Das siebte bis neunte Jahr
(104 - 102v. Chr.)

Unter den Konsuln
GAIUS MARIUS (II) und GAIUS FLAVIUS FIMBRIA

Unter den Konsuln
GAIUS MARIUS (III)
und LUCIUS AURELIUS ORESTES

Unter den Konsuln
GAIUS MARIUS (IV)
und QUINTUS LUTATIUS CATULUS CAESAR

Mit der Vorbereitung von Marius’ Triumphzug war Sulla beauftragt worden, und trotz innerer Vorbehalte gegen Marius’ Anweisungen hielt er sich strikt an die Befehle.

»Ich will einen Triumph, bei dem zügig marschiert wird«, hatte Marius bei ihrer Ankunft aus der Provinz Africa in Puteoli erklärt. »Spätestens zur sechsten Stunde auf dem Kapitol, dann gleich weiter zur Amtsübernahme als Konsul und zur Senatssitzung. Sorge für Eile, denn ich habe beschlossen, daß vor allem das Festmahl ein denkwürdiges Ereignis werden soll. Schließlich feiere ich doppelt: als triumphierender Feldherr und als neuer Konsul. Und ich will ein fürstliches Mahl, Lucius Cornelius! Keine hartgekochten Eier und zweitklassigen Käse, hörst du? Speisen vom Feinsten und Teuersten, Tänzer und Sänger vom Feinsten und Teuersten, Teller aus Gold und die Liegen mit Purpur bespannt.« Sulla hatte sich das alles angehört und war immer unwilliger geworden. Er ist und bleibt ein Bauer, der hoch hinaus will, dachte er. Ein eiliger Triumph, eine hastige Amtsübernahme und dann ein Festmahl, wie er es haben will, das ist schlechter Stil. Besonders das vulgäre, protzige Mahl! Trotzdem befolgte er die Anweisungen ganz genau. Karren mit innen gewachsten, wasserdichten Becken aus Ton rollten in die Stadt, beladen mit Austern aus Baiae, Langusten aus der Campania und Garnelen aus der Crater-Bucht. Auf anderen, ähnlich ausgestatteten Karren wurden Flußaale, Hechte und Barsche vom Oberlauf des Tiber herbeigeschafft. Fischer postierte man an den Ausgängen der römischen Kanalisation, um Barsche zu fangen. Kapaune und Enten, gemästet mit in Wein getauchten Honigkuchen, Ferkel, Zicklein, Fasane und Rehkitze wurden in die Küchen angeliefert und dort gebraten, gefüllt und gespickt. Aus Africa war zusammen mit Marius und Sulla eine große Ladung Achatschnecken eingetroffen, mit besten Grüßen von Publius Vagiennius, der sich Rückmeldung über die Reaktion der römischen Feinschmecker erbat.

Sulla hatte mit den Vorbereitungen von Marius’ Triumph alle Hände voll zu tun. Im stillen dachte er, wenn die Stunde seines Triumphes kam, würde er den Zug so groß machen, daß er drei Tage lang auf der altehrwürdigen Straße unterwegs wäre, genauso wie der Triumphzug des Aemilius Paullus. Denn ein langer und glanzvoller Triumphzug war das Kennzeichen des Aristokraten, der das ganze Volk an seinem Erfolg teilhaben lassen wollte. Ein langes, glanzvolles Festmahl im Tempel des Jupiter Optimus Maximus dagegen verriet den Bauern, dem es nur darum ging, einige wenige Privilegierte zu beeindrucken.

Immerhin gelang Sulla die Zusammenstellung eines prächtigen Zuges. Auf flachen Festwagen waren die denkwürdigsten Szenen des africanischen Feldzuges dargestellt, von den Schnecken am Mulucha bis zu jener erstaunlichen syrischen Prophetin Martha.

Martha war der Höhepunkt des Spektakels. Auf einem riesigen Wagen hatte man Prinz Gaudas Thronsaal in Karthago naturgetreu nachgebaut, und dort lag Martha auf einer mit Purpur und Gold überzogenen Liege. Ein Schauspieler stellte Marius dar; ein anderer in Schnabelschuhen Gauda. Auf einem weiteren, verschwenderisch geschmückten, flachen Rollwagen ließ Sulla Marius’ persönliche militärische Auszeichnungen zur Schau stellen. Es folgten Wagen mit Beute und Siegestrophäen, mit Rüstungen der Feinde und anderen sehenswerten Schaustücken, jeweils so drapiert, daß die Zuschauer ein Stück nach dem anderen anschauen und bewundern konnten. Danach kamen Wagen mit Löwen in Käfigen, mit exotischen Affen und Äffchen, und zwei Dutzend Elefanten, die beim Gehen mit ihren großen Ohren fächelten. Alle sechs Legionen des africanischen Heeres sollten mitmarschieren.

Die Soldaten mußten allerdings zuerst ihre Speere, Dolche und Schwerter abgeben. Stattdessen bekamen sie hölzerne, mit Siegeslorbeer bekränzte Stäbe.

»Und daß ihr mir nicht einschlaft! Marschieren sollt ihr, ihr Bastarde!« brüllte Marius, als die Soldaten abmarschbereit auf dem abgetretenen Rasen vor der Villa Publica standen. »Ich muß zur sechsten Stunde auf dem Kapitol sein, ich kann also nicht auf euch aufpassen. Aber wehe, ihr macht mir Schande! Dann helfen euch auch die Götter nicht, fellatores

Sie liebten es, wenn er so obszön zu ihnen sprach. Aber, dachte Sulla, sie liebten ihn, egal was er sagte.

Auch Jugurtha marschierte im Triumphzug mit, angetan mit seinem königlichen Purpurgewand. Um den Kopf hatte er zum letzten Mal das mit Quasten behängte weiße Band geschlungen, das »Diadem«, und um Hals und Arme trug er goldene Ketten, Ringe und Reifen, die in der frühen Morgensonne blitzten. Es war ein strahlender Wintertag, weder besonders kalt noch übermäßig windig. Neben Jugurtha gingen seine beiden Söhne, gleichfalls in Purpur gekleidet.

Jugurtha war wie betäubt in Rom angekommen. Damals, als er mit Bomilkar Rom verlassen hatte, hatte er fest geglaubt, daß er nie wieder zurückkehren würde. Jetzt war er wieder hier; in der Terrakotta-Stadt mit den leuchtenden Farben - den bemalten Säulen, den bunten Wänden und den vielen Statuen, die so lebendig wirkten, als würden sie jeden Augenblick anfangen zu beten, zu kämpfen, zu reiten oder zu weinen. Das Weiß Africas fehlte in Rom völlig. Man baute hier nicht mehr viel mit Lehmziegeln, und man kalkte die Wände nicht weiß, sondern malte sie farbig an. Überall Hügel und steile Abhänge, weite Parks, schlanke Zypressen und schirmförmige Pinien, dazu auf hohen Sockeln aufragende Tempel, auf deren obersten Giebeln geflügelte Siegesgöttinnen die Peitsche über vierspännigen Quadrigen schwangen, und die langsam wieder grünende Narbe, die das große Feuer auf dem Viminal und dem oberen Esquilin hinterlassen hatte. Rom, die wohlfeile Stadt. Was für eine Tragödie, daß er nicht das Geld hatte auftreiben können, sie zu kaufen! Wie anders wäre dann vielleicht alles gekommen.

Quintus Caecilius Metellus Numidicus hatte Jugurtha bei sich aufgenommen, als Ehrengast, der allerdings das Haus nicht verlassen durfte. Im Schutz der Dunkelheit hatte man ihn hergebracht, und seit Monaten wohnte er jetzt hier. Die Loggia mit Blick auf Forum und Kapitol war ihm versperrt, er konnte nur wie ein gefangener Löwe, als der er sich auch fühlte, im Garten des Peristyls auf und ab schreiten. Sein Stolz ließ nicht zu, daß er sein Äußeres vernachlässigte. Täglich rannte er auf der Stelle, streckte sich zu seinen Zehen hinunter, machte Schattenboxen und zog sich mit den Armen an einem Ast wie an einer Stange empor, bis er das Holz mit dem Kinn berührte. Wenn er in Gaius Marius’ Triumphzug marschierte, sollten sie ihn bewundern, die Römer von der Straße - sie sollten erkennen, daß er ein gewaltiger Gegner gewesen war, kein verweichlichter orientalischer Potentat.

Zu Metellus Numidicus hatte er Abstand gehalten. Er wollte nicht das Selbstbewußtsein des einen Römers auf Kosten des anderen stärken - für seinen Gastgeber eine herbe Enttäuschung, wie Jugurtha sofort spürte. Numidicus hatte gehofft, Jugurtha werde ihm Beweise dafür liefern, daß Marius seine Stellung als Prokonsul mißbraucht hatte. Daß Numidicus leer ausging, war für Jugurtha eine geheime Genugtuung. Er wußte, vor welchem Römer er Angst gehabt hatte, und er war froh, daß jener Römer ihn bezwungen hatte, nicht Numidicus. Natürlich war Numidicus ein vornehmer Patrizier, auf seine Art auch ein integrer Mensch, aber als Mann und Soldat konnte er Gaius Marius nicht entfernt das Wasser reichen.

Für Metellus Numidicus war Gaius Marius natürlich nur ein Bastard, aber gerade Jugurtha wußte sehr gut, was es hieß, ein Bastard zu sein, und das erfüllte ihn mit einer seltsam unsentimentalen Zuneigung zu Marius.

In der Nacht vor Gaius Marius’ Einzug in Rom als Triumphator und als zum zweiten Mal gewählter Konsul richteten Metellus Numidicus und sein stotternder Sohn ein Essen für Jugurtha und dessen beide Söhne aus. Als einziger weiterer Gast war, auf Jugurthas ausdrücklichen Wunsch, Publius Rutilius Rufus geladen. Damit fehlte von den Schrecklichen Drei, die in Numantia zusammen unter Scipio Aemilianus gekämpft hatten, nur Marius.

Es wurde ein seltsamer Abend. Metellus Numidicus hatte keinen Aufwand gescheut und für ein opulentes Mahl gesorgt, denn - so sagte er - er gedachte nicht, auf Kosten von Gaius Marius nach der Antrittssitzung des Senats im Tempel des Jupiter Optimus Maximus zu speisen.

»Aber man bekommt kaum noch eine Languste, eine Auster, eine Schnecke oder sonst etwas Besonderes«, sagte Numidicus, als sie sich zum Essen niederließen. »Marius hat die Märkte leergekauft.«

»Kann man ihm das zum Vorwurf machen?« fragte Jugurtha, als Rutilius Rufus schwieg.

»Ich mache Gaius Marius alles zum Vorwurf«, erwiderte Numidicus.

»Du tust unrecht daran. Wenn ihr Patrizier ihn aus euren eigenen Reihen hervorgebracht hättet, Quintus Caecilius, gut und schön. Aber ihr konntet nicht. Rom hat Gaius Marius hervorgebracht. Ich meine nicht die Stadt Rom oder das römische Reich - ich meine Roma, die unsterbliche Göttin, den Genius der Stadt und ihren Lebensquell. Ein Mann wurde gebraucht, und er wurde gefunden.«

»Es gibt auch echte Römer mit der richtigen Abstammung, die hätten tun können, was Gaius Marius getan hat«, beharrte Numidicus. »Eigentlich hätte sogar ich an seiner Stelle stehen sollen. Gaius Marius hat mir das imperium gestohlen, und morgen erntet er, was ich verdient habe.« Verärgert durch den ungläubigen Blick, der sich auf Jugurthas Gesicht stahl, fügte er hinzu: »Es war zum Beispiel gar nicht Gaius Marius, der dich gefangen hat, König. Der Mann, der dich gefangen nahm, hat die richtige Familie und die richtigen Vorfahren - Lucius Cornelius Sulla. Man könnte mit einigem Recht sagen, daß Lucius Cornelius den Krieg beendet hat, nicht Gaius Marius.« Er holte tief Luft. Soeben hatte er den eigenen Anspruch auf Vorrang auf dem Altar eines anderen Aristokraten namens Lucius Cornelius Sulla geopfert. »Lucius Cornelius ist in jeder Beziehung ein rechtdenkender und wirklich römischer Gaius Marius.«

»Nein!« spottete Jugurtha, der gemerkt hatte, daß Rutilius Rutilius ihn fixierte. »Sulla ist ein anderer Schlag. Gaius Marius ist gerader, wenn du verstehst, was ich meine.«

»Ich habe nicht die leiseste Vorstellung«, erwiderte Numidicus steif.

Rutilius Rufus lächelte amüsiert. »Ich weiß genau, was du meinst.«

Jugurtha bedachte Rutilius Rufus mit dem alten numantinischen Grinsen. »Gaius Marius ist ein Eigenbrötler«, sagte er dann, »die vollendete Frucht eines übersehenen, ganz normalen Baumes auf der anderen Seite der Gartenmauer. Solche Männer kann man nicht aufhalten oder in eine andere Richtung lenken, mein lieber Quintus Caecilius. Ihre innere Größe, ihr Mut, ihr Verstand und ein unsterblicher Funke lassen sie jedes Hindernis überwinden, das sich ihnen in den Weg stellt. Die Götter lieben sie, schütten über sie das ganze Füllhorn Fortunas aus. Ein Gaius Marius geht deshalb immer geradeaus. Selbst dann, wenn er krumme Wege gehen muß, geht er geradeaus!«

»Wie recht du hast!« sagte Rutilius Rufus.

»Lu-Lu-Lucius Co-Co-Cornelius ist be-be-be-besser!« stotterte Metellus das Ferkel wütend.

»Nein!« Jugurtha schüttelte entschieden den Kopf. »Unser Freund Lucius Cornelius hat den Verstand... und den Mut... und vielleicht auch die innere Größe... aber ich glaube nicht, daß er jenen unsterblichen Funken hat. Der krumme Weg ist für ihn der natürliche, er sieht darin den geraden Weg. Wer auf einem Maultier glücklicher ist, gehört nicht auf einen Kriegselefanten. Sicher, tapfer wie ein Stier! Aber Lucius Cornelius hört Mars nicht. Während Gaius Marius gar nichts anderes hört. Ist nicht übrigens ›Marius‹ eine lateinische Verballhornung von ›Mars‹? Vielleicht Sohn des Mars? Du weißt es nicht? Ich glaube, du willst es gar nicht wissen, Quintus Caecilius! Schade. Latein ist eine so kraftvoll klingende Sprache. So knapp und doch fließend.«

»Erzähl mir mehr von Lucius Cornelius Sulla«, bat Rutilius Rufus. Er nahm sich ein Stück frisches Weißbrot und ein gewöhnliches Ei.

Jugurtha verschlang gierig eine Schnecke nach der anderen, denn seit Beginn seiner Gefangenschaft hatte er keine mehr gegessen. »Was soll ich erzählen? Er ist ein Produkt seiner Klasse. Was er macht, macht er gut. So gut, daß neun von zehn Zeugen nie ergründen werden, ob er es so gut macht, weil er ein Naturtalent ist, oder nur, weil er sehr intelligent und gründlich geschult ist. In der ganzen Zeit, die ich mit ihm zusammen war, habe ich kein einziges Anzeichen an ihm bemerkt, das mir gesagt hätte, wo seine natürliche Begabung liegt - oder, anders ausgedrückt, seine eigentliche Berufung. Sicher, er kann Kriege gewinnen und erfolgreich Politik machen, das bezweifle ich nicht - aber nicht mit Leib und Seele.«

Das Kinn des Ehrengastes glänzte vom Öl der Knoblauchsoße. Jugurtha schwieg, während ein Sklave die rasierten und bärtigen Teile seines Gesichts säuberte und abtrocknete. Dann ließ er einen enormen Rülpser ertönen und fuhr fort: »Er wird sich immer für den zweckmäßigen Weg entscheiden, weil ihm die unbedingte Entschlossenheit fehlt, die nur jener unsterbliche Funke einem Menschen geben kann. Wenn Lucius Cornelius vor einer Alternative steht, entscheidet er sich für den Weg, von dem er glaubt, daß er ihn mit den geringsten Kosten ans Ziel bringt. Er ist einfach nicht so unbedingt wie Gaius Marius - oder nicht so weitsichtig, fürchte ich.«

»Wo-Wo-Wo-Woher w-w-weißt du so v-v-v-viel über Lu-Lu-Lu-Lucius Cornelius?« fragte Metellus das Ferkel.

»Ich habe einst einen bemerkenswerten Ritt mit ihm unternommen«, sagte Jugurtha nachdenklich, während er seine Zähne mit einem Zahnstocher bearbeitete. »Und wir sind einmal mit dem Schiff an der africanischen Küste entlang von Icosium nach Utika gefahren. Wir waren viel zusammen.« Die Art, wie er das sagte, ließ die anderen aufhorchen. Was meinte er damit? Aber keiner wagte zu fragen.

Salate wurden hereingetragen, gefolgt von gebratenem Fleisch. Metellus Numidicus und seine Gäste fielen mit Appetit darüber her, nur den beiden jungen Prinzen Iampsas und Oxyntas schien es nicht zu schmecken.

»Sie wollen mit mir sterben«, sagte Jugurtha halblaut zu Rutilius Rufus.

»Der Senat würde nicht zustimmen«, sagte Rutilius Rufus.

»Das habe ich ihnen auch gesagt.«

»Wissen sie, wohin sie kommen?«

»Oxyntas in die Stadt Venusia, wo immer das liegt, und Iampsas nach Asculum Picentum, auch eine mysteriöse Stadt.«

»Venusia liegt im Süden der Campania an der Straße nach Brundisium, und Asculum Picentum liegt nordöstlich von Rom, auf der anderen Seite der Apenninen. Es wird ihnen dort nicht schlechtgehen.«

»Wie lange soll ihre Gefangenschaft dauern?«

Rutilius Rufus überlegte, dann zuckte er die Achseln. »Schwer zu sagen. Mit Sicherheit einige Jahre. Bis der Magistrat der Stadt einen Bericht an den Senat schreibt, in dem steht, daß die beiden so gründlich mit der römischen Sicht der Welt indoktriniert wurden, daß sie keine Gefahr mehr für Rom bedeuten, wenn man sie nach Hause schickt.«

»Dann bleiben sie wohl ihr Leben lang dort. Es wäre besser, sie würden mit mir sterben, Rutilius Rufus!«

»Nein, Jugurtha, ganz sicher sein kann man nie. Wer weiß, was die Zukunft für sie bringt?«

»Das ist wahr.«

Das Mahl schritt fort, noch mehr Braten und Salate wurden aufgetischt, zum Nachtisch gab es Zuckerwerk, Gebäck, Honigkonfekt, Käse, die wenigen Früchte der Saison und Dörrobst. Nur Iampsas und Oxyntas hatten keine rechte Freude an den Leckereien.

Als die Reste abgetragen waren und unverdünnter Wein des besten Jahrgangs in den Gläsern schimmerte, wandte sich Jugurtha an Metellus Numidicus. »Sag, Quintus Caecilius, was wirst du tun, wenn eines Tages ein anderer Gaius Marius auftauchen sollte, mit der ganzen Begabung, Kraft und Weitsicht des Gaius Marius und jenem unsterblichen Funken - ein Gaius Marius, der aber von Geburt ein römischer Patrizier ist?«

Numidicus sah ihn verständnislos an. »Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst, König«, sagte er. »Gaius Marius ist Gaius Marius.«

»Er ist nicht unbedingt einzigartig. Was würdest du mit einem Gaius Marius tun, der aus einer Patrizierfamilie kommt?«

»Das ist unmöglich.«

»Unsinn, natürlich ist es möglich.« Jugurtha ließ einen Schluck des erlesenen Weines aus Chios auf der Zunge zergehen.

Rutilius Rufus mischte sich ein: »Jugurtha, ich glaube, Quintus Caecilius meint, daß Gaius Marius ein Produkt seiner Klasse ist.«

»Ein Gaius Marius kann aus jeder Klasse kommen«, beharrte Jugurtha.

Diesmal schüttelten die Römer einvernehmlich die Köpfe. Rutilius Rufus sprach für die anderen: »Nein. Was du sagst, mag für Numidien gelten oder für ein anderes Land. Aber niemals für Rom! Kein römischer Patrizier könnte je so denken oder handeln wie Gaius Marius.«

Seine Worte ließen keinen Widerspruch zu. Nach einigen weiteren Gläsern Wein löste die Gesellschaft sich auf. Publius Rutilius Rufus ging nach Hause, und die anderen verteilten sich auf ihre Schlafzimmer im Haus des Metellus Numidicus. Wohlig gesättigt und befriedigt von den erlesenen Speisen, dem Wein und der angenehmen Gesellschaft, sank Jugurtha von Numidien in einen tiefen, friedlichen Schlaf.

Als Jugurtha zwei Stunden vor Anbruch der Dämmerung von dem Sklaven geweckt wurde, den man ihm als Hausdiener zugeteilt hatte, fühlte er sich frisch und gestärkt. Man gestattete ihm, ein heißes Bad zu nehmen, dann wurde er mit größter Sorgfalt frisiert und angekleidet. Mehrere Sklaven drehten mit erhitzten Zangen seine Haare zu langen, wurstförmigen Locken und kräuselten seinen schmucken Bart. Durch die Haare flochten sie Gold- und Silberschnüre, und Wangen und Kinn rasierten sie sorgfältig. Als König Jugurtha aus seiner Kammer trat, gesalbt mit duftenden Ölen und angetan mit seinem Diadem und seinen sämtlichen Juwelen - die von den Beamten der Finanzverwaltung bereits katalogisiert worden waren und am Tag nach dem Triumph zum Marsfeld gebracht werden sollten, wo die Beute verteilt wurde -, sah er wieder aus wie der hellenisierte Herrscher, der er gewesen war, eine königliche Erscheinung von Kopf bis Fuß.

