112 KÖNIG PETER

Peter und Estarra wussten, dass sich etwas zusammenbraute. Estarra war von der Verheerung ihres prächtigen Gartens ebenso angewidert wie von der gehässigen Freude, mit der Basil Wenzeslas Sarein beauftragt hatte, ihr sein Zerstörungswerk zu zeigen. Aber das war nur der Anfang. Bestimmt stand ihnen noch viel Schlimmeres bevor.

In den königlichen Gemächern isoliert - aber nicht ganz so isoliert, wie Basil annahm -, las Peter den letzten Situationsbericht, den er eigentlich gar nicht haben sollte. Es war Captain McCammon ausdrücklich verboten, ihm solche Berichte zukommen zu lassen, aber an diesem Morgen erschien trotzdem einer auf dem Bildschirm. Peter vermutete, dass er vom stellvertretenden Vorsitzenden Cain stammte.

Der Bericht gab Auskunft über die Verteidigungsaufstellung der TVF- Schiffe und der ildiranischen Flotte. Außerdem ging aus ihm hervor, welche Vorbereitungen die Erde auf den unmittelbar bevorstehenden Angriff der Hydroger traf. Der Vorsitzende Wenzeslas hatte Peter praktisch die Hände gebunden. Estarra und er mussten drastische Maßnahmen ergreifen, und zwar bald.

»Peter!«, flüsterte Estarra.

Er drehte sich um und sah zwei Gestalten neben der Tür. Captain McCammon und drei seiner königlichen Wächter versperrten ihnen den Weg, schienen aber bereit zu sein, die beiden Besucher passieren zu lassen. Eine war Sarein, die vergeblich versuchte, ihre Nervosität zu verbergen.

Das Gesicht der zweiten Gestalt war unter einer Kapuze verborgen, und sie trug Handschuhe.

Peter wechselte einen Blick mit Estarra, die kurz nickte. »Es ist alles in Ordnung, Captain«, sagte er. »Lassen Sie die Besucher eintreten.«

Sarein kam durch die Tür und schien sich so klein wie möglich machen zu wollen, um nicht gesehen zu werden. Die zweite Gestalt folgte ihr und schob die Kapuze zurück. Zum Vorschein kam ein Gesicht, in dem fleischfarbenes Make-up die grüne Haut verbergen sollte.

»Nahton!«, entfuhr es Estarra erfreut, aber der Mann blieb ernst. Sarein atmete tief durch. »Als ich erfuhr, dass Basil den grünen Priester absichtlich von dir fernhält... Da musste ich etwas unternehmen. Nahton hat eine wichtige Nachricht, die du dir anhören solltest. Er will sie nur euch beiden mitteilen, sonst niemandem.« Peters Blick glitt zu McCammon, der Haltung annahm. »Das ist alles, Captain. Bitte schließen Sie die Tür.«

Der Captain sah Sarein skeptisch an - angesichts des jüngsten Mordanschlags widerstrebte es ihm ganz offensichtlich, die beiden Besucher beim königlichen Paar zurückzulassen. Estarra schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln. »Es ist alles in Ordnung, Captain.«

»Damit verstoße ich gegen die Anweisungen des Vorsitzenden«, sagte er, überlegte kurz und hob das Kinn. »Allerdings erscheint es mir klug, den König an wichtigen Angelegenheiten teilhaben zu lassen.« Er ging zusammen mit den drei Wächtern.

Als sie allein waren, senkte Nahton den Kopf. »Der Vorsitzende Wenzeslas wollte mich zwingen, die Nachricht ihm zu geben anstatt Ihnen. Aber ich diene weder dem Vorsitzenden noch der Hanse. Ich diene dem Weltwald.« Peter fühlte, wie seine Aufregung zunahm. Vielleicht ergaben sich neue Möglichkeiten. »Wir könnten zweifellos die Hilfe eines grünen Priesters gebrauchen.«

»Wie lautet die Nachricht, Nahton?«, fragte Estarra. Sarein schien sehr neugierig zu sein und gleichzeitig zu fürchten, was der grüne Priester zu sagen hatte.

»Ich muss Ihnen mitteilen, was die Ildiraner und Hydroger planen. Ich muss Ihnen von den Schlachtschiffen der Verdani erzählen, großen Bäumen, die zur Erde unterwegs sind. Und was die Roamer machen und die Wentals.« Der grüne Priester erstattete Bericht, informierte und warnte das königliche Paar. Peter hielt Estarras Hand und nahm alles in sich auf. Sarein hörte überrascht und kommentarlos zu.

