56 ANTON CÓLICOS

Sie flogen nach Hyrillka. Anton stand zusammen mit Yazra'h und Vao'sh im Kommando-Nukleus des Kriegsschiffs, und da er sich als Gast an Bord befand, achtete er darauf, nicht im Weg zu sein.

Mehr als dreihundert geschmückte Schiffe entfernten sich von Ildira, beauftragt mit einer Mission des Vergebens. Das Kommando führte der einäugige Tal O'nh, nach Adar Zan'nh der ranghöchste Offizier der Solaren Marine. Von Vao'sh wusste Anton, dass der alte Kommandeur sein linkes Auge bei einer Explosion an Bord eines Kriegsschiffes verloren hatte, als er noch Septar gewesen war. Ein facettierter Edelstein steckte jetzt in der leeren Augenhöhle, und sein Glitzern erweckte eher Faszination als Mitleid. Anton vermutete, dass der Weise Imperator mit so vielen entsandten Schiffen auf seine Großzügigkeit hinweisen wollte, mit der er Hyrillka wieder in die Gemeinschaft des Ildiranischen Reichs aufnahm. Die Flotte sollte keine Strafe bringen, sondern Vergebung. An Bord der Schiffe befanden sich tüchtige Soldaten, talentierte Techniker und dringend benötigtes Ausrüstungsmaterial - und Erinnerer Vao'sh und Anton Colicos, die als Beobachter alles dokumentieren sollten.

Nach den Schrecken von Maratha hatte Anton angenommen, dass sein Freund und Kollege Vao'sh nie wieder reisen würde, aber der ildiranische Erinnerer wollte feststellen, welche Schätze sich in den Gewölben unter dem Zitadellenpalast verbargen. Außerdem sollte ein Erinnerer zur Stelle sein, um vom Wiederaufbau auf Hyrillka zu berichten. Befreit von seinen Reisebeschränkungen fühlte sich Anton nach dem Verlassen von Mijistra wie ein Kind, dessen Stubenarrest zu Ende gegangen war.

Die Flotte sollte nicht nur Hilfsgüter und Arbeitskräfte für den Wiederaufbau bringen, sondern auch den neuen Hyrillka-Designierten. Sein Name lautete Ridek'h, und er konnte nicht älter als dreizehn sein. Anton hatte Mitleid mit dem Jungen, der verunsichert mit ihnen im Kommando-Nukleus wartete. Ridek'h blieb immer dicht neben Yazra'h, die der Weise Imperator zu seiner Mentorin ernannt hatte. Der größte Teil ihrer Aufmerksamkeit galt jetzt dem Jungen, was Anton als eine gewisse Erleichterung empfand.

Unter normalen Umständen waren die adligen Söhne des Weisen Imperators Designierte, dazu bestimmt, Welten des Ildiranischen Reichs zu regieren. Der rechtmäßige Hyrillka-Designierte war Pery'h gewesen - ein gut erzogener und nachdenklicher Mann, wie Anton gehört hatte -, aber Rusa'h hatte ihn zu Beginn seiner Rebellion ermordet. Nach der Niederschlagung des Aufstands war nun Pery'hs junger Sohn der Nächste in der Erbfolge. Normalerweise hätte der Knabe derartige Pflichten nie wahrnehmen müssen. Der vorzeitige Tod eines Designierten war sehr selten, und für gewöhnlich konnte ein Designierter-in-Bereitschaft jahrelang lernen, bevor er selbst in die Rolle des Regenten schlüpfen musste. Doch diesmal gab es keine Übergangsphase. Die Bürde des Amtes lag ganz plötzlich auf Ridek'hs Schultern und erdrückte ihn fast. Anton hätte nicht mit ihm tauschen wollen. Er zog es vor, am Rande des Geschehens zu bleiben und die Ereignisse zu beobachten.

Ridek'h bombardierte Yazra'h mit Fragen, noch bevor sie das ildiranische System verlassen hatten. »Glaubst du, es wird so schlimm sein, wie man sagt?« Anton hörte zu, wie die Wächterin versuchte, den Jungen auf seine Aufgabe vorzubereiten. Yazra'h war keine Erzieherin, aber sie hatte eine Charakterstärke, die dem jungen Designierten mehr helfen würde als ein Dutzend höfische Lehrer.