»Heute«, sagte er zu seinen Söhnen, während sie in offenen Sänften zum Marsfeld getragen wurden, »sehe ich Rom zum ersten Malin meinem Leben.«

Sulla empfing sie persönlich inmitten des Chaos, das um ihn herum ausgebrochen schien, beleuchtet nur vom Schein der Fackeln. Aber über dem Kamm des Esquilin brach bereits die Morgendämmerung an, und Jugurtha vermutete, daß der Eindruck von Chaos nur durch die riesige Menschenmasse vor der Villa Publica entstand, und daß in Wirklichkeit Disziplin und Ordnung herrschten.

Man hatte ihn in Ketten gelegt, doch das war lediglich symbolisch. Wohin hätte ein punischer Kriegerkönig in Italien fliehen sollen?

»Wir haben gestern abend über dich gesprochen«, sagte Jugurtha aufgeräumt zu Sulla.

»Ach ja?« Sulla trug einen glänzenden silbernen Brustpanzer, silberne Beinschienen, einen attischen Helm aus Silber mit einem wallenden Helmbusch aus scharlachroten Federn und einen scharlachroten Soldatenmantel. Für Jugurtha, der ihn nur im breitkrempigen Strohhut kannte, war er ein Fremder. Hinter Sulla trug ein Leibsklave ein Gestell, an dem seine Tapferkeitsmedaillen hingen, eine eindrucksvolle Sammlung.

»Ja«, sagte Jugurtha immer noch gutgelaunt. »Wir haben darübergesprochen, wer eigentlich den Krieg gegen mich gewonnen hat - Gaius Marius oder du.«

Sulla hob den Blick und sah Jugurtha an. Das Weiß seiner Augen leuchtete im Dunkel auf. »Eine interessante Unterhaltung, König. Auf welche Seite hast du dich gestellt?«

»Auf die Seite des Rechts. Ich sagte, daß Gaius Marius den Krieg gewonnen hat. Er traf die Entscheidungen, und es waren seine Männer, die kämpften, darunter auch du. Und du hast meinen Schwiegervater Bocchus auf seinen Befehl hin aufgesucht.« Jugurtha hielt inne und lächelte. »Mein einziger Verbündeter war mein alter Freund Publius Rutilius. Quintus Caecilius und sein Sohn behaupteten beide, du hättest den Krieg gewonnen, weil du mich gefangengenommen hast.«

»Du hast dich auf die Seite des Rechts gestellt«, sagte Sulla.

»Die Seite des Rechts ist relativ.«

»Nicht in diesem Fall«, sagte Sulla. Seine Federn nickten in die Richtung, wo Marius’ Soldaten scheinbar ziellos durcheinanderliefen. »Ich werde mit Soldaten nie so gut umgehen können wie er. Ich kann keine kameradschaftlichen Gefühle für sie aufbringen.«

»Du verbirgst es gut«, sagte Jugurtha.

»Aber sie wissen es, glaube mir. Es stimmt - Marius hat den Krieg gewonnen, zusammen mit seinen Soldaten. Was ich getan habe, hätte jeder andere Legat auch tun können.« Er atmete tief ein. »Du hattest also einen angenehmen Abend, König?«

»Sehr angenehm!« Jugurtha klimperte mit den Ketten. Wie leicht sie waren, ohne Mühe zu tragen. »Quintus Caecilius und sein stotternder Sohn haben ein königliches Mahl für mich ausgerichtet. Wenn man einen Numider fragt, was er am Tag vor seinem Tod essen will, verlangt er immer Schnecken. Und gestern abend gab es Schnecken.«

»Dann bist du jetzt satt und zufrieden, König?«

Jugurtha grinste. »Allerdings! Die richtige Vorbereitung auf die Schlinge des Henkers, will ich meinen.«

»Aber über die Art deines Todes bestimme ich.« Sulla grinste jetzt ebenfalls, mit entblößtem Gebiß, und das Grinsen auf seinem hellen Gesicht war viel grimmiger als das des Africaners Jugurtha.

Jugurthas Lächeln erstarb. »Was willst du damit sagen?«

»Ich habe die organisatorische Leitung dieses Triumphzuges, König Jugurtha. Das heißt, ich bestimme, wie du stirbst. Normalerweise würdest du mit einer Schlinge erdrosselt, das ist richtig. Aber das ist nicht Vorschrift. Es gibt eine alternative Methode: Du wirst durch das Deckenloch des Tullianum in den Kerker geworfen und verrottest dort.« Sullas Grinsen wurde breiter. »Nach einem so königlichen Mahl, und besonders nachdem du versucht hast, Zwietracht zwischen mir und meinem Vorgesetzten zu säen, wäre es doch zu schade, wenn du keine Gelegenheit hättest, deine Schnecken in Ruhe zu verdauen. Also keine Schlinge für dich, König. Du stirbst Zoll für Zoll.«

Zum Glück standen seine Söhne zu weit weg, um Sullas Worte zu hören. Unbewegt sah der König zu, wie Sulla zum Abschied grüßend die Hand hob und zu Iampsas und Oxyntas ging, um ihre Ketten zu überprüfen. Dann betrachtete Jugurtha das hektische Treiben: die Scharen von Sklaven, die Kränze und Girlanden aus Lorbeer austeilten, die Musikanten, die ihre Hörner und die bizarren, wie Pferdeköpfe geformten Trompeten stimmten, die Ahenobarbus aus Gallia Cisalpina mitgebracht hatte, die Tänzer, die in letzter Minute noch ihre Drehungen probten, die schnaubenden und wiehernden Pferde, die ungeduldig mit den Hufen scharrten, die Ochsen mit vergoldeten Hörnern und Girlanden geschmückten Hälsen, jeweils ein Dutzend vor einen Wagen gespannt, einen kleinen, Wasser tragenden Esel, der einen lächerlichen, mit Lorbeer bekränzten Strohhut trug, aus dem rechts und links seine großen Ohren ragten, eine zahnlose, grell geschminkte alte Hexe mit baumelnden, leeren Brüsten, von Kopf bis Fuß in Gold und Purpur gekleidet, die soeben auf einen der Schauwagen gehievt wurde und sich dort auf einem purpurnen Diwan räkelte wie der Welt größte Kurtisane. Sie starrte Jugurtha unverwandt in die Augen, starrte ihn an wie der dreiköpfige Höllenhund Zerberus - auch sie hätte eigentlich drei Köpfe haben müssen.

Der Zug setzte sich in Marsch, und Schweigen kehrte ein. Gewöhnlich marschierten Senatoren und Beamte - außer den Konsuln - vorneweg, gefolgt von Musikanten, Tänzern und Possenreißern, die bekannte Persönlichkeiten aufs Korn nahmen. Dann kamen die Wagen mit der Beute und den szenischen Darstellungen, danach die Opfertiere, die von Priestern und weiteren Tänzern, Musikanten und Possenreißern geleitet wurden, danach die wichtigsten Gefangenen und der triumphierende Feldherr auf dem alten Kriegswagen. Als letzte marschierten die Legionen des Feldherrn. Gaius Marius hatte die Reihenfolge allerdings in einem Punkt geändert. Er fuhr vor den Wagen mit der Beute und den szenischen Darstellungen, damit er rechtzeitig auf dem Kapitol eintraf und nach dem Tieropfer, der Amtsübergabe und der ersten Senatssitzung noch genügend Zeit für das Fest im Tempel des Jupiter Optimus Maximus hatte.

Jugurtha hatte sich wieder gefaßt und genoß seinen ersten - und letzten - Gang zu Fuß durch die Straßen Roms. Was machte es schon, wie er starb? Sterben mußte jeder früher oder später; und er hatte ein erfülltes Leben gehabt, auch wenn es in der Niederlage geendet hatte. Er hatte ihnen für ihr Geld einiges geboten, diesen Römern. Sein toter Bruder Bomilkar... auch er war im Kerker gestorben, fiel ihm jetzt ein. Vielleicht erregte Brudermord das Mißfallen der Götter; auch wenn es einen guten Grund dafür gab. Wahrscheinlich hatten nur die Götter mitgezählt, wie viele aus seiner Verwandtschaft auf sein Geheiß hatten sterben müssen, wenn auch nicht durch seine Hände. Aber machte das seine Hände sauber?

Wie hoch die Wohnhäuser waren! Die Marschierenden bogen zügig in den Vicus Tuscus im Velabrum ein, einem dicht mit Mietshäusern bebauten Stadtteil. Die Ziegelmauern der Häuser lehnten so schief über die engen Gassen, als wollten sie einander umarmen. An jedem Fenster waren Gesichter zu sehen, die etwas riefen. Erstaunt vernahm Jugurtha, daß sie auch ihm zujubelten und ihn mit Worten der Ermutigung und allen guten Wünschen in den Tod schickten.

Der Zug traf auf dem Rindermarkt, dem Forum Boarium, ein. Die nackte Statue des Herkules Triumphalis war zur Feier des Tages mit den Insignien des triumphierenden Feldherrn geschmückt - der goldpurpurnen toga picta, der mit Palmen bestickten purpurnen tunica palmata, dem Lorbeerzweig in der einen und dem adlerbekrönten Elfenbeinzepter in der anderen Hand, das Gesicht leuchtend rot mit minium geschminkt. Der Markt war für diesen Tagoffensichtlich ausgesetzt worden, denn vor den prächtigen Tempeln, die den riesigen Platz säumten, waren keine Buden und Verkaufsstände zu sehen. Jugurthas Blick fiel auf den Tempel der Ceres, schönster Tempel der Stadt genannt - und er war tatsächlich von einer grellen Schönheit auf seinem hohen Sockel wie alle römischen Tempel, bemalt in Rot und Blau und Grün und Gelb. Jugurtha wußte, daß der Tempel das Heiligtum der Plebs war, daß er deren Archiv beherbergte und Sitz der plebejischen Ädilen war.

Der Zug marschierte jetzt durch den Circus Maximus. Jugurtha hatte noch nie ein so großes Bauwerk gesehen: Es erstreckte sich über die gesamte Länge des Palatin und bot Platz für rund 150 000 Menschen. Auf den hölzernen Tribünen drängte sich aus Anlaß des Triumphzuges eine johlende Menge. Da Jugurtha nicht weit vor Marius ging, hörte er, wie die Jubelrufe hinter ihm zu hysterischer Begeisterung für den siegreichen Feldherrn anschwollen. Es schien die Menge nicht zu stören, daß die Soldaten so schnell marschierten, denn Marius hatte durch seine Klienten und Agenten das Gerücht ausstreuen lassen, er marschiere so schnell aus Sorge um Rom: Er wolle keine Zeit verlieren, um möglichst schnell nach Gallia Transalpina zu den Germanen aufbrechen zu können.

Auch die mit Bäumen bestandenen Plätze und die prächtigen Häuser auf dem Palatin waren dicht mit Zuschauern besetzt, überwiegend Frauen, Kindermädchen und Jungen und Mädchen aus guten Familien, wie Jugurtha erfahren hatte, die hier, über der gemeinen Herde, vor Übergriffen und Diebstählen sicher waren. Der Zug verließ den Circus Maximus und bog in die Via Triumphalis ein, die am anderen Ende des Palatin vorbeiführte. Links stieg ein parkartiges, mit Felsen durchsetztes Gelände an, rechts erstreckte sich am Fuß des Caelius-Hügels ein weiteres Viertel mit hoher Mietshäusern. Sie kamen zum Palus Ceroliae, dem Sumpf unterhalb der Carinae und des Fagutal, und nach einer weiteren Biegung auf die Velia. Dann stiegen sie auf dem ausgetretenen Pflaster der alten heiligen Straße, der Via Sacra, zum Forum Romanum hinunter. Endlich würde er es sehen, das Zentrum der Welt, wie in den alten Tagen die Akropolis das Zentrum der Welt gewesen war.

Und dann lag es vor ihm, das Forum Romanum, und er warenttäuscht. Die Bauten waren klein und alt, die Fassaden nicht auf das Forum ausgerichtet, sondern schräg nach Norden, während das Forum selbst von Nordwesten nach Südosten verlief. Der ganze Ort schien planlos angelegt und dem Verfall preisgegeben. Die neueren Gebäude standen zwar im rechten Winkel zum Platz, waren aber kaum besser gepflegt. Was sie bisher erblickt hatten, war weitaus eindrucksvoller gewesen, und die Tempel am Weg hatten größer, reicher und imposanter gewirkt. Zugegeben, die Häuser der Priester waren vor nicht allzu langer Zeit frisch angemalt worden, und der kleine Rundtempel der Vesta war hübsch, aber sonst fielen nur der hohe Tempel des Castor und Pollux auf und der mächtige Tempel des Saturn mit seinen strengen dorischen Säulen. Beide Gebäude waren in ihrer Art bewundernswert, doch insgesamt war es ein grauer, freudloser Platz in einer sumpfigen Niederung.

Auf der Höhe des Saturntempels, von dessen Sockel die Hüter des Staatsschatzes den Zug verfolgten, wurden Jugurtha, seine Söhne und diejenigen seiner Edlen und Frauen, die man mit ihm gefangen hatte, aus dem Zug zur Seite geführt. Da standen sie nun und sahen die Liktoren des Feldherrn vorüberziehen, gefolgt von Tänzern und Musikanten und den Trägern der Räucherfässer, Trommlern und Trompetern, Legaten und schließlich dem Feldherrn selbst auf seinem Streitwagen, unnahbar und fremd im Schmuck seiner Insignien und mit seinem mit minium bemalten Gesicht. Der Zug wand sich den Hügel hinauf zum großen Tempel des Jupiter Optimus Maximus. Die säulengeschmückte Seite des Tempels zeigte zum Forum, da auch dieser Tempel in Nord-Süd-Richtung ausgerichtet war. Die Fassade des Tempels ging nach Süden. Nach Numidien.

Jugurtha sah seine Söhne an. »Lebt wohl, und lebt lange«, sagte er. Sie gingen in die Gefangenschaft in ferne römische Städte, während seine Edlen und Frauen nach Numidien zurückkehren wurden.

Die Liktoren der Wache, die den König umgaben, zogen an seinen Ketten, und er folgte ihnen über den überfüllten Platz des unteren Forums, vorbei an den Bäumen am Lacus Curtius und die Statue des Flöte spielenden Satyrs Marsyas, um den großen, von Sitzreihen umgebenen Platz herum, auf dem sich die Tribus trafen, und hinauf zum Anfang des Clivus Argentarius. Über sich sah er die Arx des Kapitols und den Tempel der Juno Moneta, der die Münze beherbergte. Und dort drüben, auf der anderen Seite des Comitiums, stand das alte, heruntergekommene Senatsgebäude, und jenseits davon die kleine, heruntergekommene Basilica Porcia, die Cato der Zensor gebaut hatte.

Und hier war sein Marsch durch Rom zu Ende. In die Flanke des Hügels der Arx neben der Gemonischen Treppe duckte sich das Tullianum, ein kleines, graues Gebäude mit Mauern aus riesigen, ohne Mörtel aufeinandergeschichteten Quadern. Solche Mauern hießen überall auf der Welt kyklopische Mauern. Das Gebäude hatte nur ein Stockwerk und nur einen Zugang, eine türlose, rechteckige Öffnung im Stein. Jugurtha wollte den Kopf einziehen, als er an den Eingang kam, um nicht anzustoßen, aber er konnte aufrecht hindurchgehen: Die Öffnung war größer als der größte Sterbliche.

Die Liktoren nahmen ihm seine Kleider, Geschmeide und das Diadem weg und übergaben alles den bereits wartenden Beamten des Staatsschatzes. Eine Empfangsbescheinigung wechselte die Hände, und damit war offiziell bestätigt, daß das Staatseigentum ordnungsgemäß übergeben worden war. Jugurtha durfte nur sein Lendentuch anbehalten. Metellus Numidicus hatte ihm geraten, es zu tragen, denn er wußte, was Jugurtha bevorstand. War der Quell seiner physischen Existenz anständig bedeckt, konnte der Mensch anständig in den Tod gehen.

Der Raum wurde nur durch die Öffnung hinter Jugurtha erhellt, aber im Dämmerlicht konnte er das runde Loch in der Mitte des Bodens erkennen. Durch dieses Loch würde man ihn stoßen. Hätte man beabsichtigt, ihn zu erdrosseln, dann hätte der Henker ihn, zusammen mit einigen Helfern, die ihn festhalten sollten, in das untere Gelaß begleitet. Nach getaner Tat hätte man seine Leiche in einen Abwasserkanal geworfen, und die Lebenden wären die Leiter wieder emporgeklettert ins Licht Roms und der Welt.

Aber Sulla hatte sich offensichtlich tatsächlich darum gekümmert, daß das übliche Verfahren geändert wurde, denn kein Henker stand bereit. Jemand holte eine Leiter, aber Jugurtha stieß sie unwirsch zur Seite. Er trat an den Rand des Lochs, dann machte er einen Schritt ins Leere, und kein Laut drang dabei über seine Lippen. Welcher Worte hätte es auch noch bedurft? Unmittelbar darauf ertönte ein dumpfer Aufprall, denn das untere Gelaß war nicht besonders tief. Als die Liktoren ihn hörten, drehten sie sich schweigend um und verließen den Ort. Keiner verschloß das Loch mit einem Deckel, keiner verbarrikadierte den Eingang. Denn keiner kletterte je wieder aus dem finsteren Kerker unter dem Tullianum.

Zwei weiße Ochsen und einen weißen Stier stiftete Marius für die Tieropfer dieses Tages. Am Fuß der Treppe zum Tempel des Jupiter Optimus Maximus hielt er den von vier Pferden gezogenen Streitwagen an und stieg allein die Stufen hinauf. Im Hauptraum des Tempels legte er seinen Lorbeerzweig und den Lorbeerkranz zu Füßen der Statue des Jupiter Optimus Maximus nieder. Nach ihm kamen seine Liktoren herein und opferten ihre Lorbeerkränze gleichfalls dem Gott.

Es war erst Mittag. Noch kein Triumphzug war so schnell über die Bühne gegangen. Der Rest des Zuges - der größte Teil - ließ sich allerdings mehr Zeit, so daß die Zuschauer in aller Ruhe die dargestellten Szenen, Schauwagen, Beutestücke, Siegestrophäen und Soldaten ansehen konnten. Für Marius kam jetzt der wichtigste Teil des Tages. Das Gesicht noch rot geschminkt und bekleidet mit der golddurchwirkten Purpurtoga und der mit Palmwedeln bestickten Tunika, das elfenbeinerne Zepter in der Rechten, schritt er die Stufen zu den versammelten Senatoren hinunter. Er ging rasch, denn erwollte die Amtsübernahme hinter sich bringen. Die Kleidung behinderte ihn, aber das war ein Übel, mit dem er fertig werden konnte.

»Fangen wir an!« sagte er ungeduldig.

Auf seine Worte folgte eisiges Schweigen. Keiner der Senatoren bewegte sich, keiner verriet durch ein Zucken des Gesichts, was er dachte. Selbst Marius’ Amtskollege Gaius Flavius Fimbria und der Konsul des Vorjahres, Publius Rutilius Rufus, standen da wie versteinert. Gnaeus Mallius Maximus hatte sich krankheitshalber entschuldigen lassen.

»Was ist los?« fragte Marius gereizt.

Da trat Sulla aus der Menge, nicht mehr die kriegerische Erscheinung in silberner Paraderüstung, sondern vorschriftsgemäß mit der Toga bekleidet. Er lächelte breit und hatte die Hand ausgestreckt, jeder Zoll der hilfreiche, aufmerksame Quästor.

»Aber Gaius Marius«, rief er laut, »du hast sicher nicht daran gedacht.« Er faßte Marius an der Schulter und drehte ihn mit einem Griff herum, der unerwartete Stärke verriet. »Geh nach Hause und zieh dich um, Mensch!« flüsterte er.

Marius öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, da sah er geheime Schadenfreude auf dem Gesicht von Metellus Numidicus und besann sich eines anderen. Mit einer theatralischen Geste faßte er sich ins Gesicht und betrachtete dann seine gerötete Handfläche. »Ihr Götter!« rief er, das Gesicht wie im Scherz verzogen. Und an die Senatoren gewandt: »Ich bitte um Vergebung, eingeschriebene Väter. Ihr wißt, ich möchte sobald wie möglich zu den Germanen aufbrechen, aber das ist natürlich lächerlich! Bitte entschuldigt mich. Ich bin gleich wieder zurück. Die Insignien des Feldherrn - auch des triumphierenden Feldherrn - dürfen natürlich nicht in einer Senatssitzung innerhalb des pomerium getragen werden.« Und als er sich über das Asylum in Richtung Arx entfernte, rief er über die Schulter zurück: »Ich danke dir, Lucius Cornelius!«

Sulla löste sich aus der Menge der schweigenden Senatoren und eilte ihm nach.

»Ich muß dir wirklich danken«, sagte Marius, als Sulla ihn einholt hatte. »Aber warum um alles in der Welt ist es denn so wichtig? Jetzt müssen sie eine Stunde im eisigen Wind warten, während ich das Zeug in meinem Gesicht abwasche und die toga praetexta anlege!«

»Ihnen ist es wichtig«, sagte Sulla, »und ich glaube, mir auch.« Seine Beine waren kürzer als die von Marius, er mußte deshalb schnellere Schritte machen. »Du brauchst die Senatoren noch, Gaius Marius, verärgere sie heute also bitte nicht noch mehr! Sie waren schon nicht glücklich, als sie ihre Eröffnungssitzung mit deinem Triumph teilen sollten. Mach es ihnen nicht noch schwerer!«

»Ist ja gut!« Marius klang resigniert. Drei Stufen auf einmal nehmend, eilte er die Treppe hinunter, die von der Arx zur Hintertür seines Hauses führte, und stürmte so heftig durch die Tür, daß er den Türsklaven umrannte und der Mann in Panik zu kreischen begann. »Halt den Mund!« fuhr Marius ihn an. »Es sind nicht die Gallier, und wir leben jetzt und nicht vor dreihundert Jahren.« Dann brüllte er nach dem Hausdiener, seiner Frau und dem Badesklaven.

