte an die höchst unzulängliche Eskorte von fünfzehnhundert Mann.
»Hoffentlich nicht, oder wenigstens nicht zu bald«, sagte Volux. »Ich habe vor drei Tagen mit tausend Männern das Lager des Königs, meines Vaters, verlassen. Wir haben so getan, als ritten wir zu einem Manöver, und sind hierher an die Küste gezogen. Wir befinden uns nicht offiziell im Krieg mit Numidien, also hat Jugurtha keinen Grund, uns anzugreifen. Er weiß nicht, was der König, mein Vater, vorhat, und er wird den offenen Bruch mit uns nicht riskieren, bevor er Näheres in Erfahrung gebracht hat. Ich versichere dir, daß er bei unserem Lager im Süden bleiben wird und daß seine Kundschafter nicht in die Nähe von Icosium kommen, solange meine Männer in dieser Gegend patrouillieren.«
Sulla warf dem jungen Mann einen zweifelnden Blick zu, aber er behielt seine Gedanken für sich - die Angehörigen des maurischen Königshauses waren nicht gerade praktisch veranlagt. Das qualvoll langsame Ausschiffen machte ihm Sorgen, denn in Icosium gab es nur zwanzig Leichter, so daß die Arbeit mindestens bis morgen um diese Zeit dauern würde. Sulla seufzte und zuckte mit den Schultern. Sinnlos, sich aufzuregen. Entweder Jugurtha wußte, daß er hier war, oder er wußte es nicht.
»Wo genau ist Jugurtha im Moment?« fragte er.
»Ungefähr dreißig Meilen landeinwärts im Süden, auf einer schmalen Ebene in den Bergen. Er hält den einzigen Verbindungsweg zwischen Icosium und dem Lager des Königs, meines Vaters, besetzt«, antwortete Volux.
»Hervorragend! Und wie soll ich zum König, deinem Vater, kommen ohne daß ich erst einmal mit Jugurtha kämpfen muß?«
»Ich kann dich unbemerkt an seinem Lager vorbeiführen«, versicherte Volux eifrig. »Vertrau mir, Lucius Cornelius! Der König, mein Vater, vertraut mir - ich bitte dich, vertrau du mir auch!« Und nach kurzem Nachdenken fügte er hinzu: »Ich denke, es wäre besser, wenn deine Männer hierblieben. Je weniger wir sind, desto unauffälliger.«
»Warum sollte ich dir trauen, Prinz Volux?« fragte Sulla. »Ich kenne dich nicht. Und wenn wir schon dabei sind, ich kenne auch Prinz Bogud nicht wirklich und auch nicht den König, deinen Vater! Wer garantiert mir, daß ihr es euch in der Zwischenzeit nicht anders überlegt und mich an Jugurtha verraten habt? Ich wäre ein guter Fang für ihn! Meine Gefangennahme wäre eine große Demütigung für Gaius Marius, das dürfte euch klar sein.«
Bogud hatte geschwiegen, nur sein Gesicht hatte sich zusehends verfinstert, aber der junge Volux gab nicht auf.
»Dann sag mir, wie ich beweisen kann, daß wir vertrauenswürdig sind!« rief er aus.
Sulla setzte sein wölfisches Grinsen auf, darauf hatte er gewartet. »Nun gut«, lenkte er ein. »Ihr habt mich sowieso in der Hand, was habe ich zu verlieren?« Und während er den jungen Mann anstarrte, tanzten seine seltsamen Augen wie Edelsteine unter der breiten Krempe seines Strohhutes - eine ungewöhnliche Kopfbedeckung für einen römischen Soldaten, doch bestens bekannt im ganzen Gebiet zwischen Tingis und der Cyrenaica, denn überall, wo an Lagerfeuern oder Herden von den Taten der Römer erzählt wurde, sprach man über den hellhäutigen Mann mit seinem breiten Hut.
Ich muß mich auf mein Glück verlassen, dachte Sulla. Keine innere Stimme warnt mich. Dies ist eine Probe, eine Gelegenheit, jedem, von König Bocchus und seinem Sohn bis zu dem Mann in Cirta, zu zeigen, daß ich allem, was mir das Schicksal in den Weg stellt, gewachsen bin - nein, überlegen bin! Ein Mann kann nicht herausfinden, wozu er fähig ist, wenn er wegläuft. Nein, ich muß vorwärtsgehen. Ich werde Glück haben, denn ich habe mein Glück selbst geschmiedet, und ich habe es gut geschmiedet.
»Sobald es heute abend dunkel wird«, sagte er zu Volux, »werden wir beide mit einer kleinen Eskorte zum Lager des Königs, deines Vaters, reiten. Meine Truppen werde ich hierlassen. Falls Jugurtha merkt, daß Römer hier sind, wird er annehmen, daß wir in Icosium bleiben und daß der König, dein Vater, hierherkommt, um uns zu treffen.«
»Aber heute nacht ist Neumond!« sagte Volux bestürzt.
»Ich weiß«, erwiderte Sulla mit seinem unangenehmsten Lächeln. »Das ist die Probe, Prinz Volux. Wir werden nur das Sternenlicht haben. Und du wirst mich geradewegs durch Jugurthas Lager führen.«
Boguds Augen traten fast aus den Höhlen. »Das ist Wahnsinn!« stieß er hervor.
Volux’ Augen tanzten. »Das ist eine Herausforderung«, sagte er, und er lächelte in echter Vorfreude.
»Bist du dabei?« fragte Sulla. »Genau durch die Mitte von Jugurthas Lager - zur einen Seite hinein, ohne daß uns die Wachen sehen oder hören - die via praetoria hinunter, ohne einen schlafenden Mann oder ein dösendes Pferd zu wecken - und zur anderen Seite wieder hinaus, an den Wachen vorbei. Wenn du das wagst, Prinz Volux, weiß ich, daß ich dir trauen kann! Und auch dem König, deinem Vater.«
»Ich bin dabei«, sagte Volux.
»Ihr seid beide verrückt«, stellte Bogud fest.
Sulla beschloß, Bogud in Icosium zurückzulassen, denn er war sich nicht sicher, ob er diesem Mitglied des maurischen Königshauses trauen konnte. Bogud wurde höflich behandelt, doch auf Schritt und Tritt begleiteten ihn zwei römische Militärtribunen mit dem Auftrag, ihn nicht aus den Augen zu lassen.
Volux suchte sich die vier besten und trittsichersten Pferde in Icosium aus, und Sulla ließ sich sein Maultier bringen, denn er fand immer noch, daß ein Maultier ein weit besseres Reittier war als ein Pferd. Und er ließ auch seinen Hut einpacken. Nur Sulla, Volux und drei andere maurische Adlige würden mit von der Partie sein, und alle außer Sulla waren daran gewöhnt, ohne Sattel und Zaumzeug zu reiten.
»Kein Metall, nichts darf klimpern und uns verraten«, erklärte Volux. Sulla sattelte sein Maultier dennoch und halfterte es mit einem Seil. »Das knarrt vielleicht, aber wenn ich vom Maultier falle, gibt es mehr Lärm.«
In tiefster Dunkelheit ritten die fünf hinaus in die überwältigende Schwärze einer mondlosen Nacht. Dennoch schimmerte der Himmel, denn kein Wind hatte den africanischen Staub aufgewirbelt. Was auf den ersten Blick wie vorbeiziehende Wolken erschien, entpuppte sich bei näherem Betrachten als riesige Sternenhaufen, und die Reiter konnten ihren Weg mühelos erkennen. Keines der Tiere war beschlagen, und so zog die Schar fast ohne Hufschlag den Pfad entlang, der an einer Reihe von Schluchten entlangführte, die das hügelige Gelände um die Bucht von Icosium durchschnitten.
»Hoffentlich wird keines der Tiere lahmen«, meinte Volux, nachdem sein Pferd gestrauchelt war.
»Vertrau auf mein Glück«, erwiderte Sulla.
»Seid leise«, ermahnte sie einer der drei Begleiter. »In einer windstillen Nacht wie dieser kann man eure Stimmen meilenweit hören.«
Sie ritten schweigend weiter und schärften ihre Augen, um auch die kleinste Lichtquelle sogleich wahrzunehmen. Nach etlichen Meilen tauchte vor ihnen der orangefarbene Schein verglimmender Lagerfeuer aus einem kleinen Talkessel auf, in dem Jugurtha sein Lager aufgeschlagen hatte. Das Lager breitete sich vor ihnen aus wie eine glänzende Stadt.
Die fünf Reiter glitten schweigend den Hügel hinab, und unten machte sich Volux an die Arbeit. Geduldig beobachtete Sulla, wie die Mauren eigens angefertigte Pferdeschuhe an den Hufen ihrer Tiere befestigten. Normalerweise hatten solche Schuhe hölzerne Sohlen und wurden auf Geröllstrecken angelegt, um die empfindlichen Hufe zu schützen, in diesem Fall waren es Filzsohlen, die den Hufschlag dämpften. Die Pferdeschuhe wurden durch zwei weiche Lederriemen gehalten, die an der Vorderseite befestigt waren. Die Riemen wurden gekreuzt, durch einen eingehängten Metallhaken an der Rückseite gezogen und vorne zusammengeschnallt.
Die Männer bewegten ihre Tiere eine Welle, um sie an diese Fußbekleidung zu gewöhnen, dann legten sie die letzte halbe Meile zu Jugurthas Lager zurück. Sie hatten mit Wachtposten und berittenen Patrouillen gerechnet, doch sie begegneten niemandem. Jugurtha hatte das Kriegshandwerk bei den Römern gelernt, und er hatte sein Lager nach römischem Vorbild angelegt, doch offensichtlich weder die Geduld noch den Willen aufgebracht, die Vorlage wirklich gewissenhaft zu kopieren - eine Eigenschaft, die, wie Sulla wußte, Gaius Marius an Fremden immer wieder faszinierte. So hatte Jugurtha, wohl wissend, daß Marius mit seiner Armee in Cirta überwinterte und Bocchus zu einem Angriff zu schwach war, sich nicht die Mühe gemacht, Schanzen anzulegen, sondern lediglich einen niedrigen Erdwall aufschütten lassen, der problemlos zu überqueren war. Wäre Jugurtha ein Römer gewesen, hätte er sein Lager vollständig mit Schanzen, Pfählen, Palisaden und Wällen ausgebaut, und wenn er sich noch so sicher gefühlt hätte.
Die Reiter erreichten den Erdwall ungefähr zweihundert Schritte östlich des Haupttores, das eigentlich nur aus einer breiten Öffnung bestand, und überquerten ihn mit Leichtigkeit. Im Inneren des Lagers hielten sie ihre Pferde dicht am Wall und folgten seinem Verlauf. Auf der frisch ausgehobenen Erde war kein Laut zu hören, als sie sich dem Haupttor näherten. Dort waren zwar Wachen aufgestellt, aber sie konzentrierten sich auf den Bereich vor dem Lager, und sie standen so weit von dem Tor weg, daß sie nicht bemerkten, wie die kleine Gruppe auf die breite Lagerstraße einschwenkte, die vom Haupteingang hinunter zum hinteren Tor führte. Sulla, Volux und die drei maurischen Adligen ritten die via praetoria im Schritt entlang, verließen sie, als sie nach einer halben Meile das andere Ende erreichten, hielten sich wieder dicht an den Wall und überquerten ihn, sobald sie sich weit genug von der Torwache entfernt fühlten. Außerhalb des Lagers legten sie noch eine halbe Meile zurück, bevor sie die Pferdeschuhe entfernten.
»Wir haben’s geschafft!« flüsterte Volux und grinste Sulla triumphierend an. »Vertraust du mir jetzt, Lucius Cornelius?«
»Ich vertraue dir, Prinz Volux«, sagte Sulla und grinste ebenfalls.
