13. KAPITEL

„Wo soll ich anfangen?“, fragte Isabella höflich.

„Gut ist immer der Anfang“, antwortete Marcus. „Warum hast du mich damals verlassen?“

Isabella schmiegte sich noch tiefer in den Ledersessel. Am liebsten wäre sie ganz und gar in der weichen Umarmung des Möbels verschwunden. Sie wollte nur noch schlafen, und im Schlaf Sicherheit und Vergessen finden. Stattdessen musste sie reden, damit Marcus sie verstand. Ihr Herz bebte dabei.

„Du hast mich damals am Altar stehen lassen“, sagte er in sehr beherrschtem Ton. „Du wolltest mich nicht sehen, als ich versuchte, dich zu sprechen. Du hast nicht einmal geschrieben oder mir gesagt, was eigentlich geschehen war.“ Seine Stimme wurde nun doch lauter, gefühlvoller. „Erst durch den Zeitungsbericht erfuhr ich überhaupt von deiner Hochzeit, und dann sandtest du mir meinen Ring zurück …“ Er hielt inne. Isabella bemerkte, wie sein Gesicht erneut ausdruckslos wurde und das Feuer in seinen Augen erlosch.

„Gib mir eine Erklärung“, forderte er tonlos. Es war ein Befehl, keine Bitte.

„Da gibt es nicht viel zu sagen“, antwortete sie. Angestrengt blickte sie auf die Glut im Kamin, damit sie Marcus nicht ansehen musste. Das hätte ihr zu sehr wehgetan.

„Ich tat es um meiner Familie willen, Marcus, oder vielleicht auch wegen des Geldes. Du wirst dir sicher das Passende aussuchen.“

Isabella sah kurz auf. Marcus’ Gesicht war ganz ruhig, aber sie bemerkte eine beherrschte Anspannung, ja einen Zorn, der tief in ihm brannte. Nun da der Augenblick der Wahrheit gekommen war, wollte sie, dass alles möglichst schnell vorbeiging und er sie dann in Ruhe ließ. Dafür würde sie sorgen.

„Als ich jung war, wusste ich nicht, dass Papa in ernsten finanziellen Schwierigkeiten steckte“, fuhr sie fort. Sie zuckte die Achseln. „Kinder bemerken diese Dinge oft nicht. Sie glauben, dass alles immer unverändert und sicher bleibt.“ Sie seufzte. „Als ich heranwuchs, entdeckte ich, dass Papa immer wieder in Schulden steckte. Mal erwarb er ein kleines Vermögen, nur um es wieder zu verlieren – durch Glücksspiel, gewagte Investitionen, unkluges Handeln … Als er starb, hatte er sein ganzes Geld verloren. Deshalb muss Freddie arbeiten, und Pen hat nur ein schmales Einkommen, das kaum zum Leben reicht.“

Seit Isabella angefangen hatte zu sprechen, hatte Marcus sich keinen Zoll von der Stelle gerührt. Er saß ihr gegenüber in einem Ledersessel und schwieg. Aber er sah sie mit wachsamen Augen an. Sein Gesichtsausdruck war kalt und abweisend. Isabella fühlte ein Frösteln in ihrem ganzen Körper und schmiegte sich noch ein wenig tiefer in den Sessel, um Trost zu finden.

„Als Ernest bei Papa um meine Hand anhielt, stand Papa vor dem Ruin. Damals war Ernest natürlich ein reicher Mann. Er bot Papa an, dass er ihn vor dem Schuldgefängnis schützen würde.“ Sie unterbrach ihren Bericht mit einem kurzen, bitteren Lachen. „Ich war Teil der Vereinbarung. Um meine Familie vor dem Ruin zu bewahren, war ich gezwungen, Ernests Werbung anzunehmen. Niemand nahm Rücksicht darauf, dass ich kurz vor der Hochzeit mit dir stand. Die Sicherheit der Familie hing von meinem Einverständnis ab.“ Isabella hielt inne und blickte gedankenverloren in die Feuerglut.

Sie nahm sich vor, nichts davon zu sagen, was sie damals empfunden hatte. Nichts davon, dass ihr Vater zu schwach war, um sie zu beschützen, der stattdessen herumtobte und ihr befahl, Ernest zu heiraten. Nichts von ihrer Mutter, die ihr kleines gesticktes Taschentuch zwischen den rastlosen Fingern zerriss. Nichts von Freddie, der alles mit leerem Gesichtsausdruck, aber mit verzweifelten Augen beobachtete. Nichts von Pen, die ihre Hand nahm und fragte, ob das alles wahr sei und ob sie sie alle Hungers sterben lassen würde. Isabella war damals zu jung gewesen, um diese schmerzlichen Entscheidungen zu treffen, aber ihr war keine Wahl geblieben.

„So hast du also zugestimmt“, sagte er leise.

Isabella fühlte Zorn hochkommen. Marcus konnte ungerührt dasitzen und urteilen, während sie sogar noch zwölf Jahre danach die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit von damals spürte.

„Es war keine leichte Entscheidung“, fuhr sie stockend fort. „Ich liebte dich, war völlig vernarrt in dich.“ Ihr Ton wurde erregter. „Wir sollten doch am folgenden Tag heiraten! Es war … erschreckend, plötzlich alles aufgeben zu müssen.“

„Du hättest dich weigern können“, sagte er mit hartem Gesichtsausdruck. „Du hättest auf einer Hochzeit mit mir bestehen und deinem Vater sagen können, dass er dir gestohlen bleiben konnte.“

Isabella dachte darüber nach. Sie hätte zu Marcus flüchten können, aber sie war jung und allein und schrecklich unsicher gewesen, was sie tun sollte. Natürlich hatte sie sich nach Marcus gesehnt, nach seinem Schutz – und doch hatte sie genau gewusst, dass ihre gesamte Familie dem Ruin anheim fallen würde, wenn sie Marcus wählte. Sie war innerlich zerrissen gewesen.