»Es ist alles bereit«, sagte Julia, die Königin unter den Frauen, und lächelte beschwichtigend. »Ich dachte schon, daß du wie immer in Eile sein würdest. Das Bad ist heiß, die Diener stehen bereit, also ab mit dir, Gaius Marius.« Dann begrüßte sie Sulla mit einem freundlichen Lächeln. »Willkommen, Bruder. Es ist kalt geworden, nicht wahr? Komm doch herein und wärme dich am Kohlenbecken. Ich lasse dir Glühwein bereiten.«

Als seine Schwägerin mit dem Wein zurückkam, sagte Sulla: »Du hast recht, es ist eiskalt.« Er nahm den Becher entgegen. »Ich bin an Africa gewöhnt. Als ich soeben dem großen Mann nachrannte, war mir heiß, aber jetzt sterbe ich wieder vor Kälte.«

Julia setzte sich ihm gegenüber, den Kopf fragend zur Seite geneigt. »Was ist passiert?«

»Du bist Marius eine gute Frau«, sagte Sulla, und Bitterkeit sprach aus seiner Stimme.

»Später, Lucius Cornelius. Erzähl mir zuerst, was passiert ist.«

Sulla lächelte schief und schüttelte den Kopf. »Du weißt, Julia, ich liebe diesen Mann, wie ich einen Mann nur lieben kann, aber manchmal könnte ich ihn dem Henker im Tullianum vorwerfen wie meinen schlimmsten Feind!«

Julia kicherte. »Mir geht es genauso«, sagte sie besänftigend. »Das ist ganz normal. Er ist ein großer Mann, und mit großen Männern ist schwer leben. Was hat er getan?«

»Er wollte in der Kleidung des Triumphators zur Amtsübergabe gehen.«

»0 weh, lieber Bruder! Ich nehme an, er wollte keine Zeit verlieren und hat sie jetzt alle verärgert.« Die Frau war dem großen Mann gegenüber nicht nur loyal, sondern sie kannte ihn auch durch und durch.

»Zum Glück merkte ich, was er vorhatte, trotz der vielen roten Farbe in seinem Gesicht.« Sulla grinste. »Es sind seine Augenbrauen. Wer drei Jahre mit Gaius Marius zusammen war, muß ein Idiot sein, wenn er ihm nicht die Gedanken an den Augenbrauen ablesen kann. Sie ziehen sich auf eine bestimmte Weise zusammen und gehen auf und ab. Du weißt das sicher, schließlich bist du klug!«

»Ja, ich weiß.« Julia lächelte verständnisvoll.

»Auf jeden Fall war ich als erster bei ihm und rief, er habe sicher nicht daran gedacht, oder so etwas ähnliches. Puh! Für einen Moment hielt ich den Atem an. Er wollte mich schon anschreien, ich solle mich in den Tiber stürzen. Dann sah er, daß Quintus Caecilius Numidicus nur darauf wartete, und änderte seine Absicht. Was für ein Schauspieler! Ich glaube, alle außer Publius Rutilius ließen sich täuschen und dachten, er habe tatsächlich vergessen, was er anhatte.«

»Ich danke dir, Lucius Cornelius!«

»Es war mir ein Vergnügen.« Sulla meinte es ernst.

»Noch Glühwein?«

»Ja, gerne.«

Als Julia mit dem Wein zurückkehrte, trug sie in der anderen Hand ein Tablett mit dampfenden Brötchen. »Hier, die sind ganz frisch. Hefeteig, mit Wurst gefüllt. Sie schmecken vorzüglich! Unser Koch macht sie dauernd für den kleinen Marius. Er ist gerade in einer schrecklichen Phase, er ißt einfach nicht, was er soll.«

»Meine zwei essen alles, was sie vorgesetzt bekommen«, sagte Sulla. Sein Gesicht hellte sich auf. »Sie sind so süß, Julia! Ich hätte nie gedacht, daß lebendige Wesen so - so - vollkommen sein können!«

»Ich habe sie ja auch so lieb«, sagte Julia.

»Ich wollte, man könnte das auch von deiner Schwester Julilla sagen.« Sullas Gesicht verdüsterte sich.

»Ich weiß«, sagte Julia leise.

»Was ist los mit ihr? Weißt du es?«

»Ich glaube, wir haben sie zu sehr verwöhnt. Du mußt wissen, Vater und Mutter wollten kein viertes Kind. Sie hatten zwei Söhne, und als ich kam, machte ihnen das nichts aus, ein Mädchen rundete die Familie sozusagen ab. Aber Julilla war ein Schock. Und wir waren zu arm. Ich glaube, deshalb tat sie allen leid, als sie größer war. Besonders Mutter und Vater, weil sie sie nicht gewollt hatten. Julilla konnte tun, was sie wollte, wir fanden immer eine Entschuldigung für sie. Hatten meine Eltern einen oder zwei Sesterze übrig, bekam Julilla sie und durfte damit tun, was sie wollte. Sie wurde nie ausgeschimpft, wenn sie das Geld verpraßte. Ich glaube, sie war von Anfang an egoistisch, und wir halfen ihr nicht, das zu überwinden - wir hätten sie Geduld und Nachsicht lehren sollen, aber wir taten es nicht. Als Julilla größer wurde, hielt sie sich für die wichtigste Person der Welt und war selbstsüchtig, egoistisch und selbstgerecht. Das ist vor allem unsere Schuld. Aber die arme Julilla muß darunter leiden.«

»Sie trinkt zuviel«, sagte Sulla.

»Ja, ich weiß.«

»Und sie kümmert sich kaum um die Kinder.«

Tränen traten in Julias Augen. »Ich weiß.«

»Was soll ich tun?«

»Du könntest dich scheiden lassen.« Die Tränen liefen ihr jetzt über die Wangen.

Sulla streckte verzweifelt die Hände aus, die von der Wurst in dem Brötchen fettig glänzten. »Wie kann ich das tun, wenn ich von Rom weg bin, bis die Germanen besiegt sind? Und wer weiß, wie lange das dauert. Und sie ist die Mutter meiner Kinder. Ich habe sie geliebt, wie ich eben jemanden lieben kann.«

»Warum sagst du das immer, Lucius Cornelius? Wenn du liebst - liebst du! Warum solltest du weniger lieben als andere Männer?« Aber damit hatte Julia Sulla an einer empfindlichen Stelle getroffen. Auf einmal war er zugeknöpft. »Ich bin ohne Liebe aufgewachsen und habe nie gelernt zu lieben«, sagte er. Es war seine gewöhnliche Entschuldigung. »Ich liebe sie nicht mehr. Ich glaube sogar, ich hasse sie. Aber sie ist die Mutter meiner Tochter und meines Sohnes, und solange die Germanen nicht der Vergangenheit angehören, haben meine Kinder nur Julilla. Wenn ich mich scheiden lassen würde, würde sie irgend etwas Dramatisches tun - verrückt werden, sich umbringen, dreimal soviel Wein trinken wie bisher oder eine ähnlich unsinnige Verzweiflungstat.«

»Du hast recht, Scheidung ist kein Ausweg. Julilla könnte den Kindern mehr Schaden zufügen als jetzt.« Julia seufzte und wischte sich die Augen. »Übrigens gibt es gerade zwei unglückliche Frauen in der Familie. Darf ich eine andere Lösung vorschlagen?«

»Ich bitte darum«, rief Sulla, »was du willst!«

»Also gut. Die zweite unglückliche Frau ist meine Mutter. Sie ist nicht glücklich bei meinem Bruder Sextus und dessen Frau und Sohn. Meine Mutter und meine claudische Schwägerin vertragen sich hauptsächlich deshalb nicht, weil Mutter sich immer noch als Hausherrin betrachtet. Sie streiten ununterbrochen. Die Claudier sind eigensinnige und herrische Menschen, und die Frauen der Familie werden zur Mißachtung der alten weiblichen Tugenden erzogen. Mutter ist das genaue Gegenteil.« Traurig schüttelte Julia den Kopf.

Sulla beschränkte sich angesichts so viel weiblicher Logik darauf, verständnisvoll und gelassen dreinzuschauen.

»Mama hat sich nach Vaters Tod verändert«, fuhr Julia fort. »Ich glaube, keiner von uns wußte, wie stark das Band zwischen den beiden war, oder wie sehr Mutter sich auf Vaters Klugheit und Anleitung verließ. Deshalb ist sie jetzt so launisch und zappelig geworden und hat an allem etwas zu mäkeln - ihre Mäkeleien sind manchmal wirklich unerträglich! Als Gaius Marius merkte, wie gespannt die Lage zu Hause war, bot er Mutter an, ihr irgendwo eine Villa am Meer zu kaufen, damit der arme Sextus seine Ruhe hätte. Aber da ging Mutter auf ihn los wie eine fauchende Katze und sagte, sie wisse genau, wann sie nicht erwünscht sei, und ob man sie gleich wie eine Eidbrüchige behandeln dürfe, wenn sie keinen eigenen Haushalt mehr führe. Meine Güte!«

»Du willst damit wohl vorschlagen, daß ich Marcia zu mir und Julilla einlade«, sagte Sulla, »aber warum sollte sie das wollen, wenn schon die Villa am Meer nicht funktioniert hat?«

»Weil sie wußte, daß Gaius Marius sie mit seinem Vorschlag nur abschieben wollte, und sie ist viel zu streitsüchtig, um Sextus’ armer Frau einen Gefallen zu tun. Wenn du sie einlädst, bei dir und Julilla zu wohnen, ist das etwas ganz anderes. Erstens würde sie ja nur ein Haus weiter wohnen. Und zweitens wäre sie erwünscht. Nützlich. Und drittens könnte sie ein Auge auf Julilla haben.«

»Ob sie einwilligen würde?« Sulla kratzte sich am Kopf. »Von Julilla weiß ich, daß deine Mutter uns nie besucht, obwohl sie nur ein Haus weiter wohnt.«

»Julilla und sie streiten auch.« Julias Kummer war verflogen, und sie begann wieder zu lächeln. »Und wie! Julilla braucht nur zu sehen, wie Mutter zur Vordertür hereinmarschiert, und schon schickt sie sie wieder nach Hause. Aber wenn du sie einlädst, bei dir zu wohnen, kann Julilla nichts dagegen tun.«

Jetzt grinste auch Sulla. »Klingt, als wolltest du mein Haus zum Tartarus machen.«

Julia hob eine Augenbraue. »Ist das schlimm für dich, Lucius Cornelius? Schließlich bist du fort.«

Sulla tauchte seine Hände in die Wasserschale, die ein Sklave ihm entgegenhielt, dann zog auch er eine Augenbraue hoch. »Ich danke dir, Schwägerin.« Er stand auf, beugte sich vor und gab Julia einen Kuß auf die Wange. »Ich werde Marcia gleich morgen aufsuchen und sie bitten, bei uns zu wohnen. Und ich werde ihr ganz offensagen, warum ich das will. Solange ich meine Kinder liebevoll versorgt weiß, kann ich die Trennung von ihnen ertragen.«

»Werden sie von deinen Sklaven nicht gut versorgt?« Auch Julia stand auf.

»Die Sklaven verwöhnen und verhätscheln sie nur. Ich gebe zu, Julilla hat ein paar sehr nette Kindermädchen für sie gefunden. Aberdamit macht man doch auch Sklaven aus ihnen, Julia! - kleine Griechen oder Thraker oder Kelten oder sonst was. Die Kindermädchen stecken voller Aberglauben und fremder Bräuche und denken in ihrer Muttersprache, nicht in Latein, und ihre fernen Eltern und Verwandten sind für sie immer noch Autoritätspersonen. Ich will, daß meine Kinder ordentlich erzogen werden - nach römischer Art und von einer Römerin. Eigentlich sollten sie von ihrer Mutter erzogen werden. Aber da ich bezweifle, daß das je der Fall sein wird, kann ich mir niemand besseren vorstellen als ihre wackere Großmutter Marcia.«

»Gut.« Julia nickte.

Sie gingen zur Tür.

Dann fragte Sulla plötzlich: »Ist Julilla mir untreu?«

Julia spielte nicht die Entsetzte und war auch nicht verärgert. »Das bezweifle ich sehr, Lucius Cornelius. Ihr Laster ist der Wein, nicht die Männer. Du bist ein Mann, deshalb hältst du Männer für ein weit schlimmeres Laster als Wein. Ich bin anderer Meinung. Ich meine, Wein kann deinen Kindern mehr Schaden zufügen als Untreue. Eine untreue Frau hört nicht auf, sich um ihre Kinder zukümmern, und brennt auch nicht das Haus nieder. Eine betrunkene Frau tut beides.« Sie klatschte in die Hände. »Aber das Wichtigste ist jetzt: Mama soll sich an die Arbeit machen!«

Gaius Marius stürmte ins Zimmer, bekleidet mit der vorgeschriebenen purpurgesäumten Toga und bereits jeder Zoll der Konsul. »Auf geht’s, Lucius Cornelius! Kehren wir zurück und beenden wir die Vorstellung, bevor die Sonne untergeht und der Mond heraufzieht!«

Frau und Schwager tauschten ein klägliches Lächeln aus, dann verließen die beiden Männer das Haus und machten sich auf den Weg zum Tempel des Jupiter Optimus Maximus.

Marius tat sein möglichstes, die italischen Bundesgenossen zu beschwichtigen. »Sie sind keine Römer«, sagte er im Senat, als die Senatoren an den Nonen des Januars zu ihrer ersten regulären Sitzung zusammentraten, »aber sie sind bei allem, was wir tun, unsere engsten Verbündeten, und sie bewohnen gemeinsam mit uns die italienische Halbinsel. Sie stellen wie wir Truppen zur Verteidigung Italiens, und sie haben große Opfer bringen müssen. Auch Rom hat große Opfer bringen müssen. Ihr wißt, patres conscripti, daß in der Versammlung der Plebs gegenwärtig ein wenig erfreuliches Verfahren läuft. Der Konsular Marcus Junius Silanus muß sich dort gegen einen vom Volkstribunen Gnaeus Domitius vorgebrachten Vorwurf verteidigen. Auch wenn das Wort ›Verrat‹ nicht ausgesprochen wurde, weiß doch jeder, worum es geht: Marcus Junius ist einer jener Konsuln und Feldherrn der letzten Jahre, die eine ganze Armee verloren haben, darunter Legionen unserer italischen Bundesgenossen.«

Marius sah Silanus an, der an diesem Tag im Senat anwesend war, weil die Nonen fasti waren - Geschäftstage -, an denen die Versammlung der Plebs nicht tagen konnte. »Ich bin heute nicht hier, um irgendeinen Vorwurf gegen Marcus Junius zu erheben. Ich stelle lediglich eine Tatsache fest. Sollen andere Behörden und andere Männer darum mit Marcus Junius prozessieren. Marcus Junius braucht sich vor mir hier und heute für das, was er getan hat, nicht zu rechtfertigen. Das stelle ich ausdrücklich fest.«

Er räusperte sich absichtlich, um Silanus Gelegenheit zur Entgegnung zu geben, aber Silanus schwieg mit versteinerter Miene und tat, als wäre Marius Luft. »Ich stelle lediglich eine Tatsache fest, eingeschriebene Väter. Nicht mehr und nicht weniger. Eine Tatsache ist eine Tatsache.«

»So mach doch weiter!« sagte Metellus Numidicus verärgert.

Marius verbeugte sich tief und lächelte breit. »Besten Dank, Quintus Caecilius! Wie könnte ich anders, als mich der Aufforderung eines so hoch geschätzten und so hoch verehrten Konsulars zufügen?«

»›Hochgeschätzt‹ und ›hochverehrt‹ bedeuten dasselbe, Gaius Marius«, sagte der pontifex maximus Metellus Delmaticus, nicht weniger verärgert als sein jüngerer Bruder. »Du könntest dieser Versammlung beträchtlich Zeit ersparen, wenn du ein weniger blumiges Latein sprechen würdest.«

»Ich bitte den hochgeschätzten und hochverehrten Konsular Lucius Caecilius um Verzeihung« - Marius verbeugte sich noch einmal tief -, »aber in unserer höchst demokratischen Gesellschaft steht der Senat allen Römern offen, auch denen, die wie ich nicht beanspruchen können, hochgeschätzt und hochverehrt zu sein.« Er tat, als müßte er überlegen, und runzelte die Augenbrauen, bis sie sich über der Nase trafen. »Wo war ich stehengeblieben? Ach ja! Die Italiker stellen wie wir Römer Truppen zur Verteidigung Italiens. Nun haben die Magistrate der Samniten, Apulier, Marser und anderer vor kurzem in einer Flut von Briefen dagegen protestiert.« Marius nahm ein Bündel kleiner Schriftrollen, das ihm einer seiner Sekretäre reichte, und hielt es hoch, damit alle Senatoren es sehen konnten. »Unsere Bundesgenossen bestreiten, daß wir berechtigt sind, von ihnen zu verlangen, daß sie Truppen für Feldzüge außerhalb der Grenzen von Italien und Gallia Cisalpina stellen. Die italischen Bundesgenossen, hochgeschätzte und hochverehrte Väter, behaupten, daß sie für Roms, ich zitiere: ›ausländische Kriege‹ Truppen zur Verfügung stellen mußten und dabei viele tausend Soldaten verloren haben!«

Unter den Senatoren breitete sich Unruhe aus.

»Das ist eine völlig haltlose Unterstellung!« bellte Scaurus. »Die Feinde Roms sind auch die Feinde Italiens.«

»Ich zitiere lediglich aus den Briefen, Vorsitzender Marcus Aemilius«, sagte Marius besänftigend. »Wir müssen ihren Inhalt kennen, aus dem einfachen Grund, weil dieses Haus wahrscheinlich binnen kurzem Gesandtschaften der italischen Völker empfangen muß, die in diesen Briefen ihrem Unmut Luft gemacht haben.«

Dann änderte er seinen Ton, und seine Stimme hatte jetzt nichts Verbindliches mehr. »Aber im Ernst! Wir leben auf einer Halbinsel Tür an Tür mit unseren italischen Freunden - die keine Römer sind und nie Römer sein werden. Daß sie zu ihrer gegenwärtigen Bedeutung in der Welt aufgestiegen sind, beruht allein auf den großen Verdiensten Roms und der Römer. Daß italische Beamte in großer Anzahl in den Provinzen und Einflußgebieten Roms leben, beruht allein auf den großen Verdiensten Roms und der Römer. Das Brot auf dem Tisch, im Winter das Feuer im Keller, die Gesundheit und Zahl ihrer Kinder, alles verdanken sie Rom und den Römern. Vor Rom war das Chaos. Jeder gegen jeden. Vor Rom herrschten im Norden der Halbinsel die grausamen Etruskerkönige, im Süden die habgierigen Griechen. Von den Kelten in Gallien ganz zu schweigen.«

Die Senatoren hatten sich wieder beruhigt. Wenn Gaius Marius ernst wurde, hörten ihm alle zu, auch seine hartnäckigsten Gegner. Der Soldat Marius mochte grob und direkt sein, aber er war ein wirkungsvoller Redner in seiner Muttersprache Latein, und solange er seine Gefühle im Zaum hielt, klang sein Akzent nicht merklich anders als der von Scaurus.

» Patres conscripti, ihr und das römische Volk habt mich beauftragt, Rom - und Italien! - von den Germanen zu befreien. Ich werde so bald wie möglich in Begleitung meiner Legaten, des Proprätors Manius Aquilius und des tapferen Senators Lucius Cornelius Sulla, nach Gallia Transalpina aufbrechen. Auch wenn es unser Leben kostet, wir werden euch von den Germanen befreien und Rom - und Italien! - für immer sicher machen. Das gelobe ich euch, in meinem eigenen Namen, im Namen meiner Legaten und im Namen jedes einzelnen meiner Soldaten. Unsere Pflicht ist uns heilig. Kein Stein wird auf dem anderen bleiben. Und vor uns her werden wir die silbernen Adler der Legionen Roms tragen, und unter diesem Zeichen werden wir siegen!«

Die Hinterbänkler des Senats begannen, Bravo zu rufen und mit den Füßen zu trampeln, und einen Augenblick später klatschten auch die vorderen Reihen, sogar Scaurus. Nur Metellus Numidicus klatschte nicht.

