* 11

 

Kincaid brachte Gemma zum Wagen, in dem Will Darling wartete, und sah ihm nach, als er am Anger entlang davonfuhr. Sie blickte einmal zurück, aber bis er die Hand gehoben hatte, um zu winken, hatte sie sich schon wieder abgewandt. Einen Augenblick später war der Wagen aus seinem Gesichtsfeld verschwunden.

  Er überquerte die Straße und blieb kurz am Ende des Wegs stehen, der zum Pub führte, um seine Gedanken zu sammeln.

  Deveney war zu einem Ladeneinbruch in Guildford gerufen worden; er mußte das Gespräch mit Brian Genovase also allein führen. Mit einem Blick hinauf zur Silhouette des Liebespaares, die sich vor dem Mond abhob, dachte Kincaid, daß das Bild vielleicht passender war, als sie geahnt hatten.

  Er fand Brian allein vor, mit den Vorbereitungen für das Sonntagmittagessen beschäftigt. »Roast Beef und Yorkshire Pudding«, sagte Brian statt einer Begrüßung. Er setzte einen Schnörkel unter den Speiseplan auf dem schwarzen Brett. »Sonntags gibt es bei uns immer ein richtiges Menü. Sie sollten sich rechtzeitig einen Tisch sichern.« Sein Ton war freundlich, doch während er sprach, maß er Kincaid mit einem argwöhnischen Blick.

  »Ich werd’s mir merken, aber ich würde gern ein paar Worte mit Ihnen sprechen, ehe es hier rund geht.« Kincaid setzte sich auf einen Barhocker.

  Brian, der gerade dabei war die frisch polierten Gläser einzuordnen, hielt inne. »Mr. Kincaid, ich bin Ihnen sehr dankbar für das, was Sie gestern abend für meinen Jungen getan haben. Sie haben ihn gut behandelt im Gegensatz zu den Leuten, die ihn das letztemal in der Mache hatten. Aber ich weiß nicht, was ich Ihnen sonst noch sagen kann. Geoff ist gleich heute morgen losgezogen, um sich bei den Leuten im Dorf zu bedanken und ihnen anzubieten, umsonst für sie zu arbeiten, als Entschädigung. Und morgen melden wir ihn wieder zur Therapie an. Das scheint ja doch ein langer Prozeß zu werden. Ich hätte ...«

  »Brian«, unterbrach Kincaid. »Ich bin nicht Geoffs wegen hier.«

  Brian starrte ihn verständnislos an. »Nicht...«

  »Wir sind leider nie dazu gekommen, unsere Vernehmungen zu Ende zu führen. Können Sie mir sagen, wo Sie vergangenen Mittwoch abend zwischen sechs und halb acht Uhr waren?«

  »Ich?« Brian blieb vor Verblüffung der Mund offen. »Aber - na ja, ich nehme an, Sie müssen das jeden fragen.«

  »Sie haben bis jetzt nur Glück gehabt«, sagte Kincaid mit einem Lächeln. »Waren Sie hier?«

  »Ja, natürlich war ich hier. Wo soll ich denn sonst gewesen sein?«

  »Allein?«

  »Nein.« Brian schüttelte den Kopf. »John war am Tresen, und draußen war Meghan, unsere Küchenhilfe. Wir hatten eine Menge Betrieb, obwohl es mitten in der Woche war.«

  »Sind Sie irgendwann mal weggegangen, wenn auch nur für ein paar Minuten?« fragte Kincaid. »Überlegen Sie genau. Es ist wichtig, in solchen Dingen ganz präzise zu sein.«

  Brian runzelte die Stirn und rieb sich das Kinn. »Ich erinnere mich nur an eines«, sagte er nach einer kleinen Weile. »Irgendwann zwischen halb sieben und sieben bin ich ins Lager gegangen und hab’ einen neuen Kasten Limonade geholt. Das kann nicht viel länger als fünf Minuten gedauert haben.«

  »Ist das Lager im Pub?«

  »Nein. Man muß außen rum gehen, über den Parkplatz. Ganz schön lästig, wenn’s schüttet«, fügte Brian in vertraulichem Ton hinzu.

  »Haben Sie irgend etwas Ungewöhnliches gehört oder gesehen, und sei es auch nur eine Kleinigkeit?«

  »Nur die Mäuse. Uns ist vor ein paar Monaten unsere Katze eingegangen. Wird Zeit, daß wir eine neue finden. Im allgemeinen kommen sie von selbst zu uns, aber bis jetzt ist keine aufgetaucht. Vielleicht hat sich’s noch nicht rumgesprochen, daß die Stellung frei ist.« Brian grinste, offensichtlich wieder ganz sicher.

