22

Wir fanden Elmar erst nach einigem Suchen hinter der Scheune. Er war noch immer ziemlich fassungslos und starrte vor sich hin. Wahrscheinlich hatte er unser Auto gar nicht kommen hören.

»Warum nur? Wer macht so was?« fragte er, als wir uns näherten.

Erst jetzt sahen wir, was los war. Jemand hatte mit roter Farbe an die Rückwand der Scheune geschmiert. BAUERN-SCHWEINE stand dort in riesengroßen Buchstaben. Ein offener Farbtopf stand auch noch da. Alexa und ich waren sprachlos.

»Das gibt’s doch gar nicht!« brachte Alexa schließlich hervor.

»Da spinnt jemand«, sagte ich stockend. »Irgendein RadikalÖko oder so.«

»Genau!« Unverkennbar leuchteten Alexas Augen auf. »Das ist es. Irgendein Wahnsinniger hat etwas gegen Bauern, vielleicht ein Umweltschützer, der in den Bauern die großen Grundwasserverseucher sieht, oder ein fanatischer Tierschützer. Auf jeden Fall ist der Täter ein Bauernhasser, der sich dem Kampf gegen die Landwirte verschrieben hat.«

»Du klingst so begeistert«, warf ich nüchtern ein.

»In gewisser Weise bin ich das auch. Versteht ihr denn nicht? Damit ist Elmar aus dem Schneider.«

»Sehr beruhigend, vom Täter zum Opfer zu werden«, murmelte der Jungbauer. »Wahrscheinlich bin ich aus beruflichen Gründen als nächster dran.«

Ich konnte mir ein sarkastisches Grinsen nicht verkneifen. »Jetzt weiß ich endlich, was ein Bauernopfer ist.«

»Auf jeden Fall müssen wir die Polizei benachrichtigen! Die Sache hat unter Umständen mit dem Mord zu tun!« Alexa zog prompt ihr Handy aus der Tasche. »In dem Fall wäre dann Christoph Steinschulte zuständig.«

Christoph Steinschulte war schon eine Stunde später auf dem Hof, obwohl es Sonntag war. Elmar hatte sich bei einer Tasse Kaffee in der Küche wieder so weit beruhigt, daß er berichten konnte, wann er den Schriftzug entdeckt hatte. Er war nachmittags in der Scheune gewesen, um einen Besen zu holen. Dort hatte er bereits gesehen, daß einige Unordnung herrschte. Irgend jemand mußte sich in der Scheune ausgetobt haben. Dann hatte er plötzlich frische Farbe gerochen. Da er länger nicht mit Farbe gearbeitet hatte, war er der Sache sofort auf den Grund gegangen. Auf der Rückseite der Scheune war er dann fündig geworden.

»Die Farbe war noch ganz frisch«, sagte Elmar ziemlich erregt. »Das heißt, der Täter muß unmittelbar vorher da gewesen sein. Um ein Haar hätte ich ihn erwischt.«

»Wie spät war es denn, als Sie die Farbe entdeckt haben?«

»Wie spät war es?« Elmar zog die Stirn kraus. »Wann habe ich dich angerufen?« Er wandte sich an Alexa.

»Halb vier«, antwortete die. »Wir saßen kurz nach halb vier im Auto.«

»Also habe ich sie kurz vor halb vier entdeckt.«

»Nach dieser Schmiererei ist doch offensichtlich, daß irgendein Spinner es auf Bauern im allgemeinen abgesehen hat«, redete Alexa jetzt auf Christoph Steinschulte ein. »Jetzt müßte doch auch Ihnen klar sein, daß Elmar mit der Sache nichts zu tun hat, oder?«

»Die Rückschlüsse überlassen Sie bitte mir«, sagte Christoph Steinschulte überraschend bestimmt. »Es ist überhaupt nicht klar, daß der Schreiber gleichzeitig der Mörder von Franz Schulte-Vielhaber ist. Vielmehr könnte es auch jemand gewesen sein, der Elmar für den Mörder hält und ihn deshalb anschwärzen will. Genauso gut könnte Ihr Freund Elmar selbst die Schrift angebracht haben, um den Verdacht von sich zu lenken. Dafür spricht zum Beispiel, daß es sich ganz zufällig um seine Farbe handelt.«

»Die für jeden zugänglich in der Scheune auf einem Brett stand«, schimpfte Elmar aufgebracht.

