50 NIRA

In der trockenen Jahreszeit waren die Hügel braun geworden. Nira hoffte, dass nicht wieder Feuer ausbrachen, obwohl sich ein Teil von ihr wünschte, dass das ganze Zuchtlager in Flammen aufging. Sie hatte gehofft und gebetet, nie zu diesem Ort zurückzukehren. Doch zweifellos hatte sie nie damit gerechnet, ihn unter diesen Umständen wiederzusehen.

Osira'h nahm ihre Hand und führte sie zu den schlichten Gebäuden, in denen die Nachkommen der Burton-Kolonisten ihr Leben verbrachten - Männer und Frauen, die dazu gezwungen waren, sich mit Ildiranern fortzupflanzen. Die Gefangenen schufen sich ihre eigenen Nischen eines beschränkten Glücks und lebten mit ausgewählten Partnern zusammen, wenn sie nicht in den Zuchträumen eingesperrt waren.

Nira schauderte beim Anblick der dunklen Gebäude, in die man sie gezerrt hatte, wenn sie fruchtbar gewesen war. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, ihr - oder den anderen Gefangenen - den Zweck des Zuchtprogramms zu erklären, aber sie vermutete, dass Udru'h seine Freude daran gehabt hatte. Dort am Zaun war sie von den Wächtern geschlagen und anschließend für tot erklärt worden.

Es zeigten sich keine Blutflecken auf dem Boden. Vier kleine Kinder spielten so am Zaun, als wäre das die normalste Sache der Welt. Schwarze Punkte tanzten vor Niras Augen. Alles in ihr drängte danach, loszulaufen und erneut zu fliehen, durch den Zaun und zu den braunen, trockenen Hügeln. Osira'h spürte den inneren Schmerz ihrer Mutter und drückte ihr die Hand. »Es ist alles in Ordnung. Wir sind jetzt zusammen.«

Bei ihrer Ankunft traten Menschen in den hellen Sonnenschein, neugierig und erstaunt. Nira musste ziemlich mitgenommen aussehen, aber diese Leute erkannten sie, denn sie hatten nie eine andere grüne Priesterin gesehen. Benn Stoner, das Oberhaupt dieser Gemeinschaft, starrte sie so an, als könnte er seinen Augen nicht trauen. »Wir haben dich für tot gehalten. Sie haben einen Grabstein für dich aufgestellt.«

»Der Designierte versteht es, schreckliche Taten zu vertuschen.« Nira wusste, dass sie diesen Ort immer hassen würde. Während ihrer vorherigen Zeit im Zuchtlager hatte sie den anderen Gefangenen vom Weltwald auf Theroc erzählt, von der Terranischen Hanse und dem Ildiranischen Reich. Doch diese Leute waren in Gefangenschaft aufge- wachsen und hatten ihr nicht geglaubt.

Das Mädchen an Niras Seite sah zu den neugierigen Gesichtern auf. Es überraschte die Gefangenen nicht nur, Nira wiederzusehen; auch Osira'hs Präsenz im Zuchtlager verblüffte sie. Mischlingskinder waren immer in den ildiranischen Teil der Siedlung gebracht worden. »Von jetzt an wohnen wir hier, im Lager«, sagte Osira'h. »Wir brauchen eine Unterkunft für uns.« Sie öffnete die Tür des Gemeinschaftsquartiers.

»Dort drin gibt es leere Betten«, sagte Stoner. »Wir neh men die Mahlzeiten zusammen ein, erzählen uns Geschichten und singen.« Er zuckte mit den Schultern. »Früher wurde uns schwere Arbeit zugewiesen, aber inzwischen wissen die Ildiraner nicht mehr, was sie mit uns anfangen sollen. Die Zuchtbaracken sind geschlossen. Das ganze Lager ist praktisch stillgelegt.«

Nira sah sich verwundert um. »Keine Vergewaltigungen mehr?« Vielleicht war das ein weiterer Trick des Designierten Udru'h. Wollte er ihnen ein wenig Hoffnung geben, um sie dann wieder in Verzweiflung zu stürzen?

»Entspricht das nicht euren Wünschen?«

Die Gefangenen waren gesund, aber auch verwirrt. Ihre Welt hatte sich verändert, offenbar zum Besseren, doch das schien sie nicht zu beruhigen. Stoner rieb sich den Nacken. »Niemand nennt uns den Grund.«

»Das Zuchtlager ist nicht mehr erforderlich«, sagte Osira'h. »Es hat seinen Zweck erfüllt.« So klein sie auch sein mochte: Sie war in eine Aura der Autorität gehüllt, die alle veranlasste, ihr zuzuhören. »Die Ildiraner haben, was sie wollten: mich.« Sie setzte sich auf ein leeres Bett. »Ich nehme dies. Der Weise Imperator hat gesagt, dass wir hier warten sollen, Mutter.«

»Wann sehen wir ihn?«, fragte Nira. »Weißt du, wann er hierherkommt? Ich habe ihn lange Zeit nicht gesehen.«

Osira'hs Stimme klang sehr bitter. »Er bleibt im Prismapalast und schmiedet Pläne. Er möchte nicht, dass du erfährst, was er macht. Und er möchte auch nicht, dass ich ihn sehe. Ich glaube, er ist verlegen oder beschämt.« Sie senkte die Stimme. »Das hoffe ich.«

»Deine Worte ergeben keinen Sinn, Osira'h.«

»Nichts hiervon ergibt einen Sinn. Der Weise Imperator wird uns nach Mijistra zurückkehren lassen, wenn es ihm passt. Er braucht uns nicht mehr.«