  Gut, dachte Kincaid. Jetzt, wo er sich sicher fühlt, war der Moment für den Tiefschlag. »Brian, ich habe den Eindruck gewonnen, daß Sie und Claire Gilbert recht gut befreundet sind.«

  Brian nahm ein Glas vom Tablett und schob es ins Regal, auf diese Weise sein kurzes Zögern beinahe erfolgreich vertuschend. »Nicht besser als die meisten Nachbarn. Wir helfen uns gegenseitig, wenn einer was braucht.« Er hielt den Blick gesenkt.

  »Wie hat ihr Mann das denn gefunden?«

  »Ich wüßte nicht, warum den das hätte kümmern sollen.« Brians Ton klang aufgebracht, aber er hatte Kincaid immer noch nicht ins Gesicht gesehen. »So, und wenn Sie nichts dagegen haben, werd’ich jetzt ...«

  »Ich könnte mir denken, daß es ihn sogar sehr gekümmert hat«, unterbrach Kincaid. »Alastair Gilbert war allem Anschein nach sehr eifersüchtig, und es war ihm zuzutrauen, daß er die harmloseste Geste falsch auslegte.«

  »Ich hab’ den Mann kaum gekannt.« Brian hatte unwillig die Brauen zusammengezogen, und die Gläser klirrten, als er sie einordnete. »Er ist nie ins Pub gekommen und hat mich sowieso nicht als Gleichgestellten betrachtet. Er hat mich mal einen lumpigen Ladenschwengel genannt, dabei war er selbst nur ein Bauernsohn aus Dorking.«

  Kincaid stützte die Ellbogen auf den Tresen und beugte sich zu Brian hinüber. »Aber Sie haben ihn gut genug gekannt, um ihn um Hilfe zu bitten, als Geoff Schwierigkeiten mit der Polizei bekam. Und er hat Sie einfach abgewiesen. Sie haben ihn gehaßt, nicht wahr, Brian? Und keiner kann behaupten, er hätte Ihnen nicht guten Anlaß dazu gegeben.«

  Das Weinglas in Brians Hand war zersprungen. Blut quoll aus Brians Daumen, und er hielt ihn einen Moment an seinen Mund, während er Kincaid zornig ansah. »Ja, gut, ich hab ihn gehaßt. Was erwarten Sie von mir? Er war ein Schwein. Er hatte es nicht verdient, dieselbe Luft wie Claire und Lucy zu atmen. Aber ich hab ihn nicht umgebracht, falls Sie darauf hinaus wollen. Er hat mich ausgelacht, als ich ihn gebeten habe, Geoff zu helfen - hat mich behandelt wie den letzten Dreck. Damals war ich vielleicht nahe dran, aber ich hab’ ihn nicht angerührt. Warum hätte ich’s jetzt tun sollen?«

  »Dafür kann ich Ihnen zwei gute Gründe geben«, erwiderte Kincaid. »Er ist dahinter gekommen, was Geoff getrieben hat, und hat Ihnen eröffnet, daß er was unternehmen würde. Ich kann mir vorstellen, daß er dabei seine Macht gern ein bißchen genossen und sich daran geweidet hätte, Sie schmoren zu lassen. Gilbert war ein kleinlicher Tyrann, stimmt’s, Brian? Und Sie hätten ihm ein für allemal die Tour vermasseln können.«

  »Aber ich hab’s nicht ...«

  Die Küchentür flog auf. Ein mageres junges Mädchen in weißer Küchenschürze kam herein. »Kannst du mir schnell beim Gemüse helfen, Bri?« fragte sie. Dann erst bemerkte sie Kincaid und die gespannte Atmosphäre. »Oh, Entschuldigung.« Der Duft bratenden Rindfleischs stieg Kincaid in die Nase, und er schluckte unwillkürlich.

  »Ich komm’ sofort, Meghan.« Brian lächelte ihr flüchtig zu und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Kincaid, als das Mädchen in der Küche verschwand. »Superintendent, das ist doch alles Quatsch! Sie können nicht im Ernst ...«

  Jetzt wurde die Eingangstür aufgestoßen, und eine ganze Gruppe von Leuten im Sonntagsstaat drängte sich lachend herein. Kincaid sah Brian an und lächelte. »Da reserviere ich wohl jetzt besser einen Tisch, hm?« Er wußte, wann er geschlagen war.

  Wieder stand Kincaid draußen vor dem Moon, aber pappsatt diesmal. Obwohl sein voller Magen ein Mittagsschläfchen forderte, fühlte er sich ruhelos und kribbelig, als er an den Nachmittag dachte, der vor ihm lag. Er hatte einen Punkt erreicht, wo er nicht mehr wußte, was als nächstes zu tun war, aber ihm war auch klar, daß dies wachsende Gefühl der Frustration eher hemmte.

  Was er jetzt brauchte, war ein Spaziergang. Das würde ihm helfen, einen klaren Kopf zu bekommen und das bombastische Sonntagsessen zu verdauen. Nachdem er sich von einigen Stammgästen in der Bar ein paar Tips hatte geben lassen, ging er nach oben und schlüpfte in die Turnschuhe und den leichten Anorak, die er in seiner Reisetasche hatte.

