117 GENERAL KURT LANYAN

Die TVF-Schiffe und die beiden Kohorten ildiranischer Kriegsschiffe bildeten einen Verteidigungsgürtel um die Erde und warteten darauf, dass die Hydroger kamen. Die zahlenmäßig weit unterlegenen terranischen Schiffe flogen in und außerhalb der Barriere, an der Seite der verzierten ildiranischen Raumer. Weitere Schiffe der Ildiraner patrouillierten im Sonnensystem.

Auf der Brücke der Goliath zählte General Lanyan die verstreichenden Stunden. Er war sowohl ungeduldig als auch voller Sorge. Immer wieder fragte er sich, wann der Feind erscheinen würde. Adar Zan'nh hatte keinen genauen Zeitpunkt genannt und auch nicht verraten, woher der Weise Imperator vom bevorstehenden Angriff wusste. Die Ildiraner liebten Geschichten - Lanyan fragte sich, ob sie die von einem kleinen Huhn namens Junior kannten, das sich aufmachte, die Welt zu retten ...

Basil Wenzeslas setzte sich dreimal am Tag mit ihm in Verbindung, um auf dem Laufenden zu bleiben. Zwar gab Lanyan beruhigende Antworten, aber der Vorsitzende blieb voller Unbehagen. »Wir sind bereit, Sir«, versicherte er ihm. »Unsere Crews sind nicht vollständig, aber wir kommen auch ohne Soldaten-Kompis zurecht.«

Dieser Hinweis schien die Stimmung des Vorsitzenden nicht zu verbessern.

»Immerhin haben wir nur einen Bruchteil der Schiffe, die uns vor einem Monat zur Verfügung standen.«

»Ich gebe Ihnen sofort Bescheid, wenn sich die Situation ändert.« Lanyan beendete das Gespräch. Hier im heimatlichen Sonnensystem brauchte er wenigstens keinen grünen Priester für die direkte Kommunikation. Außerdem: Der einzige grüne Priester weit und breit war Nahton im Flüster- palast, und er schien widerspenstig geworden zu sein, wie Lanyan von Wenzeslas gehört hatte.

TVF-Remoras flogen neben den viel größeren ildiranischen Kriegsschiffen. Die Scoutpiloten übermittelten Grüße, erhielten aber keine Antwort. Die Ildiraner waren immer sehr reserviert gewesen; das wusste jeder TVF- Soldat.

Die Remoras formten ein weit gespanntes Sensornetz, das bis zum Rand des Sonnensystems reichte und den Feind schon entdecken sollte, wenn er noch weit entfernt war. Patrouillen hielten unentwegt Ausschau. Alle Blicke waren in den interstellaren Raum gerichtet und suchten dort nach Kugelschiffen.

Niemand rechnete damit, dass der Feind ganz plötzlich aus dem Innern des Sonnensystems kam.

Doch plötzlich begannen die weißen und ockerfarbenen Wolkenbänder des Jupiter zu brodeln. Mehr als tausend schimmernde Kugelschiffe kamen aus einer in den Tiefen des Gasriesen verborgenen Hydroger-Basis.

Der erste direkte Schlagabtausch zwischen der Terranischen Verteidigungsflotte und dem Feind hatte beim Jupiter stattgefunden. Dort waren nicht einmal die mächtigsten Schlachtschiffe der TVF in der Lage gewesen, etwas gegen die Hydroger auszurichten. Jetzt kehrte der Feind zurück, durch ein Transtor in den Tiefen des Gasriesen - sie erreichten das Sonnensystem der Erde durch eine Hintertür. Die Hydroger erschienen hinter der ersten Verteidigungslinie der Menschheit.

Der erste Hinweis kam von den Werften im Asteroidengürtel. Hochauflösende Aufnahmen mit maximaler Vergrößerung zeigten, wie die Kugelschiffe Kanonenkugeln gleich aus den Wolkenbändern schössen. Der Raumdock-Inspektor meldete sich. »General, die Hydroger kommen! Wir haben die Schiff, die uns noch geblieben sind, bereits in den Einsatz geschickt.«

Auf der Goliath erklangen die Alarmsirenen; Besatzungsmitglieder eilten zu den Gefechtsstationen. Lanyan wusste, dass die wenigen schnellen Schiffe der Werften keine Chance hatten. »Ihre Einheiten sollen sich zurückziehen!«

Die Piloten jener Schiffe waren Ingenieure ohne jede Kampferfahrung. Als sie sich der gewaltigen Hydroger-Flotte nä herten, begannen sie mit gewöhnlichen Ausweichmanövern. Die ersten Kugelschiffe eröffneten das Feuer, und daraufhin gab es auf den Kommunikationskanälen nur noch Statik.

