* 7

 

Gereizt schob Kincaid die Akten auf seinem Schreibtisch wieder zusammen und fuhr sich mit den Fingern durch das Haar, bis es wie ein Hahnenkamm in die Höhe stand. Der späte Sonntagnachmittag, wenn sich im Yard kaum etwas tat, war normalerweise die ideale Zeit, um den liegengebliebenen Papierkram zu erledigen, doch heute konnte er sich einfach nicht konzentrieren. Er streckte sich und sah auf seine Uhr - fünf vorbei - und merkte plötzlich, wie hungrig er war. Er hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Rasch warf er die Berichte, die er geschafft hatte, in den Ausgangskorb und nahm seine Jacke vom Haken.

  Er würde nach Hause fahren, nach Sid sehen, ein paar frische Sachen einpacken, sich vielleicht beim Chinesen etwas zu essen holen. Doch diese Planungen konnten die innere Ruhelosigkeit, die ihn quälte, seit er das Pfarrhaus verlassen hatte und nach London zurückgefahren war, nicht vertreiben. Wieder stieg Julias Bild vor ihm auf. Ihr Gesicht war jünger, weicher, aber bleich unter dem dunklen, fieberfeuchten Haar, und sie warf sich ungetröstet in dem weißen Krankenbett hin und her.

  Er hätte gern gewußt, wieviel politischen Einfluß die Ashertons tatsächlich besaßen, und wie vorsichtig er sein mußte.

  Erst als er seinen Wagen aus der Garage von Scotland Yard in die Caxton Street hinauslenkte, dachte er daran, Gemma noch einmal anzurufen. Er hatte im Lauf des Nachmittags mehrmals versucht, sie zu erreichen, jedoch ohne Erfolg, obwohl sie ihre Gespräche im Coliseum schon vor Stunden abgeschlossen haben mußte. Er warf einen nachdenklichen Blick auf sein Autotelefon, hob jedoch nicht ab, sondern fuhr, nachdem er den St. James’s Park umrundet hatte, automatisch Richtung Islington. Gemma war nun schon seit Wochen in ihrer neuen Wohnung, und die halb verlegene Begeisterung, mit der sie von ihr sprach, hatte ihn neugierig gemacht. Er würde einfach mal dort vorbeifahren; vielleicht erwischte er sie ja.

  Als er sich erinnerte, wie sorgfältig sie es vermieden hatte, ihn in ihr Haus in Leyton einzuladen, schob er den Gedanken einfach beiseite.

  Als er aus dem Wagen gestiegen war, musterte er einen Moment das Haus, eine alleinstehende viktorianische Villa aus glattem honigfarbenem Stein. In den beiden Erkerfenstern fing sich die Sonne des späten Nachmittags, ein schmiedeeiserner Zaun umgab den gepflegten Garten. Von der Treppe aus beobachteten ihn zwei schwarze Hunde mit wacher Aufmerksamkeit. Sich Gemmas Beschreibung erinnernd, folgte er dem Gartenzaun um die Ecke.

  Das Garagentor war ebenso wie die kleinere Tür links von ihm in einem leuchtenden Narzissengelb gestrichen. Das kleine Schild mit der schwarzen Ziffer 2 bestätigten ihm, daß er hier richtig war. Er klopfte, und als sich nichts rührte, setzte er sich, entschlossen zu warten, auf die Stufe, die zum Garten hinaufführte, und lehnte sich an die Eisenstangen des schmalen Türchens.

  Er hörte ihren Wagen, noch ehe er ihn sah. »Sie bekommen einen Strafzettel, wenn Sie da parken«, sagte er, als sie die Tür öffnete.

  »Bestimmt nicht. Ich blockier ja nur meine eigene Garage. Was tun Sie denn hier, Chef?«

  Sie löste Tobys Sicherheitsgurt, und sofort kletterte er mit Freudengeschrei über sie hinweg.

  »So ein freundlicher Empfang tut doch gut«, meinte Kincaid, als Toby ihm entgegenrannte. Er nahm den kleinen Jungen auf den Arm und zauste ihm das glatte blonde Haar. »Ich hab das Gefühl, Ihr Motor fängt ein bißchen an zu klopfen«, bemerkte er zu Gemma, die gerade noch ihren Wagen absperrte.

  Sie schnitt eine Grimasse. »Erinnern sie mich nicht daran. Jedenfalls nicht gerade jetzt.« Einen Moment standen sie sich verlegen gegenüber, Gemma mit einem Strauß pinkfarbener Rosen in der Hand, und als das Schweigen sich in die Länge zog, wurde ihm immer unbehaglicher.

  Wieso hatte er geglaubt, er konnte ihre so sorgsam errichteten Barrieren konsequenzlos einreißen? Sein Eindringen stand jetzt wie eine Mauer zwischen ihnen. Er sagte: »Tut mir leid. Ich komme nicht mit rein. Ich konnte Sie nur den ganzen Nachmittag nicht erreichen und wollte irgendwie mit Ihnen Kontakt aufnehmen.« Aus einem Gefühl, Wiedergutmachung leisten zu müssen, fügte er hinzu: »Wie wär’s, wenn ich Sie und Toby zum Essen einlade?«

  »Ach, hören Sie doch auf!« Sie kramte in ihrer Handtasche nach den Schlüsseln. »Natürlich kommen Sie mit rein.« Sie sperrte die Tür auf und trat mit einem Lächeln zurück. Toby rannte ihnen stürmisch voraus. »Da sind wir«, sagte sie, als sie hinter ihm eintrat.

