77 KON IG PETER
»Dieser Mistkerl!« Peter wusste, dass er eigentlich nicht überrascht sein sollte. »Dreimal verfluchter egoistischer Mistkerl! Er will uns umbringen.« Der treue Lehrer-Kompi wartete vor König und Königin, die sich gerade seine Aufzeichnung des Gesprächs zwischen Basil und Prinz Daniel angehört hatten. Seit Tagen stand Peter nach Basils Anweisungen im Königlichen Flügel praktisch unter Hausarrest, doch OX konnte sich frei im Flüsterpalast bewegen. Er hatte fast jedem König in der Geschichte der Hanse gedient.
Basil Wenzeslas behandelte Kompis und Untergebene immer so, als wären sie nicht mehr als Möbelstücke. Er achtete nicht auf OX und vergeudete keinen Gedanken daran, dass der Lehrer-Kompi vielleicht nicht mit seinen Plänen einverstanden war. Der stellvertretende Vorsitzende Cain hatte OX
bereits zweimal benutzt, um sehr vorsichtig formulierte Botschaften zu überbringen.
Sie waren allein im Königlichen Flügel und standen neben einem Springbrunnen, dessen beständiges Plätschern eventuellen Lauschern erhebliche Probleme bereiten würde. OX hatte die lokalen Abhörvorrichtungen lokalisiert und deaktiviert, was bedeutete: Peter und Estarra konnten an diesem Ort auf ihre geheimen Handzeichen verzichten. Estarras Gesicht zeigte sowohl Sorge als auch Entschlossenheit. »Jetzt, da Daniel wieder wach ist ... Wie viel Zeit bleibt uns?«
»Basil wird aktiv, wenn er eine Möglichkeit findet, die nicht viel Staub aufwirbelt.« Peter sah in das ausdruckslose Polymergesicht des Kompi OX.
»Aber zuerst muss er sicher sein, dass Daniel wirklich eine bessere Alternative ist. Uns wird er vermutlich erst dann strenger überwachen und kon trollieren, wenn er seine Pläne in die Tat umsetzt. Ich schätze, wir haben noch mindestens einige Tage.«
»Er weiß nicht, dass wir gewarnt sind«, flüsterte Estarra. »Das gibt uns einen Vorteil.«
Peter strich ihr übers Haar. »Basil hat die TVF-Schiffe von den Kolonien zurückgezogen, wodurch sie völlig schutzlos sind.« Er schnitt eine Grimasse. »Die Hydroger können sie ganz nach Belieben auslöschen und dann hierherkommen. Das Ende der Menschheit steht bevor. Vom Beginn dieses Krieges an hat Basil alle für entbehrlich gehalten, abgesehen von sich selbst.«
In Estarras Zügen zeichnete sich deutliches Unbehagen ab. »Ich sage dies nicht gern, Peter, aber was ist, wenn der Vorsitzende recht hat? Welche andere Wahl hat er? Er hat den größten Teil der Terranischen Verteidigungsflotte verloren, und was von ihr übrig ist, reicht nicht, um die Hydroger aufzuhalten. Was ist, wenn Basil Wenzeslas die richtigen Entscheidungen getroffen hat?«
»Vielleicht hat er die richtigen getroffen, aber auf die falsche Weise.« Peter rang mit seinem Zorn und fühlte das Glühen seiner Wangen. »Sieh nur, was er mit der Menschheit gemacht hat. Du kennst die letzten taktischen Zusammenfassungen. Er hat die Hanse-Kolonien bereits zum Tod ver- urteilt.«
Captain McCammon hatte von sich aus beschlossen, dem König zu helfen, indem er ihm heimlich Kopien der täglichen Lageberichte für den Vorsitzenden zukommen ließ -der König sollte über die Ereignisse in der Hanse auf dem Laufenden sein. Die Informationen waren wichtig, aber die Umstände erlaubten es Peter leider nicht, auf ihrer Grundlage zu handeln.
»Ich habe viele Beispiele von extremen und irrationalen Verhaltensweisen des Vorsitzenden zur Kenntnis genommen, vor allem im letzten Jahr«, sagte der Lehrer-Kompi.
»Er verstößt gegen seine eigene wichtigste Regel und lässt sich von persönlichen Gefühlen beeinflussen. Er denkt mehr an sich als an die Hanse oder die Zukunft.« Peter wandte sich an den Lehrer-Kompi. »Wir brauchen deine Hilfe, OX.«
Sie erstarrten, als sie Bewegung im Flur hörten. Zwei königliche Wächter vor der Tür wichen beiseite und ließen farbenprächtig livrierte Bedienstete mit Speisen für ein frühes Mittagessen eintreten. Beide Männer trugen die für Arbeiter im Flüsterpalast typischen bunten Mützen und Westen. Peter hatte zunächst geglaubt, dass diese altertümliche Aufmachung für Touristen und Medien bestimmt war, aber die Arbeiter trugen diese Kleidung auch in den privaten Bereichen des Palastes.
