16.
Was da gezischt hatte, entdeckte er am nächsten Morgen rein zufällig. Jemand hatte drei Reifen seines Autos aufgeschlitzt. Er stand noch fassungslos vor seinem schräg zur Seite geneigten Auto und ärgerte sich die Krätze an den Hals, als Nachbar Lothar Drescher erschien. "Da ist ja ein Ding", legte er los. "Haben Sie eine Ahnung, wer das war?"
"Nein, aber wir Deutschen sind im Moment hier nicht sehr beliebt." Drescher beherrschte die aufmunternde Form des Zynismus: "Verstehe, 30 Milliarden sind verdammt wenig und dann noch sparen müssen, das geht zu weit. Was machen Sie jetzt?"
"Ich habe einen Freund hier in der Nähe, der wird mir sicher helfen."
So geschah es, Paco kam sofort, schämte sich für seine Landsleute und lud Monika, Drescher und Marholt zum blanco ein. "Maria Jesus macht auch Tapas." Dann bemerkt er Dreschers etwas hilflose Miene und wiederholte seine frohe Botschaft auf Deutsch.
"Geht schon mal vor, mir ist eine Idee gekommen, ich bin bald da." Angesichts seiner zerstörten Reifen war ihm wieder eingefallen, wer sich gestern von ihm hatte verabschieden wollen.
Vor dem vierten und letzten Häuschen an der Straße war der graue, schon in die Jahre gekommene Polo mit dem Kennzeichen LEV-XX 9387 verschwunden. Die Tür zur Veranda stand einen Spalt offen, und als Marholt lauschte, hörte er unverwechselbare Geräusche, die er kannte. Er schmunzelte, ließ sich auf alle Viere nieder und kroch geräuschlos an die Tür heran. Die beiden waren mit ihrem Geschäft gerade fertig geworden, er konnte sehen, wie der nackte Mann vom Bett aufstand, sich anzog und dann aus seiner Jacke eine Brieftasche herausholte. Für einen Menschen, der gerade von seinem Hotel fristlos entlassen worden war, eine Brieftasche mit erstaunlich vielen Scheinen. "Wirklich nur zwanzig?", wollte er wissen und Vanessa Niegel richtete sich auf. "Wenn es dabei bleibt, dass ich mich im Hotel umsehen kann."
"Wie vereinbart", sagte der Mann knapp.
"Dann nur zwanzig."
"Du darfst aber nicht auffallen, sonst müssen wir noch mit einem anderen teilen", erwiderte der Mann und Marholt fragte sich, ob die abgetakelte Puffmutter ihren Lover wirklich verstanden hatte. Aber das sollte nicht seine Sorge sein, er kroch lautlos zurück, bis er sich aufrichten konnte, und als der Mann das Häuschen verließ, lehnte Marholt neben der Tür und streckte einen Arm aus.
"Was soll das?"
"Der Preis der Dame hat sich erhöht. Um drei neue Autoreifen, Lieferung und Montage. Insgesamt 150 Euro."
"Yo en la tuya", murmelte der Mann, und weil Marholt den Fluch kannte, trat er zu, traf auch sehr schön genau zwischen die Beine und freute sich über ein Großmaul, das laut schreiend zu Boden ging. Eine Minute später wurde die Haustür aufgerissen.
"Was ist denn hier los?", kreischte Vanessa Niegel, die mit beiden Händen ihren schweren Busen festhalten musste.
"Ich habe gerade nur deine Tarife erhöht", gab Marholt lautstark zurück. "Zwanzig Euro ist wirklich etwas wenig. Da bleibt dir ja nichts, wenn ich meine Provision kassiert habe!" "Du hast ja den Arsch offen."
"Ich reiße dir deinen gleich bis obenhin auf."
Der Mann wollte den für ihn unverständlichen Dialog nutzen, sich heimlich zu entfernen, aber Marholt riss ihn zurück und drückte ihn gegen die Hauswand. "Hundertfünfzig", bellte er den Knaben an, "aber schnell."
Er bekam seine Hundertfünfzig und versprach dem Eingeschüchterten: "Wenn wir uns noch einmal begegnen, kostet es dreihundert." Und der nur leicht bekleideten Vanessa empfahl er: "Du ziehst dich am besten an und verschwindest sofort aus Laredo." Was sie vielleicht auch getan hätte, wenn sie nicht in der Sekunde ein mittelgroßer Stein an der Schulter getroffen hätte. Sie fiel um und hielt sich schreiend das Gelenk. Marholt war herumgefahren, hatte aber den Werfer nicht mehr sehen können. Der verbarg sich irgendwo und entfernte sich auf einem Motorrad. Vanessas Kunde half Marholt, die vor Schmerzen wie betäubte Frau ins Haus aufs Bett zu tragen.
"Soll ich dich zu einem Arzt bringen?", erkundigte sich Marholt, doch sie schüttelte den Kopf. "Nein. Aber einen Eimer mit kaltem Wasser und einen oder zwei Lappen könnte ich gebrauchen."
Den Gefallen konnten die Männer ihr tun, und als sie das Häuschen verließen, kühlte Vanessa Niegel ihre nur noch schwach blutende Schulterwunde und wimmerte noch leise.