Sie ritten langsam weiter und achteten darauf, daß ihre unbeschlagenen Tiere nicht lahmten oder ermüdeten. Kurz nach Sonnenaufgang stießen sie auf ein Berberlager, wo sie ihre Pferde gegen frische einzutauschen versuchten. Da ihre Tiere weit besser waren als die der Berber und das Maultier eine Besonderheit darstellte, bereitete der Handel keine Schwierigkeiten. Anschließend ritten sie den ganzen Tag weiter, ohne größere Pausen einzulegen. Sulla verbarg sich unter seinem breiten Hut vor der Sonne und schwitzte.
Kurz nach Einbruch der Dunkelheit erreichten sie das Lager von König Bocchus, das im Aufbau Jugurthas Lager glich, jedoch wesentlich größer war. Hier zögerte Sulla, zügelte sein Pferd und hielt außer Sichtweite der Wachen.
»Nicht, daß ich dir nicht vertrauen würde, Prinz Volux«, sagte er, »aber ich habe ein seltsames Gefühl, ein Prickeln in den Fingern sozusagen. Du bist der Sohn des Königs, du kannst im Lager ein- und ausgehen, wie es dir beliebt. Ich hingegen bin offensichtlich ein Fremder. Also werde ich mich hier ein wenig hinlegen, so bequem es eben geht, und warten, bis du deinen Vater gesprochen hast. Wenn alles in Ordnung ist, kommst du zurück und holst mich.«
»Ich würde mich nicht hinlegen«, meinte Volux.
»Warum?«
»Skorpione.«
Sulla fühlte, wie seine Nackenhaare sich sträubten, und mußte sich zusammennehmen, um nicht entsetzt aufzuspringen. Da es in Italien keine giftigen Insekten gab, waren für jeden Römer und Italiker Spinnen und Skorpione der Inbegriff des Schrecklichen. Sulla holte tief Atem, ignorierte die Schweißperlen auf seiner Stirn und warf Volux einen betont gleichgültigen Blick zu.
»Nun, ich werde bestimmt nicht die ganze Zeit stehen bleiben, bis du zurückkommst. Das kann ja Stunden dauern. Und ich werde auch nicht wieder auf dieses Pferd klettern. Also muß ich wohl mein Glück mit den Skorpionen versuchen.«
»Wie du meinst«, sagte Volux, der Sulla bereits als Helden verehrte und ihn nun geradezu anbetete.
Sulla legte sich auf ein Fleckchen weicher, sandiger Erde, grub eine Kuhle für seine Hüfte und formte eine Stütze für seinen Nacken. Nachdem er ein lautloses Gebet gesprochen und Fortuna ein reichliches Opfer für den Fall versprochen hatte, daß sie sämtliche Skorpione fernhielt, schloß er die Augen und schlief sofort ein. So fand ihn Volux, als er vier Stunden später zurückkehrte. Er hätte ihn ohne weiteres töten können, doch Fortuna meinte es wirklich gut mit Sulla. Volux erwies sich als echter Freund.
Die Nacht war kalt, und Sullas Glieder schmerzten. »Dieses Herumschleichen ist etwas für Jüngere!« spottete er und streckte eine Hand aus, um sich von Volux auf die Beine helfen zu lassen. Dann entdeckte er einen Schatten hinter Volux und erstarrte.
»Es ist alles in Ordnung, Lucius Cornelius. Er ist ein Freund des Königs, meines Vaters. Sein Name ist Dabar«, sagte Volux schnell.
»Ein weiterer Vetter des Königs, deines Vaters, nehme ich an?«
»Nein, Dabar ist ein Vetter von Jugurtha, und wie Jugurtha ist er der Bastard einer Berberfrau. Deswegen ist er jetzt auf unserer Seite - Jugurtha zieht es vor, der einzige königliche Bastard an seinem Hof zu sein.«
Sulla leerte die ihm gereichte Reiseflasche mit süßem, ungewässertem Wein in einem Zug. Der Schmerz in seinen Gliedern ließ nach, und die Kälte wich einer wohligen Wärme. Honigkuchen folgten und ein Stück stark gewürztes Ziegenfleisch, und noch eine Flasche des süßen Weines, der Sulla in diesem Augenblick köstlicher schien als alles, was er je getrunken hatte.
»Ah, das tut gut!« sagte er und streckte sich, bis seine Gelenke knackten. »Was gibt es Neues?«
»Das Prickeln in deinen Fingern hat dich zu Recht gewarnt, Lucius Cornelius«, erwiderte Volux. »Jugurtha war schneller als wir.«
»Bin ich verraten?«
»Nein, nein! Aber die Lage hat sich stark verändert. Dabar soll es dir erklären, er war dabei.«
Dabar hockte sich auf seine Fersen, so daß er auf gleicher Höhe mit Sulla war. »Anscheinend hat Jugurtha erfahren, daß Gaius Marius Botschafter an meinen König gesandt hat«, berichtete er mit leiser Stimme. »Natürlich nahm Jugurtha an, daß mein König deshalb nicht nach Tingis zurückkehrte. Er beschloß, ebenfalls hierzubleiben und die Gesandtschaft abzufangen. Er hat sowohl den Landweg als auch den Seeweg verlegt. Und er hat einen seiner Würdenträger, Aspar, geschickt, der im Rat meines Königs sitzen und die Verhandlungen mit den Römern überwachen soll.«
»Ich verstehe«, meinte Sulla. »Was sollen wir unter diesen Umständen tun?«
»Morgen wird Prinz Volux dich zu meinem König bringen, es wird so aussehen, als ob ihr zusammen von Icosium hierher geritten wäret. Zum Glück hat Aspar nicht beobachtet, wie der Prinz heute in das Lager kam. Unser Plan sieht vor, daß du mit meinem König verhandelst, als ob du auf Befehl von Gaius Marius hier wärest und nicht auf Bitten meines Königs. Du wirst meinen König auffordern, mit Jugurtha zu brechen. Der König wird ablehnen, nicht direkt, er wird zu Ausflüchten greifen. Er wird dich ersuchen, zehn Tage in einem nahegelegenen Lager zu warten, während er über deinen Vorschlag nachdenkt. Du wirst dich in dieses Lager begeben. Doch morgen nacht wird sich mein König an einem geheimen Ort mit dir treffen, und dann könnt ihr offen miteinander reden.« Dabar sah Sulla beifallheischend an. »Bist du einverstanden, Lucius Cornelius?«
»Vollkommen«, erwiderte Sulla und gähnte ausgiebig. »Es bleibt nur ein Problem - wo soll ich heute nacht schlafen, und wo kann ich ein Bad nehmen? Ich stinke nach Pferd, und unter meinen Kleidern krabbelt irgend etwas herum.«
»Volux hat nicht weit von hier ein komfortables Lager für dich errichten lassen«, sagte Dabar.
»Dann bringt mich hin«, bat Sulla und erhob sich.
Am nächsten Tag führte Sulla die für Jugurthas Spion Aspar inszenierte Verhandlung mit König Bocchus. Es war nicht schwer, diesen unter den anwesenden Würdenträgern auszumachen. Er stand links von Bocchus’ Thron - der weitaus majestätischer wirkte als der König selbst -, und keiner behandelte ihn so unbefangen, wie man alte Bekannte behandelt.
Noch in der gleichen Nacht trafen sich Bocchus und Sulla unbeobachtet an einem Ort zwischen ihren Lagern.
»Was soll ich tun, Lucius Cornelius?« jammerte Bocchus.
»Rom einen Gefallen erweisen.«
»Sag mir doch, was Rom erwartet - Gold - Juwelen - Land - Soldaten - Reiter - Weizen - nenne, was du willst, und es soll erfüllt werden! Du bist ein Römer, du mußt doch wissen, was die rätselhafte Botschaft des Senats bedeutet! Ich schwöre, ich weiß es nicht.« Bocchus schlotterte vor Angst.
»All das kann Rom haben, ohne in Rätseln zu sprechen, König Bocchus«, sagte Sulla verächtlich.
»Was dann? Sag mir, was?« flehte Bocchus.
»Ich glaube, du hast das Rätsel bereits selbst gelöst, König Bocchus, du willst es nur nicht wahrhaben. Und ich verstehe dich sogar. Jugurtha! Rom wünscht, daß du Jugurtha friedlich und ohne Blutvergießen auslieferst. Es ist schon zuviel Blut in Africa geflossen, zuviel Land ist zerstört, zu viele Städte und Dörfer sind verbrannt, zuviel Reichtum ist verschwendet worden. Und solange Jugurtha nicht aufgehalten wird, wird auch diese entsetzliche Verschwendung andauern. Numidien verkümmert, Rom fühlt sich bedroht, und auch Mauretanien leidet. Also liefere mir Jugurtha aus, König Bocchus!«
»Du verlangst von mir, daß ich meinen Schwiegersohn, den Vater meiner Enkel ausliefere, einen Mann, der durch Massinissas Blut mit mir verwandt ist?«
»Genau.«
Bocchus brach in Tränen aus. »Ich kann nicht! Lucius Cornelius, Ich kann nicht! Wir sind ebensosehr Berber wie Punier, das Gesetz der Nomaden gilt auch für uns. Alles, Lucius Cornelius, ich werde alles tun, um den Vertrag von Rom zu bekommen! Alles, aber ich kann meinen Schwiegersohn nicht verraten.«
»Alles andere ist uninteressant«, erwiderte Sulla kalt.
»Mein Volk würde mir nie vergeben!«
»Rom wird dir nie vergeben. Und das ist weit schlimmer.«
»Ich kann nicht!« Dicke Tränen flossen über Bocchus’ Gesicht und glitzerten in den kunstvoll gedrehten Locken seines Bartes. »Bitte, Lucius Cornelius, bitte! Ich kann nicht!«
Sulla wandte sich verächtlich ab. »Dann wird es keinen Vertrag geben«, sagte er.
In den folgenden acht Tagen wurden die für Aspar inszenierten Verhandlungen weitergeführt. Aspar und Dabar ritten zwischen Sullas komfortablem Lager und dem Lager des Königs hin und her und überbrachten Botschaften, die nichts mit den wirklichen Verhandlungen zu tun hatten. Die wirklichen Verhandlungen wurden nur nachts geführt und blieben ein Geheimnis zwischen Sulla und Bocchus. Volux war offensichtlich eingeweiht, denn er mied Sulla inzwischen, so gut er konnte, und wann immer er ihn traf, wirkte er ärgerlich und verletzt.
Sulla genoß das Gefühl der Macht und der Würde, das ihm sein Amt als Gesandter Roms gab, und noch mehr genoß er es, daß er der stete Tropfen war, der diesen königlichen Stein höhlte. Er war kein König, und doch hatte er Macht über Könige. Er hatte Macht, weil er ein Römer war - ein berauschendes, ein ungeheuer befriedigendes Gefühl.
In der achten Nacht brach der König zusammen.
»Ich bin einverstanden, Lucius Cornelius«, sagte er mit rotgeweinten Augen.
»Sehr gut!« erwiderte Sulla knapp.
»Und was soll ich jetzt tun?«
»Ganz einfach«, antwortete Sulla. »Du schickst Aspar zu Jugurtha und bietest ihm an, daß du mich auslieferst.«
»Er wird mir nicht glauben«, meinte Bocchus verzweifelt.
»Er wird dir glauben! Mein Wort darauf, daß er dir glauben wird. Unter anderen Umständen wäre es genau das, was du tun würdest, König Bocchus.«
»Aber du bist doch nur ein Quästor!«
Sulla lachte. »Willst du damit sagen, daß ein römischer Quästor nicht ebenso wertvoll ist wie ein numidischer König?«
»Nein! Nein, natürlich nicht!«
»Ich werde es dir erklären, König Bocchus«, sagte Sulla betont freundlich. »Ich bin ein römischer Quästor, und es stimmt, daß dies die unterste Stufe der senatorischen Ämterlaufbahn ist. Aber ich bin auch ein Patrizier aus dem Hause Cornelius - meine Familie zählt Scipio Africanus und Scipio Aemilianus zu ihren Vorfahren, und die Reihe meiner Ahnen läßt sich viel weiter zurückverfolgen als deine oder die von Jugurtha. Würde Rom von Königen regiert, würde meine Familie vermutlich zum Herrscherhaus gehören. Außerdem bin ich zufällig Gaius Marius’ Schwager, unsere Söhne sind Vettern ersten Grades. Macht das die Sache verständlicher?«
»Jugurtha - weiß Jugurtha das alles?« wisperte der König.