  Der Westwind trieb Wolken vor sich her, aber Kincaid hielt sie nicht für ernsthaft bedrohlich. Er wählte den Weg, der durch das Dorf den Hügel hinaufführte, an Madeleine Wades geschlossenem Laden vorbei. Bald entfernte sich der Pfad von der geteerten Straße und stieg steil an. Kincaid marschierte am menschenleeren Cricket-Platz vorbei und folgte, wie man ihm geraten hatte, den Schildern, die den Greensand Way ankündigten. Etwas außer Atem erreichte er eine große Lichtung, Knotenpunkt vieler Fuß- und Wanderwege, die durch den Hurtwood führten.

  Er schlug den Greensand Way ein, folgte leichten Schrittes zunächst dem sandigen Pfad, während er seine Umgebung musterte. Gemeinhin dachte man bei dem Wort Herbst an regnerisches Grau, doch dieser Wald war eine Symphonie warmer Grün- und Brauntöne. Das Heidekraut zu beiden Seiten des Wegs war zu einem bröckeligen Braun vertrocknet, gelbes und braunes Laub bedeckte den Boden unter seinen Füßen, und der verdorrte Ginster hatte die Farbe stumpfen Kupfers. Er scheute vor dem Vergleich mit Gemmas Haar zurück, der ihm in den Sinn kam, und beschleunigte ein wenig seine Schritte.

  Bald verengte sich der Weg, und zu seiner Linken fiel das Gelände ab; durch die Lücken zwischen den Bäumen konnte er weit über das Surrey Weald bis zu den South Downs sehen.

  Er bemühte sich bewußt, die Gedanken, die ihm durch den Kopf schossen, einfach vorbeiziehen zu lassen, und konzentrierte sich in der nächsten halben Stunde einzig auf die Bewegungen seines Körpers und die steilen Anstiege, die immer häufiger zu bewältigen waren.

  Hinter einer Kurve versperrte ihm plötzlich das gewaltige Wurzelwerk eines Baums, das aus dem Felsen herauswuchs, den Weg. Er mußte so abrupt stehenbleiben, daß er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Das konnte nicht mehr der Greensand Way sein. Er mußte irgendwo ein Schild übersehen haben. Da er weder Karte noch Kompaß bei sich hatte, entschloß er sich, einfach den Pfad zurückzugehen; aber zuerst suchte er sich ein trockenes Fleckchen auf den Wurzeln und setzte sich zu einer kurzen Verschnaufpause.

  Als sein Atem sich langsam beruhigte, wurde er der tiefen Stille gewahr, nur durch Vogelgezwitscher und das gelegentliche Brummen eines Flugzeugs, das von Gatwick startete, unterbrochen. Kein Geräusch drang von den sacht schwankenden Baumwipfeln zum Waldboden hinunter, doch als von einem Ast über ihm ein Blatt herabtaumelte, hätte er schwören können, es rascheln zu hören.

  Kincaid strich mit den Fingern über die Flechten eines knorrigen Astes und fragte sich dabei, ob Alastair Gilbert sich je die Zeit genommen hatte, die Beschaffenheit einer Borke wahrzunehmen oder dem Fall von Blättern zu lauschen. Strenge Zielsetzung zum Erreichen gesellschaftlichen und beruflichen Erfolgs ließen im allgemeinen nicht viel Raum zu stiller Betrachtung.

  Er hatte sich große Mühe gegeben, seine persönliche Meinung über den Mann bei der Bearbeitung dieses Falls zurückzustellen, aber vielleicht wäre er besser vorangekommen, wenn er sich auf sein eigenes Urteil verlassen hätte. Das war schließlich der Schlüssel - was für ein Mensch Gilbert gewesen war, und welche Konsequenzen sich aus seinen Handlungen ergeben hatten. Er hatte keinen Zweifel daran, daß Gilbert von jemandem ermordet worden war, der ihn gekannt hatte; die Theorie vom einbrechenden Landstreicher hatte er nie ernsthaft in Betracht gezogen.

  Was hatte Brian Genovase gerade sagen wollen, als Meghan zur Tür hereingekommen war? Hatte Gilbert keinen Verdacht gehabt, daß Brian eine Affäre mit seiner Frau haben könnte? Bei genauerem Überlegen war jetzt Kincaid ziemlich sicher, daß Valerie Reid ihnen die richtige Richtung angegeben hatte, ganz gleich, aus welchen Motiven. Brian hatte nicht gefragt -was jeder, der sich durch Klatsch verleumdet fühlt, gefragt hätte: Wer zum Teufel hat Ihnen das erzählt?