Ich brauchte dich damals so sehr.

Isabella sprach die Worte nicht aus. Sie würde ihm das jetzt nicht sagen, nicht, da er so voller Bitterkeit war. Es war einmal so ganz anders gewesen. Wenn sie daran dachte, wie unbeschwert ihre Liebe zueinander gewesen war … Sie hatte sich Marcus hingegeben, weil sie ihn liebte und nicht an die Folgen dachte. Mit siebzehn war sie ungestüm und sorglos gewesen. Alle Verhaltensregeln, zu deren Einhaltung sie erzogen worden war, hatte sie unbeachtet gelassen. Aber dann hatten die Folgen sie eingeholt. Die Zukunft ihrer Eltern, ihrer Geschwister hing von der „richtigen“ Entscheidung ab. Somit hatte sie deren Wohlergehen über ihr Glück mit Marcus gestellt und schmerzvoll erfahren müssen, dass ungehemmte Leidenschaft und bedenkenlose Unbekümmertheit zwar durchaus glücklich machen konnten, dass jedoch immer ein Preis dafür zu bezahlen war. Diesen Preis hatte sie jeden Tag bezahlt – in Erinnerungen und Reue.

Und jetzt würde Marcus sie für ihre Entscheidung tadeln. Er blickte sie düster an. Isabella wusste, dass er kein Mitgefühl oder Verständnis für sie hatte. Sie schluckte schwer.

„Ich nehme an“, sagte er schließlich, „dass es für dich zu riskant war, den Schritt mit mir zu wagen, selbst wenn ich in der Lage gewesen wäre, euch allen zu helfen. Damals hatte ich kein Geld und keine Zukunftsaussichten, und Fürst Ernest war ein reicher …“

„Wage nicht zu behaupten, ich hätte ihn seines Geldes wegen geheiratet!“, brach es aus Isabella heraus. Die wütende Antwort kam ohne Überlegung direkt aus ihrem Herzen. Sie hatte nicht vorgehabt, all ihre Ängste Marcus gegenüber offenzulegen, aber sie konnte nicht länger schweigen. Marcus sah sie überrascht an; die Aufrichtigkeit in ihrer Stimme war unverkennbar.

„Aber du hast ihn wegen seines Geldes geheiratet“, sagte er dann nachdenklich, „und sei es auch nur, um deine Familie zu retten.“

Isabella wandte sich ab. Was hatte sie erwartet? Dass er ihre Erklärungen hören und sie dann mit all der Kraft, der Liebe und der Wärme, die sie früher an ihm gekannt hatte, in die Arme nehmen würde? Genau das jedoch hatte sie sich heimlich gewünscht – sogar ohne es sich selbst einzugestehen. Doch das Leben war eben nicht so einfach.

„Ja“, antwortete sie dann. „Ich habe ihn um seines Geldes willen geheiratet, weil meine Familie es brauchte. Er hat mich gekauft.“ Dabei sah sie Marcus geradewegs an und legte ganz bewusst eine schneidende Härte in ihren Ton. „Selbst wenn wir beide geheiratet hätten, Marcus, hätte es keine Garantie dafür gegeben, dass wir glücklich geworden wären. Wir waren jung, dachten nur an unsere Gefühle, aber niemals an die Zukunft.“

„Das ist wohl wahr“, antwortete er und lächelte schwach. „Ich glaube wirklich, dass wir uns einfach von dem verzehrenden Verlangen füreinander haben hinreißen lassen.“

Bei ihr war es jedenfalls so, dachte Isabella. Alles war neu, aufregend und ganz überwältigend gewesen. Sie hatte keinen Gedanken an ein Morgen und keine Bedenken wegen des Heute gehabt. Schon die Erinnerung daran durchfuhr sie mit einer schmerzlichen Mischung aus Verlangen und Reue.

„Derartig lodernde Gefühle erlöschen aber nach und nach“, sagte sie, „und hinterlassen nur wenig. Am besten belässt man sie in der Vergangenheit, wohin sie gehören.“

Marcus erwiderte darauf nichts. Er sah sie nur an, wie er es im Gefängnis getan hatte: von den falschen Diamanthaarnadeln bis zu den silberfarbenen Hausschuhen, die unter dem Saum ihres Rockes hervorsahen. Isabella wusste, dass er an die Hochzeitsnacht dachte, die sie ihm zugesagt hatte, und erschauerte unwillkürlich.

Marcus rückte ein wenig hin und her. „Wenigstens eine Erklärung hättest du mir geben können“, sagte er. „Du hättest mir über die Admiralität schreiben können.“ Grimmiger Humor zuckte um seinen Mund. „Es wäre nur höflich gewesen, mir die Umstände zu erklären.“

Isabella zuckte leicht die Achseln. „Ich wusste einfach nicht, wie ich es anfangen sollte“, antwortete sie wahrheitsgemäß.

Marcus’ Blick bohrte sich in sie. „Ich habe dich geliebt,Isabella! Es gab eine Zeit, da konntest du mir alles sagen. Ich dachte …“

Wieder trat angespanntes Schweigen ein. Isabella hatte das Gefühl, dass ihre Nerven zum Zerreißen gespannt waren. Doch es hatte keinen Zweck, auf Absolution zu hoffen. Die würde Marcus ihr nie erteilen. Plötzlich hatte sie nur noch den Wunsch, er möge gehen, sodass sie schlafen könnte.

„So“, sagte sie, als die Pause sich hingezogen hatte, „da hast du nun deine Erklärung. Ich weiß, sie ist unzureichend und kommt zu spät, aber …“ Sie zuckte die Achseln. Das war alles, was sie zu geben bereit war. Sie fühlte sich vollkommen leer.