»Es gibt nicht viel, das Jugurtha entgeht«, erwiderte Sulla, lehnte sich zurück und wartete.
»Nun gut, Lucius Cornelius, ich werde tun, was du vorgeschlagen hast. Ich werde Aspar zu Jugurtha schicken und ihm anbieten, daß ich dich ausliefere.« Der König richtete sich auf, und seine königliche Würde war sichtlich angeschlagen. »Du mußt mir aber genau sagen, was ich tun soll.«
Sulla beugte sich vor und erklärte dem König knapp, wie die Sache vonstatten gehen sollte. »Du wirst Jugurtha bitten, übernächste Nacht hierherzukommen, und ihm versprechen, den römischen Quästor Lucius Cornelius Sulla auszuliefern. Du wirst ihm mitteilen, daß dieser Quästor sich ohne Begleitung in deinem Lager befindet und daß er versucht, dich zu einem Bündnis mit Gaius Marius zu überreden. Jugurtha weiß, daß das stimmt, denn Aspar hält ihn ja auf dem laufenden. Er weiß auch, daß sich im Umkreis von hundert Meilen keine römischen Soldaten befinden, und so wird er sich nicht die Mühe machen, seine Truppen mitzubringen. Und überdies glaubt er dich zu kennen, und er wird nicht im Traum auf die Idee kommen, du könntest ihn verraten.« Sulla tat so, als bemerkte er nicht, wie Bocchus zusammenzuckte. »Jugurtha fürchtet nicht dich oder deine Armee, sondern Gaius Marius. Sei beruhigt, er wird deiner Botschaft glauben, und er wird kommen.«
»Aber was soll ich tun, wenn Jugurthas Männer merken, daß er nicht zurückkehrt?« fragte Bocchus zitternd.
Sulla lächelte unangenehm. »Ich würde dir dringend empfehlen, König Bocchus, eiligst dein Lager abzubrechen und nach Tingis zu marschieren, sobald du mir Jugurtha übergeben hast.«
»Aber wirst du nicht meine Armee brauchen, um Jugurtha gefangenzuhalten?« Noch nie hatte ein Mann Sulla so angstvoll angeblickt. »Du hast keine Männer, wie willst du ihn nach Icosium bringen! Und sein Lager liegt mitten auf deinem Weg.«
»Ich brauche nur ein paar gute Handfesseln und Ketten und sechs deiner schnellsten Pferde«, sagte Sulla.
Sullas Vorfreude auf das Treffen war ungetrübt von Selbstzweifeln und Beklommenheit. Ja, es würde sein Name sein, der für immer mit der Gefangennahme Jugurthas verknüpft wäre! Auch wenn er im Auftrag von Gaius Marius gehandelt hatte, so waren es doch seine Tapferkeit, seine Intelligenz und seine Entschlossenheit, die diese Tat schließlich ermöglicht hatten. Diesen Triumph konnte ihm niemand nehmen. Er glaubte allerdings nicht, daß Gaius Marius versuchen könnte, allen Ruhm für sich allein zu beanspruchen. Gaius Marius war nicht gierig nach Ruhm, er wußte, daß er schon mehr als einen fairen Anteil hatte. Und er würde nichts dagegen haben, wenn die Geschichte von Jugurthas Gefangennahme durchsickerte. Für einen Patrizier war es wichtig, Popularität zu erlangen, wenn er Konsul werden wollte. Und es war schwierig genug, Popularität zu erlangen, weil ein Patrizier nicht Volkstribun werden konnte. Ein Patrizier mußte andere Wege finden, sich einen Namen zu machen und den Wählern zu beweisen, was für ein würdiger Sproß seiner Familie er war. Jugurtha hatte Rom einiges gekostet, und ganz Rom würde erfahren, daß Lucius Cornelius Sulla, der unermüdliche Quästor, den Feind Roms ganz allein gefangengenommen hatte.
Als Sulla Bocchus traf, um mit ihm zu dem vereinbarten Treffpunkt zu reiten, war er in Hochstimmung, voller Selbstbewußtsein und Tatendrang.
»Jugurtha wird nicht erwarten, dich in Ketten zu sehen«, sagte Bocchus. »Er denkt, daß du um ein Treffen mit ihm gebeten hast, weil du ihn überreden willst aufzugeben. Er hat mich beauftragt, genügend Männer zu deiner Gefangennahme mitzubringen, Lucius Cornelius.«
»Gut«, erwiderte Sulla kurz.
Als Bocchus mit Sulla an seiner Seite und einer starken Truppe maurischer Kavallerie hinter sich eintraf, wartete Jugurtha bereits. Er hatte nur einige seiner Befehlshaber bei sich, darunter auch Aspar. Sulla brachte sein Pferd an die Spitze und trabte geradewegs auf Jugurtha zu, hielt, stieg ab und streckte seine Hand in der bekannten Geste des Friedens und der Freundschaft aus.
»König Jugurtha«, sagte er und wartete.
Jugurtha schaute auf die dargebotene Hand, dann stieg auch er ab und ergriff sie mit seiner Rechten. »Lucius Cornelius.«
Während Sulla und Jugurtha sich die Hände reichten, hatte die maurische Kavallerie schweigend einen Ring um die Gruppe gezogen. Jugurthas Gefangennahme ging so schnell und glatt vonstatten, daß selbst Gaius Marius höchst zufrieden gewesen wäre. Die Begleiter des numidischen Königs wurden überwältigt, bevor sie auch nur ihre Schwerter ziehen konnten. Jugurtha wurde niedergeworfen und konnte keine Gegenwehr mehr leisten. Als er wieder auf die Füße gestellt wurde, trug er schwere Fesseln an Händen und Füßen, die durch Ketten miteinander verbunden und so kurz waren, daß sie ihm nur gebücktes Gehen erlaubten.
Seine Augen waren, wie Sulla im Licht der Fackeln feststellte, erstaunlich hell für einen so dunkelhäutigen Mann. Er war groß und kräftig. Doch an seinem Gesicht, das von einer scharfen Nase beherrscht wurde, waren die Jahre nicht spurlos vorbeigegangen, und er sah wesentlich älter aus als Gaius Marius. Sulla wußte, daß er ihn auch ohne Begleitung dorthin bringen konnte, wo er ihn haben wollte.
»Setzt ihn auf den großen Braunen«, befahl er Bocchus’ Männern und beobachtete schweigend, wie die Ketten an Metallringen befestigt wurden, die eigens dafür am Sattel angebracht worden waren. Dann überprüfte er die Fesseln und den Sattelgurt. Nachdem man ihm auf einen anderen Braunen geholfen hatte, nahm er die Zügel von Jugurthas Pferd und verknotete sie an seinem eigenen Sattel, so konnte sich Jugurthas Tier nicht losreißen, selbst wenn dieser es antreiben sollte. Die vier Reservepferde wurden mit einem kurzen Seil an Jugurthas Sattel gebunden. Als letzte Sicherheitsmaßnahme kettete Sulla Jugurthas Handfessel an sein linkes Handgelenk.
Von dem Moment an, da die Mauren Jugurtha auf sein Pferd gesetzt hatten, hatte Sulla kein Wort mehr gesagt. Nun trieb er, immer noch schweigend, sein Tier vorwärts, und Jugurthas Brauner folgte gehorsam, als die Zügel und Ketten, die ihn mit Sulla verbanden, sich strafften. Nach wenigen Augenblicken war die kleine Gruppe im Schatten der Bäume verschwunden.
Bocchus weinte. Volux und Dabar standen hilflos daneben.
»Vater, erlaube mir, daß ich ihn einfange!« bat Volux plötzlich. »So beladen, wie er ist, kommt er nicht schnell vorwärts. Ich kann ihn einholen!«
»Es ist zu spät.« Bocchus nahm das zarte Taschentuch, das sein Diener ihm reichte, trocknete seine Augen und schneuzte sich. »Er wird sich nicht einfangen lassen, der nicht. Wir sind hilflose Kinder im Vergleich zu diesem Römer. Nein, mein Sohn, das Schicksal des armen Jugurtha liegt nicht mehr in unserer Hand. Wir müssen an Mauretanien denken. Es ist an der Zeit, daß wir heimkehren in unser geliebtes Tingis. Vielleicht gehören wir einfach nicht in diese Welt an der Mittelmeerküste.«
Ungefähr eine Meile lang ritt Sulla schweigend, ohne das Tempo zu verlangsamen. Seine überschwengliche Freude, seine tiefe Zufriedenheit mit seiner glänzenden Tat hielt er ebenso im Zaum wie seinen Gefangenen. Ja, wenn er die Geschichte von Jugurthas Gefangennahme vorsichtig verbreitete und darauf achtete, daß er Gaius Marius’ Verdienst nicht schmälerte, würde sie bald eine jener wunderbaren Geschichten sein, die die Mütter ihren Kindern erzählten - wie die Geschichte vom Sprung des jungen Marcus Curtius in den Spalt auf dem Forum Romanum oder die Geschichte vom Heldenmut des Horatius Cocles, der den pons sublicius gegen die Etrusker unter Porsenna verteidigt und damit Rom gerettet hatte, oder wie die Geschichte von Gaius Popillius Laenas, der den Kreis um die Füße des Königs von Syrien gezogen hatte - ja, auch die Gefangennahme Jugurthas durch Lucius Cornelius Sulla würde von nun an eine der vielen Gute-Nacht-Geschichten sein. Mit wohligem Schaudern würden die Kinder von ihren Müttern hören, wie Sulla mitten durch Jugurthas Lager geritten war und wie klug er sich des Königs bemächtigt hatte.
Da Sulla von Natur aus kein romantischer Träumer war, der Luftschlösser baute, fand er es nicht allzu schwierig, seine Gedanken von diesen Dingen zu lösen, als es an der Zeit war zu halten und abzusteigen. Während er immer in sicherem Abstand von Jugurtha blieb, löste er das Seil, das die vier Reservepferde mit Jugurthas Reittier verband, und jagte sie dann mit wohlgezielten Steinwürfen in verschiedene Richtungen davon.
»Aha«, meinte Jugurtha, der beobachtete, wie Sulla etwas mühsam wieder auf sein Pferd kletterte. »Wir werden hundert Meilen zurücklegen, ohne die Pferde zu wechseln, was? Ich hatte mich schon gefragt, wie du mich auf ein anderes Pferd hieven wolltest.« Er lachte höhnisch. »Meine Kavallerie wird dich kriegen, Lucius Cornelius!«
»Hoffentlich nicht«, erwiderte Sulla und zog das Pferd seines Gefangenen mit einem Ruck vorwärts.
Anstatt weiter in nördlicher Richtung auf das Meer zuzuhalten, schwenkte Sulla nun nach Osten und überquerte eine kleine Ebene. Sie ritten durch die stille Nacht, der Weg war erhellt vom Mond, der hoch im Osten stand. Nach ungefähr zehn Meilen tauchte in der Ferne eine schwarze Gebirgskette auf, vor der sich in wildem Durcheinander einzelne, gigantische Felsbrocken auftürmten, die wenige verkrüppelte Bäume weit überragten.
»Genau, wo es sein sollte!« rief Sulla erfreut und stieß einen schrillen Pfiff aus.
Zwischen den Felsen strömte Sullas ligurische Kavallerie hervor und ritt schweigend auf ihn und seinen Gefangenen zu. Jeder Reiter führte zwei Reservepferde mit sich, auch für Jugurtha wurden zwei Tiere herangebracht und für Sulla zwei Maultiere.