  Ihre Kleider hingen an einer Kleiderstange neben der Tür. Flüchtig roch er das blumige Parfüm, das sie im allgemeinen benützte. In aller Ruhe sah er sich um. Die Schlichtheit überraschte ihn einerseits, andererseits jedoch auch wieder nicht. »Die Wohnung paßt zu Ihnen«, sagte er schließlich. »Sie gefallt mir.«

  Wie erlöst ging Gemma, die bis dahin gespannt dagestanden hatte, durch das Zimmer zu der kleinen Kochnische und füllte eine Vase mit Wasser. »Mir auch. Und Toby, glaube ich, auch«, erwiderte sie mit einem Blick zu ihrem Sohn, der eifrig die Schubladen einer unter dem Gartenfenster eingebauten Kommode aufzog. »Aber meine Mutter hat mir heut nachmittag wieder mal kräftig die Leviten gelesen. Sie findet die Wohnung für ein Kind völlig ungeeignet.«

  »Im Gegenteil«, meinte er, während er langsam durch den Raum ging, um sich alles näher anzusehen. »Es hat doch fast etwas von einem Puppenhaus. Oder einer Schiffskabine, wo jedes Ding seinen festen Platz hat.«

  Gemma lachte. »Ich hab ihr gesagt, daß es meinem Großvater bestimmt gefallen hätte. Er war bei der Marine.« Sie trat zum Couchtisch und stellte die Vase mit den Rosen darauf, einziger Farbtupfer im Schwarz und Grau des Raums.

  »Rot wäre doch eigentlich die naheliegende Wahl gewesen«, bemerkte er lächelnd.

  »Zu langweilig.« Zwei Baumwollhöschen, ein wenig verwaschen und mit etwas ausgefranstem Gummizug, hingen über dem Heizkörper. Errötend zog Gemma sie weg und stopfte sie in eine Schublade neben dem Bett. Sie machte Licht und ließ die Jalousien herunter. »Ich zieh mich nur rasch um.«

  »Wollen wir nicht doch essen gehen?« Er hatte immer noch das Gefühl, etwas wiedergutmachen zu müssen. »Es sei denn, Sie haben schon andere Pläne«, fügte er hinzu. »Oder wir könnten auch bei einem Glas Wein die neuesten Informationen austauschen, und dann zieh ich wieder Leine.«

  Einen Moment stand sie unschlüssig, die Jacke in der einen Hand, den Bügel in der anderen, und sah sich im Zimmer um, als erwäge sie die Möglichkeiten. »Nein. Gleich um die Ecke ist ein Supermarkt, der rund um die Uhr geöffnet ist. Wir kaufen ein paar Sachen ein und kochen uns etwas.« Mit plötzlicher Entschlossenheit hängte sie ihre Jacke auf, zog dann Jeans und einen Pullover aus einer niedrigen Kommode unter der Kleiderstange.

  »Hier?« fragte er mit einem zweifelnden Blick zur Küche.

  »Sie Feigling! Man braucht nur ein bißchen Übung. Sie werden schon sehen.«

  »Die Sache hat natürlich ihre Grenzen«, gab Gemma zu, als sie noch einen Stuhl an den halbmondförmigen Tisch stellte. »Aber man lernt, sich anzupassen. Und ich hab ja sowieso nicht viel Zeit für große kulinarische Launen.« Mit leicht herausforderndem Blick sah sie Kincaid an, als sie ihm sein Weinglas reichte.

  »Tja, das ist das Polizistenleben. Von mir können Sie keine Anteilnahme erwarten«, versetzte er lächelnd, obwohl er in Wahrheit größte Hochachtung vor ihr hatte. Die Arbeit bei der Kriminalpolizei mit ihren langen, unregelmäßigen Arbeitszeiten war für eine alleinerziehende Mutter ein äußerst harter Job, und er bewunderte Gemma dafür, wie sie ihr Leben meisterte. Aber es war nicht sonderlich ratsam, sein Mitgefühl zu zeigen; sie ging sofort in die Luft, wenn sie das Gefühl hatte, Sonderbehandlung zu genießen.

  »Prost!« Er hob sein Glas. »Auf Ihre Anpassungsfähigkeit!«

  Sie machten Spaghetti mit einer etwas verfeinerten Fertigsoße. Dazu gab es grünen Salat, frisches Baguette und eine Flasche ganz anständigen Rotwein - nicht übel für eine Küche von der Größe eines Besenschranks.