Marius wartete, bis wieder Stille eingekehrt war. »Bevor ich aufbreche, muß ich den Senat allerdings bitten, alles, was in seiner Macht steht, zu tun, um die Sorgen unserer italischen Bundesgenossen zu mildern. Der Behauptung, italische Truppen müßten in Feldzügen kämpfen, die unsere Bundesgenossen gar nicht betreffen, können wir natürlich nicht Glauben schenken. Wir können auch nicht auf Truppen verzichten, zu deren Stellung sich die italischen Bundesgenossen vertraglich verpflichtet haben. Die Germanen bedrohen unsere ganze Halbinsel, auch Gallia Cisalpina. Allerdings herrscht großer Mangel an Männern, die geeignet sind, in den Legionen zu dienen. Das gilt für unsere italischen Bundesgenossen nicht weniger als für Rom. Der Brunnen ist ausgetrocknet, Senatoren, und es wird einige Zeit dauern, bis das Grundwasser, das ihn versorgt, wieder gestiegen ist. Ich möchte unseren italischen Bundesgenossen aber mein persönliches Wort geben: Solange ich, der geringgeschätzte Feldherr, atme, werden keine italischen - oder römischen - Truppen mehr umsonst ihr Leben auf dem Schlachtfeld lassen. Ich werde das Leben jedes einzelnen Soldaten, den ich mitnehme, um meine Heimat zu verteidigen, mit mehr Ehrfurcht und Respekt behandeln als mein eigenes! Das gelobe ich.«

Wieder ertönten Bravorufe und Fußgetrampel, und diesmal fielen die vorderen Reihen sofort ein. Nur Metellus Numidicus blieb stumm. Auch Catulus Caesar rührte sich nicht.

Wieder wartete Marius, bis Stille eingekehrt war. »Man hat mich auf einen schweren Mißstand aufmerksam gemacht: daß wir, der Senat und das Volk von Rom, viele tausend Männer unserer italischen Bundesgenossen in Schuldknechtschaft gebracht und als Sklaven in die von uns beherrschten Länder rings um das Mittelmeer geschickt haben. Weil diese Männer meist Bauern sind, arbeiten sie gegenwärtig ihre Schulden auf den römischen Getreidefeldern in Sizilien, Sardinien, Korsika und Africa ab. Das, patres conscripti, ist nicht gerecht! Wenn wir römische Schuldner nicht mehr versklaven, dürfen wir auch unsere italischen Bundesgenossen nicht mehr versklaven. Nein, sie sind keine Römer, und sie werden nie Römer sein. Aber sie sind unsere kleinen Brüder auf der italienischen Halbinsel. Und ein Römer schickt seinen kleinen Bruder nicht in Schuldknechtschaft.«

Marius ließ den wenigen Latifundienbesitzern unter den Senatoren keine Zeit zum Protest und kam zum Schluß: »Solange ich unseren Großgrundbesitzern noch keine germanischen Sklaven als Ersatz verschaffen kann, müßten sie sich italische Schuldsklaven als Arbeitskräfte suchen. Aber wir, eingeschriebene Väter, müssen heute feierlich beschließen - und die Volksversammlung muß den Beschluß bestätigen -, daß alle Sklaven italischer Herkunft frei sein sollen. Wir dürfen auch unseren ältesten und treusten Verbündeten nicht antun, was wir uns selbst nicht antun. Diese Sklaven müssen die Freiheit erhalten! Sie müssen nach Italien heimkehren können, um hier zu tun, was ihre natürliche Pflicht gegenüber Rom ist: In den römischen Hilfslegionen dienen.

Man hat mir gesagt, daß es bei keinem italischen Volk mehr capite censi gibt, weil sie alle versklavt worden seien. Kollegen Senatoren, italische capite censi können sinnvoller eingesetzt werden als zur Bestellung der Felder. Können wir doch unsere Armeen nicht mehr aufstellen, weil die vermögenden Männer, die in ihnen gedient haben, zu alt sind oder zu jung - oder tot! Die Besitzlosen sind gegenwärtig unsere einzige Quelle für neue Soldaten. Meine tapfere africanische Armee - ausschließlich römische Proletarier - hat bewiesen, daß aus Proletariern ausgezeichnete Soldaten gemacht werden können. Und wie die Vergangenheit gezeigt hat, daß die vermögenden Männer der italischen Völker als Soldaten keinen Deut schlechter sind als die vermögenden Männer Roms, so werden die kommenden Jahre zeigen, daß die Proletarier der italischen Völker als Soldaten keinen Deut schlechter sind als die römischen Plebejer!«

Marius stieg vom kurulischen Podium herab und trat in die Mitte des Saals. »Ich will diesen Beschluß, eingeschriebene Väter! Bekomme ich ihn?«

Es war eine vorzügliche Inszenierung gewesen. Noch unter dem Eindruck der Gewalt von Marius’ Worten, stürzten die Senatoren sogleich zur Abstimmung, und Metellus Numidicus, der pontifex maximus Metellus Delmaticus, Scaurus, Catulus Caesar und andere versuchten vergeblich, sich Gehör zu verschaffen.

Nach Auflösung der Senatssitzung gingen Publius Rutilius Rufus und Marius gemeinsam die wenigen Schritte zu Marius’ Haus. »Wie willst du die Latifundienbesitzer mit diesem Erlaß versöhnen?« fragte Rutilius Rufus. »Du weißt hoffentlich, daß du damit genau den Rittern und Geschäftsleuten auf die Zehen trittst, auf deren Unterstützung du am meisten angewiesen bist. Die ganzen Begünstigungen, die du in Africa an sie ausgeteilt hast, scheinen jetzt leere Worte zu sein. Weißt du überhaupt, wie viele italische Sklaven auf den Getreidefeldern arbeiten? Sizilien ist vollkommen von ihnen abhängig!«

Marius zuckte die Schultern. »Meine Agenten sind bereits an der Arbeit, und ich werde es überleben. Wenn ich außerdem die letzten Monate in Cumae verbracht habe, heißt das nicht, daß ich dort untätig war. Ich habe Nachforschungen anstellen lassen, und die Ergebnisse sind sehr aufschlußreich, um nicht zu sagen hochinteressant. Jawohl, auf den Feldern arbeiten viele tausend Sklaven unserer italischen Bundesgenossen. Aber in Sizilien beispielsweise sind die weitaus meisten Sklaven Griechen. Und was die Provinz Africa betrifft, habe ich König Gauda aufgefordert, für Ersatz zusorgen, wenn die italischen Sklaven befreit sind. Gauda ist mein Klient, er hat also keine andere Wahl, als zu tun, was ich sage. Sardinien ist der schwierigste Fall. Dort kommen fast alle Sklaven aus Italien. Aber ich bin sicher, daß wir den neuen Statthalter, unseren geschätzten Proprätor Titus Albucius, dazu bewegen können, mein Anliegen nach Kräften zu fördern.«

»Er hat mit Pompeius Schielauge aus Picenum einen recht hochnäsigen Quästor«, sagte Rutilius Rufus zweifelnd.

»Quästoren sind wie Stechmücken«, sagte Marius verächtlich, »nicht geschickt genug, anderswohin zu fliegen, wenn man nach ihnen schlägt.«

»Das ist nicht besonders schmeichelhaft für Lucius Cornelius!«

»Er ist anders.«

Rutilius Rufus seufzte. »Ich weiß nicht, Gaius Marius, ich weiß wirklich nicht! Ich hoffe nur, alles kommt so, wie du dir das vorstellst.«

»Alter Zyniker«, sagte Marius liebevoll.

»Dann schon besser alter Skeptiker!« entgegnete Rutilius Rufus.

Kurz darauf erfuhr Marius, daß die Germanen keine Anstalten machten, nach Süden in die römische Provinz Gallia Transalpina vorzudringen, mit Ausnahme der Kimbern, die sich allerdings auf das westliche Ufer der Rhône zurückgezogen hatten und sich vom römischen Machtbereich fernhielten. Die Teutonen, so der Bericht von Marius’ Spionen, zogen sich in Richtung Nordwesten zurück, und die Tiguriner, Markomannen und Cherusker waren zu den Häduern und Ambarrern zurückgekehrt und erweckten den Eindruck, als wollten sie von dort nie mehr weg. Natürlich, so wurde in dem Bericht eingeräumt, konnte die Lage sich jeden Moment ändern. Es würde allerdings seine Zeit dauern, bis 800 000 Germanen ihre Habseligkeiten auf Wagen geladen hatten und sich mit ihrem Vieh auf den Weg machen konnten. Auf jeden Fall war nicht zu erwarten, daß irgendwelche Germanen vor Mai oder Juni entlang der Rhône südwärts zogen. Falls sie überhaupt kamen.

Gaius Marius war über den Bericht nur mäßig erfreut. Die Soldaten waren motiviert und fieberten dem Kampf entgegen, seine Legaten hofften auf Bewährung in der Schlacht, und Offiziere und Zenturionen hatten unermüdlich die Kriegsmaschinerie perfektioniert. Obwohl Marius bei seiner Landung in Italien im letzten Dezember von einem germanischen Dolmetscher gehört hatte, daß die Germanen untereinander zerstritten seien, hatte er keinen Augenblick daran gezweifelt, daß sie ihren Vormarsch nach Süden durch die römische Provinz fortsetzen würden. Die Germanen hatten ein großes römisches Heer vernichtet, und es war nur logisch und natürlich, daß sie ihren Sieg jetzt ausnützen und das Territorium besetzen würden, das sie mit der Gewalt ihrer Waffen ja schon gewonnen hatten. Vielleicht wollten sie dort sogar siedeln. Warum sonst der Kampf gegen die Römer? Warum die Wanderung? Warum irgend etwas?

»Sie sind mir ein einziges Rätsel«, sagte er verärgert zu Sulla und Aquilius, als er den Bericht gelesen hatte.

»Sie sind Barbaren«, sagte Aquilius. Er hatte sich seinen Platz als Legat durch den Vorschlag verdient, Marius zum Konsul zu machen, und brannte jetzt darauf, seinen Wert zu beweisen.

Sulla war ungewöhnlich nachdenklich. »Wir wissen viel zu wenig über sie«, sagte er.

»Das habe ich doch gerade gesagt!« fuhr Marius ihn an.

»Nein, ich dachte an etwas anderes. Aber«, Sulla schlug sich auf die Knie - »ich denke noch eine Weile darüber nach, Gaius Marius, bevor ich etwas sage. Schließlich wissen wir nicht, was uns erwartet, wenn wir die Alpen überqueren.«

»Aber gerade das müssen wir beschließen«, sagte Marius.

»Was?« fragte Aquilius.

»Ob wir die Alpen überqueren. Jetzt, da wir wissen, daß die Germanen uns frühestens im Mai oder Juni bedrohen werden, bin ich gar nicht mehr dafür, die Alpen überhaupt zu überqueren. Wenigstens nicht auf dem üblichen Weg. Wir verlassen Rom Ende Januar mit einem großen Troß. Wir werden also nur langsam vorankommen. Das eine muß ich für Metellus Delmaticus als Pontifex Maximus sagen: Er ist ein Kalenderfanatiker, und deshalb stimmen Jahreszeiten und Monate immer überein.« An Sulla gewandt, fragteer: »Hast du diesen Winter gefroren?«

»Und wie, Gaius Marius.«

»Ich auch. Unser Blut ist dünn, Lucius Cornelius. Und dann die ganze Zeit in Africa, wo der Frost nie lange anhält und man Schnee nur auf den höchsten Bergen sieht. Warum sollte es für die Soldaten anders sein? Es wäre eine Strapaze für sie, wenn wir den Mons Genava im Winter überqueren würden.«

»Nach dem Urlaub in der Campania brauchen sie eine Abhärtung«, sagte Sulla ungerührt.

»Natürlich! Aber keine, bei der sie sich die Zehen abfrieren und Frostbeulen an den Fingern bekommen. Man hat zwar Winterkleidung an sie ausgeteilt, aber werden die Bastarde sie auch tragen?«

»Sie werden, wenn man sie dazu zwingt.«

»Du willst mir widersprechen. Auch gut, dann versuche ich nicht mehr, dich durch Vernunft zu überzeugen - dann befehle ich eben. Wir führen die Legionen nicht auf dem üblichen Weg nach Gallia Transalpina. Wir nehmen den Weg entlang der Küste.«

»Bei den Göttern, das wird eine Ewigkeit dauern!« rief Aquilius.

»Wie lang ist es her, seit ein Heer das letzte Mal an der Küste entlang nach Spanien oder Gallien marschiert ist?« fragte Marius ihn.

»Ich kann mich an keinen solchen Marsch erinnern.«

»Siehst du!« sagte Marius triumphierend. »Deshalb tun wir es. Ich will wissen, wie schwer ein solcher Marsch ist, wie lange er dauert, wie gut die Straßen sind, wie das Gelände beschaffen ist - alles. Ich nehme vier Legionen in leichter Marschordnung, und du, Manius Aquilius, nimmst die anderen zwei Legionen und die Kohorten, die wir zusätzlich aufgestellt haben, und begleitest den Troß. Wenn die Germanen doch wieder nach Süden ziehen und sich dabei nach Italien wenden statt nach Spanien, woher sollen wir wissen, ob sie überden Mons Genava in Gallia Cisalpina einfallen oder entlang der Küste direkt auf Rom marschieren? Sie interessieren sich anscheinend herzlich wenig für unsere Denkweise, woher sollten sie also wissen, daß der schnellste und kürzeste Weg nach Rom nicht entlang der Küste, sondern über die Alpen und das italische Gallien führt?«

Seine Legaten starrten ihn an.

»Ich verstehe, worauf du hinauswillst«, sagte Sulla schließlich, »aber warum mit dem ganzen Heer an der Küste entlangziehen? Du, ich und einige Reiter wären dazu besser geeignet.«

Marius schüttelte heftig den Kop£ »Nein! Ich will nicht durch mehrere hundert Meilen unpassierbaren Gebirges von meinemHeer getrennt sein. Wohin ich gehe, geht auch mein ganzes Heer.«

Ende Januar zog Gaius Marius also mit seinem Heer auf der Küstenstraße Via Aurelia nach Norden. Er machte sich auf dem ganzen Weg Notizen und schickte knappe Mitteilungen an den Senat, in denen er verlangte, unverzüglich diesen oder jenen Streckenabschnitt auszubessern und Brücken oder Viadukte zu bauen oder zu verstärken.

Dies hier ist Italien, hieß es in einem solchen Schreiben, deshalb müssen sämtliche Straßen, die nach Norden, nach Gallia Cisalpina und nach Ligurien führen, in perfektem Zustand sein. Sonst werden wir es eines Tages bereuen.

Kurz nach Pisae, wo der Arno ins Meer mündete, kam das Heer aus dem eigentlichen Italien nach Gallia Cisalpina, ein Gebiet mit einem eigentümlichen Status: Es war weder eine offizielle Provinz, noch wurde es wie das übrige Italien regiert. Es war eine Art Vorhölle. Die Straße von Pisae nach Vada Sabatia war neu, aber über große Strecken noch gar nicht fertiggestellt. Mit der Straße hatte sich Aemilius Scaurus als Zensor ein Denkmal gesetzt, sie hieß nach ihm Via Aemilia Scauri. Und Marius schrieb an den Senatsvorsitzenden Marcus Aemilius Scaurus:

Ich preise Dich für Deine Weitsicht, denn ich halte die Via Aemilia Scauri für einen der bedeutendsten Beiträge zur Verteidigung Roms und Italiens seit der Eröffnung des Passes Mons Genava, und das ist lange her, wenn man bedenkt, daß schon Hannibal den Paß benutzen konnte. Die Abzweigung nach Dertona ist strategisch ungeheuer wichtig, denn sie ist die einzige Verbindung vom Po über den ligurischen Apennin zur tyrrhenischen Küste - der Küste Roms.

Die baulichen Probleme sind enorm. Ich habe mit Deinen Straßenbaumeistern gesprochen, die ich für sehr fähig halte, und schätze mich glücklich, daß ich Dir ihre Bitte um zusätzliche finanzielle Mittel für den Einsatz weiterer Arbeiter auf diesem Abschnitt der Strecke weiterleiten kann. Es müssen einige der höchsten - und längsten - Viadukte gebaut werden, die ich je gesehen habe, eher schon Aquädukte. Zum Glück liefern die Steinbrüche der Umgebung genügend Material, nur die bedauerlich kleine Zahl der Arbeiter verringert das Tempo, in dem die Arbeiten meiner Meinung nach voranschreiten müßten. Darf ich vorschlagen, daß Du mit Deinem gewaltigen Einfluß daraufhinwirkst, daß Senat und Finanzverwaltung Gelder zur Beschleunigung des Projekts bewilligen? Wenn die Straße Ende des kommenden Sommers fertig ist, kann Rom ruhiger schlafen bei dem Gedanken, daß fünfzig Meilen Straße dem Heer im Ernstfall einen Umweg von mehreren hundert Meilen ersparen.

 

»Da«, sagte Marius zu Sulla, »das müßte den alten Knaben eigentlich glücklich machen und ihm zu tun geben!«

»Zweifellos.« Sulla grinste.

Die Via Aemilia endete in Vada Sabatia; von da an gab es keine Straße im römischen Sinn mehr, nur noch eine Wagenspur. Sie verlief am Rand der Berge, die hier steil ins Meer abfielen, war also der bequemste Weg.

»Du wirst noch bereuen, daß du diesen Weg gewählt hast«, sagte Sulla.

»Im Gegenteil, ich bin froh. Ich sehe hier tausend Möglichkeitenfür einen Hinterhalt, und ich verstehe jetzt, warum kein vernünftiger Mensch auf diesem Weg nach Gallia Transalpina reist und wie unser Publius Vagiennius, der ja von hier stammt, auf der Suche nach seinen Schnecken eine senkrechte Wand hinaufklettern konnte. Ich weiß jetzt, warum wir nicht zu fürchten brauchen, daß die Germanen auf diesem Weg kommen. Mag sein, daß sie zunächst den Küstenweg einschlagen, aber nur ein paar Tage, und dann wird ein Kundschafter, der vorausreitet, sie wieder zurückschicken. Was für uns schwer ist, ist für sie unmöglich. Gut!«

Marius wandte sich an Sertorius, der trotz seines untergeordneten Ranges eine privilegierte Stellung genoß, die er allein seinen Verdiensten verdankte. »Quintus Sertorius, mein Junge, wo, glaubst du, befindet sich der Troß?«

»Ich würde sagen, in Anbetracht des schlechten Zustands der Via Aurelia irgendwo zwischen Populonia und Pisae.«

»Wie geht es deinem Bein?«

»Einen solchen Ritt hält es noch nicht aus.« Sertorius schien immer schon im voraus zu wissen, was Marius wollte.

»Dann suche dir drei Leute, die reiten können, und schicke sie mit dieser Botschaft zurück.« Marius griff nach einigen durch eine Schnur verbundenen Wachstafeln, die neben ihm lagen.

Sulla stieß einen zufriedenen Seufzer aus. »Du schickst den Troß also die Via Cassia nach Florentia hinauf und dann die Via Annia nach Bononia und über den Paß Mons Genava.«

»Vielleicht brauchen wir die Balken, Bolzen, Kräne und Seile ja noch«, sagte Marius. Er schlug mit dem Rücken seiner Finger auf eine Tafel, um seinen Siegelring in das Wachs zu drücken, dann schloß er das Heft und gab es Sertorius. »Hier. Und sorge dafür, daß die Tafeln zugebunden und noch einmal versiegelt werden. Ich will nicht, daß ein Neugieriger seine Nase hineinsteckt. Die Tafeln sind Manius Aquilius persönlich zu übergeben, verstanden?«

Sertorius nickte und verließ das Feldherrnzelt.

»Jetzt zu den Soldaten«, sagte Marius zu Sulla. »Es gibt jede Menge Arbeit, während wir marschieren. Schicke die Landvermesser voraus. Wir machen einen anständigen Weg, wenn schon keine richtige Straße.«

 

Die Bewohner Liguriens verdienten sich ihren Unterhalt, wie die Einwohner anderer bergiger Gegenden, in denen Ackerland rar war, als Hirten, Banditen und Piraten oder, wie Publius Vagiennius, als Soldaten der römischen Hilfslegionen und der Reiterei. Wo Marius Schiffe und ein Dorf mit einem Hafen sah und die Schiffe nicht eindeutig Fischerboote waren, sondern eher wie Piraten- und Kaperschiffe wirkten, brannte er Schiffe und Dorf nieder. Die Männer nahm er als Straßenarbeiter mit, Frauen, alte Männer und Kinder ließ er zurück. Aus den Berichten seiner Spione in Arausio, Valentia, Vienna und sogar Lugdunum ging inzwischen immer klarer hervor, daß es in diesem Jahr nicht mehr zu einem Zusammenstoß mit den Germanen kommen würde.

Anfang Juni, nach viermonatigem Marsch, zog Marius mit seinen vier Legionen in die weite Küstenebene von Gallia Transalpina hinab. An einem Ort im dicht besiedelten Land zwischen Arelate und Aquae Sextae, in der Nähe der Stadt Glanum und südlich des Flusses Durance, ließ er anhalten. Der Troß war erwartungsgemäß vor ihm eingetroffen, er hatte auf der Straße nur dreieinhalb Monate gebraucht.

Marius wählte die Stelle für das Lager mit größter Sorgfalt aus, abseits des Ackerlands auf einem großen Hügel mit mehreren guten Quellen. Der Hügel fiel nach drei Seiten steil ab, und nach der vierten Seite war er so flach und breit, daß er den schnellen Einzug der Truppen oder den schnellen Auszug nicht behinderte.

»Hier werden wir viele Monde verbringen.« Marius nickte zufrieden. »Hier bauen wir ein zweites Carcasso.«

Sulla und Manius Aquilius sagten nichts, aber Sertorius konnte nicht an sich halten.

»Brauchen wir das?« fragte er. »Wenn wir deiner Meinung nach viele Monde in dieser Gegend bleiben, wäre es nicht leichter, die Truppen in Arelate oder Glanum einzuquartieren? Und warum überhaupt hier bleiben? Warum suchen wir die Germanen nicht und stellen sie in der Schlacht, bevor sie hierher kommen können?«

»Sertorius, mein Junge, es scheint, daß die Germanen sich in alle Richtungen zerstreut haben«, sagte Marius. »Die Kimbern, die zunächst entschlossen schienen, dem Lauf der Rhône zu folgen, haben ihre Absicht geändert und sind auf der anderen Seite der Cevennen durch das Land der Arverner gezogen, vermutlich mit dem Ziel Spanien. Die Teutonen und Tiguriner haben das Land der Häduer verlassen und sind zu den Belgen gezogen. Das sagen zumindest meine Berichte. Aber ich glaube, man kann nur Vermutungen anstellen.«

»Können wir nichts Sicheres herausfinden?« fragte Sertorius.