»Ich habe sie vor sechs Tagen hierher geschickt und ihnen befohlen, daß sie hier auf mich warten, König Jugurtha«, sagte Sulla. »König Bocchus hatte gedacht, ich wäre allein zu seinem Lager gekommen, doch wie du siehst, war dem nicht so. Publius Vagiennius folgte mir die ganze Zeit unbemerkt, und ich schickte ihn zurück, um diese Truppe zu holen und hier auf mich zu warten.«
Nachdem er von seinem Gefangenen losgekettet war, überwachte Sulla, wie Jugurtha auf ein frisches Pferd gesetzt und an Publius Vagiennius gekettet wurde. Bald darauf ritten sie in nordöstlicher Richtung weiter und umgingen Jugurthas Lager in einem großen Bogen.
»Ich nehme nicht an, königliche Hoheit«, fragte Publius Vagiennius mit feinfühliger Zurückhaltung, »daß du mir sagen könntest, wo ich in der Gegend von Cirta Schnecken finden kann? Oder vielleicht in einem anderen Teil Numidiens?«
Ende Juni war der Krieg in Africa vorüber. Während Marius und Sulla ihre Angelegenheiten ordneten, wurde Jugurtha in einem angemessen bequemen Quartier in Utika untergebracht. Seine beiden Söhne, Iampsas und Oxyntas, leisteten ihm dort Gesellschaft, während sein Hof sich auflöste und das Gerangel um einflußreiche Posten unter dem neuen Herrscher begann.
König Bocchus erhielt seinen Freundschafts- und Bündnisvertrag vom Senat, und der ewig kränkliche Prinz Gauda wurde König eines beträchtlich geschrumpften Königreichs Numidien. Da Rom zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt war und sich nicht darum kümmerte, seine africanische Provinz um mehrere hundert Meilen zu vergrößern, konnte sich Bocchus ungehindert diesen Teil Numidiens einverleiben.
Sobald das Wetter es gestattete und genügend Schiffe beschafft waren, ließ Marius König Jugurtha und seine beiden Söhne auf dem Seeweg nach Rom - und damit in sicheren Gewahrsam - bringen. Die numidische Gefahr war ein für allemal gebannt.
Quintus Sertorius reiste ebenfalls ab, nachdem er von Marius die Erlaubnis dazu bekommen hatte, denn er war fest entschlossen, in Gallia Transalpina gegen die Germanen zu kämpfen.
»Ich bin ein Mann, der den Kampf braucht, Gaius Marius«, erklärte der ernsthafte junge contubernalis, »und hier ist der Kampf vorüber. Lege ein gutes Wort für mich bei deinem Freund Publius Rutilius Rufus ein und bitte ihn, daß er mich nach Gallien schickt!«
»Gehe mit meinem Segen und meinem Dank, Quintus Sertorius«, sagte Marius mit ungewohnter Herzlichkeit. »Und grüße deine Mutter von mir.«
Sertorius’ Gesicht leuchtete auf. »Das werde ich, Gaius Marius,«
»Denke daran, Sertorius«, sagte Marius an dem Tag, an dem Quintus Sertorius und Jugurtha nach Italien abreisen sollten, »daß ich dich auch in Zukunft wieder brauchen werde. Also sei vorsichtig in der Schlacht - wenn du das Glück haben solltest, daran teilzunehmen. Rom hat deine Tapferkeit und dein Geschick mit der goldenen Krone belohnt, mit den phalerae, mit goldenen Ketten und Armbändern. Eine seltene Auszeichnung für einen so jungen Mann, wie du es bist. Aber sei nicht unbesonnen. Rom braucht dich lebendig, nicht tot.«
»Ich werde auf mich aufpassen, Gaius Marius.«
»Und geh nicht sofort in den Krieg, wenn du wieder in Italien bist«, mahnte Marius, »bleib erst mal eine Welle bei deiner lieben Mutter.«
»Das werde ich, Gaius Marius«, versprach Quintus Sertorius.
Nachdem sich der junge Mann verabschiedet hatte, warf Sulla seinem Vorgesetzten einen ironischen Blick zu. »Du gluckst ja wie eine Henne, die ein Ei ausbrütet.«
Marius schnaubte. »Unsinn! Seine Mutter ist eine Cousine von mir, und sie steht mir sehr nahe.«
»Natürlich«, erwiderte Sulla grinsend.
Marius lachte. »Na komm, Lucius Cornelius, gib zu, daß du den jungen Sertorius ebenso magst wie ich!«
»Das gebe ich gerne zu. Aber ich fange trotzdem nicht an zu glucken, Gaius Marius!«
»Mentulam caco!«
Damit war die Diskussion beendet.
Rutilia, die einzige Schwester von Publius Rutilius Rufus, hatte nacheinander zwei Brüder geheiratet. Ihr erster Mann, Lucius Aurelius Cotta, war vor vierzehn Jahren gleichzeitig mit Metellus Delmaticus Konsul gewesen. Er hatte aus seiner ersten Ehe einen neunjährigen Sohn mitgebracht, der nach ihm Lucius genannt wurde. Sie hatten ein Jahr nach der völligen Zerstörung der Stadt Fregellae - die Strafe für einen Aufstand gegen Rom - geheiratet, und in dem Jahr, in dem Gaius Gracchus sein Amt als Volkstribun antrat, wurde ihre Tochter Aurelia geboren. Lucius Cottas Sohn war da zehn Jahre alt und freute sich sehr über seine kleine Schwester, und auch seine Stiefmutter mochte er sehr gerne.
Als Aurelia fünf wurde, starb ihr Vater plötzlich, nur wenige Tage nach Ablauf seiner Amtszeit als Konsul. Seine junge Witwe - Rutilia war vierundzwanzig - suchte Trost bei Lucius Cottas jüngerem Bruder Marcus, der noch keine Frau gefunden hatte. Sie entdeckten ihre Liebe füreinander, und mit der Erlaubnis ihres Vaters und ihres Bruders heiratete Rutilia elf Monate nach dem Tod von Lucius ihren Schwager. Sie brachte ihren Stiefsohn und Marcus’ Neffen, den kleinen Lucius, und ihre Tochter Aurelia, Marcus’ Nichte, mit in die Ehe. Die Familie wuchs schnell - nach weniger als einem Jahr gebar Rutilia einen Sohn, Gaius, im Jahr darauf kam Marcus der jüngere zur Welt und sieben Jahre später schließlich noch ein dritter Sohn, ein weiterer Lucius.
Aurelia blieb das einzige Mädchen und wuchs in wahrhaft faszinierenden Verwandtschaftsverhältnissen auf. Von der Seite ihres Vaters hatte sie einen älteren Halbbruder und von der Seite ihrer Mutter drei jüngere Halbbrüder, die gleichzeitig ihre Vettern waren, da ihr Vater deren Onkel gewesen wäre und ihr Onkel Marcus gleichzeitig deren Vater war. Diese Verhältnisse waren besonders für Uneingeweihte äußerst verwirrend, vor allem, wenn die Kinder sie erklärten.
»Sie ist meine Cousine«, sagte Gaius Cotta und zeigte auf Aurelia.
»Er ist mein Bruder«, erwiderte Aurelia und zeigte auf Gaius Cotta.
»Er ist mein Bruder«, meinte Gaius Cotta dann und wies auf Marcus Cotta.
»Sie ist meine Schwester«, fuhr Marcus Cotta nun fort und deutete auf Aurelia.
»Er ist mein Vetter«, sagte Aurelia schließlich und zeigte auf Marcus Cotta.
Sie konnten Stunden damit weitermachen, bis den Besuchern der Kopf schwirrte. Die verwirrenden Verwandtschaftsverhältnisse belasteten die selbstbewußten und eigenwilligen Kinder nicht im geringsten - sie liebten einander und kamen gut miteinander aus, und alle genossen die liebevolle Zuwendung ihrer Eltern, die eine sehr glückliche Ehe führten.
Die Aurelier zählten zu den bedeutendsten Familien Roms, der Zweig der Aurelius Cottas hatte mehrere Senatoren unter seinen Vorfahren aufzuweisen, wenn auch Lucius Aurelius Cotta der erste Konsul der Familie gewesen war. Das Vermögen, das durch geschickte Investitionen, Erbschaften von riesigen Ländereien und viele kluge Heiraten erworben worden war, ermöglichte diesem Geschlecht, mehrere Söhne zu haben, ohne daß sie einen zur Adoption geben mußten. Und die Mitgift der Tochter war mehr als angemessen.
Die Meute, die unter dem Dach des Marcus Aurelius Cotta und seiner Frau Rutilia lebte, war also ziemlich reich, und zudem sahen alle auch noch sehr gut aus. Aurelia, das einzige Mädchen, war die Hübscheste von allen.
»Makellos!« fand Lucius Licinius Crassus Orator, einer ihrer glühendsten Bewunderer und einer der wichtigsten Bewerber um ihre Hand. Er war von rastloser Intelligenz und liebte den Luxus.
»Herrlich!« schwärmte Quintus Mucius Scaevola, Crassus’ Cousin und bester Freund. Er hatte sich ebenfalls auf die Liste der Freier setzen lassen.
»Aufregend!« sagte Marcus Livius Drusus. Er war Aurelias Vetter und wollte sie unbedingt heiraten.
»Helena von Troja!« nannte Gnaeus Domitius Ahenobarbus der Jüngere sie, als er um ihre Hand anhielt.
Die Situation war in der Tat so, wie Publius Rutilius Rufus in seinem Brief an Gaius Marius geschrieben hatte - ganz Rom wollte seine Nichte Aurelia heiraten. Daß einige der Bewerber bereits verheiratet waren, spielte keine Rolle. Eine Scheidung war einfach, und Aurelias Mitgift war so groß, daß kein Mann Bedenken haben mußte, die Mitgift seiner früheren Frau zu verlieren.
»Ich komme mir vor wie König Tyndareus, den jeder wichtige Prinz oder König um Helenas Hand bittet«, sagte Marcus Aurelius Cotta zu Rutilia.
»Er hatte Odysseus, um das Problem zu lösen«, erwiderte sie.
»Nun, ich wünschte, ich hätte auch einen Odysseus! Egal, wem ich sie gebe, ich werde alle beleidigen, die sie nicht bekommen.«
»Genau wie Tyndareus«, meinte sie.
Doch dann erschien Marcus Cottas Odysseus in Gestalt von Publius Rutilius Rufus zum Abendessen. Nachdem die Kinder einschließlich Aurelia zu Bett gegangen waren, wandte sich die Unterhaltung wie so oft Aurelias Heirat zu. Rutilius Rufus lauschte interessiert, und als der richtige Moment gekommen war, eröffnete er die Lösung. Allerdings verschwieg er seiner Schwester und seinem Schwager, daß eigentlich Gaius Marius, dessen knappen Brief aus Africa er gerade erhalten hatte, das Rätsel gelöst hatte.
»Es ist doch ganz einfach, Marcus Aurelius«, sagte er.
»Wenn es wirklich so einfach ist, dann liegt die Lösung so nahe, daß ich sie nicht sehen kann«, meinte Marcus Cotta. »Erleuchte meinen Verstand, Odysseus!«
»Nun, ich sehe keinen Grund, wie Odysseus ein Lied darüber zu singen oder zu tanzen.« Rutilius Rufus lächelte. »Wir leben im modernen Rom, nicht im alten Griechenland. Wir können nicht einfach ein Pferd schlachten, es in vier Stücke teilen und alle Freier darauf stellen, damit sie dir den Treueid schwören, Marcus Aurelius.«
»Vor allem nicht, bevor sie überhaupt wissen, wer der Glückliche ist!« erwiderte Cotta lachend. »Wie romantisch die alten Griechen doch waren. Nein, Publius Rutilius, ich fürchte, wir haben es mit einem ganz anderen Schlag zu tun - mit einer Reihe von streitsüchtigen, verbissenen Römern.«
»Genau«, bestätigte Rutilius Rufus.
»Komm, Bruder, erlöse uns und erzähle von deiner Idee«, drängte Rutilia.
»Wie ich schon sagte, meine liebe Rutilia, ganz einfach. Aurelia soll sich ihren Ehemann selbst aussuchen.«
Cotta und seine Frau starrten ihn verblüfft an.
