13.
Auf dem Fleck, auf dem sonst Karin Demus gelegen hatte, sonnte sich heute Vanessa Niegel; sie hatte Marholt und Karin Demus neugierig beobachtet, als sie auf den Strand hinunterturnten. Kurt Leuscha war ins Wasser gegangen und schwamm sichtlich lustlos hin und her, immer in Vanessas Sichtweite.
"Also doch", sagte Vanessa laut, als sie an ihrem Badetuch vorbeigingen, und Marholt ahnte, was sie damit sagen wollte. Aber Vanessa interessierte ihn nicht, und Karin zahlte es ihr heim, sagte ebenfalls sehr laut: "So ein winziger Tanga steht einer so fetten Frau nicht."
Sachlich war an dem Satz nichts auszusetzen, Marholt hätte ihn freilich nicht ausgesprochen, sondern für sich behalten. Karin kicherte zufrieden.
Sie kauften Schinken, Chorizo, Käse, Oliven, Brot und Wein.
Ohana war in ihrem Geschäft und hatte schon gehört, was Karin zugestoßen war.
"Wohnt sie jetzt bei dir?", wollte Ohna wissen.
"Nein, nur diese eine Nacht."
"Und dann?"
"Sie hat Angst, ins Hotel zurückzugehen."
Ohana schaltete schnell. "Nein, Pedro, das bitte nicht. Nicht sie."
"Sie hat deiner Schwester nichts getan."
"Das weiß ich, aber sie zieht das Unglück an wie das Licht die Motten."
"Wo sonst, Ohana MacGregor? Glaubst du, Paco und Maria Jesus können Karin aufnehmen? Gegen Bezahlung natürlich."
"Setz dich da mal hin, ich rufe an und rede mit Maria."
Er schaute ihr versonnen zu. Schwarz und eng und kurz stand ihr; wenn sie Maria und Paco überreden konnte, hatte sie auch freie Fahrt für ihren blonden Axel. Ohana zwinkerte ihm zu, als habe sie seine Gedanken gelesen und legte mit einem strahlenden Lächeln auf: "Sie sind einverstanden. Am besten kämen wir gleich."
Karin Demus sperrte sich und gab erst nach, als Marholt ihr verriet, dass Paco nach mehr als zehn Jahren in Deutschland sehr gut Deutsch sprach und Maria Jesus zwar gelegentlich knurrte und meuterte, aber eine Seele von Mensch sei. Von Pacos Bar bis zu Marholts Haus waren es nur gut hundert Meter auf einer beleuchteten Straße; wenn sie es nicht mehr aushielt, sollte sie halt zu ihm kommen. Karin ging halbwegs getröstet mit ihnen Richtung Pacos Bar.
"Was wolltest du Karin denn erzählen, wenn sie aus der Haft entlassen ist?", fragte Marholt neugierig.
"Nicht jetzt und nicht hier. Karin und ich werden dich abends einmal besuchen und eine Flasche von dem guten Weißen mitbringen."
"Zwei Flaschen", verbesserte er energisch.
"Auch das."
Marholt schickte Karin, Paco und Ohana nach hinten zu Maria Jesus; der Blonde, der wieder am Tresen lehnte, sollte nicht erfahren, wie gut Paco Deutsch sprach und verstand.
"Na, wie geht's?", begann Marholt jovialer, als ihm eigentlich zumute war.
"So lala", antwortete Kunz melancholisch.
"Haben Sie schon davon gehört, dass Karin Demus gestern in ihrem Hotelzimmer überfallen worden ist?"
"Waa ... as?"
Marholt erzählte, was ihm Karin berichtet hatte und Kunz regte sich mächtig auf. Wer aus dem Hotel habe da mitgespielt? Der Gedanke war gar nicht so schlecht.
"Können Sie sich nicht mal umhören?", schlug Marholt vor. "Ich finde, Karin kann etwas Schutz gebrauchen."
"Denken Sie an jemanden Bestimmtes?"
"An einen alten Knacker, der auch im Hotel wohnt. Engländer oder Schotte, leider kenne ich nur seinen Vornamen Jim."