»Es ist so schlimm, wie es ist«, sagte Yazra'h. »Du hast eine Bürde geerbt, die schwerer ist, als du dir jemals vorgestellt hast, Ridek'h. Aber du musst sie tragen.«

»Die Bewohner von Hyrillka werden mir helfen«, erwiderte Ridek'h hoffnungsvoll. »Nicht wahr?«

»Es sind deine Bürger, und du bist ihr Designierter. Du wirst alles bekommen, was du brauchst.«

»Und wenn ich Kraft in meinem Herzen brauche?« Er wirkte so jung.

»Wenn ich sie dir geben kann, so bekommst du sie von mir, Ridek'h. Der Weise Imperator hat mich aufgefordert, dir zu helfen, obwohl ich keine Erfahrung im Unterrichten habe. Dein Vater wäre ein ausgezeichneter Designierter gewesen. Ich werde mich bemühen, dich zu einem weisen Re- genten zu machen.«

Anton kam sich wie ein Lauscher vor, als er das Gespräch hörte und beobachtete, wie Ridek'h seine Furcht hinunterschluckte und die Schultern straffte. Er versuchte, Yazra'hs Haltung nachzuahmen. Anton hoffte, dass der Knabe erfolgreich sein würde.

Vao'sh blieb die ganze Zeit über aufmerksam und nahm Details in sich auf, um im Saal der Erinnerer davon zu berichten. Yazra'h wanderte unruhig im Kommando-Nukleus umher. Ihre Isix-Katzen hatten sie an Bord des Flaggschiffs begleitet, aber während des Flugs befanden sie sich in einem großen Frachtraum, wo sie die Crew nicht beunruhigen konnten.

»Tal, wir nähern uns dem Durris-Tristern«, sagte der Navigator. Normalerweise wäre das aus drei Sonnen bestehende System nicht interessant gewesen, denn dort gab es weder bewohnbare Planeten noch Gasriesen. Die drei Sterne hatten immer hell am Himmel von Ildira geleuchtet, doch einer von ihnen war erloschen, war Opfer eines Kampfes zwischen Hydrogern und Faeros geworden.

Yazra'h sah erst Anton an und wölbte die Brauen, wandte sich dann an den jungen Designierten. »Dies müssen wir sehen. Deshalb habe ich den Tal gebeten, diesen Kurs zu nehmen.« Der einäugige Kommandeur wies die anderen Schiffe der Kohorte an, die Geschwindigkeit zu reduzieren, und Yazra'h blickte auf ihr Mündel hinab. »Wir sollten es alle sehen und nie vergessen.«

In perfekter Formation näherten sich die Kriegsschiffe dem Trigestirn. Eine der drei Sonnen war dunkel geworden. In ihrem Innern fanden keine nuklearen Reaktionen mehr statt, und ohne den photonischen Druck hatte die eigene Masse sie kollabieren lassen. Anton war kein Physiker und fragte sich, welche unglaublichen Waffen eine Sonne zum Erlöschen bringen konnten. Durris-B hatte sich in einen stellaren Grabstein verwandelt.

»Es ist erschreckend«, kommentierte Anton.

»Wir sollten erschrocken sein«, sagte Yazra'h. »Seht nur, wozu der Feind fähig ist.«

Ridek'h starrte mit offenem Mund auf das Bild. »Wie sollen wir gegen einen Feind bestehen, der ... so etwas anrichten kann?«

»Der Weise Imperator wird einen Weg finden, uns zu retten.« Yazra'h hob die Stimme, und ihre Worte galten nicht nur Ridek'h, sondern allen im Kommando-Nukleus.

Tal O'nh hob die Hand zur Brust, wo er nicht nur Auszeichnungen für seine Dienste in der Solaren Marine befestigt hatte, sondern auch eine prismatische Scheibe. Anton erkannte sie als ein Symbol der Lichtquelle. Die Ildiraner fürchteten Finsternis und Blindheit, und daher wunderte es ihn nicht, dass ein Mann, der bereits ein Auge verloren hatte, sich am Symbol ewigen Lichts festklammerte.

»Uns bleiben noch sechs Sonnen; das Ildiranische Reich wird weiter existieren«, sagte Yazra'h so, als könnte sie es befehlen. »Das Ildiranische Reich muss weiter existieren.«

»Ein Offizier der Solaren Marine lebt für nichts anderes«, fügte Tal O'nh hinzu.

Anton wusste, dass diese Worte der Ermutigung den Ildiranern an Bord galten, insbesondere dem jungen Designierten, aber er nahm sie selbst zum Anlass, Mut zu schöpfen. Er dachte daran, dass sich hinter Yazra'hs physischer Kraft eine Weisheit verbarg, von der nur wenige etwas wussten. Ein Gelehrter verstand es, solche Dinge zu bemerken.