1.
Die beiden Männer warteten schon zwei Stunden auf dem einsamen Waldparkplatz. Sie mochten beide zweite Hälfte zwanzig sein, der eine hatte noch volle schwarze, lockige Haare, der andere war schon fast kahl, bis auf einen schütteren Haarkranz undefinierbarer Farbe. Die Männer unterhielten sich in einer unbekannten Sprache. So lange sie warteten, waren nur vier Autos an der Einmündung des Waldparkplatzes vorbeigefahren. Jetzt dämmerte es stark, es hatte zu nieseln begonnen und der Schwarzhaarige rieb sich die klammen Hände: "Hoffentlich kommt er bald, es wird verdammt kalt."
"Er ist zuverlässig, aber nie pünktlich", bemerkte der Kahle gelassen.
"Kennst du ihn schon länger?"
"Seit er als Kurier fährt." Und Kurier wurde man erst, wenn man der Organisation jahrelang gedient und seine "Treue und Verschwiegenheit" bewiesen hatte. Und selbst dann reichte ein einziger Fehler, um in den Verdacht zu geraten, ein Verräter zu sein, mit denen ziemlich schnell kurzer Prozess gemacht wurde. Anders als die Mafia legte die Organisation Wert darauf, nicht bekannt zu werden. Seit er zwei Mordanschläge überlebet hatte, sann der Kahle auf Rache und hatte mit viel Mühe den Schwarzhaarigen aufgetrieben, der auch ein Interesse hatte, der Organisation was heimzuzahlen.
Eine halbe Stunde später hörten sie ein Motorgeräusch, ein unauffälliger Wagen mit einem belgischen Kennzeichen bog auf den Parkplatz ein. Die beiden Männer stiegen aus und stellten sich so hin, dass der Kurier sie im Scheinwerferlicht gut erkennen konnte. Der Schwarzhaarige holte ein Aktenköfferchen von der Hinterbank, klappte es auf und legte es auf die Motorhaube.
Der Kurier hatte einen Rucksack dabei, aus dem er ein Stoffbeutelchen herausholte, das er neben das Aktenköfferchen stellte. Dann zog er demonstrativ vorsichtig und offen einen Schein von einem der Geldbündel ab, prüfte ihn auf Marken und Zeichen, leuchtete den Hunderter mit einer Schwarzlichtlampe ab und trat dann zur Seite, nickte den beiden zu. Der Schwarzhaarige nahm sich den Beutel, holte einen schmutzig aussehenden kleinen Kiesel heraus und rieb den Kiesel über einen mit Metall eingefassten Glasstreifen, den er in der Hosentasche trug.
"Alles in Ordnung?", fragte der Kurier und drehte sich weg. Der Schwarzhaarige zog blitzschnell eine Waffe mit Schalldämpfer hinter seinem Rück hervor und schoss zweimal auf den Kurier. Schon der erste Schuss warf den Mann nach rückwärts auf die Erde, und bevor der Kahle einen Schreckenslaut herausgebracht hatte, wurde auch er von einer tödlichen Kugel getroffen. Der Schwarzhaarige legte den Rucksack des Kuriers auf die Rückbank und fuhr los. Den anderen Wagen und die beiden Toten rührte er nicht an. Bis Düsseldorf brauchte er knapp zwei Stunden.
In dem kleinen Hotel am S-Bahnhof Wehrhahn kannte man ihn. Und erst als er die Tür hinter sich verschlossen und die dichten Vorhänge vorgezogen hatte, öffnete er den Rucksack und schaute nach, was der Kurier noch dabei gehabt hatte. Der Inhalt des Rucksacks passte noch oben auf die Geldbündel im Aktenköfferchen und das brachte er am nächsten Morgen zuallererst in sein Bankschließfach.
Die beiden Toten und das Auto des Kuriers wurden erst drei Tage später gefunden, als der tagelange Nieselregen aufhörte und sich wieder Spaziergänger in den Wald nahe der deutsch-belgischen Grenze trauten. Beide Männer waren aus einer Waffe erschossen worden, die Gerichtsmedizin konnte die Kugeln sicherstellen und die Waffe wurde identifiziert: Eine Beretta 92,9 x 19 mm, für ein anderes Verbrechen offenbar noch nicht benutzt, nirgendwo waren Vergleichsprojektile archiviert. Einer der Toten hatte in Brüssel unter falschen Namen einen Wagen gemietet, der andere Mann blieb namenlos, konnte weder anhand seiner Fingerabdrücke noch durch sein Gebiss oder seine DNA identifiziert werden. Die Organisation vermisste ihren zuverlässigen, aber unpünktlichen Kurier erst nach einer Woche und gab sich Mühe herauszufinden, was ihr Mann auf seiner letzten Fahrt an wen verteilen sollte. Den Verlust konnte die Organisation verschmerzen. Aber sie wollte den Täter fassen und bestrafen, um allen zu zeigen, wer sich mit ihr anlegte, musste mit dem Tod rechnen. Und weil es ums Prinzip ging, ließ sie jahrelang nicht locker, dachte aber nicht daran, zum Schluss ihre Erkenntnisse der Polizei mitzuteilen.