»Wie? Die Gallier haben keinen Grund, uns zu lieben, aber für Informationen sind wir auf sie angewiesen. Daß sie uns überhaupt etwas sagen, kommt nur daher, daß auch sie die Germanen nicht bei sich haben wollen. Eines ist freilich gewiß: Wenn die Germanen vor den Pyrenäen stehen, kehren sie um. Und ich bezweifle sehr, daß sie den Belgen willkommener sind als den Keltiberern in den Pyrenäen. Wenn ich mich in die Lage der Germanen versetze und aus ihrer Sicht über mögliche Ziele nachdenke, komme ich immer wieder auf Italien zurück. Also bleiben wir hier, bis die Germanen zurückkehren, Quintus Sertorius. Und wenn es Jahre dauert.«

»Wenn es Jahre dauert«, gab Manius Aquilius zu bedenken, »verweichlichen die Soldaten, und du wirst als Feldherr abgelöst.«

»Die Soldaten verweichlichen nicht, weil ich sie arbeiten lasse« entgegnete Marius. »Wir haben fast vierzigtausend Besitzlose rekrutiert. Der Staat zahlt sie, dem Staat gehören ihre Waffen und Rüstungen, der Staat ernährt sie. Und wenn sie als Veteranen aus dem Dienst ausscheiden, werde ich mich darum kümmern, daß der Staat sie versorgt. Aber solange sie in der Armee des Staates dienen, sind sie nicht mehr und nicht weniger als Angestellte des Staates. Ich als Konsul repräsentiere den Staat. Deshalb sind sie meine Angestellten. Und sie kosten mich viel Geld. Wenn sie dafür nur auf ihren Hintern herumzusitzen und zu warten brauchen, bis eine Schlacht kommt, dann kann man sich leicht ausrechnen, wie teuer diese Schlacht sein wird.« Marius’ Augenbrauen zuckten unruhig auf und ab. »Sie haben nicht einen Vertrag unterschrieben, nur damit sie hier untätig herumsitzen und auf eine Schlacht warten. Sie sind in die Armee des Staates eingetreten, um zu tun, was der Staat von ihnen verlangt. Da der Staat sie zahlt, schulden sie dem Staat Arbeit. Und genau das werden sie tun: arbeiten! Dieses Jahr werden sie die Via Domitia auf der ganzen Strecke von Nemausus bis Ocelum reparieren. Nächstes Jahr graben sie einen Schiffskanal von der Küste bis Arelate an der Rhône.«

Die anderen starrten ihn gebannt an, und für geraume Zeit waren alle sprachlos.

Dann pfiff Sulla durch die Zähne. »Ein Soldat wird bezahlt, um zu kämpfen!«

»Wenn er sich seine Ausrüstung selber kauft und vom Staat nichts erwartet als sein Essen, dann kann er tun, was er will. Aber für meine Soldaten gilt das nicht. Sie werden notwendige öffentliche Arbeiten ausführen, solange sie nicht kämpfen müssen, und sei es nur, um ihnen klarzumachen, daß sie im Dienst des Staates stehen wie ganz normale Angestellte. Und das hält sie bei Kräften.«

»Und wir?« fragte Sulla. »Willst du uns zu Straßenbaumeistern machen?«

»Warum nicht?«

»Aber ich beispielsweise bin kein Angestellter des Staates«, sagte Sulla, immer noch freundlich. »Ich stelle meine Zeit unbezahlt zur Verfügung, wie alle anderen Legaten und Tribunen.«

Marius sah ihn listig an. »Glaub mir, Lucius Cornelius«, sagte er, »ich weiß das zu schätzen.« Und dabei beließ er es.

Sulla war nach dem Gespräch trotzdem unzufrieden. Angestellte des Staates, also wirklich! Das mochte für besitzlose Proletarier gelten, aber doch nicht für Tribunen und Legaten. Marius hatte ihn verstanden und war ihm ausgewichen. Was Sulla nicht ausgesprochen hatte, war trotzdem wahr: Als einziges Entgelt erhielten Tribunen und Legaten einen Anteil an der Beute. Und keiner hatte eine Vorstellung, wieviel Beute man bei den Germanen überhaupt machen konnte. Der Verkauf der Gefangenen in die Sklaverei war Vorrecht des Feldherrn, das er nicht mit seinen Legaten, Tribunen, Zenturionen und Soldaten teilte. Sulla hatte das vage Gefühl, daß der Profit dieses womöglich Jahre dauernden Feldzugs dürftig ausfallen würde, von Sklaven abgesehen.

Der lange, mühselige Marsch zur Rhône hatte Sulla, im Gegensatz zu Quintus Sertorius, keinen Spaß gemacht. Quintus Sertorius hatte wie ein Jagdhund an der Leine vorwärtsgedrängt, zitternd vor Erregung beim bloßen Gedanken an die bevorstehende Aufgabe. Er hatte sich selbst den Umgang mit der groma beigebracht, dem Instrument des Landvermessers, und genau beobachtet, wie die Ingenieure mit Hochwasser führenden Flüssen, eingestürzten Brücken und durch Erdrutsch verschütteten Straßen fertig wurden. Er hatte mit ein oder zwei Zenturien ein Piratennest in einem versteckten Schlupfwinkel ausgehoben. Er hatte Bauarbeitertrupps bei Ausbesserungsarbeiten der Straße befehligt. Er war als Kundschafter vorausgeeilt, und er hatte sogar einen jungen Adler mit gebrochenem Flügel gesundgepflegt und gezähmt, so daß der Vogel nach seiner Genesung noch einige Male zu ihm zurückkehrte. Der Tatendrang von Quintus Sertorius war unerschöpflich. Zumindest in dieser Beziehung war er Gaius Marius verwandt.

Sulla hingegen brauchte die dramatischen Situationen. Er kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, daß dieses Verlangen jetzt, da er ein Senator war, eine Schwäche seines Charakters war, aber mit sechsunddreißig hielt er sich für zu alt, um den so tief verwurzelten Trieb noch ausmerzen zu können. Bis zu jenem öden, endlosen Marsch auf der Via Aemilia Scauri und über die Alpen hatte ihm sein Beruf als Soldat tiefe Befriedigung verschafft. Dramatik und Herausforderung waren sein Element gewesen, wenn es sich um die Dramatik einer Schlacht und die Herausforderung einer Neuordnung von Africa gehandelt hatte. Aber Straßen zu bauen und Kanäle zu buddeln? Deshalb war er nicht nach Gallia Transalpina gekommen! Er hatte anderes vor!

Und im Spätherbst standen wieder Konsulwahlen an. Marius würde durch einen seiner Gegner ersetzt werden, und alles, was er dann in seinem mit so viel Vorschußlorbeeren bedachten zweiten Amtsjahr vorweisen konnte, war eine hervorragend instandgesetzte Straße, die bereits den Namen eines anderen trug. Wie konnte der Mann so ruhig bleiben, so unbesorgt? Als Aquilius angedeutet hatte, daß er als Feldherr abgelöst werden könnte, hatte er nicht einmal reagiert. Was führte der Fuchs aus Arpinum im Schilde? Warum machte er sich keine Sorgen?

Plötzlich hatte Sulla alle diese Fragen vergessen, die ihn so quälten, denn er hatte vor sich eine pikante Szene erspäht, und seine Augen begannen interessiert und amüsiert zu glitzern.

Vor dem Messezelt der Tribunen standen zwei Männer, ins Gespräch vertieft. Oder wenigstens schien es bei flüchtigem Hinsehen so. Für Sulla sah es mehr aus wie die Eröffnungsszene einer komischen Posse. Der größere der beiden Männer war Gaius Julius Caesar, der kleinere Gaius Lusius, ein Neffe von Marius - allerdings nur angeheiratet, wie dieser schnell hinzugefügt hatte.

Ob sich nur Gleichgesinnte sofort erkannten? überlegte Sulla, während er zu den beiden Männern hinüberschlenderte. Caesar schien nicht zu wissen, worauf Lusius hinauswollte, aber seinem Gesicht war anzusehen, daß alles in ihm Alarm schlug.

»Ach, Lucius Cornelius!« plärrte Gaius Lusius. »Gerade habe ich Gaius Julius gefragt, ob er sich im Nachtleben von Arelate auskennt und ob er es, wenn es eines gibt, gemeinsam mit mir erkunden will.«

Caesars langes, schönes Gesicht war zu einer ausdruckslosen, höflichen Maske erstarrt, aber daß er sich aus seiner gegenwärtigen Gesellschaft wegsehnte, merkte Sulla gleich an einem Dutzend Anzeichen: an den unruhigen Augen, die Lusius’ Blick nie lange standhielten und immer wieder zur Seite auswichen, an dem kaum wahrnehmbaren Scharren der Füße in den Soldatenstiefeln, am nervösen Kneten der Finger.

»Vielleicht kennt sich Lucius Cornelius ja besser aus als ich«, sagte Caesar und leitete seine Flucht in die Freiheit dadurch ein, daß er sein ganzes Gewicht auf einen Fuß verlagerte und den anderen ein wenig vorschob.

»Nein, Gaius Caesar, du darfst nicht gehen!« protestierte Lusius. »Je größer die Runde, desto fröhlicher.« Er kicherte.

»Tut mir leid, Gaius Lusius, aber die Pflicht ruft.« Und damit war Caesar verschwunden.

Sulla, der ungefähr Lusius’ Statur hatte, faßte Lusius mit der Hand am Ellbogen und zog ihn ein Stück vom Zelt weg. Dann ließ er den Ellbogen sofort wieder los.

Gaius Lusius war sehr hübsch. Lange Wimpern bedeckten grüne Augen, über die Stirn fiel ein wirrer Schopf dunkelroter Locken, die dunklen Brauen waren fein gezeichnet, und die lange, gerade Nase mit ihrem hohen Rücken hatte griechische Proportionen. Ganz der kleine Apoll, dachte Sulla unbewegt und nüchtern.

Er glaubte nicht, daß Marius den jungen Mann überhaupt persönlich kannte. Das hätte ihm nicht ähnlich gesehen. Marius hatte Gaius Lusius auf Druck der Familie in seine Armee aufgenommen und ihn zum ungewählten Militärtribunen ernannt, was seinem Alter entsprach. Dann hatte er wahrscheinlich vergessen, daß es ihn überhaupt gab - bis der junge Mann sich von selbst in Erinnerung bringen würde, am besten durch eine mutige Tat oder eine andere außergewöhnliche Leistung.

»Gaius Lusius«, sagte Sulla trocken, »ich gebe dir einen guten Rat.«

Die Augenlider mit den langen Wimpern klapperten und senkten sich. »Von dir nehme ich jeden Rat entgegen, Lucius Cornelius.«

»Du bist auf eigene Faust von Rom gekommen und erst gestern zu uns gestoßen«, begann Sulla.

»Nicht von Rom, Lucius Cornelius«, unterbrach Lusius, »von Ferentinum. Mein Onkel Gaius Marius hat mir erlaubt, in Ferentinum zu bleiben, weil meine Mutter krank war.«

Aha, dachte Sulla, das erklärt, warum Marius so kurz angebunden war, als er seinen angeheirateten Neffen erwähnte! Er hatte den Grund für die verspätete Ankunft des jungen Mannes nicht breittreten wollen. Für sich selber hätte er eine kranke Mutter nie als Entschuldigung gelten lassen!

»Mein Onkel hat noch gar nicht nach mir gefragt«, klagte Lusius jetzt eifrig. »Wann kann ich ihn sehen?«

»Erst wenn er nach dir fragt, und ich habe meine Zweifel, ob er überhaupt fragen wird. Solange du nicht bewiesen hast, daß du etwas taugst, bringst du ihn nur in Verlegenheit, und sei es nur aus dem Grund, daß du bereits ein Sonderrecht für dich beansprucht hast, bevor der Feldzug überhaupt anfing - du bist zu spät gekommen.«

»Aber meine Mutter war krank«, sagte Lusius empört.

»Jeder von uns hat eine Mutter, Gaius Lusius - oder hatte eine. Manch einer mußte ausrücken, als seine Mutter krank war. Viele haben vom Tod der Mutter erfahren, als sie in fernen Länder kämpften. Viele sind ihrer Mutter in tiefer Liebe zugetan. Aber eine kranke Mutter gilt normalerweise nicht als ausreichende Entschuldigung für eine Verspätung beim Feldzug. Wahrscheinlich hast du den Kameraden in deinem Zelt schon gesagt, warum du zu spät gekommen bist?«

»Ja.« Lusius war immer verwirrter.

»Schade. Du hättest besser überhaupt nichts gesagt und deine Kameraden im dunkeln tappen lassen. Sie haben deshalb jetzt keine höhere Meinung von dir, und auch nicht von deinem Onkel Marius, dafür, daß er es zugelassen hat. Dein Onkel weiß das. Aber Familienbande sind Familienbande, auch wenn es dabei oft ungerecht zugeht.« Sulla runzelte die Stirn. »Doch nicht das wollte ich dir sagen. Ich wollte sagen: Dies ist die Armee des Gaius Marius, nicht die Armee des Scipio Africanus. Weißt du, was ich damit meine?«

»Nein.« Lusius war jetzt völlig konfus.

»Cato der Zensor hat Africanus und seinen Offizieren vorgeworfen, sie duldeten eine laxe Moral in der Truppe. Und Gaius Marius denkt in dieser Hinsicht eher wie Cato der Zensor als wie Scipio Africanus. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

»Nein.« Die Farbe wich aus Lusius’ Wangen.

»Ich glaube schon«, sagte Sulla. Er lächelte kühl und entblößte dabei seine langen Zähne. »Du fühlst dich zu schönen jungen Männern hingezogen, nicht zu schönen jungen Frauen. Dein so offen weibisches Wesen kann ich dir nicht vorwerfen, aber wenn du weiter Leute wie Gaius Julius mit deinen langen Wimpern anklapperst - und Gaius Julius ist zufällig wie ich ein Schwager deines Onkels -, dann steht dir das Wasser bald bis zum Hals. Das eigene Geschlecht zu bevorzugen, gilt in Rom nicht als Tugend. Im Gegenteil, es gilt als unerwünschtes Laster, besonders bei den Legionären. Sonst würden die Frauen der Städte, in deren Nähe wir unsere Lager aufschlagen, wohl kaum so viel verdienen, und die Frauen unserer besiegten Feinde würden unser Schwert nicht zuerst im Bett kennenlernen. Aber das muß dir bekannt sein, wenigstens zum Teil!«

Lusius wand und krümmte sich, hin und her gerissen zwischen einem unerklärlichen Gefühl der Minderwertigkeit und dem brennenden Empfinden erlittenen Unrechts. »Die Zeiten ändern sich«, protestierte er. »Was du mir vorwirfst, ist nicht mehr die gesellschaftliche Sünde, die es einmal war!«

»Du mißverstehst die Zeiten, Gaius Lusius, wahrscheinlich weil du dir wünschst, daß sie sich ändern, du und deine Freunde, die genauso denken wie du. Ihr kommt zusammen und tauscht Erfahrungen aus und klammert euch an alles, was zu euren Wünschen paßt.« Sulla war sehr ernst geworden. »Ich versichere dir, je besser du die Welt kennenlernst, in die du geboren worden bist, desto mehr wirst du erkennen, daß du dich selbst täuschst. Und wer sein eigenes Geschlecht bevorzugt, wird nirgends weniger Vergebung finden als in Gaius Marius’ Armee. Und keiner wird dich härter strafen als Gaius Marius, wenn er von deinem Geheimnis erfährt.«

Den Tränen nahe und in höchster Seelenpein rang Lusius die Hände. »Das kostet mich den Verstand!«

»Nein. Du wirst dich zusammenreißen, und du wirst bei deinen Annäherungsversuchen größte Zurückhaltung walten lassen. Du wirst so bald wie möglich die Zeichen lernen, an denen Männer deiner Neigung sich erkennen. Ich kann dir nicht sagen, welche Zeichen das sind, da ich dem Laster selbst nicht fröne. Wenn du Karriere im öffentlichen Leben machen willst, Gaius Lusius, dann rate ich dir dringend, dich gleichfalls davon fernzuhalten. Aber du bist jung - wenn du also deinen Appetit nicht zügeln kannst, sorge wenigstens dafür, daß es der richtige Mann ist.« Und Sulla lächelte, diesmal etwas freundlicher, drehte sich um und ließ Lusius stehen.

Eine Weile schlenderte er ziellos umher, die Arme auf dem Rücken verschränkt, ohne dem geordneten Treiben um ihn herum Beachtung zu schenken. Die Legionäre hatten den Befehl erhalten, ein vorläufiges Lager zu errichten. Zwar hielten sich keine feindlichen Truppen in der Provinz auf, aber eine römische Armee schlief nicht ungeschützt. Auf der Hügelkuppe hatten sich bereits Landvermesser und Ingenieure an die Planung des endgültigen Lagers gemacht, und die Soldaten, die nicht mit der Errichtung des provisorischen Lagers beauftragt waren, hatten mit der Befestigung des Hügels begonnen. Zunächst mußte Holz für Balken, Pfosten und Gebäude herangeschafft werden, keine leichte Aufgabe, da es im unteren Rhônetal nur noch wenig Wald gab. Die Menschen siedelten hier seit Jahrhunderten, seit die Griechen Massilia gegründet hatten, seit die griechische, später die römische Kultur sich ins Landesinnere ausgebreitet hatte.

Die Armee lagerte im Norden der weiten Salzmarschen, die das Rhônedelta bildeten und sich westlich und östlich davon erstreckten. Es war typisch für Marius, daß er sowohl das provisorische wie das endgültige Lager auf unbebautem Land errichten ließ.

»Man darf es sich mit möglichen Verbündeten nicht verderben« sagte er. »Außerdem werden die Bewohner der Gegend jeden Quadratzoll urbaren Landes brauchen, wenn sie fünfzigtausend Mäuler zusätzlich stopfen müssen.«

Die für die Beschaffung des Getreides und der übrigen Nahrung zuständigen Beamten waren bereits losgeritten, um mit den Bauern Verträge zu schließen, und ein Teil der Soldaten baute auf dem Hügel Kornspeicher, die so viel Getreide faßten, daß fünfzigtausend Mann zwölf Monate bis zur nächsten Ernte davon leben konnten. Der schwere Troß hatte alle Gegenstände mitgeführt, die Marius’ Informanten zufolge in Gallia Transalpina nicht erhältlich oder knapp waren - Pech, massive Holzbalken, Flaschenzüge, Werkzeuge, Kräne, Drehmühlen, Kalk und größere Mengen kostbarer eiserner Bolzen und Nägel. Der praefectus fabrum hatte in Populonia und Pisae, den beiden Häfen, in die das Roheisen der Insel Elba gebracht wurde, jeden verfügbaren Barren aufgekauft und das Metall in Karren über die Alpen schaffen lassen, für den Fall, daß die Ingenieure Stahl herstellen mußten. Der schwere Troß führte außerdem Ambosse, Schmelztiegel, Hämmer, feuerfeste Ziegel und weitere unentbehrliche Werkzeuge mit. Einige Soldaten schichteten bereits Holz auf, um einen großen Vorrat an Holzkohle herzustellen, denn ohne Holzkohle konnte man den Schmelzofen nicht genügend erhitzen, um Eisen zu schmelzen, geschweige denn zu Stahl zu härten.

Sulla kehrte um und ging zum Holzhaus des Feldherrn zurück, jetzt war der Augenblick da! Denn er hatte einen bereits sorgfältig durchdachten Plan, wie er die Langeweile vertreiben konnte, einen Plan, der ihm all den Nervenkitzel verschaffen würde, den er sich nur wünschen konnte. Die Idee war noch in Rom gekeimt, während des Marsches entlang der Küste war sie gereift, und jetzt war es soweit, sie konnte in die Tat umgesetzt werden. Ja, es war Zeit, mit Gaius Marius zu sprechen.

Der Feldherr saß allein an einem Tisch und schrieb eifrig.

»Hast du vielleicht eine Stunde Zeit für mich, Gaius Marius?« fragte Sulla, während er die Plane hochhielt, die den inneren Bereich vom Vorzelt des Wachoffiziers trennte. »Ich würde gern einen Spaziergang mit dir machen.« Mit ihm drang ein vorwitziger Sonnenstrahl ins Innere. Er umgab Sulla mit einer Aura flüssigen Goldes und entfachte in den schulterlangen Locken seines barhäuptigen Kopfes ein funkensprühendes Feuer.

Marius sah auf und musterte seinen Besucher mißbilligend. »Laß dir die Haare schneiden«, sagte er kurz. »Noch ein paar Zoll länger, und du siehst aus wie eine Tänzerin!«

»Das ist ja merkwürdig!« sagte Sulla. Er rührte sich nicht.

»Ich würde eher sagen schlampig«, erwiderte Marius.