Marcus schwieg lange, und Isabella wurde unruhig.

„Und jetzt“, fuhr sie fort, „möchte ich, dass du mich gehen lässt.“

Marcus wusste nicht, was er sagen sollte. Alles schien ihm plötzlich auf erschreckende Weise nachvollziehbar. Er konnte sich tatsächlich geirrt haben, was Isabellas Wunsch nach Titel und Vermögen anging. Mit siebzehn, allein und gezwungen, Entscheidungen zu treffen, die man hoffentlich nie im Leben würde treffen müssen, musste sie sich verzweifelt einsam und hilflos gefühlt haben.

Zwischen ihnen war alles so rasend schnell gegangen, vom ersten Blick über die Begegnungen voll purer Leidenschaft bis hin zum kalten Schicksal, das sie wieder auseinandergerissen hatte. Eine Ewigkeit, und doch von so kurzer Dauer …

Marcus’ Überzeugungen gerieten ins Wanken. Isabella sah sehr blass und erschöpft aus, aber Gefühle konnte er in ihrem Gesicht nicht entdecken. Mit welcher Gelassenheit hatte sie gesprochen! Fast als ob sie vorher geübt hatte, was sie sagen würde. Und doch konnte er die Aufrichtigkeit in ihrer Stimme nicht in Abrede stellen, nachdem sie sich leidenschaftlich gegen die Beschuldigung, sie habe ein Vermögen geheiratet, gewandt hatte.

Es gab aber noch einen anderen Vorwurf, und er glaubte schon, gut daran zu tun, ihn auf keinen Fall zu vergessen. Sie war noch nicht entlastet.

„Was war mit India?“, fragte er mit rauer Stimme. „Ich kann in etwa verstehen, warum du dich in Bezug auf mich so entschieden hast, aber India …“ Marcus schüttelte den Kopf. „Was hat sie jemals getan, um dein Missfallen zu erregen?“

Er sah, wie sie sich anspannte, und dann bemerkte er, wie Unverständnis aus ihren Augen blickte und sich eine Falte zwischen ihren Brauen bildete.

„India?“ Bestürzung klang aus ihrer Stimme. „Ich verstehe nicht, was du meinst.“

Und wieder spürte er, wie eindringlich und echt ihre Aufrichtigkeit war. Die Tatsachen sagten ihm das eine, aber sein inneres Gefühl sagte ihm etwas ganz anderes. Er wollte glauben, dass sie falsch war, und doch schien ihre Aufrichtigkeit diese Absicht immer wieder zu vereiteln.

„Du hast ihre Mutter gegen sie aufgehetzt“, sagte er mit belegter Stimme. Er hatte die Schuld, die er seiner verstorbenen Frau gegenüber empfand, nie überwunden. Marcus hatte India aus den falschen Gründen geheiratet, und sie waren miteinander nicht glücklich gewesen. Das machte ihn umso entschlossener, für Gerechtigkeit zu sorgen. Für India war es natürlich zu spät, aber er könnte Isabella dazu bringen, ihre Schuld zu bekennen. Marcus stand auf und schritt mit kaum beherrschtem Zorn durch den Raum.

„Bei jedem deiner Besuche in Salterton und durch jeden deiner Briefe an Jane Southern hast du deine Cousine angeschwärzt.“ Er drehte sich zu Isabella um. „India erzählte mir, ihre Mutter habe sie oft damit geärgert, dass sie sich eine Tochter wünschte, wie du es bist. Du hast danach getrachtet, India Salterton wegzunehmen. India und Lady Jane hatten einen heftigen Streit deswegen, woraufhin Lady ihre Tochter enterbte.“

Isabella blickte Marcus mit ungläubigem Erschrecken an. Sie saß gerade aufgerichtet in ihrem Sessel und umklammerte mit beiden Händen die Armlehnen. Entsetzt schüttelte sie den Kopf. „Davon habe ich nichts gewusst! Ich schwöre, dass ich niemals durch Wort oder Tat Indias Verhältnis zu ihrer Mutter getrübt habe! Und am allerwenigsten habe ich ihre Enterbung betrieben!“

Er stieß die Fäuste in die Taschen seines Gehrocks. „Aber warum hat India denn geschworen, dass du genau das getan hast? Sie hatte keinen Grund, mich zu belügen.“

Er sah, wie erregt Isabella war, und ehe sie sich noch abwenden konnte, zog er sie aus dem Sessel hoch, sodass sie ganz dicht vor ihm stand.

„Es stimmt, nicht wahr? Irgendetwas hast du doch getan!“

Isabella war blass geworden. Dann sagte sie: „Es stimmt, dass ich kein Geheimnis aus meiner Liebe zu Salterton gemacht habe. Ich habe auch oft geschrieben und Tante Jane gesagt, wie sehr ich das Anwesen vermisste. Wenn das eine Sünde ist – wenn es das war, was Tante Jane dazu brachte, India zu enterben –, dann muss ich mich schuldig bekennen. Aber das war nicht meine Absicht. Ich konnte meine Liebe zu Salterton genauso wenig verbergen wie ich meine Liebe zu …“ Isabella unterbrach sich.

Wie ich meine Liebe zu dir hätte verbergen können.

Marcus hörte die Worte, als ob Isabella sie laut ausgesprochen hätte. Auch für ihn waren die Erinnerungen und Gefühle, die er mit Salterton verband, untrennbar verknüpft mit der Zeit, die er dort mit Isabella verbracht hatte. Wieder spürte er, wie eine Welle des Misstrauens India gegenüber ihn durchfuhr; und er schämte sich dafür.

