10.

Am nächsten Vormittag erlebte er eine Überraschung. Sabine und er wollten zum Strand hinunter und zum Einkaufen laufen. Karin Demus lag zwar auf dem gewohnten Platz, doch diesmal war sie nicht alleine, um sie herum saßen, lagen und hockten fünf Personen, die Marholt alle kannte. Axel Kunz, Vanessa Niegel und Kurt Leuscha, Ohana und der Kinnbärtige, den sie gestern im Ort getroffen hatten, als sie die Bar verließen.

"Kennst du die Leute?", wollte Sabine wissen.

"Ja."

"Und was ist mit denen?"

"Nichts Besonderes. Komm, sonst schlagen wir hier Wurzeln." Sie marschierten offen und wortlos an dem Sextett vorbei, keiner grüßte, und er sah keinen Grund, als erster "Buenos dias“ oder "Guten Tag" zu sagen. Auf dem Rückweg genehmigte er sich einen blanco und ein paar Tapas, Paco gefiel der neue Gast, was man daran erkannte, dass er sie auf Deutsch begrüßte und aus dem Staunen nicht mehr herauskam, als sie in fließendem Spanisch antwortete. Nach einem frugalen Mittagessen schlossen sie eine ausgedehnte Siesta an, schliefen endlich miteinander, schwammen eine Stunde und duschten gemeinsam: "Wasser ist knapp", mahnte er, "getrennt Duschen ist ein nicht angebrachter Luxus." Er freute sich auf das Granada und auf Miguels verblüfftes Gesicht, wenn er mit einer anderen Frau hereinkam. Der Asturier bewies seine unhöfliche Unberechenbarkeit: "Diesmal nicht mit der rubia?"

Sabine verschluckte sich: "Wer ist die Blonde, von der er da gequatscht hat?", zischte sie, sobald Miguel, ihnen den Rücken zukehrend, die Neuigkeit mit Maricarmen beredete.

"Eine Deutsche, die hier im Hotel wohnt und kein Spanisch spricht. Ich habe ihr geholfen, bei diesem Holzkopf da Essen zu bestellen. Du hast sie übrigens schon gesehen. Als wir zum Strand herunterkamen, lag sie in dem weißen Bikini auf der Badematte und die andern um sie herum."

"Ach, die!", meinte sie lakonisch und etwas geringschätzig, als sei damit aller Dampf aus dem Misstrauens-Ballon raus. Anders hätte es ihn auch verwundert. Er hatte Sabine im wahrsten Sinne des Wortes über dem Abgrund kennengelernt. Sie war mit gefährlich dünnen Absätzen in Frankfurt eilig auf der Zeil gestöckelt und dabei auf einen Gully-Deckel getreten und hängen geblieben. Der Kavalier kam der Schönen zu Hilfe, befreite sie und ihren Schuh aus der misslichen Lage und lud sie zu einem Eiskaffee ein; abends trafen sie sich zu einem Essen im Hennigerturm und beim nächsten Mal landeten sie in seiner Wohnung in Sachsenhausen. Sie verstanden sich gut, auch im Bett, aber waren sich von Anfang an einig, dass es bei einem lockeren Verhältnis bleiben sollte, dessen Höhepunkte vom Flug- und Einsatzplan ihrer Airline bestimmt wurden.

Auf der Sirinabrücke begann sie dann zögernd: "Ich wollte heute Mittag nicht gleich die Eifersüchtige und Neugierige raushängen. Aber die rotblonde Frau mit dem weißen Bikini auf der Badematte kenne ich, die habe ich vor kurzem irgendwo gesehen. Irgendwas war mit ihr."

"Was Aufregendes?"

"Peter, ich weiß es einfach nicht mehr. Vielleicht fällt es mir wieder ein. Und bis dahin darfst du mir erzählen, welche Bereicherung der Weltliteratur du hier verfasst."

Über das Roman-Projekt Hako sprach er eigentlich nicht gerne. Aber sie drängelte und quengelte und lockte, bis er nachgab.

"Ich habe vor einiger Zeit mit meinen früheren Klassenkameraden 20 Jahre Abitur gefeiert. Dabei haben wir uns wieder einmal über das Schicksal eines Freundes und Mitschülers ereifert und gestritten, dem man ein halbes Jahr vor dem Abitur mitgeteilt hatte, dass er zum Abi nicht zugelassen würde. Hans Konradin – so heißt er – hat daraufhin alles hingeschmissen und ist etwas später spurlos verschwunden. Sie haben mich herumgekriegt, aus Hakos Geschichte ein Buch zu machen, weißt du, halb Tatsachen, halb Erfindung, ich habe lange recherchiert und bin nun dabei, das Meisterwerk der fiktiven Fakten zusammenzuschreiben."

"Und? Was ist aus ihm geworden? Hat du das herausgefunden?"

"Liebe Bine, Bücher werden zum Lesen geschrieben, nicht zum Erzählen. Ich werd dir selbstverständlich ein Exemplar mit Widmung schenken, wenn es fertig ist, und dann musst du es schon lesen."

"Faulpelz." Den Vorwurf nahm er schweigend hin, faul war er nicht, aber was hätte er ihr sagen sollen: Dass er zwar zu wissen glaubte, warum Hans Konradin untergetaucht war, aber beim besten Willen nicht sagen konnte, wohin er gegangen und was aus ihm geworden war.



Niemand kommt so leicht davon: Thriller
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