»Nein, es ist merkwürdig, daß dir meine Haare in den letzten Monaten nicht aufgefallen sind, sondern erst jetzt, wo ich dich in einer ganz bestimmten Sache aufsuche. Du kannst vielleicht nicht Gedanken lesen, Gaius Marius, aber du spürst instinktiv, was die Menschen in deiner Umgebung beschäftigt.«

»Jetzt redest du auch noch wie eine Tänzerin. Warum brauchst du mich für einen Spaziergang?«

»Weil ich dich persönlich sprechen muß, Gaius Marius, und zwar an einem Ort, an dem es keine Fenster oder Wände mit Ohren gibt. Deshalb habe ich an einen Spaziergang gedacht.«

Wortlos legte Marius die Feder auf den Tisch, rollte das Pergament zusammen und stand auf. »Ein Spaziergang ist mir lieber als die Schreibarbeit, Lucius Cornelius. Gehen wir.«

Rasch und stumm schritten sie durch das Lager, ohne die neugierigen Blicke zu beachten, mit denen Soldaten, Zenturionen und Offiziersanwärter ihnen nachsahen. Nach drei Jahren Dienst unter Gaius Marius und Lucius Cornelius Sulla hatten die Legionäre ein untrügliches Gespür dafür entwickelt, wann eine wichtige Entscheidung bevorstand. Heute war ein solcher Tag, jeder spürte es.

Es war bereits zu spät, um noch auf den Hügel zu steigen, deshalb blieben Marius und Sulla im offenen Gelände stehen, wo der Wind ihre Worte wegtrug.

»Also, worum geht es?« fragte Marius.

»Ich habe meine Haare schon in Rom wachsen lassen«, sagte Sulla.

»Ich habe es bis jetzt nicht bemerkt. Ich nehme an, deine Haare haben etwas mit dem zu tun, weshalb du mich sprechen willst?«

»Ich verwandle mich in einen Gallier.«

Marius war auf einmal hellwach. »Aha! Fahre fort, Lucius Cornelius.«

»Unser größter Schwachpunkt auf diesem Feldzug gegen die Germanen ist unser fataler Mangel an verläßlichen Informationen über sie. Von Anfang an, als die Taurisker den ersten Hilferuf an uns schickten und wir von der germanischen Wanderung erfuhren, waren wir ratlos, weil wir absolut nichts über sie wissen. Wir wissen nicht, wer sie sind, woher sie kommen, was für Götter sie anbeten, warum sie überhaupt ihre angestammte Heimat verlassen haben, unter welcher Ordnung sie leben und wie sie regiert werden. Vor allem aber wissen wir nicht, warum sie uns eine Niederlage nach der anderen beibringen und trotzdem nie nach Italien vorstoßen, während man einen Hannibal oder Pyrrhus nicht mit einer Million Kriegselefanten hätte aufhalten können.«

Sulla sah geradeaus an Marius vorbei. Seine harten Augen leuchteten in den letzten Strahlen der Sonne, und Marius verspürte auf einmal eine beklommene Scheu. Es war einer jener seltenen Augenblicke, in denen ihm ein sonst verborgener Wesenszug an Sulla auffiel, Sullas »Unmenschlichkeit« . Er verstand darunter nicht Unmenschlichkeit im üblichen Sinn, es war vielmehr so, als ließe Sulla plötzlich einen Schleier fallen und entpuppte sich - nicht als Mensch und auch nicht als Gott, sondern als eine vom Menschen verschiedene Schöpfung der Götter. Dieser Wesenszug trat in dem Moment deutlich hervor, als das Sonnenlicht in Sullas Augen aufglühte, als käme es von dort.

»Weiter«, sagte Marius.

Sulla fuhr fort. »Bevor wir Rom verließen, kaufte ich zwei neue Sklaven. Sie haben mich auf der Reise begleitet und sind auch jetzt bei mir. Der eine ist ein Gallier von den Karnuten, jenem Stamm, der die keltische Religion so sehr beeinflußt hat. Die Gallier haben eine seltsame Religion - sie glauben, daß die Bäume lebendige Wesen sind, weil Geister oder Schatten oder so etwas ähnliches in ihnen wohnen. Man kann es nur schwer mit unseren Vorstellungen vergleichen. Der andere ist ein Germane von den Kimbern. Er geriet bei Noricum in Gefangenschaft, als Carbo dort besiegt wurde. Ich halte die beiden streng getrennt. Keiner weiß vom anderen.«

»Hast du von deinem germanischen Sklaven nichts über die Germanen erfahren können?«

»Überhaupt nichts. Er gibt vor, nicht zu wissen, wer sie sind oder woher sie kommen. Ich habe Nachforschungen angestellt und glaube jetzt, daß diese Unkenntnis typisch ist für die wenigen Germanen, die wir gefangennehmen und versklaven konnten. Ich bezweifle allerdings, daß außer mir noch ein anderer römischer Sklavenbesitzer je ernsthaft versucht hat, über seine Sklaven an Informationen zu kommen. Das ist ja jetzt auch egal. Ich habe jedenfalls meinen Germanen gekauft, um an Informationen zu kommen. Als er sich aber als so widerspenstig herausstellte - und es macht keinen Sinn, jemanden zu foltern, der dasteht wie der Ochs vorm Berg -, kam mir eine bessere Idee. Unsere Informationen, Gaius Marius, kommen gewöhnlich aus zweiter Hand. Für unsere Zwecke ist das nicht gut genug.«

»Wahr gesprochen«, sagte Marius. Er wußte jetzt, worauf Sulla hinauswollte, mochte ihn aber nicht drängen.

»Solange der Krieg mit den Germanen nicht unmittelbar bevorsteht, so überlegte ich, ist es unsere Pflicht, daß wir uns Informationen aus erster Hand beschaffen. Meine Sklaven stehen beide lange genug in römischen Diensten, daß sie Latein gelernt haben, der Germane freilich nur ein sehr rudimentäres Latein. Von meinem karnutischen Gallier habe ich interessanterweise erfahren, daß die zweite Sprache der Gallier Latein ist, nicht Griechisch, sobald man sich von der Mittelmeerküste entfernt und ins Landesinnere vordringt. Ich will damit nicht sagen, daß die Gallier sich dort lateinische Witze erzählen, sondern lediglich, daß man dank der Kontakte zwischen dort siedelnden Stämmen wie den Häduern und römischen Soldaten oder Händlern gelegentlich einen Gallier trifft, der ein paar Brocken Latein spricht und lesen und schreiben kann. Da die Gallier für ihre eigenen Sprachen keine Schrift haben, lesen und schreiben sie in Latein. Nicht Griechisch. Faszinierend, findest du nicht? Wir haben uns so an Griechisch als Verkehrssprache der ganzen Welt gewöhnt, daß es geradezu erfrischend ist zu erfahren, daß ein Teil der Welt Latein bevorzugt!«

»Da ich selbst weder Gelehrter noch Philosoph bin, Lucius Cornelius, muß ich gestehen, daß mich diese Erkenntnis nicht in ähnlichem Maße fasziniert. Aber«, Marius lächelte dünn, »an Informationen über die Germanen bin ich dafür um so mehr interessiert!«

Sulla hob in gespielter Ergebenheit die Hände. »Schon verstanden, Gaius Marius! Also gut. Seit fast fünf Monaten lerne ich die Sprache der Karnuten Zentralgalliens und die Sprache der germanischen Kimbern. Mein karnutischer Lehrer ist von diesem Projekt weit mehr begeistert als mein germanischer Lehrer - aber er ist auch der Hellere von beiden.« Sulla hielt inne, um über seine letzten Worte nachzudenken, und fand, daß er sich nicht richtig ausgedrückt hatte. »Mein Eindruck, daß der Germane der Beschränktere von beiden ist, muß nicht unbedingt stimmen. Da der Schock der Trennung von seinen Stammesgenossen für ihn viel größer war als für den Gallier, hat er sich vielleicht nur in sich zurückgezogen, um sein gegenwärtiges Unglück besser ertragen zu können. Aber wenn man bedenkt, daß er immerhin dumm genug war, sich in einem Krieg fangen zu lassen, den sein Volk gewonnen hat, und daß ich auch einfach Pech gehabt haben könnte, ist er vielleicht doch nur ein beschränkter Germane.«

»Lucius Cornelius, meine Geduld ist nicht unerschöpflich«, sagte Marius. Es klang mehr resigniert als barsch. »Du redest so umständlich wie der peripatetischste Peripatetiker!«

»Ich bitte um Entschuldigung.« Sulla grinste und sah dann Marius an. Das Leuchten in seinen Augen erlosch, und er schien wieder ein normaler Mensch zu sein.

Lebhaft fuhr er fort: »Mit meinen Haaren, meiner Haut und meinen Augen wird man mich ohne weiteres für einen Gallier halten. Ich beabsichtige, ein Gallier zu werden und in Gebiete zureisen, die noch kein Römer betreten hat. Vor allem will ich den Germanen folgen, die nach Spanien ziehen, das sind mit Sicherheit die Kimbern, vielleicht noch andere Stämme. Ich kann genug Kimbrisch, daß ich wenigstens verstehe, was sie sagen, deshalb will ich mich auf die Kimbern konzentrieren.« Er lachte. »Meine Haare müßten eigentlich noch viel länger sein als die einer Tänzerin, aber einstweilen muß es so reichen. Wenn ich gefragt werde, warum sie so kurz sind, sage ich, eine Krankheit der Kopfhaut hätte mich gezwungen, sie abzuschneiden. Zum Glück wachsen sie sehr schnell.«

Sulla schwieg. Auch Marius sagte eine Zeitlang nichts. Er stellte nur seinen Fuß auf einen Baumstamm und stützte den Ellbogen auf das Knie und das Kinn auf die Faust. In Wirklichkeit wußte er gar nicht, was er sagen sollte. Seit Monaten sorgte er sich, daß er Lucius Cornelius an die Fleischtöpfe Roms verlieren würde, weil ihm der Feldzug zu langweilig wurde, und die ganze Zeit über bastelte Lucius Cornelius an einem Plan, der mit Sicherheit alles andere als langweilig sein würde. Was für ein Plan! Was für ein Mann! Odysseus war der erste Spion, von dem die Geschichte berichtete. In den Kleidern eines trojanischen Niemands hatte er sich in die Mauern Ilions geschlichen, um dort alle Informationen zu sammeln, dererer habhaft werden konnte - und jeder grammaticus ließ seine Schüler mit Vorliebe die Frage diskutieren, ob Kalchas zu den Achaiern übergelaufen war, weil er die Trojaner satt hatte, weil er für König Priamos spionieren wollte oder weil er unter den griechischen Königen Zwietracht säen wollte.

Auch Odysseus hatte rote Haare gehabt und war von vornehmer Abstammung gewesen. Trotzdem - Marius konnte sich Sulla beim besten Willen nicht als zweiten Odysseus vorstellen. Sulla war eine Kategorie für sich, komplett und aus einem Guß. Genau wie sein Plan. Angst kannte dieser Mann nicht, soviel war klar. Er plante seine außergewöhnliche Mission mit dem nüchternen Kalkül des Geschäftsmannes, und das machte ihn - unverwundbar. Anders ausgedrückt, er handelte wie der römische Aristokrat, der er war. Er zweifelte nicht an seinem Erfolg, weil er wußte, daß er besser war als die anderen.

Marius ließ Faust und Ellbogen sinken und richtete sich wieder auf. Er atmete tief ein. »Glaubst du wirklich, daß du es schaffen kannst, Lucius Cornelius? Du bist so durch und durch ein Römer! Ich bewundere dich unendlich, und der Plan ist genial. Aber du mußt dafür alles verleugnen, was dich zum Römer macht, und ich weiß nicht, ob ein Römer das überhaupt kann. Unsere Kultur ist so übermächtig, daß sie ihre unauslöschlichen Spuren an uns hinterläßt. Du wirst eine Lüge leben müssen.«

Sulla hob eine rotgoldene Braue, und die Winkel seines schönen Mundes verzogen sich nach unten. »Ich habe mein ganzes Leben die eine oder andere Lüge gelebt, Gaius Marius.«

»Auch jetzt?«

»Auch jetzt.«

Sie machten sich auf den Rückweg zum Lager.

»Willst du allein gehen, Lucius Cornelius?« fragte Marius. »Glaubst du nicht, es könnte nützlich sein, wenn du jemanden bei dir hast? Falls du mir zum Beispiel eine dringende Botschaft zukommen lassen willst, aber nicht selbst gehen kannst? Wäre nicht ein Begleiter hilfreich, der dir den Spiegel vorhalten könnte, wie du umgekehrt auch ihm?«

»Ich habe darüber nachgedacht«, erwiderte Sulla, »und ich würde gern Quintus Sertorius mitnehmen.«

Marius war zuerst hocherfreut, aber dann runzelte er die Stirn. »Seine Haare sind zu dunkel. Er könnte nie als Gallier gelten, geschweige denn als Germane.«

»Stimmt. Aber er könnte ein Grieche mit keltiberischem Einschlag sein.« Sulla räusperte sich. »Ich habe ihm übrigens einen Sklaven gegeben, als wir Rom verließen. Einen Keltiberer vom Stamm der Illergeten. Ich habe Quintus Sertorius nicht gesagt, was ich vorhabe, sondern nur, daß er Keltiberisch lernen solle.«

Marius starrte Sulla an. »Du bist gut vorbereitet. Meine Hochachtung.«

»Ich kann Quintus Sertorius also mitnehmen?«

»Ja. Obwohl ich immer noch glaube, daß er zu dunkel ist, und fürchte, daß dir das zum Verhängnis werden könnte.«

»Es wird schon klappen. Quintus Sertorius ist für mich sehr wertvoll, und sein dunkles Aussehen könnte sogar ein Vorteil sein. Er hat den Tierzauber, und solche Menschen stehen bei allen barbarischen Völkern in hohem Ansehen. Seine dunkle Erscheinung paßt zum Bild des Schamanen.«

»Tierzauber? Was meinst du damit?«

»Quintus Sertorius kann wilde Tiere rufen. Ich habe das in Africa erlebt, als er einen Leoparden herbeipfiff und ihn streichelte. In meine Mission habe ich ihn allerdings erst eingeplant, als er den jungen Adler gesundpflegte und zähmte, ohne dabei den natürlichen Drang des Tieres nach ungehemmter Freiheit zu ersticken. Jetzt lebt der Adler das Leben, das die Natur für ihn bestimmt hat, aber er hat Sertorius nicht vergessen und kehrt ab und zu zurück, setzt sich auf seinen Arm und reibt den Schnabel an seiner Wange. Die Soldaten beten Sertorius an. Der Adler ist ein verheißungsvolles Omen.«

»Ich weiß. Der Adler ist das Symbol der Legionen, und Quintus Sertorius hat das Symbol zum Leben erweckt.«

Sie sahen zu den sechs silberbeschlagenen, von silbernen Adlern bekrönten Stangen hinüber, die man im Lager in den Boden gerammt hatte. Die Stangen waren mit Kronen, phalerae und torques geschmückt, und vor ihnen brannte ein Feuer auf einem Dreifuß. Die Wachen standen stramm, während ein Priester in Toga mit verhülltem Haupt Weihrauch in die Kohlen auf dem Dreifuß streute und dazu die Gebete zum Sonnenuntergang sprach.

»Warum ist dieser Tierzauber eigentlich so wichtig?« fragte Marius.

»Die Gallier sind sehr abergläubisch. Sie glauben, daß in allen wilden Tieren Geister wohnen. Soviel ich weiß, gilt das auch für die Kimbern. Quintus Sertorius wird sich als Schamane eines spanischen Stammes verkleiden, der in einer so abgelegenen Gegend lebt, daß sogar die Stämme der Pyrenäen ihn kaum kennen.«

»Wann willst du aufbrechen?«

»Sehr bald. Es wäre mir allerdings lieber, wenn du Quintus Sertorius in den Plan einweihen würdest. Er kommt sicher gern mit, aber er ist dir völlig ergeben. Es ist also besser, wenn du es ihm sagst.« Sulla schneuzte sich. »Niemand anders darf davon erfahren. Niemand!«

»Ganz deiner Meinung. Allerdings gibt es drei Sklaven, die etwas wissen: die Sklaven, die dich und Sertorius in ihren Sprachen unterrichtet haben. Willst du, daß sie verkauft und mit dem Schiff in eine entlegene Provinz gebracht werden?«

»Warum so viele Umstände?« fragte Sulla überrascht. »Ich wollte sie töten.«

»Eine ausgezeichnete Idee. Allerdings verlierst du dabei Geld.«

»Aber kein Vermögen«, sagte Sulla leichthin. »Nimm es als meinen Beitrag zum Erfolg dieses Feldzugs gegen die Germanen.«

»Ich werde sie töten lassen, sobald du weg bist.«

Sulla schüttelte den Kopf. »Nein, ich tue die dreckige Arbeit selbst. Und zwar jetzt gleich. Sie haben mir und Quintus Sertorius beigebracht, was sie wissen. Morgen schicke ich sie mit einem Auftrag nach Massilia.« Er streckte sich und gähnte ausgiebig. »Ich kann gut mit Pfeil und Bogen umgehen, Gaius Marius. Und die Salzmarschen sind sehr einsam. Jeder wird glauben, sie seien weggelaufen. Auch Quintus Sertorius.«

Ich bin der Erde zu nahe, dachte Marius. Nicht, daß es mir etwas ausmachen würde, kaltblütig Menschen umzubringen. Das gehört zum Leben, wie wir es kennen, und kein Gott wird dadurch gekränkt. Aber Sulla gehört einem alten römischen Patriziergeschlecht an. Er steht zu hoch über der Erde. Ein wahrer Halbgott. Und Marius fielen die Worte der syrischen Prophetin Martha ein, die in diesem Augenblick als Ehrengast in seinem Haus in Rom weilte. Ein weit größerer Römer als er, gleichfalls ein Gaius, aber ein Julius, kein Marius... Fehlte ihm das? Jener fast schon göttliche Tropfen patrizischen Blutes? Ende September schrieb Publius Rutilius Rufus in einem Brief an Gaius Marius:

Publius Licinius Nerva hat sich endlich dazu durchgerungen, dem Senat die Lage in Sizilien in völliger Offenheit zu schildern. Natürlich erhältst Du als Konsul seinen offiziellen Bericht; aber Du wirst zuerst meine Version hören, denn ich weiß, daß Du meinen Brief vor dem langweiligen offiziellen Schreiben lesen wirst, und deshalb habe ich ihm einen Platz in der Tasche des Kuriers gesichert.

Bevor ich Dir allerdings über Sizilien schreibe, muß ich bis zum Anfang des Jahres zurückgehen. Wie du weißt, empfahl damals der Senat den Tribus des Volkes, ein Gesetz zu verabschieden, nach dem überall in unserem Reich Sklaven, die den Völkern unserer italischen Bundesgenossen angehören, befreit werden sollen. Du weißt wahrscheinlich nicht, daß das Gesetz zu unvorhergesehenen Komplikationen führte - daß nämlich die Sklaven anderer Abstammung, besonders jener Völker, die offiziell Freunde und Verbündete des römischen Volkes genannt werden, entweder das Gesetz auch auf sich bezogen oder aber sehr unzufrieden waren, daß es nicht auch für sie galt. Die Unzufriedenheit war besonders stark bei den griechischen Sklaven, die die Mehrheit der Sklaven stellen, die auf den Getreidefeldern Siziliens und zu verschiedenen Zwecken in der Campania eingesetzt werden.

Der zwanzigjährige Sohn des Titus Vettius, eines Ritters und römischen Vollbürgers aus der Campania, wurde im Februar ganz offensichtlich verrückt. Ursache dafür waren Schulden: er hatte sich verpflichtet, sieben Talente Silber für - ausgerechnet! - ein skythisches Sklavenmädchen zu zahlen. Da der alte Titus Vettius ein Geizhals ersten Ranges ist und obendrein viel zu alt als Vater eines Zwanzigjährigen, borgte der junge Titus Vettius das Geld zu einem enormen Zins und verpfändete seine gesamte Erbschaft. Natürlich war er den Geldverleihern so hilflos ausgeliefert wie ein gerupftes Hühnchen, und sie bestanden darauf, daß er ihnen das Geld nach Ablauf von dreißig Tagen zurückerstatten sollte. Als er dazu erwartungsgemäß nicht in der Lage war, gaben sie ihm eine weitere Frist von dreißig Tagen. Als auch dann keine Aussicht auf Rückzahlung bestand, gingen sie zu seinem Vater, um das Geld zurückzufordern - mit enormen Zinsen. Der Vater weigerte sich und enterbte seinen Sohn. Der wurde verrückt.

Als nächstes ließ der junge Titus Vettius sich ein Diadem aufsetzen und ein purpurnes Gewand anlegen. Er erklärte sich zum König der Campania und rief alle Sklaven dieser Region auf, sich zu erheben. Ich muß sofort hinzufügen, daß der Vater zu den tüchtigen Großbauern alten Schlages gehört - er behandelt seine Sklaven gut, und unter ihnen sind keine Italiker. In nächster Nähe wohnte allerdings einer jener fürchterlichen Großbauern, die ihre Sklaven neuerdings zu einem Spottpreis einkaufen, sie gefesselt arbeiten lassen, sie nicht fragen, woher sie kommen, und sie zum Schlafen in schmutzigen Baracken anketten. Dieser gemeine Bursche hieß Marcus Macrinus Mactator, und es stellte sich heraus, daß er ein großer Freund Deines Mitkonsuls, unseres so überaus aufrechten und ehrbaren Gaius Flavius Fimbria war

An dem Tag, als der junge Titus Vettius den Verstand verlor, kaufte er fünfhundert ausgemusterte Paraden-Rüstungen, die eine Gladiatorenschule versteigerte, und bewaffnete seine Sklaven damit. Die kleine Armee marschierte geradewegs zum Wohnsitz des Sklavenschinders Marcus Macrinus Mactator. Die Sklaven folterten und töteten Mactator und seine Familie und befreiten eine große Zahl von Sklaven, von denen viele den Völkern unserer italischen Bundesgenossen angehörten und daher widerrechtlich als Sklaven festgehalten worden waren.