»Das gibt’s doch gar nicht! Warum sollte er denn, das geht doch gar nicht!« Alexa verlor mehr und mehr ihre Selbstbeherrschung. Ich versuchte, ihr ein paar beruhigende Blicke zuzuwerfen, aber sie reagierte gar nicht.

»Es ist doch fast undenkbar, daß ein Außenstehender es gewagt hätte, in aller Seelenruhe in der Scheune nach einem Topf Farbe zu suchen, um dann an der Hinterwand herumzuhantieren, wenn er weiß, daß sich auf dem Hof Leute aufhalten«, sagte Steinschulte, der sichtlich bemüht war, Ruhe zu bewahren.

»Es ist genauso undenkbar, daß Elmar mit seiner eigenen Farbe an seiner Scheunenwand herumschmiert, wenn er damit rechnen muß, dabei von Spaziergängern gesehen zu werden.«

»Womit jemand rechnet, ist eine Frage der Intelligenz.«

Der Satz hallte in der Küche nach, als sei er mit Mikrofon gesprochen worden. Ich sah Alexas Gesichtsausdruck an, daß sie es nicht mehr für nötig hielt, noch ein Wort mit Christoph Steinschulte zu sprechen.

Selbst im Auto hatte sich Alexa noch nicht annähernd beruhigt.

»So ein Mistkerl!«, schimpfte sie etwa zum zehnten Mal, als wir auf halber Strecke waren. »Ein arrogantes Ekel ist er, warum habe ich das nicht viel früher erkannt?«

»Er steht unter Druck«, versuchte ich Steinschultes Verhalten zu rechtfertigen. »Wahrscheinlich ist das einer seiner ersten Fälle, die er ohne seinen Vorgesetzten bearbeitet. Und dieser Fall ist nicht einfach.«

»Ist das ein Grund, sich dermaßen arrogant aufzuführen? Ich hätte ihm das Fehlen seiner eigenen Intelligenz vorhalten sollen«, schimpfte Alexa.

»Er wollte Elmar provozieren. Das ist ein gängiges Verhörmuster«, erklärte ich, obwohl ich mich da auch nicht besonders gut auskannte und mein gesamtes Fachwissen aus dem sonntäglichen Tatort bezog. »Er hat es nicht wirklich so gemeint, aber er wollte uns zum Überkochen bringen.«

»Das ist ihm hervorragend gelungen. Aber wenn er meint, daß Elmar deshalb etwas gesteht, was er nicht begangen hat, so ist Steinschultes Intelligenz tatsächlich nur mit einem hochsensiblen Mikrogerät zu messen.«

»Schließlich hast du Steinschulte auch nicht gerade auf die herzliche Tour daraufhin gewiesen, was er ab jetzt zu denken hat.«

»Es ist doch völlig offensichtlich, daß Elmar jetzt aus dem Rennen ist Darauf wollte ich nur hinweisen.«

»Überaus freundlich, wird er sich gedacht haben.«

»Was kann ich dafür, daß Männer so empfindlich sind.« Mir war klar, wenn wir jetzt nicht das Thema wechselten, war ich am Ende derjenige, der Alexas Ärger abbekam.

»Wir sollten uns besser Gedanken machen, was diese Schmiererei für Konsequenzen hat. Wer scheidet dadurch als Verdächtiger aus? Wo können wir weiterforschen?«

»Wir haben doch gar keine Verdächtigen«, brummte Alexa, »außer einer hochbetagten Dame, die im Altenheim wohnt und deren schlimmstes Vergehen es wahrscheinlich ist, daß sie ihre Schlafmittel nicht nimmt.«

»Was ist mit dem Sohn?«

»Der hat heute Nachmittag seine Mutter besucht und ist damit aus dem Rennen. Ich glaube nicht, daß er zwischendurch noch ein bißchen an Scheunenwänden herumgeschmiert hat.«

»Und du weißt sicher, daß er bei seiner Mutter war?«

Alexa stöhnte und griff nach ihrem Handy. Zunächst rief sie bei der Auskunft an und ließ sich die Nummer vom Altenheim St Marien in Lüdinghausen geben. Die Auskunft verband sie automatisch mit der erfragten Nummer. Es dauerte ewig, bis jemand von der Pforte Maria Koslowski ans Telefon geholt hatte. In der Zwischenzeit rechnete Alexa mir vor, wie hoch in diesem Monat ihre Handyrechnung werden würde.

