17 KÖNIG PETER

Eine weitere sinnlose Zeremonie. Gekleidet in eine unbequeme majestätische Amtstracht nahm König Peter an einem Bankett teil, um bei dieser Gelegenheit einigen Geschäftsleuten des Palastdistrikts Auszeichnungen zu verleihen. Basil Wenzeslas saß am Empfangstisch und sah sehr elegant aus in seinem perfekt sitzenden Anzug. Er wirkte ruhig und gelassen, doch wenn Peter seinem Blick begegnete, bemerkte er ein kurzes Aufblitzen in den Augen des Vorsitzenden. Hatte Wenzeslas nichts Besseres zu tun? Oder ist er hier, um mich zu überwachen?

Diesmal ging es nicht darum, die Menschheit aufzufordern, im Kampf gegen die Hydroger zusammenzustehen, und der Vorsitzende hatte Peter auch nicht angewiesen, der Öffentlichkeit aufwieglerische Lügen über die Roamer zu präsentieren. Nicht an diesem Tag. Basil schien zu glauben, dass sich alle seinen Anweisungen fügen würden, wenn er nur hart und unnachgiebig blieb. Doch seine unversöhnliche Haltung den Clans gegenüber war nach hinten losgegangen, und selbst seine größten Befürworter mussten zugeben, dass der durch die Zerstörung von Rendezvous errungene »Sieg« sinnlos war. Die Roamer hatten sich aus dem Staub gemacht, und die Hanse bekam noch immer kein Ekti.

Auch Peter reagierte nicht gut auf Zwang. Er hatte Wenzeslas die Stirn geboten und demonstrativ gegen die Regeln verstoßen, was Wenzeslas zum Anlass genommen hatte, ihm und Estarra nach dem Leben zu trachten. Später hatte er als Strafe die Delfine getötet.

Peter gab Kooperationsbereitschaft vor, um seine Frau und ihr ungeborenes Kind zu schützen. Ständig beobachtete er den Vorsitzenden, der mit ruhiger Zuversicht dasaß. Wie sehr er ihn hasste. Peter musste ihm immer einen Schritt voraus bleiben, klüger und vorsichtiger sein - und das war schwer, denn die Ressourcen der ganzen Hanse standen Basil Wenzeslas zur Verfügung.

In letzter Zeit hielt der Vorsitzende das königliche Paar so oft wie möglich von der Öffentlichkeit fern, obgleich die Medien den Flüsterpalast immer wieder aufforderten, die »gesegnete Schwangerschaft« der Königin zu kommentieren. Journalisten und selbst ernannte Experten fragten immer beharrlicher, warum sich König und Königin nicht öfter zeigten. Daraufhin gestattete Basil Wenzeslas dem König Aktivitäten von geringer Bedeutung, doch ohne Königin Estarra. So wie diese banale Zeremonie, ein langweiliger bürokratischer Pflichttanz, der abgesehen von den direkt Beteiligten nur wenige Leute interessierte. Offenbar glaubte Basil, dass der König hier keinen Schaden anrichten konnte.

Sieben königliche Wächter standen an den Wänden, angeblich zum Schutz des Königs - aber wahrscheinlich soll ten sie sicherstellen, dass er spurte. Das Oberhaupt der königlichen Wache, Captain McCammon, verharrte wie eine Statue, mit ebenso wenig Interesse an der Zeremonie wie Peter.

Der stellvertretende Vorsitzende Eldred Cain - ein stiller, blasser Mann, der Peter und Estarra insgeheim geholfen hatte - war nicht zugegen. Er zeigte sich noch weniger gern in der Öffentlichkeit als Basil Wenzeslas, und hier versäumte er gewiss nichts.

Mit einem hölzernen Lächeln auf den Lippen hob der König ein buntes Band, an dem eine Medaille hing. »Für die der Menschheit geleisteten Dienste und für seine unermüdliche Arbeit bei lokalen Wohlfahrtseinrichtungen verleihe ich Dr. Anselm Frick den Orden des Glorreichen Lobs.« Applaus erklang am Tisch. Der dicke Chirurg wankte nach vorn, hielt eine kurze Dankesrede und kehrte dann zu seinem Platz zurück. Bevor der König die vierte Medaille verleihen konnte, kam es zu Unruhe außerhalb des Raums, und er bemerkte, wie die Wächter aufmerksam wurden. Die Repräsentanten der Medien drehten ihre Imager und hofften, dass etwas Interessantes geschah.