Dass Pacos Wort im Ort was galt, wusste Marholt. Aber wieviel, das erkannte er jetzt, als er an seinem Auto vorbeilief. Da hielt schon ein Kleintransporter neben seinem fußkranken Gefährt, drei Männer sprangen ab und begannen, Marholts Auto aufzubocken, um drei neue Reifen aufzuziehen. Der Spaß sollte zweihundert Euro kosten, er drückte dem Ältesten dreihundert in die Hand und beruhigte ihn: "Der Täter hat gezahlt, ihr könnte es ruhig nehmen." Dabei war es gar nicht sicher, dass der Mann aus dem Hotel, der bei Vanessa Niegel gewesen war, auch die Reifen zerschnitten hatte. Wem war Marholt auf die Füße getreten?
In der Bar hatten sich die drei inzwischen mit blancos und Tapas amüsiert, Drescher erprobte seinen bescheidenen Wortschatz in einer Unterhaltung mit Maria Jesus, die ihn geduldig verbesserte und sich freute, wie sehr ihm ihre Tapas schmeckten, und Paco debattierte mit Monika über die Vorzüge von Olivenöl gegenüber tierischen Fetten. In Teilen Südspaniens hatten die Bauern nach der Vertreibung der Araber ihre Olivenhaine absichtlich vernachlässigt, weil sie sich völlig auf Schweinefett umstellten, um bei der Inquisition ja nicht in den Verdacht zu geraten, sie seien heimliche Muslime. Der blonde Axel fehlte, Ohana ließ sich auch nicht blicken, von Uwe Zindler gab es keine klinischen Neuigkeiten zu vermelden, und die jetzt zahlreichen Urlauber aus Deutschland, England und Dänemark wurden elegant übersehen. Fast satt und einigermaßen angedudelt verzichteten Monika und Marholt auf Einkäufe im Ort, wankten fröhlich über die Straße (sein Auto stand fahrbereit auf vier Rädern vor dem Haus) und fielen wie erschlagen auf das Bett. Es wurde eine lange Siesta, sie tranken Kaffee, als es schon zu dämmern begann und dann erforderte es eine gewaltige Anstrengung aufzustehen und sich anzuziehen.
Im Granada empfahl Miguel Paelle sevillana. Hinterher bestand Marholt darauf, am Hotel vorbeizuschauen. Die junge Frau an der Rezeption begann zu telefonieren, nachdem Monika und er an ihr Richtung Bar vorbeigegangen waren. Ohana schaute ihm unfreundlich entgegen, als er sie begrüßen wollte. Sie stand mit dem weißhaarigen Briten zusammen, der wohl Jim hieß und ausgesprochen sauer reagierte, als Marholt versuchte, Monika und sich vorzustellen. "Ihr könnt ruhig wieder gehen", hauchte Ohana. "Und sag' deiner Neuen ruhig, dass sie hier nicht erwünscht ist."
"Spinnt die, oder was ist in die gefahren?", regte sich Monika auf dem Rückweg auf.
"Ich weiß es nicht und verstehe es auch nicht", musste er zugeben.
"Er heißt Sheridan und wird hinter seinem Rücken Lord Jim genannt."
"Wer heißt Sheridan?"
"Der Weißhaarige, der dich so ruppig hat abfahren lassen."
"Woher kennst du ihn?"
"Überhaupt nicht; aber ich war gerade zum Dienst gekommen, als er mit einer Privatmaschine in Malaga landete."
"Donnerwetter!"
"Großer Auftrieb, kann ich dir sagen. Kennst du die casa distinta?"
"Nie gehört."
"Dort kriegst du alles. Großes Auto mit Chauffeur und Leibwächtern, weibliche Begleitung im Auto und im Bett, Frack, Zylinder. Trauzeugen, Leibwächter, Alibis, alles, was das Herz begehrt."
"Nur das Herz?"
"Ferkel."
"Und was die dicke Brieftasche zahlen kann."
"Du sagst es. Ich kenne zufällig den Piloten, der da gelandet war. Und der hat mir verraten, woher sie kamen."
"Nämlich?"
"Aus Tanger. Mr. Ralph Sheridan, genannt Lord Jim."
"Gehört das Flugzeug auch dieser casa distinta?"
"Nein, das gehört dem Multimillionär Ralph Sheridan respektive seiner Firma. Registriert in Zypern. Ein Doppelheuler."
Marholt hatte lernen müssen, dass damit ein Geschäftsreiseflugzeug mit zwei Turbinen gemeint war. "Eine Cessna Citation." Ein Mann gesetzten Alters flog nicht einmotorig über das Mittelmeer von Tanger nach Malaga.
"Mein Bekannter ist Angestellter der Sheridan Mining Company und fliegt die SMC-Öberen rundum die Welt. Und landet überall dort, wo es Erze gibt oder Erz vermutet wird. Peter, wir haben bei unserer Berufswahl irgendwas falsch gemacht."
"Schon möglich. Reg' dich nicht auf ..." Nach einer Weile fügte er halblaut hinzu: "Aber mich würde schon interessieren, was Ohana MacGregor mit Ralph Sheridans SMC zu tun hat."
„Oder umgekehrt", bemerkte sie etwas spitz. Doch darauf ging er nicht ein.
Nach den spärlichen Regentropfen war die alte Hitze zurückgekehrt, auch nachts kühlte es nicht mehr richtig ab. Weil sie ohnehin kein Betttuch zum Zudecken brauchten, schliefen sie nackt, was zu gewollten und zufälligen Unterbrechungen führte. Monika liebte Sex, was sie ihm auch tagsüber zu beweisen trachtete.