  Aber wenn Brian und Claire ein Verhältnis hatten, und Brian Gilbert bei einer Konfrontation getötet hatte, warum war er dann so besorgt um Claire und Lucy gewesen? Kopfschüttelnd zerbröselte Kincaid kleine Borkenstücke zwischen seinen Fingern. Konnte Brian Gilbert in den wenigen Minuten töten, als er das Pub verlassen hatte, und dann auch noch die Mordwaffe verstecken? Das ganze Anwesen war allein schon wegen Claire Gilberts verschwundener Ohrringe gründlich abgesucht worden, aber eine Waffe, die Kate Lings Beschreibung entsprochen hätte, war nicht gefunden worden.

  Nein, nur wenn das Verbrechen mit Vorsatz und gründlicher Planung ausgeführt worden wäre, kämen Geoff oder Brian als Täter in Betracht. Er war jedoch sicher, daß Gilbert in einem Moment blinder Wut ermordet worden war. Es war ein Verbrechen aus Leidenschaft gewesen.

  Blieb Malcolm Reid. Wenn man annahm, daß Valerie ihn deckte, konnte man argumentieren, daß Reid die Zeit gehabt hatte, den Mord zu begehen und die Waffe sowie alle anderen belastenden Beweisstücke verschwinden zu lassen. Aber Reid schien mit seiner Frau offen über Gilberts Beschuldigungen gesprochen zu haben; was hätte er dann damit gewonnen, daß er den Mann tötete? Außerdem hatte Kincaid genau wie Gemma Schwierigkeiten, sich die beiden Reids als abgefeimte Lügner vorzustellen.

  Er hatte den kleinen Ast abgeschält, bis er nackt in seiner Hand lag, glattes Holz, aber der Wahrheit war er nicht näher gekommen. Er steckte das Holz ein, stand auf und klopfte seine Hose ab, während er langsam den Rückweg antrat. Es blieb nur eines: die Nachforschungen auf dem Papierweg zu intensivieren, jede Information, und sei sie noch so unscheinbar, noch einmal zu überprüfen.

  Erst da, als es schien, als hätte er alle Möglichkeiten erforscht, kam ihm der Gedanke. Und so wenig er ihm gefiel, er würde ihm nachgehen müssen, das wußte er.

  Als er die Lichtung erreichte, wählte er die rechte Abzweigung, in der Hoffnung, daß sie ihn zur anderen Seite des Dorfs hinunterführen würde. Wenige Minuten Marsch zeigten ihm, daß er recht hatte; der gemächlich abfallende Weg brachte ihn zu der Lichtung am Ende der schmalen Straße, in dem das Haus der Gilberts stand. Vor ihm befand sich das Gemeindehaus, noch geschmückt mit den bunten Lichtern vom Guy Fawkes-Abend. Auch das Holzpodium des Ansagers war noch da, aber die Asche des Scheiterhaufens war längst erkaltet. Der Wind trug ihm den dumpfen Geruch zu, und er schlug einen weiten Bogen um das versengte Gras.

  Resigniert kehrte er in die Pubküche zurück und fragte John und Meghan über Brians Tun am Mittwoch abend aus. Er erwartete nicht, daß sie Brians Aussage widersprechen würden, aber Vorschrift war Vorschrift.

  Meghan wischte sich das verschwitzte Gesicht mit dem Schürzenzipfel und erklärte, Brian könnte nicht länger als drei oder vier Minuten weg gewesen sein und sei pfeifend mit einem Kasten Limonade zurückgekommen. John sagte, es sei ein höllischer Abend gewesen, und ihm sei Brians Abwesenheit überhaupt nicht aufgefallen.

  Kincaid dankte ihnen und ging, da die Sonne inzwischen eindeutig untergegangen war, in die Bar, wo er sich ein Bier bestellte. Er nahm es mit hinüber in die Nische am Feuer und trank in Ruhe, während er zusah, wie langsam die Abendgäste eintrudelten. Brian ignorierte ihn demonstrativ, während John, ein großer, grauhaariger Mann, der zu Jeans und Stiefeln eine Weste trug, ihm hin und wieder einen neugierigen Blick zuwarf.

  Die Wärme des Feuers tat gut. Er streckte seine Beine unter dem Tisch aus und gab sich der angenehmen Müdigkeit hin, die sich nach ausgiebiger körperlicher Bewegung einzustellen pflegt. Während er sich nachdenklich umsah, wünschte er plötzlich, er wäre im Urlaub hier und könnte seinen Aufenthalt im Dorf und den Umgang mit seinen Bewohnern ohne Hintergedanken genießen, würde einfach um seiner selbst willen akzeptiert.

  Lächelnd über die Vergeblichkeit seines Wunsches sagte er sich, ebensogut könnte er sich einen Fall wünschen, bei dem das Opfer ein Heiliger war und alle Verdächtigen von Grund auf unsympathisch. Das würde alles soviel einfacher machen, aber Heilige wurden, seiner Erfahrung nach, selten ermordet.