"Geht in Ordnung. Was geschieht nun mit Karin Demus?"
"Ich verstecke sie bei Freunden", sagte Marholt schnell. "Nein, nicht hier am Ort. Tagsüber ist sie wohl sicher, denke ich mir, vor allem, wenn jetzt mehr Touristen kommen und den Strand bevölkern. Und nachts schläft sie woanders. Aber Sie könnten mir auch einen Gefallen tun."
"Ja?"
"Warum will Achim van Borgh wissen, mit wem sich seine Ex-Frau hier trifft?"
Kunz zögerte eine lange Minute, bis sich Marholt räusperte. "Also, ich denke mir, er will das, was alle wollen, die hier hinter Karin Demus herschleichen.
"Und das wäre?"
"Das, was der Einbrecher vor Jahren aus dem Tresor herausgeholt hat."
"Hat van Borgh den Verlust immer noch nicht verschmerzt?"
"Finanziell sicher schon lange. Aber im Tresor muss auch noch was gelegen haben, was er immer noch zurückhaben will oder muss – wie auch immer. Wissen Sie, die Aufrichtigkeit hat dieser Typ nicht erfunden, die Offenheit auch nicht, und Wahrheit betrachtet er als eine relative Größe."
'Ganz anders als du', hätte Marholt am liebten gespottet.
"Können Sie sich vorstellen, was das sein könnte?"
"Vielleicht eine Heiratsurkunde, die vor seiner Heirat mit Karin Demus ausgestellt wurde ..."
"... und dann niemals durch eine Scheidung ungültig wurde?"
"Sie sagen es. So was in der Art. Es ist immer noch ein Gesellschaftslöwe, und muss auf seinen Ruf achten, nicht nur wegen der Geschäfte und Beziehungen, die er auf diesem Weg anbahnt." Sein Lächeln fiel etwas schmierig aus, dafür aber unmissverständlich.
"Sie mögen Ihren Auftraggeber nicht sonderlich?"
"Nein. Überhaupt nicht. Aber er zahlt gut, er kennt Gott und die halbe Welt, hat überall Freunde und Beziehungen. Ich wünschte, ich hätte ein Hundertstel davon und könnte daraus so wie er Geld machen."
Paco war zurückgekommen, blinzelte Marholt zu und kam dann zu ihnen.
"Dos mas?" Wobei er auf die leeren Gläser deutete.
Marholt nickte.
Keine zehn Sekunden später erschien Maria Jesus mit zwei großen Tabletts in den Händen. Die mit Zahnstochern gekrönten Tapas waren wieder einmal köstlich. Zwei riesige Tabletts waren im Handumdrehen leer.
"Sagen Sie mal, Herr Kunz, aber hier treiben sich doch noch andere Knaben herum, die es auf Karin Demus respektive van Borgh abgesehen haben."
"Nicht auf Frau Demus, sondern auf den Tresorinhalt. Van Borgh hat mir erzählt, dass die Kripo immer vermutet hat, dass Holger Udokeit zwar alleine ins Haus eingebrochen ist, aber dass zwei Kumpel, die er aus dem Knast gut kannte, ihm geholfen haben, vielleicht Schmiere gestanden oder ihn später weggebracht haben. Van Borgh kannte sogar ihre Namen."
"Wissen Sie die?"
"Ja, die Kerle treiben sich hier herum: Kurt Leuscha und Uwe Zindler."
"Dazu gehört aber noch eine Frau: Vanessa Niegel."
"Ja, ich weiß, eine ehemaligen Puffmutter. Ein enttäuschter Kunde hat ihr den Laden abgefackelt, und die Versicherungssumme war viel zu klein, um ein neues Palais d'amour zu bauen."
"War van Borgh dort Kunde?"
"Das hat er mir nicht verraten, aber ich würde mal denken, er war, und zwar regelmäßig."
"Eine Frage noch, Herr Kunz: Was hat Sie so an Ohana fasziniert?"
"Van Borgh meinte, sie könnte unter Umständen den Inhalt des Tresors besitzen."