„Du warst die Tochter, die Jane eigentlich wollte“, sagte er. „Wie, glaubst du, konnte India damit leben?“

Sie antwortete mit einem Kopfschütteln: „Dafür kannst du mich nicht verantwortlich machen, Marcus.“

„Trägst du auch keine Verantwortung für all die niederträchtigen kleinen Hinweise, mit denen du Lady Jane an ihre Vorliebe für dich erinnertest?“, antwortete er scharf.

„So etwas habe ich niemals getan. Wenn India das gesagt hat, dann hat sie gelogen.“

Marcus fasste sie noch fester. „Warum sollte sie gelogen haben? Glaubst du, dass sie eifersüchtig war – auf dich?“

Isabella sah ihn geringschätzig an. Ihr Gesicht war so nahe an seinem, dass der rasende Pulsschlag unter seinen Fingern ihm ihre Erregung verriet, ihr Gesichtsausdruck jedoch war so gelassen, als ob ihr das alles gleichgültig wäre.

„Warum sollte sie eifersüchtig auf mich gewesen sein?“, fragte sie. „Sie war doch mit dir verheiratet.“

„Sie hat den Mann geheiratet, den du abgewiesen hattest“, sagte er in scharfem Ton.

Isabella schlug die Augen nieder und presste die vollen Lippen aufeinander. Dieser aufregende Mund war immer sein Verhängnis gewesen. Das Verlangen, sie jetzt zu küssen, durchtobte ihn. Er wollte eine Frau küssen, der er nicht vertrauen konnte – es war sehr verwirrend.

„Ich bezweifle, dass sie jemals eifersüchtig auf mich war“, sagte sie. „Aber ich weiß wirklich überhaupt nichts darüber, was India so dachte und tat.“ Die Wimpern beschatteten ihre dunkelblauen Augen. „Wir haben einander nie etwas anvertraut, so ein enges Verhältnis hatten wir nicht.“

„Obwohl ihr im gleichen Alter wart?“

Isabella hörte sehr wohl den Vorwurf in seinem Ton, ihre Wangen röteten sich. „Oh, wirf mir das nicht vor! Ich wollte India immer eine Freundin sein, aber sie schien mich gar nicht zu brauchen. Sie war …“, Isabella zögerte „… eine sehr distanzierte Person. Nun, du kennst sie ja besser als ich.“ Sie trat etwas zurück, und Marcus ließ sie gehen. „Also, ich habe ihr nichts über meine Gefühle für dich gesagt, weder damals noch später, und selbst wenn ich das getan hätte …“

„Hätte sie keinen Grund zur Eifersucht gehabt, da ich sie ja geheiratet hatte“, ergänzte er grimmig.

„Wenn sie wusste, dass du sie gern hattest, dann gab es ja auch keinen Grund zum Neid“, stimmte sie zu. Sie war jetzt wieder sehr blass, als ob ihr irgendetwas wehtat. Dann streckte sie ihr Kinn vor. „Ich weiß von alldem nichts. Es kommt mir fast so vor, als ob du diese ganze Angelegenheit erfunden hast, um mir weiter zuzusetzen.“

Marcus machte eine plötzliche Bewegung. „Ich lüge nicht“, zischte er, „und India hat auch nicht gelogen!“

„Und ich auch nicht!“ Sie blitzte ihn entschieden an mit diesen blauen Augen, die auch India gehabt hatte. Marcus hielt plötzlich inne. Er hatte Indias Anschuldigungen nie bezweifelt, weil er Lady Janes Gefühle nur zu gut verstanden hatte. Isabella hatte Feuer, Mut und Durchsetzungsvermögen, während India schüchtern und furchtsam war. Für manche Mutter hätte sie die ideale Tochter verkörpert, nicht aber für Jane, die selbst so mutig und voller Tatendrang gewesen war. Sie und India waren so verschieden gewesen wie Tag und Nacht, und deshalb konnten sie nie richtig miteinander auskommen. Und dennoch hatte Marcus das Gefühl, er begehe einen doppelten Verrat an India, nämlich dadurch, dass er sich in ihre Mutter hineinversetzen und erkennen konnte, welch perfekte Tochter Isabella für sie gewesen wäre.

„Trotz deines Leugnens ist ein Muster zu erkennen, nicht wahr?“, sagte er mit rauer Stimme. „Du hast Ernest Di Cassilis um des Geldes willen geheiratet. Und sicherlich mussten die Männer, die du zwischendurch hattest, dir auch irgendwie nützlich sein, oder du hättest sie verlassen.“ Glühender Zorn trieb ihn, weiterzusprechen. „Du hast dafür gesorgt, dass Jane Southern ihre Tochter zu deinen Gunsten enterbte. Du hast mich geheiratet, um dich vor dem Ruin zu retten. Und nun verhandelst du mit mir um deine Freiheit. Es gibt wenig, wozu du dich nicht hergeben würdest, um dein Glück sicherzustellen.“

Bei seinen Worten war sie ganz bleich geworden, sogar ihre Lippen waren ganz weiß. „Das“, sagte sie mit Nachdruck, „ist schlicht und einfach nicht wahr.“

„Die Tatsachen sprechen für sich.“

„Die Tatsachen sind so, wie ich sie dir berichtet habe“, antwortete sie. „Ich habe Ernest geheiratet, weil ich zu jener Zeit glaubte, nur so könnte ich meine Familie retten. Was andere Männer betrifft …“ Sie schluckte.