  Im dichten Gedränge an der Bar bemerkte er unerwartet Lucy. Sie mußte durch die Hintertür oder von oben gekommen sein, sonst hätte er sie eintreten sehen. Sie sprach mit jemandem, und als das Gewühl sich lichtete, sah er, daß es Geoff war.

  In Jeans und einem Flanellhemd, das ihr mehrere Nummern zu groß war, wirkte sie sehr kindlich, doch während Kincaid sie beobachtete, trat sie einen Schritt näher an Geoff heran und legte ihm mit einer Geste, die provokativ und besitzergreifend zugleich wirkte, den Arm um die Mitte. Geoff sah lächelnd zu ihr hinunter, aber er berührte sie nicht. Wenig später verschwanden die beiden auf einen Zuruf von Brian in der Küche.

  Kincaid leerte sein Glas allein und ungestört und glitt zur Tür hinaus, ohne daß jemand von seinem Verschwinden Notiz nahm. Er ließ seinen Wagen am Anger stehen und ging zu Fuß durch das dunkle Dorf, den gleichen Weg nehmend wie zu Beginn seines Nachmittagsspaziergangs.

  Madeleine Wades Treppe war immer noch unbeleuchtet, aber diesmal fand er sich schon besser zurecht. Als sie ihm auf sein Klopfen öffnete, sagte er lächelnd: »Sie dürfen ruhig sagen, daß ich penetrant bin.«

  »Ich hab’ den Wein schon aufgemacht und für Sie mitgedeckt.«

  Sie trat zur Seite, um ihn einzulassen, und er sah, daß sie den kleinen Klapptisch neben dem Sofa aufgestellt und in der Tat für zwei gedeckt hatte.

  Langsam trat er näher. »Sie werden mir richtig unheimlich, Madeleine. Betätigen Sie sich jetzt auch noch als Seherin?«

  Sie zuckte die Achseln. »Nein, bestimmt nicht. Ich hatte nur heute abend so ein eigenartiges Gefühl und da hab’ ich eben beschlossen, es zu riskieren, mich lächerlich zu machen. Wenn ich mich geirrt hätte, hätte es außer mir ja sowieso keiner gemerkt, und Sie müssen zugeben, die Wirkung ist gut. Im übrigen könnte ich das gleiche von Ihnen sagen.«

  »Ich bin Ihnen unheimlich?« fragte er überrascht.

  »Ich komme mir manchmal ein bißchen vor wie das Kaninchen vor der Schlange - es ist aufregend, aber ich weiß nie, wann Sie zuschlagen werden. Kommen Sie, setzen Sie sich, dann schenke ich uns ein Glas Wein ein.«

  »Ich verspreche Ihnen, daß ich nicht gekommen bin, um zuzuschlagen«, sagte er, als er am Tisch Platz nahm. »Und da wir gerade bei den Geständnissen sind, muß ich bekennen, daß ich mich noch nicht an das Gefühl gewöhnt habe, ein offenes Buch zu sein, und ich auch nicht behaupten kann, daß es mir sonderlich behagt.«

  Diesmal hatte sie klassische Musik aufgelegt - Mozart, dachte er, ein Violinkonzert -, und auf Tisch und Fensterbrett standen brennende Kerzen.

  »Aber Sie tragen es mit Würde«, meinte sie, mit einem Tablett aus der Küche kommend. Sie stellte eine gemischte Platte auf den Tisch, füllte sein Glas und setzte sich ebenfalls.

  Kincaid stieß einen leisen Pfiff aus, als er das Etikett auf der Weinflasche las. »Den haben Sie aber nicht von Sainsbury’s.« Die Platte war genauso einladend - verschiedene Käse, Räucherlachs, frische Früchte und Kräcker. »Sie verwöhnen mich«, sagte er, das Bukett des Weins schnuppernd, ehe er den ersten Schluck trank.

  »Oh, ich glaube, da besteht wenig Aussicht. Sie werden gar nicht lange genug hier sein. Sie werden diesen Fall zum Abschluß bringen - daran habe ich keinen Zweifel.« Sie sah ihn an. »Und dann werden Sie in Ihr eigenes Leben zurückkehren und Holmbury St. Mary vergessen.«

  Einen Moment lang glaubte Kincaid, eine Spur Bedauern hinter der Erheiterung in ihrer Stimme zu hören. »Ich weiß gar nicht, ob ich neben meiner Arbeit ein eigenes Leben habe«, erwiderte er und legte eine Scheibe Lachs auf einen Kräcker. »Das ist ja eben das Problem.«

  »Aber das ist doch Ihre Entscheidung.«

  Kincaid zuckte die Achseln. »Ja, dachte ich auch. Lange schien es völlig ausreichend zu sein. Nach der Trennung von meiner Frau erschien mir alles wünschenswerter als noch einmal diese emotionalen Turbulenzen durchzumachen.«

  »Und wieso hat sich jetzt daran etwas geändert?« fragte Madeleine, während sie einen krümeligen weißen Käse auf ein Brötchen strich. »Den müssen Sie probieren. Das ist ein weißer Stilton mit Ingwer.«

  »Ich weiß es nicht.« Kincaid bedachte ihre Frage. »Im letzten Frühjahr ist eine Freundin von mir gestorben. Ich glaube, erst da ist mir klar geworden, daß ich einsam war - als ich die Lücke, die sie hinterlassen hatte, nicht schließen konnte.« Er war über sich selbst erstaunt. Diese Dinge hatte er sich bisher nicht einmal selbst klargemacht, geschweige denn mit einem anderen über sie gesprochen.