  »Oh, warten Sie! Beinah hätt ich’s vergessen.« Gemma sprang auf, kramte in ihrer Handtasche und brachte eine Kassette zum Vorschein. Sie schob sie in den Recorder und sagte, als sie wieder an den Tisch kam: »Das ist Caroline Stowe. Sie singt die Violetta in La Traviata. Es ist die letzte Aufnahme, die sie gemacht hat.«

  Kincaid lauschte den sanften, beinahe melancholischen Klängen der Ouvertüre. Als sie zu Ende ging, hatte er Gemma von seiner Begegnung mit Sharon Doyle und seiner Unterhaltung mit Trevor Simons und dem Pastor berichtet, und Gemma ihrerseits hatte von ihren Gesprächen im Coliseum erzählt. Sie hatte mit der für sie üblichen Aufmerksamkeit für das Detail gearbeitet, doch ihr Bericht enthielt eine besondere Note, verriet ein Interesse, das über die Grenzen des Falls hinausreichte.

  »Das ist das Trinklied«, bemerkte sie bei einem Umschwung der Musik. »Alfredo singt vor seiner Begegnung mit Violetta von seinem unbeschwerten Leben.« Toby knallte seine Tasse im Takt mit den heiteren Klängen auf den Tisch. »Jetzt hören Sie genau hin«, sagte Gemma leise. »Das ist Violetta.«

  Die Stimme war dunkler, voller, als er erwartet hatte, und schon bei den ersten Tönen konnte er ihre emotionale Kraft spüren. Er betrachtete Gemma, die ganz versunken zu sein schien. »Das scheint Sie ja sehr zu berühren.«

  Gemma trank einen Schluck Wein, dann sagte sie langsam: »Ja, irgendwie schon. Ich hätte es nie gedacht. Aber irgendwas ...« Sie senkte den Kopf und neigte sich über Tobys Teller, um ihm die Spaghetti kleiner zu schneiden.

  »Ich glaube, ich habe noch nie erlebt, daß Ihnen die Worte fehlen, Gemma«, bemerkte Kincaid leicht erheitert. »Sie sind doch sonst so schlagfertig. Was ist denn?«

  Sie sah ihn an und schob sich eine Strähne kupferroten Haars aus dem Gesicht. »Ich weiß es auch nicht. Ich kann es nicht erklären«, antwortete sie und drückte dabei mit einer Geste, die beredter war als alle Worte, ihre Hand auf ihre Brust.

  »Haben Sie sich die erst heute gekauft?« fragte er mit einem Blick auf den Kassettendeckel, von dem ihm eine jüngere Caroline Stowe entgegensah, deren zierliche Schönheit durch das Üppige Kostüm akzentuiert wurde.

  »Ja, im ENO-Laden.«

  Er lachte. »Und jetzt sind Sie bekehrt, wieso? Wissen Sie was - die Vernehmung von Caroline Stowe machen Sie morgen. Wir brauchen ja immer noch detailliertere Angaben darüber, was sie am Donnerstag getan hat. Da können Sie dann Ihre Neugier befriedigen.«

  »Und was ist mit der Autopsie?« fragte sie, während sie Toby die Hände mit einem feuchten Tuch abwischte. »Ich dachte, ich sollte mitkommen.« Sie gab Toby, der aufgestanden war, einen Klaps auf den Po und sagte leise: »Ab in die Heia, Schatz.«

  »Ich mach das diesmal allein«, versetzte Kincaid. »Sie bleiben in der Stadt und sprechen mit diesem Tommy Godwin. Danach kommen Sie raus und nehmen sich Dame Caroline vor.«

  Sie öffnete den Mund, als wollte sie protestieren, überlegte es sich dann aber anders und senkte den Blick zu ihrem Teller, um mit ihrer Gabel ein paar Salatblättchen aufzuspießen. Kincaid, der wußte, daß sie es als Ehrensache betrachtete, ihn zu begleiten, wenn er einer Autopsie beiwohnen mußte, war überrascht, daß sie sich so bereitwillig fügte.

  »Ich habe die Kollegen von Thames Valley auf Kenneth Hicks angesetzt«, bemerkte er und goß noch einen Schluck Wein in sein Glas.

  »Den Buchmachergehilfen? Weshalb sollte der die Gans getötet haben, die ihm die goldenen Eier gelegt hat? Jetzt bekommen sie doch keinen Penny mehr von Connor Swann.«

  Kincaid zuckte die Achseln. »Vielleicht wollten sie an ihm ein Exempel statuieren, so nach dem Motto - das blüht jedem, der nicht zahlt.«

  Gemma schob ihren leeren Teller weg, nahm sich noch eine Scheibe Brot und bestrich sie geistesabwesend mit Butter. »Aber er hat doch regelmäßig seine Schulden beglichen. Einen besseren Kunden hätte sich ein Buchmacher nicht wünschen können.«

  »Vielleicht gab es Streit wegen einer Zahlung. Vielleicht hat Connor herausbekommen, daß Kenneth in die eigene Tasche gearbeitet hat, und hat gedroht, seinem Chef Bescheid zu sagen.«

