12.

Doch die Nacht war zu kurz gewesen, der Schlaf hatte nicht ausgereicht, er musste die doppelte Menge Kaffee in die Filtertüte schütten, und trotzdem gähnten sie um die Wette. Ihre Wunden waren gut verheilt, und stöhnend zwar, aber dann doch bereitwillig, berichtete sie Teil zwei der Geschichte. Sie war wegen Anstiftung zur Körperverletzung mit Todesfolge zu sieben Jahren verurteilt worden, die sie auch voll und ganz abgesessen hatte, weil sie sich beharrlich "weigerte", das Versteck des Tresorinhalts anzugeben.

"Sie hatten den Inhalt nicht", sagte er ungeduldig. "Aber wieso Körperverletzung mit Todesfolge?"

"Debby hatte doch ihr Kind verloren. Und zwar, wie alle Sachverständigen beteuerten, als Folge des Schusses, den Holger auf Debby abgegeben hatte."

"Hm. Was ist aus Debby eigentlich geworden?"

"Sie hat lange in der Klink gelegen, und dann hat Achim sie in alle möglichen Spezialkliniken geschickt, in der Hoffnung, sie würde sich doch wieder bewegen können. War aber alles vergeblich. Und aus einer dieser Kliniken ist Debby dann spurlos verschwunden."

"Das gibt's doch nicht. Sie war doch gelähmt."

"Das ist sie wohl immer noch. Natürlich hat ihr jemand geholfen. Aber fragen Sie mich nicht, wer."

"Hm, hm. Verraten Sie mir nun noch, was Sie wirklich nach Laredo de la boca verschlagen hat?"

"Eine Verwandte Debbys, eine Cousine oder so. Sie hatte Debby in der Uni-Klinik in Düsseldorf besucht, von ihr meinen Namen gehört und erfahren, dass ich im Gefängnis saß. Wie sie es geschafft hat, eine Besuchserlaubnis zu bekommen, weiß ich nicht. Aber bei unserer Unterhaltung erwähnte sie beiläufig, dass sie in Spanien lebe, in Laredo. Ein wenig Geografie habe ich schon im Kopf, ich wusste, dass es ein Laredo an der Biskayaküste gibt. Nein, nicht dort, sondern in einem besseren Nest Laredo an der Mittelmeerküste. Laredo de la boca. Und wenn ich aus dem Knast entlassen würde, sollte ich sie mal besuchen, sie hätte mir dann vielleicht was zu erzählen, was mich sehr interessieren könnte. Nein, darüber würde sie erst nach Ende meiner Haft sprechen."

"Deswegen bist du – Entschuldigung, sind Sie hier?"

"Also, ich denke, eine Frau sollte einen Mann, der sie vor dem Verhungern und dem Sterben an Langeweile gerettet hat, ihr dann in bester Samariter-Manier Bett, Pflaster und Wein spendiert hat, ruhig duzen. Ich heiße Karin. Und du heißt Peter, nicht wahr?"

Er beugte sich über den Tisch und gab ihr einen sehr formellen Kuss auf die Wange.

"Auf gute Nachbarschaft. Du bist also hier, weil dir Ohana versprochen hat, etwas zu erzählen, was dich interessieren würde. Okay. Aber warum sind die anderen hier? Axel Kunz. Kurt Leuscha, Vanessa Niegel, Uwe Zindler?"

"Ich glaube, sie sind alle hinter dem her, was im Tresor war. Sie wissen nur nicht, ob ich es nicht doch habe oder ob es bei Debby gebunkert war, die es ihrer Verwandten Ohana anvertraut hat, als die sie in der Klinik besuchte."

Das klang logisch. Aber ihm war sofort eine andere Idee gekommen. "Gab es denn überhaupt einen Tresor-Inhalt? Dein Achim wäre nicht der erste, der auf die Idee gekommen ist, beim Finanzamt oder bei seiner Bank, seinen Gläubigern, seiner Versicherung einen großen Verlust vorzutäuschen, wenn schon ein Schränker so deutlich seinen Tresor zerlegt."

Sie schälte sorgfältig eine Orange. "Mein Anwalt hat sich viel Mühe gegeben und mich nicht vergessen, als ich saß. Er hat alles unternommen, um deinen Verdacht zu beweisen oder glaubhaft zu machen, aber es ist ihm nicht gelungen."

"Ich habe noch eine Idee."

"Hast du auch noch Kaffee?"

"Aber ja."

"Dann erzähl' mal, ich höre von der Küche aus zu."

"Du hast dich aus dem Blumenbeet aufgerappelt und bist ins Haus gegangen, bis an die Treppe, wo Debby lag."

"Ja."

"Und dann?"

"Dann habe ich von der Eingangstür einen Blick in die Bunkerkammer geworfen, habe den zerstörten Tresor gesehen und bin weggelaufen."

"Nach draußen?"

"Sicher, wohin sonst?"

"Hast du die Haustür hinter dir ins Schloss gezogen?"

"Wahrscheinlich, das haben mich alle möglichen Leute schon zigmal gefragt."

"Aber sicher bist du dir nicht?"

"Nein, ich weiß, worauf du hinauswillst, natürlich hätte jemand ins Haus kommen können, wenn ich die Tür nicht zugezogen hätte und der oder die hätte dann mit der Beute verschwinden können."