  »Ja, manchmal trifft uns der Schmerz ganz überraschend.« Madeleine hob ihr Glas und hielt es leicht geneigt in beiden Händen. An diesem Abend war sie ganz in olivgrüne Seide gekleidet, und der Wein schimmerte wie dunkles Blut vor dem Erdgrün. Kincaid hörte ihrem Ton an, daß sie aus Erfahrung sprach, aber er fragte nichts.

  Als er den Stilton gekostet hatte, sagte er: »Glauben Sie, daß Claire Gilbert um ihren Mann trauert?«

  Madeleine überlegte einen Moment. »Ich glaube, Claire hat schon vor langer Zeit um Alastair Gilbert getrauert, als sie entdeckt hat, daß er nicht der war, für den sie ihn gehalten hatte. Und ich glaube, sie hat nie aufgehört, um Stephen zu trauern. Sie hatte nicht die Zeit, es richtig zu tun, weil sie Alastair geheiratet hat, aber wir treffen häufig aus scheinbarer Notwendigkeit heraus Entscheidungen, die wir später bereuen.«

  »Haben Sie das auch getan?«

  »Öfter als mir lieb ist.« Madeleine lächelte. »Aber niemals wie Claire, weil vor der Tür die Wölfe heulten. Ich hatte nie finanzielle Sorgen. Ich kam aus einer wohlhabenden Familie und fand nach dem Studium gleich eine gutbezahlte Arbeit.« Sie nahm sich ein paar Weintrauben von der Platte. »Und Sie, Mr. Kincaid? Haben Sie Entscheidungen getroffen, die Sie bereut haben?«

  »Aus der Erfordernis des Moments heraus«, antwortete er gedämpft, praktisch ihre Worte wiederholend. Hatte sie gespürt, was ihn beschäftigte, und ihn, ahnungslos, zu diesem Thema hingeführt? »Ich würde gern sagen, es ist merkwürdig, aber ich habe langsam den Eindruck, daß nichts, wo Sie die Hand im Spiel haben, - äh - alltäglich ist.Ja, ich habe einmal eine solche Entscheidung getroffen, und Alastair Gilbert hatte mit ihr zu tun.«

  »Gilbert?« fragte Madeleine verblüfft.

  »Es ist Jahre her - es war wahrscheinlich um die Zeit, als Gilbert Claire kennenlernte. Ich war unmittelbar nach meiner Beförderung zum Inspector auf einer Fortbildung, und er war der Kursleiter.« Kincaid hielt inne, um einen Schluck Wein zu trinken. Er fragte sich, wieso er von dieser Geschichte angefangen hatte und warum er das Gefühl hatte, fortfahren zu müssen. »Es war ein zweiwöchiger Lehrgang, und über das Wochenende durften wir nach Hause fahren. An diesem Sonntag abend, gerade als ich wieder nach Hampshire abreisen wollte, sagte meine Frau zu mir, wir müßten unbedingt miteinander reden.« Wieder machte er eine kleine Pause. »Sie müssen wissen, daß das für Vic sehr ungewöhnlich war - sie war nicht der Typ, der wegen einer Kleinigkeit einen Sturm im Wasserglas entfesselte. Ich habe damals Gilbert angerufen und ihn gefragt, ob ich später zurückkommen könnte, weil ich noch eine dringende Familienangelegenheit zu klären hätte. Er sagte, er würde dafür sorgen, daß ich aus dem Kurs geworfen werde.« Er trank wieder, um die Bitterkeit hinunterzuspülen, die in ihm hochgestiegen war.

  »Ich glaube, er hatte mich bereits auf seiner schwarzen Liste, weil ich nicht versucht habe, mich bei ihm einzuschmeicheln. Und ich war damals nicht erfahren genug, um zu wissen, daß die Drohung größtenteils heiße Luft war.«

  »Also sind Sie brav hingefahren?« sagte Madeleine, als er schwieg.

  Kincaid nickte. »Und als ich danach wieder nach Hause kam, war sie weg. Heute ist mir natürlich klar, daß es früher oder später auf jeden Fall so gekommen wäre. Sie wollte den unbedingten Vorrang vor meiner Arbeit, und wenn ich an dem Sonntag damals geblieben wäre, hätte sie wieder eine Gelegenheit gesucht, um mich zu prüfen - vielleicht wenn ich gerade einen wichtigen Fall bearbeitet hätte.

