103 KONIG PETER

Mit langen Schritten führten die königlichen Wächter Peter und Estarra aus dem Bankettsaal. Captain McCammon ging mit gezogenem Schockstab voran. »Bringt sie so schnell wie möglich zu ihrem Quartier!« Seine weinrote Mütze saß schief auf dem weißen Haar.

Die Wächter umringten das königliche Paar schützend. Zwar war ihr Dienst vor allem zeremonieller Natur, aber die Männer in den prächtigen Uniformen bewegten sich mit lobenswerter Präzision. Estarra war angesichts ihrer Schwangerschaft nicht so agil wie sonst, doch sie versuchte, Schritt zu halten. Peter vermutete, dass die Wächter sie getragen hätten, wenn sie langsamer geworden wäre.

»Dort entlang! Den Flur frei machen!«, rief McCammon. Funktionäre und Palastarbeiter wichen hastig in angrenzende Zimmer zurück. »Ihr beiden, zur nächsten Kreuzung. Haltet dort aufmerksam Ausschau.«

Estarra stolperte, und Peter stützte sie. Ihnen beiden war die Bedeutung der jüngsten Ereignisse klar, und Peter hatte Basils Blick bemerkt. »Das wär's«, murmelte Estarra. »Wir sind so gut wie tot.«

»Nicht wenn ich es verhindern kann, Euer Majestät!«, rief McCammon über die Schulter hinweg. »Wir werden Ihre Sicherheit gewährleisten.« Die königlichen Wächter hatten keine Ahnung, was auf dem Spiel stand. Oder vielleicht doch, dachte Peter.

Im Flüsterpalast würde es für ihn und Estarra keine Sicherheit geben.

Die vordersten beiden Wächter blieben an der nächsten Kreuzung stehen, zogen ihre Waffen und blockierten den Zugang, damit die Gruppe mit dem königlichen Paar die kritische Stelle ohne innezuhalten passieren konnte. Sicher heitswächter des Palastdistrikts hatten den Bankettsaal abgeriegelt. Die zweihundert Gäste sollten verhört werden, um festzustellen, ob und in welcher Verbindung sie mit Franz Pellidor standen. Während der nächsten Stunden würde es im Palast ziemlich viel Aufregung geben.

Peter knirschte mit den Zähnen. Der Vorsitzende wusste sehr wohl, dass es keine Komplizen gab und Pellidor nichts mit dem Gift zu tun hatte, aber er musste alles pro forma durchexerzieren. Medien-Imager hatten die erneute Präsentation des Prinzen aufgezeichnet. Viele Menschen auf der Erde hatten Sareins Vorwürfe Pellidor gegenüber gehört und gesehen, wie er tot zu Boden gesunken war, allem Anschein nach ein Opfer des eigenen Gifts. Warum hatte Sarein alles ruiniert? Wenn sie über das Gift Bescheid gewusst hatte, musste ihr auch klar gewesen sein, dass Pellidor keine Schuld traf. Peter bedauerte den Tod des gewissenlosen Sonderbeauftragten nicht. Vor langer Zeit war es Pellidor gewesen, der einen ahnungslosen Jungen namens Raymond Aguerra entführt und dann einen Brand arrangiert hatte, bei dem Raymonds - Peters - Familie ums Leben gekommen war. Pellidor hätte einen langsameren und qualvolleren Tod verdient als den durch eine Fauldur-Vergiftung.

Sarein hatte beschlossen, Basil zu retten, auch wenn es den Tod für ihre Schwester bedeutete. Wahrscheinlich würde Estarra keine Gelegenheit mehr bekommen, noch einmal mit Sarein zu sprechen. Vielleicht sah sie sie nie wieder.

Aber der jüngste Zwischenfall veränderte die Situation. Wenn der Vorsitzende jetzt König und Königin umbrachte, würde auch der leichtgläubigste Medienreporter ahnen, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Durch Pelli-Jors Tod hatten Peter und Estarra etwas Zeit gewonnen. Es bedeutete vielleicht, dass sie die nächsten Tage überleben konnten.

