143 VORSITZENDER BASIL WENZESLAS
Tagelang trafen Berichte über Tod und Zerstörung ein, und Basil fühlte sich zwischen Euphorie und Enttäuschung hin und her gerissen. Er hatte sich in seinem Penthouse-Büro niedergelassen, von wo aus er den geschäftigen Palastdistrikt sehen konnte, als die Sonne aufging.
Die Bevölkerung der Erde hatte überlebt. Basil hätte es kaum für möglich gehalten.
Das genaue Ausmaß der Verluste kannte er noch nicht, aber zweifellos standen schwere Zeiten bevor. Nie zuvor war die Terranische Hanse der völligen Vernichtung so nahe gewesen. Seit dreißig Jahren führte Basil den Vorsitz, und in dieser Zeit waren Macht und Einfluss der Hanse immer größer geworden. Jetzt war sie schwächer als jemals zuvor.
Während er darauf wartete, dass General Lanyan von den Resten der Verteidigungsflotte zurückkehrte, kamen sein Stellvertreter Cain und die recht eingeschüchtert wirkende Sarein ins Büro.
Als Sarein ihn ansah, bemerkte er in ihren Augen eine Mischung aus Liebe, Furcht und noch etwas anderem. Seit dem Mordanschlag bei Prinz Daniels Bankett verhielt sie sich seltsam. Oder hatte sie sich auch schon vorher seltsam verhalten? Basil hatte die ehrgeizige junge Frau nie ganz ver- standen und sich in dieser Hinsicht auch keine besondere Mühe gegeben. Er war zu beschäftigt - und daran würde sich in naher Zukunft nichts ändern. Erneut verfluchte er den Umstand, dass Pellidor tot war. Er bezweifelte, ob er jemals wieder einen so fähigen und vertrauenswürdigen Sonderbeauftragten finden würde.
Eldred Cains Gesicht war steinern und ausdruckslos, als er Platz nahm. Es fiel Basil auch schwer, seinen geisterhaften Stellvertreter zu verstehen. Die Menschheit brauchte Basil Wenzeslas mehr als jemals zuvor. So viel stand fest.
Schließlich führten Wächter den General herein. Lanyan wirkte erschöpft. Seine Uniform war zerknittert, und die blutunterlaufenen Augen lagen tief in den Höhlen. Vermutlich hatte er seit Tagen nicht geschlafen und sich nach der Schlacht mit hunderten von sekundären und tertiären Problemen befasst. Wie wir alle, dachte Basil.
Mit der Terranischen Verteidigungsflotte stand es nicht zum Besten. Trotz der Hilfe der Ildiraner war es den Hydrogern und Klikiss-Robotern gelungen, zahlreiche TVF-Schiffe zu vernichten. Die von den Soldaten-Kompis übernommenen Einheiten waren noch immer irgendwo dort draußen und den Resten des Hanse-Militärs weit überlegen. Die Roboter konnten jederzeit zurückkehren und der Erde den Todesstoß versetzen.
Und die verdammten Roamer. Basil wusste nicht, was er mit ihnen anfangen sollte. Erwarteten sie von ihm, dass er ihnen ein Dankesschreiben schickte? Oder einen Geschenkekorb? Wenn sie über so wirkungsvolle Waffen gegen die Kugelschiffe verfügten, warum hatten sie sie dann nicht viel früher der Hanse zur Verfügung gestellt?
Eine seltsame Kraft erfüllte den Vorsitzenden und erlaubte es ihm, sich über die Anstrengungen der vergangenen Tage hinwegzusetzen.
Es wurde Zeit, zur Sache zu kommen. Wie immer. Das hielt die menschliche Zivilisation in Gang, trotz widerspenstiger Könige und verwöhnter Prinzen, die verschwanden, wenn es brenzlig wurde. Unter anderen Umständen wäre Basil bereit gewesen, König Peter einfach zu ignorieren, aber Peter hatte ihn herausgefordert, und das konnte er nicht hinnehmen.
Der General wandte sich mit einem müden Lächeln an den Vorsitzenden.
»Trotz der gewaltigen Verluste, die wir erlitten haben: Es ist ein Sieg. Von der TVF ist nur noch wenig übrig, aber wir haben die Hydroger geschlagen, vielleicht sogar vernichtend.« Er schüttelte den Kopf. »Wer hätte ein solches Manöver von der ildiranischen Solaren Marine erwartet? Und wir sind auch den Roamern zu Dank verpflichtet. Spezialisten untersuchen ihre geheimen Waffen, damit wir sie nachbauen können.«
»Wir brauchen sie gar nicht, wenn die Hydroger endgültig geschlagen sind«, sagte Basil. »Gegen andere Ziele lässt sich damit vermutlich nichts ausrichten.«
»Und dann die riesigen Baumschiffe von Theroc«, warf Sarein ein. Ihre Stimme klang seltsam verbittert. »Es ist eine große Überraschung, dass mein Volk sich solche Mühe machte, der Erde zu helfen - obwohl wir tatenlos zusahen, als Theroc angegriffen wurde.«
»Das könnte man auch von den Roamern sagen«, warf Cain ein.