»Meinst du wirklich, daß das klug wäre?« fragte Cotta.
»In dieser Lage kann Klugheit nicht weiterhelfen, was habt ihr also zu verlieren?« entgegnete Rutilius Rufus. »Ihr habt es nicht nötig, Aurelia mit einem reichen Mann zu verheiraten. Auf eurer Liste gibt es keine notorischen Mitgiftjäger, beschränkt also ihre Wahl auf diese Liste. Es ist unwahrscheinlich, daß die Familien der Aurelier, der Julier oder der Cornelier gesellschaftliche Emporkömmlinge anziehen. Und schließlich besitzt Aurelia eine gehörige Portion gesunden Menschenverstand, sie ist absolut nicht sentimental und ganz bestimmt nicht romantisch. Sie wird euch nicht enttäuschen, nicht meine Aurelia!«
»Du hast recht«, sagte Cotta und nickte. »Es gibt keinen Mann, der Aurelia den Kopf verdrehen könnte.«
Und so riefen Cotta und Rutilia Aurelia am nächsten Tag in Rutilias Wohnraum und eröffneten ihr, was sie beschlossen hatten.
Sie kam herein, weder schlendernd noch mit der Hüfte wackelnd, ihre Schritte waren weder zu lang noch trippelnd. Aurelia hatte einen stolzen, aufrechten Gang, ihre Bewegungen waren präzise und zielbewußt, sie hielt Rücken und Schultern gerade, den Kopf erhoben. Ihre Figur war vielleicht etwas schmal, denn sie war groß und hatte nur kleine Brüste. Sie trug Gewänder von untadeliger Eleganz und verachtete hochhackige Korkabsätze und auffallenden Schmuck. Ihr dichtes, glattes, dunkelblond schimmerndes Haar war in einem schlichten Knoten auf dem Hinterkopf zusammengefaßt, so daß ihr Gesicht dem Betrachter ohne schmückenden Rahmen dargeboten wurde. Die zarte, makellose Haut zeigte über den hohen Wangenknochen ein leichtes Rosa, das sich in den sanften Kuhlen darunter vertiefte. Die Nase war so gerade und wohlgeformt, als hätte Praxiteles selbst sie gemeißelt, und lang genug, um jeden Verdacht auf keltisches Blut zu zerstreuen. Ihr Mund, tiefrot und an den Winkeln leicht aufwärts gebogen, zog jeden Mann magisch an. Das schöne, herzförmige Gesicht mit der hohen, klaren Stirn, dem wohlgeformten Haaransatz und einem kleinen Grübchen im Kinn wurde von großen Augen beherrscht. Man war sich einig, daß sie nicht dunkelblau, sondern veilchenblau waren, umrahmt von langen dichten Wimpern, über denen sich dunkle, seidige Brauen wölbten.
Es gab viele Diskussionen auf Herrenabenden - gewöhnlich befanden sich unter den Gästen mindestens zwei oder drei von Aurelias Freiern -, was genau Aurelias Reiz ausmachte. Manche sagten, es seien diese nachdenklichen violetten Augen, andere meinten, es sei die bemerkenswerte Reinheit ihrer Haut, wieder andere gaben der Klarheit ihrer Gesichtszüge den Vorzug. Und einige äußerten sich leidenschaftlich über ihren Mund, über das Grübchen am Kinn oder die zartgeformten Hände und Füße.
»Es ist nichts davon und doch alles zugleich, ihr Narren« knurrte Lucius Licinius Crassus Orator. »Sie ist eine vestalische Jungfrau, die frei herumläuft, sie ist Diana, nicht Venus! Unerreichbar! Und darin liegt ihre Faszination.«
»Nein, es sind diese veilchenblauen Augen«, widersprach ihm der Sohn des Senatsvorsitzenden Scaurus, der Marcus hieß wie sein Vater. »Violett - die edelste der Farben. Sie ist ein lebendes, atmendes Omen.«
Als das lebende, atmende Omen den Wohnraum betrat, so ruhig und makellos wie immer, verbreitete es keinerlei dramatische Atmosphäre - Aurelia hatte keinen Hang zum Theatralischen.
»Setz dich, Tochter«, sagte Rutilia lächelnd.
Aurelia nahm Platz und faltete die Hände im Schoß.
»Wir wollen über deine Heirat mit dir sprechen«, begann Cotta und räusperte sich. Er hoffte, sie würde ihm helfen, einen Anfang zu finden, doch Aurelia sah ihn nur höflich interessiert an.
»Wie denkst du darüber?« fragte Rutilia.
Aurelia kräuselte die Lippen und zuckte mit den Schultern. »Nun, ich hoffe, ihr werdet jemanden aussuchen, den ich mag.«
»Das hoffen wir auch«, versicherte Cotta.
»Gibt es jemanden, den du nicht magst?« fragte ihre Mutter.
»Gnaeus Domitius Ahenobarbus den Jüngeren«, erwiderte Aurelia ohne Zögern.
Cotta verstand das voll und ganz. »Sonst noch Jemand?« fragte er.
»Marcus Aemilius Scaurus den Jüngeren.«
»Oh, wie schade!« rief Rutilia. »Ich finde ihn sehr nett.«
»Ich gebe zu, er ist nett«, meinte Aurelia. »Aber er ist schüchtern.«
Cotta versuchte nicht, sein Grinsen zu verbergen. »Hättest du nicht gerne einen schüchternen Ehemann, Aurelia? Du wärst die Herrscherin im Hause.«
»Eine gute römische Ehefrau beherrscht ihren Mann nicht.«
»Nun, soviel zu Scaurus. Aurelia hat gesprochen.« Cotta bebte vor unterdrücktem Lachen. »Sonst noch jemand, der dir nicht gefällt?«
»Lucius Licinius.«
»Was stört dich bei ihm?«
»Er ist fett.«
»Nicht gerade anziehend, hm?«
»Es zeigt einen Mangel an Selbstdisziplin, Vater.«
Manchmal redete Aurelia Marcus mit Vater an, manchmal nannte sie ihn Onkel. Das richtete sich immer streng nach logischen Gesichtspunkten: War es deutlich, daß Cotta die Vaterstelle vertrat, war er »Vater«, handelte er in einer verwandtschaftlichen Rolle, war er »Onkel«.
»Du hast recht, das tut es«, meinte Cotta.
»Gibt es einen Bewerber, dem du den Vorzug vor den anderen geben würdest?« versuchte Rutilia eine neue Taktik.
Der gekräuselte Mund entspannte sich. »Nein, Mutter, eigentlich nicht. Es ist mir ganz recht, wenn ihr entscheidet, du und Vater.«
»Was erhoffst du dir von der Ehe?«
»Einen Ehemann, der meinem Rang entspricht - und dessen Rang ich entspreche - wohlgeratene Kinder.«
»Eine Antwort wie aus dem Lehrbuch«, sagte Cotta. »Du kannst dich in die erste Reihe setzen.«
Rutilia warf ihrem Gatten einen belustigten Blick zu. »Sag es ihr, Marcus Aurelius!«
Cotta räusperte sich noch einmal. »Nun, Aurelia, du bereitest uns ein wenig Kopfzerbrechen. Bei der letzten Zählung waren es siebenunddreißig Bewerber auf der Liste. Keiner dieser hoffnungsvollen Freier kann als ungeeignet angesehen werden. Einige von ihnen stehen im Rang über uns, einige sind reicher als wir, ein paar sind sogar vornehmer und reicher! Das bringt uns in eine mißliche Lage. Wenn wir dir einen Gatten aussuchen, werden wir uns viele Feinde machen, weil wir viele abweisen müssen. Das ist für uns nicht weiter schlimm, aber wir müssen an die Zukunft deiner Brüder denken. Das verstehst du sicher.«
»Natürlich, Vater«, sagte Aurelia ernsthaft.
»Nun, dein Onkel Publius hat uns den einzig vernünftigen Weg aus diesem Dilemma gezeigt - du wirst deinen Gatten selbst auswählen, meine Tochter.«
Aurelia schaute ihn entgeistert an. »Ich?«
»Du.«
Sie preßte ihre Hände an die geröteten Wangen. »Aber das geht nicht!« rief sie. »Das ist - das ist nicht römisch!«
»Ich stimme dir zu«, sagte Cotta. »Es ist ganz und gar nicht römisch. Es ist rutilisch.«
»Oh!« Aurelia rang die Hände. »Nein!«
»Was ist denn, Aurelia? Warum glaubst du, daß du die Entscheidung nicht treffen kannst?« fragte Rutilia.
»Nein, das ist es nicht«, antwortete Aurelia und wurde abwechselnd rot und blaß. »Es ist nur... nun...« Sie erhob sich. »Kann ich gehen?«
»Natürlich.«
An der Tür wandte sie sich um und sah Rutilia und Cotta ernsthaft an. »Wie lange habe ich Zeit, um meine Entscheidung zu treffen?
»Oh, das hat keine Eile«, meinte Cotta leichthin. »Du wirst zwar Ende Januar achtzehn, aber du mußt nicht sofort heiraten, nur weil du das entsprechende Alter erreicht hast. Laß dir Zeit.«
»Ich danke euch«, sagte sie und ging hinaus.
Sie schlief in einem kleinen, fensterlosen Raum, der sich zum Atrium hin öffnete, in einer so fürsorglichen Familie hätte man der einzigen Tochter nie erlaubt, an einem weniger behüteten Ort zu schlafen. Doch ihre Stellung als einziges Mädchen unter so vielen Brüdern brachte auch Vorteile - sie wurde umhegt und verwöhnt und hätte sich mit Leichtigkeit zu einer verzogenen jungen Dame entwickeln können, wäre die Anlage dazu vorhanden gewesen. In ihrer Familie herrschte jedoch übereinstimmend die Meinung, daß es unmöglich war, Aurelia zu verziehen, denn es gab keinen Funken Habgier oder Neid in ihrem Charakter. Das bedeutete allerdings nicht, daß sie besonders liebenswürdig oder umgänglich war, im Gegenteil, es war viel einfacher, sie zu schätzen und zu respektieren, als sie zu lieben. Als Kind hatte sie den Angebereien ihrer Brüder so lange unbewegt zugehört, bis sie genug hatte. Dann hatte sie dem Aufschneider eine Ohrfeige versetzt, die ihm die Ohren klingen ließ, und war wortlos davongegangen.
Aurelia, das einzige Mädchen, brauchte nach Meinung ihrer Eltern ein eigenes kleines Reich, wo sie sich vor ihren Brüdern zurückziehen konnte, wenn sie den Wunsch dazu verspürte. Und so hatte sie einen eigenen, recht großen und vor allem sonnigen Wohnraum bekommen, der am Peristyl, dem Säulengarten, lag. Und Aurelia besaß eine eigene Dienerin, die Gallierin Cardixa, eine echte Perle. Wenn Aurelia heiratete, sollte Cardixa mit ihr in das Haus ihres Gatten gehen.
Ein kurzer Blick auf Aurelias Gesicht sagte Cardixa, daß etwas Ungewöhnliches vorgefallen war, doch sie sagte nichts und erwartete auch nicht, daß Aurelia ihr erzählte, was sie bewegte - so harmonisch und freundschaftlich das Verhältnis zwischen Herrin und Dienerin auch war, es gab doch keine kindlichen Vertraulichkeiten. Aurelia wollte offensichtlich allein sein, und so verließ Cardixa den Raum.
An der Einrichtung des Zimmers war deutlich abzulesen, was die Bewohnerin interessierte. In die Wände waren unzählige Fächer für Schriftrollen eingearbeitet, auf dem Schreibtisch lagen leere Blätter, rote Stifte, Wachstafeln und ein kunstvoll gearbeiteter beinerner Stift, mit dem die Wachstafeln beschrieben wurden, und ein Abakus. Gepreßte Sepiastücke lagen neben einem abgedeckten Tintenfaß bereit, und ein wohlgefüllter Sandstreuer stand daneben.
