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Als wir versöhnt und zerwuselt in Alexas Wohnung eine Tasse Kaffee tranken, kamen wir sofort auf das Thema Elmar. Alexa sprach Gott sei Dank ganz unverkrampft darüber.
»Ich hoffe, daß sich bald irgendwelche Hinweise auftun, die Elmar entlasten«, seufzte sie. »Elmar steht unter erheblichem psychischen Druck. Er leugnet die Streitereien mit seinem Onkel keineswegs und tut damit alles, um sich selbst zu belasten. Außerdem behauptet er ja selbst, es sei niemand mehr auf dem Hof gewesen. Kein Wunder, daß die Polizei sich da an ihm festbeißt.«
»Aber die eine Zeugenaussage der Nachbarin ist ein bißchen wenig, um Elmar tatsächlich festnehmen zu können«, warf ich ein, »zumal die ja gar nicht Elmar direkt belastet. Oder hat diese Frau Wiegand ausgesagt, daß sie seine Stimme erkannt hat?«
»Nein, das wohl nicht«, murmelte Alexa, »aber trotzdem wäre es gut, wenn die Sache vom Tisch käme. Es ist schließlich schlimm genug, einen Todesfall in der Familie zu haben. Noch schlimmer ist es, wenn man falschen Verdächtigungen ausgesetzt ist. Außerdem ist Elmar wegen der Sache mit Anne noch angespannt genug.«
»Welche Sache mit Anne?«
»Habe ich das noch gar nicht erzählt?« Das liebte ich an Alexa. Ihre bruchstückhaften Darstellungen, die wiederum auf Dingen basierten, die sie vergessen hatte, mir zu erzählen, wobei ihr im selben Augenblick aber noch ein wichtiges Detail einfiel, das zwar nur sehr assoziativ zum Thema paßte, aber trotzdem unbedingt raus mußte.
»Anne ist doch Elmars Freundin. Zumindest ist sie es gewesen, bis es auf dem Hof zum großen Krach kam.«
»Was für ein Krach? Wer gegen wen?«
»Elmars Onkel mischte sich ständig in die Beziehung ein, nörgelte herum und machte den beiden das Leben schwer. Anne sei als Bäuerin gänzlich ungeeignet, behauptete er, und nutzte jede Gelegenheit, um sie bloßzustellen. Anne hatte verständlicherweise irgendwann die Faxen dicke und stellte Elmar vor die Entscheidung: Entweder wir bleiben zusammen, aber woanders, oder ich bin weg. Elmar war natürlich hin- und hergerissen. Schließlich hängt man als Bauer ganz besonders an seinem Beruf. Auf der anderen Seite wollte er Anne nicht verlieren. Das war dann auch der Anlaß, mich anzurufen und mich um Rat zu bitten.«
»Wie hat er sich entschieden?«
»Anne hatte vorgeschlagen, sich drei Wochen nicht zu sehen und in Ruhe über die Sache nachzudenken. Die drei Wochen sind übermorgen rum.«
»Oh nein!«
»So ähnlich habe ich auch reagiert. Ich weiß nicht, was genau Elmar der Polizei über die Angelegenheit gesagt hat. Aber eins ist klar. Nach der Geschichte machen die sich ein ganz dickes Ausrufezeichen in ihr Notizbuch.«
»Diese Anne macht sich dadurch selbst verdächtig«, schmunzelte ich. »Schließlich hatte sie allen Grund, den ungeliebten Onkel loszuwerden. Zumindest dann, wenn sie sich wirklich eine Zukunft mit Elmar erhoffte. Kennst du sie?«
»Nein, leider nicht. Sie ist Krankengymnastin und erst vor ein paar Jahren mit ihrer Mutter hier in die Gegend gezogen, ein Umstand, der Elmars Onkel zum Beispiel gar nicht paßte.«
»Warum hatte Elmars Onkel überhaupt einen solchen Einfluß? Elmar ist ein erwachsener Mann. Klar, dem Onkel gehörte der Hof, aber trotzdem –«
»Auf einem Bauernhof läuft das Zusammenleben anders ab, als wir es gewohnt sind«, erklärte Alexa und streckte sich etwas nach hinten. »Ich kenne das doch von meinen Hofbesuchen. Auf einem Hof, da leben die Generationen nicht getrennt voneinander, da hocken wirklich alle zusammen. Allein schon, weil das Bauernhaus ja räumlich gar nicht zu unterteilen ist. Dann kam bei Elmar hinzu, daß sein Vater schon lange tot ist. Der Onkel hat also frühzeitig die Rolle des Hausherrn eingenommen. Durch den Tod der Tante rückten dann alle noch näher zusammen. Ganz ehrlich gesagt, war Elmar ja auch auf seinen Onkel angewiesen, nicht nur, weil der ihm einmal den Hof überschreiben sollte. Die beiden haben sich die Arbeit geteilt. Es ist praktisch unmöglich, solch einen Hof mit Tierhaltung und Anbau ganz allein zu führen, noch dazu, wenn man sich ein Minimum an Freizeit erhalten will.«
»Anne hatte also in gewisser Weise recht, wenn sie glaubte, daß Elmar auf dem Hof nicht allein zu kriegen war.«
»Natürlich. Diese Generationskonflikte sind beinahe auf jedem Hof zu finden. Wenn überhaupt, dann klappt es nur, wenn sich entweder die Eltern oder die junge Familie auf dem Hof ein neues Haus bauen, um sich darin zurückzuziehen. Doch bei dieser Konstellation: Mutter, Onkel und Elmar war da wohl nicht dran zu denken.«
»Nüchtern analysiert, hatten also Elmar, seine Freundin und auch Elmars Mutter tatsächlich ein Motiv, den Onkel umzubringen?«
Alexa sah mich von der Seite entsetzt an. »Du meinst das nicht ernst, oder? Es ist völlig ausgeschlossen, daß Elmar oder seine Mutter irgend etwas mit der Sache zu tun haben. Anne kenne ich zwar nicht, aber auf sie wird wahrscheinlich dasselbe zutreffen.«
»Warum bist du dir bei Elmar und seiner Mutter so sicher?«
»Warum? Weil ich sie kenne, und weil ich weiß, daß sie so etwas nie tun würden.« Alexa verschränkte trotzig die Arme vor der Brust und signalisierte, daß damit praktisch alles gesagt war.
»Was ist mit anderen Personen? Wer könnte noch einen Brass auf Elmars Onkel haben?«
Alexa brummte zum Zeichen ihrer Unentschlossenheit. »Ich habe den Onkel kaum gekannt. Ich weiß nur, daß er nicht gerade ein sympathischer Typ war. Aber deshalb allein bringt man wohl kaum jemanden um, oder?«
»Vielleicht sollten wir Elmar danach fragen!«, sagte ich und legte den Arm um Alexa. »Unter Umständen können wir ihm damit helfen.«
»Natürlich sollten wir das!«, rief Alexa begeistert und legte ihre Hand auf meinen rechten Oberschenkel. »Wir sollten jetzt gleich losfahren!«
»Gleich ist nicht jetzt«, murmelte ich und küßte Alexa, um ihren Tatendurst noch eine halbe Stunde auf etwas anderes zu konzentrieren. Aus dem Unterricht weiß ich, daß meine Argumente zur Motivation der Schüler nicht immer auf fruchtbaren Boden fallen. Bei Alexa hatte ich in diesem Fall mehr Glück.