In kürzester Zeit gebot der junge Titus Vettius, der König der Campania, über eine viertausend Mann starke Armee von Sklaven und hatte sich auf einem Hügel in einem gut befestigten Lager verschanzt. Und weitere Sklaven strömten seiner Armee in Scharen zu! Capua verbarrikadierte die Tore, ließ die Gladiatoren der Gladiatorenschulen aufmarschieren und rief den Senat in Rom um Hilfe an.

Fimbria jammerte laut und vergoß dicke Tränen über den Tod seines Freundes Mactator des Schlächters, bis die Senatoren genug hatten und den praetor peregrinus Lucius Licinus Lucullus beauftragten, eine Armee zusammenzustellen und den Sklavenaufstand niederzuwerfen. Na, Du weißt ja, was für ein kolossaler Aristokrat Lucius Licinus Lucullus ist! Er war natürlich wenig erbaut darüber, von einer Küchenschabe wie Fimbria in die Campania geschickt zuwerden, um dort aufzuräumen.

Und jetzt ein kleiner Exkurs. Ich nehme an, Du weißt, daß Lucullus mit der Schwester von Metellus Schweinebacke verheiratet ist, mit Metella Calva. Die beiden haben zwei Söhne, vierzehn und zwölf Jahre alt, die gemeinhin als äußerst vielversprechend gelten. Da Schweinebackes Sohn Metellus das Ferkel keine zwei Worte am Stück herausbringt, ruhen alle Hoffnungen der Familie auf dem jungen Lucius und seinem Bruder Marcus Lucullus. Nein, Gaius Marius! Ich höre Dich bis hierher nach Rom schimpfen, aber so etwas ist wichtig, wenn Du es nur einmal einsehen würdest! Wie willst du Dich ungeschoren durch das Labyrinth des öffentlichen Lebens in Rom bewegen, wenn Du die Beziehungen der Familien zueinander und den Klatsch nicht kennst? Lucullus’ Frau also, Schweinebackes Schwester, ist für ihren unsittlichen Lebenswandel bekannt. Erstens wickelt sie ihre Affären in aller Öffentlichkeit ab; dazu gehören hysterische Szenen vor Juweliergeschäften und gelegentliche Selbstmordversuche, bei denen sie sich die Kleider vom Leib reißt und versucht, über die Mauer in den Tiber zu springen. Zweitens - und das ist es, was unseren großen Schweinebacke wirklich kränkt, vom stolzen Lucullus ganz zu schweigen - beglückt die arme Metella Calva nicht etwa Männer ihres Standes mit ihrer Gunst. Nein, Metella Calva mag schöne Sklaven und kräftige Arbeiter, die sie in den Werften am Hafen von Rom aufliest. Sie ist deshalb für Schweinebacke und Lucullus eine fürchterliche Last, obwohl sie ihren zwei Jungen eine ausgezeichnete Mutter ist, wie ich glaube.

Ende des Exkurses. Ich erwähne das, um der ganzen Affäre die so bitter nötige Würze zu geben. Und um Dir klarzumachen, warum Lucullus beim Abmarsch in die Campania so erbost war: Er mußte sich von einem Mann herumkommandieren lassen, der sehr wahrscheinlich zu den Günstlingen von Metella Calva gehören würde, wenn er ärmer wäre - vulgärer könnte er ja nicht sein! Übrigens ist etwas faul mit Fimbria. Er ist seit neuestem ausgerechnet mit Gaius Memmius befreundet. Die zwei halten zusammen wie Pech und Schwefel, und eine Menge Geld wechselt den Besitzer, ohne daß klar ist, zu welchem Zweck.

Auf jeden Fall räumte Lucullus bald in der Campania auf. Der junge Titus Vettius und die Offiziere und Soldaten seiner Sklavenarmee wurden hingerichtet. Lucullus wurde für seine Arbeit belobigt und waltete dann wieder seines Amtes als Rechtspfleger in Orten wie Reate.

Aber habe ich Dir nicht vor einiger Zeit geschrieben, daß ich ein ungutes Gefühl bei den kleinen Sklavenaufständen in der Campania letztes Jahr hatte? Mein Gefühl hat mich nicht getrogen. Zuerst kam Titus Vettius. Und jetzt ist in Sizilien ein großer Sklavenkrieg ausgebrochen!

Publius Licinius Nerva sah für mich immer aus wie eine Maus und bewegte sich auch so, aber wer hätte je gedacht, daß es gefährlich sein könnte, ihn als Prätor und Statthalter nach Sizilien zuschicken? Mäuseflink und akribisch, wie er ist, hätte dieser Posten ihm eigentlich auf den Leib geschneidert sein müssen: hierhin trippeln, dorthin trippeln, Vorräte für den Winter anlegen und umfangreiche, detaillierte Berichte schreiben, die Schwanzspitze in Tinte getaucht, die Barthaare vor Eifer zitternd.

Es wäre ja auch alles gutgegangen, hätte es nicht dieses unglückliche Gesetz gegeben, das die versklavten italischen Bundesgenossen befreit. Prätor Nerva huschte also nach Sizilien und begann dort, die italischen Sklaven freizulassen, etwa ein Viertel aller Sklaven, die auf den sizilischen Getreidefeldern arbeiten. Er selbst fing in Syrakus an, sein Quästor am anderen Ende der Insel in Lilybaeum. Nerva arbeitete langsam und genau, schließlich war er Nerva - er hat übrigens ein hervorragendes System entwickelt, wie er Sklaven entlarvt, die sich als Italiker ausgeben und keine sind: Er stellt ihnen Fragen zum Land der Osker und zur allgemeinen Geographie unserer Halbinsel. Den Erlaß zur Befreiung der Sklaven veröffentlichte Nerva allerdings nur in Latein, weil er glaubte, auch das würde Betrüger ausschalten. Mit dem Ergebnis, daß die, die nur Griechisch konnten, sich die Bestimmungen von anderen übersetzen lassen mußten und die Verwirrung von Tag zu Tag größer wurde.

In den letzten beiden Wochen des Monats Mai ließ Nerva in Syrakus etwa achthundert italische Sklaven frei, während sein Quästor in Lilybaeum noch auf Anweisungen wartete. Dann traf in Syrakus eine Abordnung der erzürnten Getreidebauern ein. Sie drohten Nerva für den Fall, daß er weiterhin ihre Sklaven freilassen sollte, alles Erdenkliche an, von einem Prozeß bis zur Entmannung. Nerva wich beim Anblick der fauchenden Katze eingeschüchtert zurück und machte sein Büro sofort zu. Weitere Sklaven sollten nicht freigelassen werden. Leider erreichte diese Anweisung seinen Quästor in Lilybaeum zu spät. Der Quästor war inzwischen des Wartens überdrüssig geworden und hatte auf dem Marktplatz von Lilybaeum ein eigenes Büro eingerichtet. Er hatte gerade angefangen, als er schon wieder schließen mußte. Die Sklaven, die auf dem Marktplatz anstanden, waren buchstäblich verrückt vor Wut und wälzten Mordgedanken in ihren Köpfen, als sie nach Hause gingen.

Daraufhin brach am westlichen Ende der Insel ein Aufstand aus. Er begann mit der Ermordung zweier reicher Brüder, die in der Nähe von Halicyae riesige Latifundien bewirtschafteten, und breitete sich von dort immer weiter aus. Überall in Sizilien verließen Sklaven zu Hunderten und Tausenden ihre Höfe, einige von ihnen ermordeten zuerst noch ihre Aufseher und sogar ihre Besitzer. Dann versammelten sie sich im Heiligtum der Paliken, das meines Wissens ungefähr vierzig Meilen südwestlich des Ätna liegt. Nerva trommelte eine Bürgerwehr zusammen, eroberte im Sturm eine alte Zitadelle, in der sich flüchtige Sklaven verbarrikadiert hatten, und glaubte, damit den Aufstand niedergeschlagen zu haben. Er löste die Miliz wieder auf und schickte die Bürger nach Hause.

Aber das war erst der Anfang. In der Nähe von Heracleia Minoa brach der Aufstand erneut aus, und als Nerva die Bürgerwehr wieder zusammenrufen wollte, stieß er auf taube Ohren. Er mußte auf eine kleine Kohorte von Hilfstruppen zurückgreifen, die am Fuß des Ätna stationiert war, in einiger Entfernung von Heracleia Minoa also. Diesmal siegte Nerva nicht. Die Kohorte wurde vollständig aufgerieben, und die Sklaven nahmen ihnen ihre Waffen ab.

Die Sklaven hatten inzwischen einen Führer - wie zu erwarten ein Italiker, der noch nicht befreit war, als Nerva sein Büro zumachte. Er heißt Salvius und ist ein Marser. Als freier Mann scheint er Flötenspieler und Schlangenbeschwörer gewesen zu sein. Er wurde versklavt, als man ihn dabei erwischte, wie er bei einer Versammlung von Anhängerinnen des Dionysoskults die Flöte blies, jenes Kults, der vor einigen Jahren dem Senat so große Sorgen bereitet hat. Salvius nennt sich jetzt König, und weil er Italiker ist, versteht er darunter nicht einen hellenistischen, sondern einen römischen König. Statt des Diadems trägt er die toga praetexta, und ihm voraus gehen Liktoren mit fasces und Äxten.

Am anderen Ende Siziliens, in der Nähe von Lilybaeum, tauchte noch ein zweiter Sklavenkönig auf, ein Grieche namens Athenion, und auch er sammelte ein Heer. Salvius und Athenion trafen sich im Paliken-Heiligtum und einigten sich darauf, daß Salvius - er nennt sich jetzt König Tryphon - der Herrscher über alle aufständischen Sklaven ist. Als Hauptquartier hat er einen uneinnehmbaren Ort namens Triocala gewählt, der im Schoß der Berge an der Küste gegenüber von Africa liegt, etwa auf halbem Weg zwischen Agrigentum und Lilybaeum.

Gegenwärtig ist Sizilien eine wahre Ilias der Leiden. Die Ernte liegt niedergetrampelt am Boden, mit Ausnahme des Getreides, das die Sklaven geerntet haben, um die eigenen Mägen zu füllen. Rom wird in diesem Jahr nicht eine Ähre aus Sizilien bekommen. Die Städte Siziliens sind überfüllt, weil viele Freie in den sicheren Mauern Zuflucht gesucht haben, und Hunger und Krankheiten wüten überall. Ein Heer von über 60 000 wohlbewaffneten Sklaven und 5 000 Reitern schwärmt plündernd über die ganze Insel und zieht sich, wenn es bedroht wird, in die uneinnehmbare Burg Triocala zurück. Die Sklaven haben Murgantia angegriffen und eingenommen, und fast wäre ihnen auch Lilybaeum in die Hände gefallen. Lilybaeum wurde in letzter Minute von einigen Veteranen gerettet, die von den Unruhen gehört hatten und von Africa übergesetzt hatten, um zu helfen.

Aber jetzt kommt der größte Skandal: Rom steht nicht nur eine drastische Getreideverknappung bevor, es sieht auch sehr danach aus, daß jemand in Sizilien durch Manipulationen absichtlich versucht hat, eine Getreideknappheit zu verursachen. Der Sklavenaufstand hat die vorübergehende Verknappung, die durch die Manipulationen bewirkt worden wäre, dramatisch verschlimmert, aber unser geschätzter Senatsvorsitzender Scaurus verfolgt eine Spur, die ihn, wie er hofft, zu dem Schuldigen oder den Schuldigen führt. Ich glaube, er verdächtigt unseren achtbaren Konsul Fimbria und Gaius Memmius. Warum sollte ein anständiger und aufrechter Mann wie Memmius sich mit jemandem wie Fimbria einlassen? Nun, ich glaube, ich weiß die Antwort. Memmius hätte schon vor Jahren Prätor werden sollen, er ist es aber erst jetzt geworden, und er hat nicht das Geld, um für das Konsulat zu kandidieren. Wenn aber Geld einen Mann daran hindert, das Amt zu bekommen, auf das er ein Recht zu haben glaubt, dann ist der Mann in der Lage, viele unkluge Dinge zu tun.

 

Gaius Marius legte den Brief mit einem Seufzer hin und griff nach den offiziellen Berichten des Senats, um auch sie zu lesen. Zum Glück war er allein, er konnte die Worte also laut vor sich hinbuchstabieren, wenn das Durcheinander zu groß wurde. Lautes Lesen an sich war keine Schande, das taten die anderen auch, aber von den anderen erwartete man auch, daß sie Griechisch konnten.

Publius Rutilius hatte wie immer recht. Sein langer Brief war unendlich viel aussagekräftiger als die offiziellen Berichte, obwohl diese den wörtlichen Text von Nervas Brief enthielten und jede Menge Zahlen. Sie waren einfach nicht so fesselnd und amüsant geschrieben, sie brachten die Sache nicht so auf den Punkt, wie Rutilius das tat.

Gaius Marius konnte sich die Aufregung in Rom gut vorstellen. Eine drastische Getreideverknappung gefährdete einige politische Karrieren, das Schatzamt konnte nicht erbaut sein, und die Ädilen mußten verzweifelt versuchen, anderswo Getreide herzubekommen. Sizilien war die Kornkammer Roms, und wenn Sizilien nicht lieferte, nagte Rom am Hungertuch. Aus Africa und Sardinien zusammen kam nicht einmal halb soviel Getreide nach Rom wie aus Sizilien! Als Folge der gegenwärtigen Krise würde das Volk dem Senat vorwerfen, einen unfähigen Statthalter nach Sizilien geschickt zu haben, und die capite censi würden sowohl das Volk als auch den Senat lautstark für ihre leeren Mägen verantwortlich machen.

Die Besitzlosen waren nicht politisch organisiert. Sie wollten nicht herrschen, und es war ihnen egal, wer sie beherrschte. Was sie am öffentlichen Leben interessierte, waren lediglich Sitze bei den Spielen und Geschenke bei den Festen. Es sei denn, sie hungerten. Dann allerdings wurden sie zu einer Kraft, mit der man rechnen mußte.

Zwar bekamen die Proletarier ihr Getreide nicht kostenlos, aber der Senat ließ durch seine Ädilen und Quästoren sicherstellen, daß es zu einem günstigen Preis an sie abgegeben wurde, auch wenn das in Zeiten des Getreidemangels sehr zum Verdruß der Beamten bedeutete, daß man Getreide teuer einkaufen und trotzdem zum selben billigen Preis abgeben mußte. Jeder in Rom wohnende römische Bürger konnte Getreide zum staatlich garantierten Billigpreis kaufen, egal wie reich oder arm er war. Er mußte nur bereit sein, sich an der langen Schlange am Tisch des Ädils im Porticus Minucia anzustellen, wo die Getreidemarken ausgeteilt wurden. Gegen Abgabe der Marken konnte er dann in einem der staatlichen Kornspeicher entlang des Aventin oberhalb des Hafens von Rom die ihm zustehenden fünf modii billiges Getreide kaufen. Daß nur wenige Reiche dort einkauften, war reine Bequemlichkeit. Es war so viel einfacher, auf dem Getreidemarkt im Velabrum einzukaufen und das Getreide von den Händlern aus den privaten Getreidespeichern am Vicus Tuscus am Fuß des Palatin direkt ins Haus liefern zulassen.

Gaius Marius wußte, daß die Getreideverknappung auch für ihn selbst gefährlich werden konnte. Unwillig runzelte er die Augenbrauen. Sobald der Senat das Schatzamt aufforderte, ihre mit Spinnweben bedeckten Truhen zu öffnen, um für teures Geld Getreide für die Armen zu kaufen, würde das Geheul losgehen. Die tribuni aerari, die für die Versorgung zuständigen Beamten des Schatzamtes, würden mißmutig erklären, daß sie unmöglich größere Summen für Getreide ausgeben könnten, wenn sie schon eine sechs Legionen starke Proletarierarmee bezahlen müßten, die gegenwärtig in Gallia Transalpina Straßen baue! Sie würden dem Senat alle Schuld geben, und der Senat würde sich auf häßliche Auseinandersetzungen mit ihnen einlassen müssen, um das Getreide trotzdem zu bekommen. Und dann würde der Senat sich natürlich beim Volk darüber beschweren, daß die Proletarier wie immer Scherereien machten und Geld kosteten.

Schöne Aussichten! Wie konnte er hoffen, zum zweitenmal hintereinander in absentia zum Konsul gewählt zu werden, wenn er eine Armee von Proletariern befehligte und Rom hungrigen Proletariern ausgeliefert war? Verrotten sollte Publius Licinius Nerva! Und mit ihm alle Getreidespekulanten!

Nur der Senatsvorsitzende Marcus Aemilius Scaurus hatte bereits vor der Krise gespürt, daß etwas im Gange war. Gegen Ende des Sommers fiel der Getreidepreis in Rom gewöhnlich etwas, weil eine neue Ernte vor der Tür stand. In diesem Jahr dagegen war er stetig gestiegen. Der Grund schien auf der Hand zu liegen: Die Befreiung der italischen Sklaven ließ erwarten, daß weniger Getreide geerntet würde. Aber dann waren die Sklaven gar nicht befreit worden, und man konnte wieder mit einer normalen Ernte rechnen. Jetzt hätten die Preise eigentlich drastisch fallen müssen. Aber sie fielen nicht. Sie stiegen weiter.

Für Scaurus wies alles auf Schiebereien hin, bei denen Senatoren ihre Hände im Spiel hatten. Seine eigenen Nachforschungen führten ihn zu Konsul Fimbria und Stadtprätor Gaius Memmius, die beide den ganzen Frühling und Sommer über Geld geliehen hatten, wo sie nur konnten. Scaurus argwöhnte, daß sie billiges Getreide aufgekauft hatten, um es jetzt mit enormem Gewinn loszuschlagen.

Aber dann traf die Nachricht vom Sklavenaufstand in Sizilien ein. Fimbria und Memmius begannen sofort, ihren ganzen Besitz zuverkaufen. Sie behielten nur ihre Häuser auf dem Palatin und so viel Land, daß sie in der für Senatoren vorgeschriebenen Zensusklasse bleiben konnten. Daraus schloß Scaurus, daß sie, was immer die Natur ihrer Geschäfte gewesen war, nichts mit der Getreideversorgung zu tun hatten.

Er irrte sich, aber der Irrtum war verzeihlich: Denn hätten der Konsul und der Stadtprätor etwas mit dem schwindelerregenden Anstieg des Getreidepreises zu tun gehabt, hätten sie sich jetzt eigentlich zufrieden die Hände reiben müssen, statt ihren Besitz wie verrückt zu Bargeld zu machen, um das geborgte Geld zurückzuzahlen. Also nicht Fimbria und Memmius! Er mußte sich anderswo umsehen.

Als dann der Brief von Publius Licinius Nerva in Rom eintraf und das ganze Ausmaß der sizilianischen Krise klar wurde, hörte Scaurus in den Kreisen der Getreidehändler immer häufiger den Namen eines bestimmten Senators, und seine empfindlichen Nüstern witterten eine verheißungsvolle Spur - verheißungsvoller als die vermeintliche Spur zu Fimbria und Memmius. Der Name war Lucius Appuleius Saturninus, der Quästor des Hafens in Ostia. Saturninus war jung und neu im Senat, aber wenn er die Getreidepreise manipulieren wollte, dann saß er auf dem besten Platz, der einem jungen Senator zugänglich war. Der Quästor von Ostia überwachte die Ankunft der Getreideschiffe und die Lagerung des Getreides, er kannte sämtliche am Getreidegeschäft beteiligten Händler persönlich und erfuhr alle möglichen Informationen früher als alle anderen im Senat.

Heimliche Nachforschungen überzeugten Scaurus, daß er den Richtigen gefunden hatte. Als der Senat Anfang Oktober zu einer Sitzung zusammentrat, holte Scaurus zum Schlag aus, um die Ehre des Senats zu retten. Lucius Appuleius Saturninus, so verkündete er einem totenstillen Haus, sei der Drahtzieher hinter dem vorzeitigen Anstieg des Getreidepreises, der es den Schatzbeamten unmöglich gemacht habe, für die staatlichen Speicher Getreide zu einem vernünftigen Preis einzukaufen. Damit hatte der Senat seinen Sündenbock. Die Senatoren waren empört und beschlossen mit großer Mehrheit, Lucius Appuleius Saturninus von seinem Posten als Quästor zu entbinden, ihm den Sitz im Senat zu entziehen und ihn wegen Wuchers anzuklagen.

Als Saturninus aus Ostia vor den Senat zitiert wurde, konnte er wenig mehr tun, als Scaurus‘ Vorwürfe bestreiten. Handfeste Beweise gab es nicht, weder für ihn noch gegen ihn. Es ging also letzten Endes darum, wer von beiden glaubwürdiger war.

»Beweise mir meine Schuld!« schrie Saturninus.

»Beweise mir deine Unschuld!« höhnte Scaurus.

Und natürlich glaubten die Senatoren dem Senatsvorsitzenden, denn an Scaurus‘ Integrität bei der Verfolgung staatsfeindlicher Umtriebe konnte kein Zweifel bestehen, das wußte jeder. Saturninus verlor Amt und Senatssitz.

Aber Lucius Appuleius Saturninus war ein Kämpfer. Mit dreißig hatte er genau das richtige Alter, um Quästor und frischgebackener Senator zu sein. Umgekehrt bedeutete seine Jugend natürlich, daß niemand ihn genauer kannte. Er war nie bei einem spektakulären Prozeß als Zeuge aufgetreten und hatte sich auch während seiner Lehrzeit in der Armee nicht besonders hervorgetan. Saturninus kam aus einer Senatorenfamilie in Picenum. Als der Senat ihm Quästur und Senatssitz entzog, konnte er nichts dagegen tun. Nicht einmal protestieren konnte er, als der Senat den Posten in Ostia, der ihm so viel bedeutet hatte, für den Rest des Jahres ausgerechnet dem Senatsvorsitzenden Scaurus gab! Aber Saturninus war ein Kämpfer.