  »Aber das wissen wir nicht.« Gemma stand auf und begann das Geschirr zusammenzuräumen. »Im Grunde wissen wir fast gar nichts.« Sie stellte den Stapel Teller noch einmal nieder und ^ zählte an ihren Fingern ab: »Uns fehlen detaillierte Informationen darüber, wie Connor Swann den fraglichen Tag verbracht hat. Wir wissen, daß er mit seinen Schwiegereltern zu Mittag gegessen hat und mit jemandem verabredet war, aber :• wir wissen nicht, mit wem. Warum ist er nach London gefahren? Bei wem war er im Coliseum? Wohin ist er an dem Abend noch gegangen, nachdem er aus London zurückgekommen war? Mit wem hat er sich da getroffen?«

  Kincaid lächelte. »Naja, da wissen wir wenigstens, wo wir suchen und den Anfang machen müssen«, meinte er, erleichtert über die Rückkehr ihrer gewohnten Aggressivität.

  Nachdem Gemma Toby zu Bett gebracht hatte, wollte Kincaid ihr beim Abspülen helfen, aber die Küche war für zwei zu klein. »Wie die Sardinen«, meinte Kincaid, als er sich hinter ihr vorbeidrängte, um das Brot wegzupacken. Sie reichte ihm gerade bis unter das Kinn, und er wurde sich plötzlich der Wärme ihres Körpers bewußt, wie leicht es wäre, ihr die Hände auf die Schultern zu legen und sie an sich zu drücken. Ihr Haar kitzelte ihn an der Nase, und er trat einen Schritt zurück, um zu niesen.

  Gemma drehte sich herum und warf ihm einen Blick zu, den er nicht deuten konnte, dann sagte sie forsch: »Probieren Sie doch den Sessel aus, während ich hier fertigmache.«

  Mit einem mißtrauischen Blick auf das edle Stück aus Chrom und Leder fragte Kincaid: »Ist das auch wirklich kein Folterinstrument? Oder eine Skulptur?« Doch als er sich vorsichtig in den Sessel hinuntergelassen hatte, stellte er fest, daß er äußerst bequem war.

  Gemma, die sein Gesicht sah, lachte. »Sie sehen, Sie können mir vertrauen.«

  Als sie in der Küche fertig war, zog sie einen der Stühle vom Eßtisch näher zu seinem Sessel, und sie plauderten locker und ungezwungen, während sie den Rest des Weins tranken. Er fühlte sich wohl, frei von der nervösen Spannung, die ihn zuvor gequält hatte, und hatte überhaupt keine Lust, sich aus dem Sessel zu erheben und nach Hause zu fahren. Aber als er sah, wie sie krampfhaft ein Gähnen unterdrückte, sagte er: »Wir müssen morgen beide früh raus. Es ist besser, ich gehe jetzt.« Sie versuchte nicht, ihn aufzuhalten.

  Erst auf der Heimfahrt wurde ihm bewußt, daß er ihr von Sharon Doyles Beschuldigungen gegen Julia Swann nichts erzählt hatte. Hysterie, dachte er achselzuckend. Der Wiederholung nicht wert.

  Eine feine Stimme erinnerte ihn daran, daß er ihr auch von Julias Krankheit nach dem Tod ihres Bruders nichts erzählt hatte. Seine einzige Entschuldigung für diese Unterlassung war, daß es ihm auf unerklärliche Weise wie Verrat vorgekommen wäre, die Geschichte des Pastors weiterzugeben.

 

Nach ihrer Bekanntschaft mit dem Bühnenhaus des Coliseum hätte Gemma eigentlich auf das Lilian-Baylis-Haus vorbereitet sein müssen, doch Alisons Beschreibung hatte sie in die Irre geführt. »Ein großes altes Haus. Es ist ein bißchen schwierig zu erreichen. Früher war es das Aufnahmestudio einer Schallplattenfirma.« Daraufhin hatte sich Gemma ein vornehmes altes Gebäude in einem großen Garten vorgestellt, in dem noch die Geister ehemaliger Rockstars spukten.

  >Ein bißchen schwer zu erreichen, hatte sich als drastische Untertreibung erwiesen. Nicht einmal ihr eselsohriger Stadtplan von London konnte verhindern, daß sie zu ihrem Termin mit Tommy Godwin eine halbe Stunde zu spät kam - gehetzt, mit wirrem Haar und heftig keuchend nach einem Dreihundertmetersprint von dem einzigen Parkplatz, den sie hatte auftreiben können.

  Dank dem dunkelblauen Schild mit dem ENO-Logo in Weiß war das Haus leicht zu erkennen, und das war gut so, da es mit Gemmas Phantasievorstellung nicht die geringste Ähnlichkeit hatte. Ein vierschrötiger Kasten aus rußgeschwärztem roten Backstein, eingezwängt zwischen einer Reinigungsfirma und einer Autowerkstatt in einer geschäftigen Einkaufsstraße, die von der Finch Road abging.

  Sie verscheuchte den Gedanken, daß sie sich vielleicht nicht so hoffnungslos verfranst hätte, wenn sie sich aufs Fahren konzentriert hätte, anstatt an Kincaids Besuch vom vergangenen Abend zu denken. Hastig strich sie sich einmal über das Haar und zog die Tür auf.