In einer Ecke des Zimmers hatte Aurelia einen Webstuhl aus Patavium aufgestellt, an den Wänden dahinter waren Pflöcke angebracht, die Dutzende langer Wollstränge in allen Farben trugen, Rot- und Violettöne, verschiedene Schattierungen von Blau, Grün, Rosa, Gelb und Orange. Aurelia webte die Stoffe für ihre Kleidung selbst, und sie liebte leuchtende Farben. Auf dem Webstuhl lag ein großes, beinahe vollendetes Stück eines hauchdünnen, flammenfarbenen Stoffes aus besonders feiner Wolle - Aurelias Brautschleier, eine wirkliche Herausforderung. Der safranfarbene Stoff für ihr Hochzeitskleid war bereits fertig und lag sorgsam gefaltet in einem Regal. Erst wenn der Heiratskontrakt unterzeichnet war, würde er zugeschnitten und genäht werden, vorher brachte es Unglück.
Cardixa, die eine echte Begabung für kunstvolle Schnitzereien hatte, arbeitete an einem Wandschirm aus kostbarem africanischen Edelholz. Die polierten Steine - Sarder, Jaspis, Karneol und Onyx -, mit denen sie die geschnitzten Blätter und Blüten einlegen wollte, wurden sorgsam eingewickelt in einer geschnitzten Holzschatulle verwahrt, die sie ebenfalls selbst gearbeitet hatte.
Aurelia schloß die Fensterläden an der offenen Seite ihres Zimmers und ließ nur die Gitter geöffnet, damit frische Luft und gedämpftes Licht eindringen konnten. Wenn die Läden geschlossen waren, bedeutete dies, daß sie von niemandem gestört werden wollte, weder von Dienern noch von ihren Brüdern. Dann setzte sie sich an den Schreibtisch, verwirrt und ratlos.
Was würde Cornelia, die Mutter der Gracchen, an ihrer Stelle tun?
Diese Frage stellte sich Aurelia bei jeder Entscheidung. Was würde Cornelia, die Mutter der Gracchen tun? Was würde Cornelia, die Mutter der Gracchen, denken? Wie würde Cornelia, die Mutter der Gracchen, empfinden? Cornelia, die Mutter der Gracchen, war Aurelias Idol, ihr Vorbild in allem, was sie sagte oder tat.
Unter den Bücherrollen, die in den Fächern ihres Wohn- und Arbeitszimmers lagen, befanden sich sämtliche Briefe und sonstigen Schriften von Cornelia, der Mutter der Gracchen, und überdies alle Werke, in denen dieser Name erwähnt wurde.
Wer war diese Cornelia, die Mutter der Gracchen? Nun, sie war der Inbegriff einer edlen Römerin gewesen, von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod.
Cornelia, eine Tochter von Scipio Africanus, der Hannibal besiegt und den Karthagern Spanien entrissen hatte, war mit neunzehn Jahren mit dem fünfundvierzigjährigen Tiberius Sempronius Gracchus verheiratet worden, einem Römer aus edelster Familie. Ihre Mutter Aemilia Paulla war eine Schwester des Aemilius Paullus, und deshalb waren ihre Kinder von beiden Seiten Patrizier aus dem Haus der Gracchen.
Cornelia wurde Tiberius Sempronius Gracchus eine vorbildliche Ehefrau, und während der beinahe zwanzig Jahre ihrer Ehe gebar sie ihm zwölf Kinder. Gaius Julius Caesar würde vermutlich sagen, die Kränklichkeit ihrer Kinder - denn kränklich waren sie alle, und nur drei überlebten das Kindesalter - sei auf die häufigen Ehen zweier blutsverwandter Familien zurückzuführen. Sie gab jedoch nicht auf, sondern kümmerte sich mit großer Liebe und Umsicht um alle ihre Kinder, und es gelang ihr, drei davon großzuziehen die Tochter Sempronia und die beiden Söhne Tiberius und Gaius.
Mit großer Sorgfalt erzogen, eine echte Tochter ihres Vaters, der die griechische Kultur über alles geschätzt hatte, unterrichtete sie ihre Kinder im geeigneten Alter selbst und überwachte sorgfältig die anderen Bereiche ihrer Erziehung. Als ihr Gatte starb, blieb sie mit der fünfzehnjährigen Sempronia, dem zwölfjährigen Tiberius, dem zweijährigen Gaius und den anderen Kindern, die bis dahin überlebt hatten, zurück.
Viele bewarben sich um die Hand der Witwe, denn sie hatte ihre Fruchtbarkeit mit erstaunlicher Regelmäßigkeit unter Beweis gestellt und war immer noch im gebärfähigen Alter. Zudem war sie die Tochter von Scipio Africanus, die Nichte von Aemilius Paullus und Witwe des Tiberius Sempronius Gracchus. Und sie war reich, unvorstellbar reich.
Unter ihren Freiern war auch König Ptolemaios Euergetes der Fette, ehemaliger König von Ägypten und regierender König der Cyrenaica. In den Jahren zwischen seiner Entthronung und seiner Wiedereinsetzung als König von Ägypten, neun Jahre nach Tiberius Sempronius Gracchus’ Tod, war er ein häufiger Besucher in Rom. Er blökte dem Senat, der seiner gründlich überdrüssig war, die Ohren voll, hetzte und bestach, weil er unbedingt wieder auf den ägyptischen Thron zurückkehren wollte.
Als Tiberius Sempronius Gracchus starb, war Cornelia sechsunddreißig, Ptolemaios war acht Jahre jünger als sie und um die Leibesmitte noch deutlich schlanker. Er bemühte sich gleichermaßen beharrlich um ihre Hand und um seine Wiedereinsetzung als König von Ägypten, doch beides blieb erfolglos. Cornelia, die Mutter der Gracchen, wollte keinen seltsamen ausländischen König heiraten, und mochte er noch so reich und mächtig sein.
Tatsächlich hatte Cornelia beschlossen, überhaupt nicht mehr zu heiraten. Eine edle Römerin, die mit einem ebenso edlen Römer verheiratet gewesen war, hatte keinen Grund, noch einmal in den Stand der Ehe zu treten. So wurde Freier nach Freier mit erlesener Höflichkeit abgewiesen, und die Witwe kümmerte sich ausschließlich um die Erziehung ihrer Kinder.
Und sie erlebte schwere Schicksalsschläge. Ihr Lebensmut wurde weder durch die Ermordung ihres Sohnes Tiberius während seiner Amtszeit als Volkstribun gebrochen noch durch die Gerüchte über eine Beteiligung ihres Vetters und Schwiegersohnes Scipio Aemilianus an diesem Mord. Auch die entsetzlichen Vorkommnisse in der Ehe ihrer Tochter Sempronia mit Scipio Aemilianus und dessen mysteriöser Tod, bei dem man munkelte, daß er ermordet worden sei - von seiner Frau, Cornelias Tochter -, konnte ihren Lebenswillen nicht erschüttern. Sie umsorgte ihren geliebten Sohn Gaius Gracchus und unterstützte ihn auf seinem politischen Weg.
Als dann auch Gaius Gracchus eines entsetzlichen Todes starb, dachte jedermann, daß sich die inzwischen siebzigjährige Cornelia, die Mutter der Gracchen, von diesem Schlag nicht mehr erholen würde. Doch sie fuhr fort, das Leben in ihrer gewohnten Art mit erhobenem Haupt zu meistern - verwitwet, ihrer vielversprechenden Söhne beraubt, das einzige überlebende Kind die verbitterte, unfruchtbare Sempronia.
»Ich muß meine liebe kleine Sempronia großziehen«, sagte sie und meinte die kleine Tochter von Gaius Gracchus.
Cornelia zog sich aus Rom zurück, doch nie vom Leben, und sie verfolgte weiterhin alle Geschehnisse. In ihrer weitläufigen Villa in Misenum, in der sie von nun an lebte, war alles vereint, was Rom an Geschmack, Kultur und Pracht zu bieten hatte. Hier begann sie auf Bitten ihrer Freunde, ihre Briefe und Schriften zusammenzufassen, und sie erlaubte dem betagten Sosius von Argiletum, diese zu veröffentlichen. Wie ihre Verfasserin waren sie lebhaft, voller Anmut, Charme und Witz, und doch vermittelten sie Stärke und Tiefe. In Misenum fügte sie dieser Sammlung noch viel Neues hinzu, denn trotz ihres Alters verlor sie weder ihre Aufgeschlossenheit noch ihre geistige Regsamkeit.
Als Aurelia sechzehn war und Cornelia, die Mutter der Gracchen, dreiundachtzig, statteten Marcus Cotta und Rutilia, die sich mit ihrer stattlichen Kinderschar auf der Durchreise befanden, Cornelia einen Besuch ab - kein langweiliger Pflichtbesuch, sondern ein aufregendes Ereignis. Bevor sie Cornelia, die Mutter der Gracchen, aufsuchten, wurde die gesamte Nachkommenschaft - auch Lucius Aurelius, der sich mit seinen sechsundzwanzig Jahren ein wenig überlegen fühlte - unter Androhung aller erdenklichen Strafen ermahnt, keinen Lärm zu machen, still zu sitzen und aufs Wort zu gehorchen.
Marcus Cotta und Rutilia hätten sich die Ermahnungen, die eigentlich nicht in ihrer Art lagen, sparen können. Cornelia, die Mutter der Gracchen, wußte so ziemlich alles, was es über kleine und große Jungen zu wissen gab, und ihre Enkeltocher Sempronia war ein Jahr jünger als Aurelia. Cornelia war entzückt von den lebhaften und intelligenten Kindern und genoß den wunderbaren, langen Nachmittag sichtlich - einen zu langen Nachmittag, wie ihre besorgte Dienerschaft befürchtete, denn sie war schon recht gebrechlich und hatte ständig blaue Lippen und Ohrläppchen.
Dieser Nachmittag beeindruckte Aurelia tief. Sie schwor sich, ihr zukünftiges Leben nach den gleichen hohen Maßstäben von Stärke, Ausdauer, Würde und Geduld auszurichten. Sie begann, ihre Bibliothek mit sämtlichen Schriften der alten Dame zu füllen, und damit wurde der Grundstein für ein Leben gelegt, das ebenso bemerkenswert verlaufen sollte wie das von Cornelia, der Mutter der Gracchen.
Jener Besuch konnte nicht wiederholt werden, denn im darauffolgenden Winter starb Cornelia, die Mutter der Gracchen. Sie saß aufrecht auf einem Stuhl und hielt die Hand ihrer Enkelin, die sie gerade von ihrer offiziellen Verlobung mit Marcus Fulvius Flacchus Banibalio in Kenntnis gesetzt hatte. Er war der einzige Überlebende der Familie Fulvius Flacchus, alle anderen Mitglieder der Familie waren tot, weil sie Gaius Gracchus unterstützt hatten. Für Cornelia war es eine tiefe Befriedigung, daß ihre Enkelin, die Erbin des riesigen Vermögens der Sempronier, dieses nun in ein Haus einbringen würde, das sein Vermögen für die Sache von Gaius Gracchus geopfert hatte. Und mit größtem Vergnügen teilte sie ihrer Enkelin mit, daß sie immer noch genügend Einfluß im Senat besaß, um ein Dekret zu erwirken, das ihre Enkelin von den Bestimmungen der lex Voconia de mulierum hereditatibus ausnahm. So war das riesige Vermögen geschützt für den Fall, daß irgendein entfernter männlicher Verwandter auftauchen sollte, um das Vermögen mit Hilfe dieses frauenfeindlichen Gesetzes an sich zu bringen. Dieses Dekret, fügte sie hinzu, galt auch für die darauffolgende Generation, falls Sempronia nur weibliche Erben haben würde.
