22 PATRICK FITZPATRICK III.

Die ehemalige Vorsitzende Maureen Fitzpatrick fand nichts Falsches daran, eine Nachmittagsparty zu veranstalten -obgleich sich die Hanse im Krieg befand und zahlreiche menschliche Kolonien isoliert und hilflos waren. Sie freute sich über die Rückkehr ihres Enkels und lud all jene ein, die sie für wichtig hielt. Und sie hatte Patrick streng aufgefordert, endlich kein Trübsal mehr zu blasen.

Mehrmals rief er sich ins Gedächtnis zurück, dass er Schlimmeres überstanden hatte.

Als er ganz offen auf seine Rolle bei der Zerstörung des Roamer-Frachters hingewiesen hatte, war seiner Großmutter offenbar sehr unbehaglich zumute gewesen. Doch dabei ging es nicht um das, was er getan hatte, sondern um seine Schuldgefühle. »Mach dir deshalb keine Sorgen, Patrick. Du hast nur Befehle ausgeführt. Die Hanse hat es heutzutage mit wichtigeren Dingen zu tun.«

»Mit wichtigeren Dingen? Deshalb liefern uns die Roamer kein Ekti mehr. Deshalb sind wir in diese Situation geraten, durch die der Krieg noch schwieriger wird.«

»Ach, Patrick«, hatte Maureen in einem herablassenden Tonfall gesagt.

»Überlass die Wirren der Politik und die Komplexitäten des Handels den Fachleuten. Ich bin selbst Vorsitzende gewesen und weiß, dass die Dinge nicht so klar sind, wie sie einem idealistischen jungen Mann erscheinen.«

»Früher bin ich idealistisch gewesen, Großmutter. Ich glaubte, alle Antworten zu kennen. Aber inzwischen bin ich älter und weiser.«

Zwar wussten ihre Caterer und Spezialisten genau, worauf es bei einer diplomatischen Party ankam, doch Maureen kümmerte sich trotzdem um alle Details. Musik er klang, und Gäste trafen ein. Es war ein sonniger Tag. Patrick hatte dem Drängen seiner Großmutter nachgegeben und trug seine schwarze Galauniform mit den scharlachroten und goldenen Tressen, obwohl er alle notwendigen Papiere bereits vorbereitet hatte - er war weiterhin entschlossen, den Dienst zu quittieren.

»Auch General Lanyan kommt«, sagte Maureen. »Er hatte immer eine Schwäche für dich.«

Patrick wanderte mit einem Teller umher, auf dem ein Salat aus Krabben und exotischen Früchten lag, lächelte Leute an, die er nicht kannte, und nahm immer wieder gute Wünsche entgegen. Als ein dickbäuchiger Geschäftsmann mit blondem Schnurrbart und dunklem Haar von den »dreckigen Roamer-Clans« sprach, erwiderte Patrick: »Jene Leuten haben uns das Leben gerettet, Sir. Die TVF hat nicht einmal versucht, bei Osquivel Überlebende zu retten. Die Roamer nahmen uns bei sich auf und behandelten unsere Verletzungen.«

»Sie hielten Sie gefangen«, stotterte der Mann.

»Das ist immer noch besser als eine Bestattung. Ich werde den Roamern immer dankbar sein.«

Patrick sah Kiro Yamane neben einer prächtig gekleideten Shelia Andez, entschuldigte sich und trat zu seinen ehemaligen Mitgefangenen. »Das Essen ist großartig«, sagte Sheila. »Habt ihr immer so gut gegessen, als du ein Kind warst?«

Er blickte auf seine Vorspeise hinab. »Nein. Manchmal wurden vollständige Mahlzeiten serviert.«

»Und du hast das alles für TVF-Rationen aufgegeben.« Shelia schnaubte.