»Wir haben noch kein Essen bestellt«, sagte er.
Die beiden Männer blinzelten. »Entschuldige Sie, Euer Majestät. Im Ostgarten beginnt gleich ein Bankett für zweihundert Funktionäre der Hanse. Wir haben befürchtet, dass die Palastküche Ihrer Bestellung nicht mit angemessenem Eifer nachkommen kann, und deshalb bringen wir Ihnen das Mittagessen schon jetzt.«
Die kostümierten Männer schienen einen Tadel des Königs zu fürchten, aber Peter wollte nur, dass sie gingen. »In Ordnung. Bitte lassen Sie uns jetzt allein. Die Königin und ich führen ein privates Gespräch.«
Die beiden Männer eilten fort. Die königlichen Wächter bezogen wieder Aufstellung, und Peter schloss vor ihnen die Tür.
Estarra sah auf die herrlich duftende Suppe und das frische Obst hinab, wählte dann eins der Sandwiches mit geräuchertem Fisch und Gemüse.
»Ich bin hungrig, aber zum Glück ist es nicht der Heißhunger auf etwas Besonderes.«
OX stand neben dem Tisch und wartete geduldig auf die Fortsetzung des Gespräches. Bevor Estarra einen ersten Bis sen nehmen konnte, wies Peter den Kompi an, die Speisen zu untersuchen. OX sondierte das Sandwich und dann die übrigen Lebensmittel. Seine optischen Sensoren leuchteten etwas heller. »Ich entdecke kein Gift, König Peter. Aber es gibt eine unerwartete chemische Signatur, die offenbar von einem komplexen Pharmazeutikum stammt. Ich analysiere die molekulare Struktur und vergleiche sie mit meinen Aufzeichnungen.«
Peter nahm das Sandwich aus Estarras Hand, betrachtete es und war sicher, dass Basil die Speisen irgendwie manipuliert hatte. »Du solltest besser nichts davon anrühren.«
Wenige Sekunden später nannte OX das Ergebnis seiner Analyse. »Die Lebensmittel enthalten starke Dosen eines Abtreibungsmittels. Bei König Peter blieben vermutlich Symptome aus, aber bei der Königin käme es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Fehlgeburt.«
»Zu einer Fehlgeburt? Aber meine Schwangerschaft ist schon weit fortgeschritten.« Estarra sank in den Sessel, als hätte sie einen Schlag erhalten.
»Eine von diesem starken Mittel ausgelöste Fehlgeburt im sechsten Monat hätte ernste medizinische Folgen für die Mutter und könnte zum Tod führen.«
Peters Hände zitterten, und er hatte plötzlich Kopfschmerzen. »Der blutdürstige Mistkerl lässt einfach nicht locker.«
»Wie bei den Delfinen«, hauchte Estarra.
In Peter drängte alles danach, zum Balkon zu laufen, die Teller mit den Speisen auf den Hof zu werfen und Basil Wenzeslas dabei laut zu verfluchen. Aber er hielt sich zurück und wusste, dass es falsch gewesen wäre, auf diese Weise zu reagieren. Derzeit bestand ihr einziger Vorteil darin, dass sie die neueste Hinterlist des Vorsitzenden kannten. Wenn Basil glaubte, dass er damit erfolgreich war, unternahm er wahrscheinlich nichts anderes. Vielleicht gewannen sie auf diese Weise einen zusätzlichen Tag.
Peter kochte innerlich, als er die Speisen zum Abfallrecycler trug.
Estarra wirkte elend. »Von jetzt an müssen wir alles untersuchen, was wir essen. Wenn du dies nicht rechtzeitig bemerkt hättest, OX ...«
»Ich kann Ihnen heimlich zu essen bringen, Königin Estarra«, bot sich der Kompi ein. »In kleinen, unauffälligen Päckchen.«
»Vielleicht ist auch Captain McCammon in der Lage, uns mit Nahrungsmitteln zu versorgen«, sagte Peter und fühlte, wie der Zorn noch heißer in ihm brannte.
Schließlich seufzte er. »Ich habe versucht, Frieden mit Basil zu schließen, mit ihm zusammenzuarbeiten. Wir hätten Partner sein können. Ich habe getan, was für die Hanse richtig war, so wie immer. Aber jetzt...« Peter sah Estarra an. »Jetzt ist mir klar: Wir müssen Basil töten, bevor er uns um- bringt.«