Basil richtete einen finsteren Blick erst auf seinen Stellvertreter und dann auf Sarein. »Dies ist nicht der geeignete Zeitpunkt, alte Fehden und Differenzen aufzuwärmen.« Er nahm an seinem Schreibtisch Platz, legte die Hände auf die Tischfläche und saß gerade. »Wir müssen schnell handeln. Nach der Schlacht werden ganze planetare Bevölkerungen schockiert sein. Es könnte zu Chaos in den Straßen kommen, zu Anarchie. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir müssen strenge Maßnahmen ergreifen, um die Kontrolle aufrechtzuerhalten. Es wird enorm viel Arbeit erfordern, die alte Macht der Hanse wiederherzustellen.«
Cain räusperte sich. »Auf der Basis unseres letzten Gesprächs haben wir bereits Prioritäten festgesetzt und Verantwortung verteilt. Jetzt sind wir für den nächsten Schritt bereit.«
Basil versuchte, seine Kopfschmerzen zu vertreiben. »In den nächsten Wochen verschaffen wir uns einen detaillierten Überblick über den angerichteten Schaden und die übrig gebliebenen Kapazitäten - aber es muss alles streng vertraulich bleiben.« Er sah Lanyan und Cain bedeutungsvoll an. »Unter keinen Umständen darf die Bevölkerung erfahren, wie schwer wir getroffen sind.«
Sie nickten, und Basil freute sich darüber, zur Abwechslung einmal volle Kooperationsbereitschaft zu sehen. Wenn ihn alle seine Mitarbeiter voll unterstützt hätten, wäre ihnen sicher das eine oder andere erspart geblieben. »Wir beschaffen uns die notwendigen Ressourcen von den Kolonien. Die Hanse muss ihre ganze Kraft bündeln, neue Kriegsschiffe bauen, neue Handelsbeziehungen schaffen und die Verbindungen zwischen den Planeten verstärken, auf dass die Hanse neu erblüht. Und die Anstrengungen müssen weitaus größer sein als jene, die die Menschheit in den vergangenen Jahren unternommen hat.«
Es waren gute Worte, aber Basil wusste, was sie bedeuteten: hohe Steuern und sehr magere Jahre. Und jetzt waren Peter, Estarra und Daniel verschwunden. Er kniff die grauen Augen zusammen und sah Sarein an.
»Hast du wirklich keine Ahnung, wo sich deine Schwester und der König aufhalten? Tage sind vergangen! Wir brauchen einen starken Sprecher, der das Volk vorbereitet und einen Kontakt mit den Kolonien herstellt.« Er fragte sich, ob er auf seine unerwartete Alternative zurückgreifen musste.
»Ich ... ich weiß nicht, wo sie sind, Basil. Nachdem ich ihr das zerstörte Treibhaus gezeigt hatte, habe ich nicht mehr mit Estarra gesprochen.« Sarein versuchte ganz offensichtlich, ihren Abscheu zu verbergen. »Sie wurde streng bewacht, wie du weißt - zu ihrem eigenen Schutz.«
Basil schnitt eine Grimasse. War das Sarkasmus? Zu den vielen unglaublichen Dingen, die während des Angriffs der Hydroger geschehen waren, gehörte das Verschwinden des kleinen Kugelschiffs. Er hatte seinen Stellvertreter Cain mit Ermittlungen beauftragt, aber in den letzten Tagen war viel passiert, und deshalb stand diese Sache nicht an erster Stelle auf Cains Prioritätenliste.
Ein Sekretär erschien in der Tür des Penthousebüros. »Ein grüner Priester möchte Sie sprechen, Vorsitzender.«
»Schicken Sie ihn herein. Vielleicht bringt er Neuigkeiten.« Basil lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Wird auch Zeit, dass er kommt und Bericht erstattet.«
Nahton kam stolz herein, groß, dünn und entschlossen. Der Sonnenschein des Morgens fiel durch die hohen Fenster. Der grüne Priester sah einige Sekunden nach draußen und wandte sich dann an den Vorsitzenden.
»Nun, worum geht's?«, fragte Basil.