Der Tod von Cornelia, der Mutter der Gracchen, kam schnell und gnädig, und ganz Rom konnte feststellen, daß die Götter sie wirklich geliebt, wenn auch schwer geprüft hatten. Als Angehörige des Geschlechts der Cornelier wurde sie beigesetzt, nicht verbrannt. Die Cornelier waren die einzige unter den großen und weniger großen Familien Roms, die ihre Körper nach dem Tod nicht verbrennen ließ. Man errichtete für sie ein großartiges Grabmal an der Via Latina, das ständig mit frischen Blumen geschmückt war. Im Laufe der Jahre entwickelte es sich immer mehr zu einem Schrein, einer Kultstätte, obwohl der Kult offiziell nie anerkannt wurde. Die Römerinnen beteten an ihrem Grab um die Gaben, die mit Cornelias Namen verknüpft waren, und legten Blumen nieder. Cornelia, die Mutter der Gracchen, war zu einer Göttin geworden, ihr Name war der Inbegriff eines unbesiegbaren Geistes angesichts bitterster Leiden.
Was würde Cornelia, die Mutter der Gracchen, tun? Dieses Mal fand Aurelia keine befriedigende Antwort auf ihre Frage, weder Logik noch Instinkt halfen ihr, ihr eigenes Dilemma auf das Leben einer Frau zu übertragen, deren Eltern ihr nie und nimmer erlaubt hätten, den Gatten selbst auszuwählen. Natürlich konnte Aurelia verstehen, warum ihr Onkel diese Lösung vorgeschlagen hatte. Ihre klassische Bildung war breit genug, daß sie die Parallele zu Helena von Troja erkannte, auch wenn sie sich selbst nicht für unwiderstehlich schön hielt, sondern in erster Linie für eine außergewöhnlich gute Partie.
Schließlich kam sie zu dem einzigen Schluß, den Cornelia, die Mutter der Gracchen, gutgeheißen hätte. Sie würde ihre Bewerber mit größter Gewissenhaftigkeit prüfen und den besten auswählen. Das bedeutete nicht, daß sie sich am meisten zu diesem Mann hingezogen fühlen mußte, sondern daß er dem römischen Ideal am nächsten kommen mußte. Er mußte also aus einer guten Familie stammen, die zumindest Senatoren unter ihren Mitgliedern hatte und die ihre dignitas, ihr öffentliches Ansehen, ihren Rang von der Gründung der Republik an durch Generationen hindurch makellos und unbefleckt bewahrt hatte. Er mußte mutig sein, beherrscht, keinesfalls geldgierig oder bestechlich, moralisch unanfechtbar, und er mußte bereit sein, wenn nötig sein Leben für Rom und seine Ehre zu opfern.
Hohe Erwartungen! Und wie konnte ein Mädchen, das so behütet lebte wie sie, sicher sein, daß es richtig urteilte? Sie beschloß, mit den drei Erwachsenen ihrer Familie, mit Marcus Cotta, Rutilia und ihrem älteren Halbbruder Lucius, zu sprechen und sie um ihre offene Meinung zu jedem der Männer auf der Liste ihrer Freier zu bitten. Die drei waren zwar etwas erstaunt, doch sie versuchten, Aurelia zu helfen, so gut sie konnten. Unglücklicherweise mußte jeder von ihnen bei näherem Nachfragen zugeben, daß persönliche Sympathien oder Abneigungen sein Urteil beeinflußten. So war Aurelia wieder da, wo sie angefangen hatte.
»Keiner gefällt ihr wirklich«, sagte Cotta bekümmert zu seiner Frau.
»Nicht einer!« seufzte Rutilia.
»Es ist unglaublich, Rutilia! Ein achtzehnjähriges Mädchen, das sich zu keinem einzigen Mann auch nur ein wenig hingezogen fühlt! Was ist los mit ihr?«
»Woher soll ich das wissen?« Rutilia fühlte sich zu Unrecht angegriffen. »Sie hat das bestimmt nicht von meiner Seite der Familie!«
»Nun, von mir hat sie es mit Sicherheit auch nicht!« schnappte Cotta. Dann riß er sich zusammen, gab seiner Frau einen Kuß und verfiel wieder in dumpfes Grübeln. »Weißt du, ich möchte wetten, am Ende ist ihr keiner gut genug!«
»Du könntest recht haben«, stimmte Rutilia zu.
»Was sollen wir nur tun? Wenn wir nicht aufpassen, werden wir die erste freiwillige alte Jungfer Roms in unserer Familie haben!«
»Wir sollten sie zu meinem Bruder schicken«, sagte Rutilia. »Er wird mit ihr reden.«
»Eine ausgezeichnete Idee!« meinte Cotta erleichtert.
Und so machte sich Aurelia am nächsten Tag in Begleitung ihrer Dienerin Cardixa und zweier großer, kräftiger gallischer Sklaven auf den Weg von der Villa der Cottas auf dem Palatin zu Publius Rutilius Rufus’ Haus in der Carinae. Cotta und Rutilia wollten Aurelias Gespräch mit ihrem Onkel nicht durch ihre Anwesenheit stören, und so blieben sie zu Hause.
Publius Rutilius Rufus war als Konsul von Rom ein vielbeschäftigter Mann. Vor allem seit er die gesamten Verwaltungsaufgaben übernommen hatte, um seinen Mitkonsul Gnaeus Mallius Maximus zu entlasten, während dieser die riesige Armee zusammenstellte, die er gegen Ende des Frühlings nach Gallia Transalpina führen wollte. Aber für Familienangelegenheiten hatte Rutilius Rufus immer Zeit. Marcus Cotta hatte ihn kurz vor Einbruch der Dämmerung aufgesucht und ihm die verzwickte Situation geschildert.
Rutilius Rufus war amüsiert. »Oh, diese Kleine!« rief er aus, und seine Schultern bebten vor Lachen. »Eine Jungfrau durch und durch. Nun, wir müssen dafür sorgen, daß sie nicht die falsche Entscheidung trifft und als alte Jungfer endet, trotz der vielen Bewerber.«
»Ich hoffe, du hast eine Idee, Publius Rutilius, denn ich bin mit meiner Weisheit am Ende.«
»Ich denke, ich weiß, was zu tun ist«, meinte Rutilius Rufus verschmitzt. »Schicke sie kurz vor der zehnten Stunde hierher. Wir werden zusammen zu Abend essen. Ich werde sie in einer Sänfte und gut bewacht nach Hause bringen lassen, mach dir also keine Sorgen.«
Als Aurelia ankam, führte Rutilius Rufus sie in sein Eßzimmer und deutete auf einen Stuhl, von dem aus sie sich bequem mit ihrem Onkel - der nach römischer Sitte im Liegen essen würde - und dessen Gast unterhalten konnte. Cardixa und die gallischen Sklaven wurden in die Räume der Dienerschaft geschickt, um dort zu essen und bei Bedarf aufzuwarten.
»Ich erwarte nur einen Gast«, sagte Rutilius Rufus, während er es sich auf seiner Liege bequem machte. »Brrr! Kalt, findest du nicht? Möchtest du ein Paar warme Socken, Nichte?«
Jede andere Achtzehnjährige wäre lieber erfroren, als etwas so wenig Kleidsames anzuziehen wie ein Paar dicke Wollsocken. Nicht jedoch Aurelia, die die Temperatur des Raumes gegen ihr körperliches Wohlbehagen abwog und dann bejahend nickte. »Ich danke dir, Onkel Publius«, sagte sie.
Cardixa wurde hereingerufen und gebeten, sich von der Haushälterin ein Paar warme Socken geben zu lassen, was sie mit bemerkenswerter Geschwindigkeit erledigte.
»Was für ein vernünftiges Mädchen du bist!« lobte Rutilius Rufus, der Aurelias gesunden Menschenverstand so hoch schätzte. Publius Rutilius hatte keine hohe Meinung von den Frauen, und dabei übersah er völlig, daß gesunder Menschenverstand auch unter Männern selten zu finden war. So suchte er in Frauen nur nach dem Mangel und fand seine Meinung meist bestätigt. Aurelia war die Ausnahme, seine kostbare Perle von den Schlammbänken der Weiblichkeit, und er hielt große Stücke auf sie.
»Ich danke dir, Onkel Publius«, wiederholte Aurelia und schenkte ihre Aufmerksamkeit Cardixa, die vor ihr kniete und ihr die Schuhe auszog.
Während die Mädchen ganz mit den Socken beschäftigt waren, wurde der erwartete Gast hereingeführt. Sie schauten beide nicht auf, als Rutilius Rufus ihn begrüßte und ihn bat, es sich auf der Liege zu seiner Linken bequem zu machen.
Als Aurelia sich dann wieder aufrichtete, sah sie Cardixa in die Augen und schenkte ihr eines ihrer seltenen Lächeln. Es lag immer noch auf ihren Lippen, ebenso wie eine leichte Röte auf ihren Wangen, die von der gebückten Haltung herrührte, als sie sich vollständig aufsetzte und über den Tisch hinweg den Gast anblickte. Sie sah atemberaubend aus.
Der Gast zog hörbar den Atem ein. Ebenso Aurelia.
»Gaius Julius, das ist die Tochter meiner Schwester, Aurelia«, sagte Publius Rutilius Rufus liebenswürdig. »Aurelia, ich möchte dich dem Sohn meines alten Freundes Gaius Julius Caesar vorstellen. Er heißt Gaius wie sein Vater, ist aber nicht der älteste Sohn.«
Ihre veilchenblauen Augen wirkten noch größer als sonst. Aurelia sah in das Gesicht, das ihr Schicksal bestimmen sollte, und dachte weder an römische Ideale noch an Cornelia, die Mutter der Gracchen. Oder vielleicht tat sie es auf einer anderen, tieferen Ebene, denn Gaius Julius Caesar sollte sich als ein Mann erweisen, der ihren Idealen standhielt. Dies würde jedoch erst die Zeit zeigen, und im Augenblick war sie von dem länglichen Gesicht mit der römischen Nase, den tiefblauen Augen, dem dichten, welligen, goldenen Haar und dem schönen Mund vollständig in Bann geschlagen. Nach all ihren inneren Kämpfen, all den sorgfältigen und doch fruchtlosen Erwägungen löste sich ihr Problem auf die natürlichste und einfachste Art der Welt - sie verliebte sich.
Natürlich unterhielten sie sich, sie verbrachten sogar einen ganz wunderbaren Abend. Rutilius Rufus stützte sich auf seinen linken Ellbogen und überließ ihnen das Feld, während er sich innerlich zu seiner klugen Idee gratulierte. Unter Hunderten junger Männer aus seiner Bekanntschaft hatte er den ausgewählt, der das Herz seiner Aurelia gefangennehmen würde. Selbstverständlich mochte er den jungen Gaius Julius Caesar außerordentlich gerne, und er war sicher, daß dieser in den kommenden Jahren seine hervorragenden Fähigkeiten unter Beweis stellen würde. Er vereinte alle Qualitäten eines großen Römers in sich, und er kam ja schließlich auch aus einer der besten Familien Roms. Und sollte die Neigung zwischen dem jungen Gaius und seiner Nichte sich vertiefen - woran Publius Rutilius Rufus keinen Zweifel hegte -, wären zwischen ihm und seinem alten Freund Gaius Marius verwandtschaftliche Bande geknüpft. Als echter Römer hatte Rutilius Rufus diesen Aspekt nicht übersehen und war äußerst erfreut darüber. Die Kinder des jungen Gaius Julius und seiner Nichte Aurelia würden Vettern und Cousinen der Kinder von Gaius Marius sein.
Normalerweise war Aurelia zurückhaltend und hätte nie gewagt, jemanden auszufragen, doch diesmal vergaß sie ihre guten Manieren und stellte dem jungen Gaius Julius Caesar eine Frage nach der anderen. Sie erfuhr, daß er mit seinem Schwager Gaius Marius als zweiter Militärtribun in Africa gewesen und einige Male ausgezeichnet worden war - mit der corona muralis für die Schlacht um die Zitadelle am Mulucha, mit einem Banner für die erste Schlacht vor Cirta und mit neun silbernen phalerae nach der zweiten Schlacht vor Cirta. Nach einer schweren Verwundung am Oberschenkel in dieser zweiten Schlacht war er ehrenhaft entlassen und nach Hause geschickt worden. All dies brachte Aurelia nur mühsam in Erfahrung, denn Gaius Julius erzählte viel lieber von den Heldentaten seines älteren Bruders Sextus.