  Ein Mann lehnte am Türpfosten des kleinen Empfangsraums und schwatzte mit einer jungen Frau injeans. »Ah«, sagte er, sich aufrichtend, als Gemma hereinkam, »ich sehe, wir können es uns nun doch sparen, Ihre Kollegen nach Ihnen fahnden zu lassen, Sergeant. Sie sind doch Sergeant James, nicht?« Über seine lange Nase hinweg musterte er sie, als wollte er sich vergewissern, daß er sich nicht geirrt hatte. »Mir scheint, Sie hatten einige Mühe, uns zu finden.« Als die junge Frau Gemma ein Klemmbrett reichte, auf dem ein Anmeldeformular befestigt war, sah er sie kopfschüttelnd an. »Sie hätten sie wirklich warnen sollen, Sheila. Nicht einmal von Londons Elitepolizei kann man erwarten, daß sie sich in der Wildnis nördlich der Finchley Road auf Anhieb zurechtfindet.«

  »Ja, es war ziemlich scheußlich«, bestätigte Gemma. »Ich wußte zwar, wo Sie sind, aber ich hab’s einfach nicht geschafft, von hier nach dort zu kommen. Ich weiß eigentlich immer noch nicht, wie es mir geglückt ist.«

  »Na, Sie werden sicherlich erst mal die Nase pudern wollen«, sagte er, »ehe Sie mich durch den Wolf drehen. Ich bin übrigens Tommy Godwin.«

  »Das dachte ich mir schon«, gab Gemma zurück und floh dankbar in die Toilette. Hinter der geschlossenen Tür betrachtete sie sich recht niedergeschmettert im schmutzigen Spiegel. Ihr dunkelblaues Kostüm wirkte wie aus einem Ramschladen neben Tommy Godwins lässiger Eleganz. Alles an diesem Mann, vom rohseidenen Jackett bis zum Glanz seiner handgefertigten Slippers verriet Geschmack und Geld. Selbst seinem hellen, von leichtem Grau durchzogenen Haar sah man es an, daß er zu einem teuren Friseur ging, und sein langer, dünner Körper eignete sich vorzüglich, das Flair eleganter Nonchalance zur Geltung zu bringen. Da kam man mit ein paar Bürstenstrichen und nachgezogenen Lippen wohl kaum dagegen an, doch Gemma tat ihr Bestes, straffte ihre Schultern und ging hinaus, um das Gespräch anzupacken.

  Er stand so lässig wie zuvor an der Rezeption. »Nun, Sergeant, haben Sie sich ein wenig erholt?«

  »Danke, ja. Können wir uns hier irgendwo unterhalten?«

  »Wenn wir Glück haben, gönnt man uns vielleicht fünf ungestörte Minuten in meinem Büro. Die Treppe hinauf, bitte.« Er legte ihr leicht die Hand auf den Rücken, als wollte er sie vorwärtsschieben, und Gemma hatte das Gefühl, wieder ausmanövriert worden zu sein. »Offiziell ist das hier das Einkaufsbüro«, fuhr er fort, als er sie oben durch eine Tür führte, »aber wir benützen es alle. Wie Sie wohl sehen.«

  Nirgends in dem kleinen Raum schien es eine freie Fläche zu geben - Papiere und Kostümskizzen stapelten sich auf den Arbeitstischen, Stoffballen lehnten wie alte Säufer, die sich gegenseitig stützen müssen, an den Wänden, und in den Regalen reihten sich zahllose große, schwarz eingebundene Bücher. »Die Bibeln«, bemerkte Godwin, als er ihren Blick sah. Lächelnd angesichts ihrer Verblüffung fügte er hinzu: »So nennen wir die Bücher. Schauen Sie.« Er fuhr mit dem Finger die Buchrücken entlang, zog dann eines der Bücher heraus und schlug es auf dem Arbeitstisch auf. »Kurt Weills Street Scene. Jede Inszenierung im Repertoire hat ihre eigene Bibel, und solange diese Inszenierung auf die Bühne kommt, hält man sich bis ins kleinste Detail an die Bibel.«

  Unter Gemmas fasziniertem Blick blätterte er das Buch langsam durch. Die ausführlichen Beschreibungen von Bühnenbildern und Kostümen waren von kolorierten Skizzen begleitet, und zu jedem Kostüm waren die entsprechenden Stoffmuster eingeklebt. Sie berührte das Fetzchen roten Satins, das neben einem weiten, gebauschten Rock leuchtete. »Ich dachte immer - ich dachte, jedesmal, wenn eine Oper aufgeführt wird, ist es was Neues.«