"Und wie sollte sie daran gekommen sein?"
"Über ihre Schwester Deborah."
"Die lag doch angeschossen und gelähmt vor der Treppe."
"Klar. Aber sie soll immer ein Handy bei sich gehabt haben, denkbar, dass sie Freunde alarmiert hatte, bevor van Borgh sein Haus betrat."
"Wo war denn Ohana zu diesem Zeitpunkt?"
"Wenn ich mich nicht irre, in Düsseldorf."
Die Geschichte wurde immer verrückter. Aber vielleicht lag das auch an den drei blancos, die er getrunken hatte und den guten Tapas. Maria Jesus hatte sich selbst übertroffen. Karin war einverstanden, die gastliche Stätte zu verlassen und Marholt in sein Häuschen zu begleiten, Ohana stellte sich neben ihren blonden Axel und beschwerte sich nicht, als er ihr sofort einen Arm um die Taille legte. Paco flüsterte mit seinem angetrauten Weibe, der das, was er ihr ins Ohr hauchte, so zu gefallen schien, dass sie näher an ihn heranrückte. Allenthalben Friede, Freude, Eierkuchen.
Karin Demus und Peter Marholt hatten noch viel Schlaf nachzuholen und schliefen tief und fest, sobald sie sich mit keuschem Abstand auf dem Bett ausgestreckt hatten. Als er die Augen aufschlug, fuhrwerkte sie schon in der Küche herum. "Hallo!", rief er halblaut.
"Hallo! Kaffee?"
"Gerne."
"Service arbeitet schon."
Sie konnten draußen einen Tisch und zwei Sessel in den Schatten rücken und dösten dann entspannt, bewunderten das kaum gekräuselte Meer und wurden, wie er seufzte, wehrlose Opfer der Faulheit. Einmal liefen Vanessa Niegel und Kurt Leuscha in Bikini und Badehose an ihrem Grundstück vorbei und turnten dann den Kletterpfad zum Strand hinunter, fluchten am Ende über die schwankenden und unsicheren Stufen, was Marholt an seine Verabredung mit den Nachbarn erinnerte. Zwei Minuten später folgte der schwarzbärtige Uwe Zindler dem Paar, ebenfalls schon in Badehose, über der einen Schulter trug er ein Badetuch, auf der andern ein Metallgestell, das mit bunten Segeltuchbahnen bezogen war. Er blieb einen Moment oben stehen, um das verrutschte Gestell zurechtzurücken. In dem Moment traf ihn etwas, was Marholt und Karin nicht erkennen konnten, in den Rücken. Zindler schrie auf, zuckte zusammen, verlor das Gleichgewicht und stürzte kopfüber den Pfad hinunter. Sekunden später wurde auf der Straße ein Motorrad angelassen, das dann mit Vollgas davonfuhr.
"Was war das?", fragte Karin entsetzt.
"Jemand hat ihm einen Stein oder ein Holz in den Rücken geworfen. Komm, wir gehen mal runter und schauen nach, ob ihm was passiert ist."
Der Stein lag in der Mitte des Pfades, sie fassten ihn nicht an und balancierten nach unten. Zindler war was passiert, er lag auf dem Rücken, brüllte vor Schmerzen und konnte sich nicht bewegen. Marholt hatte sein Handy dabei, er telefonierte nach Hilfe und nach der Polizei. Das Ganze geriet zu einem gewaltigen Auftrieb. Ein Hubschrauber kam nach sehr langer Zeit und lud den verunglückten Zindler ein. Zwei Polizisten betrachteten den Stein mitten auf dem Pfad und ließen sich erzählen, was Marholt und Karin beobachtet hatten, machten bedenkliche Gesichter, als Marholt von dem startenden Motorrad erzählte, schienen aber nicht geneigt, an ein Verbrechen zu glauben. Den Stein ließen sie liegen, weitere Untersuchungen wurden nicht angestellt, und als Karin Demus und er das Granada betraten, lag alles schon Ewigkeiten zurück. Miguel grinste breit, endlich kamen sie zusammen, setzten sich wie zivilisierte Menschen an einen Tisch und bestellten gemeinsam.