Captain McCammon blieb angespannt und wachsam, als sie schließlich den königlichen Flügel erreichten. Er schickte mehrere Soldaten mit dem Auftrag voraus, die Gemächer zu kontrollieren. »Alles klar, Captain.« Als König und Königin ihr privates Quartier betreten hatten, postierte McCam- mon vier seiner Männer vor dem Haupteingang. Peter glaubte, dass die Soldaten wirklich versuchen würden, sie zu schützen.

Der Captain folgte dem königlichen Paar in die Suite und überzeugte sich selbst davon, dass dort keine Gefahr drohte. An seinem Hals zeichneten sich die Sehnen ab. »Ich habe von Anfang an gewusst, dass mit Pellidor etwas nicht stimmte. Nahm sich selbst zu wichtig. Ich werde nie vergessen, dass er sich befugt glaubte, Ihnen den Besuch beim Vorsitzenden zu verbieten.« Er schnaubte abfällig. »Wenn Sie mich fragen ... Der Bursche ließ sich auf zwielichtige Geschäfte ein und musste den Preis dafür bezahlen.«

Peter nickte und schwieg.

»Wenn Pellidor auf Sie gehört hätte, als Sie vor den Soldaten-Kompis warnten, wäre die Hanse jetzt nicht in einer so schwierigen Lage, Euer Hoheit.« McCammon schüttelte den Kopf. »Wenn die Hydroger kommen, wie die Ildiraner gesagt haben ... dann steht vielleicht das Ende der Menschheit bevor.«

Die Worte berührten etwas in Peter. Während der vergangenen Tage war er so sehr aufs Überleben konzentriert gewesen, dass er die größere Situation aus dem Auge verloren hatte. McCammon hatte recht - vielleicht stand tatsächlich das Ende der Menschheit bevor.

Estarra nahm Platz und holte Luft für eine auf der Hand liegende Frage - sie wollte feststellen, wie McCammon darauf reagierte. »Wenn Pellidor den Kaffee vergiftet hat, muss er gewusst haben, dass er sterben würde. Warum hat er ihn trotzdem getrunken?«

»Wahrscheinlich um seine Komplizen zu schützen. Ein Fanatiker. Vermutlich ist diese Sache größer, als wir ahnen.« Der Captain rückte seine Mütze zurecht. »Ich lasse von meinen Leuten Gift-Scanner in Ihrem Quartier installieren. Ich bestehe darauf, dass Sie von jetzt an Ihre Mahlzeiten untersuchen.«

»Trotzdem können wir nicht davon ausgehen, wirklich sicher zu sein«, sagte Peter und beschloss, einen Versuch zu wagen. »Captain McCammon, bitte geben Sie mir Ihre Waffe.«

Der Captain blinzelte. »Das ist nicht nötig, Euer Majestät. Wir schützen Sie. Während meiner Wache wird Ihnen und der Königin nichts zustoßen.«

Peter richtete einen durchdringenden Blick auf ihn. »Ich zweifle nicht an Ihrer Tüchtigkeit. Aber unterschätzen Sie die erbarmungslosen Mörder nicht. Sie haben es diesmal mit Gift versucht, und bestimmt verwenden sie bei ihrem nächsten Anschlag eine andere Methode.« Er streckte die Hand nach der Waffe aus. »Geben Sie mir die Möglichkeit, meine Frau und unser ungeborenes Kind zu verteidigen, wenn es zum Schlimmsten kommt.« McCammon zog seinen Schocker, betrachtete ihn, justierte die Ladung und nickte. »Können Sie damit umgehen?«

»Als ich jünger war, habe ich gelegentlich mit Waffen geübt.« Das war in einem anderen Leben gewesen, um auf den Straßen zu überleben. »Und Sie, Captain, sollen dafür sorgen, dass ich diese Waffe nicht benötige.« Peter ließ den Schocker unter seiner Kleidung verschwinden, und McCammon ging, um bei seinen Soldaten nach dem Rechten zu sehen. Peter fühlte das beruhigende Gewicht der Waffe und sah Estarra bedeutungsvoll an. Was auch immer Basil plante: Jetzt waren sie wenigstens nicht mehr wehrlos.