Marcus konnte seinen Zorn kaum bändigen. „Ja?“

„Es gab nicht so viele, wie du annimmst“, sagte sie, „und alles, was ich von ihnen wollte, war nur Zuneigung.“ Aus ihrer Stimme sprach große Verzweiflung. „Ich weiß, dass du und andere mich deswegen als Hure gebrandmarkt haben, aber du weißt nichts!“

„Dann sag es mir.“

Isabella sah ihn mit einem schwachen Lächeln in den Augen an. „Oh nein, Marcus. Das geht zu weit. Ich werde dir nichts mehr von meiner Seele offenlegen. Alles, was du wolltest, war zu erfahren, warum ich dich damals verlassen habe. Das habe ich dir gesagt. Es liegt an dir, es zu glauben oder auch nicht.“

Er seufzte. „Und der Rest? Die Erbschaft?“

„Ich wusste nichts von Lady Janes Absicht, India zu enterben, und ich bestreite entschieden, sie auf irgendeine Weise dazu veranlasst zu haben. Und ich habe dich geheiratet …“ Sie hielt inne.

„Ja?“

Isabella hielt die Augen gesenkt, und ihre Wimpern verdeckten den Ausdruck darin vor Marcus. Als sie sprach, war ihr Ton traurig. „Nun gut, ich gestehe es. Ich habe dich geheiratet, um mich vor dem Schuldgefängnis zu retten. Es war ein verhängnisvoller Fehler, aber ich war …“

Sie brach ab und presste die Lippen aufeinander.

Ich war verzweifelt. Das war es wohl, was sie sagen wollte. Marcus erinnerte sich daran, dass sie drohte, jeden anderen Gefangenen zu heiraten, der sie haben wollte.

Er zuckte die Achseln. Der Zorn trieb ihn weiter an und ließ keinen Raum für Mitgefühl. „Also. Ich habe deine Schulden bezahlt, und du bist sicher. Du hast mir nun gesagt, warum du mich verlassen hast, und jetzt …“ Er hielt inne. Im flackernden Licht des Kamins sah Isabella zerbrechlich und ängstlich aus. Er fragte sich, wie sie um alles in der Welt so aussehen konnte, wenn sie doch ein solch durchtriebenes Geschöpf war.

„Und jetzt“, sagte er mit Bedacht, „glaube ich, kommt unsere Hochzeitsnacht.“

Isabella drückte ihre Hand abwehrend gegen seine Brust. „Ich kann mich keinem Mann hingeben, dem ich nichts bedeute, der mir nicht vertraut und der mich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht besonders mag.“

Er lachte. In ihm tobte ein wildes Verlangen. Er wollte seinen Zorn und seine Bitterkeit an ihrem Körper stillen. Er fragte sich, ob sie glaubte, dass irgendein Mann sie ansehen konnte, ohne dieses Verlangen zu spüren.

„Du unterschätzt meine Gefühle für dich, meine Liebe“, sagte er. „Ich bewundere dich und will dich.“

Isabella blickte Marcus mit ihren klaren blauen Augen prüfend an, um vielleicht Wahrheiten zu entdecken, die er bewusst ignorierte. „Dennoch verachtest du mich“, fügte sie hinzu.

Er hielt ihrem Blick stand. „Ein kleiner Teil von mir tut das – vielleicht. Wir brauchen darauf keine Rücksicht zu nehmen.“ Er legte einen Finger auf ihre Lippen. Wenn er Isabella nicht bald bekäme, dann fürchtete er, dass sein ungestilltes Verlangen ihn verzehrte.

„Ich brauche dich so sehr“, fuhr er fort mit einem rauen Unterton in der Stimme. „Ich bin dir nicht gleichgültig. Sieh mir in die Augen und sage mir dann, dass du mich nicht willst.“

Sie biss sich auf die Unterlippe und schaute ihn nicht an. „Ich möchte, dass du mir gleichgültig bist“, sagte sie leise.

„Ah!“ Er beugte sich vor und berührte mit den Lippen leicht ihren Nacken. „Das ist etwas ganz anderes, wie selbst du zugeben wirst.“

Er spürte, wie ein Schauer ihren Körper durchzuckte. Dann aber machte sie sich von seiner Berührung frei und trat einen Schritt zurück. „Du musst gehen, Marcus. Ich habe dir die Wahrheit gesagt, und du hast dich dafür entschieden, mir nicht zu glauben. Verheiratet oder nicht – ich kann mich keinem Mann hingeben, der mich nicht achtet.“

Marcus’ Gesichtsausdruck war unerbittlich.

„Du kannst es und wirst es tun. Das ist der Handel, den wir abgeschlossen haben, mein Schatz.“

„Nein“, sagte sie. „Ich werde mich dir nicht hingeben, wenn du mich so gering schätzt.“ In flehentlicher Verzweiflung streckte sie die Hand aus. „Du kennst mich doch von früher, Marcus! War deine Einschätzung von mir damals denn so falsch, dass du jetzt so von mir denkst?“

Er presste die Zähne aufeinander. Die Erinnerung an seine Liebe zu ihr quälte ihn schmerzlich wie böse Geister. „Ich war jung“, sagte er mit rauer Stimme. „Vielleicht habe ich mich in meinen Gefühlen für dich irreleiten lassen.“

„Du hast mich geliebt“, antwortete sie tonlos. „Willst du damit sagen, dass alles eine Lüge war?“

Ihre Augen blitzten vor Aufregung. Ehe er antworten konnte, fügte sie hinzu: „Warum musst du immer das Schlechteste von mir denken?“

Das war eine Frage, die er nicht beantworten wollte. Jedenfalls heute nicht – vielleicht nie. Im Augenblick konnte er an nichts anderes denken als daran, sie genau jetzt im Bett zu haben. Er wollte sich nicht seinen eigenen Dämonen stellen oder sich sogar eingestehen müssen, dass seine Sicht der Dinge möglicherweise falsch war. Vielleicht hatte India ihn ja doch belogen. Vielleicht war sie doch eifersüchtig auf seine Liebe zu Isabella gewesen. Und er hatte aus Reue über seine Schuld Isabella für alles verantwortlich gemacht, statt den Schmerz einfach zuzulassen.