»Ach, hallo Frau Koslowski«, hörte ich sie dann plötzlich sagen. »Hier ist Alexa Schnittler, ich wollte mich nur noch einmal für die abendliche Ruhestörung entschuldigen. Nein, nein, ich habe keinen Ärger bekommen. Ich konnte der Pflegerin klarmachen, daß ich einzig und allein mit Ihnen sprechen wollte. Genau, ja. Und wie war Ihr Sonntag? Ganz allein? Ja, ist denn Ihr Sohn nicht zu Besuch gekommen? Ja, aber er wollte Ihnen doch eine freudige Nachricht mitteilen. Nächsten Sonntag? Nun, das ist ja auch nicht mehr lange. Und der Josef hat gar nicht verraten, worum es geht? Das ist ja richtig spannend. Frau Koslowski, wohnt Ihr Sohn eigentlich am Ort? Ach, in Münster. Nein, so weit ist das wirklich nicht. Gut, dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend. Nein, keine Angst, ich werde heute Abend nicht nochmal vorbeikommen. Schlafen Sie gut. Und Wiederhören!«

»Er ist nicht gekommen«, platzte Alexa heraus. »Er ist tatsächlich nicht erschienen. Angeblich ist ihm etwas dazwischengekommen, wovon er aber nichts verraten wollte.«

Das war wirklich interessant, wenngleich es mir immer noch schwerfiel, an einen verspäteten Rachefeldzug zu denken.

»Gut, wir müssen ihn im Hinterkopf behalten«, sagte ich nachdenklich. »Aber wer kommt außerdem in Frage? Wer ist dir bei deinen Recherchen irgendwie aufgefallen?«

Alexa ging halblaut nochmal alle Personen durch, mit denen sie gesprochen hatte. »Gertrud Wiegand«, sagte sie, »die Ohrenzeugin. Warum sollte sie etwas erfinden, mit dem sie die Theorie vom Mord überhaupt erst angefacht hat? Nein, das ist unlogisch. Gertrud Wiegand ist eine wichtige Zeugin, mehr nicht. Dann ist da dieser Gustav Reineke, ebenfalls uninteressant. Er kommt gar nicht aus dem Sauerland, sondern ist erst vor kurzem aus dem Ruhrgebiet hierhergezogen. Ein netter Kerl, aber noch nicht einmal ein brauchbarer Zeuge. Genauso steht es mit Hannes Schröder, Elmars Freund, der auch am Todestag auf dem Hof war. Beide haben nichts Wichtiges bemerkt. Na ja, und dann ist da noch Ursel Sauer, die alte Bekannte meiner Mutter – eine richtige Dorfkanone, die aber verschweigt, daß sie sich mal für Franz interessiert hat.«

»Natürlich kann es ihr im nachhinein einfach peinlich sein«, warf ich ein, »aber es kann auch ganz andere Gründe haben.«

»Ebenfalls Rache, nur leider mit fünfzig Jahren Verzögerung«, stöhnte Alexa. »Das ist alles nicht besonders befriedigend, vor allem weil uns unsere schönsten Verdächtigen ausfallen, da es sich um Frauen handelt. Nach dieser Schmiererei an Elmars Scheune müssen wir uns wohl in eine ganz andere Richtung bewegen – und zwar in Richtung Bauernhasser.«

Sie lehnte ihren Kopf zurück. »Im übrigen ist mir schlecht.«

»Du steigerst dich zu sehr da rein«, sagte ich sanft. »Vielleicht solltest du doch besser der Polizei die Untersuchungen überlassen. Steinschulte hat mit der Schmiererei ja jetzt einen neuen Anhaltspunkt«

»Erinnere mich nicht an den«, grunzte Alexa und schloß erschöpft die Augen. Sie sah tatsächlich nicht gut aus, blaß, müde, irgendwie anders als sonst.

Plötzlich fiel mir die Sache mit Köln wieder ein. Alexa würde mich umbringen, wenn sie irgendwann erführe, wie lange ich von dem Angebot gewußt hatte, ohne ihr davon zu berichten. Trotzdem war ich mir sicher, daß jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür war. Ich fragte mich, ob der richtige Zeitpunkt überhaupt jemals kommen würde.