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Mit einem flauen Gefühl im Magen las Alexa den Inhalt der Gebrauchsanweisung noch einmal durch. Ein Streifen nicht schwanger, zwei Streifen schwanger. Es war total simpel, begreifbar für jedermann. Sie brauchte jetzt nur noch abzuwarten. Wie lange noch? Ach ja, fünf Minuten, jetzt vielleicht noch viereinhalb. Kein Problem, sie würde jetzt ganz ruhig hier sitzen und gleich herübergehen ins Badezimmer, wo dann auf dem Teststreifen ein Streifen zu sehen wäre. Ein Streifen war nochmal was? Alexa guckte erneut in die Gebrauchsanweisung. Ein Streifen nicht schwanger, zwei Streifen schwanger. Im Badezimmer würde ein Streifen zu sehen sein. Ganz bestimmt. Das flaue Gefühl im Magen machte Alexa zu schaffen. Sie mußte an etwas anderes denken. Immerhin hatte sie noch vier Minuten vor sich. Alexa schaute auf die Uhr. Genau, noch vier Minuten. Ob sie sich weiter in die Sache mit Elmar hineinknien sollte? Einerseits schien die Angelegenheit dringender denn je. Genauer gesagt wurde Elmar regelrecht bedroht Womöglich würde dieser Bauernhasser noch einmal zuschlagen und dabei Elmar ins Visier nehmen. Vielleicht war es wirklich ein Radikaler, der versuchte, auf diesem Wege auf seine Interessen aufmerksam zu machen. Aber ganz im Ernst Hätte ein solcher Zeitgenosse seine Botschaft nicht viel deutlicher hinterlassen müssen – in Form eines Drohbriefes oder so? Wie sollte die Öffentlichkeit sein Ansinnen erkennen, wenn er es nicht deutlich formulierte? Das Wort Bauernschweine an eine Wand zu kritzeln war da sicherlich zu wenig. Außerdem war Elmar eigentlich nicht das richtige Opfer für einen solchen Angriff. Immerhin beschäftigte der sich mit ökologischer Landwirtschaft. Da gab es viel verstocktere Landwirte als Elmar Schulte-Vielhaber. Wie auch immer, Elmar wurde bedroht und da mußte Alexa sich weiter einsetzen. Wenn nicht – Alexa schluckte und sah wieder auf die Uhr. Noch drei Minuten. Noch nicht mal, eigentlich waren es nur zweieinhalb. Was wäre eigentlich, wenn … Auf keinen Fall würde sie Vincent heiraten. Sie wollte ihn nicht unter Druck setzen. Sie würde schon alleine klarkommen. Das wäre ja gelacht. Es gab schließlich Tausende alleinerziehender Mütter, und die kamen auch irgendwie zurecht. Warum also nicht sie, Alexa?
Was war eigentlich mit Frank? Kam der nicht in Frage als Täter für beide Vorfalle? Vielleicht wollte Frank mit der Anfeindung Bauernschweine Elmar endgültig den Spaß an der Landwirtschaft verderben. Vielleicht war es nur der Auftakt einer Reihe von Drohungen, die Elmar glauben machen sollten, er habe in der Bevölkerung keinen Rückhalt mehr und werde von allen als Mörder gehandelt? Glaubte er, damit an den Bauernhof zu kommen? Irgendwie auch unrealistisch. Frank konnte nicht ernsthaft glauben, daß Elmar den Hof einfach abgab, auch wenn er ihn selbst nicht bewirtschaften wollte. Da mußte schon Schlimmeres kommen, um Frank zum Erben zu machen. Als verurteilter Mörder konnte Elmar den Hof nicht erben. Man konnte nach dem Gesetz nicht jemanden beerben, der durch die eigene Hand getötet worden war. Doch ob Frank auf diesem Wege Elmar als Täter deklarieren wollte – fragwürdig. Wo war Frank eigentlich am Nachmittag gewesen? Laut eigener Aussage – er war ja zurückgekommen, als die Polizei noch da war – hatte er sich in einer Spielhalle in Sundern herumgetrieben. Ob die Polizei das nachprüfte? Sie mußte sich selbst darum kümmern. Vielleicht noch heute, falls nicht – Alexa fühlte einen Stich in der Magengegend und sah auf die Uhr. War das möglich? Sollten die fünf Minuten wirklich schon rumsein? Alexa beschloß, lieber noch eine Minute zu warten, für den Fall, daß das Ergebnis noch nicht eindeutig feststand. Am besten, sie würde Vincent gar nichts davon sagen, wenn der Test wirklich positiv sein sollte. Sie würde ihm einfach mitteilen, sie könnten sich eine Weile nicht sehen, und dann würde sie ihm irgendwann ausrichten, sie erwarte ein Kind, aber er habe eigentlich gar nichts damit zu tun. Er brauchte da keinerlei Verpflichtungen zu befürchten. Sie würde überhaupt keine Forderungen stellen. Stattdessen wolle sie in Kürze wegziehen, was aber gar nichts mit seiner Person zu tun habe. Aber sie war nicht schwanger, ganz bestimmt nicht. Diese morgendliche Übelkeit war kein Hinweis auf eine Schwangerschaft, sondern darauf, daß sie wahrscheinlich schon morgen ihre Periode bekommen würde. Oder darauf, daß sie vor lauter Panik bereits an Übelkeit litt. Sie war nicht schwanger, das fühlte sie. Und jetzt würde sie ins Badezimmer gehen, sich den einen Streifen ansehen und laut lachen. Auf dem Weg zum Bad wurde das flaue Gefühl im Magen stärker.
Zehn Sekunden später stürzte sie zurück ins Wohnzimmer und griff nach der Gebrauchsanweisung. Sie mußte sich verlesen haben, der Test mußte falsch sein, ein Billigprodukt, wahrscheinlich hergestellt in Taiwan. Ihre Augen fanden auf die Schnelle den Abschnitt nicht, den sie suchte. Da. Ein Streifen nicht schwanger, zwei Streifen schwanger, zwei Streifen schwanger, zwei Streifen schwanger.