Isabellas Augen leuchteten in einem tiefen dunklen Blau. Ihre Wangen waren vor Erregung gerötet, und als Marcus sie berührte, fühlte sich ihre Haut unter seinen Fingerspitzen ganz erhitzt an.

„Du kannst mich nicht abweisen.“ Seine Sehnsucht, sie endlich zu nehmen, war beinah übermächtig, und er hatte Angst, jede Beherrschung zu verlieren, wenn sie ihn jetzt zurückwies. „Ich war dein erster Liebhaber. Du weißt, dass du mich auch begehrst.“

„Es wird dir leidtun.“ Sie sagte dies ohne jede Drohung, sprach einfach nur eine Tatsache aus. „Das fühlt sich ganz und gar falsch an. Es ist auch falsch, wenn so vieles zwischen uns ungelöst ist.“

Marcus verstand genau, was sie meinte, versuchte aber, sich diesem Wissen gegenüber zu verschließen. Warum sollte man alles kompliziert machen, wenn es schließlich so einfach sein konnte? Sie könnten in der Glut der Gegenwart die Vergangenheit mit ihren Anschuldigungen und Vorwürfen vergessen. Danach … an ein Danach wollte er jetzt nicht denken. Nicht bis er Isabella genommen, für sich wiedergewonnen und all die quälenden Geister besiegt hatte.

„Ich weiß nicht, was ich denken soll“, flüsterte er.

Dann zog er sie zu sich und küsste sie mit all der aufgestauten Leidenschaft, die ihn so lange gequält hatte. Sie leistete zwar keinen Widerstand, kam ihm aber auch nicht entgegen. Ein Schauer durchzuckte ihn, und er ließ seinen Kuss sanfter werden, um in ihr einen Widerhall zu wecken, nicht aber zu fordern. Auf irgendeine Weise musste er den rechten Weg finden. Isabella musste ihn so sehr begehren wie er sie. Unter seinem Kuss spürte er, wie ihre Lippen erbebten und sich seiner suchenden Zunge öffneten. Ihr ganzer Körper wurde weich und nachgiebig in seinen Armen. Der süße Zauber ihrer Hingabe ließ sein Herz vor Freude schneller schlagen.

Marcus hob sie auf seine Arme und eilte zur Tür.

Erst als er mit ihr den oberen Treppenabsatz erreicht hatte, wurde ihm klar, dass er überhaupt nicht wusste, wo Isabellas Schlafgemach war. „Sag mir, wohin ich gehen soll“, sagte er heiser, „oder ich schwöre, ich werde dich hier auf der Treppe nehmen. Ich kann nicht länger warten.“

Er sah den Schrecken und die plötzliche Ernüchterung auf ihrem Gesicht. Ein Teil von ihm war so entsetzt wie sie darüber, dass er mit so wenig Zartgefühl vorging und sie wie eine Hure behandelte. Aber er war in seinem glühenden Verlangen schon zu weit gegangen, als dass er noch Bedenken haben konnte.

Isabella antwortete trocken: „Deiner Werbung mangelt es an Zartgefühl, Stockhaven.“

„An Befriedigung wird es dir nicht mangeln, wenn die Zeit kommt“, erwiderte er. „Wohin?“

Ein quälender Moment verstrich, während Isabella zu überlegen schien. Marcus kam es wie eine Stunde vor.

„Die dritte Tür links“, sagte sie dann.

Der Raum lag im Dunkeln, und die Vorhänge waren zugezogen. Ein einzelner Strahl von Mondlicht schien durch einen Spalt und zeichnete eine Linie auf dem Fußboden. Marcus erhaschte einen kurzen Blick auf ein Bett mit einem hohen geschnitzten Kopfende. Er legte Isabella vorsichtig auf die Laken, ging zur Tür und schloss ab. Das Geräusch klang wie eine Besiegelung ihres Pakts. Marcus kam zu Isabella zurück, riss sich das Halstuch ab und warf sein Hemd auf den Boden. Fast erwartete er, dass Isabella aufstehen und einen Fluchtversuch unternehmen oder ihm zumindest Vorwürfe machen würde. Stattdessen lag sie ganz still und beobachtete ihn. Ihre Röcke gaben den Blick auf ihre Oberschenkel frei. Ihr ganzer Körper war still und offen für ihn, voll hingebungsvoller Erwartung. Es war das Verwirrendste und zugleich Erregendste, das Marcus jemals gesehen hatte.

In seiner Hast riss er ihr das Kleid von den Schultern, wobei er in seiner Erregung und seinem Verlangen recht ungeschickt vorging. Er verwünschte seine bebenden Hände.

Isabella protestierte: „Mein Kleid!“, rief sie aus. „Ich kann mir nicht leisten …“

„Ich kaufe dir ein neues.“ Er beugte sich vor, um sie zu küssen. Ungestüm verlangend suchte er ihren Mund, sehnte sich danach, wieder ihre Hingabe zu spüren. Schon einmal hatte sie zugegeben, dass sie ihn begehrte. Doch er wollte ganz sicher sein, dass er keine widerstrebende Frau ins Bett nahm.

Und so versuchte er, sich zur Geduld zu zwingen, auch wenn ihm das eigentlich ganz fern lag. Er musste wieder ganz von vorn beginnen, musste durch einschmeichelnde Verlockung die abweisende Starre ihres Körpers lösen, die Leidenschaft in ihr entflammen. Sein Körper schrie nur nach Erfüllung, aber diesmal beachtete er das nicht.