  »O nein, durchaus nicht. Inszenierungen bleiben manchmal bis zu zehn oder fünfzehn Jahren im Repertoire und werden oft an andere Bühnen ausgeliehen. Diese Inszenierung hier zum Beispiel« - er tippte auf das Buch - »ist ein paar Jahre alt, aber wenn sie nächstes Jahr in Mailand oder Santa Fe gebracht werden sollte, muß der dortige Kostümier dafür sorgen, daß genau dieser Stoff verwendet wird, wenn möglich sogar vom selben Farbmuster.« Behutsam klappte er das Buch zu, setzte sich auf einen Hocker und schlug die Beine in der perfekt gebügelten Hose übereinander. »Es gibt ein paar neue Regisseure, die darauf bestehen, daß eine Inszenierung von ihnen nur unter ihrer Leitung gespielt werden darf, ganz gleich, wo. Emporkömmlinge!«

  Gemma riß sich aus ihrer Faszination und kam entschlossen zur Sache. »Mr. Godwin, wie ich hörte, waren Sie bei der Aufführung am letzten Donnerstag abend im Coliseum.«

  »Aha, jetzt kommen wir zum Thema, wie, Sergeant?« Mit gespielter Enttäuschung schüttelte er den Kopf. »Nun ja, was sein muß, muß sein. Ja, ich war auf einen Sprung dort. Es ist eine neue Inszenierung. Da seh ich immer gern mal nach dem Rechten. Kostüme müssen sitzen, sonst wirken sie nicht.«

  »Und ist es auch Ihre Gewohnheit, nach der Vorstellung Sir Gerald Asherton aufzusuchen?«

  »Aha, ich sehe schon, Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht, Sergeant.« Godwin lächelte strahlend, als wäre er stolz auf ihre Klugheit. »Gerald war an dem Abend in besonders guter Form - ich fand es nur recht und billig, ihm das zu sagen.«

  Zunehmend gereizt von Tommy Godwins Verhalten, sagte Gemma: »Sir, ich bin, wie Sie wohl wissen, wegen des Todes von Sir Geralds Schwiegersohn hier. Soviel ich weiß, kennen Sie die Familie seit Jahren, und ich muß sagen, unter den gegebenen Umständen finde ich Ihre Haltung etwas sehr lässig, oder sind Sie da anderer Meinung?«

  Einen Moment lang sah er sie scharf an, dann erschien wieder das unbekümmerte Lächeln. »Ich verdiene es sicher, wegen meines mangelnden Bedauerns zurechtgewiesen zu werden, Sergeant«, sagte er und schnalzte einmal kurz mit der Zunge. »Ich kenne Gerald und Caroline praktisch, seit wir noch in den Windeln waren.« Als er Gemmas Ungläubigkeit sah, zog er eine Augenbraue hoch. »Naja, zumindest in Julias Fall trifft das im wahrsten Sinne des Wortes zu. Ich war damals ein kleiner Piefke, Assistent des Kostümschneiders. Heutzutage braucht man drei Jahre an der Schule für Design, um sich für diesen Job zu qualifizieren, aber damals sind die meisten von uns einfach irgendwie hineingestolpert. Meine Mutter war Schneiderin - mit zehn Jahren kannte ich eine Nähmaschine in- und auswendig.«

  Wenn das wirklich zutraf, sagte sich Gemma, konnte man nur bewundern, welchen Schliff er sich im Lauf der Jahre zugelegt hatte.

  Er bemerkte ihre Überraschung und sagte mit diesem Lächeln, das nicht totzukriegen war: »Ich habe außerdem ein starkes Nachahmungstalent, Sergeant, das ich mir zunutze gemacht habe.

  Die kleinen Gehilfen der Schneiderwerkstatt haben natürlich bei den Anproben der Stars nichts zu suchen, aber manchmal dürfen sie die weniger prominenten betreuen, die Sterne, die nicht mehr so hell leuchten, und die, die erst aufgehen. Caro war damals noch eine Anfängerin, ihr phantastisches Talent war noch nicht voll ausgebildet, aber sie hatte ein hohes Potential. Gerald entdeckte sie im Chor und hat sie protegiert. Er ist dreizehn Jahre älter als sie - wußten Sie das, Sergeant?« Godwin neigte den Kopf ein wenig zur Seite und musterte sie kritisch, als wollte er sich vergewissern, daß er die volle Aufmerksamkeit seiner Schülerin hatte. »Er hatte einen Ruf, auf den er Rücksicht nehmen mußte, und - ach Gott, war das damals ein Getuschel und Gezischel, als er sie geheiratet hat.«

  »Aber ich dachte -«

  »Oh, daran erinnert sich heute natürlich keiner mehr. Das ist alles eine Ewigkeit her.«

  Der Anflug von Müdigkeit in seiner Stimme weckte ihre Neugier. »Und so haben Sie Dame Caroline kennengelernt, bei der Anprobe?«

  »Sehr scharfsichtig bemerkt, Sergeant. Caro hatte Gerald inzwischen geheiratet und Julia geboren. Manchmal brachte sie Julia zu den Anproben mit - alle waren natürlich hingerissen - aber selbst damals dachte Julia gar nicht daran, sich beeindruckt zu zeigen.«