»Ich habe dich immer für dumm gehalten, Fitzpatrick.«

»Und du bist zu einem Liebling der Nachrichtennetze geworden. Ich musste mir ein Taschentuch holen, um die Tränen fortzuwischen, als ich von deinem >großen Leid< bei den Roamern hörte. Haben sie dich gefoltert, als wir anderen nicht hinsahen? Weißt du, was die TVF mit den Stützpunkten der Roamer angestellt hat? Zum Beispiel mit Rendezvous? Wenn man das berücksichtigt, sind wir recht gut behandelt worden.«

»Du klingst wie ein mitfühlender Schwachkopf.« Shelia verzog das Gesicht.

»Du warst nur in die Roamer-Brünette verknallt.«

Patrick achtete nicht auf den Kommentar und wandte sich an den distinguierten Kompi-Spezialisten. »Kiro, du hast sicher viel zu berichten, nachdem die Soldaten-Kompis in den Roamer-Werften verrückt gespielt haben.«

»Ja, das kleine Ablenkungsmanöver wurde weitaus spektakulärer als geplant. Wir können von Glück sagen, dass die TVF und deine Großmutter rechtzeitig eintrafen; andernfalls wäre die ganze Anlage zerstört worden.«

»Sie wurde zerstört, Kiro. Wir konnten sie lebend verlassen, aber wir wissen nicht, wie viele Roamer ums Leben kamen. Stört es dich nicht, dass du etwas in die Wege geleitet hast, das so großen Schaden anrichtete?«

»Wir mussten entkommen, Fitzpatrick«, warf Shelia ein. Sie runzelte die Stirn. »Die Roamer ließen uns keine andere Wahl. Denk nur daran, was mit Bill Stanna geschah. Sie haben ihn umgebracht!«

»Bill war nicht unbedingt der hellste Stern im Spiralarm. Die Roamer haben ihn nicht getötet. Er starb, weil er völlig planlos vorging.« Von Shelia kam erneut ein abfälliges Schnauben, und Patrick fuhr fort: »Jemand muss die Stimme erheben, als Gegengewicht zu deinen Sensationsgeschichten, Shelia.« Er lächelte, als er die Überraschung in ihrem Gesicht sah. »Ich habe beschlossen, mich an die Öffentlichkeit zu wenden und meine Erfahrungen bei den Roamern zu schildern. Ein großer Teil des andauernden Konflikts geht auf absichtlich falsche Interpretationen der Ereignisse zurück.« Er sah Yamane an. »Es würde mich freuen, wenn du deine eigene Meinung hinzufügen würdest, Kiro. Wir können gemeinsame Interviews geben.«

Yamane wandte den Blick ab. »Tut mir leid, Patrick. Man hat mich gebeten, all das zu dokumentieren, was ich über die Soldaten-Kompis herausgefunden habe, damit sie verbessert werden können. Das hat Vorrang.«

Shelia lachte. »Wenn du von mir erwartest, dass ich ein Loblied auf deine Roamer-Freundin singe, so muss ich dich enttäuschen!«

Patrick fühlte, wie seine Wangen glühten. Er hatte gewusst, dass es nicht einfach sein würde. »Dann mache ich es eben allein. Meine Eltern sind Botschafter, und meine Großmutter war einmal Vorsitzender der Hanse ...«

Plötzlich war Maureen da. »Verlass dich nicht darauf, dass dir das eine Bühne gibt, auf der du hübsche Bilder von den Feinden der Hanse malen kannst. Komm, Patrick, wir müssen uns unter die Gäste mischen.« Die alte Streitaxt zog ihn mit sich und flüsterte ihm ins Ohr: »Du brauchst dringend psychologische Beratung. In letzter Zeit scheinst du großen Gefallen daran zu finden, gegen den Strom zu schwimmen.«

»Ich denke selbständig, Großmutter. Ist das schlecht?«

»Ja - wenn du nicht richtig denkst. Hast du jemals vom Stockholm-Syndrom gehört? Du zeigst klassische Symptome. Du bist ein Gefangener der Roamer gewesen, und jetzt bringst du Sympathie für sie zum Ausdruck! Es ist nicht normal. Ich fürchte, wir müssen dich hier behalten, fernab der Öffentlichkeit, bis du dich erholt hast.« Maureen klopfte ihrem Enkel auf die Schulter. »Ich werde keine Kosten scheuen, um meinen alten Patrick zurückzubekommen.«