Als Nahton fertig war, sagte der König: »Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten. Sprechen Sie mit den grünen Priestern und setzen Sie sich mit Estarras Eltern in Verbindung, damit sie wissen, dass wir ihre Hilfe brauchen. Wir brauchen Theroc. Und teilen Sie den Roamern mit, dass der Wille des Vorsitzenden nicht der Wille des Königs ist. Die Königin und ich werden gefangen gehalten. Basil Wenzeslas erteilt Anweisungen, die ich verabscheue, in meinem Namen. Ich verurteile seine Aktionen gegen die Roamer. Wir benötigen ihren Einfallsreichtum. Alle Gruppen der Mensch- heit müssen zusammenstehen.«

Nahton nickte. »Auf vielen verwaisten Hanse-Kolonien gibt es grüne Priester, und jene Kolonialwelten unterhalten Beziehungen mit Roamer-Händlern. Wenn ich wieder bei meinem Schössling bin, gebe ich Ihre Botschaften durch den Telkontakt weiter.«

»Danke, Nahton«, sagte Estarra. Sie richtete einen finsteren Blick auf ihre Schwester. »Ich hoffe, du läufst nicht sofort zum Vorsitzenden, um ihm alles zu erzählen.«

Sareins Miene zeigte Unbehagen. »Selbst wenn ich wollte ... Ich weiß nicht, ob er mich überhaupt empfangen würde. Seit meiner Warnung beim Bankett und Pellidors Tod ist er zu mir auf Distanz gegangen.«

»Du scheinst die Dinge für alle ruiniert zu haben«, sagte Peter bitter.

Trotz erschien in Sareins Zügen. »Ich bedauere nicht, was ich getan habe.«

»Wir alle mussten schwere Entscheidungen treffen«, sagte Estarra. »Danke dafür, dass du Nahton hierhergebracht hast. Ich weiß, dass es nicht leicht für dich gewesen ist.«

»Ich kann nur hoffen, dass man uns nicht gesehen hat.« Sarein schien es eilig zu haben, die königlichen Gemächer wieder zu verlassen. Nahton zog sich die Kapuze über den Kopf, und die beiden Besucher gingen an den königlichen Wächtern vorbei, kehrten ins Labyrinth des Flüsterpalastes zurück. Anstatt die Tür zu schließen, trat Captain McCammon ein. Er zögerte, schien mit sich selbst zu ringen und seinen ganzen Mut zusammenzunehmen. »König Peter«, sagte er leise, »fünf meiner Wächter haben große Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht, wie der Vorsitzende beim Krieg vorgeht und wie er Sie behandelt. Sie sind nicht sicher, ob seine Absichten im Interesse der Hanse liegen.«

»Das ist eine Untertreibung«, erwiderte Peter. »Und Sie, Captain McCammon?«

»Ich dachte, mein Standpunkt wäre inzwischen klar. Ich glaube, dass ziemlich viel Blut an den Händen des Vorsitzenden klebt - das Blut von Silbermützen, TVF-Soldaten und vermutlich noch weitaus mehr Menschen. Ich glaube, viele mussten sterben, weil er Ihnen wichtige Informationen vorenthielt. Damit möchte ich nicht erneut mein Gewissen belasten.«

»Wie lauten die Namen der fünf Wächter?«, fragte Estarra.

McCammon zögerte. »Sie haben im Vertrauen zu mir gesprochen. Ich fühle mich verpflichtet, ihre Namen nicht preiszugeben.«

»Ich glaube, Königin Estarra möchte, dass jene Männer für den Wachdienst bei uns eingeteilt werden«, sagte Peter. »Wer weiß, gegen welche Feinde wir uns verteidigen müssen, und ich möchte dabei Leute in der Nähe wissen, auf die ich zählen kann.«

McCammon lächelte erleichtert. »Ich werde alles Notwendige in die Wege leiten, Euer Majestät.«

In der folgenden Nacht fand Peter keine Ruhe, denn er wusste, dass jederzeit jemand mit der Absicht kommen konnte, ihn und Estarra umzubringen. Wie viel Zeit würde sich Basil lassen, bevor er aktiv wurde?

Er erwachte plötzlich, als die Stimme des Kompi OX neben dem Bett erklang. »König Peter, Königin Estarra, ein Besucher möchte mit Ihnen sprechen.«

Peter setzte sich ruckartig auf. Durch die Fenster kam gerade genug Licht vom Palastdistrikt, damit er Einzelheiten im Schlafzimmer erkennen konnte. OX wartete geduldig, als wäre ihm die Störung peinlich.

»Noch ein Besucher?« Furcht blitzte in Estarras dunklen Augen.

Peter bemerkte die geisterhafte Gestalt eines blassen Mannes hinter dem Kompi. Sie trat etwas näher. »Bitte entschuldigen Sie, dass ich auf diese Weise zu Ihnen komme, König Peter. Ich glaube, die Umstände sind ernst genug, um ein solches Risiko zu rechtfertigen. Sie wissen, dass Ihre Tage gezählt sind.«

Der stellvertretende Vorsitzende Cain - er hatte ihnen geholfen, aber gab es in der Regierung der Hanse eine Person, die wirklich Vertrauen verdiente? Peter verließ das Bett. »Basil Wenzeslas behält Sie bestimmt im Auge. Fürchten Sie nicht, gesehen zu werden? Wie sind Sie hereingekommen?« Cain winkte ab. »Es ist mitten in der Nacht, und ich bin durchaus imstande, für eine gewisse Zeit der Überwachung zu entgehen. Außerdem waren Ihre königlichen Wächter hilfreich.« Er zog einen Stuhl heran und setzte sich. »Wenn Sie mit Ihrem Mordanschlag auf den Vorsitzenden einen Erfolg gehabt hätten ... Es wäre die perfekte Lösung für unser kleines Dilemma gewesen. Ich wäre sein Nachfolger geworden, und wir hätten eine Vereinbarung treffen können. Doch das ist jetzt nicht mehr möglich. Basil Wenzeslas wird sich nie wieder eine Blöße geben und sehr bald versuchen, Sie und die Königin zu beseitigen. Vermutlich dauert es nur noch ein oder zwei Tage, bis ein fanatischer Attentaten irgendwo im Königlichen Flügel auf Sie lauert.«

