30
Den Weg zur Straße hinunter nahm ich im Galopp. Ich hatte keine Lust, jetzt noch erwischt zu werden. Dort angekommen stockte mir plötzlich der Atem. Träumte ich oder wurde da gerade mein Wagen in die Höhe gehoben? Das gab’s doch gar nicht. Irgendein Idiot auf einem Trecker schien dort eine Nummer für einen Wetten-daß-Auftritt einzustudieren. Anders war es nicht zu erklären, daß dieser Typ krampfhaft versuchte, mit zwei Gabeln, die vorn am Trecker angebracht waren, mein Auto anzuheben. Ich stürmte auf die andere Straßenseite und schrie schon von Weitem. Der Fahrer war jedoch zu sehr in seinem Element und bemerkte mich erst, als ich gestikulierend vor ihm stand. Er nickte mir gelassen zu, ließ mein Auto auf den Boden und stellte dann den Motor ab.
»Was machen Sie mit meinem Auto?«, kreischte ich hysterisch.
»Das sieht man doch, ich stelle es an die Seite.« Der Typ meinte das ernst. Für diesen Kerl in grüner Hose und kariertem Hemd mit seiner abgeschabten Schirmmütze auf dem Kopf gab es nichts Selbstverständlicheres als mal eben mit dem Trecker ein Auto an die Seite zu stellen.
»Sie tun was?« Ich konnte es immer noch nicht glauben.
»Na, ich stell das Auto an die Seite, nachdem ein Döspaddel es hier mitten in den Weg gestellt hat.«
Döspaddel? Ich? Ich hätte platzen können vor Wut. Zornig warf ich einen Blick auf meinen Wagen. Gut, er war nicht optimal geparkt, aber woher sollte ich wissen, daß dieser dämliche Landwirtschaftsweg tatsächlich genutzt wurde?
»Ich war doch nur ein paar Minuten weg«, verteidigte ich mich. »Müssen Sie deshalb mein Auto zerstören?«
»Zerstörn?« Der Bauer vor mir schien nicht recht zu verstehen. »Ich wollte es doch nur eben an die Seite stellen.« Es war zwecklos mit ihm. Mit den schlimmsten Erwartungen ging ich zu meinem Auto hin. Wenn ich Pech hatte, war die Bodenplatte gerissen, die Ölwanne geplatzt oder sonst was los. Auf den ersten Blick war nicht viel zu sehen. Bei den vielen Kratzern im vorderen Bereich war nicht zu entscheiden, welche gerade erst dazugekommen waren.
»Wahrscheinlich ist unten drunter alles im Eimer«, murmelte ich wütend.
»Unsinn«, meinte der Bauer, dessen faltig gegerbtes Gesicht irgendwie originell war. »Ich mach das schließlich nicht zum ersten Mal mit meinem Frontlader.«
Das glaubte ich ihm aufs Wort.
»Selbst schuld, wenn man die Karre hier in die Quere stellt«, grummelte er jetzt »Hätte ich die Polizei holen sollen oder einen Abschleppdienst? Das hätt ja ewig gedauert und ein Vermögen gekostet. Und jetzt noch rummaulen.«
Ich wurde versöhnlicher. »Wahrscheinlich ist ja alles gut gegangen, aber ich war wirklich nur ganz kurz auf dem Hof dort drüben.«
»Und warum parkt ihr dann hier?« Das liebte ich. Um das »Sie« zu umgehen, wichen viele Sauerländer auf das »Ihr« aus, auch wenn sie es nur mit einer einzigen Person zu tun hatten.
»Ich wollte mich erstmal ein wenig umschauen«, sagte ich zögernd.
»Ist ja auch ein komischer Kauz, der Lutz, aber im Grunde ein echter Kerl.«
»Lutz ist der, dem der Hof gehört?«
»So ist es, ein Spinner in gewisser Weise, aber ein echter Kerl.«
Irgendwie fand ich es witzig, daß mein Gegenüber den anderen als Spinner bezeichnete. Es hätte für ihn selbst keine zutreffendere Bezeichnung geben können.
»Na, ein Künstler eben.« Der Bauer sagte das so, als wäre es schon ein Witz an sich, wenn jemand ein Künstler war. »Der macht -äh – Skup – turn«, mein Traktorfahrer war sich bei dem Wort nicht ganz sicher. »Figuren macht der, aus Holz.«
»Und davon kann er leben?«
»Ach«, der Bauer blinzelte vergnügt mit den Augen. »Leben muß der davon nicht. Geld hat der wie andere Heu in der Scheune. Der hat sich doch den ganzen Hof machen lassen. Ganz schick ist das da jetzt. Guck mal hier, zu der Seite ist im Giebel alles aus Glas.«
Tatsächlich war der Giebel, den man von unserer Warte aus sehen konnte, im modernen Stil in Glas gehalten. Er ging zu den Feldern raus, dem Hof abgewandt.
»Von da kannze gucken«, sagte der Bauer. »Meilenweit.«
»Und wo hat der das Geld dazu her?«, wollte ich wissen.
»Der Demmert? Arzt ist der gewesen, irgendwo in Norddeutschland. Geschnippelt hat er, hat er mir erzählt, von morgens bis abends operiert. Da hat er jetzt keine Lust mehr zu. Von jetzt an nimmt er das Messer nur noch für seine Figuren.«
»Und jetzt lebt er ganz allein da?«, fragte ich. »Allein auf dem großen Hof?«
»Nicht allein«, erwiderte der Bauer. »Mit seinem Hund. Mit dem Hennes.« Ich wußte nicht, ob der Bauer das ernst meinte.
»Also, wenn ich das Auto nicht wegsetzen soll, dann müßtet ihr da jetzt wegfahren.« Der Bauer deutete auf mein Gefährt. »Ich muß nämlich noch ein bißchen was schaffen.«
»Klar doch«, sagte ich und lief zu meinem Auto. Bevor ich einstieg, winkte ich dem Treckerfahrer noch einmal zu. »Und schönen Dank für Ihre Hilfe!«
»Keine Ursache«, rief der Bauer zurück. »Mach ich doch immer gerne für euch!«