  »Beeindruckt wovon, Mr. Godwin? Ich kann Ihnen da nicht ganz folgen.«

  »Na, von der Musik im allgemeinen und von der ganzen überdimensionalen Glitzerwelt der Oper im besonderen.« Er glitt vom Hocker und ging zum Fenster. Die Hände in den Hosentaschen, blieb er stehen und blickte zur Straße hinunter. »Es ist wie ein Bazillus oder ein Virus, und ich glaube, manche Menschen haben eine Veranlagung, ihn sich einzufangen. Vielleicht ist es Vererbung.« Er drehte sich herum und sah sie an. »Was meinen Sie, Sergeant?«

  Gemma blätterte in den Kostümskizzen, die lose auf dem Tisch lagen, und erinnerte sich ihrer Verzauberung, als sie zum erstenmal das Finale der Traviata gehört hatte. »Diese - Veranlagung hat mit Erziehung nichts zu tun?«

  »In meinem Fall gewiß nicht. Obwohl meine Mutter während des Krieges eine gewisse Vorliebe für Tanzorchester hatte.« Die Hände noch immer in den Hosentaschen, machte er anmutig einen kleinen Tanzschritt und sah Gemma dann an. »Ich habe mir immer vorgestellt, daß ich nach einem Tanzabend mit Glen Miller oder Benny Goodman gezeugt worden bin«, fügte er mit leichtem Spott hinzu. »Was Caroline und Gerald angeht, so vermute ich, ihnen ist niemals der Gedanke gekommen, daß Julia ihre Sprache nicht sprechen würde.«

  »Und Matthew?«

  »Oh, Matty - das war etwas ganz anderes.« Noch während er sprach, wandte er sich wieder ab. Dann schwieg er abrupt, den Blick zum Fenster hinausgerichtet.

  Wieso, fragte sich Gemma, stoße ich jedesmal, wenn ich das Gespräch auf Matthew Asherton bringe, auf diese steinerne Mauer? Sie erinnerte sich an Vivian Plumleys Worte >darüber sprechen wir nicht< und meinte, ein Zeitraum von zwanzig Jahren hätte die Wunden eigentlich heilen lassen müssen.

  »Nachdem Caro sich zurückgezogen hatte, verlor alles irgendwie an Glanz«, sagte Godwin leise. Er wandte sich Gemma zu. »Sagt man nicht so, Sergeant, daß man die besten Zeiten seines Lebens erst in der Rückschau erkennt?«

  »Das weiß ich nicht, Sir. Mir erscheint das ein wenig zynisch.«

  »Oh, aber Sie haben sich widersprochen, Sergeant. Ich sehe Ihnen an, daß Sie eine Meinung haben.«

  »Mr. Godwin«, entgegnete Gemma scharf, »meine Meinung tut hier nichts zur Sache. Worüber haben Sie und Sir Gerald am letzten Donnerstag abend miteinander gesprochen?«

  »Ach, es war eigentlich nur das übliche oberflächliche Geplauder. Um ehrlich zu sein, ich kann mich nicht erinnern. Ich war höchstens fünf oder zehn Minuten bei ihm.« Er kehrte zu dem Hocker zurück und lehnte sich an ihn. »Warum setzen Sie sich nicht, Sergeant? Ich möchte nicht, daß Sie sich später über meine Unhöflichkeit beschweren.«

  Gemma blieb entschlossen stehen, wo sie stand, den Rücken an den Arbeitstisch gelehnt. Sie fand dieses Gespräch schwierig genug und hatte nicht die geringste Lust, es in Augenhöhe mit Tommy Godwins eleganter Gürtelschließe fortzusetzen. »Ich stehe sehr gut, Sir. Wirkte Sir Gerald irgendwie erregt oder benahm er sich ungewöhnlich?«

  Sie über seine lange Nase hinweg anblickend, sagte er mit leichtem Sarkasmus: »Sie meinen, ob er vielleicht mit einem Lampenschirm auf dem Kopf im Zimmer herumgetanzt ist? Ich muß Sie enttäuschen, Sergeant, er wirkte völlig normal. Ein bißchen aufgedreht noch von der Vorstellung, aber das ist nur zu erwarten.«

  »Hatte er getrunken?«

  »Ja, wir haben ein Glas getrunken. Gerald hat in seiner Garderobe immer eine Flasche guten Whisky für Besucher, aber betrunken habe ich ihn nie erlebt. Der Donnerstag abend war da keine Ausnahme.«

  »Und nach Ihrem Besuch bei Sir Gerald haben Sie das Theater wieder verlassen, Mr. Godwin?«

  »Nein, nicht direkt. Ich war noch auf einen Sprung in den Garderoben.« Die losen Münzen in seiner Hosentasche klimperten leise, als er sein Gewicht auf das andere Bein verlagerte.