Ein halbnackter grünhäutiger Mann versuchte, in den Bankettsaal zu gelangen. »Wer wagt es, einen grünen Priester daran zu hindern, König Peter eine wichtige Nachricht zu bringen?«, fragte Nahton. Zwar brachte er Königin Estarra oft Mitteilungen von Theroc, aber er hatte nur selten Dringendes zu vermelden. Für gewöhnlich war er ruhig und zurückhaltend; Peter hatte ihn noch nie so erregt gesehen.

Nach Jahren im Flüsterpalast wusste Nahton, dass der König nur eine Galionsfigur war und die wahre Macht bei Basil lag. Doch der Vorsitzende hatte dem grünen Priester gegenüber nie Respekt gezeigt und seine wiederholten Bitten um Hilfe für Theroc ignoriert. Nahton kannte seine wahren Verbündeten im Palast.

Peter wandte sich mit scharfer Stimme an den Kommandeur der königlichen Wächter; diese Männer sollten zumindest den Eindruck erwecken, ihm zu dienen. »Captain McCammon, jener Mann ist mein offizieller grüner Priester. Lassen Sie ihn passieren, wenn er eine Nachricht für mich hat.« Er richtete einen spöttischen Blick auf den Captain und brachte ihn ganz bewusst in Verlegenheit. »Oder wollen Sie mich vor einem grünen Priester schützen?«

Die am Banketttisch sitzenden Personen lachten. Der Captain rückte seine kastanienbraune Uniformmütze zurecht und sah dann in Basils Richtung. Der Vorsitzende deutete ein Nicken an.

Nahton eilte zum Tisch, sprach mit lauter Stimme und gab den Medienvertretern die erhofften Schlagzeilen. »Es ist ein Massaker, König Peter! Viele grüne Priester an Bord von TVF-Schiffen haben dringende Telkontakt-Meldungen übermittelt. Die Soldaten-Kompis in den Kampfgruppen rebellieren, greifen menschliche Besatzungsmitglieder an und übernehmen die Schiffe. Sie haben schon tausende getötet.« Er richtete einen beschwörenden Blick auf den König. »Ich habe bereits den Tod von fünf grünen Priestern miterlebt. Die Revolte findet überall statt, an Bord aller Schiffe!«

Basil erhob sich ruckartig, doch die Aufmerksamkeit der Anwesenden galt Nahton und König Peter. »Kompis töten menschliche Soldaten?«, entfuhr es Peter. »Wie können die Kompis so etwas koordiniert durchführen? Gewöhnliche Kommunikationssignale sind nur so schnell wie das Licht und...«

»Die Revolte muss programmiert oder zeitlich abgestimmt gewesen sein. Das Massaker ist gut geplant, Euer Majestät.«

Peter sah gewisse andere Rätsel plötzlich in einem neuen Licht. »Admiral Stromo hat keine Spur von unseren sechzig Rammschiffen finden können - ihre Besatzungen be standen aus Soldaten-Kompis.« Seine Stimme klang unheilvoll.

»Gestern habe ich einen Zwischenfall mit Soldaten-Kompis an Bord von Admiral Stromos Manta gemeldet«, sagte Nahton. »Bei einigen Kompis kam es zu Fehlfunktionen, und sie töteten zwei Mitglieder der Brückencrew. Ich habe den Vorsitzenden Wenzeslas darauf hingewiesen. Sind Sie nicht informiert worden, Euer Majestät?«

Peter drehte sich zu Basil um, der auf der anderen Seite des Raums stand.

»Ich habe nichts davon erfahren! Wer hat entschieden, mich nicht zu informieren?« Er wusste sehr wohl, dass es die Entscheidung des Vorgesetzten gewesen war. Und das wussten jetzt auch alle anderen.

»Sie hätten die Informationen bei der nächsten Besprechung erhalten«, erwiderte Basil eisig.