Als Isabellas Lippen sich unter seinem Kuss öffneten, durchzog ihn ein Aufwallen des Triumphes, genau so stark wie sein glühendes Verlangen. Ihre Zunge spielte um seine. Sein Mund bewegte sich auf ihren Lippen mit dem Drang, sie zu besitzen. Marcus legte die Hände um Isabellas Gesicht und vergrub seine Finger in dem seidigen, dunkelgoldenen Haar, das er von Anfang an liebkosen wollte. Aus Isabellas Kehle löste sich ein leises wohliges Stöhnen, und sie schmiegte ihren Körper an den seinen.

Er konnte nicht viel länger warten.

Er zog sich etwas zurück, um seine Schuhe auszuziehen, und sah, wie sie in einer rührend unschuldigen Geste ihr zerrissenes Mieder vor sich zusammenhielt. Ihre zarte Nacktheit bot sich ihm so noch verlockender dar. Marcus setzte sich, Isabella zugewandt, auf die Bettkante, legte die Hände um ihre Taille und beugte den Kopf zu der kleinen Kuhle an ihrem Hals. Er spürte, wie sich ihre Haut unter seiner Berührung erhitzte, und ließ die Finger zu ihren Brüsten wandern. Ihre Brustknospen verhärteten sich unter ihrem zerrissenen Unterhemd. Mit einem kehligen Laut schob er den Stoff beiseite und umschloss mit den Lippen eine der kühlfeuchten Knospen. Isabella bog sich ihm in einem stummen Flehen entgegen, Marcus hielt sie jedoch fest um die Taille gefasst, während er mit dem Mund die Süße ihrer entblößten Brüste liebkoste. Ihr sanftes Stöhnen und die Bewegungen ihres Körpers brachten ihn gefährlich nahe an den Höhepunkt, aber er war entschlossen, Isabellas Vergnügen zu verlängern. Dabei war er gar nicht einmal sicher, wie und wann sein selbstsüchtiges Verlangen nach Befriedigung sich gewandelt hatte, sodass er nun nur noch den Wunsch verspürte, Isabella Vergnügen zu bereiten.

Marcus zog ihr Gewand nach unten und ließ die Hände in zarten Liebkosungen über die Haut ihrer Taille und ihrer Hüften wandern, bis sie unwillkürlich die Arme nach ihm ausstreckte. Sie zitterte am ganzen Körper, jedoch nicht vor Kälte. Marcus spürte, wie die Hitze sie von Kopf bis Fuß erfasste, und sein Verlangen wurde noch glühender. Er küsste sie erneut. Ihr Mund war warm und bereitwillig unter seinen Küssen, während er sie bei den Hüften fasste und an sich presste. Dann öffnete er ihre Lippen mit der Zunge und streichelte sie tiefer, kühner. Mit lustvoller Hingabe spielte seine Zunge um ihre. Marcus wusste, dass Isabellas Verlangen genauso stark war wie sein eigenes. Er konnte es an ihrem Stöhnen hören und auf ihren Lippen schmecken.

Mit unendlicher Zartheit drückte er ihre Oberschenkel auseinander, erkundete behutsam ihre feuchte Wärme. Lächelnd küsste er die weiche Haut an ihrem Bauch und ließ die Lippen langsam zu ihren Schenkeln wandern. Ganz allmählich berührte er das umschattete Delta zwischen ihren Beinen. Er hörte, wie sie keuchte, und küsste sie dann dort, wobei er wieder und wieder mit fast schmerzhafter Zärtlichkeit ihr bebendes Zentrum liebkoste.

Isabella schrie vor Lust auf. Ihr Körper spannte sich an, und erwartungsvoll bog sie den Rücken durch. Marcus erhob sich ein wenig, um leichteren Eingang zu finden. Dann drang er in sie ein, und ihre Wärme und unglaubliche Enge umschlossen ihn.

Jeder Gedanke an Rache, Bitterkeit und Zorn war in dem Feuer seines glühend heißen Verlangens nach Isabella verbrannt worden. Dennoch war er nicht vorbereitet gewesen für diesen ersten überwältigenden Gefühlsansturm, als er zu ihr kam und sein Denken erlosch. Aber Erinnerungen wurden lebendig: Sie waren beide plötzlich wieder jung, und der Holzfußboden der Gartenlaube war stummer Zeuge ihres Glückes. Isabellas Haut war zart und silbrig unter seinen liebkosenden Händen, als sie sich vereinigten, Seele, Körper und Geist, immer enger, immer näher … Isabella krallte sich mit den Fingernägeln in seine Schultern – Schmerz und Lust vereinten sich. Marcus drang tief in sie ein, und mit jedem Stoß durchzuckte es ihn heller. Unaussprechliche Lust durchschüttelte seinen Körper, so plötzlich und unwiderstehlich, dass er in ekstatischer Überraschung ausrief: „Ich liebe dich …“

War das damals, oder war das jetzt? Er wusste es nicht und wollte es auch nicht wissen. Marcus hatte Isabella bis zu diesem Punkt für gierig und unmoralisch halten wollen, aber jetzt erkannte er, dass er immer nur versucht hatte, sie so zu sehen, wie er sie sehen wollte, und dass er dabei die ganze Zeit nur gegen sich selbst gekämpft hatte.

Das konnte nicht gut gehen.

Marcus wusste, dass Isabella edler war als das Bild, das er von ihr gehabt hatte.

Sein Hass war überwunden, und Erleichterung erfüllte ihn.

Seine Bitterkeit war gewichen.

In Liebe und tiefer Dankbarkeit zog er Isabella an sich und schlief gesättigt ein.

Marcus wurde durch das Aufziehen der Vorhänge geweckt. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so lange oder auch so gut geschlafen zu haben. Es war, als ob alles, was ihn gequält hatte, nun endgültig der Vergangenheit angehörte. Durch die geschlossenen Lider bemerkte er die Helligkeit, wollte die Augen aber gar nicht öffnen, um sich dem Tag zu stellen. Er musste Isabella sagen, dass er all die schrecklichen Dinge, die er ihr entgegengeschleudert hatte, und all die Verdächtigungen bereute. Er wollte ihr sagen, dass er verstanden hatte, wie schmerzlich es für sie gewesen sein musste, diese unmögliche Entscheidung zwischen Familie und Liebe zu treffen.