"Ganz ausgeschlossen?"

Sie überlegte und zuckte schließlich die Achseln: "Nein, ich war sehr aufgeregt, als ich aus dem Haus weggelaufen bin, denkbar, wenn auch nicht wahrscheinlich, dass ich die Tür hinter mir nicht richtig zugezogen habe."

"Wusstest du, dass die junge Frau schwanger war?

"Nein."

"Hatte sie Freunde?"

"Nein, wenigstens nicht bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich die Villa verlassen habe. Als sie da unten an der Treppe lag, hat sie gestöhnt, eine Hand auf ihren Bauch gepresst und gejammert: 'Mein Baby, mein Kind, mein Baby': Da habe ich mir gedacht, sie könnte schwanger sein."

"Aber da hatte sie schon was mit deinem Achim?"

"Da bin ich gar nicht mal so sicher. Okay, er war bis über beide Ohren verliebt in sie und strich auch wie ein verliebter Kater um sie herum, aber sie war eine junge Frau mit eigenen Zukunftsplänen, streng katholisch, er war noch nicht mal geschieden, und sie wird sehr genau gewusst haben, dass ohne eine Heirat mit einem Deutschen ihre Aufenthaltserlaubnis bald erlöschen würde."

"Warum kommt eine junge Irin als Au-Pair-Mädchen nach Düsseldorf?"

"Sie wollte Deutsch lernen, weil ein Onkel ein Reiseunternehmen in Irland besitzt, bei dem viele deutsche Gäste buchen. Aber können wir nicht mal das Thema wechseln?"

Während des Abwaschens war er in Gedanken versunken. Die lange Krankheit, die sie anfangs erzählt hatte, war also ein Aufenthalt hinter Gefängnismauern gewesen, und sie war nach ihrer Entlassung nach Laredo gekommen, weil ihr Ohana versprochen hatte, etwas zu erzählen, was sie interessieren würde. Dass Ohana – mit richtigem Namen Oriana – Debbys Schwester sein konnte, schien Karin Demus nicht gewusst zu haben. Auch so eine merkwürdige Geschichte. Und woher hatte dieser Udokeit eigentlich die Waffe, aus der er auf Debby schießen konnte; war er so verrückt, zu einem Einbruch eine Waffe mitzunehmen? Oder hatte er die Pistole, den Revolver im Tresor gefunden, gehörte die Waffe also Achim van Borgh? Legal mit Waffenschein und Waffenerwerbskarte beschafft oder illegal?

"Sag mal, eine letzte Frage zu dem Thema. Wie hieß Debby eigentlich vollständig?"

"Deborah MacGregor."

Also doch. Er schaute auf die Uhr. Mit dem Schreiben wurde heute nichts mehr. "Gehen wir in den Ort, etwas einkaufen. Bei mir gibt es mittags nur einen kalten Imbiss."

"Einverstanden."

"Und was machen wir mit dir heute Nacht?"

Sie blieb ruckartig stehen und hätte fast die Tasse fallen lassen, die sie gerade abtrocknete. "Ich dachte, ich könnte bei dir bleiben."

Er schaute sie groß an: "So bequem ist die Luftmatratze nun nicht, Karin."

Sie schluckte, um die Kehle freizubekommen, und krächzte regelrecht: "Aber dein Bett ist breit und bequem."

"Das brauche ich auch bald wieder."

"Wie meinst du das?"

"Ich erwarte Besuch."

"Weiblichen Besuch?"

"Ja."

"Und dazu brauchst du dein Bett?"

"Eigentlich ja."

"Verstehe ich. Aber du kannst mich nicht ins Hotel zurückschicken. Da komme ich um vor Angst. Kannst du mich nicht irgendwo anders unterbringen?"

Er überlegte ernsthaft. Jetzt, nach allgemeinem Ferienbeginn, würde es mit Hotelzimmern selbst in Laredo de la boca schwierig sein. Ob Paco und Maria Jesus ein Gäste-Zimmer hatten? Oder wie war es mit Ohana?

"Komm, lass uns losgehen, vielleicht fällt mir unterwegs noch was ein." Dann kam ihm eine Idee: "Du weißt, dass dein Ex gern erfahren möchte, mit wem du dich hier triffst?"

"Dein Ernst?"

"Ja, er hat sogar einen Privatdetektiv in Marsch gesetzt. Ich finde, der kann was für deinen Schutz tun."

Sie betrachtete ihn mit einer Mischung aus Widerwillen, Ekel und Unglauben. "Warum sollte Achim mir nachspionieren?"

"Spontan fallen mir da die Sachen ein, die er in seinem Tresor aufbewahrt hatte."

Das überlegte sie sich gut, und er sah ihr an, dass sich da hinter ihrer Stirn etwas breit machte, was der scharfe Beobachter Misstrauen oder Verdacht nennen konnte.

"Kennt dein Achim eigentlich Ohana oder Oriana MacGregor?"

"Ja, er hat sie mal an Debbys Bett in der Klinik getroffen."

"Woher weißt du?

"Ab und zu hat er mir einen Brief ins Gefängnis geschickt."

Danach räumte sie so energisch das letzte gespülte Geschirr in den Schrank, dass er seine Fragerei einstellte.



Niemand kommt so leicht davon: Thriller
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