Sie führte ihn zu General Lanyan. Der Mann hatte zugenommen, was man vor allem um die Augen herum sah, aber er war noch immer in eine Aura der Autorität gehüllt. »Ge neral Lanyan, mein Enkel hat sich sehr darauf gefreut, Sie zu sehen!« Patrick widersprach seiner Großmutter nicht. Es war die Mühe nicht wert. Früher hatte es ihn mit großem Stolz erfüllt, Adjutant des Kommandeurs der Terranischen Verteidigungsflotte zu sein; es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, an irgendwelchen Anweisungen des Generals Anstoß zu nehmen.

Lanyan ergriff Patricks Hand und schüttelte sie energisch. »Commander Fitzpatrick, ich vermisse die Zeit, in der Sie mein Adjutant waren. Eigentlich sollte ich dies nicht sagen, aber ich bedauere, Ihnen das Kommando über einen eigenen Manta-Kreuzer gegeben zu haben. Ohne die OsquiveK Angelegenheit hätte ich Sie noch immer an meiner Seite. Ich möchte, dass Sie zu mir zurückkehren, sobald Sie wieder diensttauglich sind. Dann können Sie mir bei all den schwierigen Verwaltungsdingen helfen.«

»Tut mir leid, General, aber ich habe beschlossen, den TVF-Dienst zu quittieren. Ich werde mich anderen Aufgaben widmen.«

Das verblüffte Lanyan. »Sie sind erst seit vier Tagen daheim - kaum Zeit genug, um auszuruhen, geschweige denn für eine so wichtige Entscheidung. Denken Sie noch einmal darüber nach. Wir sprechen darüber, wenn Sie bereit sind.«

Patrick wusste, dass er keine zweite Chance wie diese bekommen würde.

»Sir, erinnern Sie sich an den Roamer-Frachter, dem wir während unseres Patrouillenflugs begegnet sind?«

Das Gesicht des Generals blieb völlig ausdruckslos. »Nein, Mr. Fitzpatrick. Ich fürchte, ich erinnere mich nicht daran.«

»Wirklich nicht? Wir haben den Frachter aufgebracht und seine Ekti-Ladung beschlagnahmt. Der Kommandant des Schiffes hieß Raven Kamarow und stammte aus einem bekannten Roamer-Clan.« Patrick kniff die Augen zusammen. »Sie gaben mir den Befehl, den Frachter zu vernichten.«

Ein Vorhang aus Eis schien vor Lanyans Gesicht zu fallen. »Nein, Mr.

Fitzpatrick. An derartige Dinge erinnere ich mich nicht. Und Sie auch nicht.« Patrick fühlte, wie er zornig wurde. Er wollte die Stimme heben und den General vor all diesen Leuten bloßstellen, aber bevor er etwas sagen konnte, platzte ein Offizier in den Saal. »General Lanyan, Sie werden gebraucht!«

Lanyan richtete seine volle Aufmerksamkeit auf den Mann. »Was ist los?«

Der Offizier kam rasch näher und senkte die Stimme. »Es geht um die Soldaten-Kompis, Sir. Offenbar verursachen sie Probleme.« Er sah sich im Saal um und erkannte Yamane unter den Gästen. »Dr. Yamane! Wir benötigen auch Ihren Sachverstand. Ein Transporter steht bereit. Wenn ich die beiden Herren bitten darf, mich zu begleiten ...«

Als es bei den anderen Gästen zu einem Gemurmel kam, hob Maureen Fitzpatrick die Hände und sagte laut: »Die Pflicht ruft! Damit muss man rechnen, wenn man den Befehl über die Terranische Verteidigungsflotte hat. Kein Grund zur Sorge.«

Der General richtete einen letzten warnenden Blick auf Patrick, folgte dann dem Offizier und zog Yamane mit sich.