  Aber lange Zeit brauchte ich einen Sündenbock, und da kam mir Alastair Gilbert gerade recht.« Er lächelte trübe. Dann nahm er einen Kräcker und bestrich ihn mit Käse.

  Madeleine füllte sein Glas auf. »Man braucht nicht Sherlock Holmes zu sein, um zu erkennen, daß außer Ihnen und den Genovases auch andere mit Gilbert eine Rechnung zu begleichen hatten. Woher wissen Sie, wo Sie anfangen sollen?«

  »Wir wissen es eben nicht. Der Mann war wie ein Virus - er hat alles infiziert, was er angefaßt hat. Wir können unmöglich jeden einzelnen aufspüren, mit dem er mal zu tun hatte.«

  »Ich spüre, wie Ihre Frustration ansteigt«, bemerkte Madeleine lächelnd. »Und das wollte ich nun gar nicht.»

  »Tut mir leid.« Er beobachtete sie, während sie sich vom Lachs nahm und ein Brötchen machte. Diese Frau machte ihn neugierig, aber er zögerte, ihre Grenzen zu erproben. Nach einem kleinen Schweigen sagte er vorsichtig: »Madeleine, gibt es eigentlich Menschen, mit denen Sie sich wirklich wohlfühlen?«

  »Wenige.« Sie seufzte. »Die Bedürftigen sind die schlimmsten, glaube ich; die, die ständig um Aufmerksamkeit betteln, um Bestätigung ihres Existenzrechts. Sie sind noch bedrängender als die Wütenden.«

  »Ist Geoff so?«

  Mit einem Kopfschütteln sagte sie: »Nein. Geoff ist keiner, der einen aussaugt - so sehe ich diese Menschen -, oder wenn er doch zu diesen Leuten gehört, holt er sich seine Sicherheit bei einigen wenigen. Bei seinem Vater und vielleicht bei Lucy.«

  Kincaid dachte an die Szene, die er in der Bar beobachtet hatte. »Madeleine, was glauben Sie, wie früher emotionaler und wahrscheinlich auch sexueller Mißbrauch sich auf die Einstellung eines jungen Mannes zur Sexualität auswirken würde?«

  »Ich bin keine Psychologin.« Sie biß in einen grünen Apfel.

  »Aber Sie besitzen eine bessere Wahrnehmungsgabe als die meisten.« Er sah sie mit einem aufmunternden Lächeln an.

  »Wenn Sie von Geoff sprechen, und das nehme ich an, da ich seine Geschichte kenne, würde ich sagen, daß es zwei mögliche Entwicklungen gibt. Er gibt den Mißbrauch weiter. Oder ...« Sie starrte ins Leere, während sie überlegte. »Er könnte Sexualität mit Versagen und Verlassenwerden assoziieren.«

  »So daß er bei einem Menschen, den er mag, niemals dieses Risiko eingehen würde?«

  »Sie sollten meine Spekulationen nicht zu ernst nehmen. Das ist reine Amateurpsychologie.« Sie schob ihren Teller weg, nahm ihr Weinglas und lehnte sich zurück.

  »Erzählen Sie mir ein bißchen was darüber, was Sie beruflich machen«, sagte Kincaid, der noch aß. »Behandeln Sie Verletzungen mit Massage?«

  »Manchmal. Es ist ja nicht nur eine Therapie zur Entspannung - sie regt das Lymphsystem des Körpers zu wirksamerer Funktion an, und das wiederum beschleunigt die Abführung von Giften und die Heilung.« Madeleine sprach ernst und sachlich, ohne die leise Erheiterung in der Stimme, die ihr, wie er vermutete, als Schutz diente.

  »Ja, das kann ich mir vorstellen. Ich hoffe, Sie sind zur Stelle, wenn ich jemals Ihre Behandlung brauchen sollte. Sie müssen Claire eine große Hilfe gewesen sein, als Sie sich diesen bösen Bruch zugezogen hatte.« Er bemerkte es wie beiläufig und hoffte, Madeleine würde von seinem schlechten Gewissen über diesen, wie er es sah, Mißbrauch ihres Vertrauens nichts merken.

  »Ja, sie hat damals ziemlich gelitten. Es ist erstaunlich, wie einem so ein alberner Schlüsselbeinbruch zusetzen kann.« Sie lächelte unbefangen.

  So sehr es ihn kribbelte, er hakte nicht nach. Es gab andere Informationsquellen, und er wollte sich Madeleines Vertrauen nicht verscherzen. »Ich hab mir als Kind auch mal das Schlüsselbein gebrochen. Ich bin von einem Stuhl gestürzt, man stelle sich das vor, aber ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern. Meine Mutter hat mir erzählt, ich hätte ihr das Leben zur Hölle gemacht. Ich wollte einfach die Schlinge nicht tragen.«

  Madeleine öffnete eine weitere Flasche, während sie sich unterhielten, und er ihr Dinge aus seiner Kindheit erzählte, an die er seit Jahren nicht mehr gedacht hatte.