In diesem Jahr, fand sie heraus, war er Münzbeamter, einer von drei jungen Männern, die in den Jahren, bevor sie Senatoren wurden, die Gelegenheit erhielten, etwas über Roms Wirtschaft zu erfahren, indem sie die Verantwortung für das Prägen der Münzen trugen.
»Münzen verschwinden aus dem Umlauf«, sagte Gaius Julius, der noch nie zuvor eine so faszinierte und faszinierende Zuhörerin gehabt hatte. »Unsere Aufgabe ist es, neue Münzen prägen zu lassen - aber nicht einfach nach unserer Laune! Der Schatzmeister bestimmt, wie viele pro Jahr geprägt werden, und wir beaufsichtigen dann die Arbeiten.«
»Aber wie können Münzen denn einfach verschwinden?« fragte Aurelia erstaunt.
»Oh, sie können in ein Abflußloch fallen oder bei einem großen Feuer verbrennen, und manche nützen sich einfach ab«, sagte der junge Caesar. »Aber die meisten verschwinden, weil sie von jemandem gehortet werden. Und wenn Münzen gehortet werden, können sie ihre Aufgabe nicht erfüllen.«
»Und was ist ihre Aufgabe?« fragte Aurelia, die noch nie viel mit Geld zu tun gehabt hatte, denn normalerweise erfüllten die Eltern ihre Wünsche, und überdies hatte sie keine großen Ansprüche.
»Nun, sie müssen von Hand zu Hand gehen«, antwortete Gaius Caesar. »Das nennt man Zirkulation.«
»Also macht ihr neue Münzen, um die zu ersetzen, die jemand hortet«, sagte Aurelia nachdenklich. »Aber die gehorteten Münzen sind doch immer noch da, nicht wahr? Was passiert, wenn plötzlich eine riesige Menge davon - äh - nicht mehr gehortet wird?«
»Dann verliert das Geld an Wert.«
Nach ihrer ersten Lektion in Wirtschaftslehre wollte Aurelia noch etwas über die praktische Seite des Prägens von Münzen erfahren.
»Wir dürfen selbst entscheiden, was auf die Münzen geprägt wird«, erklärte Gaius Caesar eifrig.
»Du meinst zum Beispiel die Siegesgöttin in ihrer biga?«
»Nun, es ist einfacher, einen zweispännigen Streitwagen auf einer Münze abzubilden als einen vierspännigen. Und so ist die Siegesgöttin in einer biga anstatt in einer quadriga zu sehen«, antwortete er. »Aber wir versuchen auch, etwas Originelleres zu machen als die Siegesgöttin oder Rom. Wenn es in einem Jahr drei verschiedene Münzen zu prägen gibt - und das ist meistens der Fall -, kann jeder von uns bei einer Münze entscheiden, was darauf abgebildet wird.«
»Wirst du auch etwas aussuchen?« fragte Aurelia.
»Ja, wir haben Lose gezogen, und ich habe die Silberdenare gezogen. Also werden die Denare dieses Jahr auf der einen Seite Julus, den Sohn von Aeneas, zeigen und auf der anderen die Marcia Aqua zur Erinnerung an meinen Großvater Marcus Rex.«
Im Herbst, erfuhr Aurelia, wollte Gaius Caesar sich zum Militärtribunen wählen lassen. Gegenwärtig hatte sein Bruder Sextus dieses Amt inne, und Sextus würde mit Gnaeus Mallius Maximus nach Gallien ziehen.
Nach dem letzten Gang des hervorragenden Essens setzte Onkel Publius seine Nichte in eine Sänfte und ließ sie gut bewacht nach Hause bringen, wie er es versprochen hatte. Seinen anderen Gast forderte er auf, noch ein Weilchen zu bleiben.
»Trink doch noch ein Glas ungewässerten Wein«, schlug er vor. »Doch zunächst mußt du mich entschuldigen. Ich habe so viel Wasser getrunken, daß ich einen ganzen Eimer vollpinkeln könnte.«
»Ich glaube, ich werde es dir gleichtun«, meinte sein Gast lachend.
»Nun, was hältst du von meiner Nichte?« fragte Rutilius Rufus, nachdem er einen köstlichen Wein aus der Toskana hatte bringen lassen.
»Du könntest ebensogut fragen, wie mir das Leben gefällt!«
»Du magst sie, hm?«
»Mögen? Natürlich. Ich bin verliebt in sie«, sagte der junge Caesar.
»Willst du sie heiraten?«
»Selbstverständlich! Halb Rom will sie heiraten.«
»Das ist richtig, Gaius Julius. Entmutigt dich das?«
»Nein. Ich werde bei ihrem Vater - ihrem Onkel Marcus, meine ich - um ihre Hand anhalten. Und ich werde versuchen, sie wiederzusehen und sie für mich zu gewinnen. Es ist einen Versuch wert. Ich denke, daß ich ihr nicht gleichgültig bin.«
Rutilius Rufus lächelte. »Ja, das denke ich auch.« Er erhob sich von seiner Liege. »Nun, Gaius Caesar, erzähle deinem Vater von deinen Plänen, gleich wenn du heimkommst, und suche morgen früh Marcus Aurelius auf. Mich mußt du jetzt entschuldigen, ich bin müde, und es ist Zeit für mich, ins Bett zu gehen.«
Obwohl er sich Rutilius Rufus gegenüber zuversichtlich gegeben hatte, hegte Gaius Caesar keine allzu großen Hoffnungen, als er auf dem Heimweg über Aurelia nachdachte. Aurelias Schönheit wurde weithin gerühmt. Viele seiner Freunde hatten um ihre Hand angehalten, einige hatte Marcus Cotta auf seine Liste gesetzt, andere nicht. Unter den erfolgreichen Bewerbern waren illustre Namen zu finden, viele waren bekannter oder reicher als er. Der Name Julius Caesar hatte zwar eine Aura, die selbst die Armut nicht zerstören konnte, doch wie konnte er hoffen, gegen Marcus Livius Drusus, den jungen Scaurus, Licinius Orator, Mucius Scaevola oder den älteren der Ahenobarbusbrüder zu bestehen? Julius Caesar wußte nicht, daß Aurelia die Erlaubnis erhalten hatte, ihren Gatten selbst auszuwählen, und so schätzte er seine Aussichten auf Aurelias Hand als sehr gering ein.
Zu Hause sah er Licht im Arbeitszimmer seines Vaters. Er kämpfte die Tränen hinunter, ging auf die halbgeöffnete Türe zu und klopfte.
»Herein«, sagte eine müde Stimme.
Der alte Gaius Julius Caesar lag im Sterben. Jeder im Hause wußte es, obwohl nicht darüber gesprochen wurde. Die Krankheit hatte mit Schluckbeschwerden begonnen, schleichend und heimtückisch, dann wurde die Stimme rauh, und schließlich setzten die Schmerzen ein. Zunächst waren sie noch erträglich, aber das blieb nicht lange so. Inzwischen waren sie unerträglich, und Gaius Julius Caesar konnte keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen. Bis jetzt hatte er sich geweigert, einen Arzt kommen zu lassen, obwohl seine Frau Marcia ihn täglich darum bat.
»Vater?«
»Komm herein und leiste mir ein wenig Gesellschaft, mein Sohn«, flüsterte Caesar, der dieses Jahr sechzig geworden war, im Schein der Lampe jedoch wie achtzig wirkte. Er hatte so viel Gewicht verloren, daß seine Haut faltig an ihm herabhing. Sein Kopf sah aus wie der Schädel eines Skeletts, und dauerndes Leiden hatte seine einst so tiefblauen Augen ausgebleicht. Er streckte seinem Sohn die Hand entgegen und lächelte.
»Oh Vater!« Der junge Caesar versuchte mannhaft, sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen, doch er konnte sie nicht vollständig aus seiner Stimme verbannen. Er kam quer durch den Raum auf seinen Vater zu, nahm seine Hand und küßte sie, dann trat er noch näher und zog seinen Vater an sich, die Arme um die mageren Schultern gelegt, die Wange gegen das leblose silberne Haar gepreßt.
»Weine nicht, mein Sohn«, krächzte Caesar. »Bald ist es vorbei. Morgen kommt Athenodorus Siculus.«
Ein Römer weinte nicht. Zumindest galt es als unrömisch, zu weinen. Dem jungen Caesar erschien diese Auffassung von gutem Benehmen zwar falsch, doch er drängte seine Tränen zurück, ließ seinen Vater los und setzte sich an sein Bett, nahe genug, daß er die völlig abgemagerte Hand seines Vaters in der seinen halten konnte.
»Vielleicht wird Athenodorus wissen, was zu tun ist«, sagte er.
»Athenodorus wird feststellen, was wir alle bereits wissen. Ich habe ein unheilbares Geschwür in meiner Kehle«, antwortete sein Vater. »Deine Mutter hofft auf ein Wunder, doch ich weiß, daß mein Leiden unheilbar ist und daß auch Athenodorus nichts daran ändern kann. Ich habe nur versucht, so lange am Leben zu bleiben, bis alle Mitglieder meiner Familie gut versorgt und glücklich verheiratet sind.« Caesar machte eine Pause, und seine freie Hand tastete nach einem Becher Wein, dem einzigen Genuß, der ihm geblieben war. Ein winziger Schluck oder zwei, dann fuhr er fort.
»Du bist der letzte, Gaius«, flüsterte er. »Was soll ich für dich erhoffen? Vor Jahren gab ich dir die Erlaubnis, deine Frau selbst auszuwählen - du hast bis jetzt keinen Gebrauch davon gemacht. Ich denke, nun wäre es an der Zeit. Es würde mir das Sterben leichter machen, wenn ich wüßte, daß du gut verheiratet bist.«
Der junge Gaius Caesar nahm die Hand seines Vaters und preßte sie an seine Wange, dabei stützte er ganz vorsichtig den Arm des gebrechlichen Mannes. »Ich habe sie gefunden, Vater«, sagte er. »Ich habe sie heute abend gefunden - ist das nicht seltsam?«
»Bei Publius Rutilius?« fragte Caesar zweifelnd.
Der junge Mann grinste. »Ich glaube, er hat den Ehestifter gespielt!«
»Eine seltsame Rolle für einen Konsul.«
»Ja.« Der junge Caesar holte tief Atem. »Hast du von seiner Nichte, der Stieftochter von Marcus Aurelius, gehört?«
»Die bekannte Schönheit? Ich denke, jeder hat von ihr gehört.«
»Das ist sie. Das ist das Mädchen, das ich heiraten will.«
Der alte Caesar sah beunruhigt aus. »Deine Mutter hat mir erzählt, daß die Reihe ihrer Freier endlos ist und daß einige der reichsten und mächtigsten Männer Roms darunter sind - wie ich höre, sogar einige, die bereits verheiratet sind.«
»Das stimmt alles«, erwiderte sein Sohn. »Aber ich werde sie heiraten, keine Sorge!«
»Wenn du recht hast, wirst du dir eine schöne Last aufbürden«, sagte der besorgte Vater sehr ernst. »Solch ungewöhnliche Schönheiten sind nie gute Ehefrauen. Sie sind keck, verwöhnt, anspruchsvoll und eigensinnig. Such dir lieber ein einfacheres Mädchen.« Ein beruhigender Gedanke schoß ihm durch den Kopf, und er entspannte sich. »Zum Glück bist du ein absoluter Niemand im Vergleich zu Lucius Licinius Orator oder Gnaeus Domitius dem Jüngeren, auch wenn du Patrizier bist. Marcus Aurelius wird dich nicht einmal in Erwägung ziehen, da bin ich mir sicher. Also hänge dein Herz nicht allzusehr an dieses Mädchen.«
»Sie wird mich heiraten, tata, warte nur ab!«
Und von dieser Überzeugung konnte Gaius Julius Caesar seinen Sohn beim besten Willen nicht abbringen.