Der General erteilte Anweisungen. »An alle Schiffe: Kehren Sie sofort vom Rand des Sonnensystems zurück! Wir brauchen Sie hier - die Hydroger sind bereits da!«

»Und wenn dies nur ein Ablenkungsmanöver ist, General?«, fragte der Erste Offizier. »Vielleicht kommen noch mehr Kugelschiffe aus dem interstellaren Raum.«

Lanyan sah ihn an. »Wenn das der Fall ist, sind wir alle sowieso tot, Mr. Kosevic.«

Die TVF-Schiffe des äußeren Verteidigungsrings verlangten ihren Triebwerken alles ab und machten sich mit Höchstgeschwindigkeit auf den Weg zur Erde. Aber die Entfernung war groß - sie würden erst in einigen Stunden eintreffen.

Lanyan begann mit einer unruhigen Wanderung auf der Brücke.

»Informieren Sie Adar Zan'nh - für den Fall, dass er nicht aufgepasst hat. Wir brauchen jede mögliche Verteidigung nahe bei der Erde, und zwar sofort.«

Auf den taktischen Schirmen lief die Zählung der Kugelschiffe und hatte bereits siebenhundert erreicht. Und es kamen noch mehr aus dem Transtor im Innern von Jupiter.

Die Panzerungen der TVF-Schiffe waren verstärkt, um den Waffen der Hydroger besser zu widerstehen. Alle Kanonenboote, Mantas und Thunderheads verfügten über ein volles Arsenal aus Bruchimpulsdrohnen, Kohlenstoffknallern und hochenergetischen Jazern. Trotzdem bezweifelte Lanyaiv, dass sie für den Feind mehr sein konnten als nur ein kleines Ärgernis.

Er wandte sich an den Navigator. »Bringen Sie unsere Verteidigungsgruppe nach vorn.« Admiral Sheila Willis bestätigte von Bord ihres geretteten Manta und beschleunigte.

Ildiranische Kriegsschiffe schlossen sich den TVF-Einheiten an, als sie den Hydrogern entgegenflogen. Hinter ihnen kam die zweite Kohorte aus Schiffen der Solaren Marine -zusammen wirkte die Streitmacht recht beeindruckend. Aber die Hydroger wurden nicht einmal langsamer und hielten auf die Erde zu.

Die Anspannungen bei den Besatzungsmitgliedern wuchs. Lanyan wandte sich über Interkom an die Crew - ohne daran zu denken, wie man ihn in zukünftigen Geschichtsbüchern zitieren würde.

»Es geht los - der Kampf gegen die Droger steht unmittelbar bevor. Wenn die Kugelschiffe an uns vorbeikommen, zerstören sie die Erde und nehmen sich anschließend jede einzelne unserer Kolonien vor. Sie wissen verdammt gut, dass ich heute vielleicht von Ihnen verlange, bis zum Tod zu kämpfen, aber wir sind die letzte Verteidigungslinie. Wenn wir den Feind hier nicht aufhalten, gibt es kein Morgen mehr.«

Die Schiffe der Hydroger kamen immer näher; sie wirkten wie die Stachelkugeln mittelalterlicher Waffen. Lanyan wusste, dass die TVF so bereit war, wie sie nur sein konnte. Alle Remoras waren gestartet. Mantas, Thunderheads und Kanonenboote schwirrten wie Wespen umher, die versuchten, eine Elefantenherde aufzuhalten.

»Die Waffensysteme einsatzbereit machen.« Lanyan öffnete einen weiteren Kom-Kanal. »Sind Sie so weit, Adar Zan'nh?«

»Ich bin hier, um meine Pflicht zu erfüllen.«

Wenige Sekunden später gerieten die Kugelschiffe in Reichweite, und der ildiranische Kommandeur schickte seinen Kohorten ein Signal. Fast siebenhundert Schlachtschiffe drehten sich in einem präzisen Manöver, als wären sie alle miteinander verbunden. Jedes einzelne Schiff richtete seine Zielerfassung neu aus: fort von den Hydrogern und auf Lanyans Flotte.

Plötzlich waren die TVF-Schiffe von den Einheiten der Solaren Marine umgeben.

»Zum Teufel auch!«, entfuhr es dem General.

Die Kugelschiffe wurden langsamer und gingen so in Position, als hätten sie dies erwartet!

Lanyan lief zur Kommunikationskonsole und öffnete einen Kanal zum ildiranischen Flaggschiff. »Was hat das zu bedeuten, Adar Zan'nh?«

Es war eine rhetorische Frage. Für General Lanyan gab es keinen Zweifel daran, dass es sich um Verrat handelte.