Das Unglück am Strand hatte sich schon herumgesprochen. Maricarmen kam hinter ihrer Theke hervor, hinkte zu ihnen und berichtete Marholt, dass es dem Deutschen, der da den Weg und die Stufen heruntergefallen sei, sehr schlecht ginge. Er müsse am Rückgrat operiert werden, aber es sei noch nicht sicher, ob man das in Malaga tun könne oder ob man ihn weiter nach Sevilla oder gar nach Madrid bringen müsse.
Sehr viel später erschienen noch Vanessa Niegel und Kurt Leuscha. Zu Marholts großem Erstaunen kam Leuscha an ihren Tisch, nickte Karin kurz zu, so, als kenne man sich schon lange, und bedankte sich – Marholt fielen vor Staunen fast die Ohren ab – für die Kommunikationshilfe mit Arzt und Polizei am Strand. Zum Dank berichtete er, was sie von Maricarmen gehört hatten, und Leuscha stimmte bekümmert zu. Sie würden sich um alles Weitere bemühen. Damit ging er zum Tisch zurück, an dem Vanessa Niegel saß und neugierig zu ihnen herüberschaute.
"Kennst du ihn?", fragte Marholt.
"Ja. Holger Udokeit hat ihn mitgebracht zu mir nach Hause und als alten Freund vorgestellt." Sie lachte bitter. "So alt war die Freundschaft nicht, eher neu. Geschlossen im Knast, was ich leider zu spät erfahren habe. Und Zindler war der dritte im Trio. Drei ausgekochte Gauner." Miguel brachte den gemischten Salat. Er war heute seltsam still und auf eine beflissene Art höflich, die so gar nicht zu ihm passte.
Nachher begleitete er Karin Demus ins Hotel und heizte dem Personal am Empfang ein. Das tat erst so, als verstünde es weder sein Spanisch noch ihr Englisch, und bequemte sich zu Auskünften erst, nachdem er dreist gelogen hatte, er sei Reise-Journalist einer großen deutschen Zeitung und würde dringend vom Besuch des Ortes Laredo de la boca und erst recht von einer Buchung in diesem Haus abraten, in dem Feriengäste in ihren Zimmern überfallen würden. Die Debatte wurde hitzig, er konnte endlich einmal sein Repertoire mittelschwerer Beleidigungen anwenden, was tatsächlich einen gewissen Eindruck machte. Marholt vermutete, dass die Eigentümer gerade mit einem oder mehreren deutschen Reiseunternehmen über Pauschalreisen verhandelten und keine Störung dieses Dialogs wünschten. Karin verlangte die Rechnung, und der zweite Teil des Krachs begann, als sie sich weigerte für die Nacht zu bezahlen, in der sie aus dem Hotel geflüchtet war. Das Geschrei lockte einen der Eigentümer an, der sich also doch im Ort aufhielt, und der wollte in einer großen Geste die Rechnung zerreißen, doch Marholt, durch schlechte Erfahrungen mit Gentleman-Gaunern gewitzt, hinderte ihn daran. Selbstverständlich würde die Señora zahlen, was sie schuldete, aber eben nicht mehr, und vor allem würde sie nicht auf ihr Recht verzichten, wahrheitsgemäß über das zu berichten, was ihr in diesem Hause zugestoßen war. Es stellte sich heraus, dass die Rezeption der Verwaltung nicht gemeldet hatte, dass ein weiblicher Gast überfallen worden war, und als Karin und er gingen, war der erste Verantwortliche fristlos entlassen worden.
"Der Mann tut mir leid", sagte sie, als sie auf die Sirina-Brücke zugingen.
"Mir nicht, das kommt von dieser Amigo-Wirtschaft. Da hat einer dem andern einen Gefallen getan, und ein dritter, in diesem Falle du, sollte die Zeche bezahlen. Warum, glaubst du, hat das Opus Dei hier solchen Einfluss gewinnen können?"
Paco hatte seine Bar schon geschlossen und Marholt verzog sich in sein Häuschen, sobald er Karin abgeliefert hatte.