In Rom glaubte niemand an seine Unschuld. Wohin er ging, wurde er beschimpft und angepöbelt, manche warfen sogar mit Steinen nach ihm. Die Außenwand seines Hauses war bald mit üblen Schimpfworten übersät - Schwein, Päderast, Eiterbeule, Dieb, Ungeheuer, Wichser und andere Beinamen bedeckten dicht an dicht den Putz der Mauer. Seine Frau und seine Tochter wurden von der Gesellschaft geächtet und saßen den größten Teil des Tages weinend im Haus. Sogar seine Sklaven sahen ihn mißtrauisch an und reagierten unwillig, wenn er eine Bitte äußerte oder ungeduldig einen Befehl brüllte.

Saturninus’ bester Freund war der relativ unbekannte Gaius Servilius Glaucia. Einige Jahre älter als Saturninus, genoß Glaucia einen bescheidenen Ruf als Advokat und Verfasser glänzender Gerichtsreden. Er gehörte allerdings nicht dem patrizischen Zweig des Geschlechts Servilius an und war auch kein bedeutender plebejischer Servilius. Von seinem Ruf als Rechtsanwalt abgesehen, war Glaucia in etwa mit jenem anderen Gaius Servilius vergleichbar, der unter den Fittichen seines Patrons Ahenobarbus zu Geld gekommen war und es bis in den Senat geschafft hatte. Dafür hatte dieser andere plebejische Servilius noch keinen cognomen. »Glaucia« war ein durchaus respektabler Beiname, denn er spielte auf die schönen blaugrauen Augen der Familie an.

Saturninus und Glaucia waren ein gutaussehendes Paar; der eine sehr dunkel, der andere sehr hell, und jeder ein Prachtexemplar seines Typs. Ihre Freundschaft gründete auf derselben geistigen Wachheit und Tiefe sowie auf ihrem erklärten Ziel, Konsuln zu werden und ihren Familien damit für immer einen Platz unter den führenden Geschlechtern Roms zu sichern. Beide waren von Politik und Gesetzgebung fasziniert und damit höchst geeignet für die Laufbahn, für die ihre Geburt sie bestimmt hatte.

»Ich gebe mich nicht geschlagen«, sagte Saturninus grimmig zu Glaucia. »Es gibt noch einen anderen Weg in den Senat, und den nehme ich.«

»Doch nicht die Zensoren?«

»Bestimmt nicht! Nein, ich lasse mich als Volkstribun wählen.«

»Das schaffst du nie.« Glaucia war kein Pessimist, er schätzte die Möglichkeiten seines Freundes nur realistisch ein.

»Ich schaffe es, wenn ich einen mächtigen Verbündeten habe.«

»Gaius Marius.«

»Wen sonst? Er mag Scaurus und Numidicus und die ganze konservative Clique im Senat nicht. Ich fahre morgen früh mit dem Schiff nach Massilia. Dort trage ich meinen Fall dem einzigen Mann vor, der mir vielleicht noch zuhört, und biete ihm meine Dienste an.«

Glaucia nickte. »Ein kluger Schachzug, Lucius Appuleius. Schließlich hast du nichts zu verlieren.« Dann kam ihm ein Gedanke, und er grinste. »Stell dir vor, was das für ein Spaß sein wird, wenn du dem alten Scaurus als Volkstribun das Leben sauermachst!«

»Scaurus ist mir egal«, sagte Saturninus verächtlich. »Er hat getan, was er für richtig hielt, und dagegen ist nichts einzuwenden. Aber irgend jemand hat mich bewußt als Zielscheibe benützt, und den werde ich mir kaufen. Wenn ich erst Volkstribun bin, mache ich dem das Leben sauer. Vorausgesetzt, ich finde heraus, wer es war.«

»Fahr du nach Massilia und sprich mit Gaius Marius«, sagte Glaucia. »Ich suche derweil nach dem Schuldigen im Getreideskandal.«

Da es Herbst war und der Wind günstig stand, machte Lucius Appuleius Saturninus eine gute Fahrt und war bald in Massilia. Dort schwang er sich auf ein Pferd und ritt zum römischen Lager vor den Toren Glanums, um mit Marius zu sprechen.

Marius hatte nicht zuviel versprochen, als er seinen Offizieren gesagt hatte, er wolle ein zweites Carcasso bauen. Zwar handelte es sich um eine Version aus Holz und Erde, aber der Hügel, auf dem das große römische Lager stand, starrte vor Befestigungen. Saturninus stellte sofort mit Genugtuung fest, daß ein in Belagerungen unerfahrenes Volk wie die Germanen nie imstande sein würde, das Lager einzunehmen, und wenn es den letzten Mann mobilisierte.

Gaius Marius führte seinen unerwarteten Gast durch die Befestigungsanlagen. »Die Wälle dienen genaugenommen gar nicht dazu, meine Armee zu schützen. Das sollen die Germanen nur glauben.«

Saturninus schaute ihn überrascht an. Und diesen Mann hält man für naiv! dachte er. Wenn mir einer helfen kann, dann er. Beide hatten spontan aneinander Gefallen gefunden, denn jeder spürte im anderen eine verwandte Skrupellosigkeit und Entschlossenheit und vielleicht auch einen gewissen unrömischen Mangel an Respekt vor dem Hergebrachten. Saturninus stellte zu seiner Freude fest, daß er, wie er gehofft hatte, noch vor dem offiziellen Bericht über seine Demütigung in Glanum eingetroffen war. Er wußte allerdings nicht, wie lange er warten mußte, bis sich eine Gelegenheit ergab, von seinem Unglück zu berichten; Marius, der vielbeschäftigte Feldherr einer großen Armee, konnte über seine Zeit nur selten frei verfügen.

Saturninus, der erwartet hatte, daß der Speiseraum überfüllt sein würde, registrierte überrascht, daß nur er und Manius Aquilius mit Gaius Marius essen würden.

»Ist Lucius Cornelius in Rom?« fragte er.

Marius verzog keine Miene und nahm sich ein gefülltes Ei. »Nein«, erwiderte er kurz, »er ist in einer speziellen Mission unterwegs.«

Saturninus sah ein, daß es keinen Zweck hatte, sein Unglück vor Manius Aquilius zu verbergen. Manius Aquilius hatte im vergangenen Jahr bewiesen, daß er auf Marius’ Seite stand, und er würde sowieso die Briefe aus Rom mit dem ganzen Klatsch lesen. Sobald die Mahlzeit beendet war, begann Saturninus deshalb zu berichten.

Die beiden Männer hörten schweigend zu, bis er fertig war. Weil sie ihn nicht ein einziges Mal mit einer Frage unterbrachen, hatte Saturninus anschließend das Gefühl, er habe klar und logisch berichtet.

Als er fertig war, seufzte Marius. »Ich bin sehr froh, daß du selbst gekommen bist, um mit mir zu sprechen«, sagte er. »Das stärkt die Überzeugungskraft deiner Argumente beträchtlich, Lucius Appuleius. Ein Schuldiger hätte sich alles mögliche ausgedacht, aber er wäre nicht selber gekommen. Ich gelte nicht als leichtgläubiger Mensch. Übrigens auch Marcus Aemilius Scaurus nicht. Aber ich glaube wie du, daß jemand, der in dieser verfahrenen Sache ermittelte, durch eine Reihe falscher Schlüsse bei dir herauskommen mußte. Schließlich bist du als Quästor von Ostia die perfekte Zielscheibe.«

»Wenn mich etwas entlastet, Gaius Marius, dann der Umstand, daß ich nicht annähernd das Geld habe, Getreide in großen Mengen aufzukaufen«, sagte Saturninus.

»Stimmt, aber das entlastet dich nicht automatisch. Jemand hätte dich mit viel Geld bestechen können, oder du hättest dir Geld leihen können.«

»Glaubst du das?«

»Nein. Ich halte dich für das Opfer, nicht den Täter.«

»Ganz meiner Meinung«, warf Manius Aquilius ein. »Es wäre zu einfach.«

»Wollt ihr mir also helfen, daß ich zum Volkstribunen gewählt werde?« fragte Saturninus.

»Sicher«, erwiderte Marius, ohne zu zögern.

»Ich werde mich erkenntlich zeigen, so gut ich kann.«

»Gut!« sagte Marius.

Danach ging alles sehr schnell. Saturninus durfte keine Zeit verlieren, denn die Wahl der Tribunen war für Anfang November vorgesehen, und er mußte rechtzeitig zurück in Rom sein, um sich als Kandidat aufstellen zu lassen und die Unterstützung zu mobilisieren, die Marius ihm versprochen hatte. Mit einem dicken Packen Briefe im Gepäck, Schreiben von Marius an verschiedene Leute in Rom, machte sich Saturninus in einem zweirädrigen Karren, der von vier Maultieren gezogen wurde, in Richtung Alpen auf den Weg. Er hatte genügend Geld bei sich, um unterwegs neue Maultiere mieten zu können, die ihn frisch ans Ziel bringen würden.

Als er das Lager verließ, kamen ihm durch das Haupttor zu Fuß drei bemerkenswerte Gestalten entgegen. Drei Gallier. Echte Barbaren! Saturninus, der noch nie in seinem Leben Barbaren gesehen hatte, starrte die drei fasziniert an. Der eine war offensichtlich der Gefangene der anderen beiden, denn sie führten ihn an den Händen gefesselt. Seltsamerweise wirkte er seinen Kleidern und seiner ganzen Erscheinung nach weniger barbarisch als die anderen beiden! Er war mittelgroß, blond, aber nicht hellblond, hatte lange Haare, aber geschnitten wie ein Grieche, war glattrasiert und trug die Hosen eines Galliers und einen gallischen, aus weicher Wolle gewebten Mantel mit einem verschlungenen Würfelmuster. Der zweite Mann war sehr dunkel und trug einen gewaltigen Kopfschmuck aus schwarzen Federn und Golddraht, der ihn als Barbaren der iberischen Halbinsel auswies. Er hatte kaum Kleider an und zeigte stattdessen einen mit gewaltigen Muskeln bepackten Körper. Der dritte war offensichtlich der Anführer; ein echter barbarischer Gallier. Die Haut seiner Brust war weiß wie Milch, aber von Wind und Wetter gegerbt, die Hosen hatte er mit Lederriemen festgebunden wie ein Germane oder ein Stammesmitglied der sagenumwobenen Belgen. Lange rotgoldene Haare hingen ihm in den Nacken, rotgoldene Schnurrbartenden fielen zu beiden Seiten seines Mundes herab, und um den Hals trug er einen Ring, der in einem Drachenkopf endete und aus massivem Gold zu sein schien.

Die Maultiere zogen an. Als Saturninus an der kleinen Gruppe vorbeifuhr, traf ihn ein Blick der kalten weißen Augen des Anführers, und Saturninus fröstelte unwillkürlich. Der Mann war wirklich durch und durch ein Barbar!

Die drei Gallier setzten ihren Weg innerhalb des Lagers den Hang hinauf fort. Ungehindert erreichten sie den Tisch des wachhabenden Offiziers im Vorzelt vor dem geräumigen Holzhaus des Feldherrn.

»Zu Gaius Marius bitte«, sagte der Anführer in makellosem Latein.

Der wachhabende Offizier verzog keine Miene. »Ich sehe nach, ob er euch empfängt«, sagte er und verschwand. Einen Moment später kam er wieder heraus. »Der Feldherr läßt bitten, Lucius Cornelius.« Er lächelte breit.

»Klugscheißer«, zischte Sertorius, als er mit wackelndem Kopfschmuck an ihm vorbeirauschte. »Du hältst die Klappe, verstanden?«

Als Marius seine beiden Offiziere sah, starrte er sie genauso aufmerksam an wie zuvor Saturninus. Erstaunt war er allerdings nicht.

»Zeit, daß du dich mal wieder blicken läßt«, sagte er herzlich zu Sulla und ergriff seine Hand. Dann begrüßte er Sertorius.

»Wir bleiben nicht lange«, sagte Sulla. Er stieß den Gefangenen vor. »Wir bringen dir nur ein kleines Geschenk für deinen Triumphzug. Darf ich vorstellen: König Copillus von den Volsker-Tektosagern. Er hat Lucius Cassius’ Armee bei Burdigala vernichtet.«

»Aha!« Marius musterte den Gefangenen. »Sieht eigentlich gar nicht wie ein Gallier aus, was? Du und Quintus Sertorius, ihr seht viel echter aus.« Sertorius grinste.

»Copillus’ Hauptstadt ist Tolosa«, sagte Sulla, »und Tolosa hat schon seit langem Kontakt mit der Zivilisation. Er spricht gut Griechisch und denkt wahrscheinlich nur noch zur Hälfte wie ein Gallier. Wir haben ihn vor den Toren von Burdigala gefangen.«

»War er wirklich die ganze Mühe wert?«

»Du wirst mir zustimmen, wenn ich dir mehr über ihn sage.« Sulla lächelte sein wölfisches Lächeln. »Du mußt wissen, daß er eine seltsame Geschichte zu erzählen hat und daß er sie in einer Sprache erzählen kann, die Rom versteht.«

Etwas an Sullas Miene erregte Marius’ Aufmerksamkeit. Er betrachtete König Copillus genauer. »Was für eine Geschichte?«

»Eine Geschichte über Seen und Teiche, die einst mit Gold gefüllt waren. Über Gold, das auf römischen Karren über die Straße von Tolosa nach Narbo rollte - damals war ein gewisser Quintus Servilius Caepio dort Prokonsul. Gold, das auf geheimnisvolle Weise unweit von Carcasso verschwand. Zurück blieb lediglich eine Kohorte toter römischer Soldaten am Straßenrand. Waffen und Rüstungen hatte man ihnen abgenommen. Copillus war in der Nähe von Carcasso, als das Gold verschwand - schließlich war er seinem Verständnis nach der rechtmäßige Hüter des Goldes. Aber die Leute, die das Gold raubten und nach Süden nach Spanien brachten, waren in der Überzahl und so gut bewaffnet, daß Copillus mit den wenigen Männern, die ihn begleiteten, nichts gegen sie ausrichten konnte. Interessant ist, daß ein Römer das Massaker überlebt hat - Funus, der praefectus fabrum. Und ein Grieche, ein freigelassener Sklave, überlebte - Quintus Servilius Bias. Copillus war allerdings nicht dabei, als die Karren mit dem Gold einige Monate später in Malaca in eine Fischfabrik rollten, die einem Klienten von Quintus Servilius Caepio gehört, und er war auch nicht dabei, als das Gold in Malaca nach Smyrna verschifft wurde. Auf den Kisten stand: Fischtunke aus Malaca, Warenlieferung für Quintus Servilius Caepio. Aber Copillus hat einen Freund, und der Freund hat einen Freund, der einen turdetanischen Banditen namens Brigantius kennt, und dieser Brigantius sagt, er sei angeheuert worden, das Gold zu rauben und nach Malaca zu bringen. Angeheuert von den Agenten eben jenes Quintus Servilius Caepio, nämlich Funus und dem freigelassenen Sklaven Bias. Als Bezahlung habe Brigantius die Karren und die Maultiere erhalten - und die kompletten Ausrüstungen von sechshundert gut bewaffneten Römern, jenen Soldaten, die er umbrachte. Funus und Bias begleiteten das Gold dann auf seiner Reise nach Osten.«

Sulla hatte Gaius Marius noch nie so konsterniert gesehen. Als Marius damals den Brief gelesen hatte, in dem stand, daß er in seiner Abwesenheit zum Konsul gewählt worden sei, war er für einen Augenblick sprachlos gewesen, aber das hier ging über seinen Verstand.

»Ihr Götter!« flüsterte Marius. »Das würde er nicht wagen.«

»Er hat es gewagt«, sagte Sulla verächtlich. »Was für ein Preis ist schon das Leben von sechshundert tüchtigen römischen Soldaten? Schließlich waren auf diesen Karren fünfzehntausend Talente Gold! Die Volsker-Tektosager betrachten sich übrigens nicht als die Eigentümer des Goldes, nur als dessen Wächter. Es handelt sich um die Schätze, die der zweite Brennus in Delphi, Olympia, Dodona und einem Dutzend weiterer kleinerer Heiligtümer erbeutet hat, und die allen gallischen Stämmen gemeinsam gehörten. Auf den Volsker-Tektosagern liegt jetzt ein Fluch, und König Copillus ist doppelt verflucht. Der Reichtum Galliens ist verloren.«

Nachdem Marius’ erstes Entsetzen gewichen war, sah er erst Sulla an und dann Copillus. Sulla hatte die kleine Geschichte wirkungsvoll erzählt, aber es war mehr gewesen als das: Er hatte sie erzählt wie ein gallischer Barde, nicht wie ein römischer Senator.

»Du bist ein großer Schauspieler, Lucius Cornelius«, sagte Marius.

Sulla sah über die Maßen beglückt aus. »Besten Dank, Gaius Marius.«

»Wollt ihr nicht noch bleiben? Der Winter steht vor der Tür, und hier habt ihr es gemütlicher.« Marius grinste. »Das gilt besonders für den jungen Quintus Sertorius, wenn er in seinem Kleidersack nicht mehr als eine Federkrone hat.«

»Nein, wir ziehen morgen wieder los. Die Kimbern stehen vor den Pyrenäen, und die dort ansässigen Stämme werfen von Bergkämmen, Felsen und Hügeln mit jedem Stein auf sie, den sie auftreiben können. Die Germanen scheinen eine Vorliebe für die Bergezu haben! Aber Quintus Sertorius und ich haben Monate gebraucht, um an sie heranzukommen - anscheinend mußten sie sich erst an ein Gespann gewöhnen, das aus einem Gallier und einem Iberer besteht.«

Marius goß zwei Becher Wein ein, dann, nach einem Blick auf Copillus, einen dritten, den er dem gefangenen König reichte. Er reichte auch Sertorius einen Becher und musterte seinen sabinischen Verwandten dabei ernst. »Du siehst aus wie der Gockel des Pluto.«

Sertorius nippte an dem Wein und stöhnte genußvoll. »Tuskulaner!« Dann schüttelte er sein Gefieder. »Plutos Gockel? Wenigstens nicht die Krähe der Proserpina.«

»Was hast du über die Germanen herausbekommen?« fragte Marius.

»In Kürze - mehr dann beim Essen: Es gibt nur wenig zu berichten. Ich kann dir noch nicht sagen, woher sie kommen oder was sie vorwärtstreibt. Nächstes Mal weiß ich mehr. Keine Sorge, ich bin rechtzeitig zurück, bevor sie wieder in Richtung Italien ziehen. Aber ich kann dir sagen, wo sie sich gegenwärtig aufhalten. Die Teutonen, Tiguriner, Markomannen und Cherusker versuchen den Rhein in Richtung Germanien zu überqueren, während die Kimbern über die Pyrenäen nach Spanien ziehen wollen. Ich glaube, daß sie alle scheitern werden.« Sulla stellte seinen Becher hin. »Ah, der Wein war gut!«

Marius rief den Wachoffizier. »Schick mir drei vertrauenswürdige Männer. Und sieh zu, daß du für König Copillus eine bequeme Bleibe findest. Ich muß ihn leider einsperren, aber nur, bis wir ihn nach Rom schaffen können.«

»Ich würde ihn nicht nach Rom bringen«, sagte Sulla nachdenklich, als der Wachoffizier gegangen war. »Ich würde überhaupt nicht verraten, wo er sich befindet.«

»Caepio? Das würde er nicht wagen!«

»Er hat das Gold gestohlen.«

»Also gut, dann schaffen wir ihn nach Nursia«, sagte Marius entschlossen. »Quintus Sertorius, hat deine Mutter Freunde, die den König für ein oder zwei Jahre bei sich aufnehmen können? Ich werde dafür sorgen, daß sie dabei nicht leer ausgehen.«

»Sie wird jemanden finden«, sagte Sertorius zuversichtlich.

»Was für ein Glück!« frohlockte Marius. »Ich hätte nie gedacht, daß uns ein Beweis in die Hände fällt, mit dem wir Caepio ins wohlverdiente Exil schicken können. König Copillus ist der Beweis. Wir sagen nichts, bis wir die Germanen besiegt haben und nach Rom zurückgekehrt sind. Dann klagen wir Caepio wegen Raub und Verrat an!«

»Verrat?« Sulla sah ihn verständnislos an. »Nicht bei den Freunden, die er in den Zenturien hat!«

»Seine Freunde in den Zenturien können ihm nicht helfen, wenn ein nur mit Rittern besetztes Sondergericht ihn anklagt«, erwiderte Marius sanft.

»Was hast du vor, Gaius Marius?«

»Zwei meiner Anhänger sind im nächsten Jahr Volkstribunen!« erwiderte Marius triumphierend.

»Vielleicht werden sie nicht gewählt«, sagte Sulla nüchtern.

»Sie werden gewählt!« riefen Marius und Sertorius wie aus einem Mund.

Alle drei lachten, während der Gefangene, der würdevoll daneben stand, so tat, als verstünde er ihr Latein, und darauf wartete, was weiter mit ihm geschehen sollte.

Dann erinnerte Marius sich an seine guten Manieren und wechselte vom Lateinischen zum Griechischen. Er bezog Copillus freundlich in das Gespräch ein und versprach, daß man ihm die Ketten abnehmen würde.