»Warum sind Sie zu uns gekommen?«, fragte Peter. »Um uns aufzufordern zu beten?«

»Wie ich schon sagte: Es besteht nicht mehr die Möglichkeit, den Vorsitzenden aus dem Weg zu räumen. Deshalb müssen Sie beide den Palast verlassen. Am besten auf eine völlig unerwartete Weise.« Cain holte mehrere Speichermodule hervor. »Sie enthalten Informationen über das kleine Kugelschiff der Hydroger. Die Forscher haben wichtige Durchbrüche erzielt, und sie alle sind hier drin dokumentiert. Es sind enorm viele Daten. Für die Forscher gab es keinen Grund, über das theoretische Stadium hinauszugehen, doch bei Ihnen sieht die Sache anders aus. Auf diese Weise könnten Sie die Erde verlassen.«

Peter nahm die Speichermodule entgegen. Ein traditionelles Schiff musste damit rechnen, von der TVF-Flotte in der Nähe der Erde aufgebracht zu werden, aber das kleine Kugelschiff mochte schnell genug sein, ihnen zu entkommen - wenn er es fliegen konnte.

»Und was ist mit Ihnen, Mr. Cain? Möchten Sie die Erde ebenfalls verlassen? Sie wissen, dass Basil aufgehalten werden muss, zum Wohle der Hanse.«

Cain strich sich mit dem Finger über die farblosen Lippen. »Was ich weiß und was ich tun kann, sind zwei verschiedene Dinge. Immer wieder habe ich wichtige Informationen an die Medien durchsickern lassen, aber mehr wage ich nicht. Meine Beteiligung an dieser Angelegenheit muss absolut geheim bleiben. Es war sehr riskant, Ihnen zu helfen. Wenn der Vorsitzende dahinterkommt, bin ich erledigt.« Er wich in die Dunkelheit zurück. »Sie dürfen sich nicht mehr auf mich verlassen. Ich habe Ihnen Daten gegeben, die Sie gut verwenden können. Es liegt bei Ihnen, was Sie damit anfangen. Von jetzt an müssen Sie ohne mich zurechtkommen. Was auch immer Sie entscheiden: Ich hoffe, Sie haben Erfolg.«

»Sind Sie sicher, dass Sie nicht noch mehr tun können?«, fragte Peter, als Cain in der Finsternis verschwand. Er wartete, bekam aber keine Antwort.

»Mr. Cain?« Der stellvertretende Vorsitzende war verschwunden. OX blieb beim königlichen Paar. »Ich bin wie immer gern bereit, Ihnen zu helfen, auch dabei, einen Plan in die Tat umzusetzen - natürlich im Rahmen meiner Programmierung.«

Peter sah den Kompi an, wandte sich dann an Estarra und widmete ihr seine volle Aufmerksamkeit. »Ich muss dich und unser Kind retten, aber wir dürfen bei dieser Sache nicht nur an uns denken. Es gilt, zum Wohle der Menschheit zu handeln.«

Halbdunkel umgab sie, aber er sah den Glanz in Estarras Augen. »Peter, der Vorsitzende Wenzeslas macht einen großen Fehler, wenn er unter Menschheit nur die Mitglieder der Hanse versteht. Er hat bereits die Roamer, Theronen und all die Siedler auf den im Stich gelassenen Kolonien abgeschrieben. Die Menschheit ist viel größer, als Basil Wenzeslas glaubt.« Peters Blick verweilte auf Estarra. »Worauf willst du hinaus?«

Sie nahm seine Hand. »Sarein hat gestern im Gewächshaus einen Vorschlag gemacht. Wenn wir auf der Erde nicht sicher sind, müssen wir einen anderen Ort aufsuchen. Theroc würde uns aufnehmen. Es wäre perfekt. Und ...« Sie senkte die Stimme. »Ich würde gern heimkehren.«

»Wir können der Menschheit nur dann helfen, wenn wir am Leben bleiben«, pflichtete Peter seiner Frau bei. Er hob die Speichermodule, die er von Cain erhalten hatte. »Aber wenn wir unsere Ziele erreichen wollen, genügt es nicht, den Flüsterpalast zu verlassen. Wenn König und Königin verschwinden, lässt sich Basil irgendeine Erklärung einfallen und setzt Daniel auf den Thron.«

»Und dann ist die Menschheit zum Untergang verurteilt.«

Peters Züge verhärteten sich. »Wir dürfen Basil keinen Ausweg offen lassen. Daniel muss zusammen mit uns verschwinden.«