  »Wie lange, Sir? Fünf Minuten? Zehn Minuten? Erinnern Sie sich, wann Sie sich bei Danny abgemeldet haben?«

  »Ich habe mich gar nicht abgemeldet, Sergeant.« Er senkte den Kopf wie ein schuldbewußter Schuljunge. »Weil ich mich nämlich auch nicht angemeldet hatte, und das wird gar nicht gern gesehen.«

  »Sie hatten sich nicht angemeldet? Aber ich dachte, das sei Pflicht für jeden.«

  »Ist es auch. In der Theorie. Aber das Theater ist kein Gefängnisjunge Frau. Ich muß zugeben, ich war nicht unbedingt geselliger Stimmung, als ich Donnerstag abend ankam. Die Vorstellung hatte schon angefangen, als ich durchs Foyer hereinkam, da hab ich eben einer der Platzanweiserinnen freundlich zugezwinkert und mich hinten hineingestellt.« Er warf Gemma einen lächelnden Blick zu, dann hob ereinen Ballen schottisch karierten Satins vom Tisch und strich mit einer Hand über den Stoff. »Das macht sich sicher sehr gut für die Lucia -«

  »Mr. Godwin! Tommy!« Als Gemma plötzlich seinen Vornamen gebrauchte, wurde er aufmerksam und unterbrach sich in seinem oberflächlichen Geplauder. »Was haben Sie getan, als die Vorstellung zu Ende war?«

  »Das habe ich Ihnen doch schon gesagt, ich bin direkt zu Gerald -« Er brach ab, als Gemma den Kopf schüttelte. »Ach so, jetzt verstehe ich, worauf Sie hinauswollen. Sie meinen, wie bin ich in Geralds Garderobe gekommen? Das ist ganz einfach, wenn man sich in diesem Labyrinth auskennt, Sergeant. Im Zuschauerraum ist eine Tür, die zur Bühne führt, aber sie ist natürlich nicht gekennzeichnet, und ich bin sicher, die meisten Zuschauer bemerken sie nicht einmal.«

  »Und auf demselben Weg sind Sie wieder gegangen? Nachdem Sie mit Sir Gerald gesprochen hatten und in den Garderoben waren?«

  »Sie haben es erfaßt.«

  »Es wundert mich, daß die Türen im Foyer noch nicht abgeschlossen waren.«

  »Ach, es gibt immer ein paar Nachzügler, und außerdem müssen die Platzanweiserinnen noch aufräumen.«

  »Sie erinnern sich wohl nicht, um welche Zeit das war oder ob jemand Sie hat Weggehen sehen«, sagte Gemma mit einem Anflug von Sarkasmus.

  Ziemlich betreten erwiderte Tommy Godwin: »Nein, leider nicht, Sergeant. Aber man denkt in so einem Moment natürlich auch nicht daran, daß man später womöglich über sein Tun und Lassen Rechenschaft ablegen muß, nicht wahr?«

  Entschlossen, diese glatte Fassade der Unschuld zu durch-brechen, hakte sie etwas aggressiver nach: »Und was haben Sie nach der Vorstellung getan, Tommy?«

  Er lehnte sich mit einer Hüfte an die Kante des Arbeits-tischs und verschränkte seine Arme. »Ich bin nach Hause gefahren, in meine Wohnung in Highgate, was sonst, Verehrteste?«

  »Allein?«

  »Ich lebe allein, ja, abgesehen von meiner Katze, die ganz gewiß bereit sein wird, für mich zu bürgen. Sie heißt übrigens Salome, und ich muß sagen, das paßt -«

  »Wann sind Sie zu Hause angekommen? Können Sie sich daran vielleicht zufällig erinnern?«

  »In der Tat.« Er hielt inne und sah sie an, als erwarte er ein Lob. »Ich habe eine alte Standuhr, und ich erinnere mich, daß sie, kurz nachdem ich nach Hause gekommen war, geschlagen hat. Es muß also vor Mitternacht gewesen sein.«

  Patt. Er konnte die Wahrheit seiner Aussagen nicht beweisen, aber ohne zusätzliches Material konnte sie auch nicht beweisen, daß sie falsch waren. Gemma betrachtete ihn und fragte sich, was hinter seiner gewinnenden äußeren Art verborgen war.

  »Ich brauche Ihre Adresse, Mr. Godwin, und ebenso den Namen der Person, mit der Sie gesprochen haben, nachdem Sie bei Sir Gerald waren.« Sie riß ein Blatt aus ihrem Block, und während sie zusah, wie er mit klarer Schrift die gewünschten Angaben aufschrieb, wurde ihr plötzlich klar, woher ihr Unbehagen kam und wie geschickt Tommy Godwin ihr die ganze Zeit ausgewichen war.

  »Wie gut haben Sie Connor Swann eigentlich gekannt, Mr. Godwin? Das haben Sie mir noch gar nicht gesagt.«

  Er reichte ihr ihren Kugelschreiber zurück und faltete säuberlich das Papier zu einem kleinen Rechteck. »Ich bin ihm im Lauf der Jahre natürlich gelegentlich begegnet. Er war nicht unbedingt mein Fall, muß ich sagen. Es hat mich erstaunt, daß Gerald und Caro die Beziehung zu ihm aufrechterhalten haben, als nicht einmal Julia mehr etwas von ihm wissen wollte, aber es kann ja sein, daß sie etwas etwas von ihm wußten, von dem ich keine Ahnung habe.« Er zog eine Braue hoch und lächelte schief. »Und in seinem Urteil kann sich ja jeder einmal irren, nicht wahr, Sergeant?«