»Wenn dies wirklich eine Revolte der Soldaten-Kompis ist...« Peter bedachte den Vorsitzenden mit einem finsteren Blick. »Wenn Sie ein wenig gewissenhafter gewesen wären, Vorsitzender, so hätten wir eine Warnung herausgeben können! Der erste Zwischenfall liegt mehr als einen Tag zurück! Durch den Telkontakt hätten wir die Kampfgruppen in wenigen Sekunden warnen können.«

»Ich stehe nicht mehr mit Admiral Stromos Manta in Verbindung«, sagte Nahton. »Der dortige grüne Priester ist getötet worden, und ich glaube, die meisten anderen Besatzungsmitglieder sind ebenfalls tot.« Er sah den Vorsitzenden nicht einmal an. »Jetzt werden die Crews aller TVF-Schiffe angegriffen.«

»Und wir hätten sie auf den Angriff vorbereiten können«, betonte Peter. Er nutzte die Gelegenheit und erhöhte die Lautstärke seines Stimmverstärkers, um alle Worte zu übertönen, die der Vorsitzende jetzt vielleicht sprechen wollte. Er konnte nicht zulassen, dass Basil politisches Kapital aus dieser Sache schlug oder alles zu vertuschen versuchte, so wie seine vorherige Besorgnis in Hinsicht auf die Zuverlässigkeit der Kompis. Es bereitete ihm keine Genugtuung zu erfahren, dass seine Sorgen berechtigt gewesen waren.

Peter durchbohrte Basil mit seinen Blicken, als er sagte: »Wir haben unsere Chance vor langer Zeit vertan! Alle werden sich daran erinnern, dass ich Bedenken in Bezug auf die Klikiss-Programmierung in unseren Soldaten-Kompis zum Ausdruck gebracht habe. Als Vorsichtsmaßnahme wollte ich die Fabrik schließen, aber die Produktion wurde wider bessere Einsicht fortgesetzt.« Er sah den Vorsitzenden direkt an. »Das war eine schlechte, sehr unkluge Entscheidung.«

Basil näherte sich dem Podium, seine Miene ein Sturm aus Emotionen. Peter wusste, wie sehr es der Vorsitzende verabscheute, Fehler zuzugeben. Basil würde versuchen, die Katastrophe herunterzuspielen, ihre Bedeutung zu minimieren. Es war ihm gleich, ob noch mehr Menschen starben - Hauptsache, die Hanse wahrte das Gesicht.

Aber Peter hatte jetzt die volle Aufmerksamkeit der Medienvertreter, und alle hörten ihm zu. Ein König musste tun, was getan werden musste. Während eines solchen Notfalls konnte sich ihm niemand entgegenstellen. Peters Wangen glühten, als er sich die vielen Soldaten-Kompis vorstellte, die alle zur gleichen Zeit rebellierten. Er handelte spontan. »Wenn das plötzlich aggressiv gewordene Verhalten der Soldaten-Kompis auf ihre Programmierung zurückzuführen ist, so kommen alle kürzlich hergestellten Exemplare Zeitbomben gleich, die von einem Augenblick zum anderen explodieren könnten.« Er wandte sich an die königlichen Wächter und sprach in einem befehlenden Ton. »Legen Sie sofort die Produktionsanlagen still. Alarmieren Sie die lokalen Verteidigungsstreitkräfte und geben Sie ihnen die Anweisung, die Soldaten-Kompis unter Kontrolle zu halten, falls sie reagieren sollten. Setzen Sie die Silbermützen ein. Wir dürfen kein Risiko eingehen.«

Die königlichen Wächter zögerten, während sich Basil einen Weg durch das Durcheinander zum Podium bahnte. Peter wartete nicht. »Captain McCammon! Sie haben Ihre Befehle.« Die Medien-Imager richteten sich auf die Wächter, die sich noch immer nicht von der Stelle rührten.

Dr. Anselm Frick stand auf und zeigte seine Medaille so, als gäbe sie ihm eine Art militärischen Rang. »Sie haben ihn gehört, Mann!«, rief er. »Dies ist Verrat gegen den König, jawohl! Führen Sie gefälligst seine Befehle aus!«

»Worauf warten Sie noch?«, rief jemand anders, empört vom Zögern der Wächter. Weitere Personen am Tisch verlangten unverzügliches Handeln. Peter sah den Kommandeur der Wache streng an. »Wenn Sie nicht sofort Ihre Pflicht erfüllen, sind Sie von ihr entbunden, Captain.«

Schließlich begriff McCammon, was auf dem Spiel stand. Er erteilte Anweisungen, und die königlichen Wächter eilten hinaus. Sie machten von ihren Kommunikatoren Gebrauch und bereiteten eine Aktion bei der großen Kompi-Fabrik im Palastdistrikt vor.

Peter wusste, dass er weit über die Grenzen seiner Kompetenz hinausging, aber er musste Stärke zeigen. Das Volk würde ihn dafür bewundern, obgleich ihm bei dem Gedanken schauderte, auf welche Weise sich Basil nach Bewältigung dieser Krise rächen würde. Falls sich die Krise bewältigen ließ.