  »Ich hatte Glück«, meinte er schließlich. »Ich hatte liebevolle Eltern und ein geborgenes Zuhause, in dem die Liebe zum Lernen um des Lernens willen eine große Rolle spielte. Ich sehe soviel - so viele Kinder haben nie eine Chance. Ich weiß selbst nicht, ob ich einem Kind geben könnte, was meine Eltern mir gegeben haben. Die Arbeit, die ich tue, ist dem Familienleben nicht gerade zuträglich - fragen Sie meine geschiedene Frau.« Er lachte und sah auf seine Uhr. »Was, schon so spät?«

  »Würden Sie heute wieder die gleiche Entscheidung treffen, wenn Sie zwischen einer Beziehung und Ihrer Arbeit wählen müßten?«

  Mit dem Glas in der Hand starrte er sie an.

  »Es gibt da doch jemanden, stimmt’s?« fragte Madeleine, und ihre grünen Augen ließen ihn nicht los.

  Er stellte das Glas nieder, ohne getrunken zu haben. »Gab. Ich dachte, es gäbe jemanden. Aber sie hat es sich anders überlegt.«

  »Und wie geht es Ihnen damit?«

  »Das wissen Sie doch«, antwortete er überzeugt.

  »Sagen Sie es trotzdem.«

  Er sah weg. »Ich bin stinkwütend. Ich fühle mich verraten.«

  Er fuhr sich mit der Hand über den Mund. »Es war so gut - wir haben uns gegenseitig so gutgetan. Und dann hat sie mir einfach die Tür vor der Nase zugeschlagen.« Er schüttelte den Kopf und stand auf, ein wenig unsicher. »Ich glaube, ich gehe jetzt besser, sonst kriege ich noch das heulende Elend. Ich hab’ zuviel getrunken. Ich kann nur hoffen, daß Brian sich erbarmen und einen armen Polizisten für die Nacht aufnehmen wird.«

  Mit dem letzten Rest seines Weins prostete er ihr zu. »Sie sind eine Hexe, Madeleine. Sie haben mich mit Hexerei dazu gebracht, Ihnen mein Herz auszuschütten. Ich weiß nicht, wann ich mein Gejammer das letztemal jemandem zugemutet habe - und Sie sind immer noch so rätselhaft.«

  Madeleine brachte ihn zur Tür. Bevor sie sie schloß, hob sie die Hand und berührte kurz seine Wange. »Duncan«, sagte sie, ihn zum erstenmal beim Vornamen nennend: »Es wird sich alles finden. Haben Sie Geduld.«

  Die Tür schloß sich, und Kincaid stand allein im Dunkeln.

  Brian gab ihm ein Zimmer, und als Kincaid seine Reisetasche nach oben trug, fiel ihm ein, daß er Madeleines Frage nicht beantwortet hatte. Angenommen, Gemma würde anderen Sinnes werden - würde er die gleiche Wahl treffen, wie er sie bei Vic getroffen hatte? War er überhaupt fähig, irgend etwas seiner Arbeit unterzuordnen? Würde er riskieren, sie und sich selbst zu verletzen?

  Er fiel rasch in den tiefen, aber wenig erholsamen Schlaf, den übermäßiger Alkoholgenuß bringt. Seine Träume waren beunruhigend und seltsam, und als sein Piepser in den frühen Morgenstunden losquietschte, fuhr er mit hämmerndem Herzen und pelzigem Geschmack im Mund aus dem Schlaf.

  Er tastete schlaftrunken nach dem Knopf, um den Piepser auszuschalten, und starrte blinzelnd auf die Nummer, die in Leuchtschrift erschien. Fluchend setzte er sich auf und knipste das Licht an. Was zum Teufel konnte der Yard mitten in der Nacht von ihm wollen? Eine Meldung über einen Durchbruch im Fall Gilbert wäre aus Guildford gekommen. Und was hatte ihn veranlaßt, soviel zu trinken? Das war sonst gar nicht seine Art. Er nahm sein Jackett von der Stuhllehne und klopfte auf der Suche nach seinem Handy auf die Taschen. Nichts. Er mußte es im Wagen liegen gelassen haben. Ach, verdammt!

  Im Morgenrock ging er die Treppe hinunter zum Telefon in der Nische neben der Bar. Als die Zentrale ihn mit dem diensthabenden Sergeant im Yard verbunden hatte, lauschte er mit wachsendem Entsetzen. Auf die letzte Frage des Sergeant sagte er kurz: »Nein, lassen Sie. Ich mach’ das selbst.«

  Nachdem er aufgelegt hatte, blieb er einen Moment wie betäubt stehen. Nur mit Anstrengung faßte er sich. Er sah auf seine Uhr. Wenn er sofort losfuhr, konnte er bei Tagesanbruch in London sein.