7.

Am nächsten Vormittag traf ein Ferienpaar ein, das das Häuschen am andern Ende der Reihe bezog. Marholt schaute verwundert in seinem Kalender nach. Tatsächlich, in Deutschland hatten in zwei Bundesländern die Sommerferien begonnen. Das Paar kannte er nicht. Er lernte zuerst die Frau kennen; Vanessa Niegel traf er am Abgang zum Strand und sie erkundigte sich, wo man hier etwas zum Mittag einkaufen könne. Er gab höflich Auskunft, dachte aber nicht daran, sie mitzunehmen und sich mit ihr im Ort sehen zu lassen – sie gefiel ihm auf den ersten Blick nicht: eine aufgedonnerte, ordinäre, billige Schlampe. Der Freund, der nachkam und dem Marholt nicht ausweichen konnte, war keinen Deut besser oder angenehmer – Kurt Leuscha nannte er sich und sah aus wie die Karikatur eines böswilligen Bordell-Ökonomen.

Auch im Hotel waren die ersten Feriengäste eingetroffen. Er holte Karin Demus in der Lobby ab und wunderte sich über den Andrang. Miguel riet ihnen zu Tortilla und schob ein Angebot nach: kalter gekochter Spargel mit einer Vinagretta à la Maricarmen. Marholt drehte sich nachher zu der jungen Frau um: "Ein Gedicht, Maricarmen."

"Gracias, Don Pedro, es muy amable."


Axel Kunz kam gegen elf – hier eine nicht ungewöhnliche Besuchszeit, klopfte diskret und benahm sich ausgesprochen höflich und bescheiden, stellte sich vor und bat, Marholt ein paar Fragen stellen zu dürfen.

"Würden Sie mir auch verraten, warum Sie das tun möchten?"

"Natürlich." Er arbeitete in Düsseldorf als Privatdetektiv – was Marholt nicht beeindruckte, Privatdetektiv durfte sich jeder nennen, wie auch Autor oder Journalist. Ein Achim van Borgh hatte ihn engagiert, ein im Rheinland nicht unbekannter Juwelier und Schmuckhändler, bei dem vor dreizehn Jahren eingebrochen worden war, die Täter erbeuteten Schmuck, Gold, Platin, Uhren und ungeschliffene Edelsteine im Wert von mehr als drei Millionen Euro.

"Das nennt man einen Schluck aus der Pulle", merkte Marholt gemütlich an, doch Kunz schüttelte den Kopf. "Nein, Herr Marholt, nicht wirklich. Es waren mehrere Täter, und die hatten nicht mitbekommen, dass an dem Montag ausnahmsweise das Au-Pair-Mädchen in seinem Zimmer geblieben war, weil es sich eine fürchterliche Erkältung eingefangen hatte. Das Mädchen hörte wohl ein Geräusch, kam aus seinem Zimmer und einer der Täter geriet in Panik und schoss. Er traf nur zu gut, das Mädchen ist seitdem querschnittsgelähmt. Schütze und Tresorknacker flohen mit der Beute, die bis heute verschwunden ist. Den Tresor hat höchstwahrscheinlich ein Holger Udokeit aufgeschweißt, ein vorbestrafter Schränker. Als ihm die Kripo auf der Spur war und ihn festnehmen wollte, hat er auf einen Polizisten geschossen, dessen Kollege hat zurückgeschossen und Udokeit so schwer getroffen, dass der wenige Tage später in der Klinik gestorben ist. Leider hat er in der Zeit, in der auch noch reden konntet, nicht gesagt, wo die Beute versteckt ist und wer den Schuss auf das Au-Pair-Mädchen abgegeben hat. Auch die Namen der wenigstens zwei Komplicen sind unbekannt."

"Okay. Warum erzählen Sie mir das?"

"Warum nicht? Ich suche im Auftrag eines Mannes eine Deborah MacGregor."

"Der Name sagt mir nichts."

"Erstaunlich."

"Wie meinen Sie das?"

"Sie kennen doch Oriana MacGregor."

"Nein."

"Doch, das tun Sie, Herr Marholt. Oriana nennt sich hier allerdings Ohana."

"Nein."

"Doch, ja. Sie hat's mir gestanden. Und es war ihr gar nicht recht, dass ich sie hier aufgetrieben habe."

"Versteckt sie sich hier?"

"Ich fürchte, ja."

"Würden Sie mir auch sagen, warum?"

"Das weiß ich nicht, ich habe nur eine Vermutung. Debby – Deborah – ist wohl ihre Schwester. Aber ehrlich gesagt, ich möchte Ihnen nicht, wenigstens im Augenblick noch nicht verraten, was ich so vermute." Marholt sah ihn stumm von der Seite an: In Wahrheit befürchtete Kunz, dass Marholt Ohana verriet, was er vom blonden Axel erfahren hatte. Zweifellos trieb der Mann sein eigenes Spiel und wollte nur sicherstellen, dass Marholt ihm nicht dazwischenfunkte.

"Hat sie Ihnen mal erzählt, woher sie kommt, wer ihre Eltern waren und wie es sie nach Laredo verschlagen hat?"

Marholt wiederholte, was Ohana ihm erzählt hatte. Irischer Vater, melancholisch oder depressiv, trifft eine Italienerin im Libanon. Heftige Affäre mit Folgen, nach einiger Zeit und zwei Kindern trennt man sich. Ob sie Marholt damit einen Bären aufgebunden hatte oder nicht, konnte er ohnehin nicht beurteilen, und der Blonde grinste verständnisvoll in sich hinein, als amüsiere er sich königlich. Nach Wanderung durch mehrere Länder Europas landete Ohana hier in Laredo und beschloss, hier zu bleiben. Zuerst hatte sie Arbeit im Hotel, wurde dann gefeuert, kannte jemanden, der ihr dann irgendwie das Geschäft finanzierte, mit dem sie sich gerade so über Wasser hielt.

Um Mitternacht verabschiedete sich Axel von Kunz und Marholt – der wälzte sich noch lange schlaflos hin und her. Eine verrückte Geschichte. Und vor allem völlig unlogisch. Wenn Ohana ihrem Axel gestehen musste, dass sie hier unter falschem – oder wie sie es formulieren würde, unter geringfügig korrigiertem – Namen lebte, warum bedankte sie sich dann noch bei Marholt dafür, dass der sich bereit fand, mit "ihrem Axel" zu reden?



Niemand kommt so leicht davon: Thriller
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