Marcus griff neben sich. Der Platz war leer.

„Heißes Wasser, Mylord.“

Er öffnete die Augen. Am Fußende des Bettes stand Belton mit einem Wasserkrug in der Hand und einem Handtuch über dem Arm. Sein Gesichtsausdruck war nichtssagend höflich.

Marcus richtete sich schnell auf. „Isabella … wo ist sie?“

Beltons Augenbrauen zuckten kaum wahrnehmbar. „Ihre Ladyschaft ist gegangen, Mylord.“

„Gegangen?“

Marcus sah sich verzweifelt um, als ob er erwartete, dass Isabella sich hinter den Bettvorhängen versteckt hielt.

„Fortgegangen, Mylord“, fügte Belton ernst hinzu. „Ihre Ladyschaft bestand darauf, Sie nicht zu wecken.“

Marcus unterdrückte einen Fluch. In seinem eigenen Glück befangen, hatte er gedacht, er habe sie ebenfalls glücklich gemacht. Er hatte so gewünscht, dass sie dieselbe überwältigende Lust empfinden sollte, die ihn ergriffen hatte. Aber vielleicht … hatte er in seinem selbstsüchtigen Vergnügen überhaupt nicht bemerkt, dass ihr Innerstes unberührt geblieben war. Vielleicht hatte er nur ihren Körper genommen, und ihre Seele war ihm wiederum entglitten. Er fühlte sich elend und kalt, und plötzlich ergriff ihn Angst.

Belton hatte sich abgewandt und war dabei, Wasser in die Schüssel auf dem Waschtisch zu gießen. Trotz des Dröhnens in seinen Ohren hörte Marcus das Geräusch des fließenden Wassers und sah, wie Belton sorgfältig einen danebengegangenen Tropfen aufwischte. Marcus sprang aus dem Bett und fasste den Butler am Arm.

„Wohin ist Fürstin Isabella gegangen?“

Belton wandte sich langsam um. Sein Gesichtsausdruck war immer noch nichtssagend.

„Ihre Ladyschaft hat London verlassen, Mylord.“

Er schüttelte Beltons Arm. „Wann? Wann ist sie gegangen?“

„Bei Tagesanbruch, Mylord.“ Der Butler ahnte Marcus’ nächste Frage, noch ehe er sie vollständig im Sinn hatte. „Es ist jetzt zehn Uhr, Mylord.“

Zehn Uhr. Die Zeitangaben schwammen wie Fische durch Marcus’ Sinn. Im Sommer war Tagesanbruch etwa halb fünf, auf keinen Fall später als fünf. Nach fünf Stunden auf der Flucht konnte Isabella jetzt sonst wo sein. Sie war sicher so weit von ihm entfernt wie nur irgend möglich.

Belton stand kerzengerade wie ein Soldat im Dienst. Marcus blickte nach unten, und es durchfuhr ihn plötzlich, dass er ganz nackt war. Er ließ Beltons Arm los.

„Danke, Belton“, sagte er nur.

„Gern geschehen, Mylord“, antwortete der Butler. Nach einem Augenblick fuhr er fort: „Da ist eine Nachricht, Mylord.“

Eine Nachricht. Marcus wurde von einer trügerischen Hoffnung erfasst.

„Wo?“

Belton deutete auf den kleinen Tisch neben dem Bett.

Marcus nahm den Zettel auf und faltete ihn auseinander. Wie durch einen Schleier nahm er wahr, dass seine Hände zitterten.

Stockhaven,
ich bin nach Salterton gegangen. Du hast deine Hochzeitsnacht gehabt. Nun vertraue ich darauf, dass du mir meine Freiheit gibst.
I. S.

Das war alles. Marcus drehte das Blatt um, um sicherzugehen. Die plötzlich wieder aufgerissene Distanz zwischen ihnen presste ihm das Herz zusammen. Beim Einschlafen war er ihr näher gewesen als jemals zuvor in seinem Leben. Isabella hingegen hatte nur die Morgendämmerung abgewartet, damit sie ihn verlassen konnte.

Er dachte an den erbarmungslosen Hagel von Anschuldigungen, den er auf ihr hatte niederregnen lassen, und die Art und Weise, wie er versucht hatte, ihren freien Geist zu zähmen. Die ausgesprochene Grausamkeit dieses Vorgehens ließ ihn erschaudern. Er stützte den Kopf in die Hände.

„Möchten Sie eine Rasur, Mylord?“, fragte Belton.

„Nein danke“, antwortete Marcus fast automatisch.

„Kleidung, Mylord?“ In Beltons Stimme lag jetzt eine Spur von Missbilligung.

„Ja bitte.“ Auch diese Antwort kam wieder fast von selbst.

„Ein Pferd, Mylord?“ Jetzt enthielt Beltons Frage eine deutliche Botschaft. Marcus sah auf.

„Ein Pferd?“, wiederholte er erstaunt.

Beltons Blick war fast böse. „Ein Pferd, Mylord.“

Ein Hoffnungsschimmer blitzte in Marcus’ Augen auf. Warum eigentlich nicht? Er musste es versuchen.

„Ja, ich möchte ein reisebereites Pferd, bitte, Belton“, fügte er hinzu, „ein schnelles.“

Auf Beltons Lippen erschien der kaum wahrnehmbare Anflug eines zufriedenen Lächelns. Marcus deutete es als Zeichen der Billigung. „Sofort, Mylord“, antwortete der Butler.