»Als eine Gefälligkeit Ihnen gegenüber hat man mich gebeten, Ihnen eine Botschaft von König Peter und Königin Estarra zu bringen, Vorsitzender Wenzeslas.«
Basil sprang auf. »Wo sind sie? Ich verlange, dass sie sofort zum Flüsterpalast zurückkehren.«
»Der König und die Königin haben ihren Thron nach Theroc verlegt. Von dort aus werden sie eine Konföderation der Menschen gründen und einen neuen Regierungssitz leiten.«
Basil lachte kurz - es klang fast wie ein Bellen. »Das ist lächerlich! Und es lenkt uns in einer Zeit ab, in der wir alle am gleichen Strang ziehen müssen.«
»Wir ziehen alle am gleichen Strang, Vorsitzender. Allerdings ohne Sie.« Nahtons Stimme war neutral; er überbrachte nur eine Nachricht. »Den Theronen gefällt die neue Konföderation, und sie haben beschlossen, ihr beizutreten. Die grünen Priester auf den früheren Hanse-Kolonien haben den betreffenden Siedlern Beitrittsverhandlungen angeboten. Repräsentanten sind bereits ausgewählt und unterwegs.«
»Frühere Hanse-Kolonien? Was soll das heißen? Jene Welten ...« Nahton unterbrach ihn. »Dreiundsechzig von Ihnen im Stich gelassene Planeten haben die Charta der Hanse für null und nichtig erklärt und beschlossen, Mitglied der Konföderation zu werden.«
»Das ist eine Kriegserklärung!«, entfuhr es Lanyan.
»Es ist eine angemessene und völlig legale Reaktion. Seit Beginn des Hydroger-Kriegs hat die Terranische Hanse ihre Kolonien von Versorgungslieferungen abgeschnitten, ihnen Proviant und medizinische Ausrüstungen vorenthalten. Sie haben den Schutz durch die Terranische Verteidigungsflotte zurückgezogen. Mit anderen Worten, Vorsitzender: Die Hanse ist ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen, und deshalb gilt die Charta nicht mehr. Die meisten Kolonien sehen in der neuen Konföderation den besten Garanten für ihr Überleben.«
»Es sind Kolonien der Hansel«, beharrte Basil.
»Es waren Kolonien der Hanse, Vorsitzender. Darüber hinaus haben Repräsentanten von fünfzehn Roamer-Clans ihren Beitritt erklärt. Vermutlich wird die Sprecherin zu der Überzeugung gelangen, dass die Konföderation im besten Interesse der Menschheit liegt. Die Roamer lehnen den Handel mit der Hanse weiterhin ab, doch um guten Willen zu zeigen, haben sie erklärt, alle Kolonien, die sich der Konföderation anschließen wollen, mit Ekti zu versorgen.«
General Lanyan brachte keinen Ton hervor. Nur Cain blieb gelassen. Basil Wenzeslas starrte den grünen Priester an. »Gehen Sie zu Ihrem Schössling und schicken Sie König Peter eine Mitteilung. Sagen Sie ihm, dass ich seine sofortige Rückkehr zur Erde anordne!«
»Ich bedauere, Sir. Der Telkontakt-Kommunikationsdienst steht dem Vorsitzenden und anderen Repräsentanten der Hanse nicht mehr zur Verfügung.«
»Das können Sie nicht machen.« Basils Gedanken rasten, und seine Haut fühlte sich an, als stünde sie in Flammen. »Schicken Sie die Mitteilung! Sie sollen neutral sein. Sie sind ein grüner Priester. Sie ...«
»Ich befolge die Anweisungen von König Peter und Königin Estarra, wie alle grünen Priester. Wir lassen uns von Ihnen nichts befehlen. Weder Sie noch irgendein Repräsentant der Terranischen Verteidigungsflotte oder der Hanse können Mitteilungen per Telkontakt versenden.«
Für einen Moment dachte Basil daran, Nahton zu foltern oder ihn sogar hinzurichten, wenn er ihm nicht gehorchte. Sarein saß verblüfft da und schüttelte den Kopf. »Er hat recht, Basil. Niemand kann einen grünen Priester zwingen, eine Telkontakt-Nachricht zu senden.«
Lanyan kochte. »Bis wir in der Lage sind, Schiffe zu schicken und die Einhaltung der Charta-Bestimmungen zu erzwingen, ist alles unter Dach und Fach!«
»Die Konföderation besteht bereits.« Nahton lächelte kühl. »Wenn der Vorsitzende Wenzeslas seinen Rücktritt erklärt und sich die Reste der Terranischen Hanse auflösen, kann auch das Volk der Erde beitreten. Alle Mitglieder der neuen Konföderation müssen dem König treu sein.«
Basil hätte den Namen am liebsten gespuckt. »Dem König? Peter war nie ein richtiger König!«
Sarein saß wie erstarrt, blinzelte und sah den wütenden, hilflosen Vorsitzenden an. »Vielleicht doch, Basil. Mehr als du ahnst.«